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1 Zwang des Materials von Katharina Kreuzhage, nach dem Buch „ISIS Defectors: Inside Stories of the Terrorist Caliphate“ von Anne Speckhard & Ahmet S. Yayla Materialien zur Inszenierung von Katharina Kreuzhage Empfohlen ab 16 Jahren Fach: Politik / Sozialwissenschaften

Zwang des Materials - Theater Paderborn · 2016. 10. 6. · „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“ von Michael Lüders Seite 13-16 Auszug aus „IS-Rekrutierung

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    Zwang des Materials von Katharina Kreuzhage, nach dem Buch „ISIS Defectors: Inside

    Stories of the Terrorist Caliphate“ von Anne Speckhard & Ahmet S.

    Yayla

    Materialien zur Inszenierung von Katharina Kreuzhage

    Empfohlen ab 16 Jahren

    Fach: Politik / Sozialwissenschaften

  • 2

    „Wenn man überhaupt einen Blick in die Black Box IS

    werfen kann, dann nur kurz. Das Bild ist unscharf und

    verwackelt. Ob mit der Handycam heimlich aufgenommen,

    oder zu Propagandazwecken, die „Ästhetik“ ist die gleiche:

    viel schwarz, viel Blut; wenig Haut, viel Fleisch. Das ist nur

    scheinbar ein Widerspruch. Lebende Körper werden

    verhüllt, durch Bärte, durch Burkas, durch Uniformen. Tote,

    aufgeplatzte Körper werden zur Schau gestellt. Mit dem

    gewaltsamen Tod kehrt die Individualität zurück.

    Da unten in Syrien passiert irgendwas, aber wir bekommen

    kein Bild davon. Wir sehen aus der Ferne Raketen in Aleppo

    einschlagen. Wir sehen Bilder, die der IS über die

    Zerstörung von Palmyra ins Netz stellt. Aber alles bleibt

    unscharf.

    Und dabei wüssten wir so gerne, was da passiert, in dieser

    Horror-Black Box. Oder im Bataclan. Oder in der Brüsseler

    U-Bahn. Wir hören die Schreie, manchmal sehen wir

    dunkle, verpixelte, verwackelte Bilder. Und dann sehen wir

    einen abgesperrten Tatort, vielleicht einen einzelnen Schuh

    im Rinnstein. Was ist da los? Was ist da wirklich los?

    Das Problem ist, wir wissen nichts. Wir ahnen nur. Und

    befürchten. Wir ertragen kaum, uns vorzustellen, wie wir

    uns fühlen würden als Geisel, bei einem Anschlag in der U-

    Bahn, bei einer Flugzeugentführung, bei unserer

    Hinrichtung. Wir müssen schnell abblenden, wenn die

    Gefühle und Bilder deutlicher, schärfer werden.“ Auszug aus Textmaterial für „Zwang des Materials“ von Katharina Kreuzhage

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    Liebe Lehrer*innen,

    Das Stück ZWANG DES MATERIALS gibt anhand verschiedener Texte und Geschichten von

    Menschen, die Mitglieder des Islamischen Staates (IS) waren oder sind, Einblicke in eines der

    grausamsten Terrornetzwerke unserer Zeit. Es sind Bruchstücke, Ausschnitte dieser für uns oft

    kaum begreifbaren Welt, die zu der Frage führen, was wir im Westen trotz zahlreicher Berichte

    und Propagandavideos eigentlich wirklich über den IS wissen können. Welche Auswirkungen

    haben die Ideologie und die schrecklichen Taten des IS auf unser Leben, wie reagieren wir auf

    Terroranschläge in Europa und warum übt dieser sogenannte Islamische Staat auf zahlreiche im

    Westen sozialisierte Menschen so eine große Faszination aus? Das Stück wirft Schlaglichter in

    dieses Chaos an Fragen, Themen und internationalen Verknüpfungen. Es öffnet mittels einer

    spannenden Mischung aus Geschichten, Kommentaren und visuellen Zitaten ein breites

    Assoziationsfeld, das Anstöße gibt für eine vielleicht ganz persönliche Auseinandersetzung mit der

    Thematik.

    In dieser Mappe haben wir Sekundärliteratur zum Stück sowie theaterpädagogische Übungen

    zusammengestellt, die es Ihnen ermöglichen sollen, den Stoff ganz praktisch für Schüler*innen

    erfahrbar zu machen. Neben der Materialmappe bieten wir auch stückbegleitende Workshops für

    Ihre Klasse als weiteres Vermittlungsformat an – kontaktieren Sie uns hierfür unter

    [email protected].

    Ihr Theaterpädagogik-Team des Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH

    Nächste Premiere im Großen Haus: DER SATANARCHÄOLÜGENIALKOHÖLLISCHE

    WUNSCHPUNSCH von Michael Ende; Premiere am 10.11.2016, empfohlen ab 6 Jahren

    Nächste Premiere im Theatertreff: DIE PRINZESSIN IN DER TÜTE von Robert Munsch,

    Dramatisierung von Ingmar Otto; Premiere am 27.10.2016, empfohlen ab 4 Jahren

    Nächste Empfehlung für Sie: AMPHITRYON von Heinrich von Kleist; Premiere am 27.02.2016 im

    Großen Haus, empfohlen ab 15 Jahren. Zu der Inszenierung bieten wir ebenfalls eine

    Materialmappe sowie stückbegleitende Workshops an (Kontakt unter theaterpaedagogik@theater-

    paderborn.de).

    mailto:[email protected]:[email protected]

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    Besetzung

    Claudia Sutter

    Lars Fabian

    Stephan Weigelin

    Denis Wiencke

    Regie Katharina Kreuzhage

    Bühne Ariane Scherpf

    Kostüme Matthias Strahm

    Dramaturgie Anne Vogtmann

    Regieassistenz Marie-Sophie Dudzic

    Hermann Holstein

    Technischer Leiter Klaus Herrmann

    Bühnenmeister Paul Discher

    Michael Bröckling

    Beleuchtungsmeister Hermenegild Fietz

    Ton & Video Martin Zwiehoff

    Requisite Annette Seidel-Rohlf

    Kristiane Szonn

    Leitung Kostümabteilung Edith Menke

    Maske Ramona Foerder

    Jill Brand

    Premiere: Freitag, 16.09.2016 / 19:30 Uhr im Großen Haus

    Dauer: ca. 60 Minuten

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    Inhalt

    Auszug aus

    „Geschichten aus dem Grand Hotel“:

    Comic-Reportagen von Augsburger Design-Studierenden Seite 6-12

    Auszug aus

    „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“

    von Michael Lüders Seite 13-16

    Auszug aus

    „IS-Rekrutierung im Internet. Bloggerin aus Syrien wirbt im Netz für den Dschihad“

    Seite 18-19

    ZWANG DES MATERIALS – theateraktiv

    Zusammenstellung verschiedener Übungen Seite 21-24

    Sekundärmedienpool: Literatur / Filme

    Impressum Seite 25

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    Auszug aus: „Geschichten aus dem Grand Hotel“

    An der Fakultät für Gestaltung der Hochschule Augsburg existiert seit 2006 das Projekt

    Comicwerkstatt. Im Rahmen unterschiedlicher Semesteraufgaben von Studierenden im

    Studiengang Kommunikationsdesign wird an der Hochschule mit verschiedenen visuellen

    Erzählformen, wie Kurzcomics, Graphic Novels, Cartoons, Karikaturen und illustrierten

    Büchern gearbeitet. 2015 lautete das Thema, mit dem sich die Projektgruppe beschäftigte,

    „Flucht und Asyl“. Aus Geschichten von Geflüchteten, die in der Augsburger

    Flüchtlingsunterkunft „Grandhotel Cosmopolis“ leben, entstanden zahlreiche Comic-

    Reportagen, die unter dem Titel „Geschichten aus dem Grand Hotel“ veröffentlicht

    wurden.

    .

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  • 10

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    Mike Loos (Hg.): „Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-

    Studierenden.“ Augsburg 2016.

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    Auszug aus „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“

    von Michael Lüders

    Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders legt in seinem Buch „Wer den Wind

    sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet“ die Hintergründe der Konflikte im Nahen

    Osten offen und scheut sich dabei nicht, auch den westlichen Imperialismus als treibende

    Kraft hinter der Gewalt zu entlarven.

    Im Herzen der Finsternis: Was den «Islamischen Staat» so erfolgreich macht

    „(…) Entstanden ist der «Islamische Staat» im Irak. Zum regionalen Machtfaktor wuchs er

    in Syrien heran, wo er von außen ungestört agieren und sich zur größten Rebellengruppe

    entwickeln konnte. Schließlich trat der IS von Syrien aus seine Großoffensive im Irak an.

    Anfang Juni 2014 rissen dessen Kämpfer die Grenzanlagen nieder und erklärten «das

    Ende der Sykes- Picot-Grenzen», des von den Kolonialmächten Großbritannien und

    Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Lineal gezogenen Grenzverlaufs zwischen

    Syrien und dem Irak. Innerhalb von wenigen Wochen nahmen sie fast den gesamten

    westlichen Irak ein, eroberten die zweitgrößte irakische Stadt Mossul und stießen beinahe

    bis an die Stadtgrenzen Bagdads vor. (…)

    Nieder mit den Römern

    Dennoch wäre der IS wahrscheinlich eine innerirakische Erscheinung geblieben, hätte

    nicht der Krieg in Syrien neue Fronten eröffnet. Immer mehr Schiiten aus dem Irak und die

    schiitische Hisbollah kämpften auf Seiten Assads. Damit heizten sie die Ressentiments

    vieler Sunniten an, denen zufolge es im Irak wie auch in Syrien um die Verteidigung des

    sunnitischen Islam wider seine schiitischen Verderber gehe. 2012/13 begann der IS, auch

    im Nachbarland aktiv zu werden. Entsprechend wurde der Name der IS-

    Vorläuferorganisation von «Islamischer Staat im Irak» in «Islamischer Staat im Irak und in

    Scham» geändert, wobei Scham in der Regel mit Großsyrien oder Levante übersetzt wird.

    Scham, umgangssprachlich die Bezeichnung für Syrien oder auch Damaskus, hat für

    gläubige Muslime jedoch eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung. Historisch

    umfasst Scham das heutige Syrien, Libanon, Israel/Palästina und Jordanien, Jerusalem ist

    mit der Al-Aqsa-Moschee, die an die Himmelfahrt des Propheten von dieser Stelle erinnert,

    die drittheiligste Stadt des Islam nach Mekka und Medina. Damaskus war die Hauptstadt

    des Omajjaden-Kalifats (661-750), des ersten sunnitischen Großreiches. Dort liegen die

    Gräber von Saladin, der 1187 die Kreuzritter aus Jerusalem vertrieb, und von Ahmad Ibn

    Taimiyya (1263-1328), jenem ultrakonservativen Rechtsgelehrten, der heute noch von

    Salafisten hochverehrt wird und dem Begründer des Wahhabismus als Quelle der

    Inspiration diente. In Scham befinden sich aber auch zahlreiche Gräber, die den Schiiten

    heilig sind, darunter der Schrein der Prophetenenkelin Zeinab unweit von Damaskus.

    Last not least glauben Sunniten wie auch Schiiten, zumindest die überaus

    gottesfürchtigen, dass es in Scham zum Armageddon kommt, zum heilsgeschichtlichen

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    Endkampf. Angeblich ist vom Propheten Mohammed der Ausspruch (Hadith) überliefert:

    «Die letzte Stunde der Geschichte wird erst kommen, wenn die Römer entweder bei Al-

    A'maq oder bei Dabiq aufmarschieren. [Beide Orte liegen nordöstlich von Aleppo, direkt

    an der türkischen Grenze. Mit ‹Römer› ist Byzanz gemeint, ML] Dann wird eine Armee aus

    Medina, eine Armee des besten Volkes auf Erden, aufbrechen und sich ihnen stellen.»

    Laut Überlieferung wird diese muslimische Armee einer gewaltigen Übermacht

    entgegentreten, die aus 42 Heeren besteht. Dennoch werden die Muslime den Feind

    vernichtend schlagen. Die Schiiten, die nur zehn Prozent der Muslime stellen, glauben,

    dass nach diesem Endkampf der Mahdi, der Erlöser, erscheinen werde, um die Gläubigen

    ins Paradies zu geleiten. Radikale Sunniten deuten diesen Hadith als Versprechen eines

    endgültigen Siegs über die Ungläubigen, einschließlich der Schiiten. Die unterschiedliche

    Auslegung ist ein Grund dafür, warum den Schiiten der Dschihad gegen Nichtmuslime

    weitgehend fremd geblieben ist. Einen schiitischen Osama bin Laden kann es eigentlich

    nicht geben. Die im Internet in mehreren Sprachen, darunter auch auf Deutsch, verbreitete

    und bemerkenswert professionell gestaltete Propaganda-Hochglanzpostille des

    «Islamischen Staates» heißt Dabiq und spielt damit auf den oben genannten Hadith an:

    Dessen Kämpfer sehen sich als die verheißene «Armee aus Medina».

    Man sollte die Wirkungsmacht solcher Heilsversprechen unter emotional aufgeladenen

    Gläubigen, besonders im Umfeld von Krieg und Gewalt, nicht unterschätzen. Die

    Namensentwicklung, vom «Islamischen Staat im Irak» über den «Islamischen Staat im Irak

    und in Großsyrien», Scham, und schließlich zum «Islamischen Staat» markiert den

    rasanten, innerhalb von wenigen Jahren vollzogenen Wandel von einer innerirakischen hin

    zu einer die gesamte sunnitisch-islamische Welt ansprechenden Dschihad-Gruppierung.

    Hierzulande wird sie meist als Terrorgruppe apostrophiert und damit gewaltig unterschätzt.

    Sie ist weitaus mehr als das: ein islamistisches Staatsprojekt, das Grenzen einreißt und

    längst Al-Qaida als «Leuchtturm» radikalisierter Sunniten abgelöst hat.

    Ihr Anführer ist, seit 2010, der 1971 geborene Ibrahim al-Badri aus Samarra, ein

    theologisch nie in Erscheinung getretener Islamgelehrter, der in Samarra und Bagdad

    Islamseminare besucht haben soll, angeblich das Diplom einer islamischen Hochschule

    aus Samarra besitzt und 2004 einige Monate in US-Gewahrsam verbrachte. Viel ist über

    den Mann, der sich den Kampfnamen Abu Bakr «al-Baghdadi» zugelegt hat, «der aus

    Bagdad», nicht bekannt. Selbstverständlich ist auch dieser Name symbolträchtig. Abu

    Bakr war einer der ersten Anhänger des Propheten Mohammed und dessen

    Schwiegervater. Nach Mohammeds Tod 632 herrschte er bis an sein Lebensende 634 als

    dessen «Nachfolger», arabisch «Kalif», über die Gläubigen. Bagdad wiederum war Sitz

    des Kalifats der Abbasiden (750-1258), das auf die Omajjaden in Damaskus folgte und

    ein Weltreich begründete, das von Spanien bis an die Grenzen Indiens reichte.

    Wenn man die Symbolik radikalisierter Sunniten entschlüsselt, dann heißt dies: Der

    «Islamische Staat» tritt in der Tradition der Abbasiden die Nachfolge der Omajjaden an,

    womit Saudi-Arabien gemeint ist. Der IS ist nunmehr der Hüter des wahren Glaubens, so

    wie einst Abu Bakr das Erbe Mohammeds bewahrte. Und der IS wendet sich an die

    gesamte islamische Welt, wird ihr «geistiges» und «spirituelles» Zentrum - so wie einst

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    Bagdad. Die Kalifatsidee war auch deswegen ein kluger Schachzug, weil sie

    radikalisierten Sunniten sehr viel mehr Identifikationsfläche bietet als Al-Qaida. Die steht

    für 9/11 und Osama bin Laden, weist aber nicht in die Zukunft. Al-Qaida war gestern, der

    IS markiert das Heute und Morgen.

    Vormarsch in Syrien

    Nachdem der «Islamische Staat» in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hatte, eroberte

    er sukzessiv die östlichen Landesteile, die zuvor von anderen islamistischen

    Gruppierungen kontrolliert worden waren. Am 9. April 2013 verkündete Abu Bakr al-

    Baghdadi den Zusammenschluss des IS mit der Nusra-Front, des syrischen Zweiges von

    Al-Qaida, was allerdings schon am nächsten Tag vom Nusra-Chef, Abu Mohammed al-

    Dschulani, widerrufen wurde. Aiman al-Sawahiri, der Nachfolger Osama bin Ladens,

    forderte den IS-Führer am 23. Mai 2013 auf, sich mit seinen Leuten in den Irak

    zurückzuziehen. Daraufhin kam es zum Bruch zwischen beiden Organisationen, begleitet

    von blutigen Gefechten. Allein in der ersten Jahreshälfte 2014 soll es dabei mindestens

    6000 Tote gegeben haben. Der IS erwies sich als besser ausgerüstet und organisiert und

    schlug die Nusra-Front wie auch andere Widersacher an fast allen Fronten. Viele radikale

    Islamisten liefen daraufhin mit ihren Waffen zu den Siegern über, darunter auch «gute»

    Dschihadisten. Besonders ausländische und jüngere Glaubenskämpfer fühlten sich von

    der Kompromisslosigkeit des IS angesprochen. Mit größter Brutalität, darunter

    Autobomben, Selbstmordattentaten und der Ermordung von Anführern, ging er gegen

    solche islamistischen Gruppen vor, die Abu Bakr al-Baghdadi zuvor des «Glaubensabfalls»

    bezichtigt hatte.

    Der Syrienfeldzug des «Islamischen Staates» war auch wirtschaftlich ein Erfolg. Nach der

    Eroberung der syrischen Ölquellen um Deir as-Sor verkaufte er das erbeutete Erdöl an

    das Assad-Regime, Abnehmer in der Türkei und, seit dem Sommer 2014, auch in den

    Irak. Je weiter die Expansion in Syrien voranschritt, umso mehr wuchs der unverhohlene

    Anspruch Abu Bakr al-Baghdadis, zum einzigen und obersten Befehlshaber aller

    Dschihadisten in Syrien und im Irak zu werden - und darüber hinaus. Vor diesem

    Hintergrund reifte im Frühjahr 2014 die Kalifatsidee. Sie umzusetzen, dafür bedurfte es

    eines grenzüberschreitenden Territoriums. Niemand wird Kalif, Herrscher der Gläubigen,

    in nur einem Staat. Anfang Juni 2014 begann der Überraschungsangriff im Irak, im selben

    Monat folgte, wie erwähnt, die Ausrufung des Kalifats in Mossul.

    Abu Bakr al-Baghdadi, auch Kalif Ibrahim genannt, ist in jeder Hinsicht skrupellos, allein

    auf Machtkonsolidierung fokussiert - und doch ein ebenso geschickter Stratege wie auch

    Menschenfänger. Er weiß genau, wie er Emotionen schürt und mit Hilfe religiöser Symbolik

    Anhänger mobilisiert. Das Kalifat wurde am 29. Juni 2014 ausgerufen, dem ersten Tag

    des Fastenmonats Ramadan: Ein perfektes Timing. Am ersten Freitag des Fastenmonats,

    am 4. Juli 2014, hielt er seine erste dokumentierte Freitagspredigt, in der Nuri-Moschee

    von Mossul. Der Islamwissenschaftler Stephan Rosiny hat sie treffend analysiert: «Wegen

    seiner im ‹Dschihad› erlangten Kriegswunde erklomm ‹Kalif Ibrahim› nur humpelnden

    Schrittes die Kanzel. Dort reinigte er sich zunächst mit einem Zahnputzhölzchen den Mund,

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    eine fromme Geste bei Salafisten, bevor er Koranverse, also ‹Worte Gottes›, in den Mund

    nahm, mit denen er seine in klassischem Hocharabisch gehaltene Predigt bestärkte. Er

    war mit schwarzem Turban und Umhang gekleidet, wie sie auch Mohammed bei der

    Rückeroberung Mekkas im Jahr 630 getragen haben soll.»

    Deswegen auch die schwarze Fahne des «Islamischen Staates» und die häufig schwarze

    Kleidung seiner Kämpfer, die ebenfalls auf diese Rückeroberung anspielen. Mehr noch,

    schwarze Uniformen und Flaggen gehörten zur höfischen Etikette der Abbasiden im

    achten Jahrhundert und erinnern somit an das goldene Zeitalter des Islam. Rosiny weiter:

    «Selbst seine wertvolle Armbanduhr, die in Internetforen großen Spott hervorgerufen hatte,

    könnte als islamrechtlich legitime ‹Kriegsbeute› auf die materiellen Vorzüge des Dschihad

    verweisen. Insgesamt präsentierte er sich aber demütig als ein ‹Gleicher unter Gleichen›,

    der die schwere Bürde des Kalifats auf sich genommen habe. ‹Gehorcht mir, so wie ich

    Gott und seinem Gesandten gehorche. Wenn ich Gott und seinem Gesandten nicht

    gehorche, so müsst auch ihr mir nicht gehorchen.› Mit dieser rhetorischen Floskel, die er

    der Amtseinführung Abu Bakrs als Kalif im Jahr 632 entnahm, grenzte er sich von den

    herrschsüchtigen Despoten der Region ab. Zugleich folgt er dem salafistischen Habitus,

    der jegliche Verehrung eines Menschen als Heiligen verbietet.» (…)

    Verbrannte Erde

    Wie kann der Bedrohung durch den «Islamischen Staat» begegnet werden? Diese Frage

    ist nicht einfach zu beantworten, Patentlösungen gibt es nicht. Der IS ist die Quittung für

    den ebenso völkerrechtswidrigen wie sinnlosen, US-geführten Einmarsch im Irak 2003

    und die nachfolgende Zerstörung irakischer Zentralstaatlichkeit sowie den Krieg in Syrien,

    der gleichermaßen Bürger- und Stellvertreterkrieg ausländischer Interessen ist. Der

    gescheiterte Versuch, Baschar-al-Assad zu stürzen, vor allem mit Hilfe «guter»

    Dschihadisten, hat erst die Grundlage für den Siegeszug des IS in Syrien geschaffen.

    Umfassende Militäreinsätze können den «Islamischen Staat» möglicherweise schwächen,

    aber nicht besiegen. Sein Erfolg erklärt sich durch das politische Vakuum im Irak und in

    Syrien, das er selbst jedoch nicht erschaffen hat. Zudem weist alles darauf hin, dass

    Washington und die Europäer ihre fragwürdige Politik fortsetzen werden. Das bedeutet:

    Sie halten, zumindest offiziell, an ihrem Ziel eines Regimewechsels in Damaskus fest und

    hoffen, dass die Regierung in Bagdad den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten

    irgendwie entschärfen möge, obwohl die von ihr betriebene Politik gegenüber den

    Sunniten selbst Teil des Problems ist. Darüber hinaus gelten «Luftschläge» als Gebot der

    Stunde, Luftangriffe auf gut Deutsch.

    Westliche Politik hat in Syrien und im Irak verbrannte Erde hinterlassen. Der Schaden ist

    so gewaltig, dass er wahrscheinlich irreparabel ist und sich Lösungen heute noch nicht

    einmal ansatzweise abzeichnen. Möglicherweise muss erst die ganze Region in Flammen

    aufgehen, bis die Verantwortlichen in Washington und anderswo begreifen, dass es keine

    Tabus mehr geben darf. (…)

    Quelle: Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“ München 2015.

  • 17

    „Die allermeisten Menschen sind nicht an Recht und

    Sittlichkeit interessiert, sondern an der Abwehr

    tödlicher Gefahren. In ihren Augen taugt ein Gesetzeskodex nichts, wenn er nicht ihr Leben

    schützt. Sicherheit geht ihnen vor Recht. Vor die Wahl

    gestellt zwischen Überleben und Unfreiheit, verzichtet die Mehrzahl lieber auf ihre verbrieften Freiheiten.

    Daher neigen Demokratien im Ernstfall zu

    Überreaktionen. Die Bevölkerung ist erbost, dass die Angreifer die Freiheit für ihr Terrorwerk

    missbrauchen. Ohne weiteres ist sie bereit,

    Verdächtigen die Freiheit zu entziehen, ob sie schuldig sind oder nicht. Sie fordert strengere

    Gesetze, die auch umgehend erlassen werden. Neue

    Behörden werden gegründet, die Sicherheitsorgane aufgerüstet. Der Elite erscheinen die politischen

    Kosten einer Unterlassung weit höher als die Kosten

    einer Überreaktion. Wer auch nur eine Maßnahme unterlässt, trägt im Ernstfall zwangsläufig eine

    Mitschuld. In Fragen der nationalen Sicherheit

    bedeutet die kleinste Unterlassung den sicheren politischen Tod. So fördert die Demokratie den

    inneren Imperialismus des Maßnahmenstaates.“

    Auszug aus Wolfgang Sofsky: „Das Prinzip Sicherheit.“ Frankfurt am Main 2005.

  • 18

    Auszug aus „IS-Rekrutierung im Internet. Bloggerin aus Syrien wirbt im Netz für den Dschihad“

    Die Terrormilitz „Islamischer Staat“ wirbt im Internet systematisch junge Frauen an.

    Mittlerweile ist ein regelrechtes Schneeballsystem entstanden. Aus Angeworbenen

    werden Anwerberinnen: Dschihadistinnen aktivieren von Syrien aus alte Freundschaften

    oder suchen gezielt auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken nach Profilen junger

    Mädchen. Manche der Anwerberinnen haben sogar eigene Blogs, wie das folgende

    Beispiel zeigt:

    „Sie nennt sich „Bird of Jannah“, Paradiesvogel. Ihr Symbol im Netz sind zwei weiße

    Tauben, die die schwarze Flagge des Islamischen Staats (IS) in ihren Schnäbeln halten.

    In ihrem alten Leben in Malaysia war die 26-Jährige Ärztin. Jetzt ist sie mit einem IS-

    Kämpfer verheiratet, den sie nie zuvor gesehen hatte, und lebt in der Nähe der syrischen

    IS-Hochburg Rakka.

    In ihrem Blog „Diary of a Traveler“, Tagebuch einer Reisenden, der ein Mix aus

    Lebenshilfe, sehr persönlichen Berichten und vor allem Rekrutierungsinstrument ist,

    ermuntert sie junge Frauen aus dem Westen, wie sie die Hidschra zu machen, das ist der

    arabische Begriff für Auswandern. Das Bild, das die junge Frau von ihrem neuen Leben

    unter der Herrschaft der Islamisten zeichnet, ist ein verführerisches. Sie verschweigt nicht,

    dass es Probleme gibt. Aber diese seien nichts im Vergleich zu dem, was sie in der

    Gemeinschaft gewonnen habe.

    Begeistert beschreibt sie diese schöne neue Welt, in der alle nach den Gesetzen Allahs

    leben. Gräueltaten? Westliche Propaganda. Frauen werden zur Heirat mit Dschihadisten

    gezwungen? Alles gelogen. Wer nicht heiraten wolle, könne in einem Hotel für Frauen

    wohnen. Ein Leser will von ihr wissen, wie die Rolle der Frauen im Kalifat ist: «Das hängt

    von deinem Talent oder deinem Beruf ab», antwortet Bird of Jannah oder Sham, wie sie

    sich auch nennt. (…)

    Das Kalifat wie es die junge Frau beschreibt, ist ein Staat, in dem Muslime keine Miete,

    Steuern oder Strom- und Wasserrechnungen zahlen müssen. In dem die Dschihadisten

    einmal im Monat kostenlos Lebensmittel aus dem Supermarkt bekommen, Arztbesuche

    umsonst sind und es außer Kontaktlinsen fast alles gibt. Ein Staat, der sich nicht nur

    unglaublich großzügig gegenüber seinen Einwohnern zeigt, sondern auch noch ein Muster

    an Toleranz ist, wie man an den vielen gemischten Paaren sehen könne. Eine

    Gemeinschaft ohne Rassismus, schwärmt Sham. Eine kleine heile multikulturelle Welt.

    Kein Wort darüber, dass der IS Frauen, denen Ehebruch vorgeworfen wird, steinigen

    lässt. Stattdessen heißt es verständnisvoll an einer Stelle, dass niemand perfekt sei, auch

    nicht die Mudschaheddin. Kein Wort über die Gesinnungswächter, die mit

    Sturmgewehren in den Straßen der eroberten Städte patrouillieren und Angst und

    Schrecken verbreiten. (…)

  • 19

    Diese Bloggerin, die für alles eine Erklärung hat und so warmherzig und einfühlsam sein

    kann, dürfte der Alptraum vieler Eltern sein. Allein aus Deutschland sind bereits 40

    Mädchen nach Syrien gegangen, etliche britische, französische oder österreichische

    Teenager haben ebenfalls mit ihrem westlichen Leben gebrochen und sich dem IS

    angeschlossen.

    Manche der Mädchen kannten ihre Schicksalsgefährtinnen nur über Facebook oder

    andere soziale Netzwerke, bevor sie sich gemeinsam auf den Weg nach Syrien gemacht

    haben. „Diese Beziehungen in den Netzwerken können so stark sein, dass die Mädchen

    das Gefühl haben, ihre Freunde in der virtuellen Welt sind ihnen näher als die in der echten

    Welt“, erläutert Géraldine Casutt, eine Schweizer Wissenschaftlerin, die über westliche

    Frauen im Dschihad forscht und an einer Dissertation zum Thema arbeitet.

    Für den IS ist eine Bloggerin wie „Paradiesvogel“ deshalb wertvoller als ein Dutzend

    Kämpfer. Die Miliz mit den Großmachtzielen braucht viele neue Anhänger, um weiter

    wachsen zu können. «Je mehr Familien von Dschihadisten in den eroberten Gebieten

    gegründet werden, desto dauerhafter ist die Macht des IS» erklärt Casutt. Deshalb werben

    sie über die sozialen Netzwerke so massiv um die westlichen Mädchen. (…)

    Doch was bringt einen jungen Teenager aus Glasgow, Wien oder Dinslaken dazu, nach

    Syrien zu gehen? Die Erklärung, dass die Mädchen in ihrem Schlafzimmer vor dem

    Computer einer Dschihad-Romantik und Träumereien über den tugendhaften

    Märchenprinzen erliegen, greift nach Ansicht von Experten zu kurz. Géraldine Casutt sagt:

    «Die dschihadistische Ideologie bietet auch einen Rahmen, um eine komplizierte Welt zu

    erklären. Sie erlaubt, viele zersplitterte Identitäten unter einer – Muslimin sein – zu

    vereinigen.»

    So kann die Entscheidung zu gehen, auch die Antwort auf die Suche nach einem

    alternativen Gesellschaftsmodell sein. Manche Frauen wollen schlicht das Gefühl haben,

    nützlich zu sein und anderen helfen, andere treibt die Abenteuerlust und die Rebellion

    gegen die Eltern. Es ist ein Mix aus vielen Motiven. Die Propaganda über die große

    Wertschätzung der Frauen im IS als treue Gefährtin ihres kämpfenden Mannes und Mutter

    künftiger Dschihadisten tut dann ein Übriges.

    Dass sie dafür mit ihrem alten Leben, ihrer Familie brechen müssen, hält die jungen Frauen

    offenbar nicht vor diesem radikalen Schritt ab. «Aus ihrer Sicht ist der Kontrast zu ihrem

    bisherigen Leben gerade attraktiv. Sie haben das Gefühl, dass der Rest der Gesellschaft

    verdorben ist und verachten ihre Freundinnen, die nur ihre Nägel, Haare oder Partys im

    Kopf haben.

    Sie fühlen sich auserwählt und anders», erklärt Jennifer Eggert. (…) Den verzweifelten

    Eltern bleibt nicht viel mehr, als zu hoffen, dass es ihren Töchtern bei der Terrormiliz

    tatsächlich gut geht. Denn als Frau haben sie ohne männliche Begleitung keine Chance,

    durch das Kriegsgebiet zurückzukehren in ihre alte Heimat. (…)“

    Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-

    fuer-den-dschihad-1233346

    http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346

  • 20

    „Früher versuchten Terroristen zu entkommen. Der

    moderne Selbstmordattentäter bricht mit diesem

    Prinzip der Selbsterhaltung. Sein Auftritt ist der kürzeste in der Geschichte der Gewalt. Während die

    Tapferkeit des Soldaten so weit reicht, wie seine

    Hoffnung aufs Überleben, geht der Selbstmordattentäter von vornherein bis zum Letzten.

    Er ist stark, weil er keine Grenzen kennt.“

    Auszug aus Wolfgang Sofsky: „Elemente des Terrors.“ In: „Wendepunkt 11. September 2001. Terror, Islam und Demokratie.“ von Hilmar Hoffmann (Hg.) u. Wilfried F. Schoeller (Hg.), Köln 2002.

  • 21

    ZWANG DES MATERIALS – theateraktiv, für Schulklassen / Gruppen ab 16 Jahren

    In unserem theateraktiv-Bereich der Materialmappe haben wir Aufgaben und Übungen entworfen,

    um den Theatertext mit den Mitteln der Theaterpädagogik erlebbar zu machen. Diese Übungen

    richten sich an Gruppen oder ganze Klassen. Die Anmerkungen unter den Überschriften erläutern

    wichtige Rund-Um-Faktoren und Charakteristika, die für die jeweilige Übung wichtig sind.

    Als Einstieg für theaterpädagogische Spiele und Übungen empfehlen wir Ihnen, mit Ihren

    Schüler*innen ein „Warm-Up“ zu machen. Das Internet hält eine Vielzahl kleiner, auflockernder

    Wahrnehmungsübungen zu Körper und Stimme bereit. Wenn Sie dennoch Fragen dazu haben,

    sprechen Sie uns einfach an.

    Zugänge zum Stücktext

    für eine ganze Klasse

    Dauer: ca. 30 Minuten

    Die Klasse liest gemeinsam den Text „Ein Märchen“ und recherchiert anschließend in Gruppen die

    Deutungsmöglichkeiten des Märchens in Bezug auf historische Ereignisse im Nahen Osten. Die

    Gruppen werden folgendermaßen thematisch unterteilt:

    Die „Länder“-Gruppe beschäftigt sich hauptsächlich mit der Frage, wo und wann die

    Geschichte spielen könnte und in welcher Situation sich das Land oder die Region befand

    bzw. befindet.

    Die „Schäfer“-Gruppe macht sich Gedanken über eine mögliche Zuordnung der fiktiven

    Schäfer zum realen Pendant.

    Die „Touristen“-Gruppe analysiert den Einfluss des Touristen auf den Verlauf der

    Geschichte und bemüht sich um eine oder mehrere Deutungsmöglichkeiten.

    Die „Bauern“-Gruppe sucht nach dem historischen Kontext und der Position der Bauern

    in der Geschichte.

    Die „Priester“-Gruppe beschäftigt sich mit der Frage, für wen der Priester symbolisch steht

    und wie der Werdegang von diesem „unwichtigen Mann“ zum Priester zu erklären ist.

    Nach der Recherche werden die Ergebnisse diskutiert und zu einem Gesamtbild zusammengefügt.

    Das Märchen wird abschließend noch einmal gelesen.

  • 22

    Ein Märchen

    Es war einmal ein armes Land. Der Boden war trocken, die Ernte mäßig, die Herden kümmerlich

    und das Leben hart. Eines Tages entdeckte ein Schäfer, dass das Wasser seines Brunnens durch

    eine schwarze, zähflüssige Masse verunreinigt war. Der Brunnen stank bestialisch. Kein Schaf

    wollte trinken. Frustriert zündete der Schäfer eine Zigarette an, warf das noch brennende

    Streichholz in den verunreinigten Schacht – und erschrak, als der Brunnen in Flammen aufging.

    Ein Tourist beobachtete den Vorgang, kaufte dem armen Schäfer für ein paar Münzen die

    Nutzungsrechte an dieser seltsamen Quelle ab, füllte die schwarze Masse in Behälter und nahm

    sie mit nach Hause, wo der neue Brennstoff reißenden Absatz fand. Der Tourist wurde schnell ein

    reicher Mann.

    Der Schäfer jedoch blieb arm. Die Nutzungsrechte hatte er verkauft, alle Gewinne flossen an ihm

    vorbei direkt ins Ausland. Nicht lange, und der Schäfer wurde zornig. Er sammelte andere Schäfer

    um sich, um den Touristen vom Brunnen zu vertreiben. Der Tourist wehrte sich nach Kräften: Er

    steckte einem verarmten Bauern Geld zu, damit der sich und die Seinen gut bewaffnet. Im Auftrag

    des Touristen schlug dann der Bauer die Schäfer in die Flucht und stieg zum offiziellen Herrscher

    der Region auf. Der Tourist versorgte den Bauern und seine kleine Armee regelmäßig mit neuen

    Waffen, förderte weiter große Mengen des neuen Brennstoffs, wurde reich und reicher – und

    dabei auch etwas schwerfällig. So entging ihm, dass die Schäfer sich inzwischen um einen ihrer

    Priester gescharrt hatten und auf Rache sannen. Der Priester war lange Zeit ein ganz unwichtiger

    Mann gewesen. Die Schäfer kümmerten sich um ihre Schafe, Religion interessierte sie nicht. Jetzt

    aber wurde die Religion zum Sammelbecken der Unzufriedenen. Gestärkt durch ihren neuen

    Glauben und in der Gewissheit, dass sie ins Paradies kommen, wenn sie im Kampf gegen die

    Ungläubigen fallen, zog ein Heer von Schäfern gegen die Bauern und den Touristen ins Feld – und

    gewann.

    Doch der Friede kehrte trotzdem nicht ein in der Region. Kaum dass der Tourist das Land verlassen

    hatte, erschlugen die Schäfer nachts alle Bauern, derer sie habhaft werden konnten - und wenig

    später auch die Schäfer, die im Glauben nicht so fest schienen, wie es jetzt Pflicht war. Und der

    Tourist, geprellt um seine satten Gewinne, schickte Spione ins Land, bewaffnete die Fischer der

    nahen Küstenregion und unternahm alles, um erneut an Einfluss zu gewinnen. So wogte der

    Konflikt hin und her, riss Nachbarländer in den Ruin, spülte neue Machthaber nach oben und wurde

    immer unübersichtlicher.

    Die Menschen, zermürbt durch jahrelange, nicht enden wollende Schlachten, verließen das Land

    in Scharen, zu Fuß, mit Booten, in Lastwagen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fliehen

    sie noch heute.

    Quelle: Auszug aus: Katharina Kreuzhage: „Zwang des Materials“.

  • 23

    Übung zur Inszenierung

    für eine Klasse

    Dauer: ca. 45 Minuten

    Material: eine aktuelle Tageszeitung

    ZWANG DES MATERIALS beschäftigt sich mit aktuellen politischen Ereignissen und besitzt

    gegenwärtige Relevanz. Des Weiteren wird in dem Stück keine fortlaufende Handlung erzählt.

    Stattdessen wurde mit Szenen und Texten gearbeitet, die unterschiedliche Aspekte des komplexen

    Themas beleuchten. Die folgende Übung dient der Nachempfindung einer solchen Arbeit.

    Nachdem die Schüler*innen gleichmäßig auf 6 Gruppen verteilt worden sind, bekommt jede

    Gruppe eine willkürlich ausgewählte Seite aus der Rubrik ‚Politik‘ der aktuellen Tageszeitung

    zugeteilt. Von dieser Seite sollen sich die Schüler*innen fünf Sätze aussuchen, die als Grundlage

    für eine kleine Szene dienen. Aus der Weiterverarbeitung der Sätze und der spontanen

    Improvisation soll nun eine kurze Szene von maximal vier Minuten entstehen. Dafür haben die

    jeweiligen Gruppen eine Viertelstunde Zeit.

    Wenn alle Gruppen ihre Szenen erarbeitet haben, spielen sie diese in der Reihenfolge von 1 bis 6

    nacheinander vor und erhalten so eine maximal 24 Minuten lange Szenencollage.

    Danach kann über die Themen der Szenencollage diskutiert werden.

  • 24

    Diskussion zum Thema des Stücks

    Warm-Up vor der Diskussion

    Die Klasse wird in zwei gleich große Gruppen geteilt und steht sich mit gewissem Abstand

    gegenüber. Dann beschimpfen sich die Gruppen, indem sie sich verbal Obst- und Gemüsesorten

    an den Kopf schmeißen. Das geht so lange, bis einer Gruppe nichts mehr einfällt, die dann verloren

    hat. Wichtig bei dem Spiel ist der Spaßfaktor. Die Übung kann mehrfach wiederholt werden. Es

    geht darum, durch einen spielerischen Umgang mit Aggression und Wettkampf Hemmungen und

    Ängste zu lösen, die oft auftreten, wenn es um Gewinnen oder Verlieren geht. Bei der folgenden

    Übung ist es deswegen auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht darum geht, wer Recht

    hat oder gewinnt, sondern um den Spaß, sich auszuprobieren und auf diese Weise neue

    Perspektiven zu entdecken.

    Diskussionsspiel

    für eine Schulklasse

    Dauer: ca. 30 min

    benötigt wird ein großer Raum

    Zuerst wird die Klasse in drei Gruppen aufgeteilt, die je eine Aufgabe bekommen.

    Die erste Gruppe ist Marketing Gruppe des IS und befasst sich mit den Argumenten, mit denen

    der IS um neue Mitglieder werben könnte.

    Die zweite Gruppe ist eine Marketingagentur und entwickelt eine Marketingstrategie, die sich

    eindeutig gegen einen Beitritt zum IS ausspricht und diesen mit Gegenargumenten verhindern will.

    Die dritte Gruppe ist neutral und überlegt sich Fragen, die nicht zwingend mit dem Thema zu tun

    haben müssen, allerdings nur mit ‚Ja‘ beantwortet werden können. Sie sollen die Diskussion

    auflockern und als ‚icebreaker‘ fungieren.

    Anschließend bekommt jede Gruppe ca. 10 Minuten Zeit, um ihre Aufgaben zu bearbeiten. Danach

    setzen sich die ersten beiden Gruppen in zwei langen Reihen mit einigem Abstand gegenüber, die

    dritte Gruppe nimmt an den Seiten Platz. Sie fordert die beiden Gruppen nun auf, laut ihr

    Hauptargument vorzutragen, worauf die andere Gruppe mit ihren Argumenten reagieren kann. Ziel

    der beiden konkurrierenden Gruppen ist es, die andere von ihrem Standpunkt zu überzeugen. Die

    dritte Gruppe stellt zwischenzeitlich ihre Fragen, die immer mit ‚Ja, aber…‘ beantwortet werden

    müssen. Die Gruppe, die am schnellsten antwortet, darf das nächste Argument einbringen.

    (Beispiel: Frage: Seid ihr 100 Jahre alt? Antwort: Ja, aber nicht mehr lange.)

  • 25

    Sekundärmedienpool: Literatur / Filme

    Literatur:

    Mike Loos (Hg.): Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-

    Studierenden. Augsburg, 2016.

    Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“ München, 2015.

    Jürgen Todenhöfer: „Inside IS – 10 Tage im ‚Islamischen Staat‘.“ München, 2015.

    Filme:

    https://www.youtube.com/watch?v=EzoHf_LhzuM Irak-Konflikt und IS in 3 Minuten

    erklärt: Wie ist der IS bzw. damals noch ISIS im Irak entstanden? 2014

    https://www.youtube.com/watch?v=e_n4twVNov0 Syrien-Konflikt einfach erklärt: Wie

    kam es zum syrischen Bürgerkrieg? Was sind die ausländischen Interessen? 2012

    http://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-

    rueckblick In diesem Artikel gibt es ein Video, das den Konflikt zwischen Sunniten und

    Schiiten kurz erklärt. Die beiden wichtigsten Glaubensrichtungen im Islam gehen zurück

    auf einen Streit um die Führung der Religion.

    Impressum

    Herausgeber Theater Paderborn – Westfälische Kammerspiele GmbH Intendanz und Geschäftsführung Katharina Kreuzhage Vorsitzender des Aufsichtsrates Michael Dreier

    Redaktion Dramaturgie & Theaterpädagogik Gestaltung Theaterpädagogik Fotos Theater Paderborn / Christoph Meinschäfer

    Förderer der Theater Paderborn Westfälische Kammerspiele GmbH Stadt Paderborn / Kreis Paderborn / Ministerium für Familie, Kinder, Jugend und Sport des Landes NRW / Theaterfreunde e.V.

    Quellen Mike Loos (Hg.): „Geschichten aus dem Grand Hotel. Comic-Reportagen von Augsburger Design-Studierenden“. Augsburg 2016.

    Wolfgang Sofsky: „Elemente des Terrors.“ In: „Wendepunkt 11. September 2001. Terror, Islam und Demokratie.“ von Hilmar Hoffmann (Hg.) u. Wilfried F. Schoeller (Hg.), Köln 2002. Wolfgang Sofsky: „Traktat über die Gewalt“, Frankfurt am Main 1996. http://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346

    https://www.youtube.com/watch?v=EzoHf_LhzuMhttps://www.youtube.com/watch?v=e_n4twVNov0http://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-rueckblickhttp://www.zeit.de/2016/02/sunniten-schiiten-krieg-nachfolge-propheten-mohammed-rueckblickhttp://www.berliner-zeitung.de/politik/is-rekrutierung-im-internet-bloggerin-aus-syrien-wirbt-im-netz-fuer-den-dschihad-1233346