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Zur Bedeutung der ärztlichen Aufklärungspflicht

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Page 1: Zur Bedeutung der ärztlichen Aufklärungspflicht

Rechtsprechung MedR 2005, Heft 10 599

b) Rechtlich unbedenklich hat das Berufungsgericht an-genommen, daß der Bekl. im vorliegenden Fall nicht vor-geschrieben werden kann, die Hinweise schriftlich zu ertei-len. Die zutreffende Ansicht des Berufungsgerichts, daß dieerforderliche umfassende objektive Information der Kun-den über die mittelbaren Gesundheitsgefahren der von denAugenoptikern durchgeführten Tonometrie und Perimetrieinhaltlich auch mündlich erfolgen kann, wird auch von derRevision nicht in Zweifel gezogen. Wie das Berufungsge-richt zu Recht anführt, hat die mündliche Aufklärung denVorteil, daß auf den Empfängerhorizont des jeweiligen Kun-den Rücksicht genommen werden kann und ihm Rückfra-gen möglich sind. Soweit die Revision demgegenüber maß-geblich darauf abstellen will, daß mündliche Erläuterungendem Kunden nicht in gleicher Weise wie schriftliche Hin-weise auch nach der Untersuchung noch zur Verfügungstehen, kommt diesem Umstand im vorliegenden Fall keineBedeutung zu. Es genügt, wenn dem Kunden durch denmündlichen Hinweis deutlich gemacht wird, daß durch dieMeßverfahren allein ein gefährliches Glaukom weder fest-gestellt noch ausgeschlossen werden kann, sondern es dazuder ärztlichen Untersuchung bedarf. Nicht notwendig istdagegen, daß dem Kunden alle Einzelheiten der Aufklä-rung dauerhaft im Bewußtsein bleiben.

Entgegen der Ansicht der Revision entspricht eine Ver-pflichtung zu schriftlicher Aufklärung auch nicht der nor-malen Praxis im Gesundheitswesen. Insbesondere der ärzt-lichen Aufklärungspflicht wird im Gegenteil grundsätzlichnur durch ein Aufklärungsgespräch zwischen Arzt und Pati-ent genügt und gerade nicht durch Aushändigung und Un-terzeichnung von Formularen und Merkblättern (vgl. BGH,Urt. v. 8. 1. 1985 – VI ZR 15/83 –, NJW 1985, 1399; Urt.v. 25. 3. 2003 – VI ZR 131/02 –, NJW 2003, 2012, 2013).Die Notwendigkeit einer schriftlichen Aufklärung sowie ei-ner schriftlichen Bestätigung durch den Kunden läßt sichauch nicht mit den damit verbundenen Beweismöglichkei-ten begründen. Die Verteilung der Darlegungs- und Be-weislast für eine hinreichende Aufklärung richtet sich nachden allgemeinen Grundsätzen. Ob die Aufklärung schrift-lich oder mündlich erteilt wird, hat darauf keinen Einfluß.Von einer Pflicht zur Dokumentation geht auch die Kl.nicht aus.

c) Die Ansicht des Berufungsgerichts, ein Hinweis, daßdurch die Tonometrie in etwa 50 % der Fälle ein Glau-kom nicht erkannt werden könne, sei nicht erforderlich,um die mittelbare Gesundheitsgefährdung auszuräumen, istgleichfalls aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. DieRüge der Revision, ein solcher Hinweis sei geboten, weildie Kunden der Bekl. die von dieser beworbenen und an-gebotenen Untersuchungen, anders als das Berufungsge-richt angenommen habe, offenbar durchaus im Sinne ei-ner Diagnose auffaßten, zumindest aus den ihnen mitgeteil-ten Meßergebnissen diagnostische Rückschlüsse zögen, istunbegründet. Nach den von der Revision insoweit nichtangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts beruhtder Umstand, daß durch die Tonometrie in etwa 50 %der Fälle ein Glaukom nicht erkannt werden kann, nichtauf einer Ungenauigkeit des Meßverfahrens als solchem.Vielmehr ist dies darauf zurückzuführen, daß bei einemin erheblicher Zahl vorkommenden Normaldruckglaukomkein erhöhter Augeninnendruck festzustellen ist und außer-dem aufgrund tageszeitlicher Schwankungen, die sich ge-rade bei einer Glaukomerkrankung ergeben können, einigeGlaukome bei der Tonometrie nicht auffallen. Die Auffas-sung des Berufungsgerichts, es sei ausreichend, wenn dieBekl. auf diese Umstände ausdrücklich hinweise und damitden allgemeinen Hinweis verbinde, daß die Messung alleinnoch keine Feststellung des Vorhandenseins oder Nicht-vorhandenseins eines Glaukoms erlaube, sondern dies nurdurch einen Augenarzt auf der Grundlage weiterer Unter-

suchungen festgestellt werden könne, läßt einen Rechtsfeh-ler nicht erkennen.

(Bearbeitet von Prof. Dr. iur. Bernd-Rüdiger Kern,Juristenfakultät, Universität Leipzig,Burgstraße 27, D-04109 Leipzig)

DOI: 10.1007/s00350-005-1514-5

Zur Bedeutung der ärztlichen AufklärungspflichtBGB §§ 823, 249

a) Auch die Aufklärung über bestehende unterschied-liche Behandlungsmöglichkeiten dient dem Selbstbe-stimmungsrecht des Patienten und ist daher Vorausset-zung einer rechtmäßigen Behandlung.

b) Die Frage, ob eine bestehende andere Behand-lungsmöglichkeit zu einem besseren Behandlungsergeb-nis geführt hätte, betrifft regelmäßig den hypothetischenKausalverlauf im Falle des rechtmäßigen Alternativver-haltens.BGH, Urt. v. 15. 3. 2005 – VI ZR 313/03 (OLG Nürnberg)

Problemstellung: Das Urteil beschäftigt sich mit zweiAspekten der Selbstbestimmungsaufklärung, zum einenmit dem Rechtswidrigkeitszusammenhang in Verbindungmit der Abgrenzung zwischen Risikoaufklärung und the-rapeutischer Aufklärung (Beratung), zum anderen mit derhypothetischen Einwilligung.

1. Zwar steht dem Arzt die Therapiewahl zu, gibt esaber eine Alternative zu der von ihm gewählten Behand-lungsmethode, so hat er den Patienten über die unter-schiedlichen Risiken aufzuklären. Dabei handelt es sichum die Risikoaufklärung, nicht um die Beratung (thera-peutische Aufklärung, Sicherungsaufklärung).

Im entschiedenen Fall unterblieb die notwendige Auf-klärung. Die folgende Behandlung der Kl. erfolgte dem-zufolge ohne wirksame Einwilligung, war rechtswidrigund vom Arzt zu verantworten.

2. Nach ständiger Rechtsprechung hält das Gerichtdie hypothetische Einwilligung für wirksam. Im vorlie-genden Fall fehlen allerdings tatsächliche Erhebungen zudieser Frage. Für das Vorliegen der hypothetischen Ein-willigung trägt der Arzt die Beweislast, allerdings nurdann, wenn der Patient zur Überzeugung des Gerichtsplausibel macht, daß er im Falle der Aufklärung vor ei-nem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte. Da-bei kommt es auf die persönliche Entscheidung des kon-kreten Patienten aus der Sicht ex ante an, nicht dar-auf, was ein vernünftiger Patient getan hätte. Feststel-lungen hierzu darf das Berufungsgericht grundsätzlichnicht ohne persönliche Anhörung des Patienten treffen.Entscheidend ist aber nicht, wie der Patient sich ent-schieden hätte, sondern es reicht aus, daß er durch dieAufklärung in einen echten Entscheidungskonflikt gera-ten wäre.

Zum Sachverhalt: Die Kl. war vom 16. 12. 1996 bis 18. 2. 1997nach einem im Krankenhaus konservativ versorgten Bruch in der Nähedes rechten Handgelenks in ärztlicher Betreuung des Bekl. Der Bruchist in Fehlstellung verheilt.

Die Kl. beanstandete, der Bekl. habe ein fortschreitendes Abkip-pen des Bruchs bemerkt, aber sie trotz der Gefahr einer bleibendenFunktionsbeeinträchtigung des Handgelenks nicht auf die weiteren Be-handlungsmöglichkeiten einer (unblutigen) erneuten Reposition odereiner Operation des Bruchs hingewiesen.

Sie begehrte ein Schmerzensgeld, das sie in Höhe von 40.000 DMfür angemessen hält, Ersatz materiellen Schadens in Höhe von34.081,97 € sowie die Feststellung der Verpflichtung des Bekl. zumErsatz zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens.

Page 2: Zur Bedeutung der ärztlichen Aufklärungspflicht

600 MedR 2005, Heft 10 Rechtsprechung

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hattekeinen Erfolg. Der BGH hat das Urteil des OLG aufgehoben und dieSache zurückverwiesen.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht führt zurBegründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus, derBekl. habe die Kl. spätestens am 23. 12. 1996 darauf hinwei-sen müssen, daß statt der weiteren konservativen Behand-lung auch eine erneute Reposition oder eine Operation desBruchs in Erwägung zu ziehen sei. Der Bekl. habe zwar voneiner Erörterung dieser Möglichkeiten mit der Kl. abgese-hen. Das führe aber nicht zu seiner Haftung. Die unterlas-sene Erörterung der anderweitigen Therapiemöglichkeitenhabe nur dann haftungsrechtliche Folgen für den Bekl.,wenn die Kl. nachweise, daß sie sich für einen Eingriffentschieden hätte und daß auf diesem Wege die beklagtenFolgen auch vermieden worden wären. Diesen Nachweishabe sie nicht geführt.

Zum einen sei die Fortsetzung der konservativen Be-handlung nicht fehlerhaft gewesen. So habe nicht die kon-krete Erwartung bestanden, daß bei Fortsetzung der kon-servativen Behandlung das rechte Handgelenk optisch undwahrscheinlich auch funktionell nicht habe wiederherge-stellt werden können.

Zum anderen sei völlig offen, für welche Behandlungs-methode sich die Kl. nach ordnungsgemäßer Aufklärungentschieden haben würde. Selbst wenn davon auszugehensei, daß sie den operativen Eingriff gewählt hätte, sei jeden-falls nicht bewiesen, daß dieser zu einem besseren Ergeb-nis geführt hätte. Er sei nicht nur mit einem statistischenRisiko der Wundheilungsstörung behaftet gewesen. Durcheine Operation habe zwar eine anatomisch einwandfreieGelenkstellung erreicht werden können, doch sei dieses Er-gebnis nicht sicher gewesen, weil es auch zu einem MorbusSudeck habe kommen können. Der Sachverständige habezudem die Gefahr einer bleibenden Funktionsbeeinträchti-gung des Gelenks auch für den Fall einer Operation nichtausschließen können.

II. Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revisiongegen die Verneinung einer Haftung wegen Verletzung derärztlichen Aufklärungspflicht nicht stand.

1. Allerdings geht das Berufungsgericht im Ansatzpunktohne Rechtsfehler davon aus, daß es Pflicht des behan-delnden Arztes ist, den Patienten über die in seinem Fallbestehenden Behandlungsmöglichkeiten mit wesentlich un-terschiedlichen Risiken oder wesentlich unterschiedlichenErfolgsaussichten in Kenntnis zu setzen und ihm als Subjektder Behandlung die Wahl zwischen den gleichermaßen me-dizinisch indizierten Behandlungsmethoden zu überlassen.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist dieWahl der Behandlungsmethode zwar primär Sache des Arz-tes. Gibt es indessen mehrere medizinisch gleichermaßen in-dizierte und übliche Behandlungsmethoden, die wesentlichunterschiedliche Risiken und Erfolgschancen aufweisen, be-steht mithin eine echte Wahlmöglichkeit für den Patienten,dann muß diesem nach entsprechend vollständiger ärztlicherAufklärung die Entscheidung überlassen bleiben, auf wel-chem Wege die Behandlung erfolgen soll und auf welchesRisiko er sich einlassen will (vgl. Senatsurtt. BGHZ 102,17, 22; v. 24. 11. 1987 – VI ZR 65/87 –, VersR 1988, 190,191, jew. m. w. N.). Es geht dabei um die dem Patientengeschuldete Selbstbestimmungsaufklärung oder Risikoauf-klärung (vgl. BGHZ a. a. O.; Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck,Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl., § 63, Rdnrn. 21 ff.) undnicht um therapeutische Aufklärung (Sicherungsaufklärung).Die Pflicht zur Selbstbestimmungsaufklärung ist in gleicherWeise Nebenpflicht des Behandlungsvertrags wie Ausflußder Garantenstellung des Arztes (vgl. Senatsurtt. v. 22. 4.1980 – VI ZR 37/79 –, VersR 1981, 456, 457; v. 8. 5.1990 – VI ZR 227/89 –, VersR 1990, 1010, 1011).

a) Die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Kl. ander Therapiewahl lagen nach den Feststellungen des Beru-fungsgerichts vor.

Wie das Berufungsgericht in anderem Zusammenhangausführt, war die Fortsetzung der konservativen Behandlungnach dem 23. 12. 1996 zwar nicht fehlerhaft, sondern einevon mehreren Möglichkeiten zur Behandlung des Bruchs.Dem angefochtenen Urteil ist auch zu entnehmen, daßdas Berufungsgericht in Übereinstimmung mit den Aus-führungen des Sachverständigen K. der Behandlung mittels(unblutiger) Reposition oder operativer Neueinrichtung desBruchs wesentlich unterschiedliche Risiken und Erfolgsaus-sichten beimißt, die der Kl. eine echte Wahlmöglichkeiteröffneten und daher ihre Beteiligung an der Therapiewahlerforderten. Das Berufungsgericht geht deshalb mit demSachverständigen K. davon aus, der Bekl. habe spätestensam 23. 12. 1996 die Kl. darauf hinweisen müssen, daß statteiner Fortsetzung der konservativen Behandlung auch eineerneute Reposition oder eine Operation des Bruchs in Er-wägung zu ziehen gewesen wäre, weil einerseits infolge des,,abgekippten“ Bruchs und eines gelenknahen Knochen-bruchstücks die Gefahr einer bleibenden Funktionsbeein-trächtigung des rechten Handgelenks, andererseits aber beierneuter (unblutiger) Reposition oder Operation die Gefahreines Morbus Sudeck bestand. Das Berufungsgericht hat diesersichtlich als unterschiedliche Risiken und unterschiedlicheErfolgschancen gewertet. Das ist aus Rechtsgründen nichtzu beanstanden und wird von der Revision als ihr günstignicht angegriffen.

b) Unter diesen vom Berufungsgericht festgestellten Um-ständen war der Bekl. spätestens am 23. 12. 1996 verpflich-tet, die Kl. nicht nur davon in Kenntnis zu setzen, daß derBruch in Fehlstellung zu verheilen drohte (sog. Diagno-seaufklärung, vgl. zuletzt BVerfG, Beschl. der 2. Kammerdes 1. Senats v. 18. 11. 2004 – 1 BvR 2315/04 –, EuGRZ2004, 805, 806), sondern auch davon, daß eine bei Fort-setzung der konservativen Behandlung drohende Funkti-onseinschränkung des Handgelenks möglicherweise durcheine erneute (unblutige) Reposition oder durch eine pri-märe operative Neueinrichtung des Bruchs vermieden wer-den könne, ihr die Chancen und Risiken dieser möglichenunterschiedlichen Behandlungsmethoden zu erläutern undsodann zusammen mit ihr die Wahl der Therapie zu treffen.Der Bekl. hat jedoch die der Kl. eröffnete Wahl ohne ord-nungsgemäße Beteiligung der Patientin allein getroffen unddie konservative Behandlung fortgesetzt. Die Behandlungder Kl. erfolgte hiernach ohne ihre wirksame Einwilligung,war rechtswidrig und vom Bekl. zu vertreten (§ 276 Abs. 1S. 2 BGB a. F.). Der Bekl. haftet daher für die aus dieserrechtswidrigen Behandlung entstandenen und entstehendenFolgen.

2. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, das Unterlas-sen der Aufklärung über die Behandlungsalternativen habenur dann haftungsrechtliche Folgen für den Bekl., wenndie Kl. den Nachweis führen könne, daß sie sich für eine(unblutige) Reposition oder einen operativen Eingriff ent-schieden und die gewählte Behandlung die beklagten Folgenvermieden hätte.

a) Das läßt den Umstand außer Acht, daß die Kl. indie Behandlung ohne vollständige Aufklärung über die ver-schiedenen Behandlungsmöglichkeiten und deren Erfolgs-aussichten und Gefahren nicht wirksam eingewilligt hat.Erst eine nach vollständiger und gewissenhafter Aufklärungdes Patienten wirksame Einwilligung (,,Informed consent“)macht den Eingriff in seine körperliche Integrität recht-mäßig (vgl. Senatsurt. v. 28. 2. 1984 – VI ZR 70/82 –,VersR 1984, 538, 539). Das gilt auch dann, wenn dieBehandlung – wie hier – in der eigenverantwortlichenFortsetzung einer von anderer Seite begonnenen Therapiebesteht.

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Rechtsprechung MedR 2005, Heft 10 601

b) Die Revision beanstandet mit Erfolg, daß das Beru-fungsgericht ohne persönliche Anhörung der Kl. Vermu-tungen darüber angestellt hat, wie diese sich entschiedenhätte.

Selbst wenn der Bekl. sich – was dem angefochtenenUrteil allerdings nicht zu entnehmen ist – auf den Ein-wand einer hypothetischen Einwilligung berufen und vor-getragen haben sollte, daß die Kl. auch nach ordnungs-gemäßer Aufklärung in die Fortsetzung der konservativenBehandlung eingewilligt hätte, hätte das Berufungsgerichtzwar diesen Einwand des Arztes beachten, aber auch dieBeweislastverteilung berücksichtigen müssen (vgl. Senatsurt.v. 9. 11. 1993 – VI ZR 248/92 –, VersR 1994, 682,684). Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennendenSenats ist in den Fällen, in denen der Patient aus einemAufklärungsversäumnis des Arztes Ersatzansprüche ableitet,die Behauptungs- und Beweislast auf beide Prozeßparteienverteilt. Die Behauptungs- und Beweislast dafür, daß sichder Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu dertatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte,trifft nicht den Patienten, sondern den Arzt. Der Arztist jedoch erst dann beweisbelastet, wenn der Patient zurÜberzeugung des Tatrichters plausibel macht, daß er – wä-ren ihm rechtzeitig die Risiken der Behandlung verdeut-licht worden – vor einem echten Entscheidungskonfliktgestanden hätte (vgl. Senatsurt. v. 14. 6. 1994 – VI ZR260/93 –, VersR 1994, 1302). Das gilt in gleicher Weise,wenn der Arzt den Patienten über mehrere, aus medizini-scher Sicht indizierte Behandlungsmöglichkeiten mit unter-schiedlichen Erfolgsaussichten und Risiken aufzuklären hat.Auch diese Aufklärung über die bestehenden unterschied-lichen Behandlungsmöglichkeiten dient – wie erwähnt –dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten und ist daherVoraussetzung einer rechtmäßigen Behandlung.

Im Rahmen der dem Tatrichter obliegenden Prüfung derPlausibilität eines Entscheidungskonflikts kommt es alleinauf die persönliche Entscheidungssituation des konkretenPatienten aus damaliger Sicht an, nicht dagegen darauf, obein ,,vernünftiger“ Patient dem entsprechenden ärztlichenRat gefolgt wäre (vgl. Senatsurtt. v. 9. 11. 1993 – VI ZR248/92 –, a. a. O.; v. 2. 3. 1993 – VI ZR 104/92 –, VersR1993, 749, 750). Feststellungen hierzu darf das Berufungs-gericht grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung desPatienten treffen (vgl. Senatsurtt. v. 17. 3. 1998 – VI ZR74/97 –, VersR 1998, 766, 767; v. 4. 4. 1995 – VI ZR95/94 –, VersR 1995, 1055, 1057; v. 14. 6. 1994 – VIZR 260/93 –, a. a. O.; v. 14. 6. 1994 – VI ZR 178/93 –,VersR 1994, 1235, 1237). Maßgebend ist insoweit nicht,wie sich der Patient entschieden hätte. Ausreichend ist, daßer durch die Aufklärung in einen echten Entscheidungs-konflikt geraten wäre. Das wird das Berufungsgericht beientsprechendem Vortrag der Parteien zu beachten haben.

3. Soweit dem Berufungsurteil die Auffassung zugrun-deliegt, die Kl. müsse beweisen, daß eine (unblutige) Re-position oder eine Operation den eingetretenen Schadenverhindert hätte, beruht es auf einer Verkennung der Be-weislast.

a) Die Revision beanstandet zwar ohne Erfolg, daß dasBerufungsgericht den Nachweis der Kausalität dem Beweis-maß des § 286 Abs. 1 ZPO, nicht dem des § 287 Abs. 1ZPO unterstellt hat. Es geht im zu entscheidenden Fallum die haftungsbegründende, nicht um die haftungsausfül-lende Kausalität. Anders als in dem der Entscheidung deserkennenden Senats v. 13. 1. 1987 (– VI ZR 82/86 –,VersR 1987, 667) zugrundeliegenden Sachverhalt sind hiernicht vermehrte Schmerzen der Kl. als Sekundärschädenim Streit. Die Fortsetzung der konservativen Behandlungwar nicht der ,,erste Verletzungserfolg“ (Primärschaden),der es gestatten würde, die Funktionsbeeinträchtigungen desHandgelenks als bloße Folgeschäden anzusehen. Die Beein-

trächtigungen des Handgelenks sind vielmehr der Schadenin seiner konkreten Ausprägung und damit der Primärscha-den (vgl. Senatsurt. v. 21. 7. 1998 – VI ZR 15/98 –,VersR 1998, 1153, 1154), für den der Ursachenzusammen-hang mit dem Aufklärungsfehler nach § 286 Abs. 1 ZPOnachzuweisen ist.

b) Das Berufungsgericht verkennt aber, daß die Frage,ob eine Reposition oder eine Operation zu einem besserenErgebnis geführt hätte, nicht die Kausalität der tatsächlichdurchgeführten konservativen Behandlung für den eingetre-tenen Schaden, sondern einen hypothetischen Kausalverlaufim Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens betrifft, fürden der Bekl. beweispflichtig ist (vgl. Senatsurtt. BGHZ106, 153, 156; v. 10. 7. 1959 – VI ZR 87/58 –, VersR1959, 811, 812; v. 14. 4. 1981 – VI ZR 39/80 –, VersR1981, 677, 678; v. 13. 1. 1987 – VI ZR 82/86 –, VersR1987, 667, 668; v. 13. 12. 1988 – VI ZR 22/88 –, VersR1989, 289, 290).

aa) Für das Revisionsverfahren ist davon auszugehen, daßdie geklagten Beschwerden (entsprechend dem tatsächlichenVerlauf der Behandlung) zumindest mit auf der Fortsetzungder konservativen Behandlung beruhen. Diese Behandlungsollte u. a. dazu dienen, eine Fehlstellung des Bruchs undeine Funktionsbeeinträchtigung des Handgelenks möglichstzu vermeiden. Dazu war sie nach fortgeschrittenem Ab-kippen des Bruchs und der fehlenden Rückverlagerung desabgesprengten Knochenstücks ab dem 23. 12. 1996 jedochnicht mehr geeignet. Dementsprechend hat die Fehlstellungin der Folge noch zugenommen und das Knochenstück istnicht ,,zurückgerutscht“.

bb) Der Ansicht des Berufungsgerichts, das sei deswe-gen unbeachtlich, weil das Ergebnis auch nach einer ope-rativen Behandlung möglicherweise nicht anders gewesenwäre, liegt ersichtlich die Annahme eines hypothetischenKausalverlaufs im Falle des rechtmäßigen Alternativverhal-tens zugrunde, für den die Behandlungsseite beweispflichtigist. Diese kann zwar geltend machen, der gleiche Gesund-heitsschaden wäre auch nach einer Reposition oder einerprimären Operation entstanden, wenn eine dieser Behand-lungsmethoden gewählt worden wäre. Nur dann aber, wenndieser Verlauf feststünde, könnte die Haftung des Bekl. fürdie Folgen seiner rechtswidrigen Vorgehensweise verneintwerden. Dieses Beweisrisiko geht nämlich zu Lasten desBekl., der dementsprechend nicht nur die Möglichkeit ei-nes solchen Verlaufs, sondern beweisen müßte, daß derselbeMißerfolg auch nach Wahl einer solchen anderen Behand-lungsmethode eingetreten wäre (vgl. Senatsurtt. BGHZ 106,153, 156; v. 14. 4. 1981 – VI ZR 39/80 –, a. a. O.; v.13. 12. 1988 – VI ZR 22/88 –, a. a. O.; BGH [andereSenate], BGHZ 63, 319, 325; 120, 281, 287).

(Bearbeitet von Prof. Dr. iur. Bernd-Rüdiger Kern,Juristenfakultät, Universität Leipzig,Burgstraße 27, D-04109 Leipzig)

Überwachungsanforderungen zur Vermeidungeiner Neugeborenen-HypoglykämieBGB §§ 823, 847 a. F.

1. Bei mangelgeborenen Kindern, namentlich beiZwillingen und erst recht bei einem erheblichen Min-derwachstum des diskordanten dystrophen Zwillings istdas Risiko einer kritischen Unterzuckerung (Hypogly-kämie) erhöht und letzterenfalls mit etwa 50% anzu-setzen. Neugeborene dieser Gefährdungsstufe gehörengrundsätzlich umgehend nach der Geburt in fachge-rechte neonatologische Betreuung.