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Zur Physiologie des Patellarreflexes

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Page 1: Zur Physiologie des Patellarreflexes

Zur Physiologie des Patellarreflexes. Von

Dr. J. Pfah! (Bonn).

M_it 2 Textabbildungen.

(Eingegangen am 21. Juli 1928.)

,,Priift man den Patellarreflex, w~hrend der Untersuchte auf dem Untersuchungstische sitzt, so kehrt dieser im allgemeinen gleich nach der reflektorisch erfolgenden Streckbewegung wieder in die Ausgangs- stellung zurfick. Das kSnnte lediglich Folge der Schwerkraft sein. Unter- sucht man nun in der Seitenlage, wobei man zweckm~I3igerweise den Unterschenkel in einen Winkel von etwa 160 o zum Oberschenkel bringt, so erfolgt auf die durch den Schlag auf die Patellarsehne ausgelSste Streckbewegung gleichfalls eine Beugung, die in der Seitenlage selbstver- st~ndlich nicht durch die Schwere des Unterschenkels, sondern offenbar zu einem groBen Teile durch eine Kontraktion der Beugemuskeln hervor- gerufen wird und durchaus den Charakter einer Reflexbewegung hat."

So beginnt eine Arbeit yon mir, die in Band 1, Heft 3 dieser Zeitschrift unter dem Titel ,,Beitr~ge zur Physiologie der Sehnenreflexe" erschien.

Dal3 es eine Reflexbewegung, also eine aktive Bewegung sei, habe ich unter anderem daraus geschlossen, dal~ bei einem Patienten, der an linksseitiger Ischias litt, bei der AuslSsung des Patellarreflexes die sekund~re Beugebewegung ausblieb. Wenn Lewy in seinem Buche ,,Die Lehre vom Tonus und den Bewegungen", S. 52 demnach sagt: ,,Diese Tatsache (die Tatsache der yon Iserlin als RiickstoI3 bezeichneten Bewegungen) war schon lange bekannt und wurde im allgemeinen als Elastizit~ts-Ph~nomen aufgefal3t, wie das noch P/ahl fiir den von ihm als solchen allerdings nicht erkannten RiickstoB des Knieph~nomens tut", so hat er sich unzutreffend ausgedriickt. In der erw~hntenArbeit (S. 356) habe ich nur gesagt, dal3 dabei (bei der sekund~ren reflektori- schen Beugebewegung) aul3erdem, d.h. aul3er der reflektorischen An- spannung der Beugemuskeln noch Elastizit~tskr~fte eine Rolle spielen.

Auf Grund vieler Beobachtungen in den folgenden Jahren und einer Verbesserung des damals benutzten Apparates wiirde ich heute sagen: die Elastizit~tskri~fte sind fiir das Zustandekommen der sekun- d~ren Beugebewegung und weiterer nachfolgender Hin- und tterbewe- gungen yon wesentlicher Bedeutung. 1910 habe ich die bogenfSrmige Bewegung eines Punktes des Unterschenkels, der 11,5 cm vom Knie- gelenk entfernt war, durch ~bertragung auf ein Hebelsystem in eine

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geradlinige Bewegung umgewandelt (s. P]ahl, ,,~ber die graphische Dar- stellung von Bewegungsvorg/~ngen, insbesondere des Patellarreflexes" (Z. Neur. 1~ H. 4, 509/510). Das ist fiir gewisse Zweeke notwendig oder doch wiinschenswert, bei Bewegungen im Umfange yon einigen Grad, wie sie der Unterschenkel bei dem Patellarreflex macht, anderer- seits aber mit gewissen Nachteilen verbunden, und ffir so kleine Bewe- gungen nicht erforderlieh.

Bei meinem frfiheren Apparat bewegten sich verschiedene Teile dieses Hebelsystems auf bzw. zwischen Rollen. Dadurch entstehen Reibungswiderst/~nde. Das freie Endglied des Hebelsystems trug eine ReiBfeder, die sicher mit bedeutend grSf~erer Reibung sehrieb als die leichte Feder, die ich jetzt benutze. Das proximale Glied des Hebel- systems, der Unterschenkel des Untersuchten und eine an ihm befestigte Stange lief ebenfalls auf Rollen und drehte sich, auch nicht ohne Reibung, um ein Kugel- gelenk (lotrecht unter der lotreeht stehenden Achse des Kniegelenks angebracht). Alle diese Reibungswider- st~nde habe ich ausgeschaltet und auSerdem die Bewegung

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Abb. 1.

in erheblich grSBerem Umfange aufgeschrieben (s. u.). Bei der Prfifung des rechten Patellarreflexes liegt die Versuchsperson, wie friiher, mit der linken Seite ihres KSrpers auf dem Untersuehungstisch (s. Abb. 1). Die AuSenseite des linken Beines (nur dureh eine punktierte Linie angedeutet) liegt auf der Platte eines Tisches, die in gleicher HShe mit der Trag- fliiche des Untersuehungstisches steht, und zwar aus praktisehen Grtinden in starker Beugung von Hiift- und Kniegelenk. 15 cm fiber der Platte befindet sich durch Stiitzen mit dieser lest verbunden, ein gepolstertes Brett B (15 • 50 cm). Darauf ruht mit dem unteren Teil seiner Innen- fl/~che der rechte Obersehenkel (0) und kann angesehnallt werden. Das reehte Kniegelenk fiberragt eben den peripheren Rand dieses Brettes. In der Verl/~ngerung der lotrecht stehenden Kniegelenks- achse ist, gleichfalls lotreeht stehend, eine Kugellagerachse a angebracht (Fiihrung genau, Reibung minimal, im Fahrradgeschifft billig zu be- schaffen), an diese Achse, dutch eine Strebe s gesttitzt und versteift, horizontal gerichtet, eine kr/~ftige Stange St. mit einer gebogenen Eisen- bleehschiene. Darauf ruht, angeschnallt, wie friiher in einem Winkel yon 150--160 ~ zum Oberschenkel gestellt, in bequemer Lage die Innen- seite des rechten Untersehenkels (U). Mit Hilfe einer Klammer wird an der Stange ein leichter Aluminiumhebel H yon rechtwinkligem Querschnitt befestigt, an dessen freies Ende dureh ein exaktes Schar-

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niergelenk eine feine leichte konische Feder (F) yon Neusilber mit Platinspitze und feiner 0ffnung (sog. Siemensfeder). Diese Feder be- finder sieh 58 cm von dem Kugelgelenk entfernt. Dreht sich der Hebel bzw. Unterschenkel um 1 ~ so schreibt die Feder eine Kurve yon 1 cm HShe auf das Kymographion K, also in 5mal grSBerem Umfange als frfiher. An Stelle dieser Feder kann man zum Sehreiben auf berul3tem Papier natfirlich auch eine feine Nadel anbringen. (Das Schreiben mit der bezeichneten Feder durch Ffillfedertinte ist nach meinen lang- j/~hrigen Erfahrungen aber dringend zu empfehlen, ist viel bequemer als das Schreiben auf berul~tem Papier und kann dadurch wesentlich dazu beitragen, die dankbare Methode der graphischen Aufzeichnung der Bewegungen in die Praxis einzufiihren.)

Die grobe Einstellung der Feder erfolgt mit Hilfe der Klammer, die feine Einstellung selbst/~ndig dnrch das Eigengewicht der leichten Feder, die mit minimalem Druck und minimaler Reibung fiber das Papier gleitet, nur bei schnellsten Bewegungen etwas hfipft.

Die Kurven in Abb. 2 geben alle den Ablauf des normalen Patellar- reflexes eines gesunden Studenten wieder. Von ~hnlieher Form war er immer bei anderen gesunden Personen.

In Abb. 2 zeichnet die Feder in Kurve 1 (v = 50 mm), w/~hrend der Unterschenkel wie frfiher bei einem Winkel von 150--160 ~ ruhig auf der Stange und Schiene liegt, zuerst eine vSllig glatte, horizontal verlaufende Linie. Nach einem leichten Schlage, der etwa bei a erfolgt (ich verffigte fiber keine genaue Schlagvorrichtung und keine absolut genaue Vorrichtung zur Messung der Umlaufsgeschwindigkeit) macht die Feder, also auch der Unterschenkel, einige minimale, wellenfSrmige Bewegungen, wahrscheinlich ausgelSst auf mechanischem Wege durch Schwingungen des Sehnenmuskelapparates; dann beginnt die eigent- lithe reflektorische Streckbewegung nach aufw/~rts. Auch diese zeigt (in der Originalkurve) im Anfang noch einige feine Wellen, die ver- mutlich den gleichen Ursprung haben wie die Wellen des horizontalen Tefles der Linie und setzt nicht gleich mit ihrer maximalen Ge- schwindigkeit ein. Das letztere ist, dadurch zu erkl/~ren, daft vom Beginn der Kontraktion des Muskels bis zu seiner starksten Verkfirzung und Kraftentfaltung eine gewisse Zeit vergeht. Die Geschwindigkeit der Bewegung sinkt, nachdem sie kurze Zeit auf gleicher HShe blieb, allm/~hlich wieder auf Null. Dann folgt eine Beugebewegung yon der gleichen, glatten Form, aber yon grSBerem Umfange und hierauf noch einige wellenfSrmige, yon Welle zu Welle kleiner werdende Hin- und Herbewegungen (Kurve 1).

Kurve 2, unter den gleichen ~uBeren Verh~ltnissen aufgeschrieben, zeigt im wesentlichen den gleichen Verlauf wie Kurve 1. Die wellen- fSrmigen Nachbewegungen haben aber eine etwas geringere Wellen-

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l~nge. Dadurch ist auf der gleichen Strecke bzw. in der gleichen Zeit die Wellenfrequenz etwas grSBer und bei gleicher Kurvenl~nge der allm~hliche ~bergang zur Ruhe noch besser zu bemerken. Es kann sein, dab die Umlaufsgeschwindigkeit der Trommel hier schon ein wenig geringerer war (ein genaues Mag hatte ich, wie schon gesagt, nicht), aber auch, dag der Spannungszustand des Muskels etwas gr6Ber war. Letzteres k6nnte man daraus schliei~en, dag Kurve 2 nicht mit gerader, horizontaler Linie beginnt wie Kurve 1, sondern mit einem Bogen, dab also Unterschenkel und Muskel zur Zeit des Schlages noch nicht ganz in Ruhe waren. Einige kleine Wellen als Ausdruck der mechani- schen Erschfitterung sind auch hier kurz vor Beginn der reflektorischen Bewegung zu bemerken.

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Abb. 2~

Kurve 3 ist bei geringerer Umlaufsgeschwindigkeit der Trommel (v = 10) aufgeschrieben und zeigt dabei den Ablauf yon 4 1%eflexbewe- gungen. Die durch den Schlag rein mechanisch ausgel6sten Schwingungs- bewegungen sind nur eben an einer feinen Zacke erkenntlich, die Nach- bewegungen erfolgen wiederum in /ihnlicher wellenf6rmiger Weise wie in Kurve 1 und 2. Die Form der Verbindungslinie der obersten und untersten Punkte der Einzelwellen, die sogenannte Gipfel- und Fug- punktkurve, in a Kurve 3 und die vSllig glatte Form der Einzelwellen in Kurve 1 und 2, sowie der Umstand, dab in a, b, c die Anfangs- und Endstellung der einzelnen Schwingungsreihen auf einer horizontalen Linie (Grundlinie) liegen, sprechen entschieden daffir, dag bei ihrem Entstehen Elastizit~tskr/ifte eine wesentliche l~olle spielen. Oft wirken aber auch noch andere Kr/~fte auf den Verlauf ein: in der Wellenreihe b u n d c bildet eine Linie, die durch die Mitte der Wellen geht, keine gerade Linie; in derselben Reihe b treten, nachdem der Unterschenkel

Z. f. d. g. l~eur, u. Psych. 117. 29

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schon vSllig zur Ruhe gekommen, wieder 2 kleine Wellen auf; in d kommt der Untersehenkel bei den Nachbewegungen durch st/~rkere Kraftwirkung der Beuger in etwas st/irkere Beugestellung.

Solche Krafteinwirkungen der Muskulatur, die wir ohne den Apparat Bar nicht erkennen wiirden, kommen in verst/s MaBe auch bei funktionellen Krankheiten vor, und kSnnen dadureh einerseits das Zustandekommen der Reflexe verhtiten (daher bei der Priifung der Reflexe unsere Aufforderung an die Versuchspersonen ,,nicht spannen! v611ig locker lassen!") und andererseits eine Steigerung bewirken, und zwar eine solehe yon rein funktioneller Art.

Kurve 1 hat die grSBte ~hnliehkeit mit der Kurve in Abb. 8 meiner oben zitierten Arbeit : ~)ber die graphische Darstellung yon Bewegungs- vorg/ingen usw. [Z. Neur. l, H. 4, 515 (1910)].

Was ich damals bei einem Kranken mit gesteigerten Patellar- reflexen land, finde ich jetzt mit verbessertem Apparat und st/~rkerer VergrSBerung auch beim Gesunden. Bemerkbar machen sie sich ohne Apparat dem Auge des Untersuchers erst beim Kranken, als sogenannter mehrschl/~giger Reflex, als Klonus und /s Erscheinungen. Ich sabre iibrigens in meiner Arbeit: ,,Beitr~ge zur Physiologie der Sehnen- reflexe", S. 554, schon: ,,Der Vorgang der reflektorischen Streckung und Beugung kann sieh unter Umst/~nden aueh beim Normalen noch einmal oder mehrere Male wiederholen." Heute kann ieh sagen: Auch die durch Schlag auf die Patellarsehne des Normalen ausgel6ste Bewegung ist mehrschl/~gig. Die Frage, wie weit dabei reflektorisehe Muskelkon- traktionen, wie weit Elastizit/~tskr/~fte wirken, steht noch often.

Die pathologisehe Anatomie hat uns durch das Mikroskop gezeigt, dab viele krankhafte Ver/inderungen im Keime schon im normalen, anatomi- schen Befunde zu linden sind. Ebenso k6nnen wir unter anderem durch Festhalten der schnell ablaufenden, mit dem Auge nicht zu erfassenden Vorg/inge bei den Bewegungen eines Gesunden und Kranken (einem Itauptteile der Funktion des Nervensystems) und aus ihrem Vergleieh ersehen, dab auch manche krankhafte Vorg/inge in der Funktion nur eine J~nderung der normalen Funktion, eine Steigerung oder Abschw/i- chung derselben sind. ,,Sie sind im Keime schon in der physiologischen Bewegungsftihrung vorhanden", sagte Wachholder mit Recht auf der 2. Jahresversammlung der siidostdeutsehen Psychiater und Neurologen in Breslau (verSffentlicht im Arch. f. Psychiatr. 81, H. 5) auf Grund yon Untersuchungen mittels des Saitengalvanometers. Eine graphische Darstellung dieser Vorg/inge im vergrSgerten Umfange kann, wie das vorstehende Beispiel zeigt, gleichfalls mit dazu beitragen, uns dies zu zeigen, wenn diese VergrSBerung wenigstens in Versuchen, wie sie in der Praxis anwendbar sind, auch ja 1/~ngst nicht in dem Umfange mSglich ist, wie ihn das Mikroskop bringt.