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Zusammenfassung Theorie der feinen Leute (Veblen) Abstract Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute ist ein Klassiker der Lebensstilforschung. Das Buch ist 1899 erschienen und hat wenig von seiner Gültigkeit eingebüsst. Es entwirft eine kulturelle Entwicklungstheorie, die von verschiedenen Stufen und damit einhergehenden Lebensweisen ausgeht. Veblens Menschenbild ist eher negativ und zynisch. Besonders die obere Schicht kriegt ihr Fett weg. Dagegen lässt er für die untere und mittlere Klasse Milde walten. Seine „ökonomische Theorie“ setzt produktive Arbeit (letztlich industrielle Arbeit) ins Zentrum ihres Interesses. Fortschritt erfolgt durch produktive Tätigkeit und den Werkgeist, der Fleiss, praktische Tätigkeit, Bescheidenheit, Kausalität und Methodik verbindet. Ihm gegenüber steht der demonstrative Müssiggang und Konsum der oberen Schichten. Sie müssen nicht produktiv tätig sein und können es sich leisten durch Verschwendung und Nichtstun (bzw. nichts Produktives tun) Prestige anzuhäufen. Da sich die unteren Schichten jeweils an der nächsthöheren Schicht orientieren, streben auch die weniger Begüterten und gar die Armen nach Prestige und geben ihren Surplus für demonstrativen Konsum und demonstrativen Müssiggang aus. Damit versuchen sie den Nachbarn zu übertreffen. Es gibt verschiedene Formen und Berufe des demonstrativen Müssiggangs: Besonders wichtig in den höheren Klassen ist die stellvertretende Musse, also das „Kaufen“ von Dienern, die ihrerseits nichts tun und damit Prestige herstellen. Je mehr stellvertrende Musse man sich aneignet, desto mehr Prestige hat man. Auch die Frauen seien zu nichtproduktiven Tätigkeiten verdammt (z. B. Haushaltsarbeit, kulturelle Tätigkeit, Wohltätigkeit...), weil sie dadurch als Trophäe des Mannes besonders viel Prestige einbringen. Konsumgüter wie Kleider, Möbel, Nahrung etc. müssen bei den höheren Schichten möglichst luxuriös, ausgeschmückt und unpraktisch sein, um Prestige zu erzeugen. So erklärt sich auch, warum z. B. die unproduktiven Haustiere prestigereicher sind als die produktiven Nutztiere. Weitere Kapitel behandeln bestimmte gesellschaftliche Bereiche, wie die Religion, den Sport oder die akademische Welt, wo ebenfalls die Gesetze des demonstrativen Konsums und Müssiggangs herrschen. Eine These von Veblen lautet, dass sich mit der Fortentwicklung der Gesellschaft der Fokus mehr und mehr von demonstrativem Müssiggang (z. B. Jagen, Regieren, Sport, Krieg) hin zum demonstrativen Konsum verschiebt. (Gehörte Musik: u. a. Gui Boratto – Chromophobia) Einführung + Der Wettlauf um das Geld In der Einleitung stellt Veblen sein Stufenmodell der gesellschaftlichen Entwicklung vor. Die höchste Entwicklung einer müssigen Klasse findet sich in der barbarischen Kultur. Hier herrscht eine strenge Trennung der sozialen Klassen mit klaren Aufgaben. Das beste Beispiel dafür ist das Indien der Brahmanen. „Als Ganzes umfasst die müssige Klasse Adel und Priesterstand mitsamt einem grossen Teil ihrer jeweiligen Gefolgschaft.“ Sie zeichnet sich durch nicht-produktive Tätigkeiten aus, die in

Zusammenfassung Theorie der feinen Leute

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Zusammenfassung von Thorstein Veblens Klassiker "Theorie der feinen Leute"

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Page 1: Zusammenfassung Theorie der feinen Leute

Zusammenfassung Theorie der feinen Leute (Veblen)

Abstract

Thorstein Veblens Theorie der feinen Leute ist ein Klassiker der Lebensstilforschung. Das Buch ist

1899 erschienen und hat wenig von seiner Gültigkeit eingebüsst. Es entwirft eine kulturelle

Entwicklungstheorie, die von verschiedenen Stufen und damit einhergehenden Lebensweisen

ausgeht. Veblens Menschenbild ist eher negativ und zynisch. Besonders die obere Schicht kriegt ihr

Fett weg. Dagegen lässt er für die untere und mittlere Klasse Milde walten. Seine „ökonomische

Theorie“ setzt produktive Arbeit (letztlich industrielle Arbeit) ins Zentrum ihres Interesses. Fortschritt

erfolgt durch produktive Tätigkeit und den Werkgeist, der Fleiss, praktische Tätigkeit,

Bescheidenheit, Kausalität und Methodik verbindet. Ihm gegenüber steht der demonstrative

Müssiggang und Konsum der oberen Schichten. Sie müssen nicht produktiv tätig sein und können es

sich leisten durch Verschwendung und Nichtstun (bzw. nichts Produktives tun) Prestige anzuhäufen.

Da sich die unteren Schichten jeweils an der nächsthöheren Schicht orientieren, streben auch die

weniger Begüterten und gar die Armen nach Prestige und geben ihren Surplus für demonstrativen

Konsum und demonstrativen Müssiggang aus. Damit versuchen sie den Nachbarn zu übertreffen. Es

gibt verschiedene Formen und Berufe des demonstrativen Müssiggangs: Besonders wichtig in den

höheren Klassen ist die stellvertretende Musse, also das „Kaufen“ von Dienern, die ihrerseits nichts

tun und damit Prestige herstellen. Je mehr stellvertrende Musse man sich aneignet, desto mehr

Prestige hat man. Auch die Frauen seien zu nichtproduktiven Tätigkeiten verdammt (z. B.

Haushaltsarbeit, kulturelle Tätigkeit, Wohltätigkeit...), weil sie dadurch als Trophäe des Mannes

besonders viel Prestige einbringen. Konsumgüter wie Kleider, Möbel, Nahrung etc. müssen bei den

höheren Schichten möglichst luxuriös, ausgeschmückt und unpraktisch sein, um Prestige zu

erzeugen. So erklärt sich auch, warum z. B. die unproduktiven Haustiere prestigereicher sind als die

produktiven Nutztiere. Weitere Kapitel behandeln bestimmte gesellschaftliche Bereiche, wie die

Religion, den Sport oder die akademische Welt, wo ebenfalls die Gesetze des demonstrativen

Konsums und Müssiggangs herrschen. Eine These von Veblen lautet, dass sich mit der

Fortentwicklung der Gesellschaft der Fokus mehr und mehr von demonstrativem Müssiggang (z. B.

Jagen, Regieren, Sport, Krieg) hin zum demonstrativen Konsum verschiebt.

(Gehörte Musik: u. a. Gui Boratto – Chromophobia)

Einführung + Der Wettlauf um das Geld

In der Einleitung stellt Veblen sein Stufenmodell der gesellschaftlichen Entwicklung vor. Die höchste

Entwicklung einer müssigen Klasse findet sich in der barbarischen Kultur. Hier herrscht eine strenge

Trennung der sozialen Klassen mit klaren Aufgaben. Das beste Beispiel dafür ist das Indien der

Brahmanen. „Als Ganzes umfasst die müssige Klasse Adel und Priesterstand mitsamt einem grossen

Teil ihrer jeweiligen Gefolgschaft.“ Sie zeichnet sich durch nicht-produktive Tätigkeiten aus, die in

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vier Bereiche aufgeteilt werden können: Regieren, Krieg, religiöse Aufagben, Sport. In den noch

primitiveren Formen der barbarischen Stufe findet sich keine voll entwickelte müssige Klasse mehr.

Hier wird jedoch deutlich zwischen männlichen und weiblichen Tätigkeiten getrennt. „Die Sitte

gebietet den Frauen fast all dieser Völker, jene Arbeiten zu verrichten, aus denen sich später

Gewerbe und Handwerk entwickeln sollten.“

Auf der tiefsten Entwicklungsstufe, bei den wilden Völkern, ist die Arbeitsteilung und damit die

Schärfe der Geschlechts- und Klassengrenzen am schwächsten ausgeprägt. Hier gibt es gar keine

vornehme Klasse. Dieses Stadium wird im weiteren Verlauf des Buches als friedliches Stadium

bezeichnet. „In der Tat ist den Mitgliedern solcher Gesellschaften eine gewisse freundliche

Hilflosigkeit gemeinsam, wenn sie Betrug oder Gewalt begegnen.“ Die vornehme Klasse muss also im

Übergang vom friedlichen zum barbarischen Stadium entstanden sein. Veblen nennt zwei

Voraussetzungen für die Entstehung: 1) Gesellschaft muss räuberisch sein und 2) Es muss Surplus

geben.

Veblens Vorstellung von Arbeit ist das einer natürlichen Tätigkeit, d. h. Verwendung natürlicher

Ressourcen und nicht etwa Befehl oder Gewalt über Menschen. Es herrscht in der barbarischen

Gesellschaft ein starker Gegensatz zwischen beseelten und unbeseelten Dingen. Beseelte Dinge sind

in der Vorstellung dieser Gesellschaften mächtig und ermöglichen erhaftere Tätigkeiten (Priester,

Schamanen...) als unbeseelte. „Mit solchen Erscheinungen (d. h. mit beseelten Dingen) erfolgreich

umzugehen, ist eher eine Heldentat als eine Arbeit, ist ein Beweis der Tapferkeit und nicht des

Fleisses.“ Plackerei und Heldentat sind auch geschlechtlich konnotiert. Die Heldentat wird traditionell

dem Mann zugeordnet, die Plackerei der Frau. Heldentaten, wie Jagd oder Krieg, sind räuberischer

Natur und bringen eine gewaltsame (unproduktive) Aneignung von Gütern mit sich. Damit einher

geht denn auch ein räuberischer Lebensstil, der entscheidend zur Entwicklung einer müssigen Klasse

beigetragen hat. Hier hat sie ihren Ursprung.

Dann stellt Veblen die beiden Prinzipien des Werkinstinkts (Tüchtigkeit) und des Konkurrenzneids

einander gegenüber. In neidvollen Gesellschaften wird der Erfolg zum alles bestimmenden Faktor, da

er die Grundlage für Prestige bildet. Ein Symbol des Übergangs vom wilden zum barbarischen

Stadium sind die (Kriegs)Trophäen. „Wenn Wappenschilder mit Vorliebe von Raubtieren oder

Raubvögeln geziert werden, deutet dies in dieselbe Richtung.“ Der wesentliche Unterschied zwischen

dem friedlichen (wilden) und kriegerischen (barbarischen) Stadium liegt im Geist, nicht in der

Technik, wie Veblen auf Seite 37 betont. Trotzdem kann die Technik, z. B. in Form von Waffen, nicht

völlig vernachlässigt werden.

Der demonstrative Müssiggang + Der demonstrative Konsum

Damit es eine müssige Klasse geben kann, braucht es Privateigentum. „Um Ansehen zu erwerben und

zu erhalten, genügt es nicht, Reichtum und Macht zu besitzen. Beide müssen sie auch in Erscheinung

treten, denn Hochachtung wird erst ihrem Erscheinen gezollt.“ Zudem erhält und stärkt dieses

Zurschaustellen das eigene Selbstbewusstsein. Der feinen Klasse wohnt eine starke Abneigung

gegenüber einfachen Formen der Arbeit inne. Dies wird schon bei den Griechen in der Trennung

zwischen vita activa und vita contemplativa ersichtlich (bzw. im Reich der Freiheit – agora – vs. dem

Reich der Notwendigkeit – oikos). „Zu arbeiten galt ja einst als Beweis mangelnder Stärke und Kraft,

weshalb die Arbeit selbst mit der Zeit als niedrig und gemein betrachtet wird.“ Demonstrative

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Befreiung von der Arbeit ist somit ein Zeichen von Wohlstand und Prestige. Tätigkeiten, die zur

demonstrativen Musse gehören sind Regieren, Krieg, Sport und religiöse Aufgaben. „Die

Beschäftigung der vornehmen Klasse ist also räuberischer und nicht produktiver Art.“

Neben der eigentlichen müssigen Klasse, die es sich leisten kann nicht zu arbeiten, gibt es eine

unechte vornehme Klasse, die in tiefster Entbehrung lebt, weil sie gerade nicht über die Mittel

verfügt in demonstrativer Musse zu leben. „Der heruntergekommene Gentleman und die Dame, die

einst bessere Tage sah, sind selbst heute noch alltägliche Erscheinungen.“

Mit Musse ist bei Veblen nicht Nichtstun gemeint, sondern die nicht-produktive Verwendung der

Zeit. Weil der demonstrative Müssiggänger nicht dauernd von den Leuten beobachtet wird, müssen

bestimmte Mittel her, die zeigen, dass er auch in seiner nicht-beobachteten Zeit untätig ist. Beispiele

solcher Tätigkeiten sind die feinen Sitten (Manieren, Knigge etc.), Kenntnis toter Sprachen,

fehlerfreie Beherrschung der Orthographie oder auch Kunst, Mode und Möbel, Reisen, Spiele,

Hunde- und Pferdezucht. „Guter Geschmack, Manieren und kultivierte Lebensgewohnheiten sind

wertvolle Beweise der Vornehmheit, denn eine gute Erziehung verlangt Zeit, Hingabe und Geld und

kann deshalb nicht von jenen Leuten bewerkstelligt werden, die ihre Zeit und Energie für die Arbeit

brauchen.“ Die guten Sitten sind also Bürgen eines müssigen Lebens, was ihren Wert ausmacht.

Den Sklaven und Frauen kommt bei der Demonstration des Müssiggangs eine besondere Rolle zu: Sie

sind einerseits Zeugen des Reichtums, andererseits aber auch Werkzeuge zum Gewinn von Prestige.

Kam den Sklaven in früherer Zeit meist eine produktive Funktion zu, so sind sie heute v. a. dazu da

demonstrativ Zeit zu verschwenden – und keine produktiven Tätigkeiten mehr auszuführen. Gleiches

gilt für die Frauen. Weil Adel übertragbar ist, wird die Frau langsam aber sicher von produktiver

Arbeit ausgenommen und dient nur noch als Trophäe. „Sowohl für sein Ansehen in der Gesellschaft

als auch für seine Selbstachtung ist es entscheidend, dass ihm (dem Herrn) tüchtige spezialisierte

Diener zur Verfügung stehen, deren Wartung seiner Person nicht durch irgendwelche

Nebenbeschäftigungen abgelenkt wird. Der Wert solcher Diener besteht weniger in ihren Leistungen

als darin, dass man sie zur Schau stellen kann.“ Weil die Männer, besonders wenn sie kräftig und

eigentlich für produktive Arbeit bestens geeignet sind, teurer sind bzw. mehr Verschwendung

anzeigen als Frauen, werden sie bevorzugt als Hausdiener eingsetzt. Bei dieser Art der Musse handelt

es sich um stellvertretende Musse, zu der Veblen u. a. auch (übertriebene) Hausarbeit zählt.

Stellvertretende Musse ist durch Unterwürfigkeit gekennzeichet. „Die vornehmste Aufgabe eines

guten Dieners besteht darin, dass er sich, und zwar in auffälliger Weise, bewusst ist, wo er

hingehört.“ Je mehr, länger und besser die Diener geschult sind, desto teurer werden sie und desto

grösser fällt die stellvertretende Musse aus. Somit lässt sich das Prestige steigern, indem man viele

gut ausgebildete Diener anstellt, die möglichst wenig machen. Mit der Zeit kann es unter den

Dienern zu Differenzierungen und Positionierungen kommen.

Die stellvertretende Musse hat ihren Höhepunkt bereits überschritten und ist heute v. a. in der

oberen Klasse zu beobachten. Diese hat die Bräuche aus der Vergangenheit mitgeschleppt.

Der demonstrative Konsum drückt sich im Verbrauch von Luxusgütern aus: Nahrung, Kleidung,

Wohnraum, Möbel. „Der unproduktive Konsum ist zunächst als Zeichen der Tapferkeit und der

Menschenwürde, später an und für sich ehrenvoll, vor allem was den Verbrauch besonders

wünschenswerter Dinge betrifft.“ Ein besonderer Bereich des demonstrativen Konsums sind Drogen

und Alkohol („berauschende Getränke und Narkotika“, wie Veblen es nennt). Trunkenheit ist deshalb

auch eher bei Männern als bei Frauen verbreitet. Wenn eine Frau konsumieren darf, dann meistens

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nur mit Erlaubnis ihres Mannes. Obwohl auch das persönliche Wohlbehagen ein Zweck des Konsums

darstellt, geht es doch letzten Endes um Prestige. „Um nicht zum Narren gehalten zu werden, muss

er (der müssige Herr) seinen Geschmack pflegen, denn es gehört nun zu seinen Obliegenheiten,

genau zwischen edlen und gemeinen Konsumgütern zu unterscheiden.“

Eine gern gesehene und oft praktizierte Form demonstrativen Konsums ist die Veranstaltung grosser,

ausschweifender Feste und das Einladen von Konkurrenten um ihnen den eigenen Reichtum vor

Augen zu führen. Neben der stellvertretenden Musse gibt es auch stellvertretenden Konsum, der

hauptsächlich von der Frau, den Dienern und den Kindern betrieben wird. Eine Möglichkeit seinen

Konsum besonders zur Schau zu stellen, besteht darin, Uniformen, Livreen und ähnliches zu kaufen.

„Der stellvertretende Konsum von Gefolgsleuten, die das Zeichen ihres Gönners oder Meisters

tragen, beschränkt sich allmählich auf eine Schar von livrierten Dienern.“

In der unteren Mittelklasse ist aufgrund der beschränkten Mittel nur die Frau für den demonstrativen

Müssiggang und Konsum zuständig. „Keine Klasse, nicht einmal die allerärmste, versagt sich jeglichen

demonstrativen Verbrauch.“ Im Zuge der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung durch

Arbeitsteilung verdrängt der demonstrative Konsum die demonstrative Musse als primäres Werkzeug

um Prestige zu erlangen. In früheren Stadien standen beide Formen nebeneinander, aber heute, wo

man häufiger wildfremden Menschen begegnet, ist der demonstrative Konsum besser geeignet den

Zweck zu erfüllen, den er erfüllt: Prestige zu gewinnen. In der städtischen Bevölkerung ist

demonstrativer Konsum verbreiteter als in der ländlichen.

Dem Konsum und Streben nach Prestige stellt Veblen den Werkinstinkt gegenüber.

Der Aufwand für die Lebenshaltung + Die Normen des Geschmacks

In diesem Kapitel sagt Veblen zunächst, dass sich der Lebensstandard oder der Standard, nach dem

ein schickliches Leben möglich ist, sehr variabel gestaltet. „Mit anderen Worten wird unser

Aufwandsniveau genau wie auch andere Wettbewerbsziele von jener Klasse bestimmt, die im

Hinblick auf das Prestige eine Stufe höher steht als wir selbst.“ Veblen unterscheidet verschiedene

Arten von Gütern und Bedürfnissen. Zu allerletzt geben wir die lebensnotwendigen Güter auf, die

sich aufs Existenzminimum beziehen. Auf höherer Stufe gibt es weitere Motive wie Prestige,

Sehnsucht nach Erlösung, Hedonismus.

Im nächsten Kapitel („Die Normen des Geschmacks“) geht Veblen zunächst auf das „Problem“ ein,

dass sich die Leute auch bei nicht sichtbaren Dingen (Unterhosen, Möbel, die niemand sieht...) häufig

für ausgeschmückte Designs entscheiden. Dies geschieht, weil das Denken durch die Normen des

demonstrativen Konsums unbewusst geprägt ist.

Dann behandelt Veblen die katholische Kirche, wo sich der demonstrative Konsum in den

schmuckvollen Gewändern und den prunkvollen Kirchen äussert. Die Priester ihrerseits üben

stellvertretende Musse aus, indem sie Gott dienen. Deshalb dürfen sie auch nicht produktiven

Tätigkeiten nachgehen. Der Preis eines Gegenstandes ist ein guter Indikator für seinen Luxus. Je

teurere Güter man also demonstrativ verschwendet, desto mehr Prestig ergattert man sich. „In den

meisten Fällen bestände in der Tat wenig Anreiz, schöne Gegenstände zu monopolisieren, wenn sie

nicht als Bestandteile der demonstrativen Verschwendung Ehre einbringen würden.“ Geldwert ist

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deshalb mit Schönheit unmittelbar vermischt. „Diese unentwirrbare Vermischung des Kostbaren mit

dem Schönen kommt vielleicht am deutlichsten in Kleidung und Möbeln zum Ausdruck.“ An

mehreren Beispielen verdeutlicht Veblen diese Aussage. Besonders anschaulich wird es bei den

Haustieren und Parkanlagen: Je geschmückter und nutzloser diese sind, desto mehr Prestige bringen

sie ein. Deshalb hält sich niemand Nutztiere als Haustiere und bringen Hunde das höchste Prestige

ein. Auch in den Schönheitsidealen spiegeln sich die Normen des demonstrativen Konsums wider.

Fand man früher v. a. starke und grobgliedrige, also produktive Frauen hübsch, so sind es heute

feingliedrige, schlanke, zarte und feine.

Für Veblen sind die einfachen zweckmässigen Dinge die schönsten. Am besten erfüllen industriell

und maschinell gefertigte Güter dieses Kriterium. Wegen den Normen des demonstrativen

Müssiggangs und Konsums ist dieses Ideal aber nicht in der Gesellschaft verankert. Stattdessen steht

das Neue stets auch für das Exklusive und Schickliche. „Der Konsum teurer Güter ist verdienstvoll,

und jene Güter sind ehrenhaft, die beträchtlich mehr kosten, als für die Erfüllung ihres angeblich

bloss praktischen Zweckes nötig wäre.“ Handarbeit ist durch Kosten und Verschwendung

gekennzeichnet und eignet sich deshalb besser für demonstrativen Konsum als maschinelle

gefertigte Güter. „Die Überlegenheit handgearbeiteter Güter besteht also in einem gewissen Mangel

an Sorgfalt und Aufmerksamkeit.“ Am Beispiel der Bücherherstellung wird dies sehr gut ersichtlich.

Die Kleidung als Ausdruck des Geldes + Die Befreiung von der Arbeit und die

konservative Einstellung

Im ersten Kapitel beschäftigt sich Veblen mit der Kleidung, im zweiten mit der Frage, warum die

gehobene Klasse konservativ ist.

Die Kleidung erlaubt eine sofortige und unmittelbare Schätzung des Besitzes. „Das Bedürfnis, sich

anzuziehen, gehört damit zu den höheren oder geistigen Bedürfnissen.“ Teure Kleider stehen für

Schönheit und ermöglichen Prestigegewinn. Kleider müssen aber nicht nur teuer sein, sie müssen

auch unbequem sein, indem sie dem Beobachter klar machen, dass wir nicht produktiv tätig zu sein

brauchen. Zylindern, Spazierstock, blütenweisse Lackschuhe etc. sind alles Zeichen, die auf

demonstrative Musse hindeuten. „Im grossen und ganzen kann gesagt werden, dass das eigentliche

Weibliche der Frauenkleidung darin besteht, jede nützliche Betätigung wirksam zu verhindern.“

Daneben gilt es das Phänomen der Mode zu erklären. Kleidern müssen neben dem Preis und der

Unbequemlichkeit auch der Moder gehorchen. Weil Moden ständig erneuert werden müssen, dienen

sie als Motor des demonstrativen Konsums. „Somit kann allgemein gesagt werden, dass die Mode in

jenen Gesellschaften, in denen sich das Prinzip der demonstrativen Verschwendung am

gebieterischsten durchsetzt am wenigsten dauerhaft und am wenigsten schön ist.“

Weil sich das Gemüt nun (offenbar doch) gegen Verschwendung sträubt, muss den

Ausschmückungen ein Vorwand gegeben werden. Auch zu erklären ist die Mode mit dem Charakter

des Neuen: Neues verschafft mehr Prestige als Altes. Neben den Kleidern der Frauen findet sich auch

bei den Gewändern der Diener und Priester das Prinzip des stellvertretenden Konsums und der

stellvertretenden Musse wieder. Auch hier soll die Kleidung demonstrieren, dass man (bzw. der Herr)

viel Geld ausgegeben hat und dass man (bzw. die Frau, der Diener, der Priester) nicht arbeiten

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braucht. Je weiter sich die Gesellschaft ausdifferenziert, desto subtiler sind die Mittel, mit denen man

demonstrativ konsumiert und müssig geht.

Im zweiten Kapitel wird der Begriff der Institutionen eingeführt. Veblen versteht darunter Werte und

Anschauungsweisen. „Die müssige Klasse ist konservativ, da sie von den allgemeinen wirtschaftlichen

Forderungen nur mittelbar betroffen wird.“ Wieso sind die gehobenen Klassen konservativ? Laut

Veblen nicht, weil sie ein besonderes Interesse daran hätten ihren Besitz zu wahren, sondern weil für

sie Veränderungen nicht notwendig sein, weil sie aufgrund der Lebensumstände nicht unmittelbar

gezwungen sind, sich anzupassen (wie dies bei den tieferen Schichten der Fall ist). Es handelt sich

also um ein Trägheitsargument. „Wer im Hinblick auf das soziale Prestige ein untadeliges Leben

führen will, der muss notwendigerweise konservativ sein.“ Die Furcht vor der Veränderung und vor

einem anderen Lebensplan bildet den Grundstein für die konservative Einstellung der gehobenen

Klassen.

Aber auch in den tiefsten Schichten findet sich ein gewisser Konservatismus. Hier aber nicht aus den

gleichen Motiven wie in den gehobenen Klassen: „Die unendlich Armen und alle jene, deren Energien

im täglichen Kampf ums Dasein vollständig aufgezehrt werden, sind konservativ, weil sie sich die

Anstrengung nicht leisten können, über den morgigen Tag nachzudenken; die Reichen aber sind

konservativ, weil sie nie die Gelegenheit haben, mit dem Status quo unzufrieden zu sein.“

Im Folgenden unterscheidet Veblen finanzielle (oder pekuniäre) von industriellen Tätigkeiten. Die

müssige Klasse leistet finanzielle Tätigkeiten und Dienste, aber keine industriellen. „Ihre Funktion ist

parasitär, und ihr Interesse besteht darin, von den vorhandenen Mitteln soviel als möglich für den

eigenen Nutzen abzuzweigen und alles zu behalten, was einmal unter ihre Kontrolle gelangt ist.“

Archaische Züge der Gegenwart + Überreste der Tapferkeit im modernen

Leben

Die menschlichen Gewohnheiten haben sich nicht nur den Umweltbedingungen angepasst, sondern

diese haben auch die Natur des Menschen verändert. Veblen unterscheidet verschiedene ethnische

Typen: den langschädlig-blonden, den kurzschädlig-dunklen und den mediterranen. Ausserdem

trennt er einen friedlichen oder vor-räuberischen von einem räuberischen Typus. „Die zweite oder

räuberische Variante hält man im allgemeinen für das Ergebnis einer bei den drei genannten

ethnischen Haupttypen später eingetretenen Modifikation.“ Der langschädlig-blone Typ ist eher mit

der räuberischen Kultur identifizierbar als die beiden anderen. Erneut behandelt der Autor die

kulturelle Stufenleiter, in der der friedliche Typus am Anfang stand. In dieser Phase herrschte ein

Gefühl von Gruppensolidarität vor. „Zu den archaischen Merkmalen, die wir als Überreste aus der

friedlichen Kulturphase betrachten können, gehört jener Instinkt der Gruppensolidarität, den man

Gewissen nennt und der das Gefühl für Wahrhaftigkeit einschliesst, ferner den Werkinstinkt in seiner

ursprünglichen und noch nicht vom Neid denaturierten Form.“ Die alten friedlichen Merkmale sind

laut Veblen Erbmerkmale und konnten sich in rudimentärer Form über die Epochen hinweg erhalten.

Allerdings sind die Hauptmerkmale des quasi-friedlichen und barbarischen Zeitalters räuberischer

Art. Beim Europäer zeigen sich diese räuberischen Merkmale besonders stark ausgeprägt.

Während Individuen ein Interesse haben, einander auszustechen und zu übertrumpfen, trifft dies für

Gesellschaften als ganze nicht zu: „Der Schwerpunkt der kollektiven Interessen jeder modernen

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Gesellschaft liegt in der industriellen Leistungsfähigkeit.“ Die herrschenden Klassen unterscheiden

sich von den tiefer stehenden durch ihre ausgeübten Berufe. Sie üben v. a. Finanzberufe aus und sind

mit Erwerb und Besitz statt mit Produktion beschäftigt: „Der Eintritt in die müssige Klasse erfolgt

über Finanzberufe.“ Der Industriekapitän nimmt die prototypische Position dieses Bildes ein.

Während einfacher Verkauf und Handel wenig Prestige einbringt und auf gleicher Stufe wie

Handwerk und Fabrikarbeit steht, sorgt das Geschäft mit grossen Vermögen (Grosshandel) für

beträchtliches Ansehen. Veblen kommt auf die Philanthropie zu sprechen, die man auf den ersten

Blick für ein Überleben der Merkmale des friedlichen Stadiums halten könnte. Allerdings sieht er

diese Behauptung keinesfalls als bewiesen an.

Individuen aus den unteren Schichten streben den Statusaufstieg an und die fähigsten unter ihnen

schaffen es manchmal auch. Die Aufnahmekriterien sind aber je nach Stadium unterschiedliche

gewesen. Zunächst, in der frühen barbarischen Epoche, stand Tapferkeit, Kraft etc. im Vordergrund,

im quasi-friedlichen dagegen Verschlagenheit und List. Im modernen friedlichen Stadium ist

finanzielles Geschick ein zentrales Kriterium. Die barbarischen Züge sind für die moderne Gesellschaft

überhaupt nicht von Nutzen: „Doch dieser homo oeconomicus, dessen einziges Interesse die

Selbstsucht und dessen einzige menschliche Eigenschaft die Vorsicht ist, besitzt für die moderne

Industrie nicht den geringsten Nutzen.“

Im zweiten Kapitel („Überreste der Tapferkeit im modernen Leben“) geht es um Ähnliches wie im

vorhergehenden. Die Tätigkeiten, die die müssige Klasse ausübt, wurden schon mehrfach genannt:

Sport, Regieren, Krieg, priesterlicher Dienst. Im Folgenden werden diese Punkte etwas ausgeführt

und veranschaulicht. „Der unmittelbarste und unzweideutigste Ausdruck jener archaischen

menschlichen Natur, die das räuberische Stadium kennzeichnet, ist der Hang zu kämpfen.“ Veblen

hält die kriegerische Gesinnung, die charakteristisch für die müssige Klasse ist/war, für überholt.

In der biographischen Entwicklung der Menschen sieht der Autor den Kampfgeist bei den Jungen im

Schulalter als besonders stark ausgeprägt an. Auch der Sport ist mit der archaischen räuberischen

Neigung verknüpft. „Die Vorliebe für den Sport gründet in einer archaischen geistigen Konstitution,

nämlich in der relativ stark ausgebildeten räuberischen Neigung für den Wettbewerb.“ Der Sport

liefert einen guten Vorwand nicht gänzlich untätig sein zu müssen. „Alle Sportarten – Jagen, Angeln,

Turnen, usw. – ermöglichen es nun, sich nicht nur in der Geschicklichkeit zu üben, sondern auch in

Grausamkeit und Verschlagenheit – den Merkmalen des räuberischen Lebens – zu wetteifern.“ Als

Beispiel dafür steht im Text der Fussball. „Die Kultur, die der Fussball hervorbringt, besteht in

exotischer Grausamkeit und Verschlagenheit.“

Die Tapferkeit der Barbaren und heute der müssigen Klasse manifestiert sich auf zwei Arten:

Gewalttätigkeit und Betrug. „Hinterhältigkeit, Falschheit und Einschüchterungsversuche nehmen bei

jedem sportlichen Wettkampf und bei allen sportlichen Spielen einen festen Platz ein.“ Somit gleicht

der Sportler dem listenreichen Odysseus. Darüberhinaus weist er eine Neigung zum Betruf auf.

Der Glaube an das Glück + Jenseits des Neides

Wieso hat die müssige Klasse eine Vorliebe fürs Glücksspiel? Wieso glaubt sie an den Zufall? Solche

Fragen werden in diesem Kapitel abgehandelt.

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Der Glaube an das Glück hat sich bereits im frühesten Stadium der menschlichen Entwicklung

gezeigt. „Er stellt eine Form der animistischen Auffassung der Dinge dar und scheint im wesentlichen

aus einer früheren Phase in die barbarische Kultur übernommen worden zu sein.“ Der Glaube an das

Glück ist nur ein Motiv um am Glücksspiel teilzunehmen. Ein anderes stellt der Willen die

Überlegenheit auf Kosten des Verlierers zu eröhen dar (und diesen zu erniedrigen). „Der Glaube an

das Glück ist nichts anderes als der Glaube an die zufällige Notwendigkeit im Ablauf der

Erscheinungen.“ Veblen unterscheidet eine primitive oder archaische Phase des Glaubens ans Glück

von einer zweiten Phase, „die durch einen mehr oder weniger artikulierten Glauben an eine

unerforschliche übernatürliche Macht gekennzeichnet ist“. Stellvertretend für die erste Phase steht

der Aberglaube der Sportler, der von einer gewissen Individualität geprägt ist. Die zweite Phase

zeichnet sich dagegen eher durch Kollektivität aus. „In dieser Ausdrucks- oder Glaubensform wird die

besagte Tendenz kaum verpersönlicht, obgleich ihr eine mehr oder weniger ausgeprägte

Individualität zugeschrieben wird.“

Veblen hält beide Glaubensformen für schädlich für die industrielle Entwicklung, weil sie verhindern,

dass wir kausale Zusammenhänge erkennen und zielgerichtetes Denken verwirklichen. Sein Begriff

von Intelligenz ist eine schnelle und gute Auffassungsgabe von kausalen Zusammenhängen. „Die

Befreiung von allen Vorurteilen im Hinblick auf die kausale Auffassung der Erscheinungen wird daher

zu einem immer dringenderen Erfordernis für die Leistungsfähigkeit der in der Industrie

beschäftigten Menschen.“

Mit der gesellschaftlichen Entwicklung vermischen sich die religiösen Motive mit anderen

(sekundären) Motiven des Lebens. „... Und so geschieht es, dass die kirchlichen und priesterlichen

Organisationen teilweise für andere Ziele verwendet werden, die den Zwecken des frommen Lebens,

wie es zur Zeit der Blüte priesterlichen Wirkens bestand, in gewissem Grade fremd sind.“

Barmherzigkeit, Nächstenliebe oder auch Solidarität und Sympathie gehören beispielsweise zu diesen

sekundären Motiven. Schnell kommen wir zur Spendenbereitschaft und Wohltätigkeit. „Individuen,

die ein an die vorräuberische Kultur erinnerndes Temperament ihr eigen nennen, befinden sich in

einer vorteilhafteren Lage, wenn sie der müssigen, als wenn sie irgendeiner anderen Klasse

angehören.“ Frauen sind in dieser Hinsicht spendabler als Männer, denn sie engagieren sich öfter

und engagierter für soziale Wohlfahrt und Wohltätigkeit. Reformbewegungen,

Temperenzgesellschaften, Bürgerrechtsbewegungen, Feminismus sind Ausdruck dieser wohltätigen

Formen. „Bei all diesen Tätigkeiten, mit denen sich die müssige Klasse neuerdings abgibt und die auf

einem selbstlosen nicht-religiösen Interesse beruhen, fällt auf, dass die Frauen aktiver und

ausdauernder sind als die Männer.“

Auch das Phänomen des Spendens in Form vom Vermächtnissen und Erben kommt in diesem

(zweiten) Kapitel zur Sprache. Neben dem wohltätigen Motiv stehen andere Gründe dahinter. „Auch

im Innern zeigt es sich, dass die Normen der demonstrativen Verschwendung und die Vorstellung

von räuberischen Heldentaten am Werk waren.“ Allerdings sieht der Autor in solchen Akten der

Grosszügigkeit vornehmlich eine sporadische Regression auf das früheste, friedliche Stadium der

menschlichen Entwicklung. Häufig liegen egoistische Motive dem wohltätigen Verhalten zugrunde,

wie der Autor auf Seite 326 sagt. „Viele scheinbar selbstlose und dem öffentlichen Wohl geweihte

Unternehmen werden nur im Hinblick auf einen Prestigezuwachs oder sogar im Hinblick auf einen

finanziellen Gewinn des Initiators begonnen und weitergeführt.“ Häufig sind als wohltätige

Unternehmen gekennzeichnete Bemühungen schlicht und einfach Kulturpropaganda, mit der man

den tieferen Schichten den eigenen Lebensstil überzustülpen versucht. Wenn man schon spendet,

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dann sollte es anonym und nicht mit direktem Kontakt zu den armen Leuten geschehen: „Doch sollte

man niemals eine genaue Kenntnis der materiellen Umstände des vulgären Lebens oder der

Denkgewohnheiten gemeiner Leute verraten, weil eine solche Kenntnis die Bemühungen der

genannten Organisationen einem materiell nützlichen Ziele zuführen könnte.“ Trotzdem bleiben

teilweise gutmüte Motive übrig.

Zum Schluss kommt Veblen auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft und den Feminismus (bzw. die

Frauenfrage, wie es damals hiess) zurück. Ihm zufolge ist die Stellung der Frau in jeder Gesellschaft

der sicherste Indikator für ihr Kulturniveau. „Es ist deshalb kein Zufall, wenn die moderne Frau die

Diskrepanz zwischen dem überkommenen Lebensplan und den Forderungen der aktuellen

wirtschaftlichen Situation besonders lebhaft empfindet.“ Während die Missetaten der Frau auf den

Mann zurückfallen, ist das umgekeherte nicht der Fall (d. h. die Missetaten des Manens fallen nicht

auf die Frau zurück). Veblen steht der Emanzipation positiv gegenüber. „Die Frau verspürt vielleicht

ein noch grösseres Bedürfnis als der Mann, ihr eigenes Leben nach eigenem Gutdünken zu gestalten

und am Arbeitsprozess nicht nur indirekt und sekundär teilzunehmen.“

Die Bildung als Ausdruck der Geldkultur

In diesem letzten Kapitel unternimmt Veblen einen Abstecher in die akademischen Gefilde. Er

untersucht die Schule und Universität nach ihrem demonstrativen Müssiggang und Konsum. „Ihrer

Herkunft und frühen Entwicklung nach steht die Gelehrsamkeit in ziemlich engem Zusammenhang

mit den religiösen Funktionen der Gesellschaft.“ Das zeigt sich in den Ritualen und Zeremonien der

höheren Bildungsanstalten. Veblen bezeichnet diese Bestrebungen mit dem Begriff

„Geheimwissenschaft“. „Es scheint, dass die Institution der Bildung aus dieser Quelle entsprang, dass

sie sich von diesem ihrem väterlichen Ursprung magischen Rituals und schamanistischen Betrugs nur

langsam und zögernd entfernet und dass sie sich davon selbst in den fortgeschrittenen modernen

Bildungsinstituten noch immer nicht völlig gelöst hat.“ In diesem Zusammenhang wird zwischen

esoterischem und exoterischem Wissen unterschieden. Esoterische Kentnisse umfassen Wissen, das

keinen produktiven Nutzen hat und nicht von industrieller Bedeutung ist. „Zum exoterischen Wissen

rechnet man hauptsächlich die Kenntnis industrieller Prozesse und natürlicher Erscheinungen, eine

Kenntnis, die für gewöhnlich der Förderung materieller Lebensziele dient. Die Grenze zwischen den

beiden Wissensformen trennt nach allgemeiner Ansicht die höhere von der niedrigeren Bildung.“ Das

esoterische Wissen ist durch Formverliebtheit und Liebe zum Detail gekennzeichnet. Besonders

häufig finden sich die Rituale der Gelehrsamkeit – die laut Veblen auf das Priestertum und die Magie

zurückgehen – bei den Geisteswissenschaften. „Administratives Können und propagandistisches

Geschick spielen heute im Lehrerberuf eine bedeutend gewichtigere Rolle als früher.“ Auch hier lässt

sich der Übergang von der demonstrativen Musse zum demonstrativen Konsum beobachten und

auch hier herrscht eine konservative Ideologie, ähnlich wie in der Musseklasse als ganze.

Besonders negativ ist Veblen auf den universitären Sport und den Cliquengeist in Form von

Studentenverbindungen zu sprechen. „Der Sport ist im wesentlichen eine allgemeine Äusserung des

räuberischen Temperaments, während in den Verbindungen vor allem jenes spezifische Erbe an

Cliquengeist zum Ausdruck kommt, das im Leben des räuberischen Barbaren eine so grosse Rolle

spielte.“ Es kommt ferner zum Schluss, dass die höheren Bildungsanstalten nicht nur in iherer

Denkweise, sondern auch in ihrer Arbeit konservativ sind. Häufig haben sie nämlich neue

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Erkenntnisse erst sehr spät übernommen und standen Neuem mit Misstrauen gegenüber. In diesem

Zusammenhang lässt sich eher von einer „Art widerwilliger Toleranz und keinswegs von einem

herzlichen Willkommen“ reden. Für den wissenschaftlichen Fortschritt sorgen einerseits

abgekommene Sprösslinge der müssigen Klasse, andererseits die arbeitende Klasse. Im Kindergarten

und in der Volksschule sieht er Spuren dieser produktiven Arbeiterklasse verwirklicht.

Zum Schluss betrachtet der Autor den Lehrstoff der höheren Schulen. Die praktischen

Wissenschaften hätten an Boden gewonnen. „Die Wissenschaften drangen von aussen, um nicht zu

sagen von unten in die Universitäten ein.“ Im grossen und ganzen wird aber das klassische Wissen für

ehrenhafter gehalten als das neue praktische. „Die klassische Bildung und die privilegierte Stellung,

die sie im Erziehungswesen einnimmt und an die sich die höheren Lehranstalten hartnäckig

klammern, dient dazu, die intellektuelle Einstellung zu formen und die wirtschaftliche

Leistungsfähigkeit der neuen Generation zu vermindern.“ So hält Veblen die Kenntnis toter Sprachen

für absolut nutzlos und nur deshalb im Lehrplan verbleibend, weil sie Prestige einbringt. „Der

Ausdruck klassisch impliziert immer verschwenderisch und archaisch.“ Auch die Reinheit der Sprache

und die englische Orthographie hält er für solche Formen klassischen und überholten Wissens. „Der

Vorteil der überkommen Redewendungen liegt darin, dass sie Prestige besitzen.“