Upload
marienburg
View
217
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
7/30/2019 Zum Tod des Komponisten Elliott Carter_ Der Brückenbauer - FAZ
http://slidepdf.com/reader/full/zum-tod-des-komponisten-elliott-carter-der-brueckenbauer-faz 1/3
7/30/2019 Zum Tod des Komponisten Elliott Carter_ Der Brückenbauer - FAZ
http://slidepdf.com/reader/full/zum-tod-des-komponisten-elliott-carter-der-brueckenbauer-faz 2/3
die Tonsystem- und Geschwindigkeitsexperimentatoren Harry Partch und Conlon
Nancarrow. Das gemeinsam „Amerikanische“ an ihnen ist allenfalls die vitale Buntheit
des Gesamtbildes. Bezeichnenderweise aber ist von alledem in Elliot Carters Musik
wenig zu hören.
Seine Musik ist gerade kein Spiegel des amerikanischen Pluralismus, obwohl er von
keinem Geringerem als Ives gefördert wurde. In New York geboren, ging Carter früh
nach Paris, zum Studium bei Nadia Boulanger, der Ur-Muse spättonaler Neoklassizität.
Doch zum Strawinsky-Epigonen wollte Carter nicht werden. Trotz der „Sacre“-
Initialzündung faszinierte ihn die Schönberg-Schule weit mehr, vor allem deren strenges
strukturelles Denken.
Kaleidoskopische Anordnung der Instrumente
An der größtmöglichen Dichte der Materialorganisation nach dem Vorbild Anton
Weberns war auch Carter gelegen; dies lässt seine Musik bisweilen kompliziert wirken,
undurchschaubar in ihren Verläufen. Spröde indes erscheint sie nie - dafür war sein
Komponieren letztlich zu sehr von konkreten Spiel-Impulsen geprägt, mehr jedenfalls
als von starren Stil-Prinzipien. Als homogen kann man seine Musik dennoch bezeichnen.
Und wollte man ein „missing link“ zwischen althergebrachter serieller Strenge und der
in den achtziger Jahre aufkommenden „new complexity“ benennen: Elliott Carter wäre
kein schlechtes Beispiel.
Carter glaubte an eine internationale, ja transkontinentale Musiksprache aus dem Geistder Moderne. Dass seine Partituren sowohl lineare Nachvollziehbarkeit als auch
expressive Identifikationsmuster verweigern, hat mit dem Prinzip der Gleichzeitigkeit
zu tun: multiplen Linien und Klängen, ganz heterogenen Rhythmen und Metren. Da
werden bestimmte Intervalle, Impulse, auch Gesten bestimmten Instrumenten oder -
gruppen zugeordnet; die Konstellationen variieren, so dass mitunter der Eindruck
kaleidoskopischer Concerto-grosso-Mobiles entsteht, etwa im dritten seiner fünf
Streichquartette.
„Stop making sense!“
In seinen besten Momenten erreicht Carter eine bestechende Balance aus konstruktiver
Dichte und quasi spielerischer Beiläufigkeit. Dass die Interpreten, denen er es nicht
unbedingt leichtmachte, sich gern seiner Musik annahmen, etwa Pierre Boulez, auchHeinz Holliger und Daniel Barenboim, hat hierin seinen Grund. Dabei war er in
Besetzung und Notation konservativ, ging Geräuschverfremdungen, Aleatorik, Raum-
und Elektronik-Explorationen aus dem Wege. In dieser Beziehung stand Elliot Carter
noch für eine europäische Avantgarde-Tradition der Immanenz, die es so in der Alten
Welt kaum mehr gibt.
Verblüffend spät, erst im Alter von neunzig Jahren, hat sich Carter dem
zeitgenössischen Musiktheater zugewandt: „What Next?“ hieß das Stück, eine groteske
Buffa, ein Auftragswerk der Berliner Lindenoper, im September 1999 von Daniel
Barenboim uraufgeführt. Es geht darin um einen verwicklungsträchtigen Verkehrscrash
- nach Art v on Tatis „T raffic“ oder Godards „Weekend“, puzzlehaft wie Pirandellos
„Sechs Personen suchen einen Autor“.
Weitere Artikel
"Neue Musik Nacht": Amerika, A merika
Geistesaristokrat: dem Komponisten Elliott Carter zum Hundertsten
Mehr hell als dunkel
Semantisch, gar affektiv werden die Figuren allerdings kaum individualisiert, in Wort
wie Musik: „Stop making sense“. Cages „Unbestimmtheit“ kam einem dabei in den Sinn.
Insofern ist der allenfalls „halbamerikanische“ Carter eben doch ein recht typischer
Vertreter amerikanischer Musik gewesen.
Quelle: F.A.Z.Hier können Sie die Rechte an diesem Artikel erwerben
7/30/2019 Zum Tod des Komponisten Elliott Carter_ Der Brückenbauer - FAZ
http://slidepdf.com/reader/full/zum-tod-des-komponisten-elliott-carter-der-brueckenbauer-faz 3/3
© Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH 2012
Alle Rechte vorbehalten.