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Zur Casuistik der Geschwiilste. Von Pros A. v. Grille. . Im verflossenen Semester pr~isentirte sich in meiner Klinik eine Frau mit einer halb-haselnussgrossen Geschwulst an der Uebergangsfalte der linkseitigen Con- .junctiva oberhalb des ~iusseren Augenwinkels, deren Form sieh schon yon aussen durch das Lid ungef'~ihr kund gab. Beim Umschlagen des Lides stiilpte sich dieselbe her- vor, stellte eine bl~iulich durchschimmernde, nur yon Conjunctiva und allenfalls einer diinnen Bindegewebs- lage bedeckte Cyste dar, welche an einer Stelle etwas zugespitzt, im Uebrigen aber regelm~issig rund erschien. Beim starken Druek entleerte sie ihren vollkommen wasserklaren diinnfliissigen Inhalt aus jener zugespitzten Stelle entweder tropfenweise oder auch in Form eines feinen Strahls, wie man ihn h~iufig bei entzilndeten Augen, wilhrend des Umschlagens der Lider, aus einem Ausiiihrungsgange derThr~nendrlise herausspritzen sieht. Die Loupe zeigte an der betreffenden Stelle deutlich eine kleine runde Oeffnung~ in welche man auch mit einer recht feinen SoJ~de eindringen und alsdann die Cyste vollst~indig entleeren konnte. Wurde die Thr~inen- absonderung durch Einw'~ufeln yon Opiumtinctur oder ~ihnliche Reizmittel vermehrt, so schwoll die Cyste his zur Haselnussgr~sse auf. Dasselbe sollte nach Angabe der Patientin beim Weinen, im Winde u. s. w. geschehen. Archly fiir Ophthalmologie. VII. ~. 1

Zur Casuistik der Geschwülste

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Zur Casuistik der Geschwiilste.

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Pros A. v. Gril le.

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Im verflossenen Semester pr~isentirte sich in meiner Klinik eine Frau mit einer halb-haselnussgrossen Geschwulst an der Uebergangsfalte der linkseitigen Con- .junctiva oberhalb des ~iusseren Augenwinkels, deren Form sieh schon yon aussen durch das Lid ungef'~ihr kund gab. Beim Umschlagen des Lides stiilpte sich dieselbe her- vor, stellte eine bl~iulich durchschimmernde, nur yon Conjunctiva und allenfalls einer diinnen Bindegewebs- lage bedeckte Cyste dar, welche an einer Stelle etwas zugespitzt, im Uebrigen aber regelm~issig rund erschien. Beim starken Druek entleerte sie ihren vollkommen wasserklaren diinnfliissigen Inhalt aus jener zugespitzten Stelle entweder tropfenweise oder auch in Form eines feinen Strahls, wie man ihn h~iufig bei entzilndeten Augen, wilhrend des Umschlagens der Lider, aus einem Ausiiihrungsgange derThr~nendrlise herausspritzen sieht. Die Loupe zeigte an der betreffenden Stelle deutlich eine kleine runde Oeffnung~ in welche man auch mit einer recht feinen SoJ~de eindringen und alsdann die Cyste vollst~indig entleeren konnte. Wurde die Thr~inen- absonderung durch Einw'~ufeln yon Opiumtinctur oder ~ihnliche Reizmittel vermehrt, so schwoll die Cyste his zur Haselnussgr~sse auf. Dasselbe sollte nach Angabe der Patientin beim Weinen, im Winde u. s. w. geschehen.

Archly fiir Ophthalmologie. VII. ~. 1

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Die Gegcnwart eines wahren D a c r y o p s , d. h. einer durch Ectasie eines AusFdhrungsgat~ges der Thr~inendriise entstandenen Geschwulst, war somit festgest,d[t. Da die entleerte Flfissigkeit sich durch alle Eigenschafien identisch mit dem Thr~nendriisensekret zeigte, keine Spuren yon eitriger oder schleimiger Beimischung zeigte, so musste eine cinfache Ectasie durch Verel)gung oder periodische Verstopfung des Ausfiihrungsganges nahe seiner Miindung angenommen werden. Schmerzen hatte Pafientin nie, wohl abet' verursachte die Geschwu]st, wenn sic sich vergr~isserte, besonders in der frischen Luft, ein l~istiges Geiiihl yon Druck, und auch wohl eine unbehaliche Trockenheit im Con iunctivalsack. Die Beseitigung schien mir deshalb angezeigt.

Es wurde die s Oeffnung mit der eonischen Sonde ausgedehnt, eine gekriimmte Nadel in die HShle eingefilhrt, und eine circa 2'" breite Briicke der vorde- ten Cystenwand umstochen, die Naht selbst nur locker geschiirzt. Der diinne seidene Faden, welcher hierzu benutzt, behielt ein langes Ende, welches in die ~ussere Lidcommissur gelegt und an der Schl~ife be- festigt wurde. Der Inhalt der Cyste sikkerte rasch heraus, so dass deren vollst~indiger Collapsus erfolgte. Um etwaigen Reizzustand der Schleimhaut "zu verhiiten, der dutch die Bewegung der Lider gegen einen solchen Faden wohl mit der Zeit eingeleitet wird, legte ich einen immobilisirenden Verband an. Der Zweck desVers war selbstverst~indlich, die Brficke aus der vorderen Wand zu mortificiren, und eine grosse Oeffnung zu erhalten, welche f'dr einen completen und dauernden Erguss der in der Cyste enthaltenen Thrfinenflfissigkeit in den Coq)unctivalsack gen~igte. Nach 1~/2 Wochen durchschnitt ich den noch iibrigen Theil iener kleinen Brlicke und entternte den Faden, worauf eine ausrei- chende schlitzFSrmige Oeffnung zurfickblieb. Hielt man

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dieselbe mittels einer sich spreitzenden Pincette offen~ so konnte man gut die innere Wand der Cyste beschauen, welche gleichm~issig glatt erschien. In den folgenden Tagen wurde, wie nach der Bowman 'sehen Erweiterung des Thr~inenpunktes noch einige Male eine kleine Sonde eif~geflihrt, und die Wundr~inder yon ein- ander gezerrt. Bald erschien der gemaehte Schlilz voll- kommen rein, die R~inder fibernarbt, und zweifele ich nieht, dass eine mehr als genfigende Oeffnung dauernd zuriickbleiben wird, selbst wenn der urspriingliche Urn- fang derselben sich um einiges verkleinern sollte. Die Cyste und alle davon abh~ingigen Krankheitssymptome waren spurlos versehwunden. Wahrscheinlich hiitte das Durch- schneiden der Briicke sehon eher gesehehen k~innen, oder man h~itte gleich anfiinglich ohne Umschniirung einen Schlitz mit einer ieinen Scheere, wie bei der B o w m a n ' s c h e n Erweiterung der Thr~inenpunkte, voll- fiihreu k~innen, um ihn dann noch eiuige Zeit mit einer Sonde often zu erhalten. Allein der wahre Dakryops ist ein ~iusserst seltenes Uebel; es war der erste un- zweifelhafte Fall eines solehen, den ieh iiberhaupt zu Gesieht bekommen, nnd so wollte ich denn in der Be- handlung mSglichst sicher gehen.

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Angeborene D e r m o Y d - G e s c h w i i l s t e an der Hornhautgr~inze, wie sie nun in tier Literatur schon so vielfach beschrieben worden si~Jd, habe ich neuerdings wieder 5her theils mit, theils ohne H~irchen beobachtet. Sie variirten in ihrem Durchmesser zwischen 2 und 4"', waren yon rundem Umkreise, %--1%'" erhaben, halb auf der Cornea, halb auf der Sclera befindlich, theils gerade nach aussen, theils nach aussen und unten gelegen, und hattea sich meist w~ihrend des Le- bens nicht vergr(issert. Die Innocuit~it einer vorsichti-

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gen Operation bew~ihrte sich aufs Neue in drei F~illen. Ich wiirde immer den Rath geben, nicht eine vollst~in- dige Aussch~ilung tier trliben und krankhaft erscheinen- den Gewebsmasse zu erzielen, sondern den prominenten Theil mit ether guten Hakenpinzette zu fassen, anzuziehen und mit einem Staarmesser im natlirlichen Niveau der angr&inzenden Cornea yon dieser ab nach der Sclera bin abzutragen. Die Entfernung kann dann naeh aussen hin mit der Scheere beendet werden. Bleibt hierbei etwas triibe Ma'sse anhaftend zuriick, so ist dies ohne jedes Bedenken. Es bildet sich auf der Wundfliiehe eine leichte Granulation, welche sehrumpft und vernarbt. Allerdings bleibt auf dem entsprechen- den Hornhauttheil mehr oder weniger Trlibung zurlick, doeh hat diese, selbst in maximo, keinen entstel- lenden Einfluss, weil sie sich der Scleralgr~inze an- sehliesst; die Patienten sind vergleichsweise zu dem friiheren sehr auffallenden Habitus des Auges, durehaus zufrieden gestellt. Ein tieferes Eingehen in die mit der dermoiden Masse oft verschmolzene Substanz der Cornea diirfte kein vollkommeneres Resultat geben. Dass es nieht unbedenklich ist, wird dureh mehrere F~lle in der Literatur bewiesen, deren fibele Ausg~nge wohl zu der Warnung vor der Opera- tion solcher Geschwiilste gefiihrt haben, eine War- nung, die ich, wie gesagt , Fdr eine vorsichtige Abtragung durchaus nicht best~itigen kann. Niemals sah ieh yon der etwaig zuriiekbleibenden Hornhauttrii- bung wieder eine Reproduction ausgehen. Es bedarf in der That einer unveri'finglichen Operation, um sie den Patienten anrathen zu diirfen, welchen ihr Uebel keine Schmerzen verursacht, welche ein vollkommnes Sehvermligen besitzen, und iiberhaupt wie es bet sol- ehen angeborenen Krankheiten zu geschehen pflegt, sieh bereits mit den Uebelstiinden familiarisirt haben.

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Einen sehr eigenthiimlichen Fall, welcher in diese Kategorie hiueingeh;Srt, jedoch durch die Form und Beschaffenheit der Geschwulst manehe Abweichung zeigt, habe ich Tafel I , Figur 2. bildlieh angedeutet. A u g u s t e B. aus Falkeaberg im Oderbruch will die Geschwulst, welche die ~iusseren 2/s der Cornea bedeckt, seit Kindheit an, und zwar fast in derselben Grilsse wie jetzt bemerkt haben. Nach Versicherung der Eltern soil dieselbe angeboren sein. Patientin hat hie daran Schmerzen gehabt, obwohl die 3'" hohe Geschwulst das Lid beim Schluss bedeutend abdr~ingt. Das Sehvermiigen ist auf dem Auge in einem mittleren Grade erhalten, so dass Patientin bei erweiterter Pupille Objecte und mit Convexgl~isern Lettern der griissten Schrift erkennt. Die Geschwulst setzt auf der Hornhaut steil an, und flacht sich gegen die Selera hin immer mehr und mehr ab, breitet sich dabei aber etwas aus und verliert sich endlich in ziemlich diffuser Weise gegen die ebenfalls partiell geschwellte obere Ueber- gangsfalte. Bei der Operation zeigte sich, dass die Geschwulst nut an einzelnen umschriebenen Stellen mit dem Hornhautgewebe in fester Verbindung stand, im iibrigen Umfange sich ziemlich frei, d. h. mit Trennung eines sp~irlichen, loekeren Bindegewebes yon derselben abl(iseu liess. Unter derselben war jedoch die Horn- haut etwas trfibe und in der Weise verdlinnt~ als wean die oberfl~ichlichen Schichten nieht w~iren zur Entwicke lung gekommen. Diese Verdlinnung flag iiberall am Rande der Geschwulst mit einem sehari'en Absatz, man kann sagen, mit einer senkrechten Stuie an, und schien in dem ganzen Umfange der Geschwulst gleichm~issig zu bestehen. Auf dem Scleralbereich wurde die zum gr(issten Theil normal aussehellde Conjunctiva beinahe vlillig geschont, und die unter derselben liegende Ge- schwulstmasse bis gegen die obere Uebergangsfalte entfernt. Die Heilung ging ohne Zwischenf~ille unter

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einem leichten Druckverband yon statten, so dass Pa- fientin 2 Wochen spfiter heimkehren konnte.

Die Untersuchung, yon Dr. S c h w e i g g e r ange- stellt, liefert folgendes, in seinem letzteren Theile eigen- thiimliches Resultat: Die, entsprechead dem Hornhaut- bereiche mit einem dicken Epithelfiberzuge versehene Geschwulst besteht aus einem mit reichlichen GeFtissen und Nerven versehenem fetthaltigem Bindegewebe, wel- ches in derbe Biinde] angeordnet, durch Essigs~iure stark aufquillt und ein dichtes Netz yon Bindegewebs- kiirpern und elastische Fasern erkennen l~isst. In der Tiefe der Geschwulst, in der N~ihe der Cornea und der Oberfl~iche derselben parallel, finder sich ein ringsum yon Bindegewebe umgebenes, circa 1 Mm. dickes, 3 Mm. grosses Pl~ittchen reinen N e t z k n o r p e I s. 5--7 schlauch- Fdrmige fo l l icu l~i re Dr l l sen liegen in derGeschwulst- masse und scheinen nach aussen zu miinden.

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Wenn man friiher manche Geschwulst als l ipo- m a t S s pr&isumirt hat, die bei der Untersuchung eine andere Natur gezeigt, (wie die Pinguecula und die ge- w~ihnlichen Hornhautdermoide) so kommen thats&ichlich Geschwfilste aut der Conjunctiva bulbi vor~ die 'den Namen yon Lipomen mit vollstem Rechte verdienen. Zur Veranschaulichung einer solchen angeborenen Ge- schwulst verweise ich auf Tar. I, Fig. 1. Die Ober- fl~iche, yon nut zum Theil normaler Coniunctiva bedeckt, ist nichts weniger als gleichm~issig, zeigt vielmehr eine Aneinanderreihung buckliger Prominenzen yon rein gelber Farhe, weicher Consistenz, der Schwere zufolge etwas nach unten iiberhangend. Nach aussen und nach innen yon der Cornea erreictien die Buckel eine Hiihe yon 21/2--3 ''', oberhalb der Cornea sind sic dnrch das obere Lid abgeplattet. Die Geschwulst sollie sich in

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den letzten Jahren etwas vergrSssert hahen, doch war der zur Zcit drcissigj~ihrige Patier~t soil)st hier[iber nicht sieher; aueh eine angeborcne Ektopie der Pupille existirte an diesem Auge. Da absolut keine Beschwer- den zugegen waren, hielt ieh eine Operation nichl fiir urgircnd und wegen dcr ausgebreiteten Mitleidenschai~; der Conjunctiva aueh nicht f'dr unbedenklich. Dagegen wurde, bchufs der mikroskopischen Untersuchung, ein Stiickchcn excidirt, welches die schlechthin lipomat;Jse Natur nachwies.

Ebenfalls angeborene, aber w~ihrend des Lcbens zuweilen erheblich wachsend,, subcon.iunctivale Lipome kommen nicht gar so]ten an einer bestimmten Ste]le vor, n~imlich zwischen dem ~iusseren und oberen graden Augen- muskel. Man siehtin einiger Entfernung yon der Hornhaut- gr~nze die Conjunctiva dutch eine rein gelbe, ziemlich dif ihse Episcleral-Ablagerung hcrvorgetriehen, aher nicht selbstst~ndig erkrankt. Die plalte Geschwulst dehnt sich nach aussen und oben his an die Griinze der etwas gc- schwellten Thr~inendriise aus und scheint ira direkten Zusammenhange mit dem orbitalen Fettzellgewebe zu stehen. In der Regel blcibt es bei einer nut cine Linie dicken Fettschicht stehen und sind alsdann t~dr den Patienten gar keine Beschwerden und demnach auch nicht die Indication zu irgend einem Eingriff vorhandcn. Ich babe fr[iher an der lipomaffisen Natur dieser Gc- schwiilste gezweifelt und gemeint, sic kSnnten aus einem an elastischen Bestandtheilen reichcn Bindcgewebe bestehen. Neuerdings abet trat in einem ganz typi- sehen Falle der Art Indikation zu einer Operation ein. Die Gesehwulst hatte sich ziemlich rasch vergriissert und ring, offenbar dutch ihre Einwirkung auf die Exkre- tion der Thr~inen, an, die Patientin zu bel~istigen. Eine seeund~ire Anschwellung der Thr~inendriise war obiectiv naehweisbar, auch klagte die Patientin fiber das Gefiihl

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yon Trockenheit und Druck, besonders in frischer LuR. Ich machte einen transversalen Schnitt durch die Coniunctiva und exstirpirte die zwischen derselben und dcr Sclera liegende Geschwulstmasse bis an den Rand der Thrfinendriise heran ohne Schwierigkeit. Die Coqiunctiva wurde vSllig geschont und deren Wund- r~inder dutch eine Sutur wieder vereinigt. Es gingen sowohl die secund~ire Anschwellung der Thr~inendrllse als auch die Beschwerden der Patientin in erw(inschter Weise zuriick. Die Geschwulstmasse bcstand aus reinem Fettzellgewebe. Ueber die congenitale Natur derartiger Geschwlilste kSnnten allerdings Zweifel erhoben werden. Es bleibt mir jedoch wahrscheinlich, (lass die Keime des Uebels stets angeboren, vielleicht in ether norm- widrigeu Ausdehnung des Fettzellgewebes der Orbita unter der Thr~inendriise nach vorn zu suchen sind.

Ob auch unter den auf der Hornhaut vorkommen- den Geschwiilsten solche vorkommen, welche schlecht- hin die Bezeichmmg yon Lipomen verdienen, weiss ich aus eigner Erfahrung nicht zu entscheiden. Je reicher die angeborenen Bindegewebsgeschwlilste an Fett sind, je grSsser ist auch die Wahrscheinlichkeit eines sp~teren Wachsthumes derselben, welches, wie schon oben an- gef'dhrt' bet den gewShnlichen fettarmen oder fettlosen Dermoiden nicht vorkommt. Ueber einen hiichst merk- wfirdigen Fall eines derartigen Wachsthumes besitze ich allerdings nur eine ganz fliichtige Notiz, da der Patient, dem ich eine Operation vorgeschlagen, kurz vor derselben spurlos verschwand. Es war ein Bauer- knabe aus Holstein, dessen rechter Augapfel inclusive des ganzen Hornhautbereiches mit ether gelben, wei- chen, mit Epithel bekleideten, klumpigen Masse in der Dicke einiger Linien bedeekt war, und demnach ein h~ichst sonderbares, vollst~indig homogenes Ausse- hen darbot. Die gelbe Wucherung gr~inzte sich an der

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Peripherie des bulbus hart an der Uebergangsfalte ab. Die Bewegliehkeit war vollkommen fret erhalten und Patient hatte auf diesem eigenthiimlichen Auge, auf dessen pathogenetische Deutung man ohne Ana- mnestika und ohne den Befimd am linken Auge nicht h~itte kommen kilnnen, noch eine leidliche quantitative Licht- empfindung. Linkerseits zeigte sich auf den Hornhaut- rande aufgesetzt eine, den gew~ihnlichen Dermoiden ~ihnliehe, 3 Linien im Durchmesser grosse Geschwulst, welche sich nut dutch ihre intensiv gelbe Farbe und die gegen die Hornhaut hin etwas in Klumpen abge- theilte Form auszeichnete. Dicselbe sollte angeboren seth, sich aber seit einem Jahre bedeutend vergrSssert haben. DerZustand des rechten Auges hatte sich aus einer /ihnlichen, aber yon Anfang an bereits etwas ~rSsseren Geschwulst entwickelt. So sehr der /iussere habitus ffir eine fettige Wueherung spraeh, deren Anf~inge mir auf dem linken Auge bereits zu existiren schienen, so bedauere ieh doch, dass dies in Ermangelung der ana- tomisehen Untersuchung eine Vermuthung bleiben muss.

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Unter einer sehr unscheinbaren Form stellten sich zwei F~ille yon C a n c r o i d e n auf der Oberfl~iche des bulbus da,; welche ich schon desshalb mittheile, well iiberhaupt das primitive Vorkommen yon Cancroid so unendlich seltener am bulbus als an den Augenlidern beobachtet wird.

Ein Offizier im mittleren Mannesalter und mit dem gesundesten Aussehen war yon einem sachversffindigen Augenarzte ediche Monate lang an ,,einer eigenthiim- lieh hartn/iekigen phlykth/inul~iren Ophthalmie" behandelt worden. Ich hatte denselben auch frfiher fl~chtig gesehen und gemeint, dass es sieh um eine umsehriebene, ins Be- reich der phlykth/inul~iren Ophthalmie fallende Infiltration

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handelte. Bei der zweiten Untersuchung aber stellte sich die Sache anders heraus. Freilich zog eine biischelf'Srmige In.iection yon der Peripherie des Auges nach dem fiusseren Hornhautrand zu, we eine kleine kaum eine Linie grosse und vielleicht eine halbe Linie hohe Anschwellung ihren Sitz hatte, allein die Form dieser letzieren wich yon den gewShnlichen umschrie- benen Conjunctivalinfiltraten ab. Sic erhob sich ziemlich steil, ihr Randtheil war mit einem glatten Epi- thel versehen, in der Mitre war sie dieses letzteren be- raubt, zeigte bei LupenvergrSsserung eine ungleich- m~issige etwas papillare Oberfl~iche, welche vollkommen trocken und nirgends mit einer fetzig oder eitrig zerfallen- den Masse bedeckt erschien, wie dies bei den ulcerirten Conjunctivalinfiltraten der Fall ist. Um die Intumescenz herum war iibrigens auch wenig ,~rterielle Injection, im Ge- gensatz zu Phlycthaenen, und keine entziindliche Conjune- tivalschwellung, sondern nut geschl~ngeheVenenund eine Spur serSser Durchtr~inkung. Ich erkl~rte das kleine Pro- dukt ietzt ohne ZSgern f'tir eine Neubildung, obwohl mir die Ausdehnung der blischelfSrmigen Injection bis zum ~iusseren Augenwinkel allerdings aufiallend blieb. Nach vollzogener Abtragung ging die Heilung in wenig Tagen yon Statten und verschwand die biischelf'drmige Injec- tion vlillig.

Professor V i r c h o w , der die Freundlichkeit hare, die Untersuchung zu iiberaehmen, stand nieht an, das Gebilde flit ein Cancroid zu erkl$iren, da dichtgedr~ingte Epithelialzapfen eine sp~irliche Bindesubstanz ihrer ganzen Tiefe nach durchsetzten, zusammengeballte Epithelialbil- dungen auch discontinuirlich mit der Oberfifiche darin vorkamen, kurz die ganze Anordnung einer cancroiden Geschwulst vorlag. Bis .ietzt (ein Jahr) ist Patient yon einem Rfickfalle frei geblieben, ob ein solcher selbst nach einer so friihen Abtragung sp~ter eriolgen wird, bleibt dahingestellt.

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Frau Leonore P., 57 Jahr alt, seit 6 Jahren nicht mehr menstruirt, bemerkte im Sommer 1858 eine Rbthung des rechten Auges im ~usseren Winkel, die sich mehr und mehr nach dem Hornhautrande ausdehnte und dort die Anschwellung bewirkte, wegen der sie am 5. No- vember selbigen Jahres zu mir kam. Eine flache Ge- schwulst in maximo vielleicht 3/4"' erhaben, bedeckt das ~iussere Viertel der Cornea, schneider auf dieser mit einem scharfen, beinahe senkrechten Rande ab. Die Geschwulst dehnt sich kaum auf die angr~inzende Sclera aus, sie ist br~iunlich grau und geht nach aussen in eine mit Venen durchzogene Conjunctivalpartie fiber, welche an der Hornhaut breit, sich nach dem Augen- winkel mehl" und mehr zuspitzt. Die Conjunetiva scheint wohl l~ings dieser Pattie etwas geschwellt, aber nieht degenerirt zu sein. Bei der Operation zeigte sich, dass die Geschwulst nut an einer umschriebenen ungef~ihr 1"' im Quadrat messenden Pattie etwas unter dem ho- rizontalen Durchmesser mit dem Hornhautgewebe innig zusammenhing. Sonst haftete sie ~iusserst locker auf und liess sich gut und grilndlich enffernen. Die Injec- tion der Conjunetiva ging vollst~indig zuriick, und alas Auge bot bereits nach 11/3 Wochen ein vollsffindig gutes Aussehen.

Die yore Prof. V i r c h o w gemachte Untersuchung, deren Specia]resultat derselbe die Gfite hatte mir zu demonstriren, wies eine v~llig typische cancroide Natur nach, auch habe ich Nachrichten yon der Patientin erhalten, dass bereits vor Ablauf eines Jahres ein Re- cidiv nahe der untern Hornhautgr~inze eingetreten ist.

5. Einen Fall yon e a v e r n ~ i s e r G e s c h w u l s t der

Orbita theile ich in extenso mit, well ich analogeVerzeich- nungen in der Literatur vermisse.*)

*) Dureh miindliehe Mittheilung weiss ieh, dass sowohl B. Langon -

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Herr S., 55 Jahr alt, aus Kitzingen, gesund, voll- hliltig, hatte zuerst im Jahre 1848 bei der Jagd hemerkt, dass er mit dem reehten Auge weniger scharf als frllher zu sehen vermochte. Ein Jfihr sp~ter fiel es sowohl den AugehSrigen als dem Patienten selbst auf, dass der reehte Augapfel mehr hervorstand und die Lidspalte sieh welter ~ifnete. Gleichzeitig ring derselbe an, naeh ohen gelegene Objeete, z . B . die Spitze eines Kirchthurms, bei Benutzung beider Augen doppelt zu sehen. Der Exophthalmos nahm in der folgenden Zeit fiusserst lang- sam zu. Sehr heftige Schmerzen l~ings der Stirmmrven traten 1850 auf, dauerten mehrere Monate, raubten sogar einige Zeit die Nachtruhe, verschwanden aber vollkom- men, sei es yon selbst, sei es dureh Einfluss der ange- wandten ableitenden Mittel. In demselben Jahre be- merkte Patient bei dem Verschluss des gesunden Auges einen Nebelfleek in der Mitte des Gesiehtsfeldes. Bei diesen Symptomen trat bis zum Jahre 1853 ein Stillstand des Uebels ein. Eine Kur in Kreuznaeh braehte alsdann sogar einige Besserung, sofern das Auge weniger her- vortrat, w~ihrend sowohl der eentrale Nebelfieek, als aueh das Doppelsehen beim Bliek naeh obeu unver~indert blie- ben. Sp~iter nahm die Prominenz wieder zu und aueh eine wiederholte Kur in Kreuznaeh blieb ertblglos. Im Jahre 1854 wurde Patient von einem bew~ihrten Fach- genossen genau untersucht. Derselbe braehte den kleinen Finger in den Bindehautsack und umkreiste, zur Fest- stellung der Verh~-iltnisse in der Orbita, den Aequator des Bulbus. Hiernach soil, wie Patient angiebt, zuerst ein periodisehes Hervortreten des Auges iiber das untere Augenlid, yon welehem ich sp~iter Zeuge war, stattge- funden haben. Im Uebrigen blieb die Affection voll- kommen sehmerzlos, und konnte Patient, trotz der erheb- lichen Prominenz, die Augenlider noeh gut sehliessen.

Ieh sah den Patienten zuerst in Wlirzburg im Jahre 1856, also naeh 8j~ihrigem Bestand des Ut~bels. Die Hornhaut stand jetzt 5 "~ vor der des gesunden Auges hervor. Der Drehpunkt des Auges war nach vorn und

b e c k als B o w m a n caYcrn~se Tumoren der Orbita einigcmal beobachtet r deren Publication noch bevorsteht.

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etwas nach innen und unten verdr~ingt. Die Beweglieh- keit nach den Seiten hin, so wie nach umen ziemlich f}'ei, naeh oben dagegen um die H~ilfte beschr~inkt, des- halb beim Bliek naeh oben die fri)her erw~ihnte Diplopie. Die Untersuehung der Orbita theils mittelbar durch die Lider, theils durch den Bindchautsack ausgeFdhrt, erfor- derte grosse Vorsich~, well der bulbus bereits sehr leicht iiber das untere Lid heriibertrat, was dem Patienten hSchst unbehaglich war. Es zeigte sich eine Geschwulst, dcren Masse nach oben and aussen hinter dem bulbus lag, sich zwischen demselben und dem Orbitaldach nach vorn ausdehnte, und ungef,ihr in der ThrSnendrLisen- gegend mit mehreren prall elastisehen, abet nirgends harten Buckeln absehloss. Das Sehverm~igen war da- reals erst wenig besehr~inkt, so dass Patient noeh dureh den oben erw~ihnten Nebelfleck hindurch kleine Schrift lesen konnte, dagegen war Hyperopie ('/,,) und etwas verringerte Accommodationsbreite auf diesem Auge vor- handen. Der Augenspiegel zeigte einzelne Netzhautvenen bereits auffallend geFtillt und geschl~ingelt, und die Papille etwas gescehwellt und getrilbt (dies, so wie dieRefractions- und AecommodationsstSrung vergleichsweise zum andern Auge).

Im Jahre 1857 hatte die Prominenz wieder um Eini- ges zugenommcn. Das spontane Hervortreten des Bulbus fiber das untere Lid eriblgte jetzt h~iufiger, besonders land sich dasselbe nach den Mahlzeiten oder dann ein, wenn durch Anlegung der Hand an die Schl~ife oder dutch Andrlicken der rechten Kopf'h~ilfte an ein Kissen eine meehanische BlutiiberFdllung local hervorgeruibn war. Patient hatte oft Mi]he, die riehtige Lage wieder herbeizuf'dhren, indem er die Wangenhaut nach uliten herabzog und dann das Lid wieder sanft aber den her- vorstehenden Bulbus emporschob. Das Sehverm6gen war inzwisdlen bedeutend gesunken. Patient konnte nur noeh mittlere Drucksehrif~ miihsam mit starken Convexgliisern erkennen. Das excentrisehe Sehen aach unten war sehr undeutlich, nach den anderen Richttmgen gut, der Augen- spiegelbefimd ziemlieh unvedindert. Verschiedene Mittel, besonders Jod , innerlieh und ~iusserlich waren erfolglos angewendet worden. Versuchte Druek- verb~inde waren nicht vertragen worden. Ieh h~itte

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schon damals einen operativen Eingriff in Vorschlag gebracht, allein der Mangel an erheblichen Be- schwerden einerseits und die Erfahrung andererseits, dass bei ~ihnlichen Uebeln ein station~irer Zustand nicht seiten eintritt (dutch den sieh steigernden Druck, den der Bulbus ausiibt ?) , endlich die voraussichtliche Unm~glichkeit, diese hinter dem Bulbus lagernde Ge- schwulst mit Erhaltung des bulbus griindlich zu entfer- nen - - das Alles hielt mica vor der Hand ab.

Ira Jahre 1858 sah ich den Patienten wieder. Die Vorriickung des Drehpunktes mochte jetzt iiber 6'" betra- gen. Beinah t~glich trat der Augapfel in r Weise fiber das untere Lid herliber, worauf allemal, durch die Strangulation bedingt, eine starke Blutilber- ffillung in der Oonjunctiva und den subconjunetivalen Blutgef~ssen sich einstellte. Eigenthiimlieh war es, dass Patient das obere Lid noeh fiber den Bulbus herab- senkte, und auch w~ihrend des Sehlafes den Lidschluss vollkommen vermitteln konnte. Es erkl~irte sich dies durch die enorme Fl~iehenausdehnung, welche der Lid- deckel successive erfahren hatte. Patient konnte nut noch grSssere Objeete erkennen. Das untere Drittheil des Gesichtsfeldes fehlte vollkommen. Das exeentrische Sehen naeh oben war besser als das centrale Sehen. S~immtliehe Netzhautvenen waren jetzt stark geFfillt und geschl~iugelt, Arterien bleich~ Papille bereits matt weiss- lich, kaum mehr gesehwellt, die Choriodalgr~inze durch eine anstossende diffuse Netzhauttrilbung besonders naeh aussen und obenverwischt. Esmusstehiernaeh und naeh den func- tionellen Stilrungen offenbar eine yon obeu nach unten iort- sehreitende, dutch den Druck der Orbitalgesehwulst bedingte Entartungdes SehnervenundderFasersehicht, mitAtrophie der nerviisen Elemente angenommen werden. Derselbe Druck erkl~irte die Blutleere der Arterien, die Blutiiberftil- lung der Venen und die aus letzterer hervorgehende Hy- pertrophie des Bindegewebsgerlistes, welche wohl der oben erw~ihnten ~Netzhauttrilbung zu Grunde liegen mochte. Ich schlugjetzt eine Operation vor, welche jedoch ~iusse- rer Umst~nde wegen verschoben ward.

Endlich im August 1859 stellte sich Patient aufs Neue mit dem Wunsche vor, yon selnem mmmehr recht l~istigen Uebel befreit zu werden. Das Auge war jetzt his

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auf eine sehwache quantitative Lichtempfindung nach oben vollst~indig erblindet. Die Atrophie des Sehnerven war markirter, ebenso wie die Triibung der angr~inzen- den Netzhaut, die Schl~ingeluug der Venen riickg~iugig. Eigenthiimlich gut erhalten war die seitliehe Beweglichkeit des Bulbus, w~ihrend die Bewegliehkeit nach unten ietzt etwas beschr~inkt, die Beweglichkeit naeh obcn ganz autgehoben war. Auch die Empfiudlichkeit der Cornea erwies sichalsnormal. Die Geschwulst selbst zeigte densel- ben Habitus wie friiher, nur traten derenBuckel zwischcn dem Orbitaldaeh und dem Bulbus s~rker hervor,

Was war die Natur der Gesehwulst, der Sitz der- selben und welche Operationsweise vorzuschlagen?

In ersterer Beziehung wagte ich keiue Entscheidung zu f'illeu. Die allm~ilige Entwickeluug iunerhalb 11 J~hre, die scharfe Abgr~inzuug, welche sieh durch die Integrit~it des Bulbus, dcr Augenlider und der (nicht direct gedruckten} Augenmuskcln ausspraeh, stimmten cben so gut wiedie Con- stitution des Kraukeu, die Sehmerzlosigkeit und das Fehlen eigentlicher Ii~irten bcider Betastung f'dr eine gutartigc Ge- schwulst, ~dlein wer w~ire bei dem heutigen Stande der Gesehwulstlehre in dieser Beziehung nicht vorsichtig? und um so vorsichtiger da, wo wir noch nicht durch eine reiche Casuistik geleitet werden. - - Der Sitz der Geschwulst musste iz~ das Fettpolster der Orbita uud zwar innerhalb des Muskelstrichters verlegt wcrden und war der Bewegliehkeitsverhiilmisse wegell yon dem Bul- l)us jedenfalls durch die Tenon'sche Kapsel, wahrschein- lich durch eine Fettzellgewebsschicht getrennt. Der Aus- gangspunkt war nach obeu und etwas linch aussen yon dem B ulbus zu verlegen. Es entsprach dies der direkten Betastung, der Verrllckung des Drehpunktes nach vorn und unten- innen, und harmonirte aucil mit den fhnctionelleu Stii- rungen. Es war zuu~chst die Thiitigkeit des Rectus superior beeintr~iehtigt worden (deshalb die Unbeweg- lichkeit nach oben und das entsprechende Doppeltsehen), es war dann bei der Fortentwickhmg nach unten der Op- ticus yon oben comprimirt worden, desha]b die Undeut- lichkeit des excentrischen Sehens nach unten, und das successive Erl6schen des Gesichts{'eldes von unten nach oben. Der eentrale Nebelfieek, den Patient urspHinglieh

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bemerkt, dSrfte woh| auf den ersten Grad der al~eriellen Ischaemie zu beziehen sein. Es ist mir wenigstens wahr- scheinlich~ dass die allm~ihlige Compression der arteria centralis retinae zuerst LeitungsstiJrungen in der Gegend der macula lutea hervorbringt. Dass die Beweglichkeit nach unten zuletzt auch etwas gelitten, w~ihreffd die laterale normal geblieben war, erkl~irte ich mir dadurch, dass gerade in dem senkrechten Durchschnitt der Orbita vor- waltend die Beengung des Raumes stattgefunden, und dass der yon oben gedriickte Bulbus einen Gegendruck yon der unteren Orbitalwand erfahren, welcher die in dieser Richtuag wirkenden Muskelkr~ifte behindert. - - In Betrefl der Operationsweise schwankte ich einige Zeit, ob ein Versuch zur Erhaltung des Bulbus gemacht werden sollte. Bekalmtlich liegen f'dr umschriebene Or- bitalgeschwiilste eine Anzahl yon derartigen gegliickteu Versuehen vor. Dennoch gab ich den Plan auf und zwar aus folgenden Griinden. Ieh glaube, dass der Sitz einer Geschwulst innerhalb des Trichters der Augen- muskeln die Hoflhung eines Gelingens wenig stlltzt, w~ih- rend sich die meisten einschl~igigen Fiille wohl auf Ge- schwlilste beziehen, die zwischen der Orbitalwand und den Augenmuskeln liegen. Im ersten Fall mlissem ab- gesehen yon der Tremmng des levator palpebrae, um- thngreiche DLrrchschneidungen der Augenmuskeln resp. der Bindegewebskapsel gemacht werden, welche fiir das Resultat sehr in die Wagschale fallen. Zweitens wollte ich reich, unbekannt mit der Natur der Gesehwulst, nieht der Miigliehkeit einer Verletzung derselben bei einem ungenilgenden Operationsraum aussetzen. Ferner erschien mir etwaige Eiteransammlung in dent lockcren Fettzellgewebe der Orbita, bei ungeniigendem Abfiuss nieht ganz unbedenklich. Endlich wurde mein Beschluss dadurch erleichtert~ dass yon der Sehkraft des Auges bei dem vorliegenden Belunde, .selbst nach Beseitigung der Ursache niehts mehr zu hoffen war. Natiirlieh blieb es mein Wille, nachdem die Herausnahme des Bulbus be- stimmt war, Augenmuskel und Tenonscho Capsel mSglichst zu erhalten.

Die Operation ward in der Klinik meines Freundes des Prof. v. Welz inWSrzburg verrichtet. Naehdem derBulbus in der B o n n e t'schen Manier entfernt tuld dem anwesenden

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Collegen Herrn Dr. J u n g e zur Untersuchung iiberget)en, war es mir zun~ichst ahffallend, wie die frilher hinter der fhseia tarso-orbitalis fflhlbaren Buckel vollstiindig zuriieksanken. Dies sprach fiir die bereits vorher bemerkte elastische Beschaffenheit der Geschwulst~ welche durch dell Gegen- druck des bulbus gezwungen worden war, sich einen Ausweg unter dem Orbitaldaeh zu suehen. Nachdem ieh welter die Lidspalte etwas naeh aussen verl~;ngert, fiihrte ich zur Sondirung den Zeigefinger in den Hohl- raum der Tenon'sehen Capsel ein. Dieselbe war voll- kommen glatt und geschlossen, doeh liess sich die ziem- lieh gleichm~issige Oberfi~iehe der Geschwulst, welehe prall hervortrat, bereits dutch die noch bedeckende)~ Zellgewebstheile hindurch abgriinzen, Ein Querschnitt dutch die hintere Wand der Tenon'schen Capsel oberhalb vom Sehnervendurchtritt zeigte, dass noch eine wenige Linien starke Schicht gcsunden Fettzellgewebes die Ge- sehwulstoberfi~iche von jener trennte. Erst n'~ch L(i= sung dieser Schieht betastete der Finger die voll- kommen blosgelegte kuge!ig hervorspringende Vorder- fl~iche des Tumor, welche dutch eine leichte Er- welterung der Lidspalte nach innen voHends sich(bar gemacht wurde; die dunkelblaue beinahe ins schwiilz- licho spielendo Farbe erregte VOl'iibergehelld den Ver- daeht eines rnelanotischen Sarkoms. Es gelang sehr leicht, die Geschwulst unblutig auszuschiilen und in ihrcr Totalitiit herauszubringen. Sielagnachallenl~ichtungen im gesunden Fettzellgewebe eingebettet. Die Heilung ging gut yon Statten und blieb eine schlJne Bewegliehkeit zuriiek, da die Augenmuskeln geschont waren. Der nieht zu vermeidende Einschnitt in dell Grund der Te- non'schen Capsel hat sp~itern Berichten zulblge einen Narbenstrang hinterlassen, welchcr die Einsetzuug eines klinstliehen Auges etwas verziigert, aber keinesweges verhindert hat.

Die Gesehwulst selbst hatte eine uuregelm:issige eifiirmige Gestalt, an welehe sich nach vorn mehrere seiehte Auswllchse ansetzten, welche den fi'[iher unter der fascia tarso-orbitalis tastbaren Prominenzen ent- spraehen und gut zur weiteren Orientirung verwerthet werden konnten. Die obere gegen das Orbitaldach ge-

Archly flit Ophthalmologie. VII. 2. 2

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richlctc FISche war stark convex, dic untere, welche mittelbar (durch eine Schicht FctizelJgewehes) dem hln- teren-obercn Augenabschnittc angelegen hat(e, n~iherte sich mehr einer platten Form, deren am meisten hinterwiirts ge]egener Abschnitt war dutch eilm (mehr nach innen gelegene) seiehtc Rinne getheilt, dic dcm Eindrtmk d~s Sehnerven entsprach. Die Geschwulst hatte demnach gcwissermassen auf dem Opticus geritten und denselbea bei ihrcr Entwickelung nach unten ge- driingt. Es crkliirtc sich hierdurch sehr natiirlieh, dass zuerst dic obere Netzhauth~ill'te ihre Leitung au[gegcben.

Die (;eschwulst war von ciner glatten verdich- tcten Billdegewe.bsschicht umgeben, vou ganz gl(~ich- miissiger elastisch praller Consistenz, die dunkle F~ir- bung, welche mir vor der AusschShlng Verdacht er- regt~', zeigt~ sich lediglich yon der enormen Blutiiber- t~ilhmg al~hiingig. 6ie gil~g deshalb auch bald nachdem ein Quersehnitt gemaeht way, in t'ilm bl~iulichgrauc und blassere Farbe ill)or. Die Durchschnittsfl3che hot ein netzartiges ( h.fiigc dar, dessell grol)e 3Iasehen d('a Get~iss- liicken, dessen F~i(lcn eim~m balkenarligen Bindegewebe entsprachen. An verschiedenen SWllen zcigte sich dieses Netz zarter und griJber. Dic li~ilmrclJntersuchungbcstiltigte durelmus den Bau eincr typischen, cavcrniJsen Gcschwulst. ()bwoh] der Tumor (,rsl gcmcssen wurde, nachdem er din'oh /31utaustritt wohl meh,' als T/a (liametral collabirt war, ergal) sieh (lessen l,!il)gendurchmesser immer noch 35 Mm., dic Querdurchmesser zwisehen 22 und 26 Mm.

In diagnostischer Bezichung interessant und wohl fiir die Anwesenheit solcher caveniiJsen Tumoren charak- teristisch bleibt die c, igellthiimlichc Erscheinung des spon- tanen Autschwellcns und AI,schwt*llens, welch(: sich auch durch di~ kiiastlichc lI(.,'vorruthng mechanisch(q' lly- per~imie n;,ehahmcn lilsst. Ferner hervorzuhcben ist die prall clastische abcr nirgeltd ht~rte Consistenz, die we- nigstens grlJsst(mtheils erhaltcne Integritiit des Augeu- muskelspiels, der Sitz mitten irn Fettzcllgewebe s,qbst, dic ausserordentlich langsame Entwiekehmg, die Schmerz- losigkeit uHd endlich das vollkommen gute Allgemein- befinden. Welche yon dlcsen Zeiehen sich bel eaver- n/.isen ()l'hicaltumo,'en bewShren werden, welche nicht, nmss (li,~ Zukunft lehren, trod m~chte ieh schon aus

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diesem Grunde die Herrn Fachgenossen zu einer baldi- gen Veriiffentlichung ihrer Fiille auffordern.

Ich lasse det* Bericht des Dr. J u n g c ilber das dutch Dt'uck aufden Sehnerven allm~ilig erblindete Auge fi)lgen :*)

,,Da dieses t)riiparat mir noch warm in die H~iudc ticl, so vers~iumte ich nicht, ciuige Durchmesser dcssel- ben mit dent Zirkel zu mcsseli, um wenigstcns eincn ann~ihernden Ausdru(~k fiber die FoI'mveriinderung, we.lchc das Auge durch den au[' seine hintere Fliiche driickendetl Tumor erlittcn, zu finden. Die ~iussere Ax% gemessen vom Scheitel der Hornhaut zur Insertion des Opticus ----= 21,7 Mm., zu einer der macula lutea cntsprechendczl Stelle der ~iusserelt Scleralwtilbung ---: 21,2 Mm., dcr trausversale Dui'ciHnessel . . . . 23,1 Mm. Vergleichen wir diese Werthe mit den w)n K r a u s e * * ) angegebenezl Messungsresultatcn yon 8 Augen, so tilden wit in un- serem Falle Fdr die Augenaxe ein Deilcit yon iiber 2 Mm., w~ihrend der transversale Durchmesser zicmlich genau mit dem kleinstcn der gemesscnen 8 F~il[e iibereinstimmt. IIieraus ergicbt sich, dass jedenfalls kcine Vel'gr~sserullg dits~s letzten Durehmcssers auf Kost, en der Augenaxe stattihnd, oder mit atlderen Worten, das Auge nicht an Breite gewann, was es all Tiefe vei'lor, so~dera der gauze Druckeflbct sich nur if~ eiucr Verminderung letz- terer manifestirte.

Obgleieh nun die Abflaehung der ScleralwSlbung, namentlich nach aussen und oben vom Opticus, schon fiir das Augt'nmaass auffTillig genug war, um das ganze I)efieit der Augenaxeul~inge zu erklih'en, so wollte ieh mich jedenihlls auch dariiber vergewissem, in wie welt sich miiglicherwcise dabei eine Abflachung der ftornhaut in ihrem Scheitel bethcilige. Aus tHiherer Zcit sich da- tirende ophthalmometrische Uzltersuchungcn, in welehcn ieh dieHornhautkdimlnung e, ines einseitigcn Exophthalmus mit der Hornhautkriimmung des anderen Auges verglich, liessen reich in beiden keinen Unterschicd findcn; abcr es prorninirte der vorgedriingte bulbus iiber das Niveau

*) IIerr Dr. Junge war so fi.rundlicla mir eben diesen Berieht vom Orte seines jetziffen Aufenthaltes (Moskau) in Briefes Form zuzu- senden.

**) Poggendorl's Annalen Bd. XXX[X p. 529. 2*

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des gosunden Auges nicht mehr ale um unget~.ihr 3 ,-ta.. Im vorliogenden I~'alle lag jedoeh der Aequator des Auges ill der Lidspalte. Da mir kein Ophthalmon~eter zu Ge- bole stand, so komite ieh den Kriimnmngsradius (1') des Hornhautseheitels erst naeh der Exstirpation des Auges aus dem Verh[ili.t~isse des tlornhautspiegelbildes (a)eines Fensters, gemesson vermitte.lst einer Noniuseinriehtung his auf ~/~o ram., zur Breite des Fensters (b) selbst und seiner Entf%rnung (c) vom fluge, berechnen.

b : a ' - e : x ae

x "-- -ti-' wenn wir mit x die Entfernung des

r Spiegelbildes yon dem spiegelnden Oornealseheitel = -,~

2a e bezeichnen; r ist dann --- -b--" Es ergab slch aus die-

ser Berechnung r = 7,9ram" Dieses Resultat liegt dem gew~Jhnlichen Kriimmungsradius sehr nab.

Es geht also mit BerScksichtigung der oben ange- gebene,l Durehmesser daraus hervor, (lass auch b~q den st2h'ksten Graden des allm~ilig sich bildenden Exophthal- mus durch Orbitaltumor, der Druck letzter(;s ohne Wir- kung auf den Scheitel der IIornhaut und iiberhaupt auf die ganze Form des Auges blieb, mit Ausnahmc jenes Theiles der Seleraloberfl~iche, auf welchen der Druck, resp. die Reibung I,,;i der Bewegung des Auges direkt wirkte.

Die histologisehe U'ntersuchung der versehiedenen Gewebe bestKtigt dieses :Resultat. Sowohl die Sclera als die Chorioidea war bis auf ihren hinteren Theil (na- melitlich yon der Insertion des Optieus nach aussen und oben) normal. Nut an letztcrer Stelle erwiesen sich beide I-l~iute verdickt, mit einander eng verschmolzen, nnd trugen die histologischen Anzeichen ciner chroni- schen Entziin&mg. Aueh Reste der Tenon'schen Capsel, welche der dem Tumor zugekehrten Scleral- flttche anhingen, w, ren tmgemein derb uud arm an Fett- zellcn. - - Da es aussehliesslieh auf eine Untersuehung der Netzhaut abgesehen war, so wurde das Ang, e in doppelt ehromsaurem Kali auf l~ingere Zeit der Erh~ir- tung iiberlassen.

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Die erste Erscheinung, welche nach der Eriiffnung des Auges auiP~illig war, war das Verhalten der grossen Rctinalgefiisse. Sic erhoben sich n~imlich iiber das Ni- veau tier inneren Retinalft~iche, 3hnlich den Adern eines Blattes, ohne aufthllend bluteriiillt und geschl~ingelt zu sei,~. Ilu'e Durchmesser, welehe spiiter an einer Reihe ~,on I)r~iparaten gemessen wurden, betrugen fiir das Lumen der Arteria cetitralis im Opticusstumpfe 0,115mm b Wandung ~- 0,049 '~ . .

D u r e h m e s s c r . W a n d u n g . art. cent. vor der Theiluug. =- 0 , 1 6 ram. 0 , 0 4 ram.

ram. art. cent. infer . . . . . = 0,12 ram. 0,02 ram. ran~. venae cent. infer. ~ 0,19 ,ran. 0,01 ram.

r a m . a r t . cent. super. ~ 0 , 1 3 mm. 0,015 m'. ram. venae cent. super . . ---- 0,15 ram. 0 , 0 1 ram.

An 5chnitten, welche horizontal durch dell Opticus- stumpf, seine Eintrittsstelle und s~immtliche Augen- h~iute gelegt wurden, habe ich lloch tolgende fttr die Beurtheihmg massgebenden Entibrnungen gemessen: Breitc des Optieus all seiner Eintrittsstclle = 0,7 mm. Entfernung der nicht scharf markirten Chorioidalgriinze an tier Eintrittsstelie yon der ar~. ccntralis gemessen, eiilerseits ~ 0,26 ram-, andrerseits ~ 0,28 ~m-. Dicke dcr Netzhaut in ihrer gr6ss~en St~h'k~ zuniicllst dem Op- tions 0,22 ram-, am Aeqnator 0,17 ram..

Vergleiehen wir diese Result:~te mit den yon tl. 51 ii l- le r gegebenen Werthen, so ergiebt sich, dass wit es mit einer bedeutenden Atrophic des Optieus und der ]r zu thun haben. Ueber das Zustandekommen dieser Atro- phic k6nnen wir uns bereits wn'liiuiige Reehenschaft ab- geben, wem~ wit s~immtliehe obige Augaben mit einander iz~ Verbindung bringen. Die Formvcrh~iltnisse des Auges, die Blutfiillung der Retinalgef~isse, ihre Durchmesser zeigen uns deutlieh, dass die Atrophic der Netzhaut nicht sowohl als Resultat einer dureh den Druek des Orbital- tumors behinderten Circulation, sondern vielm,,hr als Folgeerscheinung tines continuirlich auf dell Orbita[theil des Opticus selbst wirkenden Druekes zu betraehten ist. Der beste Beweis dafiir sind die gegebeneu 5Iaasse tier Opticusdicke und Ccntralgefiisse an d,q' Eintrittsstelle. Letztere fiilleu mehr a[s die II~ilfte der Opticusl)reite.

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IIierdurch sind wlr bereehtigt, den vorlicgenden Fall yon Hetinalatrophie iu seiner histo]ogischcn Be(teutung der bekannten experimentellen Sehnervendurchschneidungbei Kaninchen und FrSschen an die Seite zu stellcu. Die histo]ogische Untersuchung der Netzhaut zeigte iu ihrea verschiedenen Schichten yon irmen uaeh aussea F o r gendes :

Die inuere Obcrfl~iehe der Limitaus war vollsfflndig glatt, da jeder Querschnitt der Netzhaui: nach innen scharf contourirt crschien. We die gr6ssereu Geifissst, imme verliefeu, biidete die dem Glask6rpcr zugewandte Con- tour wellenf'drmige Ausbuchtungen nach innen, cnt- sprechend den fiber das Niveau der imiern Fl~iche her- vorragenden Oef~issen.

Die der Nervenfhserschicht zugekehrte Fl~iche der Begrfinzungshaut war cng mit dem Gewebe der Netz- haut verbunden uud liess an Querschnitten keine Con- tour erkennen. Sic ging albnfilig in die L~ingsstreifimg der zun)iehst liegenden Sehieht fiber. Diese hatte ihreu anatomisehen Charakter als Nervenfi~sersehieht verloren, indem sie im Augengrullde nieht mehr einen eoutinuir- lichen Ueberzug, soudern nur ein diinnes Netzwerk bil- dete, dessert grosse, liingliehe Masehem'fiume gegeu den Aequator des Auges verliefen.

Die l~ingsstreifigen Bfindel des ]Netzwerkes selbst zeigten die Eigensehaften des Bindegewcbes.

Es folgte dieser Schieht, welehe sieh nur in der Fl~iehenansieht markirte, in Quersehnitten aber nur einen mit der LimiOms eng verbundenen Saum darstellte, so- fort die inuere KSrnersehieht, deren Elemente sieh nur quantitativ yon den normalen uutersehieden. Derbe, pyra- midenf'6rmige yon der Limitans emporsteigende Radifir- fasern durehsetzten aid regelmfissige Unterbreehungen, wie man sie in parallel zum Aequator des Auges ge- filhrten Quersehnitten der normalen Netzhaut in der 2Nervenfasersehieht des Augengruudes lindet. Es liessen sieh fibrigens die I:~adifiriasern nur his zur Zwisehen- kSrnersehieht, angedeutet als durehsiehtiger, sehmaler Saum, verfolgen. Dureh eiae derartige huordnung eut- stand gewissermassen ein Geriist, gebildet you der Li- mitans und der, ]etzterer an 3_usseheu gleiebeu Zwisehen-

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kilrl~erschicht, die mit cinander dutch pyrmnidenFdrmige,~;ul- chert w'rbundcn waren. Normal aussehende K6rner fiill- ten die Liicken des Gerrtstes. ][ierauf folgte eine schmalc iiussere Kiirnerschicht mit wohlerhaltenen Elementen und schliesslich eim; continuirliche St~ibchensehicht, die in ih rem an~i[olnisc[l(!ll (Jharakter sieh VOll Oilier llOrIllalc, ll durchaus nichl unterschicd. Die L~inge tier St~ibchen bctrug im Augengrunde 0,055 his 0,06 ram., ihre Dicke ungetTihr 0,0016, als ?,Iitte]zahl tinct gemesscncn lleihe yon Stiibchcn, die dutch die Anzahl der sic bildenden Stiibchen dividirt wurde. Diese Messungcn stimmen mit den voa H. M S l l e r normalen Nctzhiiuten cnt,mm- mcnen Maassen genau gemlg iibercin, um die 5tiibchen- schicht des vorliegcnden Falles anatomisch normal zu llellllell. Auflhllcnd war abcr das Aussehcn und die (;disse der Zapicnrcihe. Wie die (;rundptbsten eines l'atisadenzaunes traten sic in <ler l{cihe der Stlibchen nicht ~o schr dutch ihre Lilngc al.-: ihre Dicke horror. Lctztere betrug durchschaittlich 0,01 bis 0,015 mm., also ungci)ihr dreimal st) vM, als sic II. Mi i l l e r und K i i l l i - kc r angicbi. Siimmtliche Zapfen hatt.en ihl'e schlank- gezogene Flaschenibrm aufg~=geben, wart, n unregelm~issig cylindrisch, volls0indig honmgen, stark lichtbrechend IlIld hingen t~st dcr anliegenden KSrnerschicht an, olmc dass cs mSglieh war, die Art ihrcr Vcrbindung gcnau zu cruiren. Die Fcsligkcit ihrcr Verbindung manil'estirte sich aIll Bes t cn , WPllll l~all (lilllllC Q u e r s c h n i t t e eillCS dem Acquator nilher liegendeu Iletinalstiiekes den Druek- manipulationcn mit dem Deekglilsehen aussetzte. Die Rcihe der St~ibchen, welchc zwischcn den einzehmn Zapien lag, licss sich vollstSndig cnttcrnen, tm(l man bckmn zuletzt ein l)riiparat, das als 5usserste ,Schicht elm' regelmiissigc l~eihe glcich weir entfi:'rnterZapi~n zeigte.

Ein voa dicser allgemein,,n Anordnung ganz ver- sehiedt'ncs Vt.rhaltcn zeigten <tie ,iussercn Sehiehten an jem, r Stell,~ der Netzhaut, wclehc der hinteren Abflaehung des Augapli~ls entsprach. Hier war wcder yon Stiibehen m)ch Zapfen eine Spur zu schen. Das Gewebe der Chorioidca war mit der atrol,hischen nur K6rner emhal- teuden Nctzhaut so eng verbunde.n, dass es ule mliglich war<h', (li, (~r~inzen beider zu bc~stimnlen.

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Das Pigmentepithel der Chorioidea, welches ilberall vorziiglich erhalten war und mir dadurch auffiel~ dass es bedeuteud fester der St~bchenschicht als der Glas- lamelle der Chorioidea anhing, war hier zerstSrt, und die freien Pigmentmolekiile lagen eingebettet zwischeu theils homogener, theils leicht l~ingsgestreifter, sehr resi- stenter Bindesubstanz, die an der Retinal- und Chorioi- dalscite einen gleichen Charakter zeigte. Die Glaslamelle selbst liess sich an dieser Stelle nicht als solche erken- nen, indem eben durchaus keine markirte Contour zwi- schen dem Stroma der Choroidea und Retina bestand.

Mir bleibt nur noch iibrig, des Opticusstumpfes mit einigen Worten Erw~ihnung zu thun. Aus den bereits oben angeFdhrtcn Durchmesscrn ergiebt sieh seine Ver- kfimmerung bereits durch den Vergleich mit Messungen normaler Optici. Der Inhalt der inneren Scheiden liess ausser den Centralgef~issen ein festes Bindegcwebe er- kennen, dessen Biindel an vielen Stellen durch l~ingliche, aus kleinen Fetttropfen bcstehenden Plaques getrennt wurden. Markhaltige primitive Nervenfasern liessen sich trotz der sorgf~ihigen Zerzupfimg nicht zur Evidenz bringen.

Es ist kaum niithig, diesem Thatbestandc eine Deu- tung iblgen zu lassen, da sic sich ganz yon selbst er- giebt: vollst~indige Atrophic des Opticus, respektive der 51ervenihserschicht, und das Verschwinden der Ganglien- zellen bleibt ohne Einfluss auf die S~bchenschicht, w~ih- rend mit ihr eine gewisse Ver~nderung der Zapfen coin- cidirt, welche letzteren ihren anatomischen Charakter raubt. Die St~ihchen werden nach diesem Befunde ihre hnspr~ielie auf Nervenelemente aufgeben miissen."

Dr. J u n g e .

.

Einen nach mehrs Beziehungen interessanten

Fall yon s y p h i l i t i s c h e m T u m o r an der basis cranii

g laube ich ebenfalls in extenso mittheilen zu diirfeli. Kaufmanu L., ill den Vierzigern, yon ausserhalb,

stellte sich zuerst im Novembcr 1859 in meiner Klinik vor. Derselbe zelgte alle Symptome einer rechtseitigen Liihmung des Oculomotorius, Trochlearis, Trigemiaus

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uud hbducens. Die L~ihmung in diesen 4 Nervenbahnen war durchaus complet; dem eutsprechend das obere Augeulid volls0indig gesunken, der Bulbus absolut start', die Pupilie [eicht erweitert uud immobil~ die Empfindlichkeit au{ der rechtcn tliilfte der Stirn~ dem Augenlidc, der Wange, dem Nasellflfigel, der Lippo her- unter bis fast zum Kinn autgehoben. Desgleichen war die Schleimhaut des Auges, die Cornea, die Schleimhaut der Nase, die innere Fl~iche der Wange, die Zunge, das Zahnfieisch rechterseits vollkommen unempfindlich. Ueber- all gr~inzte sich die An~isthesie genau in der Mittellinie wie an einem Thier, dem der Trigeminus durchsehuitten ist, ab. Nach oben crstreckte sie sich noch ungef~ihr 3" jenseits der oberen Stirngr~nze auf den behaartea, Theil des Koptbs aus und endigte daselbst mit einer zungenfOrmigen Gr~inzlinie wie naeh der Durchschnei- dung des Stirmiervcn. Die innerc Fl~iche der Ohr- muschel war nicht vollstiindig uuempfindlich, auch hart oberhalb des Kinns hatte eine umschriebene Stelle eineu Rest yon Empfindlichkeit behalten, was beides wohl ificht gegen die Vollstiindigkeit der L~ihmung im Tri- geminus bcweist. Die Portio minor war durehaus ",'on der Liihmuug mit betroffen, wie es sich an den ausblei- benden Kaubewegungen, dem unvollkommenen Oeffnen des Mundes (museulus mylohyoideus und vorderer Bauch des Digastrieus), an dem ungleichm~issigen, nach links herilberfahrenden Vorstreeken des Unterkiefers (museulus pterygoideus externus) zeig'te. Der Geruch auf der reehten Seite wurde yon dem Patienten als intact ange- geben. Gesehmackspriithngeu, welehe bier bei der abso- luten L~ihmung aller Trigeminus~iste wohl zu einem dog- matischen Resultat h,itten fiihren k~inncn, wurden leider nicht mit der geh~irigen Seh~irfe angestellt. Die Accom- modation war auigehoben (Unth~itigkeit des Tensor auf Gruud der Oculomotoriusl~ihmung), das Sehverm~igen herabgesetzt, doch soil dies Auge auf Grund eines be- stehenden leichten Schielens immer sehw~icher gewesen sein als das linke, was mir bei dem intakten Gesichtsfelde und Fehlen aller objeetiven Stiirungeu aueh aunehmbar ersehien, husserhalb dieser4 Nervenbahnet~ zeigten sieh im ganzen K~rper nieht die mindesten Innerwtlonsst~rungen.

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Offenbar musstc unter solchen VerhSltnissen elne umschriebene Ursaei~e an der basis cranii angcnom- men werden, welehe dutch Druck oder durch irgend welche Contiguit~itseinfliisse auf die aus dem Gehirn ausgetretenen Nervenst~imme deren Leituag aufgehoben hatte. An eine centrale Degeneration zu denken, lag kr Grund vor, da nicht blos die Geistesth~itigkeit und die Stimmung des Patienten nach allen Richtungeu hin normal geblicben waren, sondern auch nicht einc Spur hemiplektischer Schw~iehe auf der rechten K~irperh~ilfte in irgend einer Per|ode des Verlaufs zugegen gewesen war. Eine solche aber h~itte be| einem centra]en Heerde, welcher die Leitung zu den Ursprungsbczirken der vier Nerven so vollst[indig aufhob und diese in gekreuzter Riehtungparalysirte, kaum ausbleiben k~innen. Das ein- zige Symptom, worliber Patient ausser den L~ihmungen selbst noch klagtet war ein spannender Kopfischmerz, der niemals ganz fehlte, abet sieh periodisch bedeute,d steigerte, und dann, besonders Nachts, elnen kloptenden Charakter annahm. Auch dieser Sehmerz wurde von dem Patienten, wenigstens vorwaltend, an die Gegend der rechten Sch~idelbasis local|sift. Ich traf den Patien- ten, den ich inzwisehen auf me|he Klinik aufgeuommell hatte, mehrma|s be| der Abendvisite in den erw~hnten Paroxysmen, uud iiberzeugte reich, dass das Klopfeu, welches er fiihlte, mit dem P.ulsschlag synchrouiseh war. Dies einerseits und der noch hinzuzui~igende Umstand, dass sieh auf der linksseitigen Netzhaut, hart am Sehnem, en, einige kleine Apoplexieen ohne er- hebliche Sehstiirung vorfanden, erregte vorlibergehend deJt Verdaeht, es kiinne sich am eine aneurysmatische hus- dehnung der arteria profunda cerebri handeln, welehe als Ursaehe von Oculomotoriusl~ihmung bereits einige Male anatomisch nachgewiesen worden |st. Ieh hoffte in den Anamnesticis, in der Uutersuchung des'Kiirpers uud in dell Iuvantibus diesen Verdacht zu bestiitigen oder zu widerlegen. Erstere ergaben folgendes:

Patient war vor 12 Jahren yon einem syphilitischen Geschw~ire betroffen worden, gegen welches sofort eine seehswi~chentliche Kur (wie es scheint Sublimatpillen) angewandt wurde. Gegen Eade derselben hare er

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ctwas Heiserkeit und Schlingbeschwerden, jedoch nur voriibergehend, und wie dcr Arzt meinte, durch Erkiil- tung .bedingt, gehabt. Seit jener Zeit, trotz sorgf~iltiger Beobachtung, nicht die nfindesten :5ymptome VOIl Sy- philis auf der Ilaut, auf den Scillcimtl~iuten, kein Aus- thllen der Haarc, keine bemerkbarcn Driisenanschweliun- gen u. s. w., fiberhaupt das Allgemeinbetinden durchaus ungestiirt. Im Juli 1859, also 4 3Iozlatc vor der Vor- stellung, trat ,,nach einer Erkiiltung durch Zugluft" civic Taubhcit des Geffihls am rcchtcn Mundwinkel gleichze,tig mit einer driickenden Empllndung am rcchten Auge, jedoch angeblich nur f'fir einet). Zcitraum voa 8 Tagen tin, dann aber am 13. August ,,naeh eincr abermaligen Durehniissung" vollst2indigc Ullempfindliehkeit aut der ganzen reehten Gesiehtsh~ilfte. Es sehcinen, soweit die Resultate meines ExamcilS rciehen, sich siimmtliehe Ltih- mungssymptome sowohl der portio major als der portio minor des Trigeminus damals in wcnigcn Tageu ent- wiekclt zu haben. Zu diesen, welehe nunmehr unver- iindert blieben, trat erst im October die ])tosis und die Unbewegliehkeit des Bulbus allmiilig hinzu. Der go- saturate oben angegchene Synlptomencomplex solltc seit 14 Tagen seine Iltihe erreicht haben. Die Kopf~chmerzen, schon w~ihrend des ersten hnfhlls im August zugegen, hatten doch auch erst seit October einen erheblichcn Grad orreicht.

Die Untersuchung des Kilrpers bot gar keine ander- weir Anomalien, namentlich zeigte sich H e r z - u n d Gefiisssystem vollst~indig gesund. Ein stark ableitender hpparat in den crsten Tagen angewandt, Blutegel hinter das rechte ()hr, Compression der Carotis machte nicht die mindeste Erleichterung in dem Kopfschmerz, und glaubte ich somit yon dcm Verdacht ciner ancurysmati- schen Ausdehnung schon nach wenigen Tagen abstehen zu mfissen. Ich wtmdte mich der Ammhme eines syphi- litischen Ursprungs zu. W~h'c die prim:,ire Affectiou yon deutlichen Secultd~h'synTtomen gefolgt gewesen, so h~itte ich die erw~ihnte Annahme s(dbrt fiir wahrscheinlich gc- haltcn; denn ieh sehc zu viele derartigc umsehricbcne Liihmullgslormcn und gera(le in diesen Nervenbahuen, welche yon Syphilis abhangen und dnrch Anwen(hmg

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yon antisyphilifisehen Kurverfahren heilen, um nicht zu- n~ichst an diese fiir Prognose and Therapie fi'uchtbarste Causalit~it zu denken. Noch im verflossenen .Jahre habe ich zweimal die Combination einer vollst~indigen Quintus- and Abducensl~ihmung yon Syphilis ausgehend and durch Jodkali geheilt, beobachtet. Allein das Prec~ire lag bier im Fehlen, aller secund~iren Erscheinungen, wenn wir nicht die oben erw~hnte, sechs Wochen nach dem pri- m~iren Ulcus bemerkte fliichtige Halsaffeetion und eine orbsengrosse, unter dem linken Occiput jetzt nachweis- bare indurirte, schmerzlose Driise hierher rechnen wollen. Sehr bald aber bekam mein Verdacht cine positivere Basis. Nach einer drei~gigen Anwendung des Kali- jodatum (1A Draehme pro die) verschwand nicht nur der Kopfschmerz zusehends, sondern es trat im Bereieh des Nervus mentalis und des huriculo-temporalis eine zuneh- mende Empfindlichkeit wieder ein. Ieh glauhte bei die- sem raschen Effect des Mittels, der sieh durch Zuriick- gehen der An~isthesie t~igliet~ erg~inzte, meiner Sache sicher zu sein, and stellte am 4. December den Paticn|en der GesellsehaR f~r wissenschaftliehe Medizin mit derDiagnose eines syphilitischen Tumor's an der basis cranii, dessen Symptome sieh in Besserung bef~inden, vor. (Siehe alas Protocoll der Sitzung, Deutsche Klinik, Jahrgang 1860 S. 51.) Ich meinte, dass die bei dem prim~iren Ulcus sofort vorgenommene Mercurialkur bier, wie zuweilen, eine nngew~hnlich lange Latenz hervorgebracht, und dass die constitutionelle Syphilis nun gleich in tertiSrer Form an tier basis cranii sich localisirt. Einige Punkte in der Symptomatologie schienen mir damals yon besonderem ophthalmologischen Interesse.

Zun~ichst frappirte das Fehlen der sogenannten neuroparalytischen Ophthalmie, deren Anwcsenheit wir hier bei dem mehrmonatliehen Bestehen einer vollkom- menen An~isthcsie im ganzen Bereich des Trigeminus wohl h~itten erwarten miissen. Der Grand Fdr deren husbleiben schien mir gerade in der Ptosis zu liegen, vor deren Eintritt Patient einige RSthung des Auges and einige Schleimabsonderung bemerkt haben will; bei diesen Symptomen blieb es aber, und nach Eintritt der Ptosis giugen dieselben vollends zuriick. Bei

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dem grosseu Gewicht, welches ich, trotz aller gemachter Einwiirfe, aut' die Austrocknung fiir das Zustande- kommen der neuroparalytischen Ophthalmie lege, schien mir die gegebene Erkl~irung plausibel zu sein. -- Zweitens hatte ich ermittek, dass Eintr~iufelungen von Atropin in dieses huge die Pupille in derselben Zeit uud fiir dieselbe Dauer auf ihr Maximum erweiterten, wie am gesunden Auge. Filr einfache L~ihmung des Oculo- motorius ist dies bereits seit langer Zeit, so viel ich weiss zuerst yon R ue te hervorgehoben; f'dr eine gleieh- zeitige Lhhmung der beiden Nerven, die ausser dem Sympathicus bei der Pupillarbewegung in Betracht kom- men, n~imlich des Oculomotorius lind Trigeminus, ist es an Menschen noch nicht eonstatirt. Der Versuch bes~tigt die Ansicht, dass das Mittel direkt reizend auf die Sympathicusverzweigungen wirkt, wenn wir anders yon der MSglichkeit einer peripherischen Reizung der gel~ihmten Nerven selbst bei dieser Schluss- fblgeruug absehen. - - Drittens sehienen mir die Ver- hiiltnisse der Thriinenabsorption interessant. Der inhere hugenwinkel des betroffenen Auges war n~imlieh stets etwas feucht. Ein eingetrfiufeltes Coceionellainfus ver- schwand nicht in iiblicher Weise bei dem wiederholten Lidsehlag aus dem Biudehautsack. Demnach hatte ott;~u- bar die Absorption der Thdinen, trotz der intacten Facialiswirkung, gelitten, eine :Beobachtung, die f'ilr die von He nke gebildete Theorie, welche dem Trigeminus eine wesentliche Rolle hierbei zuertheilt, spricht. Eine noeh eigenthfimlichere Erseheinung war, dass das er- w~ihnte N~issen im inneren Augenwinkel sich bei Ur- sachen, die sonst Hypersecretion von Thr~inen hervor- bringen, in keiner Weise steigerte. Dass ein Tropfeu yon Opiumtinctur in den an~isthetisehen Bindehautsack eingestrichen, eben der hn~isthesie wegen: fiir die Thr~i- nenabsonderung unwirksam bleibt, ist begreiflieh; allein selbst das Weinen aus psyehischen Ursaehen pfianzte sich nicht auf' das kranke Auge fort. Es hatte sich kurz vor der Vorstellung ereignet, dass Patient yon eincm schweren Verlust in seiner Familie betroffen ward, wobei er wiihrend einiger Tage heftig weinte. Hierbei war es ihm aufgefhllen, dass nut linkerseits die Thr~inen

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iiber dic Wangen roIlten, wShrcnd rechterseits das con- thmirJiche Ni;ssen im hmeren Augenwinkel kaum in eiuer auffallcnden Weise zun,~hm. Die Liihmung des Nervus lacrymalis, dessell Erregungszustand die Absond~,rung der ThrSuen bei psychischen Affhcteu hervorruft, gab die natiirliehe Erkl'Srung fiir das immerhin sonderbare Phiinomen.

Da Patient gezwungcn war, noch im December nsch Hause zu reiscn, so rieth ich ihm nut an, das Jodkali, in tier Dose einer halben Drachme tJiglich, noch I~ingere Zeit ibrtzubrauchen. Ein grosset Ttmil der Trigeminus- ver~istelungeu hatte bercits ihre Leitung wieder aufge- nommeu. Die Kopfschmerzen waren vSllig verschwun- den. Ernilhrungszustand und Farbe des Patienten hatten sieh bede.utend gebessert, abet in den Bahnen des Ocu- lomotorius, Trochlearis, Abducens war noeh keine Lei- tung wieder eingetreten. In wieiern Patient die Verord- lmngen befolgt oder sieh sp,lter anderen Kurversuchen hingegcben hat, weiss ich nicht; denu ieh sah ihn yon jener Zeit bis zum 6. Juni 1860 nicht wieder. An die- sere Tage ersehien er ~iusserst ver~ndert in einem so traurigen Zustande, dass kaum noeh die objeetiven Syrup- tome festzustellen, geschwcige deml Unterhaltungen iiber das Duzwisehengeschehene durehzuFdhren waren. Der Halitus des Patienten und die vage Angabe, dass er an den Armen eingerieben worden, schien mir Fdr eiae kiirzlieh gebrauehte Inunetionskur zu spreehen. Das rechtseitige obere Lid konnte jetzt unvollkommen gehoben werden. Die auderen Ae.ste des reehten Oculomotorius waren noch vollkommen paralysirt, desgleiehen der Trochlearis. Der Trigeminus verhielt sieh unget'~ihr wie bei der Ent- lassung ira December, Wauge, Oberlippe und das huge selbst waren noeh vollst~indig unempflndlieh. Der hb- dueens dagegcn wieder vollkommen th~itig. Eine ziem- lich starke Conjuuetivitis mit Schleimabsonderung hatte sieh eingestellt, welehe ieh mir eben dutch das Zuriick- gehen der Ptosis bei tbrtbestehender Aniisthesie erkl~ire. H{nzugetreten sind inzwisehen, angeblieh in den letztea seehs Woehen, linksseitige L~ihmungs - Erseheinungen. Zui~3ehst sind alle yore linken Oculomotorius versorgten Mu.-keln~ inclusive des levator palpet)rae superioi'is g~l~ihmt. Die Pupille auf diesem huge sogar

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activ erweitert ,*) der Trochlearis obenfalls paralysirt, der

Trigcmimls und Abducens thai, Sehvermiigen nicht be-

stimmbar, jedenfalls nicht aufgchoben. Endlich seit acht

Tagen hat das Allgemeinbcfinden mehr und mehr gc- litteu; die Sprache ist undeutlich, z(igernd 7 hiiufig unter-

brochen. Obwohl Patient noch bei Bewusstsein ist, so tr~igt er doch dic Zilge der iiussersten hpathic, fortw~ih- render Schl~ifrigkeit. Man muss ihn zuweilen laut an- rcden, um cine Antwort zu bekommen, zuweilen aus seiuem somnolcnten, apathischcn Zustand aufHitteln. E r ist sehr blcich, l)crcits vcrthllcn, noch flcbcrfi'ci, hatte

*) So gut wit das Maximum yon Pupillarerweiterung, welches dureh die Eintr~iufelung mydriatischer LSsungen erhalten wird, nicht dutch alleinige L~hmung der Circularfasern, sondern nor durch einen Reiz- zustand in den Radialfasern erk]/iren kSnnen, so miissen wir eine ~ihn- liche Deutung auch der Pupillarerweiterung geben, welche als Symptom yon intrakraniellen Krankbeitszustiinden auftrltt. Aueh diese muss auf den Reizzustand in den sympathisehen Verbindungs~/sten an der Seh~idel- basis bezogen werden. Dass Krankheiten (z. B. Druekursaehen), welehe L~hmung cerebrospinaler Fasern hervorbrlngen, reizend auf die sym- pathisehen Fasern einwirken, hat niehts kbsonderliehes, wemr wlr an die versehiedene Erregbarkelt dieser beiden :Nervenprovinzen auch bei Experimenten denken. Ich habe die Mydriasis als abh~ingig yon Rei- zung der sympathischen Fasern jtingst (in eioem u im Yerein der Berliner Aerzte - - Medieinischc Central - Zeitung ~o. 57 pag. 456 --) mit 2 andern Symptomen zusammengestellt, welehe, so sehr sle noeh der Analyse bediirfen, doeh in derselben Riehtung zu argumentiren scheinen, nlimlieh mit einem dutch mechanische Ursaehen aieht erkl~irliehen st/irkeren Prominiren der Aagen und einem eigen- thiimlieh unphysiologisehen IIeben des obern Lides, ~ihnlieh dem wie es bei morbus B a s e d o w i i stattfindet. Aueh die durch Atropin, resp. intrakranielle Krankheiten bedingte Herabsetzung des Refraetionszustan- des unter die Gr~inze, welehe wir willkiihrlieh dureh Abspannung der Aecommodationskraft erreichen, mSehte ieh auf einen Reizzustand im sympa.thicus beziehen, dutch weleben, ~ie in der Irls, so aueh im tensor chorioideae, eigenthiimliehe durch Willkiihr nicht zu erreiehende Con- traetlonszust~nde eingeleitet werden (vgl. die letzte Arbeit yon H enke in diesem Arehiv und einen Aufsatz yon l~oth im N e w - Y o r k - J o u r - nal 185- ~ in welehem zuerst der anatomisehe Naehweis yon einer an- tagonistisehen Th.;itigkeit im tensor ehorioideae selbst angestrebt wird). Bei L'Xhmung des 0eulomotorius ist die Accommodation allerdings auf- gehoben, doeh seheint, soweit meine friiheren Bestimmungen reiehen, der Breehzustand nieht unter die physiologisehen Ausgangspunkte der Aeeommodation verringert.

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sich sogar noch die lctzten Schritte Iris in die Klinik zu Fuss geschleppt.

Ohue Zweif'el musste auf Grund der Symptome eine Ausbl'eitung des friiheren rechtseitigen Leidens auch auf die linke mittlcre Sch~idelgrube und endlich dcr Hinzu- tritt allgemcincr St(irungen in den Meningen, rcsp. dcm Gehirne selbst, angenommeu werden. In welchem Ver- h~iltniss diese zu dern urspriinglichen Leiden standen, ob sie etwa dutch Verschlu.~s yon Blutgef)issen an der Ba- sis cranii bedingt, oder einer yon dem ursprilnglichen Heerde sich verbreitenden Reizung zuzuschreiben seien, das zu bestimmen, iiberliess ich der bald zu erwartenden Obduction. Auch die Idee tines syphilitischen Ursprungs liess ich bei der Bchandlung, die jetzt nur symptomatisch sein konnte, g~inzlich fallen.

In der That schien der unglilckliche Patient durch die Reise nach Berlin seine letzten Kr~ifte ersch~ipt't zu haben. Scholl Tages nach seiner Aufimhme, a,n 7. Juni war nut dutch lautes Anschrcien das fliehende Bewusst- sein auf wenige Augenblicke zu binden, die Sprache war beinahe unverst~indlich. Patient schliift den gr~issten Theil des Tages, ab mid zu aber kommen Anf~ille yon Unmhe, so dass derselbe aus dem Bette entweichen will. Am 9. Juni tritt zu den genannten Symptomen noch eine Paralyse des rechten Arms, retentio urinae. Temperaturerhiihung und Pulsf,'equenz stellteu sich erst in den folgenden Tagen eiu. Der Sopor nahm mehr und mehr zu und starb Patient nach einer langen abet nicht qu~ilenden Agonie am 16. Juni Morgens. Zu er- w~ihnen ist noch, dass w~ihrend der letzten Lebenstage die rechtseitige Conjunctivitis sich bedeutend gesteigert, mit Chemosis und endlich mit einer oberfl~ichlichen Ver- borkung auf dem unteren fiornhautdrittheil gepaart. Eine Parese des rechten Facialis, wclche sich insensihel eingefunden und ein Offenstehen des rechten Auges w~ihrend des Schlafhs zur Folge hatte, schien diese Fogezustiinde besonders zu begiinstigen. Die yon Prof. V i r c h o w vorgenommene, auf die Sch~idelhShle be- schr~nkte Obduction ergab:

,Sch~idel diinn und leicht, zeigt nach hinten hin ziem- lich stark hervortretende inuere Atiophie, w~ihrend die

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Stirnbeine etwas verdickt sind. All dem linken befindet sieh eine kleine hanfkorngrosse Exostose. Dura mater sehr blutreich, im Sinus longitudinalis {risches Gerinsel, einige Paeehionisetm Granulationen, die innere Fl~iehe normal. I)ia mater sehr stark verdickt und weisslieil getriibt. An den vorderen zwei DrittheHen der Convexi- t~it starkes Oedem. Um die Optici herum zeigt sieh eine sehr verdickle Schicht neugebildeter Massen, die pia mater hier stark adhiirent. Die Hypophysis eerebri und carotis sinistru t~st ~erwaehsen. Wetter naeh hinten eine alte Verwachsung der Arteria basilaris mit der Ge- gend der Synehondrosis spheno-oecipitalis. An der Stelle, wo die Basilaris angcwaehsen ist, zeigeu sieh weiehe, griibliche Granulationen der Dura, unter welchen der Knochen uormal erscheint.

Rechts ist ein grosser Theil der mittlereu Sch~idel- grube mit ciner weichen, hellgrauen, unter der Dura ge- Iegenen Gesehwulstmasse eri'dllt. Deren Dicke, nur wenige Linien betrageud, erreicht ihr Maximum in der Gegend des reehten Gallglion Gasseri. I)er Knoehen selbst ist fiberall ti'ei, die Hypophyse etwas verdiehtet, zeigt in der Substanz zahh'eiche grauc, aus vielen klei- hen Herden zusammengetretene Intiltrate. Die Gesehwulst, welche nach riickw~irts sich neben dem Opticus ausbrei- tet, Oeulomotorius und Trochlearis dr~iugt, besteht aus grauezl in der Mitre kiisiggelben Massen, welche den Sinus eavernosus ganz ausfiil[en, die Carotis umgeben und stcllenweise etwas verengen. Der rechte Trigemi- nus ist mit dem Tentorium verwachsen. Dieses und der Nerv sind yon derselben grauen Masse durchsetzt. Die Gesehwulst dehnt sieh wcsentlieh mit denselben Charakteren aueh in die linke mittlere Sch~idelgrube aus, hat hier jcdoeh cinch geringen Umfang; der linke Tri- geminus und Ganglion Gasseri sind vtilllg normal; dage- gen sehiebt sieh an der ~iusseren Seite des Optieus eine riithlieh-graue Masse vor und durehdringt zum Theil den Nerven selbst. I~ d('r t)rbita ist derselbe normal, hueh linkerseits ist die Carotis mit der Gesehwulstmasse ver- waehsen, und zeigt sieh etwas eng, ihre Wandungen verdiekt. Die anstossende Gehirnpartie erseheint etwas geriithet mid weieher als normal.

Archly flit Ophthalmologle. VII. 2. 8

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Die Seitenventrikel sind m~issig welt und enthalten eine m~issige Quantifilt klarer Fllissigkeit, Ependym all einzelnen Stellen verdiekt. Velum chorioides und Plexus sehr blutreich, Zirbel und Vierhilgel ~iusserlieh normal. Starke ven6se Hyperiimie der Marksubstanz, auch starke RSt|mng der l~iudensubstanz. - - Im reehten Thalamus fast "/g" unter der Oberfl~iehe ein 3/,, tanger und fiber I/s" breiter Erweiehungsherd, aus dem sieh beim Druek eine milehige Flfissigkeit eutleert. Gegen die Commis- sura mollis hin ist derselbe etwas breiter, und zeigt hier an seiner OberflSehe mehr die tettige Erweiehung. w~ih- rend seine tieferen Sehiehten aus (idematiiseu Biude- gewebssehiehten besteheu. Das reehte Corpus striatmn ist normal, das linke etwas fleekig, an~imiseh. Der linke Thalamus zeigt niehts Abnormes, tier vierte Veutrikel m~issig welt, alas Ependym desselben etwas derb, das kleine Gehirn stark hyper~imisch, m~issig durehfeuehtet, Ports uud Medulla normal. Unmittelbar entspreehend der verdiekten Stelle des Tentorium und des Trigeminus reehter Seits sind s~immtliehe Arterien dieser Gegend sehr betriiehtlieh verengt uud in harte weissliehe Str~inge verwandelt. Beim Einblasen yon Luft zeigt sieh voll- s~ndige Versehliessung, beim Auf~ehneiden an den ent- spreehenden Stellen eine bedeutende Verdiekung der H~iute neben kleinen alten adh~irenten Tromben. Di~" Cubital- und Cervieal-Drfisen m,issig intumeseirt."

Prot: V i r e h o w , weleher den mikroskopisehen Be- fund ver[blgte, namentlieh die Masse der Gesehwulst mit der Substanz einzelner, leieht intumeseirter Lymphdrfi- sen verglieh, nahm keiuen Anstand, den Tumor f'fir s y - p h i l i t i s e h e r N a t u r zu erkl~iren.

Die frfiheren Symptome, niimlieh L~ihmung der reehtseitigen vier Nerven waren offenbar auf den ursprfingliehen umsehriebenen Krankheitsherd in der reehten mittleren Seh~idelgTube zu beziehen. Der damalige klopfende Kopi~chmerz rfihrte mSglieherweise yon dem Dmek aui die arteriellen St~imme, periodiseher Blutstauung in denselben her, m~iglieherweise war er aueh auf die bereits vorhandene Betheiligung der Me- ningen zu beziehen. Die tempor~ire Absehwellung des tumors uater dem Gebrauehe des Jodkali kSnnte naeh beiden Riehtuugen glinstig inttuirt haben. Eine sp~itere

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Ausdehnung der Geschwulst nach links hatte unserer Ver- muthung entspreehend auch dell linksseitigen Oeulomotorius und Troehlearis mit ins Bereieh der L~ihmung gezogen. Sehon die fi'iiher beobachteten Apoplexien auf der linken Netzhaut mochten dutch Compression des Sinus eaver- uosus bedingt gewesen sein. Die Entwiekelung tier Gesehwulstmasse l~ings des linken Optieus und die Durch- setzung desselben, hatte gewiss sp~iter eiue linksseitige Amblyopie zur Folge gehabt, die wegen der mangel- haften Auskiini~e des Patienten nieht mehr eruirt werden konnte. VollsOindige Amaurose war aber nieht vorhan- den gewesen. Endlich waren, vermuthlieh bedingt dureh die Einwirknng der Gesehwulstmasse auf die Gef~isse, diffuse Circulationsstiirungeu, serSse Durehfeuehimng in versehiedenen Theilen des Gehirns sowie an den Meningen und hierdureh der Tod eingeleitet worden. Der reeht- seitige Erweichungsherd im Thalamus moehte wohl sehou aus der fHiheren Periode herrlihren und latent verlaufen sein. Ob aueh dieser als direkter Ausfluss tier Syphilis zu betraehten, oder vielmehr als Folge des Eiu- flusses zu deuten sei, welchen die Gesehwulst al~ der Basis auf ,tie Gef~isse ausge~lbt, bleibe dahingestellL ob- wohl es annehmhar ist, class aueh solehe llerde yon wenlg specifiseher Physiognomie als mat erielles Substrat der Gehirnsyphilis vorkommen. Die Unter- suchung der Augen konnte nut auf eine unvollkommene Weise stattfinden.

Der Fall gieht aufs Neue einen Beleg, wie Syphilis der inueren Organe sich lange Zeit naeh einer prim~iren Ai'ieetion, ohne Vorhergang auff~illiger Seeund~irerschei- uungen entwiekeln kaun . .Die lange Latenzperiode ist der sofortigeu Mereurialbehandlung zuzusehreiben. Bei nicht mercurieller Behandlung der Syphilis habe ieh allerdings aueh Oeulomotoriusl~ihmungeu olme Dazwi- sehenkunft anderer Secundiirsymptome beobachtet, allein immer im Zeitraum you eiuern oder zwei Jahren.

7 .

Unter den w)n der I r i s ausgehenden Tumoren

erw'ahne ieh zun'aehst einer angeborenen Pigmentge-

sehwulst, welehe sich yon den in der Lileratur beschrie- �9 3"

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benen pigmentirten N~ivis dutch ihre Form und griissere Diekendimension unterschied. Sic betraf das recht,+ Auge ainer 15j~ihrigen vtillig gesunden und yon gesun- den Eltern gezeugten Patientin. Die beigegegebenell Figtn'en (s. Tar. I, 3. a und b) miigen die Verh~iltnisse ver- simdichen. Die am untern Pupillarrande anhaRende Hauptmasse der Geschwulst ist yon ovaler Gestalt, mit eitlcm horizontalen Durehmesser yon 11A ''', einem w;rti- calen yon 1'". Sic hat eine schw~irzlich braune Farbe+ vollkommen identiseh mit dem Pigmentrande der Pu- pille, aus welehem iiberhaupt die Geschwulst hervor- gegangen seheint. Die Oberfl~iehe ist iiberall glatt, die Umrisse gleiehm~issig abgerundet, keine hintere Syneehie vorhauden, so dass die Geschwulst sieh vollkommen mit tier Iris bewegt. Sie beengt den Pupillarraum nm sein unteres Segment, befindet sieh aber zum grSssten Theil vor der Iris, ragt dermassen in die vordere Kam- met hinein, dass sic beinahe die hitltere Wand der Cornea beriihrt, wie die Profilansieht, (welche unter Wasser gedaeht ist) ergiebt, husser der erw~ihntetJ Hauptmasse der Gesehwulst bemerkt man an der un- teren Peripherie der Iris noch einen sehmalen, 3'" lan- gen, I/~"' hohen Streifen, aus derselben Gesehwulst- masse gebildet. Letztere ohne Zweifel yon der Pigmentlage ausgehend, hat bier die Iris g~nzlieh durch- wachsen, so dass deren Gewebe auch bet starker Ver- grSsserung nut schwaeh angedeutet erscheint. Zwisehen der Hauptmasse der Geschwulst und diesem peripheri- s('hen Streifen ist die Iris m~issig nach vorn gedr~ngt, offenbar dutch eine an der Hinterfl~iehe liegende, die Communication bildende, flaehe Lage yon Gesehwulst- masse. Patientin hat alas ganze Uebel zut~illig vor einem Jahre bemerkt, glaubte aueh eine Zeit lang eine sliecessive Vergrilsserung wahrzunehme~L Ich ~elbst babe yon jener Zeit ab his zur heutigen Stunde die Saehlage in grSsseren Intervallen controlirt, kann aber

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Rlicht die mindeste Veriindcrung eonslatiren. Da die Sehkraft in keiner Weise gt, st~rt war, so konnte selbst- verst'andlich yon irgend einem Eingriff keine Rede seii~.

Sodann habe ich eiae yon der Iris ausgehende, lange Zeit progressive und dann beinahe gegen die Erwartung regressive Geschwulst zu citiren. Der sehr cigenthiimliche Fall betrifft das Kind eines geseh~itzten Collegen, welches zur Zeit der ersten Beobachtung noch im ersten Lebensjahr begritten war. Als ich herhei- gerufen wurde, land ieh eine m~issige diffuse Triibui~g des Kammerwassers, fleckigen Beschlag der hinteren Hornhautwand, einzelne hintere S:ynechieen, und il~m Gewebe der Iris naeh der Schliffe hin einsitzend, ziem- lich deren ganzc Breite occupirend, eine sehmutzig gelbe, beinahe halbkugelige Geschwulst, deren Scheitel t'ast die Hornhaut erreichte und mit fetzig zerfallenden Partikeln bedeckt war. Hierbei eine m~issige Injection der Ciliargef'~isse uad einen verh~ihnissmiissig gering('n Reizzustand. Ich sprach das Ganze als eine eigen- thiimliche Form yon Iritis mit umschriebener Wucherung des Stromas aa und vermuthele einen syphilitischen Ursprung urn so mehr, als ich derlei Formen, wiewot,l sehen, auch an Kindern mit lues congenita beobachtet. So wenig die Angabe des vollkommen freinS"lthi- gen Vaters reich hierin bestiirkte, so rieth ich, abge- sehen yon den Mydriaticis, Mercurialfrictionen und Calo- mel refracta dosi; allein unaui'haltsam, wenn auch lang- sam, wuchs die gelbe Geschwulst, sic erreichte die hintere Hornhautwand, drtickte sich gegen dieselbe platt, verursachte immer neue Trfibungen des Kammer- wassers mit Absetzung yon Hypopien, rief endlieh eine Ulceration und Durchbruch der Cornea hervor, trieb aueh den nicht pert'urirten Theil der Cornea prominent in die HShe und kam endlich mit schwammigen weiss- gelben, an dee Oberfl~iche einen sp~irlichen diinnen Eiter ausscheidenden Buckeln frci zu Tage. Dies Alles bei

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einem verh"-dltuissm'assig so geringen Rcizzustande, so geringer Theilnahme des Conjunetivalsacks, dass ich immer mehr und mehr den Argwohn fasste, es kiinne sich um eine b~isartige Geschwu]st handeln. Ich hielt es schon zur Feststellung der Diagnose, um (tie Frage einer etwaigen exstirpatio bulbi zu ant- seheiden, fiir erlaubt, mit der Cooper'schen Scheere einen k[einen Theil des am meisten hervor- wuchernden Knotens abzntragen, und ersuchte Hm'rn Professor V i r c h o w um die Untersuehung. Derselbe antwortete mir: ,,der k]eine rnarkige Knnten k a n n sehr wohl eine Gummigeschwulst sein, denn im Wesentlichen besteht er aus einem sehr zellenreichen und zugleich kleinzelligen Bindegewebe, in dem bier und da massen- hafte fettige Degeneration yon ganz eolostrumartigem Ansehen auitritt. Sehr zahh'eich kommen aber darin Bildungen vor, (lie in England gegenw'artig als Bestand- theile yon Myeloidgeschwiilsten betrachtet wcrden, grosse yon Unmassen yon Kernen erfiJllte Gebilde, wie sic in sareomat0sen Geschwiilsten h'aufig vorkommen, ohne specifisch zu sein. Da ich fiber Irisgeschwiilste keine Erfahrung habe, so kann ich auch keine bestimmto Entscheidung f'allen." Inzwischen wucherte die Ge- schwulst fort und tbrt. Die Cornea war zum gr0ssten Theil zerstiirt, deren Rest seitlich und zu einer iiusserst steilen Lage abgedriingt. Die fi'eie Oberfliiche der Geschwul.~t immer noch yon einer schmierig gelben Farbe ; bei einem Diameter yon 6'" moehte sic sieh bereits 2'"

iiber die natiirliehe Abgr'anzung des Bulbus erstreeken, sic war weich anzuf'fihlen, dureh etliche seiehte Ein- schniirungen in einzelne KnStchen getheilt, lieierte immer nur ein spiirliehes Secret und rief auch jetzt keine er- hebliche Reaction hervor. Die Frage der Enucleatio bulbi wurde vieliaeh ventilirt, doch schien die Beschai- fenheit des Tumor eine Exspectativo zuzulassen. Die

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Oberfl~iehe wurde init cuf)rum sulphurieum touchirt, ab und zu ein Druckverband fiber die gesehlossenen Lider angelegt. Allm~ilig sehien das Wachsthum seine H~ihe erreicht zu haben. Nachdem diese Therapie eine Zeit lang iortgesetzt, wurde aufs Neue ein abgetragenes Kniitchen dutch Professor B i l l ro th , welcher sich spe- ciell fiir den Verlauf des Falles interessirte, untersucht. l)as Resultat, 2 Monate nach der ersten Untersuchung~ lautete: ,,die exstirpirte Geschwulstmasse besteht mikros- kopisch aus einer homogenen schleimigen Grundsub- stanz, zahlreichen kleinen Zellen, die sich v~illig wie Eiterzellen verhalten, und anderen grilsseren mitvielen Ker- hen, sogenannten plaques h noyeaux multiples - - alle diese Elemente ohne .iede bestimmte Anordnung, das Gewebe yon jungen Gef~issen durchzogen. Nach meiner Erfahrung kann ich kS nut ffir eine wuchernde~ ziem- lich hoch organisirte Granulationsmasse halten, wie sie sich an vielen Stellen bildet, wo ein dauernder Reiz die Ncubildung yon Gewebsmassen unterh~ilt, oder wo innere allgemeine Ursacimn das Zustandekommen einer raschen Vernarbung verhindern". - - In der That folgte dem Stillstand allm~ilig eine Rfickbildung, so dass es end- lieh zur Schrumpfung und Vernarbung, also zu einem spontanen Ausgang in phthisis bulbi kam. Im Ri~ck- blick auf die Resultate der mikroskopischen Untersu- chung, den Krankheitsverlauf und das etwas bleiche schwammige Aussehen des Kindes, m~cbte ich das Uebel immerhin als einen dyscratischen, wenn auch nicht syphilitischen, Wucherungsprocess der Iris auf- fassen.

Ich habe frfiher (A. f. O. III. 2. pag. 412) einen Fall beschrieben, in welchem eine mit Haaren angeFfillte Balggeschwulst sich in dem Gewebe der Iris entwickelt hatte. Bei der Exstirpation musste ein Theil des Bal-

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ge~, welcher mit den Ciliartheilen lest verwachsen war, zuriickgelassen werden. Ich benutze die Gelegenheit, zu jener Krankengeschiehte, welche ich damals mit der Anzeige einer Wiederbildung tier Gesehwulst sehloss, eine Erg~inzung beizuf'~gen. Nachdem die Gesehwulst ungefiihr ihre halbe frfihere GrSsse wiedererreicht, dr~ingte sie sich gegen die hintere Hornhautwand hart heran. Es entstand yon der Beriihrungsfl~iche ausge- bend eine Ulceration mit Durchbruch nach aussen. Als ieh den Patiente~l naeh eiIler mehrmonatlichen Abwe- senheit yon Berlin wiedersah, war eine Heilung einge- treten, so gut man ~ie nut h~itte erwarten k~nnen. Hinter einer kaum 1�88 im Diameter messenden Horn- hautnarbe und mit dieser verwachsen lag der unschein- bare Rest des Balges, dessen Inhalt vollkommen ent- leert sehien. Sp~iter hat sich wohl wieder ein kleiner Ansatz yon Ausfiillung gezeigt, allein in st) unschein- barem Umi'ange, dass ich neulich nach Ablauf mehrer Jahre den Patienten fast in unver~indertem Zustand wiedersah. Offenbar ist dutch die akute Entzllndung eine vorl~iufige und vielleieht dauernda Obliteration des dermoiden Sacks herbeigeFtihrt. Die Pupille hat sich durch die bei der Perforation eingetretene umschrie- bene Iritis allerdings bedeutend ,r und gegen die Narbe hingezogen~ doeh diirite ohne Zweifel das his zum Erkennen griiberer Sehrifi herabgesetzte Seh- vermiigen durch eine Iridectomie noeh zu bessern sein.

,

Von der A d e r h a u t ausgehend hatte ich oftmals Gclegenheit die bekannt~:n For~en ,con einfachen und melanotischem Sarcomen zu beobachten. Die frliher yon mir hervorgehobene Schwierigkeit der Diag- nose, dadurch bcdingt, dass vor dem Tumor cine NetzhautablSsung sich bofindet, trat wieder mehrfach

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hervor, bioch kiirzlich wurde tblgcnder hierhcr gehii- riger Fall hotter:

Eta Herr aus Sehweden in den Mannesiahren stellte sich vor mit einer linksseitigen Erblindt,ng, zugleich mit heftigen, unauthtirlich wiederkehrenden Schmer- zen auf dem erblindeten Auge. Dem ~iussern Habitus nach zeigte dieses das Bild einer glaukomat~sen Ent- ziindung: Ausdehnung der Conjunetival- und Sub- conjunctivalvenen, aueh einige Iniection der Ciliararte- rien, die Cornea unempfindlieh, das Epithelialblatt stel- lenweis erweicht, humor aqueus diffus getr(ibt, Pupille stark und unregelm~issig erweitert, vollkommen immo- bil, Iris atrophisch und enff~irbt, bulbus sehr hart, oph- Ihalmoskopische Untersuchung wegen der Triibungen unmSglieh, heftigo, periodisch exacerbirende Ciliarneu- rose. Obwohl ieh dora begleiten(ten Arzte die Mtig- lichkeit nicht vorL~nthielt, dass t,ier die Entziindung der inneren Membranen mit Druckvermehrung lediglich eine sekundfire, sympiomatische Bedeutung haben kSnne, so wollte ieh reich doeh auf so unsieherer Basis nieht zur Exstirpation des hulbus entsehliessen, sondern vorerst w,rsuchen, dureh Pupillenbildung die Besehwerden zu beseitigen. Naeh deren Ausi~ihrung trat eine namhafie Entspanmmg des Auges ein, die Besehwerden sehwie- gen fiir eine Woehe w)llkommen, und es ergab, da der humor a(tueus sieh vollst~indig gehellt~ jetzt die ophthalmoskopische Untersuchung ein positiveres Resul- tat. IIinter dem Linsensystem zeigte sigh, mit mehren Buckeln naeh vorn abschliessend; eine ziemlich stark r,~flektirende Membran, welche mit (~iniger Miihe (bei den undemliehen Geflissfiguren) als abgel~iste Netzhaut zu erweisen war. Von nun ab hegte ich sofort den Verdaeht eines tumors, donn eine tutale trichterfSrmige Netzhautabl6sung stimmt, wenn sie einfach ist, nieht mit der Ausbildung einor glaukomatDsen Entziindung, wie ich bereits mehrfach hervorgehoben habe. Es

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pflegt bei so ausgedehnter Netzhautabliisung der bulbus weicher zu sein, namentlich aber wenn einmal secun- d/ire Iridochorioiditis eingetreten. Patient wurde auf die Wahrscheinliehkeit einer Rilekkehr der Beschwerden und die alsdann nicht zu verzSgernde Exstirpatio bulbi vor- bereitet. Diese Bef'drchtung realisirte sich sehon wenige Tage nach der Untersuchung. Spannung und Ciliarneu- rose kehrten wiedcr, die Enucleation ward vollzogen. Bei der yon Dr. S c h w e i g g e r gemachten Autopsie*) zeigto sich eine yon der hderhaut ausgehende und in derselben gebettete Gesehwulst, ~ihnlich einer friiher yon mir (s. A. i. 0. II. 1. pag. 214) und einer zweiten yon Dr. Do r (s. A. f. 0. VI. 2. pag. 244) beschriebe- nen, welche auch denselben klinischen Verlauf dar- boten. Vor der kleinen Geschwulst befand sich eine totale NetzhautablSsung, deren Contentum ledig- lich in hfimorrhagisch-serllser Fliissigkeit bestand. Die Netzhaut erreichte beinahe die hintere Linsenfl~iche, ihr grSsster Theil war wie gewiihnlich zu einem, in Rich- tung der Sehnervenaxe verlaufenden Strang zusammen- gepresst. Der Fall diente, wie gesagt, als Beleg fdr den Grundsatz, dass man bei jeder hochgradigen Netz- hautablSsung, bei welcher die intraocul~ire Spannung unter dem Bilde glaukomatSser Entzlindung zunimmt, den Verdacht einer dahinter befindlichen Geschwulst wach erhalten muss. Ob die NetzhautablSsung der Kompression der ausfdhrenden Venen durch die Ge- sehwulstmasse oder dem durch dieselbe cingeleiteten secretorisehen Reizzustande zuzuschreiben, bleibt dahin gestellt.

9. Eine yon der N e t z h a u t ausgehende Geschwulst mit

eiger~thiimlichen Habitus sah ich im verflossenen Jahre an einem 3 oder 4..j~ihrigen Kinde. Die Pupille war

*) Der "genaue Befund die~es Falles wird demn~ichst yon Herrn Dr. Schweigger mitgetheilt werden.

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his zum Maximum erweitert, der Augcnhintergrund lcucbtete nach gewissen Richtungen in der bekannten gelbschillernden Weise, nach andern warf derselbe ein ir~tensives weisses nicht schillerndes Licht zuriick. Ersterer Reflex stammte, wie Augenspiegel und schiefe Beleuchtung nachwies, yon einer abgeliisten, welt il~ die Augapfelhiihle hervorgedr/ir~gten Netzhaut, die mit einer Unzahl iSiner kaum stecknadelkol)fgrosser~ gelber, oi)aker Flecke besetzt war. Am charakteristischsten hot sich dies Ansehen nach atlssen und oben, wo die genannten Fleeke am feinsten und ia deren Zwischen- diumen die Netzhaut vollkommen frei war. Aueh ~.eigtc sich hier als Beweis einer dSnnen Fliissigkeit hinter der Netzhm~t ein excursives Flottiren tier letztern. Naeh innen und unten zu wurden die genannten Fleck- chen griisser, auch die zwischen ihnen liegende Netz- haut trfibe, weniger tremulirend, endlich gewahrte man nichts als eine weissgelbe, vollkommen opake Ge- schwulstmasse. Dieselbe ragte in den Glask6rper hinein, zeigte eine v~illig unregelm~issig fetzige Oberfl~iche; die Netzhaut war bier entweder durch die Geschwulstmasse 5berwuchert odcrviillig destruirt. Gei~isse wurden in dieser Gegend vlillig vermisst. Der Reflex war eben yon diesen Stellen sehr weiss, beinahe kreidig, so dass dersclbe, wenn das Kind das Auge nach innen trod unten drehte, bereits in Stubenl~inge auffiel. Die Spaanung des Auges schien nicht bedeutend vermehrt. Aui" der Gonjunctiva nicht die mindeste Iniectionserscheinung, iiberhaupt das Ganze ohne ieden Reizzustand des Auges eatstanden. Das Sehverm6gen selbstverst~indlich vollkommen erloschen. Ich musste unter solchen Verh~iltnissen vorwaltend ein Pseudoplasma vermuthen, obwohl die gesprenkelten Abla- gerungen auf der Netzhaut mir zuweilen die M6glichkeit eines tuberctfliisen Processes vorf'dhrtem welche An- nahme sich allenfalls auch mit dem gelbweissen Aus- sehen der nach innen und unten liegenden Hauptmasse

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der Geschwulst, mit dem Fchlcn wahrachmbar,'~r Gei~isse in derselben, und der 5,tzigen Oberfi~iche verWagen konnte. W'~hrend einer mehrmonatlichen Beoba(htung fiber- zeugte ich reich yon dem allm~iligen Wachsthum; neue gelbe Stippchen Iraten auf der abgel/Jsten Netzhaut auf, die vorhandenen wurden umfangreicher und pro- mit:enter, dem entsprechend der weisse Reflex iibor den gelbschilIernden immer mehr iiberwiegend. Aueh die Spannung des Auges ring jetzt an deutlicher zuzuneh- men und es meldeten sich ab und zu Anwandlungen yon Ciliarneurose, w~ihrend alle Iniectionsphfinome fern blieben. Unter solchen Umst~inden wurde die Enucleatio bulbi ausgefiihrt. - - Bei der Eriiffnung des Auges stellten sich die allgemeinen Verh~iltnisse der Geschwulst- masse im Wesentlichen dar, wie ieh sie mir gedaeht hatte. Der Ausgangspunkt war in der Netzhaut selbst, die 6eschwulst hatte mit diss~,mirten Herden der Re- tina angefangen, die dann allm~ilig sich vergr~issert, eonfluirt und iiber beide Fl~ichen hingewuchert waren. Entsprechend der Hauptmasse war die Netzhaut viillig zerstiirt und dehnte sich die Geschwulst bier nach hinten bis zur inneren Chorioidalfl~iche aus, weleher sie jedoch nirgends fest anhaftete. Ich hebe dies deshalb hervor, weil ieh meinen Erfahrungen nach, welche mit denen vieler Faehgenossen iibereinstimmen, den Ausgang soleher Geschwiilste yon tier Netzhaut als Ausnahme, den yon der Aderhaut als Regel betrachte. Noch mehr als der Sitz interessirte reich die Beschaffenheit der 6eschwulst. Ieh war nieht wenig erstaunt, in den klei- hen disseminirten Herden, welche der Netzhaut einge- sprengt waren, Nichts als Aggregate junger Zellen yon der Form yon Eiterkiirperchen zu finden. Gegen die Hauptmasse bin wurden die Zellen allerdings etwas vergr;Jssert, behielten aber eine ziemlich regelm~issig runde Form. Die Kerne blieben klein und racist mehr- fach, so dass auch diese Masse mehr an ein zartes

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Granulationsgewebe als an einen bSsartigen Tumor erinnerte. Die yon mir benutzten Ob]eete waren aller- dings nur der, dem Glasklirper zugewandteu Fl~iehe entnommen, da jedoch die ganze Geschwulst aus denselben weichen Massen, ungcfiihr wie iromage de Bris, constituirt zu sein, und gar kein eigentliches Ger~ist zu enthalten st:hien, so vermuthete ieh, dass auch di(, tieferen Theile eine ~ihnliche histologische Beschaffen- heit zeigcn wlirden. Jedenfalls wollte i(h hei so uner- warteten Ergebnissen die Untersuchung competenteren H~inden anvertrauen und wandte mich aufs Neue zur Autorit~it des Herrn ProfessorVirchow. Von demselben erhielt ich folgendeu Beseheid: ,,Der gestrige Tumor scheint doch maligner Natur zu seiu; allerdings finder man in grSsseren Strecken, namentlich gegen die Glas- kSrperfl~iehe zu fast ganz eitrige Elemente (relativ kleine runde Zellen mit einem und mehren kleinen, pigmen- tirten Kernen auch wohl in der Fettmetamorphose). Allein ie tiefer man kommt, um so grSsser werden Zellen und Kerne, und wenn man vorn das Ganze als blosses Granulationsgewebe bezeichnen kSnnte, so ist dies doch in der Tiefe nicht mehr mSglieh. Hier er- reichen die Kerne die Gr~isse yon Eiterk(irperchen. Da nun auch Gefiisse in das Ding eingehen und die zel- lige Masse sehr gleichm':issig in eine schwache schmie- rige Grundsubstanz eingesetzt ist, so spreche ich die Bildung als ein /iusserst w~iches Medullar-Sarcom an."

Ich glaubte den Fall theils wegen des eigenthlim- lichen Aussehens so zahlreicher in die Netzhaut einge- spreng'ter Herde, theils wegen des Ausgangspunktes you der Netzhaut, theils wegen der diagnostischen Schwie- rigkeiten selbst nach er0fl'netem Auge anFdhren zu diirfen. Die histologische Eigenthiimlichkeit dieser Ge- schwulst mahnt aufs Neue zur Vorsicht bei Schliissen, welche aus einzelnen Theilen yon Tumoren z. B. bei

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probatorisehen Punktionen und partiellen Abtraguugen gezogen werden. Offenbar hiitte bei tier Untersuehung einzelner disseminirter Heerde auf der Netzhaut kein Menseh die Annahme eines Medullarsarcoms begrlin- den k~nnen.

Endlich muss ich gerade des Gegensatzes wegcn hier eines Falles ausmeiner Klinik gedenken, dessen Mittheihmg bereits im vet. Bande des Archives durch Dr. S e h w e i g- g e t erfolgt ist, in welchem man desto eher an eine bSsartige Geschwulst denken konnte, als neben den i'lbrigen Symptomen bereits partielle Ektasie des bulbus sieh zu bilden angefangen hatte. Auch dieser Fall betraf einen Ktmben im Alter yon 5 Jahren; die Iris bis auf ein,en schmalen Saum zuHickgezogen, atrophiseh, Linse noeh durchs~chtig; dahinter in geringem Abstande die nur stellenweise tremulirende abgelgSste Netzhaut, deren gute Durehsiehtigkeit es ermSglicht, die Ober- fl'ache eines hinter ihr lagernden tumors ziemlieh genau zu gewahren. Es zeigen sich als Quell des intensiv weissen Reflexes, welcher schon yon Weitem das Uebel bekundet, drei Buckel, der eine nach unten, der anderc naeh innen, der dritte gr~.~sste und opakste nach aussen und oben; alle drei stossen gegen die Sehnervenaxe ziemlieh eng an einander. An einer Stelle schien die weisse Oberflilche hart hinter der abgelSsten Netzhaut vielleicht in Verbindung mit derselben, wenigstens konnte hier nieht die mindeste Verschiebung constatirt werden. Wie dick die Geschwulstmassen, war nicht zu be- stimmen. Sparer am ausgeschnittenen Auge zeigte sich, dass sie beinahe iiberall gut zu durehleuehten waren und deshalb entweder nicht sehr m~ichtig oder yon nicht sehr opaker Substanz eonstituirt sein mussten. Oberhalb der Cornea befand sich ein 3 ~'' hreites noeh ziemlich flaches Ciliarstaphylom. Am meisten Wahrseheinlichkeit schien mir f~ir die Annahme eines Sarcoms oder Carcinoms,

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welches sich yon tier inneren Aderhautfl~iehe entwiekle und yon Netzhautabl~isung begleitet sei.

Die Untersuehung des Dr. S c h w e i g g e r ergab, dass es sich um eine eigenthiimliehe Degeneration der Netzhaut, insonderheit um eine Wucherung der fiusseren K(irnerlage, ia keiner Weise um eine bilsartige Ge- schwulst handelte. Die Wucherung ging gerade yon dem hinteren, l~ings der Sehnervenaxe zu einem Strange zusammengefalteten Theil der Netzhaut aus, in den subretinalen Raum hinein und musste deshalb dutch den peripheren Theil der Netzhaut, der quer hinter der Linse ausgespannt war, zu Gesichte kommen.

Eine ~ihniiche Geschwulst aus der S iche l ' schen Klinik ist yon Robin beobachtet worden.*) Ich ver- weise in Betreff der Details durchaus auf die Abhand- lung des Dr. S c h w e i g g e r (A. f. O. Bd. VI. 2. peg. 323), dessen instructive Prliparate in der histologischen Sammlung unserer Klinik aufbewahrt sind.

Offenbar indieiren derlei Geschwiilste ebenfalls die Enueleation des bulbus. Wenn in dieser Riicksicht die Abgr~inzung der Diagnose praktisch nicht unbedingt vonnSthen ist, so wird sic zur Fixirung der Prognose nm so dringender u n d e s muss demnach eine .iede Ge- sehwt,lstform, die in diese Klasse geh~iren kSnnte, nach der Operation auf das Genaueste analysirt werden.

*) Siehe S i e h e l ' s Iconographie Liv. 18. peg. 585. Aus eiaer direkten Mittheilung yon R oh in weiss ich~ dass derselbe noch einem analogen Fall, der, sovieI ieh weiss, nieht publieirt worden , beobaehtet hat.