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Aus dem Zentralinstitut far Emahrung in Potsdam-Rehbriicke (Direktor : Prof. Dr. H. Haenel) Forschungszentrum fiir Molekularbiologie und Medizin, Akademie der Wissenschaften dcr DDR Zum Metabolismus fungizider Phthalimid-Derivate in lebensmittelchemisch-toxikologischer Sicht' R. ENGST und hl. RAAB Phthalimid-Denvate, Metabolismus Mit dem vermehrten Einsatz von Fungizidenwlchst auch die Bedeutung der Phthalimid- Derivate Captan, Folpet und Difolatan. Fiitterung von Ratten mit markiertem Captan gab dariiber AufschluO, daD die Substanz im Warmbliiter schnell resorbiert. metaboli- siert und innerhalb 3 Tagen praktisch vollstandig mit den Exkrementen ausgeschieden wird. Die Senkung des SH-Spiegels in den Erythrozyten nach einmaliger Dosis von etwa 5% der LD, war auffallig, sie betrug nach 3 h 54 und nach 24 h noch 2504. Auch im Serum und in der Leber sank der SH-Spiegelsignifikant (18% bzw. 11%). Die spe- zifische Aktivitiit bestimmter SH-Enzyme (Glutamat-Pyruvat-Transaminase und Lac- tat-Dehydrogenase) war im gleichen Versuch um ca. 20% erniedrigt. Unzersetztes Captan ist weder im Blut noch in den Organen der Ratte n i t diinnschicht- oder gas- chromatographischen Methoden nachweisbar. Lediglich die Metabolite Tetrahydro- phthalimid und Tetrahydrophthalsaure kdnnen voriibergehend im Blut festgestellt werden. Die abgespaltene Seitenkette ist dhnschicht- und gaschromatographisch nicht nachweisbar. Eine Speicherung der Phthalimidfungizide im Organimus kann nach unseren Ergebnissen ausgeschlossen werden. Im Jahre 1952 beschrieb KITTLESON [I] als erster ein Fungizid mit einem Phthalimid-Grundkorper, das Captan. Die heute kommerziellen Verbindungen sind in Abb. I dargestellt. Auf ein Pflanzenschutzmittel, das zu den Organophosphaten gehort, aber ebenfalls einen Phthalimidkern aufweist - das Imidan - sei nur hingewiesen. Captan und Folpet zeichnen sich neben ihrer hervorragenden fungiziden Wir- kung - sie kommen in dieser Hinsicht den Cu-Praparaten sehr nahe - vor allem dadurch aus, da13 sie hinsichtlich der akuten Toxizitat gegen Warmbltiter praktisch als ungiftig anzusehen sind. Die orale akute Toxizitat gegen Warm- bluter wird bei Captan mit einem LD,-Wert von 10000 mg/kg und bei Folpet sogar mit iiber 10000 mg/kg Ratte angegeben. Mit gutem Erfolg werden Captan und Folpet bei der Schorfbekampfung im Obstbau, der Permosfiora-Bekampfung im Weinbau und gegen Monila-Frucht- faule bei Kern- und Steinobst angewandt. Der Grauschimmel der Erdbeeren Vortrag. gehalten auf der Hauptjahrestagung des Fachverbandes Lebensmittelchemie der Chemischen Gesellschaft der DDR am 10. XO. I972 in Berlin.

Zum Metabolismus fungizider Phthalimid-Derivate in lebensmittelchemisch-toxikologischer Sicht

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Aus dem Zentralinstitut far Emahrung in Potsdam-Rehbriicke (Direktor : Prof. Dr. H. Haenel) Forschungszentrum fiir Molekularbiologie und Medizin, Akademie der Wissenschaften dcr

DDR

Zum Metabolismus fungizider Phthalimid-Derivate in lebensmittelchemisch-toxikologischer Sicht'

R. ENGST und hl. RAAB

Phthalimid-Denvate, Metabolismus Mit dem vermehrten Einsatz von Fungiziden wlchst auch die Bedeutung der Phthalimid- Derivate Captan, Folpet und Difolatan. Fiitterung von Ratten mit markiertem Captan gab dariiber AufschluO, daD die Substanz im Warmbliiter schnell resorbiert. metaboli- siert und innerhalb 3 Tagen praktisch vollstandig mit den Exkrementen ausgeschieden wird. Die Senkung des SH-Spiegels in den Erythrozyten nach einmaliger Dosis von etwa 5 % der LD, war auffallig, sie betrug nach 3 h 54 und nach 24 h noch 2504. Auch im Serum und in der Leber sank der SH-Spiegel signifikant (18% bzw. 11%). Die spe- zifische Aktivitiit bestimmter SH-Enzyme (Glutamat-Pyruvat-Transaminase und Lac- tat-Dehydrogenase) war im gleichen Versuch um ca. 20% erniedrigt. Unzersetztes Captan ist weder im Blut noch in den Organen der Ratte n i t diinnschicht- oder gas- chromatographischen Methoden nachweisbar. Lediglich die Metabolite Tetrahydro- phthalimid und Tetrahydrophthalsaure kdnnen voriibergehend im Blut festgestellt werden. Die abgespaltene Seitenkette ist dhnschicht- und gaschromatographisch nicht nachweisbar. Eine Speicherung der Phthalimidfungizide im Organimus kann nach unseren Ergebnissen ausgeschlossen werden.

Im Jahre 1952 beschrieb KITTLESON [I] als erster ein Fungizid mit einem Phthalimid-Grundkorper, das Captan. Die heute kommerziellen Verbindungen sind in Abb. I dargestellt.

Auf ein Pflanzenschutzmittel, das zu den Organophosphaten gehort, aber ebenfalls einen Phthalimidkern aufweist - das Imidan - sei nur hingewiesen.

Captan und Folpet zeichnen sich neben ihrer hervorragenden fungiziden Wir- kung - sie kommen in dieser Hinsicht den Cu-Praparaten sehr nahe - vor allem dadurch aus, da13 sie hinsichtlich der akuten Toxizitat gegen Warmbltiter praktisch als ungiftig anzusehen sind. Die orale akute Toxizitat gegen Warm- bluter wird bei Captan mit einem LD,-Wert von 10000 mg/kg und bei Folpet sogar mit iiber 10000 mg/kg Ratte angegeben.

Mit gutem Erfolg werden Captan und Folpet bei der Schorfbekampfung im Obstbau, der Permosfiora-Bekampfung im Weinbau und gegen Monila-Frucht- faule bei Kern- und Steinobst angewandt. Der Grauschimmel der Erdbeeren

Vortrag. gehalten auf der Hauptjahrestagung des Fachverbandes Lebensmittelchemie der Chemischen Gesellschaft der DDR am 10. XO. I972 in Berlin.

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(Boirytis) ist ebenfalls mit Captan zu bekampfen. Gute Ergebnisse werden auch beim Einsatz von Captan als Beizmittel oder als Bodendesinfektionsmittel im Gemuse- und Zierpflanzenbau und im Forst erzielt. Folpet zeigt daruber hinaus eine gute Wirkung gegen den echten Mehltau (Oidiunz) und gegen Phytophthora an Tomaten und Kartoffeln.

Die urspriinglich groDziigige Toleranzfestlegung ging von der hohen LD, aus. In den USA hatte man anfangs eine Toleranz von 100 ppm zugebilligt. Heute liegen die Toleranzen in Europa und cbersee im allgemeinen bei 15 ppm. In der Toleranzliste der DDR werden Captan und Folpet mit 5 ppm gefiihrt. Die

0 0

U

Difolatan Abb. I. Captan: N-(trichlorn~ethylthio)-3a,4,7,7a-tetrahydrophth~limid; Folpet : N-(trichlor- methylthio)phthalimid, Difolatan: N-(tetrachlor-athylthio)-~a.4,~,~a-tetrahydrophthalimid

Karenzzeit betragt bei allen Kulturen 7 Tage. Wir liel3en uns bei entsprechen- den Festlegungen nicht nur von acceptable-daily-intake-Berechnungen leiten, sondern auch von dem, was zur Erzielung des fungiziden Effektes wirklich not- wendig ist.

Beim Betrachten der Strukturformeln dieser Phthalimidabkommlinge fallen gewisse Parallelen mit dem teratogenen Thalidomid (Contergan), dem N- Phthalyl-DL-glutaminsaureamid, auf. Amerikanische Wissenschaftler haben mit Captan und Folpet embryotoxische Wirkungen bei Kiiken festgestellt und damit die zum Contergan gezogenen Parallelen gestiitzt [ z ] . In speziellen Studien zur Frage einer moglichen Mutagenitat, Teratogenitat oder Carcino- genitat wurden Futterungsversuche an vielen Tierarten durchgefuhrt [3 -81 ; in allen Fallen konnten jedoch sichere Belege fur Spatschaden nicht erhalten werden.

Interessant ist jedoch die Tatsache, daB der LD,,-Wert bei akutem EiweiB- mange1 drastisch abfallt. So wurde an proteinfrei ernahrten Ratten eine Sen- kung der LD, von 10000 auf 6,15 nig/kg ermittelt [9].

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ober die eigentliche fungizide Wirksamkeit existieren noch heute die unter- schiedlichsten Auffassungen. HORSFALL u. a. bezeichneten den Phthalimid-Teil des Molekiils als Trager der Fungitoxizitat ; die lipophile S-CCl,-Gruppierung wiirde lediglich die Penetration in das Sporeninnere bewirken [IO].

LUKENS u. a. vermuteten den Abbau der S-CC1,-Seitenkette zu Thiophosgen, welches dann auf die Zelle toxisch wirken sol1 [II].

In jiingster Zeit wurde von SIEGEL gezeigt, daB diese Trichlormethylsulfenyl- Fungizide eine Vielzahl von Reaktionen eingehen konnen, wobei sich moglicher- weise mehrere Reaktionsprodukte an der Toxizitat beteiligen. Bei der Reaktion

+ RS-SR

+ HCI

-4bb. 2 . Reaktion fungizider Phthalimid-Derivate mit Sulfhydryl-Gruppen

von Captan, Folpet und Thiophosgen mit reduziertem Glutathion (GSH) in vitro tritt als erstes Produkt oxydiertes GSH (Glutathiondisulfid) auf. Daneben wird eine kleine Menge reduziertes GSH in verschiedene Substanzen umgewan- delt, welche vollstandig oder teilweise die Trichlormethylthio-Gruppe aus dem Fungizid enthalten. Die Bildung von nicht identifizierten Derivaten scheint dabei eine Funktion der Konzentration des Thiols und der Reaktivitat der S- CC1,-Gruppe zu sein. Werden Zellen von Sacchavomyces f ia s tor za~s mit Fungi- zid behandelt, so iibenviegt bei weitem die Bildung der neuen Derivate gegen- uber der Bildung von oxydiertem Glutathion [12, 131.

Diese Ergebnisse zeigen, daB die Reaktionen der Fungizide und ihrer Zer- setzungsprodukte komplexer sind als bisher angenommen wurde. Wenn man die vorstehenden Interpretationen mit den Ergebnissen von anderen Autoren [14j zusammenfaBt, kommt man zu dem in Abb. z dargestellten Schema. Danach reagieren in neutralem oder schwach alkalischem Milieu schwefelhaltige, lebens- wichtige Aminosauren (z. B. iiberwiegend das reaktionsfreudige Glutathion aus dem loslichen Thiol-Pool der Zelle) mit dem Fungizid unter Bildung von freiem Phthalimid und Aminosauredisulfid (Glutathion-disulfid, oxydiertes Glutat hion) bei Abspaltung des Trichlormethyl-thio-Restes, der ebenfalls zelhvirksam wird. Diese Reaktion verltiuft vie! schneller als die einfache Hydrolyse. Die Sprengung der Verbindung erfolgt zwischen Stickstoff und Schwefel. Der wei-

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tere Abbauweg fuhrt iiber die Dehydrochlorierung zu Thiophosgen und zu Car- bonylsulfid. AuBerdem kann das reaktive Thiophosgen mit weiteren Thiol- (Glutathion-)-Molekiilen zu Additionsprodukten reagieren, von denen eine 2-

Thiazolidinverbindung aus Gluthathion und Thiophosgen bzw. Captan tatsach- lich in vitro und auch in vivo (Neurospora crassa) nachgewiesen worden ist [14].

Die Oxydation von Sulfhydrylgruppen und die folgende Reaktivitat der S- CC1,-Gruppe sind also Grundlage fur die Toxizitat dieser Verbindungen, wobei man zweifellos als Angriffspunkt die Sulfhydrylgruppen essentieller Enzym- systeme der Pilze annehmen kann. Diese Deutung der Fungizidwirkung erschien uns von Anfang an die wahrscheinlichste.

Einschrankend muB lediglich bemerkt werden, da13 Thiophosgen experimen- tell bisher nicht nachgewiesen werden konnte. Carbonylsulfid konnte in der Gasphase bestatigt werden, wahrend die Bildung von Thiazolidin-Derivaten aus der Tatsache abzuleiten ist, daB Verbindungen gebildet wurden, die die gleiche UV-Absorption wie die Thiazolidinderivate zeigten.

Bei Captanvergiftung ist in der Pilzzelle die Anhaufung von anorganischem Phosphat nachweisbar. Dies laBt den SchluB zu, da13 der Phosphatmetabolismus blockiert wird. Eine Energiefreisetzung durch Warmeabgabe bestatigt dabei eine Storung der ATP-Synthese 1151. Mit der Festlegung anorganischen Phos- phats geht eine Storung der Glykolyse einher [16]. Die Aldolase und die Gli- cerinaldehyd-3-phosphat-dehydrogenase werden in starkem MaBe gehemmt. Das letztgenannte Enzym enthalt als prosthetische Gruppe Glutathion, das - wenn man sich das hypothetische Abbauschema nochmals vor Augen halt - diese Wirkung verstandlich macht. Als typische SH-Verbindung mu0 demnach auch die Schliisselsubstanz des Citratcyclus, das Acetyl-CoA, durch Captan blockiert wwden [17].

Die am primitiven Organjsmus der Pilzzelle erhaltenen Ergebnisse konnen nicht ohne weiteres auf hoher entwickelte Lebewesen iibertragen werden. Der Pilzorganismus ist kaum differenziert, alle Stoffwechselvorgange laufen in einer Zelle ab. Bei hoher entwickelten Lebewesen ist der Wirkstoff mit seiner reak- tionsfahigen Seitenkette offensichtlich mannigfaltigen und intensiven chemi- schen Einfliissen unterworfen, ehe er resorbiert werden und an den entscheiden- den Stoffwechselvorgangen in der Leber, in den Mitochondrien, im Blut usw. beteiligt sein konnte.

Der Wirkungsmechanismus der Phthalimide uber die reaktionsfahige Tri- chlormethylthio-Seitenkette bietet sich aber an, um die drastische Abnahme der LD, bei proteinarmer Ernahrung zu erklaren. Bei EiweiDmangel baut bekannt- lich die Leber gespeichertes EiweiD ab und fiihrt Aminosauren dem Stoffwechsel zu. Auch der GSH-Gehalt der Leber nimmt daher im Hungerzustand ab. Wird dieser Zustand iiber einen langeren Zeitraum aufrechterhalten, kommt es, mit oder ohne Leberschaden, auch zu einer Senkung des GSH-Spiegels im Blut. GSH ist aber z. B. fur die Aufrechterhalteng des Stoffwechsels der Erythrozyten unerlaBlich. Hexokinase, Glucose-6-phosphat-dehydrogenase und GSH-Re- duktase sind SH-Enzyme. Ihre Wirkung erhalt das Glutathion in der redu- zierten Form, wahrend umgekehrt das Glutathion die Funktion der Enzymkette

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gewahrleistet. Aber auch die Funktion anderer SH-Enzyme wird durch das Glutathion aufrechterhalten. Hieraus la& sich - in Ubereinstimmung mit dem diskutierten Schema - ableiten, daB unter normalen Ernahrungsbedingungen beim Warmbluter das Glutathion auf Grund seiner weiten und reichlichen Ver- breitung und schnellen Bildung zusatzlich zu seinen iiblichen Funktionen in der der Lage ist, eingedrungenes Captan zu entgiften. Diese Verhtiltnisse andern sich mit der Abnahme des GSH irn Hungerzustand. Die geregelten Funktionen der SH-Enzyme konnen nicht mehr aufrecht erhalten werden, und es kommt zu den toxischen Effekten, die die LD,, von Captan und Folpet drastisch senken.

Unsere Absicht wares, diesen EinfluB von Captan auf die Sulfhydryl-Gruppen im Warmbliiter-Organismus zu belegen. Ratten bekamen per 0s eine einmalige Dosis Captan von etwa 5% der LD,.

Da die Bedeutung des Glutathions im Metabolismus besonders interessant erschien, haben wir den Versuch auf die Erythrozyten orientiert, die in hohem MaBe Glutathion enthalten. Bereits diese relativ geringe Aufnahme des Fungi- zids fuhrte in den Erythrozyten zu einer Senkung des SH-Spiegels. Sie betrug nach 3 h 54% und nach 24 h noch 25%. Im Serum und in der Leber wurden bei den relativ kleinen Captangaben durchaus noch feststellbare, aber erwartungs- gemaB geringere Abnahmen des SH-Spiegels von 18 bzw. 11% nach 3 bis 6 h gefunden, wahrend im Muskel keine Veranderungen festgestellt wurden.

Die SH-Gruppen wurden amperometrisch mit 0,001 N AgNO, in Trispuffer pH 7,4 an einer routierenden Platinelektrode titriert. Diese Methode erlaubt nur die Bestimmung der reaktiven SH-Gruppen, die im Warmbliiter-Organis- mus hauptsachlich durch das allgegenwartige GSH gestellt werden. Da Gluta- thion in iiberwiegendem MaBe in den Erythrozyten lokalisiert ist, findet die hohe Abnahme darin somit ihre Erklarung.

Die Enzymaktivitaten der Glutamat-Pyruvat-Transaminase und der Lactat- Dehydrogenase, beides SH-Enzyme, wurden im gleichen Versuch ebenfalls um etwa 20% erniedrigt.

Dieses Ergebnis IaBt die Frage offen, ob die Enzyme als solche geschadigt wurden oder ob nur durch Verringerung des Glutathions eine reversible Hem- mung eintrat, wie sich dies bei in vitro-Versuchen mit Glutathion-Reduktase zeigen la&. Dieses Enzym braucht, um seine Wirkung entfalten zu konnen, zu- satzlich SH-Gruppen. Werden diese durch Captan-Einwirkung blockiert, tritt Enzymhemmung auf, die mit Cystein wieder augehoben werden kann.

Weitere Untersuchungen gaben uns AufschluB uber die Verteilung von Captan im Warmbliiter-Organismus. Durch Verfiitterung von s6S-markiertem Captan konnten wir die Ausscheidungsraten im Kot und Harn sowie die Verteilung des Wirkstoffes und seiner Metabolite in Leber, Niere, Milz, Him, Muskulatur und Serum nach einer einmaligen Applikation per 0s und einer Beobachtungszeit von I bis 3 Tagen ermitteln [IS]. Dabei zeigte sich, daB mindestens 60% des Captans schnell resorbiert und metabolisiert rnit demurin ausgeschieden werden (Abb. 3). 3 Tage nach der peroralen Aufnahme hat der Wirkstoff den Korper praktisch vollstandig mit den Exkrementen verlassen, wobei mehr als 90% den Organis- mus in den ersten 24 h passieren.

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Die Untersuchung der Organe erlaubt die Feststellung, da5 offensichtlich keines der untersuchten Organe als dominierender Ablagerungsort des Wirk- stoffes oder seiner Folgeprodukte angesehen werden kann. In Leber, Niere, Hirn, Muskulatur und Serum verbleiben nur O,OI bis o,o5% der %-Aktivitiit.

Unzersetztes Captan ist mit diinnschicht- oder gaschromatographischen Me- thoden weder im Blut noch in den Organen der Ratte nachzuweisen. Die Meta- bolite Tetrahydrophthalimid und Tetrahydrophthakaure konnen vortiber- gehend im Blut festgestellt werden ; die abgespaltene Seitenkette entzieht sich der diinnschicht- und gaschromatographischen Analyse.

F&s Un'n L

Abb. 3. %-Aktivit&t in den Auascheidungen von nach einmaliger Applikation

Ratten

Nach diesen Ergebnissen kann eine Speicherung der Phthalimidfungizide im Korper ausgeschlossen werden. Die Wirkung ist nicht auf den triigen Phthal- imidkern, sondern auf die reaktive Trichlormethylthio-Seitenkette zuruck- zufithren. Parallelen zum Contergan diirften abwegig sein. Die drastische Stei- gerung der Toxizitiit bei EiweiBmangel ist eine Folge der Storung einer geregel- ten Funktion der SH-Fermente.

Die am Warmbliitermaterial erzielten Ergebnisse sind geeignet, das hypothe- tische Reaktionsschema zu stiitzen und den Wirhgsmechanismus mit Sto- rungen des Enzymstoffwechsels zu erkliiren, die bei EiweiBmangelerniihmng besonders drastisch werden miissen.

Es erscheint daher nicht anghgig, anhand emfacher LD,-Bestimmungen das zul&sige DailylIntake und die daraus resultierende Toleranz fur die fungiziden Phthalimide zu ermitteln.

Die in der DDR fiir die Toleranzfindung von nur 5 ppm verantwortlichen ErwQungen stehen der sachgemuen Anwendung in der Landwirtschaft nicht entgegen und tragen lebensmittelhygienisch-toxikologischen Gesichtspunkten vollauf Rechnung. Hypothesen, die die fungiziden Phthalimide in MiBkredit bringen, erscheinen iibertrieben.

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S u m m a r y

K. ENGST and M. RAAB: Bromatotoxic aspects of the metabolism of fungicidal phthalimjde derivatives

With the increasing usage of fungicides, the importance of the phthalimide derivatives Captan, Folpet and Difolatan is increasing, too. Feeding of labelled Captan to rats showed that warm-blooded animals resorb rapidly this substance which is metabolized and virtuallp completely excreted in the faeces within 3 days. A single application of nearly 5% of the LD, produced a striking reduction of the SH level in the erythrocytes: 54%. after 3 hours; and still 25%. after 24 hours. The SH level in the serum and the liver had also significantly di- minished (by 18% and II%. respectively). In the same experiment, the specific activities of certain SH enzymes (glutamic-pyruvic transaminase and lactic dehydrogenase) were reduced by nearly 20%. Neither thin-layer chromatographic methods nor gas chromatographic tech- niques revealed the presence of undecomposed Captan in the blood and the organs of the rat. Only the metabolites tetrahydrophthalimide and tetrahydrophthalic acid were temporary found in blood. The split-off side-chain could not be detected by thin-layer and gas chromato- graphy. The present results permit t o exclude an accumulation of phthalimide fungicides in the organism.

L i t e r a t u r

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Prof. Dr. R. ENGST und DLC &I, RAAB, Zentralinstitut fur Ernahrung, 1505 Bergholz-Keh- briicke, Arthur-Scheunert-Allee I 14- I 16

Eingegangen 4. I . 1973