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(Aus der Psychiatrischen Klinik des Staatsinstituts ftir medizinische Wissen- schaften und dem Pathologoreflexologischen Institut. -- Direktor: W. Bechterew.) Zur Frage der vegetativen Innervation der quergestreiften Muskulatur. Von Priv.-Doz. Raissa Golant-Ratner. Mit 1 Textabbildung. (Eingegangen am 20. August 1925.) Wenn aueh die Tatsache litngst bekannt ist, dab die sarkoplasma- reiehen roten Muskelfasern dureh die langsame Verkfirzung und das Verharren in dem Zustande der Kontraktion sich auszeiehnen, und die weiBen fibrillenreichen Muskeln als flink bezeiehnet werden mfissen, so war doch vor Anfang dieses Jahrhunderts noch keine Rede yon ver- schiedener Innervation der beiden Bestandteile der willkfirliehen Mus- kulatur. Aueh Botazzil), der die Ansicht aussprach, dab das einfach brechende Sarkoplasma kontraktionsf~hig sei, und durch die Art der Kontraktilit/it den glatten Muskeln sieh n~here, dachte noch nicht an die vegetative Innervation der quergestreiften Muskeln. Es war wohl der italienische Physiologe Mosso 2) der erste, der in Anlehnung an die anatomischen, sparer iibrigens als falsch erwiesenen Untersuehungen yon Perroneito, eine doppelte Innervation des quergestreiften Muskels annahm. Nach ihm beherrschen die animalen Nerven die rasehen Zuekungen, und der Sympathieus bewirke die langsamen tonischen Kontraktionen. Diese Theorie land sparer eine Best~tigung durch die Arbeiten der holl/~ndisehen Gelehrten, des Anatomen Boeke und des Physiologen de Boer. Dem ersteren 3) gelang es, besondere Endaus- breitungen des Sympathieus im quergestreiften Muskel, in Form yon einfaehen ring- und 5senfOrmigen Endplatten, mikroskopisch herzu- stellen. Dieselben kommen besonders deutlieh nach der Durchsehnei- dung des animalen Nerven und der Degeneration der Endplatten des letzteren zum Vorschein. De Boer ~) land naeh Durchschneidung des Sympathicus sowohl beim Frosehe als beim Warmbliiter eine Herab- setzung des Tonus der entspreehenden Muskulatur. Seither wurde die Aufmerksamkeit vieler Forscher auf diese in biologiseher Hinsieht in- teressante und praktiseh wichtige Frage gelenkt. Die Meinungen sind

Zur Frage der vegetativen Innervation der quergestreiften Muskulatur

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Page 1: Zur Frage der vegetativen Innervation der quergestreiften Muskulatur

(Aus der Psychiatrischen Klinik des Staatsinstituts ftir medizinische Wissen- schaften und dem Pathologoreflexologischen Institut. - - Direktor: W. Bechterew.)

Zur Frage der vegetativen Innervation der quergestreiften Muskulatur.

Von

Pr iv . -Doz . Ra i ssa G o l a n t - R a t n e r .

Mit 1 Textabbildung.

(Eingegangen am 20. August 1925.)

Wenn aueh die Tatsache litngst bekannt ist, dab die sarkoplasma- reiehen roten Muskelfasern dureh die langsame Verkfirzung und das Verharren in dem Zustande der Kontraktion sich auszeiehnen, und die weiBen fibrillenreichen Muskeln als flink bezeiehnet werden mfissen, so war doch vor Anfang dieses Jahrhunderts noch keine Rede yon ver- schiedener Innervation der beiden Bestandteile der willkfirliehen Mus- kulatur. Aueh Botazzil), der die Ansicht aussprach, dab das einfach brechende Sarkoplasma kontraktionsf~hig sei, und durch die Art der Kontraktilit/it den glatten Muskeln sieh n~here, dachte noch nicht an die vegetative Innervation der quergestreiften Muskeln. Es war wohl der italienische Physiologe Mosso 2) der erste, der in Anlehnung an die anatomischen, sparer iibrigens als falsch erwiesenen Untersuehungen yon Perroneito, eine doppelte Innervation des quergestreiften Muskels annahm. Nach ihm beherrschen die animalen Nerven die rasehen Zuekungen, und der Sympathieus bewirke die langsamen tonischen Kontraktionen. Diese Theorie land sparer eine Best~tigung durch die Arbeiten der holl/~ndisehen Gelehrten, des Anatomen Boeke und des Physiologen de Boer. Dem ersteren 3) gelang es, besondere Endaus- breitungen des Sympathieus im quergestreiften Muskel, in Form yon einfaehen ring- und 5senfOrmigen Endplatten, mikroskopisch herzu- stellen. Dieselben kommen besonders deutlieh nach der Durchsehnei- dung des animalen Nerven und der Degeneration der Endplatten des letzteren zum Vorschein. De Boer ~) land naeh Durchschneidung des Sympathicus sowohl beim Frosehe als beim Warmbliiter eine Herab- setzung des Tonus der entspreehenden Muskulatur. Seither wurde die Aufmerksamkeit vieler Forscher auf diese in biologiseher Hinsieht in- teressante und praktiseh wichtige Frage gelenkt. Die Meinungen sind

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aber, was den Anteil des vegetativen Nervensystems an der Innervation der Skelettmuskulatur im allgemeinen und speziell der einzelnen Ab- schnitte desselben anbetrifft, geteilt. Ich werde hier auf die Ansichten nur weniger Vertreter der extremen Richtungen hinweisen, um nicht die ganze jetzt schon ziemlich umfangreiehe Literatur zu zitieren.

Von physiologischer Seite t rat neuerdings filr die sympathische Inner- ra t ion der Skelettmuskulatur der Leningrader Physiologe Orbeli 5) ein. Unter seiner Leitung untersuchten seine Schiller Ginetzinslcy~), Strel- bitzlcy u. a. die Wirkung der faradischen Sympathicusreizung auf die bathmotrope, dromotrope, inotrope und ehronotrope Funktion des Froschgastroknemius bei l~eizung des N. ischiadicus. Alle genannten Muskelfunktionen werden durch die Sympathicusreizung stimuliert, und nut auf die erstere, d .h . auf die bathmotrope Funktion hatte in 25% aller F~lle die Sympathicusreizung einen negativen Einflu~, d .h . sie hatte eine Erh6hung der Reizschwelle zur Folge.

Auch naeh Strychninvergiftung (Ginetzinslcy) und beim Anbringen von Chloralhydrat wurde das Nervmuskelpr~parat des Frosches im selben Sinne durch Sympathicusreizung beeinflu~t.

Die Versuche der Orbelischen Sehule wurden am isolierten Nerv- muskelpr~parat, das nur in Verbindung mit dem Sympathicus stand, ausgefilhrt, und die Versuchsresultate mug man daher lediglieh auf die direkte (nicht reflektorische) Beeinflussung des Nervmuskelapparates, auch ohne Vermittlung der Gef~e , zurilckfilhren.

Mit grol3em Eifer wurde die Lehre v o n d e r vegetativen Innervation der quergestreiften Muskulatur von Franlc 7) verfochten. Auf Grund sowohl experimentellen als klinischen Materials nimmt dieser Autor, abgesehen yon der animalen Innervation, eine Versorgung der Skelett- muskulatur von den beiden vegetativen Fasersystemen an. Die letzteren haben Anteil an den tonischen Kontraktionen, indem die parasympathi- schen Fasern dieselben hervorrufen, der Sympathicus aber die Erregbarkeit des Sarkoplasmas erhSht und das letztere zu tonischen Kontraktionen disponiert. In einer Reihe yon Arbeiten, in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern Nothmann, Guttmann s) und Hirsch-Kau]mann 9) setzt Frank die Theorie der dreifachen Innervation der quergestreiften Muskulatur auseinander.

Auch Behrend und Freudenberg 1~ nehmen auf Grund ihrer Betrach- tungen bei kiinstlicher Tetanie eine dreifache Innervation der Skelett- muskulatur an. Es muft aber darauf hingewiesen werden, daf3 die von den letzteren Autoren erhobenen Tatsachen lediglich filr die vegetative Innervation der Muskeln ilberhaupt sprechen; der Anteil der einen oder der anderen vegetativen Nerven wird auf indirekte Weise geschlossen.

_Frank, Behrend, _Freudenberg und andere Autoren sprechen yon elektrischen und chemischen Besonderheiten der tonischen Kontrak-

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tionen der quergestreiften Muskeln, die die letzteren der glatten Musku- latur n~hern. So wird bei der tonischen Kontraktion keine Kohlenwasser- stoffverbrennung, sondern EiweiBzerfall mit Kreatinbildung beobachtet; auch werden die tonischen Kontraktionen yon keinen AktionsstrSmen begleitet. Doch bediirfen diese Hinweise einer weiteren Prfifung.

Die verschiedenen Ansichten der Kliniker und Physiologen fiber die Bedeutung der sympathischen und parasympathisehen Fasern ffir die Muskelinnervation wiirden eine plausible Erklarung darin linden, dab der Sympathicus bekanntlich phylogenetisch der ~ltere Nerv sei, und beim Frosche als einziger die vegetative Muskelinnervation dar- stelle, wiihrend bei den hOheren 'Tieren auch die parasympathischen Fasern fiir die Muskelinnervation von Bedeutung sind.

Es mull hervorgehoben werden, da$ die Theorie der vegetativen Innervation der Skelettmuskulatur auch ihre Gegner hat. Zu denen gehSrt z.B. der bekannte Forscher auf dem Gebiete des vegetativen Nervensystems Langley11). Auch J. Ramsay Hunt 12) sieht keinen aus- reichenden Grund, den Anteil des vegetativen Nervensytems an der Innervation des Skelettmuskels anzunehmen. Die sog. statische Ver- kfirzung des quergestreiften Muskels, welche, angeblich, was Stoff- wechsel und elektrisehe Erscheinungen betrifft, sich von den anderen Zuckungen unterscheiden soll und vom vegetativen Nervensystem versorgt werde, zeigt nach Spiegel la) keine der genannten Eigenschaften. Dieser Autor nimmt fiir den plastischen Muskeltonus einen reflek- torischen Vorgang an. Der letztere verl~uft ,,teils fiber das Kleinhirn, teils fiber andere Zentren des Hirnstammes caudal vom Thalamus opticus. Er wird durch die Vorderbirnganglien, wahrscheinlich vor- wiegend dutch das Pallidum gehemmt. Der efferente Schenkel des Re- flexes erreicht extrapyramidal die Vorderhornzelle, welche die gemein- same Strecke ffir die statische und kinetische Innervation darstellt." Auch der bekannte Chirurg Briiningl4), der sich eingehend mit der Chirurgie des sympathischen Nervensystems besch~ftigte, lehnt die vege- tative Innervation der Skelettmuskulatur auf Grund seiner Operations- resultate ab, da er nach Sympathektomie keine StOrungen der Muskel- funktion feststellen konnte.

Im Zusammenhang mit meinen Untersuchungen fiber die galvani- sche Erregbarkeit des neuromuskul~ren Apparates bei Geisteskranken, speziell bei Schizophrenie 15, 16), die mich zur Vermutung veranlal~ten, dab das vegetative Nervensystem nicht ohne EinfluI3 auf die galvanische Erregbarkeit sei, wurde yon mir die Wirkung der sympathikotropen und der vagotropen Substanzen auf die Schwellen der galvanischen Zuckungen beim Menschen bei Reizung vom Nerven aus geprfift. Es wurde dabei das Adrenalin als ein sympathikotropes und das Pilocarpin und Physostigmin als vagotrope Substanzen benutzt. Die Versuche

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zeigten, dab die subcutane Injektion yon 1 ecm 1 prom. Adrenahnl6sung beim Mensehen regelmi~Big die Reizsehwelle fiir die sog. galvanisehen Tetani herabsetzte, d.h. die Erregbarkeit fiir dieselben steigerte, und dagegen die Erregbarkeit ffir die prompten Zuokungen herabsetzte.

Tab. 1 zeigt die Wirkung des Adrenalins auf die galvanische Erreg- barkeit des N. median dextr, bei einer gesunden Versuchsperson. An der Abszisse sind die Zeitintervane nach der Adrenafininjektion abzu- lesen. An der Ordinate finks die Stromsti~rke in MA, rechts der Blut- druek in mm Hg nach Riva-Roeci. Wit sehen, dal3 fiir prompte Zuckungen, fiir die KathodensehlieSungs- (KSZ), -- Anodenschfiegungs- (ASZ) -- und Anoden6ffnungszuekung (AOZ), die Reizschwelle sich naeh der Adrealin- injektion steigert, fiir die Tetani, KathodenschfieBungs- (KST) -- und AnodenschlieBungstetanus (AST), wird die Sehwelle herabgesetzt. Der Blutdruek steigerte sieh naeh Adrenafineinspritzung, wie es meist der

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T a b e l l e 1.

Fall ist. Der Verlauf dieser Reaktion wurde bis zur Rfickkehr zur Norm beobachtet. Die Wirkung des Pilocarpins, besonders des Phy- sostigmins schien entgegengesetzt zu sein. In einigen F~llen wurde durch diese letzteren Gifte die Erregbarkeit fiir prompte Zuckungen gesteigert, ffir die tetanischen Kontraktionen herabgesetzt. Es muB fibrigens hervorgehoben werden, dab die Wirkung der erw~hnten zwei vagotropen Substanzen lange nicht so regelmi~$ig und deu~lieh aus- gesproehen war, wie die Adrenafinwirkung. In der Tab. 1 sieht man deutfich aueh die Wirkung des Adrenafins auf den Blutdruek. Doch war der EinfluB auf die galvanische Erregbarkeit aueh in denjenigen Fkllen zu beobaehten, wo der Blutdruek wenig gesteigert, ja sogar dureh die Adrenalinwirkung herabgesetzt wurde. Das spricht fiir eine direkte (nicht auf dem Wege der Blutversorgung !) stimulierende Wirkung des Sympathicus auf die galvanischen Tetani.

Wenn diese SehluBfolgerung riehtig ist, so mfiBte in den Fkllen yon Asymmetrie tier vegetativen Irmervation, d.h. in den Fkllen, wo der Tonus der sympathisehen oder parasympathischen Innervation

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an beiden Seiten bei demselben Individuum verschieden ist, die gal- vanische Erregbarkeit auch dementsprechend zwischen rechts und links einen Unterschied zeigen. Zur Aufklarung dieser Frage wurde yon Rather und mir 17) die galvanische Erregbarkeit zum Teil bei an Otosklerose leidenden Patienten, bei denen Ratner is) h~ufig eine Er- h6hung des Sympathicustonus an der mehr betroffenen Seite feststellte, zum Tell bei Nerven- und Geisteskranken mit Zeichen der vegetativen Asymmetrie untersucht. Die Asymmetrie der vegetativen Innervation wurde yon uns auf Grund folgender Symptome festgestellt: verschiedener Pupillen- und Lidspaltenweite, beiderseits verschiedener Gesichtsfarbe, Dermographismus und Blutdruck; bei etwa vorhandenem Chvostekschen Zeichen auf Grnnd des Fehlens oder der relativen Schw/~che resp. Stgrke desselben einerseits. Pathogenetisch konnte man in unseren F~llen yon zentraler Asymmetrie (in den F/~llen von Encephalitis lethargica z. B.), yon peripherischer Asymmetrie (durch Kompression des Sympathicus bei Spitzentuberkulose) und schlief~lich yon funktioneller Asymmetrie, oder vielmehr yon Asymmetrie nicht feststellbarer Herkunft, sprechen. Ich m6chte gleich bemerken, dab die Pathogenese der vegetativen Asymme- trie yon keinem Einflul3 auf die Versuchsresultate war.

Es wurden yon uns die Resultate der galvanischen Untersuchung in 19 F/illen publiziert. Ich habe im weiteren noch 24 F~lle yon vege- tat iver Asymmetrie auf galvanische Erregbarkeit untersucht. In allen 43 F/~llen fielen die Versuchsresultate vSllig mit denjenigen zusammen, die auf Grund der Versuche mit den sympatico- und vagotropen Sub- stanzen vorausgesetzt wurden. Es zeigte sich n~mlich, dab die gal- vanische Erregbarkeit ffir tetanische Kontraktionen an der Seite des h6heren Sympathicotonus hOher sei, als an der entgegengesetzten; ffir prompte Zuckungen war sie an derselben Seite niedriger, in seltenen F~llen an den beiden Seiten gleich hoch. Stets war das Verh~ltnis der Erregbarkeit fiir Tetani zu der fiir prompte sowohl Anoden -- wie

K S T A S T Katodenzuckungen oder K S Z und A S Z oder A o z an der Seite des

erhOhten Sympathicotonus kleiner als an der entgegengesetzten.

Tabelle 2.

F. ~ 32 Jahre. ()tosklerose, vorwiegend rechts. Blutdruck rechts 122 mm Hg, links 90 mm Hg.

KSZ KST ASZ AST

I] reed. dext. med. sin.

, 2 , o - I I 4 , 0 / 4~5

3,5 i 2,5 6,0 i 7~0

uln. dext. uln. sin.

3,0 2,0 5,0 5,0 3,0 2,5 5,0 6,0

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Tab. 2 (aus der zitierten Arbeit) zeigt in MA die Schwellen ftir die N. median, und ulnar, bei einem Otosklerosekranken mit Blutdruck- unterschied zwischen rechts und links yon 32 mm Hg nach Riva-Rocci. Wir sehen hier z. B. fiir den N. median, das VerhMtnis

rechts K S T 4 2, links 4,5 A S T 6,0 K S Z -- 2 -- / ~ ---- 3 ; rechts A S Z -- 3,5'

7,0, links 2,5" d.h . das Verh~ltnis der Tetanusschwellen zu den Schwellen

der prompten Zuekungen ist rechts, d. h. an der Seite des erhShten Sym- pathicotonus, bedeutend kleiner als links.

Es ist hier eine Beobachtung an einer 30j~hrigen hochgradig sympa- thikotonischen Patientin zu erw~hnen, bei der fiberhaupt keine Schwelle fiir prompte Zuckungen festgestellt werden konnte, da die minimalen galvanischen StrSme einen Tetanus hervorriefen, der iibrigens nach Unterbrechung des Stromes ziemlich lange fortbestand. Es stand mir leider keine Apparatur zur Verftigung, um in diesem Falle die Aktions- strSme zu studieren.

Diese Untersuchung, die den Charakter eines natiirlichen Experi- mentes hatte, iiberzeugte uns v611ig, daB der Sympathicus die langen Kontraktionen, die unter dem Namen der galvanischen Tetani bekannt sind, beeinflusse. Es ist aber der elektrische und der chemische Charakter der galvanischen Tetani ja gar nicht bekannt, und es ist nicht ohne weiteres klar, dab die letzteren mit dem statisehen Muskeltonus oder mit dem Krampfe bei Tetanie identisch sind oder "den letzteren nahe stehen.

Einen Schritt weiter in der L6sung der Frage der vegetativen Muskel- innervation konnte ieh maehen, indem ich den EinfluB des vegetativen Nervensystems auf jene Muskelkr~mpfe untersuchte, die unter dem Namen der kiinstliehen oder Hyperventilationstetanie bekannt sind.

Wie bekannt, gelang es den amerikanischen Autoren Grant and Goldmanlg), dureh vertiefte Atmung Tetanieanf~lle (Kriimpfe in der ganzen Skelettmuskulatur, Pari~sthesien, Zeichen von Erb, yon Chvostek usw.) hervorzurufen. Im Laufe yon 10--25 Minuten entwickelt sich bei verst~rkter Atmung der vollsti~ndige Symptomenkomplex der Tetanie, um dann naeh Abbreehen des Versuches in umgekehrter Reihenfolge allm~hlich abzuklingen. AuBer den genannten Autoren besch~ftigte sich eine Reihe yon deutschen und amerikanischen Forschern mit diesem Experiment. Ich will die interessanten Einzelheiten der kfinstlichen Tetanie hier nieht verfolgen. Ich verweise auf die Untersuchungen yon Behrendt und Freudenberg (1. c.), Adlersberg u. Porges 2~ und Joshua Rosett21).

Der letzte Autor wies schon darauf hin, dab die Kr~mpfe der Hyper- ventilationstetanie eine Asymmetrie in ihrem Verlaufe zeigen und rechts

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deutlicher ausgesprochen sind als links. In Zusammenhang mit meinen frtiheren Arbeiten untersuchte ich einerseits den Verlauf der Atmungs- tetanie in Fallen von vegetativer Asymmetrie, andererseits die Wirkung der sympathicotropen und vagotropen Substanzen auf die Erscheinungen der kiinstlichen Tetanie. Es wurden im ganzen 24 F~lle untersucht, dabei war die vegetative Asymmetrie in 5 Fiillen zentraler Herkunft, in einem Falle durch eine peripbere Kompression bedingt, und in 18 FMlen konnte die Pathogenese nicht festgestcllt werdcn. Die Herkunft der Asymmetrie war fibrigens auf die Versuchsresultate von keinem Einflul3; nur zeigte bei peripherer Asymmetrie blol~ die entsprechende Region einen deut- lichen Unterschied zwisehen reehts und links.

Au[ter den erw~thnten Merkmalen, nach denen ich die vegetative Asymmetrie festzustellen pflegte, ffigte ich bei dieser Untersuchung noch eins binzu, n~mlich die verschiedene galvanische Erregbarkeit an beiden Seiten. Als praktisch bequem feststellbar und empfindlich erwiesen sieh die folgenden Zeichen: die Ungleichheit des Blutdruckes, der Pupillenweite und des etwa vorhandenen Chvostekschen Zeichens. Be- sonders empfindlich und zuweilen als einziges Symptom der vege- tativen Asymmetrie zeigte sich die ungleiche (ira erw~hnten Sinne) galvanische Nervmuskelerregbarkeit.

Die Versuche wurden am neuropsychiatrischen Material angestellt. Die Methodik war folgende: der liegende Patient wurde aufgefordert entweder frequent und mSglichst tief zu atmen, bis 50real in l Mbmte (ieh benutzte dam Metronom ffir die Versuehe), oder sehr tier wenn auch langsam zu atmen. In letzterem Fall war die Atmungsfrequenz 12 in 1 Minute. Ieh ging sehr bald zur zweiten Methode tiber, da dieselbe als weniger ermildend sich erwies. Naeh 2--4 Minuten beginnen die Par~- sthesien und das Zusammenziehen im Gesicht und an verschiedenen K6rperstellen, bei verschiedenen Individuen in verschiedener Reihen- folge. In seltgnen FMlen war die Versuchsdauer lhnger als 10 Minuten; in den meisten F~tllen brach ich nach 10 Minuten ab, urn die Patienten nieht zu sehr zu ermiidcn, obgleieh der H6hepunkt der Erseheinungen zu dieser Zeit hgufig noch nicht erreicht ist. In einzelnen FMlen war aber schon nach 7--8 Minuten der ganze K6rper, das Gesicht, die Ex- tremit~ten vom Krampfe so ergriffen, da6 die typischen Extremitaten- haltungen bei Anwendung yon Kraft vom Experimentator nicht ge- gndert werden konnten.

In allen FMlen der vegetativen Asymmetrie begann der Krampf oder das subjektive Geftihl des Zusammenziehens, das hgufig dem Krampfe vorangeht, erst an der Seite des h6heren Sympathieotonus, erreichte bier einen hSheren St~rkegrad und 15ste sich nach Abbrechen der Hyper- ventilation an dieser Stelle sp~ter, als an der entgegengesetzten. In keinem der yon mir untersuchten FMle sah ich eine Ablenkung yon

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. C. 7

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diesem Verlaufe der kfinstlichen Tetanie bei Vorhandensein einer Asym- metrie der vegetativen Innervation. Es mu6 hervorgehoben werden, dab ich im Gegensatz zu Rosett kein bedeutendes Pr/tvalieren der rechten Seite feststellen konnte. In meinen 24 F~llen waren 13 mal die Kr~mpfe rechts starker und 11 real links hochgradiger ausgesprochen. O. Foerster 22) land bei einer Reihe yon Epileptikern, dab in verschiedenen F~llen bald an einer, bald an der anderen Extremit~t der epileptische Anfall, der dem kiinstlichen Tetaniekrampf folgt, beginnt, und stellte diese Er- scheinung in Zusammenhang mit dem Betroffensein der entsprechenden Rindenstellen. Die Abtragung der auf solche Weise aufgefundenen Rindenpartie bewirkte ein Sistieren der epileptischen Anf~lle. Ich hatte in meinem Material nur einen Epilepsiefall mit ausgesprochener vegetativer Asymmetrie. Genau so wie in den Foersterschen F~llen endete jeder Hyperventilationsversuch bei diesem Patienten mit einem epileptischen Anfall, an dem ich kein Pr/tvalieren eines bestimmten GliedmaBes sehen konnte, sonst waren die tetanischen Krampferscheinungen an der Seite des erh6hten Sympathicotonus starker ausgesprochen als an der ent- gegengesetzten. Den Versuch, die dieser Seite entsprechende Rinden- partie abzutragen, habe ich nicht vorgenommen.

Was die Par~sthesien bei der Atmungstetanie anbetrifft, verhielt sich dieses Merkmal nicht gleich den Krampferscheinungen. In einigen F~llen sah ich im Gegenteil das Oberwiegen derselben an der vago- tonischen Seite. Diese Frage, genau so wie verschiedene Besonder- heiten des Verlaufes der Tetanie bei Nerven- und Geisteskranken, soll an anderer Stelle er6rtert werden.

In 5 F~llen untersuchte ich die Wirkung des Adrenalins auf den Verlauf der Atmungstetanie. Die Versuche wurden unter den nStigen Kautelen vorgenommen; Kontrollversuche wurden vor und nach der Adrenalinwirkung, dann nach Injektion von physiologischer Kochsalz- 15sung ausgefiihrt. Es wurde 1 ccm 1 prom. AdrenalinlSsung Parke Davis subeutan injiziert. Von den 5 untersuchten F~llen reagierte nur einer sehr stfirmisch auf das Adrenalin: Gesichtsbl~sse, Pupillenerweite- rung, Blutdruck yon 115 auf 170 mm Hg nach Riva-Rocci gesteigert. Die anderen zeigtvn eine m~l~ige und sehwache Reaktion. Den Hyperventi- lationsversueh leitete ieh 10--15 Minuten nach der Injektion ein. Es ergab sieh in allen 5 F~llen ein friiheres Beginnen, ein bedeutend hOherer Entwicklungsgrad und ein spi~teres L6sen der Kr~mpfe nach Adrenalin als in den Kontrollversuchen bei demselben Individuum. Der in meinen F~illen vorhandene Unterschied im Verlaufe der Kr~mpfe zwischen rechts und links steigerte sich nach der Adrenalininjektion und wurde viel pri~gnanter.

Auger Adrenalin wurde in 3 Fhllen Pilocarpin in]iziert. Die Pilo- earpinreaktion war, was Pupillenweite, Speichelflu~, Puls usw. anbe-

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trifft, bei den betreffenden Individuen ziemlich schwach ausgesproehen. Die tetanischen Hyperventilationskrhmpfe zeigten gar keine Beein- flussung durch das Pilocarpin. Auf andere Tetaniesymptome, wie die Par~sthesien z. B., sehien das Pilocarpin nicht ohne Einflu6 zu sein. Das ist aber nur yon indirekter Bedeutung fiir mein Thema, und ich m6chte an dieser Stelle auf diese Erscheinungen nicht nigher eingehen.

Wir sehen also, daft die langsamen Mus]cellcontraktionen bei der At- mungstetanie in Fdllen von Asymmetrie der vegetativen Innervation deut- licher an der Seite des erh6hten Sympathicotonus ausgesprochen sind, als an der entgegengesetzten. Diese Muslcel]contraktionen werden dutch das Adrenalin positiv beein/htfit. Das spricht zwei/ellos da/i~r, daft der Sym- pathicus die Muskellcontraktionen des tetanischen (wenigstens des ]ci~nst- lichen tetanischen) Kramp/es im Sinne der Stimulation beeinflufit. Wie wir oben gesehen haben, iibt der S!/mpathicus dieselbe Wirkung au/ die gal- vanischen Tetanin aus. Ob die beiden Arten der Muskelkontraktionen identisch sind, k6nnte nmn auf Grund dieser gemeinsamen Eigenschaft doch nicht mit Sicherheit behaupten. Die sympathisehe Innervation (vielleicht auch chemisehe und elektrische Merkmale) n~hern diese Kon- traktionstypen der Verkiirzung der glatten Muskeln. Ob auch die kata- tonischen Muskelerscheimmgen hierher geh6ren, mu6 noch dahingestellt bleiben.

Es ist wenig wahrscheinlieh, daI~ die willkfirlichen Muskelkontrak- tionen nur yon den animalen Nerven hervorgerufen werden und die ge- nannten Kontraktionstypen lediglich von den vegetativen Nerven ver- sorgt werden. Bei dem komplizierten Vorgang, den die Muskelkontrak- tion darstellt, wird wohl das eine und das andere Nervensystem zum Teil direkt Kontraktionen hervorrufen, zum Teil dieselben stimulieren. Es wird m6glicherweise in dem einen oder anderen Falle das eine oder das andere System pri~valieren.

Die Frage der parasympathischen Innervation bleibt auf Grund meiner Versuche often. In der ersten Versuehsserie, bei der Unter- suehung der galvanischen Erregbarkeit, schien es, dal~ die prompten Muskelzuekungen von den parasympathisehen Fasern stimuliert werden. Bei den Hyperventilationsversuchen, wo wir iibrigens iiberhaupt mit den prompten Zuckungen wenig zu tun hatten, konnten wir die Wirkung der parasympathisehen Fasern auf die Muskelkontraktionen nicht mehr beobachten.

Aul~erordentlich kompliziert ist die Frage, auf welehe Weise der Sympathicus durch die Hyperventilation zur Ti~tigkeit gereizt wird. Bekanntlich ist die T~tigkeit des Sympathieus mit Acidose und Ver- mehrung der Ca-Ionen verkniipft, die Hyperventilation bewirkt aber eine Alkalosis mit Vermehrung der K-Ionen. Wit diirften vielleicht an- nehmen, dal~ die Blutalkalosis und die Anreicherung der K-Ionen im Blute

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1 0 0 R. Go lan t -Ra tne r : Zur F rage der vege ta t iven [nnervat ion .

e i n e A c i d o s e u n d V e r m e h r u n g d e r C a - I o n e n i n d e n G e w c b e n z u r F o l g e

h a b e (Dresel2a]), u n d d i e l e t z t e r e i h r e r s e i t s d i e S y m p a t h i c u s s t i m u l a t i o n

h e r v o r r u f e .

D i e s e H y p o t h e s e b e d a r f a b e r w e i t e r e r P r t i f u n g e n .

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