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Deutsche Zeitschrift f. 5~ervonheilkunde, Bd. 170, S. 209--236 (1953). Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universit/it Hamburg (Direktor: Prof. Dr. BttRGER-PRI~Z). Zur Frage der Hirnschwellung% Von CARL RIEBELING. Mit 9 Textabbildungen. ( Eingegangen am 17. Februar 1953.) Wir haben uns der Aufgabe unterzogen, erneut der Frage der Hirn- schwellung nachzugehen und mSchten gleich im Anfang darauf hin- weisen, dab wir uns vorzugsweise mit tier von REICEARDT SO definierten Veri~nderung des Gehirns beschiiftigen wollen. Es ist unm6glich, auf alle Befunde der Hirnvolumenvermehrung einzugehen. Das hi~tte den Rahmen eines Referates welt fiberschritten; es wfirde abet auch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt haben, die auBer den Resultaten auch Hinweise aufdie Wege und Methoden geben mul3, die dahin geffihrt haben. Wir glauben uns berechtigt, auf eine ausffihrliche Darstellung der Versuche SELBACHSverzichten zu diirfen, weil diese vor nicht allzu langer Zeit hier ausfiihrlich publiziert wurden. Wir wandten Verfahren an, die bisher in der Hirnchemie noch nicht fiblich waren, teilweise auch noch nicht an anderen Organen bekannt. Zuniichst haben wir unsere alte Methodik wieder aufgenommen, mit Gehirnextrakten Mastix- bzw. auch Salzsi~ure-Collargol-Reaktionen an- zustellen. Uber die Methodik und den Anwendungsbereich wird ander- weitig ausffihrlicher berichtet. Dann haben wir mit Rindenbrei und Mark- brei Papierelektropherogramme hergestellt, fiber die Herr K_~s im An- schlul~ an diese Arbeit berichten wird. Die neuen Ergebnisse haben sich unseren ~lteren eiwei$chemischen Untersuchungen ausgezeichnet ange- past. Auch mit der Papierchromatographie haben wir vielversprechende Voruntersuchungen anstellen kSnnen. Die endgiiltigen Ergebnisse k6nnen abet erst spi~ter gebracht werden. Die Lipoide haben wit deshalb nur mit einer globalen, oxydimetrischen Methode erfai~t, weil es zuni~chst darauf ankam, eine l~bersicht zu gewinnen. Wir wul~ten aus friiheren * Referat, gehalten auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft ffir Neurologie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft ffir Neurochirurgie in Hamburg, am 26. 9. 1952.

Zur Frage der Hirnschwellung

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Page 1: Zur Frage der Hirnschwellung

Deutsche Zeitschrift f. 5~ervonheilkunde, Bd. 170, S. 209--236 (1953).

Aus der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universit/it Hamburg (Direktor: Prof. Dr. BttRGER-PRI~Z).

Z u r F r a g e de r H i r n s c h w e l l u n g %

Von

CARL RIEBELING.

Mit 9 Textabbildungen.

( Eingegangen am 17. Februar 1953.)

I° Wir haben uns der Aufgabe unterzogen, erneut der Frage der Hirn-

schwellung nachzugehen und mSchten gleich im Anfang darauf hin- weisen, dab wir uns vorzugsweise mit tier von REICEARDT SO definierten Veri~nderung des Gehirns beschiiftigen wollen. Es ist unm6glich, auf alle Befunde der Hirnvolumenvermehrung einzugehen. Das hi~tte den Rahmen eines Referates welt fiberschritten; es wfirde abet auch den Rahmen dieser Arbeit gesprengt haben, die auBer den Resultaten auch Hinweise aufdie Wege und Methoden geben mul3, die dahin geffihrt haben.

Wir glauben uns berechtigt, auf eine ausffihrliche Darstellung der Versuche SELBACHS verzichten zu diirfen, weil diese vor nicht allzu langer Zeit hier ausfiihrlich publiziert wurden.

Wir wandten Verfahren an, die bisher in der Hirnchemie noch nicht fiblich waren, teilweise auch noch nicht an anderen Organen bekannt. Zuniichst haben wir unsere alte Methodik wieder aufgenommen, mit Gehirnextrakten Mastix- bzw. auch Salzsi~ure-Collargol-Reaktionen an- zustellen. Uber die Methodik und den Anwendungsbereich wird ander- weitig ausffihrlicher berichtet. Dann haben wir mit Rindenbrei und Mark- brei Papierelektropherogramme hergestellt, fiber die Herr K_~s im An- schlul~ an diese Arbeit berichten wird. Die neuen Ergebnisse haben sich unseren ~lteren eiwei$chemischen Untersuchungen ausgezeichnet ange- past . Auch mit der Papierchromatographie haben wir vielversprechende Voruntersuchungen anstellen kSnnen. Die endgiiltigen Ergebnisse k6nnen abet erst spi~ter gebracht werden. Die Lipoide haben wit deshalb nur mit einer globalen, oxydimetrischen Methode erfai~t, weil es zuni~chst darauf ankam, eine l~bersicht zu gewinnen. Wir wul~ten aus friiheren

* Referat, gehalten auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft ffir Neurologie gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft ffir Neurochirurgie in Hamburg, am 26. 9. 1952.

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Untersuchungen, dab weder die Lipoide insgesamt noch die damals getrennt bestimmten Neutralfette bei der Hirnschwellung Ver~nderungen zeigten. Auch fiber diese Methode wird andernorts berichtet.

Aul3erdem maBen wir aus weiter unten zu er6rternden Griinden die Katalase im Gehirnbrei sowie die F~higkeit des Gehirnbreis, Kalium- permanganat zu reduzieren, also eine Permanganatreduktase. Diese in den Kreis der Untersuchungen einzubeziehen, wurden wir veranlal3t, einerseits parallel zur Katalase, andererseits auch wegen der mittlerweile gewonnenen Erfahrungen mit der Priifung der Permanganatreduktion von Blut und Liquor, fiber die wir bereits im Sommer 1951 berichtet haben und deren Methodik schon ver6ffentlicht wurde.

Ist es erlaubt, globale Methoden anzuwenden ? Hat das fiberhaupt Sinn, wenn pr~zisere Methoden, die einzelnen Bestandteile zu bestimmen, zur Verffigung stehen ? Wir nehmen an, dal3 es unumgi~nglich ist, solche globalen Methoden anzuwenden und halten daran fest, dab mittels globaler Methoden in der Liquordiagnostik wie in der Liquorforschung recht beachtliche Resultate erzielt werden. Die Kolloidreaktionen, die ein so brauchbares Diagnostikum geworden sind, sind ausgesprochen globalen Charakters. Nicht einmal ihr Wesen ist v611ig gekl~rt. Wir wissen zwar viel fiber die Zusammenh~nge yon Albumin- oder Globulin- vermehrung mit den respektiven Kolloidkurven. Diese sind aber keines- wegs allein durch die Verh~ltnisse zwischen Albumin und Globulin gekl~rt. Und auch die exakten Analysen der Liquoreiweil3k6rper mittels der Elektrophorese haben, soviel sie auch aufgekl~rt haben, das Problem doch noch nicht endgfiltig gel6st. Am Anfang der Liquorforschung steht die globale Erfassung der Eiweil3k6rper als Gesamteiwei6. Sie hat grol3e und wichtige diagnostische Bedeutung gehabt. Die Fraktionierung der Eiweil3kSrper mittels Ammoniumsulfataussalzung, die fibrigens die wich- tigsten Ergebnisse der Elektrophorese bereits l~ngst vor dieser gezeigt hat, war ein wesentlicher Schritt zur Differenzierung. Je feiner die Analyse, um so komplizierter die Methodik, um so n~her dem Ideal der Erfassung einzelner identifizierbarer chemischer Einheiten, aber genau wie wit uns mit l~echt des Begriffes ,,Rest-Stickstoff" bedienen, wie wir nut in seltenen F~llen es n6tig haben, diesen Reststickstoff wirklich zu unterteilen, so k6nnen wir auch die reduzierenden, die katalysierenden, die s~ure- oder alkalibindenden Substanzen global bestimmen. Und wenn wir auch am Gehirnbrei die wichtigen Lipoide als Gesamtlipoide be- stimmen und nicht differenzieren, dann bewui~t deshalb, weft eine Unter- teilung mit viel zu grol3en Substanzverlusten verbunden ist, und im augenblicklichen Stadium der Untersuchung doch zu wenig Interesse bietet. Wir haben z. B. auch deshalb keine einzelnen Lipoidbestimmungen angewandt, weil wir fanden, dab der Gesamtgehalt der Lipoide bei den von uns untersuchten Gehirnen immer im Bereich der Norm blieb.

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SchlieBlich bedienten wir uns eines Verfahrens, das wir fiir Liquor- untersuchungen bereits frfiher angewandt hatten. Die Anwendung auf Gewebsextrakt machte einige Schwierigkeiten, die aber unter anderem auch dank Ratschli~gen yon F. J. REIN ZU fiberwinden waren. Wir unter- suchten n~mlich die Wirkung yon Gehirnextrakten auf die KristaUbflder aus kleinen Tropfen Kupferchlorid. Dies Verfahren hat mit dem von EttRENFRIED PFEIFFER angewandten und anthroposophisch ausgewerte- ten beinahe nur noch das Substrat gemeinsam. Wir haben keinerlei symbolistische oder animistische Deutungen unserer Kristallbilder je beabsichtigt noch auch nur versucht. Bezfiglich der Methodik mfissen wir auch auf sp~tere Publikationen hinweisen. Es sei nur ganz kurz erwi~hnt, dab es vorzugsweise das EiweiB ist, das in unseren Ext rakten offenbar durch Oberfl~chenwirkungen die Kristallbildung beeinfluBt, bzw. schiidigt. Diese Einflfisse sind bei einiger ~bung in den Kristall- bildern nachweisbar. Ausgangspunkt ffir die Anwendung des Kristall- bildes waren die teilweise recht interessanten Beobachtungen von TOMESC~ und Nachuntersuchern fiber die KochsalzkristaUisation im Liquor. Unter meiner Leitung hat Frau WOHRMANN versucht, die noch unzul~nglichen Methoden, die damals existierten, zu modifizieren. Es gelang aber nicht, die Kristallbilder so weit zu differenzieren, dab sie diagnostische Bedeutung hi~tten gewinnen kSnnen. Als wir aber Kupfer- salze verschiedener Anionen verwandten, zeigte es sieh, dab sowohl das Serum als auch der Liquor sehr differenzierte Umgestaltungen des Kristallisationsbildes aus reinen L6sungen verursachten. Es war daher naheliegend, die Methode auch auf Hirnextrakte anzuwenden. Es handelt sieh bei diesen Methoden wirklich um globale, aber jede pri~parative Darstellung von Einzelbestandteilen des Gehirns wiirde diese selbst so- wohl wie das ganze Milieu weitgehend beeinflussen, und so, wie wir deutlich genug gesehen haben, z. B. Kristallbilder vSllig unm6glich machen. Wir vermuten, dab es sich um EiweiB handelt, da im Alkoholextrakt eine Kristallisationsveranderung nicht erkennbar ist.

I I .

Bei Befunden, die man seinerzeit fast ausschlieBlieh postmortal er- hoben hatte, war es naheliegend, sie fiberhaupt als postmortal entstanden aufzufassen. Wenn man auBerdem wie wir gezwungen war, auf Grund eines fiberholten Obduktionsgesetzes mitunter fast 48 Std zu warten, bis ein Gehirn seziert werden konnte, so mu6ten wir uns schfitzen gegen die Gefahr, Hirnver~nderungen nach dem Tode mit intra vi tam ent- standenen zu verweehseln.

Bei einem Wurf Meersehweinchen daf t man annehmen, dab die Diffe- renz in der Zusammensetzung der Organe von Tier zu Tier recht gering ist. Wir haben deshalb Wfirfe von Meerschweinehen jeweils auf einmal

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212 CARL RIEBELING:

getStet, aber die Kadaver mit Ausnahme eines, der sofort seziert wurde, versehieden lange im Kiihlschrank liegen lassen, um so die Verh/~ltnisse bei Menschenleichen mSglichst nachzuahmen. Da wir keine signifikanten Differenzen in der Hirnzusammensetzung nach verschieden langer Lage- rung (bis zu 72 Std) fanden, fiihlten wir uns berechtigt, auch versehieden lange nach dem Tode sezierte Gehirne untereinander zu vergleichen.

Von den friiheren Analysen sind die Protokolle verbrannt. Es fehlen zahlreiche Einzelbefunde, und wir mul]ten dureh ganz neueUntersuchungen die alten Erfahrungen zu best/~tigen versuchen. Nach den alten Erfah- rungen hatten wir die Trennung yon HirnSdem und Hirnschwellung ver- treten, hatten betont, dab bei dieser letzteren eine Wasserverminderung und h/~ufig eine Stickstoffanschoppung vorliege, und dab auf diese Weise die Trockensubstanz, wenn auch nur in einzelnen Teilen vermehrt sei. SELBACH hat sich unsere Anschauung zu eigen gemaeht. Er hat in zu- sammenfassender Darstellung die Unterscheidung zwischen 0dem und Schwellung in prinzipiell derselben Weise wie wir formuliert und hat sieh experimentell mit der Bildung und dem Verhalten des HirnSdems beseh/~ftigt.

Da es zweifellos nieht wenige l~/~lle gibt, bei denen Hirn6dem und Hirnschwellung nebeneinander auftreten, wird man sowohl dem Stand- punkt einer Trennung der beiden Vorg/~nge als auch dem einer Zusammen- fassung gerecht werden miissen. Argumente finden sich genug, sowohl fiir die dualistisehe als auch fiir die monistisehe Theorie. Es scheint uns darauf anzukommen, welches Material man untersucht. Wenn man Katatonietodesf/~lle, toxische Diphtherie, Insulinkoma zu untersuchen hat, wird man zu ganz anderen Ergebnissen kommen, als wenn man sieh mit Tumortodesf/~llen oder postoperativen oder posttraumatischen Zu- st/~nden besch/~ftigt, und man daf t sich keinesfalls damit begniigen, einer chemisehen oder physikalischen Eigensehaft des Gehirns seine Auf- merksamkeit zu widmen, aus der _~nderung einer Qualit/~t Sehliisse zu ziehen auf ein sieher sehr komplexes Geschehen, sondern man wird von mSglichst vielen Seiten an das Ph/~nomen herangehen.

Und wenn man z. B. in der unmittelbaren Umgebung eines Tumors ein vSllig zerstSrtes Gewebe finder, das zwar eindeutig 5dematSs zu sein scheint, aber groBe Mengen EiweiB enth/~lt, also wie wir noch zeigen werden, als Zwisehenstadium zwischen Hirnschwellung und HirnSd~m verstanden werden kann, dann ist man noch nicht bereehtigt, nun von einem oder dem anderen zu sprechen, sondern dann wird man immer noch entscheiden miissen, ob es sich nicht einfach um eine 0demnekrose handelt. Bei den meist viel zu kleinen Mengen Material, die zur Ver- fiigung stehen, sind aber nur entweder histologisehe oder chemisehe Untersuchungen mSglich.

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Es hat relativ lange gedauert, bis man sich v o n d e r Vorstellung frei- gemacht hat, daB die Hirnschwellung eine intracellul~re, das HirnSdem eine intercellul~re Wasseranreicherung bedeute. DaB QueUung einer be- grenzten Menge Substanz eben nur unter Wasseraufnahme vor sich gehen kann, ist zwar einleuchtend, mul~ aber immer wieder betont werden. Man machte sich bei der ,,intracellul~ren" Flfissigkeitsansammlung nicht klar, dab eine so erhebliehe Wasseraufnahme der Zellen, wie sie ange- nommen wurde, ja doch zu einer Auftreibung fiihren miiBte, und diese Auftreibung histologiseh deutlich erkennbar sein mfiBte. Der Gesamt- gehalt des Gehirns an Wasser mfiI3te aber bei der inter- und bei der intra- cellul~ren Wasseranreicherung gleich sein, wenn die Volumvermehrung dieselbe sein und diese ausschlieBlich auf Wasseranreicherung zuriick- gefiihrt werden sollte. Aber erst die Anwendung sehr einfacher chemischer Methodik erlaubte, eine entscheidende Krit ik anzusetzen. An einzelnen Teilen des Gehirns haben wir selber als erste Wassergehaltsbestimmungen durchgeffihrt, die die Absicht verfolgten, eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen von Volumvermehrungen zu ermSglichen. Wir haben zeigen k6nnen, dab bei der Hirnschwellung im Sinne REI- CHARDTS fast ausnahmslos eine Wasserverarmung des Gehirns eintritt, dab also weder intracellul~re noch intercellul~re Wasseraufnahme vor- liegen konnte. Wir haben bereits 1936 darauf hingewiesen, dab keineswegs regelmdflig sdmtliche Teile des Gehirns verarmt an Wasser zu sein brau- chen und dab es h~ufig vorkomme, daB nur die Rinde, seltener, dab nur das Mark trocken sei, w~hrend die benachbarten Partien vermuteu liel]en, dab das Wasser gerade in sie hinein ausgewichen sei.

Die Chirurgen hatten - - wenn auch sehr wechselnde - - Resultate mi~ dehydrierenden Mitteln bei ihren Schwellungszust~nden. Starben aber Kranke mit postoperativen Sehwellungszusti~nden doch, trotz dehy- drierender Therapie, dann fand sich recht h~ufig neben dem 5dematSsen und zur Wasserabgabe auch bereiten Mark eine ausgesproehen trockne Rinde - - oder umgekehrt, was seltener vorkam, wenn nicht sogar das ganze Gehirn trocken war. Dieser Trockenheit entsprach aber dann auch eine Senkung des Wassergehaltes. Und dab bei solcher Situation aUer- dings eine Zufuhr dehydrierender Stoffe nur versehlimmernd wirken konnte, ist evident. BenStigt doch der Organismus, wenn es erst einmal so weit gekommen ist, reichlicher Zufuhr hypotoniseher Fliissigkeit, um - - vorausgesetzt, dab das noch mSglich ist - - den gesunkenen Wasser- gehalt des Gewebes wieder aufzuffillen, eventuell aueh angeschopptes Fremdmaterial auszuschwemmen.

Man kSnnte daran denken, daB aueh der EiweiBgehalt des Blutes ver- mehrt sei, nicht nur der Wassergehalt herabgesetzt. Irides ist bis jetzt noeh nicht endgiiltig entschieden, wo das bei der Hirnschwellung an- geschoppte EiweiB fiberhaupt herkommt, und es fehlen auch noch EiweiB-

15"

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214 CARL R IEBELING :

analysen bei Hirnschwellungszust~nden. Fiir die Theorie sowohl wie fiir die therapeutische Konsequenz w~re eine Beachtung der Serumverh~lt- nisse z. B. auch bei postoperativen Beobachtungen yon nicht zu unter- sch~tzender Bedeutung.

DaB auch in vivo bereits eine Wasserverarmung - - fibrigens mit oder ohne Anreicherung an fremder Substanz - - mSglich ist, dab also auch in vivo eine trockene Volumvermehrung vorkommen kann, erhellt aus klinischen und experimentellen Erfahrungen. Wir haben zuerst auf Grund yon Ergebnissen yon chemischen Hirnuntersuchungen z. B. beim protrahierten Insulinkoma zur Zufuhr hypotonischer LSsungen in Gestalt yon destilliertem Wasser geraten. Die Vorstellung z. B., dab nach der Unterbrechung eines Insulinkomas der zugefiihrte Traubenzucker aus unbekannten Grfinden vom Gewebe nicht aufgenommen wird, hat sich gebildet aus der Beobachtung, dab wir bei verliingertem Insulinkoma Blutzuckerwerte bis zu 400 und mehr fanden, also das Bild einer Hyper- glyk~mie, ohne aber andere Zeichen eines diabetischen Komas. Die Kranken sind abet auch dutch die langdauernde Hypoglyk~mie ver- bunden mit dem starken Schwitzen weitgehend ausgetrocknet, das ihnen oral zugeffihrte Wasser wird wohl auch nicht immer geniigend resorbiert. Wir gaben relativ hohe Mengen Wasser am Tage, und zwar 100--150 cm a destilliertes Wasser i.v. mehrmals, sparer physiologische KochsalzlSsung subcutan. Das destillierte Wasser wird yon dem wasserverarmten Ge- webe gierig aufgenommen und verschwindet aus dem Blur sehr schnell wieder. Es setzt auch keinerlei Sch~den. Kontrollen ergaben, dab keinerlei H~molyse stattfand. Diese Beobachtungen sind vielfach best~tigt worden.

Um welche F~lle handelt es sich eigentlich ? Welche Kranken kSnnen iiberhaupt mit einer so fatalen Wasserverarmung reagieren ?

Das senile Gehirn zeigt keine Schwellung mehr, auch das HirnSdem, das zu einer wirklichen Volumvermehrung ffihrt, scheint zu fehlen. Indes ist das Gehirn an sich wohl immer geschrumpft, wenn auch nicht nennens- wert, so dab eine RaumbeschrKnkung natfirlich weniger leicht nachweis- bar wird. Das senile Gehirn enth~lt aber auch eher zu viel als zu wenig Wasser, wie sich aus sehr zahlreichen Bestimmungen der Trockensub- stanz ergibt. Die Anschauung spricht ffir eine Austrocknung der senilen Gewebe, und die Untersuchungen der inneren Organe, der Muskulatur und der Hau t ergeben denn auch relativ niedrigen Wassergehalt. Beim Gehirn ist es aber umgekehrt. Sowohl sehr zahlreiche friihere Unter- suchungen als auch unsere neuesten Ergebnisse best~tigen das absolut. Das Gehirn verarmt also nicht an Wasser im Senium, sondern wird im Gegenteil wasserreicher. Diese Befunde sind durch eine geniigend groBe Zahl von Untersuchungen gesichert.

Die ausgetrockneten F~lle - - ob es sich um epileptischen Status, um Hyperkinesen oder um Exsiccosen - - z. B. auch beim S~ugling handelte,

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sind diejenigen, die auf dem Sektionstisch die Hirnschwellung zeigen. Seitdem wir als erste den Hyperkinesen sehr reichlich Wasser zuffihrten, was spi~ter auch ST5 SSEL sehr propagierte und gut begrfindet hat, sind die Hyperkinesen welt weniger geffirchtet. DaB sie vielleicht mehr noch der sofortigen Schockbehandlung als der Wasserzufuhr ihre Ret tung ver- danken, mag dahingestellt bleiben, sicher ist jedenfalls, daB die Wasser- zu~fuhr unentbehrlich ist. Beim S~ugling handelt es sich vielleicht nur um eine Austrocknung ohne Substanzablagerung. Aber das an dem so auBerordentlich wasserreichen Organ zu erkennen, dfirfte schwer halten. Wir wissen ja nicht, in welcher Weise - - von Individuum zu Individuum selbstverstiindlich verschieden, der Substanzaufbau des kindlichen Ge- hirns vor sich geht, so dab wir auch nicht in der Lage sind, aus einem Wassergehaltswert oder einem Lipoidwert eine Altersbestimmung vor- zunehmen, ebensowenig wie wir bei einem best immten Alter in Monaten genau sagen kSnnen, ob ein Wasser- oder Lipoid- oder EiweiBgehalt durch- schnittlich oder fiber dem Durchschnitt ist. Reifungsstadien zu erkennen, ist unmSglich mit einem Verfahren, das erst grSbere Abweichungen von einem recht weiten Spielraum mit Sicherheit als solche erkennen l~Bt.

Bemerkenswert ist, dab sowohl beim Tier als beim Menschen der Stickstoffgehalt der Gehirne mit der Einlagerung der Lipoide abnimmt, so dab die Reifung des S~uglingsgehirns weitestgehend eine Lipoidzu- nahme darstellt (ScHIFF und STB~NSKY, HATAI).

Unsere Messungen des Stickstoffgehaltes des trockenen Materials haben uns gezeigt, dab es sich vorwiegend um eine Anschoppung von stickstoffhaltigen Substanzen bei der Trockensubstanzvermehrung han- delte, und dab wir ann~hmen, dab diese Substanz EiweiB sei.

Unsere frfiheren Untersuchungen fiber die Hirnschwellung wurden fast ausnahmslos an Hyperkinese- oder Insulintodesf~llen durchgeffihrt, postoperative F~lle oder Tumortodesfalle waren damals in unserem Material sehr selten. Wir fanden auch bei den untersuchten F~llen nicht immer eine Substanzvermehrung und Wasserverarmung, aber doch in einer bemerkenswerten Zahl von F~llen. Wir mfissen zuerst noch nicht verSffentlichte Zahlen ans den Jahren vor dem Kriege zur Diskussion stellen; die Reste wesentlich umfangreicherer hirnchemischer Unter- suchungen werten noch die Ergebnisse yon 116 Gehirnen aus. Die er- w~hnte Wasseranreicherung des senilen Gehirngewebes zeigt sich ein- deutig, es zeigt sich weiterhin, dab die Elektrolyte ffir die Hirnschwellung offenbar ohne groBe Bedeutung sind.

Bei der Betrachtung der Tumortabelle (2) f~llt auf, dab neben ge- ringen Trockensubstanzvermehrungen der Rinde eindeutige Wasser- zunahmen im Mark vorkommen. I m zweiten Fall finder sich auf der Tumorseite eine ganz erhebliche Trockensubstanzvermehrung der Rinde. Das Wasser ist abgewandert, evtl. nach dem Mark hin verdri~ngt, da im

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Zur Frage der I-Iirnschwellung. 217

TabeHe 2. Tumoren, beideSei~n.

SNr.

360

376

372

397

TuD.

TuM

163 180 352 252 367

GN

1525

1950 1905

1680 1475

1540 1670

1330 1359

26O5

1735 1690 1615 1690 1480

Rinde

RN PN

175 1350 159

250 1700 275 1630

190 1350 160 1510

300 1435 140 1550 200 1415 337 1353

C1 LZ

10 16

17 15

TS

16,55 14,02

16,70 19,10

18,21 17,43

18,77 18,60

I

1540

1810 1975

1660 1500

1680 1388

RN PN

139 1401 I17

225 1585 239 1746

227 1453 117 1267

Mark

C1

Material aus der Umgebung eines Tumors

82 58 83 69

73

62 64

128 42 104 35

19,20 17,25 19,48

19,15

17,40 15,20 19,67 18,05 19,65

1672

235O 1540 2240 1540 1930 1590 1577

277 1963 157 1383 300 1630 438 1152

95

86 56

112 115

LZ TS

26 26,07 22 16,32

28,77 27,10

26,32 26,02

36 31,55 40 22,15

69 36,75!

33,52 21,15 30,00 26,35

53 26,70 52 26,15

35,38

Zeichenerkliirung: SNr. = Sektionsnummer GN = Gesamtstickstoff in mg-0/o RN = Reststickstoff in mg-O/o PN = EiweiBstickstoff in mg-°/o C1 = Chlor in Aquivalent LZ = Lipoidzahl TS = Trockensubstanz in 0/o.

Mark der Trockensubstanzgehal t weir un te r der Norm liegt. Jtdmliche Bilder bieten die beiden ni ichsten FAlle, bei denen aber z. B. die Rinde beider Seiten, sowohl der Tumorsei te als der freien Seite, wasserverarmt sind. Es diirfte also solchen Fgllen gegeniiber ganz unmSglieh sein, mi t Methoden, die dem gesamten Organ Wasser entziehen oder Wasser zu- fiihren, irgendwelche Erfolge zu erzielen. Sehen wir uns dagegen das Material aus der Umgebung eines Tumors, das operat iv en t fe rn t wurde, an (Tu 6.), so finden wir v611ig andere Verhiiltnisse. Je tz t sind sogar noch in der weiteren Umgebung, sowohl Rinden- als Marksubstanz enorm ver- mehrt , und mi t Trockensubs tanzwer ten yon anni ihernd 20 im Mark und 3 6,75 in der Rinde wirklich auBerordentlich hohe Werte erreicht. Bei diesem

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218 CARL R IEBELING."

Fa l l finden wir fibrigens auch sehr hohe Lipoidzahlen. Nehmen wir das n~ichste Opera t ionspr~para t (Tu M), so finden wir die hSchste Trockensub- s tanz und den hSehsten Gehal t an EiweiB in der Rinde, noch im Mark der Umgebung des Tumors einen enorm hohen St ickstoffgehal t , aber in der wei teren Umgebung normalen St icks toffgehal t und erhebliches 0 d e m . Von den le tz ten F~l len is t nur einer, bei dem sowohl R inde als Mark Trockensubs tanzvermehrung aufzeigen. Bei den anderen sind im Mark die Trockensubs tanzwer te alle niedrig. Dal~ dieses Ph~nomen aber keines- wegs a u f Tumoren beschr~nkt ist, erhel l t aus der n~chsten Tabelle , in der wir auch d re imal neben hohen Trockensubs tanzwer ten der R inde 5dematSses Mark vorfanden. Eine eigentl iche reine Markschwel lung fanden wir in unserem neuen Mater ia l f iberhaupt nur einmal , n~mlich bei e inem Pneumoniefa l l (S. 140, Tabel le 3), bei dem der Stickstoff- geha l t des Marks wesent l ich hSher is t als der der Rinde .

Tabelle 3.

Rinde Mark

SNr. GN RN PN C1 LZI TS G N ] R N PN

Infarkte 106 1581 343 1238 100 14,75 1848 285 1563 207 1400 179 1221 71 46 16,80" 2060 213 1847

Pneumonien 177 1400 200 1200 95 14,40 1670 159 1511 140 1680 310 1370 80 16,60 2100 272 1828 56 1360 91 15,17 1780

Eiterungen 179 15,15 223 1530 259 1271 100 44 17,13 1674 282 1392

64 1263 94 ,13,17 1815 199 1540 192 1348 83 44 [14,63 1710 211 1499 382 1712 440 1272 115,35 1688 260 1428

Cerebralsklerose 162 940 200 740 100 33 11,93 ] 1260 210 1050 242 [250 376 884 90 27 13,66 I 1330 466 864 356 [382 170 1212 14 13,80 1400 190 1210 358 [080 129 951 20 13,22 840 150 690

Wi r werden den gleichen F~l len wieder begegnen, andere Eigenschaf ten des Mater ia ls besprechen.

C1 LZ TS

97 32,41 56* 30,91

62 30,15 73 35,60 73 32,10

32,12 72 30,01 65 31,19 65 60 30,15

28,69

74 74 24,73 90 39 24,65

28 23,76 43 27,37

wenn wir ganz

W i r sehen also, da~ in einzelnen Hirnte i len , z. B. in unmi t t e lba r e r N~he eines Tumors , die gleichen Verh~ltnisse au f t r e t en kSnnen wie bei a l lgemeinen toxischen Hirnschwel lungen. Wesha lb nun aber aus der lokalen St6rung eine al lgemeine wird, is t n ich t zu vers tehen. Wohl kSn- nen wir uns vorstel len, dal~ zun~chst ein ~)dem vorhanden ist, da]~ eine

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Fl i i ss igkei t sanre icherung eine solche mi t eiweiBhalt iger Fl i i ss igkei t ist , dab dann aber nur eine E lek t ro ly t lSsung wieder abflieBen kann und das Eiweil l l iegen bleibt , sei es in Ges ta l t eines Gels, sei es in F o r m yon Komplexve rb indungen .

Die Ursachen ffir diese Ver~nderungen sind immer wieder anders auf- gefaBt worden, wir selbst haben als Ursache vorwiegend an Grenz- f l~ehenveri inderungen gedaeht , wie sie dhnlich bei der serSsen Entz i in - dung auf t re ten . DaB yon einer solchen selbst keine Rede sein kann, haben Sie gehSrt .

Tabelle 4. Carcinome.

SNr.

51 75 84

107 116 131 139 142 149 166 175 182 213 218 224 228 314 317 321 330

Rinde

GN RN PN

1300 1610 1485 1428 200 1228 1342 282 1160 1680

*'1388 286 1102 l l20 140 980 1415 220 1195 1120 165 955 1615 280 1355 1605 1585 330 1255 1400 220 1180 1335 258 1077 1510 598~ 912 1456 16011296 1492 2281 1264 1414 188 1226 1235 175 1060

C1 LZ I

97 115 87 9O 98 78 81 9O 90 44 57 46

100 46

77 30 112 44 90 54 78 39

29 3O 39 27

TS

13,00 15,30 16,70 * 15,38 11,50 15,37 14,50 14,00 14,09 13,80 14,90 17,00 14,90 16,00 15,15 16,31 14,79 16,11 17,62 13,55

Mark

GN" I RN Ph,"

1680 i 1746 2601 1486

293 1750 1785 281 1504 1780 160 1620 1710 140 1570 1575 180 1395 1630 1540

364 1750 239 1511 1420 301 1119

544 1680 220 1460 1763 560 1203 1406 i75 1231 i804 194 1610

C1 !LZ TS

32,45 34,00 34,00 28,80

30,75 31,30 32,40

59 30,30 62 31,05

32,10 53 27,42! 56 31,20 50 28,55 ! 66 30,02 43 32,43 32 28,42 54 29,50 64 29,00 37 27,75

Als wir, m i t dem S tud ium der Hirnschwel lung frfiher besch~ft igt , auch die Verh~ltnisse in der Leber in den Kre i s unserer Be t r ach tungen zogen, ha t t e TERBRt)GGEN berei ts eine Leberschwel lung durch Eiweii l- anschoppung nachgewiesen. W i r haben eine grS•ere Reihe von Lebern un te r such t und zun~chst bemerkenswer te Untersch iede bezfiglich Ge- samtgewich t und Re la t ivgewich t gegeniiber dem Meeklenburger Mater ia l fests tel len miissen, die aber zwanglos auf kons t i tu t ione l le und Ern~hrungs- fak toren zuri ickgeff ihr t werden konnten . Dar i ibe r h inaus konn ten wir TERBRtfGGE~S Fes t s te l lungen einer Leberschwel lung durchaus bes ta t i - gen und insbesondere zeigen, d a b bei Hi rnsehwel lungszus t~nden auch Leberschwel lungen vo rkommen k6nnen! Zwar g ib t es beide Zus t~nde auch unabh~ngig voneinander , aber bei den Hyperk inese todesf~ l len war neben der Hi rnschwel lung meis t auch eine Lebersehwel lung

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2 2 0 CARL R IEBELING :

weisbar, e inmal al lerdings auch das Gegenteil , n~mlich ein e indeut iges LeberSdem.

Es scheint doch, als ob der zur Hirnschwel lung f i ihrenden Permea- b i l i t~ tss tSrung ein al lgemeineres Pr inz ip zugrunde liegt, das sich auch in anderen Organen auswirken kann, und es d i i r f te n ich t ohne Bedeu- tung sein, dab gerade die Leber hier korrel ier t . E i n m a l wegen ihrer speziellen Bedeu tung fiir Geh i rnkrankhe i t en i iberhaupt , anderersei ts wegen ihrer zent ra len Ste l lung im Stoffwechsel des KSrpers .

Tabelle 5.

Lebergewicht/KSrpergewicht . . Lebergewicht . . . . . . . . . Lebertrockensubstanz . . . . . . Wassergehalt . . . . . . . . . . EiweiBprozent der Leber . . . . Gesamtgewicht . . . . . . . . .

EiweiB in kg: K6rpergewicht in kg

~OPPE-SRYLER TEERBR~GGEN ~IEBELING R6SSLE

ca. 30 22,4 1800 1400

23,2 27,1 76,8 72,9 15,75 18,6"

280 231 0,16"*

0,46 0,37 0,49***

25---28 1400 24,0 76,0 14,9 217

* Hoher Durchschnitt, da s~mtliche Fiille mit Leberschwellung eingerechnet sind.

** Ein Fall yon LeberSdem. *** Durchschnitt der FMle yon Leberschwellung.

Tabelle 6. Verhalten van Fdllen, bei denen neben einer Hirnschwellung eine Leberschwellung nachweisbar war.

Rinde . . . Mark . . . Leber . . .

Trockensubstanz in % Stickstoffgehaltin rag-% Durchschnitt Hirnschwellung Durchschnltt Hirnschwellung

15,0 30,0 24,0

16,7 1500 32,0 1600 29,0 2830

1650 1750 3250

Pr inzipie l l is t es ganz gleichgiil t ig, welche Eigenschaf ten des Mater ia ls ich zuers t priife, u m evtl . zur Aufkl~rung des r~tselhaf ten, so sehr zweck- widr igen Geschehens einer Hirnschwel lung beizut ragen. Pr inzipiel l is t es auch gleichgiil t ig, welche Mater ie des Gehirns ich fiir befi~higt halte, Wasse r oder feste Subs tanz aufzunehmen. Aber die e indeut ige und immer wieder reproduz ie rbare Fes t s te l lung der St icks tof fvermehrung, die sich fas t ausschlieBlich au f Eiweil3 bezieht , da wir ja die s t icks toffhal t igen Lipoide wirkl ich vernachl~ssigen dtirfen und die n ich t kol lo idalen Be- s tandte i le q u a n t i t a t i v erfal~t sind, ha t uns doch veranlal~t, unser In teresse in ers ter Linie dem Hirneiweil~ zuzuwenden. Es h a t sich denn auch deut l ich gezeigt, dab die Lipoidgeha l te rech t versch iedenar t iger Hi rne n ich t abhiingig s i n d ' v o n anderen Quali t i i ten.

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Zur Frage der Hirnschwellung. 221

Auch der Elektrolytgehalt scheint nicht die Rolle zu spielen, die ihm z .B. WALL~,~ zuspreehen, wolRe, der aber mit viel zu wenig Material keine verbindlichen Aussagen machen kann.

DE CRISIS gab einmal an, dab der Hirnschwellung eine Harnstoff- phanerose zugrunde liege. Er ging davon aus, dab die Uriimietodesfi~lle eine Hirnschwellung zeigen, und hat nur solehe Fiille untersucht. Bei diesen aber sogar ist der ttarnstoffgehalt nicht wesentlich vermehrt gegenfiber anderen hirnorganisehen Zustandsbildern mit normalem Reststickstoff. Ganz abzulehnen ist die Angabe, dab der Harnstoff an Ort und Stelle gebildet worden sei. Wir haben diese MSglichkeit bereits frfiher erSrtert und abgelehnt. Es gibt keine extrahepatische Harnstoff- bildung im Si~ugetierorganismus! Wir haben niemals eine nennen~- werte Veriinderung gefunden, die auch nur anniihernd den Bfldern ~hnelte, die D~ CRISIS beschrieb. Auch BEROER hat, wiewohl recht vor- siehtig, die de Crinissche Theorie schlielMich abgelehnt. Bei den mit der Oesterreicherschen Methode gefundenen Drusen von Xanthydrolharnstoff handelt es sich u. E. um Kunstprodukte.

Etwas anderes ist es mit der Feststellung, dal~ bei li~ngerem Liegen Harnstoff in das Gewebe einwandern kann und dann dort sich nieder- schliigt. Das hat aber mit der Hirnschwellung gar nichts zu tun.

Besonders fruchtbar scheint uns der Ansatz, den WILKE maehte, um die Hirnschwellung zu erkliiren. Obwohl Herr WILKE selbst fiber seine Untersuehungen berichten wird, mfissen wir das Prinzip, soweit es uns bisher bekannt geworden ist, hier erkliiren und wenigstens vorli~ufig noch in Frage stellen.

WILKE geht davon aus, datJ im ModeIlversuch Acrylamidpolymeri- sationen durch Hirnbrei verursacht werden, wobei dieser sowohl wie auch ganze Gehirne zu einer festen, der Hirnschwellung analogen Kon- sistenz erstarren. Er denkt sieh, dab auch die Hirnschwellung das Resul- ta t einer Polymerisation ist.

Die Heranziehung des Harnstoffs, der ungesgttigten Fettsiiuren in den Hirnlipoiden, als mSgliche zur Polymerisation neigende Substanzen ffihrt zu erheblichen Konsequenzen.

Es wfirde sich, wenn die Theorie WILKES beweisbar wgre, oder sein wird, darum handeln, dab eine Verfestigung eines Gewebes stattfindet dadurch, dab irgendwelche Substanzen, die, wie wi res ausdriieken, an- geschoppt werden, nun an Ort und Stelle nicht wieder abflieBen kSnnen, weft sie zu Makromolekiilen zusammengelagert sind. Die Zusammen- lagerung aber bedeutet etwas, was m. E. nur experimentell zu kli~ren ist, jedenfalls nicht erraten werden kann. Sind die Zwisehenr~ume zwischen einer grol3en Anzahl kleiner oder einer kleinen Anzahl groBer KSrper verschieden ? Jeder weiB, dal~ groBe Steine, grol3e Kugeln relativ und absolut mehr Raum einnehmen, als die gewichtsm~Big gleiche Menge

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222 CaRL R I~BELING :

kleiner Kugeln, oder dab ein Volumen voll einer groBen Anzahl kleiner KSrper schwerer ist als das gleiche Volumen mit einigen groBen KSrpern. Wenn das auch fiir Polymerisate gilt, dann erhebt sich die Schwierig- keit, zu erklgren, was in den Zwischenriiumen ist, wenn es nicht Wasser sein soll, denn histologisch sollen ja keine Zwischenr~ume erkennbar sein. Die intramolekularen R~ume miiBten errechnet werden kSnnen!

In der jfingsten Arbeit von WILK~ wird die Hirnschwellung weiterhin als Polymerisationsvorgang angesehen. Es wird auBerdem gezeigt, dab das Acrylamid als Einzelmolekfil wesentlich giftiger ist Ms das Polymeri- sat. Der SchluB, den WILKE zieht, dab evtl. giftige Stoffwechselprodukte durch Polymerisation im Hirn entgiftet werden, seheint mir aber aus zweierlei Grfinden nicht bindend. Die Hirnschwellung ist ja gerade eine tSdliche Erkrankung; das Resultat, das sie erzielt, ist sinnwidrig und die Polymerisation von giftigen Stoffweehselprodukten zum Zwecke der Entgiftung ist eine ffir den menschlichen Stoffwechsel mindestens sehr ungew6hnliche MaBnahme. WILKE zieht zum Vergleich mit Polymeri- sation und Polykondensation auch die QueUungsbereitschaft heran, die solche Produkte aufweisen. Die eehte Hirnschwellung ist ja aber gar nicht quellungsbereit. DaB Hirngewebe eine katalytische Wirkung aus- zuiiben vermag, hat mit dem Phi~nomen der Eigenveri~nderungen doch gar nichts zu tun; ebensowenig gilt das iibrigens fiir die Leber.

DaB das zu polymerisierende Material herangebracht werden muB, bleibt selbstverstgndlich; die Frage also, warum das Gehirn iiberhaupt so unzweckm~Big reagiert, bleibt unbeantwortet, aber das wfirde nichts verschlagen. Was die Polymerisation verursaeht, ist bisher nicht gekli~rt, wenn wir es nicht nachher erfahren.

Ob eine bestimmte Summe von Molekfilen oder ob ein bestimmter Prozentsatz eines Molekiils in einem Gewebe in Gestalt monomerer oder polymerer Molekfile vorliegt, ist fiir den Gehalt des Gewebes an diesem Molekiil, oder gar an einem durch Veraschung faBbaren, z. B. anorgani- schen Bestandteile, vSllig gleichgfiltig.

Wenn die Leber aber bei der von uns beobachteten Leberschwellung eindeutig mehr Stickstoff enthglt als die normale Leber, dann kann das nur dadurch zustande gekommen sein, dab stiekstoffhaltige Stoffe von auSen in die Leber eingewandert sind. Es ist dann aber nicht ein. zusehen, weshalb sie nicht, stat t polymerisiert zu werden, woffir kein Anhaltspunkt vorhanden ist, einfaeh wieder ausgeschwemmt werden. Eine Entgiftung wfirde doch vSllig ihren Sinn verlieren, wenn stat t des chemiseh wirkenden Giftes nun ein durch GrSBe und Unbeweglichkeit wirkendes Gift an seine Stelle tritt . Man kann durchaus die Frage dis- kutieren, ob das unbewegliche, grobe Material, das bei der Hirnschwel- lung angeschoppt wird, stat t EiweiB, wie ich mit guten Griinden an- nehme, ein Polymerisat oder Polykondensat eines stickstoffhaltigen

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Zur Frage der Hirnschwellung. 223

KSrpers ist, der nicht als Eiweil3 in Erscheinung tritt . Das / inder t aber gar nichts an der Tatsache, dab doch zun/iehst einmal eine reichliche Menge Stickstoff einwandern muB. Von den dureh Akrylamid vergifteten Tieren miiBte man erwarten, dal3 sie eine Hirnschwellung aufgewiesen h/itten, die aber nieht ausgereicht h/itte, um die Tiere zu retten. A priori bereits polymeres Acrylamid ist vielleicht gar nicht weiter transportiert worden, konnte nicht durch die Hirnschranke eindringen und war deshalb ungiftig ?

Wie sehen denn die Gehirne aus WILKES erster Tabelle aus ? Wie hoch war der Gehalt des Gehirns der verschiedenen Gruppen von M/iusen an Acrylamid, und wie hoch war die Trockensubstanz ? Mir scheint, dal3 die Beantwortung dieser Fragen fiir die Hirnschwellung unumg/inglich ist. Unsere eindeutigen chemischen Belege sind wohl durch die Poly- merisationstheorie nieht zu erkl/iren. Sie miissen aber erst widerlegt werden, ehe ein weiteres Festhalten an dieser Theorie berechtigt w/ire. Wenn es sich um stickstoffhaltige gelSste KSrper handelte, mii~ten sie auch noch nach der Polymerisation in den Reststickstoff gehen, es sei denn, dal~ sie so grol3 geworden sind, dal3 sie als Kolloide imponieren, dann also EiweiBcharakter haben und mit dem Eiweil3 verwechselt wer- den kSnnten. I m Reststiekstoff sind sie nicht nachweisbar, weft der ja nicht erhSht zu sein braucht. I m Eiweil3stiekstoff w/iren sie bei Stick- stoffbestimmungen zu erfassen, miil3ten aber auch durch ihre Wande- rungsgeschwindigkeit im elektrischen Feld auffallen.

Wir denken bei hochpolymeren Eiweil3kSrpern zwangsl/iufig an Virusarten, und unter diesen wieder an die, yon denen die Entstehung durch Polymerisation wahrscheinlich gemacht worden ist.

YA~tFt~CI, der sich um das Virus der Seidenraupenpolyederkrank- heir gekiimmert hat, hat sehr wahrscheinlich gemacht, dal3 die Poly- merisation yon Eiweil3kSrpern des Tieres zu Virusmolekiilen dann statt- findet, wenn nicht mehr geniigend Katalase zur Verfiigung steht, um das im intermedi/iren Stoffwechsel entstehende Wasserstoffsuperoxyd zu reduzieren. Katalase spielt also eine sehiitzende Rolle bei der Poly- merisierung, gewissermal3en eine Schutzkatalyse. Und WILKE hat schon darauf hingewiesen, dal3 Redoxstoffe fiir die Katalyse der Polym(,ri- sation auch eine R~lle spielen kSnnen.

Die Untersuchungen von GZVRk und REXl~D an der unbeseh/idigten ttirnoberfl/iche befassen sich wohl mit der h/imostatischen Wirkung des Perydrols und benutzen erheblich grSl3ere Mengen als sie im Gewebe auftreten k6nnen. Es ist aber doch erw/ihnenswert, dab die Autoren intensive Vasodilatation der Pia, gesteigerte Durehl/issigkeit fiir Trypan- blau und akute Ganglienzellerkrankung in den oberen Rindenschichten fanden. Wendet man nun den Blick auf die Katalase des Gehirns, so

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224 CA~L RIEBr, Lr~o:

muB man allerdings feststellen, dab in der Reihe der Organe, in welchen man Katalase naehgewiesen hat, das Gehirn an ]etzter Stelle steht.

Wir haben sowohl die Katalase im Gehirn best immt als auch die Permanganatreduktase. Die Ergebnisse indes sind reeht mager. Wohl haben wir bei Hirnschwellungszust/~nden ein Fehlen der Katalase und eine Senkung der Permanganatreduktase naehweisen kSnnen, aber wir fanden, dab ebensolche herabgesetzten Werte auch mitunter bei Zust~nden ohne jede Andeutung einer Hirnschwellung vorkommen. Wir m6chten also den bisher gefundenen Werten nicht allzuviel Bedeu- tung beimessen und abwarten, was bei den im Gang befindlichen Ver- suchen fiber eine Vergiftung der Katalase zu erkennen sein wird. Man kann n/~mlieh Katalase z .B. mit Hydroxylamin vergiften und wir hoffen, aufdiese Weise bei Hirnbreiversuchen weitere Aufkl/~rung zu finden.

Weitere Einw/inde gegen die Theorie, dab es sich um ein Polymerisat handelte, sind die, dab sich weder papierchromatographisch noeh elek- trophoretisch Anhalte ergeben haben, dab bestimmte, sonst im Gehirn nicht vorkommende Stoffe neu auftr~ten. Wir h/itten einmal andere KSrper finden mfissen. Das war indes nicht der Fall und es ist nieht wahrscheinlich, dab nun die polymerisierten Produkte gar nicht wan- dern sollten.

Handelt es sich nun aber um eine Quellung, nieht nur um eine Poly- merisation, sondern darum, dab diese Substanz quellungsflahiger ist als gewShnliches Material aus Gehirnen, dann denken wir wieder an die Tatsache, dab die Quellungsf~higkeit ja nur die Tendenz dazu ist, dab Wasser aufgenommen wird. Und wir haben immer wieder zu repetieren, dab eben kein Wasser aufgenommen wird, sondern dab Wasser abge- geben wird. Wenn Wasser aufgenommen wird, wird nicht nur die Ober- fl~che gl/inzender, nicht nur kann Wasser sogar abgestrichen werden, sondern das Material selbst wird start fester zu werden weicher und flfissiger.

Es lag nahe, auch die Bestimmung des spezifischen Gewichtes yon Hirnsubstanz zur Aufdeckung einer Hirnschwellung heranzuziehen. Nachdem wir aber gelernt hatten, wie groB und entscheidend die Unter- schiede in der Zusammensetzung der Rinde und des 5Iarkes sein kSnnen, bzw. sein mfissen, war es evident, dab Bestimmungen des Gewichtes von Gesamthirn keinen Sinn haben konnten. MuBten doeh so alle ein- fachen Substanzverschiebungen sich der Erfassung entziehen und nur Zuwachs oder Schwund sich erkennbar machen. Diesen zu erkennen muBte aber ebenfalls, sobald er sich auf das Gesamtgehirn bezog, recht sehwierig und unzul/~nglich sein, da ja die entstehenden Differenzen evtl. innerhalb der Fehlergrenze einer Methode lagen.

Wir haben daher bereits 1943 damit begonnen, das spezifische Ge- wicht von Rinde und von Mark getrennt zu untersuchen.

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• Zur Frage der Hirnschwellung. 225

Wir bedienten uns dabei eines sehr praktischen kleinen Apparates, der yon mir konstruiert wurde und von B~FURTH, der die meisten Be- stimmungen damit durchgeffihrt hat, modifiziert wurde. Es handelt sich um ein kleines Pyknometer, das an anderer Stelle ausffihrlich be- schrieben wurde. Hier sei nur darauf hingewiesen, dab eine gewisse Ein- arbeitung in die Methodik notwendig ist, wie bei jeder differenzierten Mikrotechnik, dab die Resultate der Doppelbestimmungen dann aber besonders erfreulich sind. Die Streuung der Werte ffir das spezifische Gewicht offensichtlich normaler Hirnsubstanz ist auffallend groB. Wir glauben, dab eine intensivere Erfassung einer gro~en Reihe yon Hirn- teilen noch einige wichtige Aufschliisse wird geben kSnnen. DaB die Streuung bei den sp~teren Untersuchern, die auch nur wieder Gesamt- him untersuchten, wesentlich geringer ist als bei unserem Verfahren, ist bereits erkl~rt. Leider nehmen weder BURKttART noch SELBACH Stellung weder zu unserer Methodik noch zu unseren Ergebnissen. Von BURKHARTS Ergebnissen, die mit einer hydrostatischen Methode ge- wonnen wurden, ist es schwer auf andere zu schlieBen, da er sich eigen- artigerweise der physiologischen KochsalzlSsung als Suspensions- flfissigkeit bedient hat. Deren spezifisches Gewicht nachtri~glich selbst zu bestimmen (was B•RXHART leider unterlieB), hat keinen Sinn, weil wir nicht genfigend fiber die genaue Zusammensetzung der yon ihm be- nutzten LSsung unterrichtet sind. Am Gesamthirn finder BURKHART eine ErhShung des spezifischen Gewichts durch die Hirnschwellung.

SELBACH hat durch 0dem ver~nderte Hirnstficke an der Torsions- waage (offenbar hydrostatisch) untersueht und festgestellt, dab das spezifische Gewicht des Gewebes durch das ganze Hirn hindurch ganz ungleichm~Big verteilt ist. Einzelne Zahlen gibt er nicht an.

Offenbar geschwollenes Gewebe erwies sich in Neutralisationsver- suchen von S~LBACH als ausreichend fi~hig, Alkali abzupuffern, ebenso wie normales Gehirn, das aber durch eine besonders intensive S~ure- pufferung erkennbar war. Das spricht daffir, dab ,,doch eine fiber das nor- male MaB hinausgehende Menge yon labilem Alkali neben der physiolo- gischen Menge an S~uren im Zellhaushalt vorhanden war". Dazu ist zu bemerken, dab unsere Elektrolytbestimmungen in keiner Weise daffir sprechen, dab der S~ure-Basen-Haushalt der geschwollenen Gehirne irgendwie anders sei als derjenige der normalen.

SELBACHS Untersuchungen zeigen, dab das Hirngewebe bei alkali- seher Reaktion mehr zur Quellung neigt als bei saurer, indes muB doeh daran festgehalten werden, dab es Sehwellungen nur der Rinde oder nur des Marks gibt. Die Quellungsfahigkeit, die Gier Wasser aufzu- nehmen, ist bei den gesehwollenen Gehirnen in vitro zweifellos grSBer als bei den 5dematSsen, solange n~mlieh fiberhaupt noch die MSglich- keit besteht.

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226 CARL R I E B E L I N G :

Aber wenn die Schwellung erst wirklich zu einer manifesten An- schoppung gefiihrt hat, dann kann das Gewebe iiberhaupt kein Wasser mehr aufnehmen. Dann ist es gewissermaBen verklebt mit wasserunl5s- lichen und nicht mehr auswaschbaren Substanzen. Es w~re schon sehr einleuchtend, wenn man diese Substanzen, z. B. bei polymerisierten KSrpern, vorzugsweise dann aber EiweiBkSrpern suehen kSnnte. Trotz weitgehender Kri t ik an unseren Befunden best~tigt S]~LBACH am Ende unsere Ergebnisse und kommt zu genau der gleiehen Definition wie wir, dab wir n~mlich das Wesen der Himschwellung in einer Ansehoppung von Substanzen finden, die zu einer Volumenvermehrung, zu einer Steigerung des Trockensubstanzgehaltes und evtl. auch zu einer Steige- rung des spezifischen Gewichts ffihrt.

Was nun die Klinik der Hirnschwellung betrifft, so miissen wir fol- gendes feststellen :

Die echte Hirnschwellung scheint bedeutend seltener geworden zu sein. Anscheinend ist das vorsichtige, zuriickhaltende Insulinisieren, das

wir fiben, eben doch sehr vorteilhaft; anscheinend ist die Schocktherapie der cyanotischen Hyperkinesen eben doch die Therapie der Wahl. Wenigstens waren im Jahre 1952 keine eigentlichen genuinen Hirn- schwellungen zu beobachten. Wir sehen auch kaum noch Todesf~lle bei Hyperkinesen; es gibt praktisch keine Insulintodesfi~lle mehr, und durch die frfihzeitige Anwendung der Schocktherapie bei den schweren Er- regungen fi~llt eine ganze Reihe von Komplikationen weg, die sonst bei diesen F~llen t5dliche Gefahren darstellten. Es ist auch die Forderung nach der reichlichen Wasserversorgung, die wir immer erhoben haben, und die yon STSSSEL sp~ter ebenfalls stark propagiert wurde, heute sehr viel weniger bedeutungsvoll. Da die Kranken durch die Schocktherapie gleich beruhigt sind, trinken sie und verlieren auch weniger Wasser durch die Haut .

Tierexperimentell ist eine Hirnschwellung kaum zu erzielen, wenn sie allen Forderungen von REICHARDT wirklich gerecht werden soll. Wir sehen zwar Verschiebungen des Wassergehalts des Gehirns, aber die trockene, z~he Konsistenz der eigentlichen Hirnschwellung hat offenbar doch noch andere Ursachen als nur diejenigen, wie sie z. B. S~LBACH in seinen schSnen Versuchen verwandt hat, der sich eben auf mechanische Ursachen beschr~nkte.

DaB wir trotz der Schwierigkeiten der Materialbeschaffung iiberhaupt Material bekamen, danken wir den Herren PETTE, DSRING, KAUTZKY und HAUSSLER. YOn ihnen wurde uns in groBziigiger Weise sowohl Operationsmaterial als auch Sektionsmaterial zur Verffigung gestellt.

Unsere damaligen Lipoidbestimmungen, unsere Kolloidkurven mit Hirnbreien verschiedener Genese, die Bestimmungen des 15slichen Stick- stoffs, der Jodzahl, sind alle verbrannt. Einzelne Gebiete wollten wir

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Zur Frage der l:Iimschwelhmg. o

227

Abb. 1 a Hirnextrakt, leer, b Kupferchloridl6sung, leer, mit schwacher, cmi t mittlerer, d mit st~rkerer VcrgrSl3erung.

Abb. 2. Links oben: Rindenextrakt mit schwacher, unten mit mittlerer Vergr6flerung, rechts ()ben lind unten entsprechend vom Mark. Apoplexie.

nach MSglichkeit erneut bearbeiten. Zudem hofften wir, durch Anwen- dung neuer Methoden vielleicht neue Dinge zu finden, die wir nicht friiher hat ten untersuchen kSnnen. So kamen wlr zur Chromatographie und zur Elektrophorese.

Die Papierchromatographie sollte es ermSglichen, freie Amino- s~uren oder andere tiefe Spaltprodukte der EiweiSkSrper aufzudecken,

D e u t s c h e Zettschrift f. NervenheUkunde, Bd. 170. 16

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228 CAm, RIEBELING:

aul3erdem pathologische Zucker, organische Basen, Ketos~uren zu fin- den. Die Elektrophorese wandten wir an, um evtl. sonst nicht vorkom- mende Eiweil3kSrper zu finden, bzw. auch, um die MSglichkeiten yon Polymerisationsprodukten zu best/itigen oder zu widerlegen.

Abb. 3. Links von oben nach unten l~inde in schwacher, mittlerer und st~rkerer Vergr6Berung, rechts entsprechend fiir Mark. Uteruscarcinom, AuflSsung der Strukturen, KSrnchmg.

Da wir ja wissen, dab eine Substanzverschiebung, eine Anschoppung stattfindet, aber nicht von welcher Substanz, miissen wir ja mehr oder weniger ins Dunkle schiel3en.

DaB man sich bei kaum einer Untersuchung am Gehirn auf das Ge- samtgehirn beziehen kann, sondern dal3 man prinzipiell immer Rinde und Mark getrennt untersuchen muG, haben wit schon erw~hnt.

Man muB sich mit sehr geringen Materialmengen begniigen, wenn man yon einem interessanten Gehirn doch relativ wenig zur chemischen Untersuchung entnehmen kann.

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Zur Frage der Hirnschwellung. 229

SCHWIETZER hat in unserem Laboratorium die Absorptionsf~higkeit des Gehirns untersucht ; die elegante Methode, die er anwandte, erbrachte den eindeutigen Beweis, dab das Gehirnmaterial keine fremden Sub- stanzen absorbiert, es ergab sich aber aus der Methode eine sehr schSne neue MSglichkeit, den Wassergehalt zu bestimmen. Die Absorption von

Abb. 4. Lebercirrhose, links oben l%inde bei schwacher, links unten bei mittlerer Vergr61~erung. P~echts entsprechend fiir Mark. Fast vSllig leeres Bild, ~hnlich den reinen Kupferchloridl6sungen,

keine nennenswerte Einwirkung des Gehirnbreies.

k6rpereigenen Substanzen wurde nicht untersucht, da sie fiir die Frage- stellung damals nicht in Betracht kam. STERN, KREBS und Mitarbeiter haben zeigen k6nnen, dab Glutamin sowohl wie Glutamins~ure im Ge- webe aufgenommen werden, wenn sie in der Suspensionsfliissigkeit zur Verffigung stehen.

Lipoiduntersuchungen ergaben zwar eine ziemliche Streuung dcr Werte auch innerhalb der gleichen Krankheitsgruppen, aber doch einige l~bereinstimmung zwischen Mark und Rinde beim gleichen Individuum. Abgesehen davon, dab regelm~l]ig der Lipoidgehalt des Markes wesent- lich h6her gefunden wurde alE der der l%inde, waren entweder in beiden Hirnteilen hohe oder in beiden Hirnteilen niedrige Werte zu finden, selten war eine gr6bere Diskrepanz zu erkennen. Sehr gleichm~l~ige Resul- rate erzielten wir bei allen Carcinomtodesf~llen, keineswegs besonders niedrig, sondern einem guten Durchschnittswert entsprechend. Einzelne enorm niedrige Werte ergaben sich bei F~llen yon HirnSdem. Eigentliche Hirnschwellungszust~tnde konnten gar nicht untersucht werden, da das Material in den wenigen Fi~llen zu klein war. So viel hat sich aber doch

16"

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230 CARL R IEBELINO :

ergeben, daG die Lipoidgesamtmengen o//enbar ohne Bedeutung oder minde- stens ohne gr6[3ere Bedeutung /iir die Volumvermehrung des Gehirns sin&

Wir kommen zur Besprechung der Ergebnisse mit Kupferchlorid- kristallisationen. Es ist recht schwierig, die Bilder zu deuten, und man mug sich sehr hineinlesen, ehe man einigermaGen sicher ist. Deshalb

r

Abb. 5a.

Abb. 5 a und 5 b Gliom, Sekt. 360/52, a gesunde Seite, b Tumorseite, links Rinde, rechts Mark, oben LupenvergrS•erung, unten mittlere VergrSBerung. - Beachte: Struktur trotz Tumor noch

erkennbar, aber I)rehtendenz aufgehoben.

empfiehlt es sich bei der Arbeit mit solchen Verfahren, auch immer Leer- versuche einzuschalten, d. h. also die Bilder reiner Kupferchlorid-kristalli- sation (Abb. 1 b- -d) immer wieder zum Vergleich heranzuziehen. Solche leeren oder reinen LSsungen ergeben zwar auch eine Mannigfaltigkeit yon Formen, die abet auf wenige Grundcharaktere zuriickffihrbar sind. Das gilt auch fiir die mit Hirnext rakt versetzten LSsungen. Gegenfiber dem schSnen und klaren Kristallbild einer reinen LSsung ist das eines Hirnbreies (Abb. 1 a) weniger aufschluGreich ; auger einigen wenigen Kochsalzkristallen

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findet man kaum Kristallformen. Nimmt man nun aber einen Extrakt , z. B. von einer Cerebralsklerose, so zeigt sich, dab die Kristallf/~den in ganz charakteristischer Weise aufgedreht sind, da der Ex t rak t die F/~hig- keit hat, die Kristallbildung zu stSren. Aus der Fiille der verschiedenen Formen dieser Kristallf/~den, die in der Mehrzahl gedreht sind, sch~len

Abb. 5 b.

sich einige klare Bilder heraus. Es findet sich das gek6rnte, gewisser- mal~en zerbrochene, amorphe Bild. Hier hat der Ext rak t gewisserma6en die Kristallisation vergiftet. Es finden sich palmwedelartige Fiicher mit sehr feinen Strukturen, die blumig wirken. Es finden sich KSrnelungen der feinen Kristalli'aden und schliel~lich ein vSlliges Fehlen der Drehungs- tendenz oder des Drehungsmomentes, wie wi res gelegentlieh bezeichne- ten. Material aus der Umgebung eines Tumors z .B. , ein Operations- pr/tparat, zeigt eine vSllige ZerstSrung der Struktur, w~hrend Material von einer Endocarditis oder von einem Bronchialcareinom zwar Verfall zeigt, aber Grundstrukturen doch erkennen l~Bt. Wir haben bisher nicht geniigend Anhalte, um irgend etwas mehr fiber die Diagnose auszu- sagen. Wit haben bis jetzt noch den Eindruck, da6 die Struktur des

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Kristallbildes von Allgemeinst6rungen abhKngt, die bestimmten Gruppen yon Krankheiten, aber nicht bestimmten Krankheiten zugehSren. DaB die echte Hirnschwellung ihr eigenes Gepri£ge auch dem Kristallbild auf- zwingt, diirfte sicher sein. Wir glauben, da0 die Struktur wie ,,Blasen- tang" nur bei der Hirnschwellung beobachtet wird (Abb. 6). In jfingster Zeit durchgeffihrte Kristalluntersuchungen mittels alkoholischer L6sungen

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Abb. 6, Hirnschwetlung, bei einem Gliom blasige Auftreibung sowohl der Rinde als des Marks, insbesondere bei starker VergrSi3erung erkennbar. Blasentangstruktur. Links oben Rinde bei mittlerer

Vergrbflerung, links unten Mark, rechts bei starker VergrSl~erung.

sprechen daffir, dal3 das Eiwei$ des Hirnbreies der wesentliche Motor ffir die Drehung wie auch fiir die KSrnelung der Kristallf/~,den ist, denn in den alkoholischen Extrakten finden wir dieses Ph/~nomen nicht. Sie sind iiberhaupt wesentlich weniger abweichend yore Leerbild als die w/~rigen LSsungen.

Ihr besonderes Gepr~ge bekommen aber die Kristallisationsbilder, wenn man sie den anderen Befunden bei der Hirnschwellung gegen- fiberstellt, und damit kommen wir zu den Ergebnissen, die mittels elektro- phoretischer EiweiBanalyse yon Hirnextrakten gewonnen werden konnten.

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Ebensowenig wie wir auch nur ann~hernd die fiber 400 Kristalli- sationsbilder hier zeigen konnten, auch nur erSrtern konnten, ist das mSglich ffir die gro•e Reihe von Pherogrammen, die Herr KAes von Hirnextrakten durchgeffihrt hat. Die Ergebnisse der chemischen Be- s t i m m u n g e n - also Trockensubstanz und Stickstoffwerte, der kolloid- chemischen Reaktionen, der Kristallisationsbilder und der Pherogramme stimmen bemerkenswert iiberein, ein ein- heitliches Bild des Geschehens bei der Hirnschwellung zu geben. Da die Resul- tate unabh~ngig voneinander und samt und sonders durch Doppelanalysen belegt erhalten wurden, dfirften sie yon be- sonderer ObjektivitKt sein.

Die Elektrophorese der Eiweil~e des Gehirns wurde zunii, chst mit Hirnbrei ver- sucht, der dutch sorgfaltige Zermalmung des Gehirns teils mit, tells ohne Zusatz yon Quarzsand gewonnen war. Erst neuer- dings sind wir wieder dazu fibergegangen, zuletzt mit besseren Erfolg als frfiher, mit w~6rigen Extrakten zu arbeiten. Das Eiweil~pherogramm des normalen Ge- hirns, das yon Brei gewonnen wurde, zeigt regelm~l~ig einen Gipfel in der Gegend der Globuline (Abb.7). Erst die Anwen- dung der Extrakte hat das Ergebnis ge- bracht, da6 dieser Globulingipfel sicherlich aus mehreren kleineren Gipfeln besteht, analog der Globulinverteilung z. B. im Serum. Gegenfiber diesem Bild zeigt sich dasjenige der Hirnver~nderung, wie sie z.B. in der Umgebung yon Tumoren zu finden ist, mehr oder weniger ausge- sprochen. Es findet sich entweder eine

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Abb. 7. Vgl. Text.

Abb. 8. Vgl. Text.

Zunahme des Globulins (Abb. 8), also eine wesentliche ErhShung des Globulingipfels oder h~ufiger eine starke Albuminanschoppung, welche vielfach in der Rinde starker als im Mark auftrit t (Abb. 9). Diese Albu- minanschoppung ist charakteristisch fiir die Umgebung yon Tumoren. Keineswegs sind nun die Hirnver~nderungen in der Umgebung solcher Tumoren wirklich als echte Hirnschwellungen anzusehen, im Gegenteil sind sie dem Wassergehalt nach, wie auch ihrer Konsistenz ~ach 6dematSser Natur. Regelmi~[~ig aber fanden wir in diesem dfinnflfissigen, wenig visk6sen, gelblich wirkenden und als geschwollen imponierenden

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Gewebe Albumin. Wir haben nun yon den ganz wenigen FKllen von wirklicher Reichardtscher Hirnschwellung noch keine Pherogramme. Deshalb kSnnen wir nur vermuten, dab diese Form der Hirnschwellung sich von den Schwellungszust~nden beim Hirntumor dadurch unter- scheidet, dab das Albumin zwar angeschopptist, das Wasser aber mittler- weile verdr~ngt.

~ g Tu/non (&eklion) & 72#

QI¢ Tumon ('Sek/ion) S 7~J

Abb. 9. Vgl. Text.

Wenn man die Dinge so auffal~t, dann kommt man wieder zu der Vorstellung, dab der echten trockenen Hirnschwellung durchaus eine noch feuchte Hirnschwellung vorauslaufen kann. In der Tumortabelle findet sich z. B. ein Fall, bei dem in der Rinde in der Umgebung eines Tumors und in der unmittelbaren Umgebung auch im Mark, enorme Eiweil~anschoppung und sehr erhebliche TrockensubstanzerhShung er- kennbar sind. Entfernt von dem Tumor findet sich dieses eigenartige 5demat6se Verhalten, das wir beschrieben haben, und es 1/il~t sich ein- deutig erkennen, an dem sehr niedrigen Trockensubstanzgehalt.

Ich mSchte in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam machen, dab auch hier wieder, wie so oft, die Rinde viel ausgesprochener reagiert als das Mark. In vielen F/illen fanden wir bei der Rinde deutlich die Albuminzacke, die beim Mark gerade eben angedeutet war. Das entspricht dell iibrigen Befunden, die ebenfalls besagen, dab die Rinde eher dazu neigt, Ver~nderungen ihrer Zusammensetzung zuzulassen. Wenn man sich iiberlegt, dal3 wir nicht selten Trockensubstanzver- mehrungen der Rinde um 20 - - ja bis zu 40 % - - erleben, w~hrend die entsprechenden Werte beim Mark kaum 10 % erreichen, dann erklart sich das zwanglos so, dal~ der Rinde eben wegen ihres viel h6heren Wassergehaltes auch viel leichter die Bereitschaft aufgezwungen wird,

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Wasser abzugeben und Trockensubstanz aufzunehmen, oder, wenn dies auch nicht der Fall sein sollte, eben zu schrumpfen. Das Mark mit seinem viel h6heren Trockensubstanzgehalt setzt solchen Substanzverschie- bungen einen wesentlich grSBeren Widerstand entgegen.

Nun, wenn wir die gezeigten EiweiBanschoppungen insbesondere yon Albumin gesehen haben, erinnern wir uns einer Reihe yon friiher am Liquor erhobenen Befunden. Zuerst kann ich da meine Ergebnisse von Albuminvermehrungen bei Tumoren erw~hnen, dann die Befunde yon SCHEID u. SCHEID mit der Tiselinusapparatur, dann die zahlreichen Be- funde aus der letzten Zeit aus der Petteschen Klinik und aus dem Kiih- nauschen Laboratorium, schlieBlich nenne ich I~ABATH, FiSK und Mit- arbeiter. F~SK hat den von ihm gefundenen EiweiBkSrper am genauesten analysiert. Er gibt an, dab er im Serum nicht vorkomme und dab er wahrscheinlich aus dem Gehirn stamme.

Wir glauben sagen zu kSnnen, dab eine Differenzierung der Falle mit Albuminvermehrung mSglich sein wird, wenn wir beizeiten die Liquores untersuchen kSnnen. Wit wiirden dann aber auch einen Anhalt dafiir haben, was in vivo im Gehirn passiert.

Stammt das EiweiB aus dem ~ Serum oder wird es an Ort und Stelle gebildet ? Handelt es sich um eine Anschoppung herangebrachten Materials oder um eine Polymerisation aus herangebrachten Bausteinen ?

Die Antwort verlangt noch eine Menge mfihsamer Einzelarbeit, aber wir hoffen, dem Problem nKher gekommen zu sein und noch naher zu kommen und fassen vorlaufig zusammen, was sich aus unseren Arbeiten und denen der anderen Forscher ergeben hat.

Bei der Hirnschwellung handelt es sich um eine Volumvermehrung, die zum Unterschiede vom HirnSdem nicht durch Zunahme des Wasser- gehaltes verursacht ist. Sie stellt keine Quellung, sondern eher eine Ent- quellung dar. Sie kann sowohl das ganze Gehirn als auch einzelne Teile, dann in iiberwiegender HKufigkeit die Rinde betreffen. Eine partielle Volumvermehrung kann auch allein eine Volumverlagerung bedeuten. Die Volumvermehrung beruht auf einer Anschoppung yon Substanzen, die zu einer obligaten Trockensubstanzvermehrung, sowie zu einer Er- hShung des Stickstoffgehaltes des Materials fiihren. Diese laBt sich als eine Vermehrung des kolloidalen Stickstoffs beweisen. Der l~eststickstoff kann vermehrt sein, braucht es indessen nicht. Ebensowenig brauchen die Elektrolyte oder die Lipoide vermehrt zu sein. Anreicherungen yon EiweiB- kSrpern tells yon Globulin-, fiberwiegend aber yon Albumincharakter lassen sich auch kolloidchemisch und elektroptierographisch nachweisen.

Die durch die Anreicherung mit eiweiBartigen Substanzen verursachte Schadigung des Gewebes zeigt sich auch in einer Anderung der forma- tiven Krafte, die am EinfluB des Gewebsextraktes auf die Kupferchlorid- kristallisation nachweisbar sind. Aus dem Kristallisationsbild l~tBt sich

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eine sehwere Hirnsch~idigung, insbesondere aber eine Hirnschwellung ablesen. Papierehromatographische Differenzierungen zwischen ver- schiedenartigen Gewebssch~den sind zwar eindeutig erkennbar, abet noch nicht genfigend fixierbar.

Die Hirnsehwellung stellt sich sonach als eine schwere allgemeine Gewebssch~digung dar, die wohl am wahrseheinlichsten au f eine Permea- bilit~tsstSrung zurfiekgeffihrt werden muG.

SoUte es im Verlauf weiterer Untersuchungen gelingen, aus dem Liquorpherogramm auf das Verhalten des HirneiweiBes zu schlieBen, dann besteht die MSglichkeit, auch beizeiten fiber die Hirnschwellung bzw. ihre Ents tehung auszusagen. Sobald aber die Gefahr frfihzeitig er- kann t werden kann, kann sie auch bek~mpft werden, wenn die An- sehoppung noch reversibel ist. Es ist die Aufgabe intensivster Zusammen- arbeit zwischen Kliniker, Chirurg und Labor, diesem Ziel niiher zu kommen.

L i t e r a t u r .

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Prof. Dr. CARL RIEBELING, Psyehiatrische und Nervenklinik der Universit~t Hamburg.