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(Aus dem Klinischen Institut der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] in Miinchen und der Psychiatrischen Abteilung des st~dt. Krankenhauses Mtinchen-Schwabing [Prof. Dr. Kurt Schneider].) Zur Differentialdiagnose der symptomatisehen Psychosen. Von K. F. Scheid. Mit 4 Textabbildungen. (F, ingegangen am 7. M~irz 1938.). Die scharfe Umgrenzung der symptomatischen Psychosen ist bei der heutigen Lage der klinischen Psychiatrie in besonderem MaBe notwendig geworden, weft in jiingster Zeit auch bei schizophrenen Erkrankungen tiefgreifende k6rperliche StSrungen gefunden worden sind (Gjessing, Jahn und G'reving, K. F. ,.~cheid u. a.). Der vorliegende Aufsatz mSehte differentialdiagnostische Richtlinien herausarbeiten, die zu ihrer Ab- grenzung yon akuten schizophrenen Erkrankungen erforderlich sind. Dies soll unter vorwiegend sonu~tologischen Gesichtspunkten und in enger Anlehnung an innere Medizin und allgemeine Pathologie erfolgen. Ein solcher Versuch ist in mancher Hinsicht neuartig, er kann deswegen nur zu vorl~ufigen Ergebnissen kommen. Wir k5nnen aber hoffen, weitere Forschungen in der erw~hnten Richtung anzuregen. Wir verstehen unter symTtomatischen I Psychosen die psychotischen St6rungen, die syndromal mit einer der belcannten K~'ankheiten der speziellen Pathologie verkniip]t sind und infolgedesseu in enger zeitlicher Beziehung zum Verlau/ des Grundleidens stehen. Es ist zun~chst zu erSrtern, inwieweit die Diagnose einer sympto- matischen Psychose auf Grund des Tsychischen Bildes allein mSglich ist. Die Zeiten, in denen man nicht nur die Grundkrankheit, sondern sogar die ~tiologie aus dem psychopathologisehen Syndrom ablesen zu kSnnen glaubte, sind ls voriiber. Bonhoe//er hat seinerzeit gegen Kraepelin die Meinung vertreten, dab das psyehische Bild hSehstens fiir eine Gruppe von ,,Seh~lliehkeiten", n~mlich fiir ~uBere Ursachen iiberhaupt, spezifisch sei. Sp~ter ist dann immer deutlicher geworden, dab einerseits schizo- phrene (katatone) Symptome auch bei symptomatischen Psychosen vor- kommen kSnnen und dai~ andererseits auch die .BonhoeHerschen Pr~- dilektionstypen im Verlaufe akuter Schizophrenien gelegentlich beobachtet 1 Begrifflich ist das Wort ,,symptomatisch" scharf yon dem oft synonym ge- brauchten Terminus,,exogen" zu trennen. Exogen heil]t vorwiegend umweltbedingt. Die akute Porphyrie z. B. ist zwar eine erbliche Krankheit (Waldenstr6m), die bei ihr auftretenden Psychosen gehSren jedoch zu den symptomatischen, ihr psycho- pathologisches Bild entspricht den Pradilektionstypen JBonhoe/]ers.

Zur Differentialdiagnose der symptomatischen Psychosen

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Page 1: Zur Differentialdiagnose der symptomatischen Psychosen

(Aus dem Klinischen Institut der Deutschen Forschungsanstalt fiir Psychiatrie [Kaiser Wilhelm-Institut] in Miinchen und der Psychiatrischen Abteilung des

st~dt. Krankenhauses Mtinchen-Schwabing [Prof. Dr. Kurt Schneider].)

Zur Differentialdiagnose der symptomatisehen Psychosen.

Von K. F. Scheid.

Mit 4 Textabbildungen. (F, ingegangen am 7. M~irz 1938.).

Die scharfe Umgrenzung der symptomatischen Psychosen ist bei der heut igen Lage der klinischen Psychiatr ie in besonderem MaBe notwendig geworden, weft in jiingster Zeit auch bei schizophrenen Erkrankungen tiefgreifende k6rperliche StSrungen gefunden worden sind (Gjessing, Jahn und G'reving, K. F. ,.~cheid u. a.). Der vorliegende Aufsatz mSehte differentialdiagnostische Richtlinien herausarbei ten, die zu ihrer Ab- grenzung yon akuten schizophrenen Erk rankungen erforderlich sind. Dies soll unter vorwiegend sonu~tologischen Gesichtspunkten und in enger Anlehnung an innere Medizin und allgemeine Pathologie erfolgen. Ein solcher Versuch ist in mancher Hinsicht neuartig, er kann deswegen nur zu vorl~ufigen Ergebnissen kommen. Wir k5nnen aber hoffen, weitere Forschungen in der erw~hnten Rich tung anzuregen.

Wir verstehen unter symTtomatischen I Psychosen die psychotischen St6rungen, die syndromal mit einer der belcannten K~'ankheiten der speziellen Pathologie verkniip]t sind und infolgedesseu in enger zeitlicher Beziehung zum Verlau/ des Grundleidens stehen.

Es ist zun~chst zu erSrtern, inwieweit die Diagnose einer sympto- mat ischen Psychose auf Grund des Tsychischen Bildes allein mSglich ist. Die Zeiten, in denen man nicht nur die Grundkrankhei t , sondern sogar die ~tiologie aus dem psychopathologisehen Syndrom ablesen zu kSnnen glaubte, sind ls voriiber. Bonhoe//er ha t seinerzeit gegen Kraepelin die Meinung vertreten, dab das psyehische Bild hSehstens fiir eine Gruppe von , ,Seh~lliehkeiten", n~mlich fiir ~uBere Ursachen i iberhaupt, spezifisch sei. Sp~ter ist dann immer deutlicher geworden, dab einerseits schizo- phrene (katatone) Symptome auch bei symptomat i schen Psychosen vor- k o m m e n kSnnen und dai~ andererseits auch die .BonhoeHerschen Pr~- dilekt ionstypen im Verlaufe akuter Schizophrenien gelegentlich beobachte t

1 Begrifflich ist das Wort ,,symptomatisch" scharf yon dem oft synonym ge- brauchten Terminus,,exogen" zu trennen. Exogen heil]t vorwiegend umweltbedingt. Die akute Porphyrie z. B. ist zwar eine erbliche Krankheit (Waldenstr6m), die bei ihr auftretenden Psychosen gehSren jedoch zu den symptomatischen, ihr psycho- pathologisches Bild entspricht den Pradilektionstypen JBonhoe/]ers.

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werden. Ich selbst konnte zu dieser Frage ein besonders eindrueks- volles Beispiel bringen, n~mlich, das im Verlauf yon sieheren schizo- phrenen Prozessen auftretende ]ebril-cyanotische Syndrom. ]~[ier handelt es sich um eine schwere komatSse BewuBtseinstriibung, die ohne weiteres ins Auge springend ist. Hinzu kommt noch, daft zwischen den akuten schizophrenen Syndromen und den Bonhoe//erschen Prfi~lilektionstypen keine scharfe Differentialdiagnose mSg]ich ist. VieLmehr handelt es sieh um typologisch verschiedene Zustandsbilder mit allen ~berg~ngen zwischen beiden Typen (K. Schneider). Fiir die Diagnose einer symptomatischen Psychose ist also das psychopathologische Zustandsbild nur mit grol~er Einschr~nkung zu verwerten. Sie daft niemals vorwiegend mit Ergeb- nissen der psychopathologischen Untersuchung, etwa mit dem Vorhanden- sein einer Bewul3tseinstriibung, begr'findet werden. Es gilt hier also der gteiche Grundsatz, wie er fiir die Bewertung psychopathologischer Syndrome in der Neurologie, insbesondere der Hirntumordiagnostik mafl- gebend ist. Handelt es sich um verhs charakteristische Bilder, so wird man das psychopathologische Syndrom zur Diagnosenstellung selbstverstitndlich heranziehen. Indessen kommen derartige eindeutige Fs hitufiger dem Internisten zu Gesicht. Schwere symptomatische Psychosen, die psychiatrische Spezialpflege Und -behandlung erfordern, lassen sich auf diese Weise zumeist nicht kl~ren, da paranoid-halluzina- torische, inkohs oder hyperkinetische Bilder iiberwiegen.

Es ist weiter zu fragen, welche Kriterien der psychische Verlau] fiir die Diagnose einer symptomatischen Psychose ergibt. Unabh~ngig yon dem Standpunkt, den man bezfiglich der Nosologie schizopbrener Er- krankungen einnimmt, wird man ohne weiteres zugeben miissen, dab die psychopathologische Hei]ung keinen absoluten MaBstab ftir eine sympto- matische Psychose darstellt; denn es gibt zweifellos vori~ergehende, heil- bare Psychosen bei unbekanntem Grundleiden. Dieses Grundleiden kann sogar, wie wir weiter unten sehen werden, zu erheblichen und tief- greifenden kSrperlichen StSrungen ffihren. Immerhin sprechen um- gekehrt ausgesprochene psychische Defekte natiirlich gegen das Vor- handensein einer symptomatischen Psychose, da mit sptirlichen Aus- nahmen bei symptomatischen Psychosen praktisch kaum jemals Defekt- zust~nde beobachtet werden.

Zusammenfassend l~13t sich also sagen, dab yon den nieht allzu h~ufigen typischen F&llen abgesehen, weder aus dem psychopatholo- gischen Zustandsbild noch aus dem psychischen Verlauf allein die Dia- gnose einer symptomatischen Psychose gestellt werden sollte. Eine grei/- bare IcSrperliche St6rung muff in einer somatisch orientierten klinischen Psychiatrie /iir die medizinische Diagnose immer mehr Gewicht haben als die StruIctur des psychopathologischen Syndroms.

Die k6rperliche Diagnostilc der den symptomatischen Psychosen zu- grunde liegenden Grundkrankheiten ist in der Mehrzahl der F~lle nieht

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einfach. Sie ist heute noch wesentlich schwerer geworden als frfiher durch die Tatsache, dab es auch bei schizophrenen Erkrankungen in gewissen Zeiten zu somatischen StSrungen yon erheblichem AusmaB kommen kann (febrile Episoden). Die Gewohnheitsregel, dab sich bei den symptoma- tischen Psychosen ein kSrperlicher Befund erheben lasse, bei den schizo- phrenen jedoch nicht, kann heute in dieser ~ormulierung nicht mehr aufrecht erhalten werden (Abb. 3). So gibt etwa das Vorhandensein yon Fieber durchaus kein Kriterium ffir die Differentialdiagnose Schizo- phrenie und symptomatische Psychose. Wenigstens gilt dies fiir die akuten oder wieder akut gewordenen Formen. Die w&hrend der bei den febrilen Episoden schizophrener Psychosen bestehenden somatischen Befunde lassen sich vorerst nur in Form eines Syndroms [gesteigerter Blutzerfall, unspezifische Reaktion yon seiten des Organismus (K. F. Scheid)] zu- sammenfassen. Die Einordnung dieses Syndroms in eines der bekannten Krankheitsbilder der allgemeinen Pathologie ist bisher noch nicht mSg- lich. Es fehlt uns also gewissermal~en das Achsensymptom des ganzen Komplexes. Gerade diese Tatsache mul~ abet die kSrperliche Diagnostik der symptomatischen Psychosen beriicksichtigen, indem sie sich in aller- erster Linie auf die fiir die Grundkra~kheit charakteristische somatische Erscheinung stiitzt, etwa auf den Urinbefund bei der Pyelitis, die Lungen- infiltration mit ihren Folgen bei der croup5sen Pneumonie, den Bakterien- nachweis beim Typhus usw. Es wird hoffentlich in Zukunft einmal mSglich werden, auch fiir die schizophrenen Psychosen oder wenigstens fiir die febrilen Episoden Schizophrener ein kennzeichnendes bzw. spezi- fisches somatisches Achsensymptom zu linden. Dann wird auch die Unterscheidung zwischen symptomatischer Psychose und Schizophrenie wieder wesentlich leichter sein als heute.

Fiir die Differentialdiagnose einer symptomatischen Psychose ist also eine genaue Kenntnis der bei febrilen schizophrenen Episoden vor- kommenden kSrperlichen Erscheinungen notwendig. Sie seien im fol- genden im einzelnen skizziert. Es soll dabei besonderer Wert auf die Frage gelegt werden, welche Bedeutung den Allgemeinreaktionen von seiten des Organismus fiir die Unterscheidung beizumessen ist.

Das Fieber erw~hnten wir bereits. Die HShe der Temperatur kann bei den febrilen Einlagen Schizophrener erheblich sein, 40 ~ und mehr sind nicht ganz ungewShnlich (Abb. 3). Eine charakteristische Fieber- kurve, deren Aufstellung etwa bei Infektionskrankheiten mSglich ist, findet sich bei den febrilen Episoden kaum. Tmmerhin werden bestimmte Kurventypen nicht beobachtet, so etwa die septischen remittierend inter- mittierenden Fieberzacken (vgl. Abb. 1). Der Puls bietet ebenfalls nicht allzu viele differentialdiagnostische Anhaltspunkte. Erhebliche Tachy- kardien bei weichem und ffequentem Puls und geringer systolisch- diastolischer Druckdifferenz kommen vor allem auch beim febril-cyano- tischen Syndrom vor.

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Die Blutlc~rperchensenkungsgeschwindigkeit is~ zu Beginn der febrilen Episoden zumeist verkiirzt, sparer besehleunigt, und zwar oft erheblich. Werte yon 30 : 60 mm nach Westergreen sind nicht ungewShnlieh. Da- gegen sprechen sehr hohe Zahlen (fiber 100 mm und mehr in der zweiten Stunde) gegen eine febrile Episode. Weiterhin ist, mit Vorsicht allerdings, der rasche Riickgang der Senkung bei den febrilen Einlagen der Schizo- phrenie zu verwerten, w~hrend z .B . nach Abklingen einer Angina die Stabilit~t des Plasmas noch lange Zeit erniedrigt ist.

])as weifle Blutbild hat ftir die Differentialdiagnose entziindlicher Prozesse im weitesten Sinne des Wortes gegeniiber febrilen Episoden Schizophrener dagegen besondere Bedeutung. Bei den letzteren finder sich eine fast immer nur sehr m~l~ige Leukoeytose, die auch bei hoeh- febrilen sehizophrenen Schiiben allerhSchstens Ziffern von 10000 bis 12000 erreicht. Lediglieh bei febril-cyanotischen Episoden liegefi die Zahlen etwas dariiber. Im allgemeinen sprechen aber Werte yon iiber 12000--15000 gege~ die Diagnose einer unkomplizierten febrilen Episode (Tabelle 1--3). Im Differentialbild finder sich wi~hrend der febrilen Sehiibe eine deutliehe Neutrophilie 1 mit relativer Lymphopenie (Tabelle 3 und 4), niemals abet eine st~irkere Vermehrung der Stabkernigen, gelegent- lich sind die Monocyten oder Eosinophile etwas zahlreieher als normal, ohne aber sicher verwertbar pathologische Zahlen zu erreichen. Naeh Abklingen der Episode kommt es zu einer Leukopenie mit re la t iver Lymphocytose. Die drei yon Schilling aufgestellten Fhasen (neutrophile Kampfphase, monocyt~re l~berwindungsphase, eosinophil-lymphocyt~re Heilungsphase) sind also nicht besonders ausgepr~gt. Ganz im Gegensatz dazu stehen die Befunde bei eitrigen Infekten (TabeUe 2), bei denen das AusmaB insbesondere der Linksverschiebung ungleich grSl3er ist.

Im roten Blutbild kommt es bei febrilen Episoden zu einem Wechsel zwischen Erythrocytose zu Beginn und - - immer leiehter - - An~mie am Ende des Sehubes, iibrigens fast immer sehr kurzdauernde Ersehei- nungen, die differentialdiagnostisch allerdings keine wesentliehe Rolle spielen, da sieh derar t ige Befunde als ,,symptomatische Ery throey tose und infektiSse An~mie" auch bei den Infektionskrankheiten zeigen. St~rkere An~mien, wie etwa bei Fall 1, werden bei Schizophrenien nicht beobachtet, da der Organismus auf den erhShten Blutabbau offenbar mit einer Verkleinerung der zirkulierenden Blutmenge, nicht aber mit einer st~rkeren An~mie an twor te t (K. F. Scheid, bisher unverSffentlicht). Die t~eticulocytenwerte bewegen sieh bei febrilen Episoden um die obere Grenze der Norm. Selten seheinen erheblichere Vermehrungen vor- zukommen (Jahn und Grev/ng).

1 I)er Ausdruck ,,Erregungsleukocytose" (Wuth) oder Erregungsblutbild ist zu vermeiden, da der Begriff Erregung unbestimmt und vicldeutig ist; derartige Kranke sind, was die vonihnen geleistete Muskelarbeit anlangt, keineswegs mit Sport- lern zu vergleichen.

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Ob der bei febrilen Episoden von uns beobachtete braune Harn/arb. stoff spgter einmal einen differentialdi~gnostisehen Wert bekommen wird, ist heute noeh nieht abzusehen. Der Urinbe/und ist bei-febrilen Episoden meist vSllig negativ; leichte Albuminurien mit vereinzelten hyalinen- oder auch seltener granulierten Zylindern kommen vor. Der Rest-N bewegt sieh bei febrilen Episoden, aueh bei den febril-eyanotischen Ein- lagen immer innerhalb der Norm. Lediglieh kurz vor dem Tod gibt es, wie bei allen iibrigen Krankheiten, einen Anstieg der Zahlen, der nicht verwertbar ist.

Die physikalische Untersuchung der Brustorgane ist bei sympto- matischen Psychosen und aueh bei Sehizophrenen oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Die Perkussion miBlingt nicht selten, da- gegen kann man bei einigem Gesehick fast meist auskultatorisch unter- suchen. Die R6ntgenuntersuchung kann dagegen immer im Evipan- rauseh ausgeffihrt werden. Leiehte physikalische Befunde werden yore internistisch nieht vorgebildeten Psychiater erfahrungsgems welt iiber- schgtzt und dann die beliebte Diagnose der ~neumonie, besonders gern als ,,zentrale Pneumonie" gestellt, vor allem beim t6dlich febril-cyano- tischen Syndrom, das, wenig bekannt, als Pneumonie oder auch Sepsis fehldiagnostiziert wird. Diese Fehldiagnosen liegen an der psycho- logisehen Einstellung des untersuehers, der sieh bei Unkenntnis dieser Zustgnde an die geringftigigen Befunde, die er ,,finder", hMt. Die Sektion ergibt dann aber h6ehstens eine agonal bedingte Bronchopneumonie, die keineswegs den Tod der meist jugendlichen Kranken verursacht hat. Von einer Krupp6sen oder Grippepneumonie unterseheiden sich diese Zust~nde sehon rein guBerlich dureh das Fehlen der Dyspnoe, die den 1)neumonien ein so charakteristisches Geprgge verleiht. Dagegen kommt wieder die Cyanose der Lippen und des Gesichts auch bei febril-eyano- tischen Episoden vor.

Odeme sind bei febrilen Episoden selten. Sie werden nur bei bestimmten Formen des katatonen Stupors beobachtet, der differentialdiagnostisch keine besonderen Sehwierigkeiten macht. Eine Mimorrhagische Diathese kann sich auch bei febrilen Episoden linden. Sie ist mitunter so aus- gepr~gt, da~ ohne traumatische Einwirkung ganz erhebliehe Haut- blutungen entstehen.

Der Nachweis einer der bekannten Kra~kheiten der spezielle~ Patho- logie bei einer psychotischen St6rung erlaubt es noch nicht, die Diagnose einer symptomatischen Psychose zu stellen. Vielmehr haben wir noch einen zweiten Gesichtspunkt zu bertieksiehtigen, ns die zeitlichen Beziehungen zwischen der Entwicklung des Grundleidens und dem Ablau/ der psychischen St6rungen. Ohne genaue und tggliehe Beobaehtung des psychischen Status und ohne den fortgesetzten Vergleich des kSrperlichen mit dem psychopathologischen Geschehen ist es nach unserer Meinung nieht mSglich, eine eindeutige differentialdiagnostische Entscheidung zu

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treffen, da die Verh/~ltnisse recht verwickelt liegen. Denn die Beziehungen zwischen einem nachgewiesenen inneren Leiden and einer Psychose kSnnen dreifacher Art sein.

1. Es handelt sieh um die Begleitkrankheit einer Psyehose, d. h. das kSrperliehe Leiden hat unmittelbar mit der psychisehen StSrung niehts zu tun, es ist nosologisch unabh/~ngig yon ihr. Ein banales Beispiel w/~re etwa die Angina bei einem Schizophrenen (Tabelle 3). In vielen F/~llen verlaufen dann auch zeitlich beide Krankheitsprozesse vSllig unabhs voneinander. Nach alter psyehiatrischer Erfahrung gibt es jedoch noch eine andere MSglichkeit. Bekanntlich werden sehizophrene Erkrankungen zumal durch /ieberha/te Begleitleiden vorfibergehend gebessert. Es liegt also hier zweifellos eine Wechselwirkung zweier grunds/~tzlich voneinander unabh/~ngiger Krankheitsprozesse vor. Mit Gjessing bezeichnen wir diese Erseheinung als Inter]erenz. Ein gel/~ufiges Beispiel einer Interferenz aus der inneren Medizin ist die ver/inderte Kohlehydrattoleranz des Diabe- tikers bei Infekten. Selbstversti~ndlich gibt es ebenso eine Interferenz ,,irn negativen Sinne", jedoeh scheint dies bei Schizophrenen nur zu Beginn, als AuslSsung (s. u.), hs zu sein. Immerhin beobaehtete Seelert delirante Einlagen in schizophrenen Verl~ufen, werm sie an eitrigen Kornplikationen erkrankten. Wit selbst sahen jfingst das Auftreten eines akuten halluzinatorischen Brides bei einem katatonen Endzustand w~hrend einer pulmonalen tuberkul6sen Aussaat. Besonders interessant, aber vorerst noch nicht deutbar, sind die Beobachtungen yon Gjessing fiber die Interferenz zwischen schizophrenern ProzeB and fokalen Infekten. Nach diesen sorgf~ltigen und sich fiber Jahre erstreckenden Unter- suchungen seheint der Verlauf periodischer Sehizophrenien unregel- rn~l]iger und ungiinstiger zu sein, wenn sie rnit fokalen Herden komp]iziert sind. Im allgerneinen gilt aber auch heute noch die Regel, dab wenigstens schwere Infekte, vielleicht mit Ausnahrne der Tuberkulose eine vorfiber- gehend giinstige Wirkung auf schizophrene Psychosen ausfiben. Bei Au/hellung des psychopathologischen Bildes im Fieber wird man zund, chst immer an eine Begleitkrankheit denken miissen. Dies steht im schroffen Gegensatz zu dern Verhalten der Schizophrenen w~hrend der febrilen Episoden (Abb. 3). Hier steigt die Temperatur gerade parallel mit der Verschlechterung des psychopathologischen Bildes irn Sinne eines akuter Werdens an. Akute schizophrene Syndrome finden wir also bei den hSchsten Temperaturen.

Besonders schwierig wird die Frage, ob eine Begleit- oder eine Grund- krankheit vorliegt, wenn es sich urn chronische interne Leiden handelt und schon aus zeitlichen Griinden die Beobaehtung der Parallelit~t zwi- schen Soma and Psyche ersehwert ist: handelt es sich etwa um den Herzfehler eines Schizophrenen oder urn eine symptornatisehe Psyehose bei einer Herzerkrankung? In solehen F~llen hilft dann nut die sehr sorgf~tltige pathologisch-physiologische Untersuehung mit t~glicher

Z . f . d . g . Near. u. Psych, 162, 38

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Protokollierung des kSrperlichen und auch des psychisehen Status weiter. Finder sich hier z. B. eine Parallelit/~t etwa in dem Sinn, dab bei sinkender Diurese psychische StSrungen auftreten, so wird man an eine sympto- matische Psychose denken. Bei vSlliger Kompensat ion werden dann die psychisehen StSrungen verschwinden. Besonders schwierig liegen die Verh/~ltnisse bei den An/~mien, sowohl bei sekund/s und hypochromen, besonders aber be$ der perniciSsen An~mie. Was die letztere anlangt, so t re ten hier mitunter Psychosen gerade in der Remission auf, um mit sinkender Erythroeytenzahl und steigendem F/~rbeindex wieder zu ver- sehwinden. Die perniziSse An/~mie scheint also nieht selten umgekehrte Verh/~ltnisse, als wir sie sonst in der Beziehung Grundkrankhei t und symptomatischer Psyehose zu sehen gewohnt sind, zu zeigen. Der Grund hierffir ist selbstverst/~ndlich der, dab eine mit Leber behandelte perniziSse An/~mie nicht ,,geheilt", sondern ohne greifbare Symptome yon seiten des roten Blutbildes noch vorhanden ist; es sei nur an die nach Leber- behandlung fortbestehende gastrisehe Achylie erinnert. Bei manchen ehronischen internen Erkrankungen wird iibrigens die Frage: sympto- matisehe Psychose oder Schizophrenie fiberhaupt nicht 15sbar sein.

2. Die Beziehungen zwischen Krankhei t und Psyehose sind noch in einer zweiten Weise mSglich: es besteht zwar ein greifbares internes Leiden, zu dessen Beginn oder in dessen Verlauf eine Psyehose einsetzt, die aber naeh Abklingen der internen Erkrankung, mithin vSllig un- abh/~ngig von dieser weiterverl~uft. Wir sprechen hier bekanntlich von Ausl6sung. Die Auslfsung ist ein Spezialfall der Xnterferenz: zwei noso- logisch voneinander unabh/~ngige Leiden interferieren in dem Sinn, dab die internistisch bekannte Kra~khei t eine auf einem unbekannten Mor- bus beruhende Psychose in Gang setzt. Wir beobachteten z. B. jfingst einen 30j~hrigen Mann, der im Verlauf eines hochfieberhaften Erysipels an einem Verwirrtheitszustand erkrankte. ])as Erysipel ]clang nach wenigen Tagen ohne Komplikat ion ab, w~hrend eine Psychose jetzt yon schizophren-katatoner l~ rbung etwa 1/~ J a h r dauerte und ohne wesent]iehen PersSnlichkeitsdefekt abheilte. Es ist in einem solchen Fall nieht mSglieh, yon einer symptomatischen Psychose zu sprechen, da keine Parallelit~t zwischen dem Abklingen der Infektionskrankheit und der psychotischen Ver~nderungen bestand. Ob man derartige Psychosen zur Schizophrenie rechnet oder nicht, ist heute noch eine Frage der klinischen Etikett ierung. Jedenfalls ist es nicht mSglich, die psychische St6rung als Antwort des Gehirns auf den Insult des Ery- sipels aufzufassen. Denn die , ,Antwort" steht, was ihre Dauer anlangt, in keinem Verh~ltnis zur Reizdauer. Die Frage, ob es sich bei derartig ausgelSsten Psyehosen um erbliche Formen etwa der Schizophrenie handelt , liegt auf einer ganz anderen Ebene. Sie kann niemals am klinischen Einzelfall gelSst werden, vielleicht ist fiir sie einzig und allein die Erbstatist ik zust~ndig.

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Die AuslSsung der Psychosen mit u n b e k a n n t e m Grundle iden durch bekannte innere E r k r a n k u n g e n ist bekannt l ich nieht selten. Eine groBe Zahl der , ,Wochenbe t t spsychosen" (Fall 4) geh6r t hierher. Wei terh in die , ,pos topera t iven" psychischen Erkrankungen , sofern sie den Heft- verlauf wesentl ieh i iberdauern. Eine sinnvolle klinische , ,Au/spaltung" der Wochenbetts- und postoperativen seelischen StSrungen unter den bier ent- wickelten somatologischen Grunds~itzen diir/te heute schon m6glich sein (Fall 4).

3. Bei der echten symptomatischen Psychose sind drittens die Beziehungen zwischen internem Leiden und seelischer St6runfl derartig, daft die Psychose und ihr gesamter Verlau] yon der k6rperlichen Krankheit bedingt und be- herrscht wird. N a c h den zeitlichen Verh~ltnissen, die wie wei ter oben schon erwKhnt fiir die Diagnose einen ganz entscheidenden F a k t o r darstellen, k6nnen wir im wesent l ichen zwei Typen unterscheiden.

Bei der ers ten u n d /kbb. 1. T e m p e r a t u r k u r v e e ines Fa l l e s y o n Sepsis . W ~ h r e n d iibersichtlichsten Gat- des g r a u g e t 6 n t e n Z e i t a b s e h n i t t e s b e s t e h t e ine s y m p t o m a -

t i sche P s y e h o s e d e l i r a n t e r F ~ r b u n g .

t ung t r i t t die Psychose als Einlage im Ver lauf eines internen Leidens auf, das also bereits vor dem Auf t r e t en der ers ten psyehischen StSrungen bes tand und auch noch nach Abkl ingen der Psychose vorhanden ist. Wi r geben zur Verdeut l ichung folgendes Beispiel aus unserem Mater ia l :

Fall 1. Berta K., geb. 2. 11. 14 (23 Jahre alt), H. B. 11403]37. ~amilienanam. nese o. B. Kinderkrankheiten: Masern un4 Diphtherie. Mit 13 Jahren Blinddarmentzfin-

dung und Operation. Es bestand damals eine starke Eiterung mit langwierigem Verlauf. Periode immer regelm~i3ig, ohne besondere Beschwerden. Eine Geburt bei normalem Verlauf. - - Psychisch nicht auffallig, unpsychopathischer Mensch, der in glficklieher Ehe lebt. Mitre Dezember 1937 trat ein impetigoartiger Aus- sehlag im Gesicht auf, der sich unter Selbstbehandlung verschlimmerte. Kurz na~h Weihnachten pl6tzlich Schiittelfrost mit hohem Fieber, ein Befund, der sofortige Klinikaufnahme zur Folge hatte.

Psychisch. Bei der Aufnahme v611ig frei, gibt fiber alles gut Auskunft, verh~lt sich der Situation durchaus angemessen. Es kann nicht die geringste Auffitlligkeit festgestellt werden.

K6rperlich. Junge groBe Blondine in gutem Erni~hrungs- und Kritftezustand. Schleimhi~ute und Haut gut durchblutet. In der Mund- und Kinngegend ]indet sich ein impetigin6ser Ausschlag mit Krusten- und Borkenbildung. Das Gesicht ist leicht 6demat6s. - - Zunge stark belegt, Rachen frei, Tonsillen ziemlich klein, aus beiden lassen sich geringe Mengen dfinnflfissigen weiBen Sekrets ausdrficken. Nase und Nebenh6hlen o. B. Keine Schluckbeschwerden. Lunge physikalisch und r6ntgeno- logisch o.B. Herz nicht verbreitert. Aktion regelm~Big, beschleunigt. Leise, reine T6ne. Blutdruek 100/60 mm Hg nach Riva-Rocci. Abdomen nicht druekempfind- lich, keine Resistenz. Alte, gut verheilte Blinddarmoperationsnarbe. l~ierenlager

38*

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frei. Neurologisch o.B. Wa.R. und die anderen Luesreaktionen negativ. Aggluti- nation auf Typhus und Paratyphus negativ. Immobilisationsreaktion auf Typhus neg. Rachenabstrich: nach 24 Stunden Soor, keine Diphtherie- und Seharlachbak- terien. Blutplattenkultur: Beide Platten sind i~bersdt mit ]einen Kolonien yon gram- positiven S~bchen, der Corynabakteriengruppe zugeh6rig. Urin: Albumin ~-, massenha/t granulierte Zylinder, wenig Epithelien und Leukocyten, keine Erythro- eyten. Blutsenkung stark beschleunigt (33 : 73 ram), Rest-N 19 rag-%, Harn- s~ure 1,8 mg, Kochsalz 570 rag- %. Temperatur und Blutbilder s. Abb. bzw. Tabelle 1.

Auf Grund dieser Befunde wurde eine Sepsis angenommen. Ob die in der Blut- aussaat gefundenen Bakterien ~tiologisch eine Rolle spielen, ist nicht ganz sicher.

Am 4. Tage des Krankenhausaufenthaltes wurde die Patientin pl6tzlich verwirrt, ~ngstlich, ratlos. Sie behauptete, sie sei in einer anderen Stadt, man habe sie ver- sehleppt, es seien Leute hinter ihr her. Sie spraeh yon Verfolgern, deren Stimmen sie h6re. Es stehe etwas an der Wand geschrieben, sie sehe es ganz deutlich. Zeit- lich war sie nut sehr mangelhaft, 6rtlich iiberhaupt nicht orientiert und brach bei diesbeziiglichen Fragen in lautes und hemmungsloses Weinen aus. Personen ihrer Umgebung verkannte sie, sprach yon anwesenden Familienangeh6rigen. In gro6er Angst sehrieb sie eines Morgens auf einen Briefbogen: ,,Eiltelegramm. lqaeh Berlin verschleppt. Bitte sofoxxger Riickiick. Bertl ." In den n~chsten 3 Tagen steigerte sich dieser Zustand, so dai~ sie bei der Untersuchung in h6chster Angst im Bette liegend angetroffen wurde. Sie sprach hastig abgehackt, war nur schwer fixierbar. ])as Denken war sprunghaft, fahrig. Sie blieb nieht beim Thema, kam pl(itzlich unmotiviert ins Weinen. Die Psychose, die unverkennbar delirante Struktur zeigte, klang schon nach 4 Tagen ebenso pl6tzlieh wieder ab, wie sie aufgetreten war. Trotz zunaehst unver~ndert hohen septischen Temperaturen wurde die Kranke wieder v611ig klar, sprach vernfinftig, erklarte ihre psychotisehen Inhalte als Phanta- sien, wobei eine restlose Korrektur bestand. Es ist bemerkenswert, dal~ sich die Psychose auf den Tag genau an die Menses hMt.

Die septische Erkrankung geht nach Abklingen der Psyehose unveri~ndert welter, es t r i t t eine progressive Ani~mie auf. Der impetigin6se Aussehlag heilt rasch ab, trotzdem behalten die Temperaturen ihren hoch intermittierenden Charakter. Erst nach wiederholten kleinen Bluttransfusionen bessert sich der Zustand, indem das Fieber verschwindet und die Erythroeytenzahl bzw. der Hi~moglobingehalt des Blutes zunimmt.

Erythro- Datum cFten

27. 12. 3,70 31.12.

4. ]. - - 6. 1. - -

10. 1. - - 13 . 1. 2,20 15. 1. 2,37 17. 1. 2,41 20. 1. 2,40 22. 1. 2,30 24. 1. 2,82 27. 1. 3,40

1 Psychose.

T a b e l l e 1.

H b L e u k o c y t e n S e g m e n t - % ( G e s a m t z a h l ) k e r n i g e

8O

50 48 48 55 54 i 56 64

12 350 7 350

16 900 13000 12 900 9 400

12 100 9 050

16 400 11 400 19 700 10 500

78

69 81 7I 66 63 7O 8O 74 7O 72

Bluttransfusion 100 ccm.

L y z n p h o - e y t e n

21

28 15 24 23 21 23 12 22 22 29

S t a b - M o n o - k e r n i g e c y t e n

u

1 3 3 4

1 1

3 Bluttransfusion 300 ccm.

Eosino- phile

1 _ _ 1

3 4

4 1 2 2 4 3 2 3

Es h a n d e l t sich u m eine 23j~thrige j u n g e F rau , die im AnschluI3 an e inen I m p e t i g o des Gesiehts an e iner Sepsis m i t t yp i sch i n t e r m i t t i e r e n d e m

Page 10: Zur Differentialdiagnose der symptomatischen Psychosen

Zur I)ifferentialdiagnose der symptoma~ischen Psychosen. 573

Fieber erkrankt. W~hrend der Menses tr i t t ein mehrere Tage dauernder und am Ende der Blutung wieder abklingender Verwirrtheitszustand auf, der psychopathologiseh zu den Bonhoe/]erschen Pr~dilektionstypen gehSrt und defektlos verschwindet. Es besteht vollkommene Krank- heitseinsieht und Kritik zu den Erlebnissen des Ausnahmezustandes. Die Grundkrankheit iiberdauert den Verwirrtheitszustand um mehrere Wochen und bessert sich nach mehreren kleinen Bluttransfusionen. ])as weifle Blutbild (Tabelle 1) zeigt Leukocytenwerte, wie sie bei febrilen Episoden Schizophrener nur sehr selten vorkommen. Eine erhebliche Linksverschiebung besteht allerdings nieht. Dagegen tr i t t im Verlauf der Erkrankung eine An~mie auf, und zwar in einem AusmaB, wie sie bei febrilen Episoden Schizophrener nieht beobachtet wird.

Der geschilderte Typus der symptomatischen Psychosen kommt ver- h~ltnism~Big selten in psychiatrische Spezialpflege. Er ist dennoch zweifellos sehr h~ufig. Die kurzen oft nur abendlichen Verwirrtheiten, die im Verlauf yon Infektionskrankheiten auftreten, gehSren hierher.

An unserem Falle ist besonders bemerkenswert die Tatsache, dab die Psychose nieht als ,,Fieber"delir aufgefaBt werden kann, da die Tem- peratur w~hrend der psychotisehen Einlage keineswegs die hSehsten Werte erreicht. Vielmehr scheinen es andere somatische Bedingungen zu sein, die fiir die Psychose verantwortlich gemacht werden mfissen. Das Zusammentreffen mit den Menses ist im vorliegenden Fall wohl nieht zuf~llig. Naeh unserer Meinung wird iiberhaupt das Fieber viel zu oft als ,, Ursache" der psychisehen StSrungen angesehen. GewiB kommt es bei fast jeder Hyperthermie zu einer leichten Benommenheit mit Ver- ~nderung des Gedankenablaufes und der Stimmungslage; trotzdem kann die TemperaturerhShung keineswegs als die Entstehungsursache psychi- scher StSrungen schlechthin aufgefaBt werden. Sonst miiBten diese in der inneren Medizin hi~ufiger sein. Wahrscheinlich liegen die Bedingungen, welche die psyehischen StSrungen herbeiffihren tiefer in der patho- logischen Physiologie der Grundkrankheit verankert. Es sei daran erinnert, dab bestimmte Infektionskrankheiten besonders leicht zu Ver- wirrtheit fiihren, so z. B. der Typhus, dessen Namen ja wegen der fast obligat vorkommenden Benommenheit gepr~gt wurde. Wir kommen zum SchluB unserer Betrachtung noch einmal auf diese Frage zuriiek.

Etwas verwickelter liegen die Verh~ltnisse bei dem zweiten Typus der symptomatischen Psychosen, der dadurch ausgezeichnet ist, dab die psychischen StSrungen zugleich mit dem Beginn der kSrperliehen Er- krankung selbst auftreten. Sie klingen mitunter aueh parallel zur Grund- krankheit wieder ab, h~ufiger iiberdauert aber das interne Leiden die Psychose, oder es sind wenigstens Restsymptome der Grundkrankheit naehweisbar. Im folgenden sei auch ein eindrucksvolIes Beispiel fiir diesen Typus angefiihrt. Weiterhin sollen zum Vergleieh ein hoehfebriler sehizo-

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574 K . F . Seheid:

p h r e n e r Schub mi t anschl iei3endem e indeu t ig sch izophrenem Prozel3 u n d e i n e , , W o c h e n b e t t s p s y c h o s e " sch izophrenen Aussehens geschi lder t werden .

Fall2. Kreszenz B., geb. 12. 7. 1884 (50 Jahre), It. B. 2419/34. Familienanamnese und Vorgeschichte ohne jede Besonderheiten. .Krankengeschichte. Im Friihjahr 1934 lag die Patientin an einer fieberhaften

Erkrankung zu Bert. Eine Diagnose wurde nicht gestellt. W~hrend des Sommers nahm sie ihre Arbeit wieder auf.

Der Verlauf der Erkrankung, die zur Aufnahme fiihrt, l~Bt sich am besten in mehrere Abschnitte teilen:

1. Abschnitt. Er dauert vom 26. 6. bis etwa zum 30. 6.34 und l~13t sieh als schwere katatone Hyperkinese eharakterisieren. Im Laufe des 26. 6. wird die Kranke innerhalb weniger Stunden verwirrt, fiihrt laute, zusammenhanglose Reden, singt, lacht, murmelt vor sich hin. Bei der Aufnahme sitzt die Kranke im Bad,

Abb. 2. Temperaturkarve eines parametritisehcn Abscesses. VCg~hrend tier dunkelgrau get6nten Absehnitte besteht eine sehwere ttyperkinese mit inkoharentem Gedankengang.

Die hellgrau get6nte Periode entsprieht einem deliranten Verwirrtheitszustand.

macht schwingende Bewegungen mit den Armen, indem sie die vorgestreckten H~nde langsam taktartig auf- und niederftihrt. Oft scheuert sic mit der rechten Hand an der Wange hin und her, h~lt im n~chsten Augenblick die linke Hand wie besehwfrend vor sich, um einige Minuten sparer schnelle Pro- und Supinationsbewegungen mit tier reehten Hand auszuffihren. Sie breitet darauf die Arme nach rechts und links aus, hebt sie sparer nach oben und fiihrt dabei mit den H~nden kreisende Bewegungen aus, auch die Beine werden auf- und niederbewegt, indem sie taktm~Big mit den Waden auf den Boden der Wanne sehl~gt. Der Kopf nimmt an der Hyperkinese teils in Form yon/~ickbewegungen oder drehenden Bewegungen nach reehts und links tell. Gelegentlieh wischt sie sich plStzlich den Mund ab, indem sic mit gekrfimm- ten Zeigefinger rasch fiber Unter- und Oberlippe fahrt. Dazu werden unaufhSrlich Worte aneinandergereiht, die eine v611ige Inkoh~renz der Gedankeng~nge erkennen lassen. Mitunter greift sie ein Wort aus der Unterhaltung auf und reiht an dieses Silben oder Worte. Sie spricht in maniriertem, theaterhaftem Ton, die Klangfarbe der Stimme ist eigenartig blechern, melodiSs, z. B. ,,ich mSchte eine Buttermilch, meinem Mann m6cht ich wiedersehen, Blur, ieh mSchte das BlutflieBen sehen" (bei der Blutentnahme). ,,Mann, Mann, ja mein Mann, 13, 14, 15. . . ja die Brotzeit, ~a krank, ja weggehen kSnnen m6ehte ieh, leiden mu]3 ieh . . .wie Christi leiden".

In den folgenden Tagen wird die Hyperkinese langsam immer matter und kraftloser. Die in den ersten Tagen gerundeten Bewegungen bekommen einen kraftloseren, schlenkerndenCharakter. Sp~ter treten ausgesproehene Echosymptome auf, sie spricht oder macht alles nach, was man ihr vormaeht. Schliefllieh liegt sie apathisch und ruhig zu Bert, murmelt ihren Singsang leise vor sich hin. Der Leib ist meist trommelf6rmig aufgetrieben. Die Temperatur steigt bis 38,6% Leuko- cytenbefunde s. Tabelle 2.

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Zur Differentialdiagnose der symptomatischen Psychosen. 575

2. Abschnitt. Er schlieBt sich ohne scharfe Grenze an die matter werdende Hyper- kinese an und l~Bt sich als delirante Epiaode charakterisieren. Er dauert etwa vom 1.--15. 7. Die schon beschriebene Apathie, die am Ende der katatonen Hyperkinese steht, geht langsam in einen Zustand yon Desorientiertheit fiber. Gegen Abend tr i t t gelegentlich noch eine leise delirant wirkende Bewegungsunruhe auf, langsam ist die Kranke immer mehr zu fixieren, sie antwortet auf Fragen, klagt fiber Schmerzen im Leib.

K6rperlich finden sich zahlreiche Wurzelgranulome in dem fast zahnlosen Munde~ Die gyn~kologische Untersuchung zeigt einen zerkliifteten Muttermund mit kleinen Cervixpolypen. In der rechten Unterbauchgegend taster man einen etwa /austgroflen derben Tumor, dessen Palpation zwischen beiden H~nden starke Schmerzen ausl6st. Der Tumor ist beweglich, ein infiltrierendes Carcinom kommt nicht in Frage. Es handelt sich um einen para- oder perimetralen AbseeB oder um einen appendi- citischen Abscefl. Die Temperatur f~llt parallel mit der psychischen Besserung zur Norm, die Leukocytenzahlen, insbesondere die hochgradige Vermehrung der stab- kernigen gehen auf normale Werte zurfick (s. TabeIle 2).

3. Abschnitt. Er dauert his 8.8. Die Patientin ist w~hrend dieser Zeit psychisch vSllig frei, weiB nicht, wie sie ins Krankenhaus gekommen ist, steht ihrer Psychose v611ig kritisch gegeniiber, l~chelt versch~mt, als man sie daran erinnert, wie laut sie gewesen sei. Sie macht den Eindruck eines stillen, bescheidenen Menschen, bemiiht sich, auf der Station m6glichst wenig Arbeit zu machen. Der Tastbefund im Abdo- men ist unver~ndert. Es besteht keine Temperaturerh6hung mehr, die Leuko- cytenzahlen sind normal (s. Tabelle 2).

4. Abschnitt. F~rneute katatone Bewegungsunruhe. Er dauert vom 8. 8. bis zum Tod am 17. 8. Die Kranke wird zunehmend/ingstlich, unruhig, glaubt, sie wiirde ins Sterbezimmer verbracht, tuft pl6tzlich ,,meine Buben, mein Mann", starrt minu- tenlang eine Mitpatientin an, die mit einer elektrischen Leitung hantiert, sagt pl6tz- lich: ,,Die Frau hat einen Strick um den Hals, sie will sich umbringen". Patientin fiihlt sich dauernd bedroht, kommt langsam in die anf~nglich bestehende schwere Hyperkinese mit v611ig inkoh~rentem Gedankengang wieder hinein. Die Temperatur steigt parallel mit der Entwicklung des psychopathologischen Bildes wieder an. Sie stirbt am 17.8. - - Die Sektion wurde leider verweigert.

T a b e l l e 2.

D . h I E r y t h r o - Hb L e u k o c y t e n S e g m e n t L y m p h o - S tab- Mono- Eos ino- ~ [ c y t e n o ( G e s a m t z a h l c y t e n kern ige c y t e n p h i l e

2 8 6 00,5 0800 6638 53 30. 6. 3,70 79,4 18 700 21 2 2

18. 7. 5,00 73,8 5 200 21 6 a 7.8. 4,74 92,3 6 106 55 38 2 - - 4 a

1 1. Abschnitt (Hyperkinese). ~ 2. Abschnitt (delirant). s 3. Abschnitt (frei).

Die Krankengesch i ch t e be t r i f f t eine 50 Jah re alte F r a u , die i n e i ne m schweren hype rk ine t i s chen Z u s t a n d (in der Abb. 2 d u n k e l g r a u ge tSn t ) hochf ieberhaf t i n unsere B e o b a c h t u n g k o m m t . Die H ype r k i ne se geh t paral le l m i t dem F iebe rabfa l l u n d e inem Riickgang der s t a rk e rhSh ten Leukocy tenzah len , insbesondere der erhebl ich ve rmehr t en s t a b k e r n i g e n L e u k o c y t e n in e in l angsam sich 15sendes delirantes, sparer subde l i r an t e s (hellgrau ge t6nt ) Bi ld fiber. Bei n o r m a l e n Tempera tu ren , n o r m a l e n

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576 K . F . Scheid:

Leukocy tenzah len (Tabelle 2) is t die Kz'anke frei yon a l len psychischen StSrungen. Ers t einige Wochen sparer s t i rb t sie a n e inem Rezidiv .

Sehon das Blu tb i ld (Tabelle 2) zeigt e indeu t ig e inen schweren eitrigen ProzeB an. L e u k o c y t e n v e r m e h r u n g e n dieses Grades k o m m e n bei den febr i len Episoden nie zur Beobach tung , falls n i ch t eine infekt i6se Begleit- k r a n k h e i t das Bild komphzier t . Besonders wicht ig ist der Ans t ieg der s t abkern igen Leukocyten , der z. B. auch bei den febr i len cyano t i schen E i n l a g e n in diesem AusmaB sicher fehlt . Der ProzeB k a n n e indeut ig in den Un te rbauch lokal is ier t werden, wo sich e in derber, schmerzhaf te r T u m o r finder. Aus e inem n ich t durchs ich t igen G r u n d is t es zu e iner s t a rken A]lgemeinreakt ion yon sei ten des Organ ismus g e k o m m e n (bak- teriel le Invas ion in die B l u t b a h n ?); zu dieser Al lgemeinreak t ion gehSrt symptomatologisch auch die Psychose. Jedenfa l l s li~Bt sie sich den i ibr igen Ersche inungen (Fieber, L e u k o c y t e n v e r m e h r u n g , Linksverschie- bung) zeitlich genau zuordnen .

Fall& Theodor F., geb. 5. 6. 14, (20 gahre alt), H. B. 4620/34. Familienanamnese. Die Mutter lebt und ist gesund. Vater starb angeblieh an

einem Careinom. Ein 3 Jahre ~lterer Bruder befindet sich seit Monaten wegen einer plStzlieh ausgebrochenen Schizophrenie in einer Heil- und Pflegeanstalt. Ein 2 Jahre /ilterer Bruder und eine Schwester sind gesund, sie sind keine auffitlligen Persfn- lichkeiten. Zweifellos sind aber in der Familie noch mehr Psyehosen vorgekommen, man verweigerte jedoeh hieriiber jede Auskunft.

Vorgeschichte. Er will nie ernstlich krank gewesen sein. Gilt als sehr ernster, zuriickgezogener Mensch. Immer etwas Einsp/~nner. Versuchte zunachst Theologe zu werden, behauptete, er sei dazu geboren. Im Jahre 1933 sattelte er plStzlich zur Mathematik um.

Krankengeschichte. Sie laBt sich ebenfalls wieder in mehrere Abschnitte teilen. 1. Abschnitt (1. Episode). 2 Tage vor der Krankenhausaufnahme beginnt er Ver- giftungsideen zu /~uBern, im Bad sei Gas ausgestrSmt, Leute auf dem Speicher schtitten Giftgase herunter. Fitngt laut zu beten und zu predigen an. Spricht yon Anfechtungen und vom Satan, kommt deswegen ins Krankenhaus. Hier sitzt er zun~ehst mit gesenktem Kopf da, hebt diesen beim Anreden nicht, betet laut vor sich hin: ,,Befiehl du deine Wege." Briillt dann pl6tzlieh: ,,Herr Doktor, in Ihrem eigensten Interesse geben Sie mir Wasser." Kurze Zeit darauf f/~ngt er mit mono- toner leiser Stimme zu sprechen an, redet dann auch wieder in lautem, pastoralem Ton. Gibt nur sehr zSgernd Auskunft, behauptet, er miisse vorsichtig sein, man kfnne ihm eine Falle stellen. Gibt in der Unterhaltung plStzlich ,,Zeichen" wie Kopfnicken, Kopfsehiitteln. Beim Trinken eines Glases Wasser - - er hat in den ersten Tagen auBerordentlich starken Durst - - rieeht er zun~tchst an der Fliissig- keit, bl/~st dann hinein, trinkt in langsamen Schlucken und st(iBt am Ende kr~ftig riilpsend auf. Hebt dann den Kopf und sagt: ,,H6ren Sie ?" Auf die Frage, was denn zu h0ren sei, sagt er gleichgiiltig: ,,Vergiftet." Alle Ger/~usche bedeuten ffir ihn etwas. trainer wieder unterbricht er die Unterhaltung, z. B. wenn ein Mensch ins Zimmer kommt, werm die Tfire ein Geriiusch macht: ,,HSren Sie, das bedeutet etwas." Er bitter den Arzt, ihn zu priifen, ob er richtige Sachen spreche, er sei in eine Falle gelockt worden, die ganze Saehe gehe yore Christentum aus und yon der Kirche. Der Satan sei bekanntlieh gegen Gott, Satan miisse weiehen, Gott habe ihm geholfen. Er sei durch die Suggestion erfaBt worden, kSnne gegen Suggestion nicht aufkommen, weil Hunderte und Tausende yon Willen gegen ihn wirkten. Das sei ein seelischer Druck. Er miisse erst probieren, ob der Arzt etwas yon Suggestion verstehe, er werde

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Zur Differentialdiagnose der symptomatischen Psyehosen. 577

als Werkzeug gebraucht. ,,Alle Leute, die zu mir kamen, waren d i rekt entgegen- gesetzt dem, wie sie sein sollen, dadurch werde ieh sehr unter Druek gesetzt, weil eben diese Leute alle wie gesagt yon derselben Ursache, yon der ich vorher gesproehen habe, in eine falsche Richtung gebraeht wurden." Er miisse je tz t in Zickzack denken, die letzte Ursaehe sei der Teufel. SchlieBlich fangt er leise das Vaterunser zu beten an. - - Die Iolgenden 3 Tage liegt er mi t geschlossenen Augen zu Bert , vOllig in sich versunken. Steht dazwischen plStzlieh auf, kniet nieder und bere t mi t gefalt~ten Handen: ,,Befiehl du deine Wege" oder , ,Satan weiehe yon mir . " Bis e twa zum 26. 9. ha l t der gleiche Zustand an, m~nchmal spricht er vSllig in sich versunken vor sich: ,,l~ach unten blicken je tz t . . . Sie wissen was un ten i s t ! - - Nein in Versuchung k o m m t . . . nein, un ten bleiben - - nein - - nein - - und sie wird - - Sie dfirfen - - beruhigt sein - - nein - - hSren Sie auf - - nein, keine (5sterreicher." KSr- perlieh maeht er den Eindruek eines Sehwerkranken, die Wangen sind eingefallen. die Hautfarbe ist gelb, die Lippen yon einem etwas blaulichen Kolori t . Eine aus- gesprochene Cyanose besteht jedoeh nicht.

Abb. 3. Temperaturkurve eines rezidivierenden febrilen schizophrenen Schubes. Die Zeiten der akuten psychischen Erscheinungen sind grau getSnt.

2. Abschnitt. Er dauer t vom 27.9. bis 2. 1O. und lal3t sich charakterisieren als ein Stadium einer mar ten Rekonvaleszenz. Das Gesicht ist immer noch sehr spitz. Er is t zunachst nur schwer aus seiner Mattigkeit herauszureiBen, dann etwas rat los, f inder sich erst langsam in die Si tuat ion hinein. Er gibt an, er hSre je tz t keine St immen mehr, habe sich neulich mi t einem Herrn Weber unterhal ten, er habe wohl verschiedene Dinge phantas ier t und gedacht, der Herr Weber sei sein Feind, alles hange mi t dem schwarzen Kreuz zusammen, das er anbeten wollte. E r habe auch gemeint, er sei vergif te t worden. E r sei auBerordentlich miide. Man bekommt sehr wenig affektiven Rappor t mit ihm.

3. Abschnitt (2. Episode). E r dauer t vom 3. bis zum 10. 10. E r k o m m t erneut in den oben schon beschriebenen akuten Zustand hinein, fangt wieder laut zu be ten an, liegt mit geschlossenen Augen vSllig in sieh versunken im Bert . Aueh dieser Zustand geht in eine ma t t e Rekonvaleszenz fiber, die sich langsam 15st.

4. Abschnitt. In den folgenden Woehen bis zu seiner Entlassung am 16. 11. h a t er hie mehr irgendwelche psyehotisehe Inhal te geaul3ert. Er war anfanglich noeh sehr mat t , gibt sparer an, es habe sich um Anfeehtungen religiSser Ar t gehandel t , es sei je tz t alles wie weggeblasen. In te ressan t ist, daft eine Angina, die yore 15.---17. 10. dauerte, keinerlei ~4"nderungen im psychischen Verhalten des Patienten erkennen liefl. Bei seiner Ent lassung maeh t er den Eindruck eines etwas lahmen, steifen und ver- schrobenen Menschen. Es bes tand eine gewisse Mattigkeit im affektiven Verhal ten.

Bis zum Jul i 1935 ffihlte sich der Pa t ien t verhaltnismal]ig wohl, zeigte Interesse an Zeitungen und Bfichern. Das Studium nahm er wegen Geldmangel nicht m e h r auf. Seit Jul i 1935 ist er wieder deutlieh verandert . Er wurde langsam stiller, mat te r , leicht depressiv, konnte s tundenlang dasitzen und in eine Eeke st ieren, es war kaum eine An twor t yon ihm zu erhalten. Bei der Nachuntersuehung durch

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578 K . F . Scheid:

uns im Dezember 1935 gibt er sieh sehr steif und ablehnend. Macht den Eindruck eines blanden, antriebsarmen und affektarmen Hebephrenen, der gesperrt und sub- stupor6s wirkt. Er verh~lt sieh der Familie gegentiber vSllig teilnahmslos.

Im Laufe des Jahres 1936 ~nderte sieh das Bild wenig, er schloB sich in sein Zimmer ein, sagte, or habe innerlich keine Ruhe, rief einmal um Hilfe, well er Ungeheuer und fremde Mensehen in der Wohnung s~he. Im September 1936 wurde er wiederum in einer Psyehiatrischen Kiinik aufgenommen, wo er kontaktunf~hig, negativistiseh, teilweise erregt und/~ngstlich sich heute noch befindet. "Er grimas- siert sehr stark, spricht vollkommen zerfahren, lacht und fletscht die Zi~hne, ist manchmal recht heimttickiseh.

T a b e l l e 3.

Erythro- Hbo (Leuk~ Segment ]! Lympho- !i Stab- Mono~ EosinO-phile Datum cyten Gesamtzahl) cyten I kernige cyten

21.9. 4,70 58,5 4900 85 7 7 6 - - 28.9. 4,71 108,6 5400 71 21 1 3

3. 9. [ 5,40 118,1 3800 77 19 1 - - - -

Es hande l t sich also u m e inen 20j/~hrigen Mann, de r a k u t u n t e r k lass i - schen sch izophrenen E r s c h e i n u n g e n e r k r a n k t , y o n denen d a s a b n o r m e Bedeu tungsbewul l t se in , d ie W a h n s t i m m u n g u n d d ie Bee inf lussungs- g e d a n k e n besonders e i nd rucksvo l l s ind. Die E n t w i c k l u n g u n d St/~rke d e r p syehopa tho log i schen S y m p t o m e verl/~uft de r T e m p e r a t u r b e w e g u n g 1 g e n a u paral le l . Auf de r HShe i h r e r A u s b i l d u n g m a c h t de r P a t i e n t e inen kSrpe r l i eh s chwerk ranken E i n d r u c k . B e m e r k e n s w e r t i s t de r groBe D u r s t w/~hrend der Episode . E ine e t w a s sp/~ter in de r R e k o n v a l e s z e n z auf- g e t r e t e n e Angina ver/~nderte das psych i sche B i l d in ke ine r Weise . N a e h A b l a u f der febr i len Ep i sode w a r d e r K r a n k e me hre r e Mona te unauff/~llig, j eden fa l l s waren ke ine D e f e k t s y m p t o m e s ieher gre i fbar . D a n n en tw icke l t e s ich l a n g s a m schle ichend e in h e b e p h r e n - s e h i z o p h r e n e s Z u s t a n d s b i l d , da s j e i z t se i t e twa 11/2 J a h r e n bes t eh t .

Fall 4. Maria P., geb. 30. 7. 10 (27 gahre alt), H. B. 12750/38. $'amilienanamnese. Der Vater soil sich erhangt haben, sonst o. B. Unauffiillige

PersSnliehkeit, die als Kontoristin tat ig war. Sie entband am 10. 1.38 innerhalb yon 6 Stunden glatt und ohne Sehwierigkeiten. Wegen einer geringen Naehblutung erhielt sie 1/2 ecru Gynergen. Das Woehenbett verlief die ersten 5 Tage fieberfrei; am 6. Tage trat eine Temperatur bis 380 auf, die offenbar yon einer geringen Milch- stauung herrtihrte. Es wurde mit der elektrisehen Pumpe energiseh abgepumpt, worauf die Temperatur wieder abfiel und bis zum 14. Tage, dem Entlassungstage aus tier Frauenklinik, normal blieb.

Vom 7. Tage ab wurde die Patientin psyehiseh auffMlig, sie beschwerte sieh tiber die absolut zuverlassigen Sehwestern, sagte ihnen haltlose Besehuldigungen naeh. Kurz naeh der Entlassung steigerten sieh diese Auffalligkeiten. Sie glaubte voll- kommen ausgepumpt zu sein, ftir die Milch, die man ihr abgesogen habe, hatten sieh die Sehwestern Sehokolade gekauft und sieh mit Mi~nnern amtisiert. Die Kamine drauBen rauchten nut, well alle unehelichen Kinder verbrarmt wtirden, man wolle

1 Derartige febrile Episoden sind keineswegs so selten, wie Fiin]geld in seiner Bespreehung meiner Monographie (Nervenarzt, 11, 156 (1938) meint. Die hiesige Abteflung nimmt etwa jeden 4.--5. Sehizophrenen im febrilen Schub auf.

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Zur Differentialdiagnose der symptomatisehen Psychosen. 579

sie vergiften. Es muBten die Speisen deswegen vor ihren Augen gekostet werden. Gegen die sie pflegende Sehwester wurde sie in ihrer Erregung so ausf/~llig, dall sie 10 Tage nach der Entlassung aus der Frauenklinik, am 30. 1. in die hiesige Abteilung gebraeht wurde. Zu Hause bestanden schon Temperaturen, und zwar bereits seit Entlassung aus der Frauenklinik (38,70 ax.)

Hielt aueh hier an der Meinung, dall Kinder verbrannt wiirden, les t , das Essen sei vergiftet. In den ersten Tagen sprach sie unentwegt, oft zusammen- hanglos, reihte Namen und Begebenheiten an- einander, behauptete diese oder jene Schwester zu kennen. Mitunter war sie sehr laut, gebrauchte die ordin~rsten Sehimpfworte, sprang plStzlich aus dem Bert und fuhr auf eine andere Patientin los. Sparer wurde sie etwas matter , nicht mehr so aggressiv, sprach zeitweisc iiberhaupt nichts mehr, um gelegentlieh plStzlieh und ohne greifbares Motiv wieder loszuschimpfen. Eine sichere Bewul]tseins- triibung bestand niemals. Die gelegentlich zu beob- achtende zeitliehe und 5rtliche Desorientiertheit ent- sprang ohne Zweifel den wahnhaften Beziehungs- setzungen.

r

^/

~/. J0. /.H. 5. Abb . 4. T e m p e r a t u r k u r v e

e ine r , , W o c h e n b e t t s p s y c h o s e " , d i e n i c h t a l s s y m p t o m a t i s c h

aufgefa i} t w e r d e n k a n n .

K6rperlich land sich auller einer VergrSBerung der Schilddriise nicht der geringste Anhalt fiir ein internes oder gyn~kologisehes Leiden. Der Frauenarzt erhob einen normalen Genitalbefund. Es bestand niemals AusfluB. Die Brfiste waren frei, es bestand keine RStung oder Schwellung. Tonsillen, o. B. etwas groB. Urin vSllig frei yon krankhaften Bestandteilen. Blutaussaat auf Platten verlief nach 48 Stunden steril. Bei der RSntgendurchleuchtung ergab sich niehts Besonderes. Blutbild s. Tabelle 4.

T a b e l l e 4.

E r y t h r o - t t b . L e u k o c y t e n S e g m e n t L y m p h o - S t a b - D a t u m c y t e n % ( G e s a m t z a h l ) c y t e n k e r n i g e

1.2. 4,80 86,8 6000 78 18 2 4. 2. - - - - 6000 78 15 1 8.2. 5,20 80,0 5200 65 3O 1

10. 2. 4,00 73,8 9000 83

Mono- E o s i n o -

I =~ 2

E s h a n d e l t s ich be i d e r mi tge t e f l t en K r a n k e n g e s c h i e h t e u m e ine 27 J a h r e a l t e F r a u , d ie n a c h e ine r vSll ig normalen G e b u r t u n d e i n e m 7t~gigen n o r m a l e n W o c h e n b e t t a n e iner p a r a n o i d - k a t a t o n e n P s y c h o s e e r k r a n k t . Zugle ich t r e t e n hohe T e m p e r a t u r e n auf, ohne d a b s ich d e r ger ings te A n h a l t f i ir e ine sep t i sche K o m p l i k a t i o n y o n se i t en de r Geni- t a l i en ode r de r Br i i s te l i n d e n lieBe. Auch die i ibr ige i n t e r n e U n t e r - suchung e rg ib t r ege l r ech te Verh~l tn isse de r Brus t - u n d B a u c h o r g a n e . Die Tons i l l en s ind in O r d n u n g , es be s t eh t ke ine Thrombose . A u c h e ine P y e l i t i s i s t nach d e m U r i n b e f u n d m i t S icherhe i t auszusch l i e6en . D a s B lu tb f ld s p r i c h t e n t s c h i e d e n gegen e ine e i t r ige E r k r a n k u n g . E s zeig~ v i e lmehr zun/~ehst n o r m a l e G e s a m t l e u k o c y t e n z a h l e n be i e ine r Ver- sch iebung z u g u n s t e n d e r s e g m e n t k e r n i g e n L., sp/~ter b e s t e h t e ine L e u k o - penie m i t r e l a t i v e r L y m p h o c y t o s e , m i t e rneu tem F i e b e r a n s t i e g t r i t t wieder e ine L e u k o c y t o s e m i t re la$iver L y m p h o p e n i e auf , i m g a n z e n e in

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580 K.F . Scheid:

Bild, das wir in dieser Form durchaus bei den febrilen Schfiben Schizo- phrener zu sehen gewohnt sind (Gjessing, K. F. Scheid). Fiir die Annahme einer Sepsis liegt kein Grund vor, Blutkul turen erweisen sich als steril.

Nach dem Gesagten kann der Fall nicht als eine symptomatische Psyehose aufgefaBt werden, auch dann nicht, wenn er abheilen sollte. Vielmehr muff man annehmen, daft das Fieber, die Ver~inderungen des Blutbildes und auch die schizophren aussehende Psychose der Ausdruck eines bisher nicht rubrizierbaren Leiden*, eines unbekannten Morbus sind. Dieser ~r ist zweifellos dutch die Geburt in Gang gebracht, ausgelSst worden. Eine Wochenbettkomplikat ion hat aber i iberhaupt niemals bestanden. Wollte man dennoch die Diagnose einer solchen Komplikat ion auf das Vorhandensein yon Fieber allein stiitzen, so wiirde die Zahl der unerkannten oder , ,kryptogenetischen" eitrigen, py~mischen Wochen- bettserkrankungen gerade auf psychiatrischen Abteilungen unverh~ltnis- m~Big groB sein, und das wiirde schlieBlich zu einer vSllig verschwom- menen medizinischen Diagnostik fiihren. Die mitgeteilte Kranken- geschichte lehrt, wie eine sorgf~ltige kSrperliche Untersuchung und eine Analyse nach den yon uns entwickelten Richtlinien das dunklo Gebiet der Wochenbettspsyehosen heute schon weitgehend zu kl~ren vermag. Es eriibrigt sich, darauf hinzuweisen, dab wir fiir den vorliegenden Fall die Bezeichnung , ,symptomatische" oder ,,exogene" Schizophrenie ab- lehnen wiirden. Die Frage, ob der dieser Erkrankung zugrunde liegende Morbus vorwiegend erblich oder vorwiegend umweltbedingt ist, kann yon der Klinik nicht entschieden werden. Fiir sie ist allein die Erb- statistik zusti~ndig.

Die Regel, dab die psychischen StSrungen bei symptomatischen Psychosen die Grundkrankheit zeitlich nicht wesentlich iiberdauern, ist nicht voll ohne Ausnahmen giiltig: ein sehr kleiner Teil der sympto- matisehen seelischen StSrungen fi ihrt bekanntlich z u einem - - nicht sehizophrenen - - psychischen Defektzustand. Wie gesagt, handel t es sieh hier um ein seltenes Ereignis. Etwas h~ufiger kommt es vor, dab die psyehisehen St6rungen um kurze Zeit (wenige Tage) die Grundkrankhei t i iberdauern kSnnen. Hier handel t es sich jedoch nieht mehr um eigent- liche symptomatische Psychosen, sondern um abnorme seelische Reak- t ionen, die yon Kurt Schneider und yon Hesse als Hintergrundreakt ionen besehrieben wurden: auf dem Boden etwa einer leiehten Benommenhei t kommt es zu abnormen seelischen Reakt ionen yon oft erheblichem Aus- maB, die dann als , ,symptomatische Psychosen" verkannt werden. Gewisse Formen des, ,Residualwahns" geh6ren zweifellos ebenfalls hierher.

Zum SchluB der vorliegenden Arbei t seien noch einige Bemerkungen zur Pathogenese der symptomatischen Psychosen gestattet . Es herrseht heute weitgehend die Meinung, dab das Problem dieser seelischen St6- rungen ein Konsti tutionsproblem sei. Die Anlage mancher Menschen bzw. deren Gehirne zu derartigen Psychosen erkl~re es, warum nur ein

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Tell etwa der an Pneumonie erkrankten delirant wird. Kleis t glaubt sogar, eine famili~re Disposition zu symptomatischen Psychosen nach- gewiesen zu haben. Sehr viel naheliegender als diese rein spekulative Betrachtung mit Hilfe der sog. mehrdimensionalen Diagnostik ( B i r n - baum, Kre tschmer) ist es aber, die Bedingungen fiir das Auftreten einer symptomatischen Psychose im kSrperlichen Geschehen selbst zu suchen. Dies ist in der allgemeinen Pathologie bei anderen Symptomen auch sonst allgemein iiblich. So wird etwa beim Typhus die Art des Erregers, beim diabetischen Korea die StSrung im S~ure-Basenhaushalt maBgebend fiir die beobachtete BewuBtseinstriibung. Es wiirde sich also darum handeln, intensiver als bisher eine pathologische Physiologie der symptomatischen Psychosen zu betreiben. Die folgerichtige Durchffihrung eines solchen Programms wiirde zweifellos wertvolle neue Erkenntnisse zutage fSrdern und die klinische Psychiatrie vor allem der aUgemeinen Pathologie, zu der sie die Verbindung verloren hat, wieder n~her bringen. Besonders bedeutungsvoll erscheint uns die Aussicht, auf diesem Gebiet tier- experimentell arbeiten zu kSnnen. Symptomatische Psychosen kommen im Gegensatz etwa zur Schizophrenie oder zum zyclothymen Formen- kreise ohne jeden Zweifel auch bei Tieren vor, ja es besteht sogar heute schon die MSglichkeit ihrer experimentellen Erzeugung, wie Fischlers Versuche an Hunden mit der Eckschen Fistel gezeigt haben. Einer methodisch einwandfreien und auf empirisch-statistischen Unter- suchungen aufgebauten Konstitutionsforschung soll damit natiirlich keineswegs die Berechtigung abgesprochen werden. Es ist im Gegenteil sicher zu erwarten, dab die Erbbiologie mit einem nach den hier ent- wickelten klinischen Grunds~tzen ,,gereinigten" l~Iaterial yon sympto- matischen Psychosen zu verbindlicheren Schliissen kommen wird als bisher.

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