2
32. Jahrgang Medizin.Geschichte 14 Ärzte Woche Nr. 14, Donnerstag, 05. April 2018 Als im Sommer und Herbst 1918 die Spanische Grippe durch unsere Brei- ten fegte, befand sich das Gesund- heitswesen der österreichisch-ungari- schen Monarchie in einem Ausnah- mezustand, der sich nicht zuletzt in einem drastischen Ärztemangel nie- derschlug. Zahlreiche pensionierte Mediziner waren reaktiviert worden, um die Versorgung im zivilen Bereich einigermaßen aufrechtzuerhalten. Durch die militärischen Erfordernisse war auch die Struktur der Ärzteschaft stark beeinträchtigt. Fachärzte und Spezialisten, kaum erfahren in der Allgemeinpraxis, mussten die medizi- nische Basisversorgung übernehmen. Zahnärzte studierten den Urin, Psychiater rissen Zähne, und Inter- nisten beobachteten den Geistes- zustand, wie es überspitzt im Prager Tagblatt hieß. Kriegsdoktoren, oft frisch vom Hörsaal an die Front ab- kommandiert, wurden im Herbst 1918 als Infektionsärzte gegen die Spanische Grippe eingesetzt. Auch den Ärzten im Hinterland wurde geradezu Übermenschliches abverlangt: Wer als alter, gebeugter, frierender, hungernder Praktiker noch aushielt, für den waren täglich 150 Ordinationen und bis zu 60 Visi- ten keine Seltenheit. Selbstverständ- lich zu Fuß, denn Autos waren längst Mangelware. Rizinusöl und Quecksilber Die jungen Kollegen, die ab Novem- ber von der Front zurückströmten, brachten zunächst nicht die ersehn- te Entspannung: Sie hatten zwar reichlich Erfahrungen mit Amputati- onen, Schussverletzungen und dem Dienstreglement, kaum aber Kennt- nisse in der zivilen Praxis. Mit Rizi- nusöl oder dem Quecksilberpräparat Kalomel, berüchtigte Allheillaxativa der Militärmediziner, war in der zivi- len Grippetherapie jedenfalls kein Lorbeer zu gewinnen. Die allgemeine Mangelsituation betraf auch die Versorgung mit Arz- neimitteln. Nachdrücklich ersuchte der österreichische Gesundheitsmi- nister Ivan Horbaczewski im Septem- ber und Oktober 1918 die deutsche Reichsregierung um Aspirin-Liefe- rungen. Was kam, war nur ein Trop- fen auf den heißen Stein. Zudem durften die Apotheker wegen der be- fürchteten Hamsterei sowie des allge- genwärtigen Schleichhandels nur ge- ringe Mengen im Handverkauf abge- ben. So mussten viele, besonders Kassenpatienten, die Influenza prak- tisch ohne Heilmittel überstehen. Kein Wunder, dass Betroffene oft Zuflucht bei nichtmedikamentösen Heilmethoden suchten. Neben diäte- tischen Maßnahmen (Knoblauch, Rote-Rüben-Salat, sogar Zwetsch- genkuchen) wurden trockene Wärme, Heißluftbäder, kalte Umschläge und Priesnitzbinden empfohlen, dazu Teespezialitäten von Kamille bis Sal- bei, die den „wohltätigen Schweiß“ hervorrufen sollten. Homöopathen streuten ihre Heilsversprechen aus, geriebene Händler offerierten Cog- nac, Rum und Sliwowitz gegen die Spanische Grippe. Doch das Sterben im großen Maßstab, das im Herbst 1918 einsetzte, ließ sich weder durch Hausmittelchen aufhalten noch mit dem Behandlungsregime der vertrau- ten Saisongrippe. Die Menschen- verluste stiegen Tag für Tag, gingen bald in die Tausende. Es war die Zeit, als die Leichenwagen die Gassen durchfuhren und Straßenbahnen Särge transportierten. Kampfer und Eukalyptus In den Verlautbarungen der Gesund- heitsbehörden, die um Schulschlie- ßungen und Hygienemaßnahmen kreisten, blieb das Thema Behand- lung ausgespart. Was hätte man den Kollegen auch sagen sollen, wo man doch keine spezifische Prophylaxe wusste! So hilflos jedoch, wie in manchen vorschnellen Urteilen über die Medizin anno 1918 behauptet, war die vor schwerste Aufgaben ge- stellte Ärzteschaft gewiss nicht. Im- merhin gebot sie über eine breite Palette hilfreicher Medikamente wie etwa Hustenmittel vom Ipecacuan- ha-Pulver über das damals stark be- worbene Pertussin bis zum Kodein oder Expektorantien vom Eukalyp- tusöl über Kampferbenzoe bis zum Pyrenol, einem Cocktail aus Benzoe- säure, Salizylsäure und Thymol. Natürlich steckten die seit der Jahrhundertwende verbreiteten neu- eren Antipyretika und Analgetika in der Arzttasche, die sowohl gegen die qualvollen Kopfschmerzen als auch gegen das hohe Fieber nützlich wa- ren. Zum Einsatz kamen Antipyrin, Salipyrin, Pyramidon, Antifebrin, Phenacetin, Kalmopyrin, Citrophen und dergleichen mehr – zumindest, wenn die Apotheker liefern konnten. Zum gefragtesten Medikament der Pandemiezeit avancierte das seit 1899 gehandelte Aspirin, erhältlich in Tablettenform und als lösliches Pulver, empfohlen in einer Dosie- rung von 1 g zweimal täglich. Wie- derholt teilte man mit, dass Acetylsa- licylsäure auch ein Spezifikum gegen den Grippeerreger sei. Die Homöo- pathen dagegen geißelten das Mittel als Verderblichste aller Substanzen. Selbst in einer jüngeren US-Studie wurde vor wenigen Jahren die kühne Vermutung geäußert, die damals üb- liche Überdosierung von Acetylsali- cylaten hätte dem millionenfachen Sterben Vorschub geleistet. War man auch nicht gerade zim- perlich mit den Dosierungen, so war Aspirin bei den oft ins Unerträgliche gesteigerten pleuritischen Schmer- zen und exzessiven Neuralgien doch kaum zufriedenstellend – was Wun- der, wenn die Ärzte bereitwillig zum Morphium griffen. Auch Heroin, be- worben als glänzendes Mittel gegen den starken Hustenreiz bei Bronchi- tiden und Laryngitiden, wurde er- staunlich blauäugig als Analgetikum verschrieben. Im klinischen Alltag bewährte sich das ab 1909 erhältli- che, subkutan injizierbare Pantopon. Dieses weitverbreitete Präparat nach den Vorschlägen des Berner Inter- nisten Hermann Sahli bot sinniger- weise eine Mischung von Opium- alkaloiden im gleichen Verhältnis wie im natürlichen Opium . Der wohl wichtigste Aufgaben- bereich symptomatischer Grippe- behandlung betraf die Stärkung des Herzens und die Aufrechterhaltung der Kreislauffunktion, besonders bei den vielen lebensbedrohlichen Pneumonien. Zum Einsatz kamen hauptsächlich Digitalis, Strophan- thin, Koffein, Strychnin und regel- mäßig Kampfer, das eukalyptusartig riechende Pulver aus Holz und Blät- tern des Kampferbaumes. Subkutan verabreicht, galt Kampfer als wir- kungsvolles Kollapsmittel, für den Zwetschgen gegen die Grippe Pandemie. Mindestens 25 Millionen Menschen starben von 1918 bis 1920 weltweit an der Spanischen Grippe. Der damals all- gegenwärtige Ärzte- und Arzneimittelmangel trieb mitunter seltsame Blüten. Von Harald Salfellner » „I had a little bird, Its name was Enza. I opened the window and In-flu-enza. Kinderreim in den USA zur Zeit der Spanischen Grippe Lesen Sie bitte weiter auf Seite 15 Die Spanische Grippe ent- wickelte sich ab 1918 in drei Wellen zur schlimmsten Grippe-Pandemie aller Zeiten. Hier ein Notfall- krankenhaus im Camp Funston der Militärbasis Fort Riley in Kansas. © National Museum of Health and Medicine / picture alliance Soldaten beim Gurgeln mit Salzwasser: eine Vorsichtsmaßnahme gegen die Spanische Grippe im US-amerikanischen Camp Dix. © akg-images / picture alliance Besser als Whiskey: Diese Grippe-Arz- nei hat nur 10 % Alkohol. © Vitalis Verlag Persönlich erstellt für: Raoul Mazhar

Zwetschgen gegen die Grippe - vitalis-verlag.com · war auch die Struktur der Ärzteschaft stark beeinträchtigt. Fachärzte und Spezialisten, kaum erfahren in der Allgemeinpraxis,

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

32. Jahrgang

Medizin.Geschichte14 Ärzte Woche Nr. 14, Donnerstag, 05. April 2018

Als im Sommer und Herbst 1918 dieSpanische Grippe durch unsere Brei-ten fegte, befand sich das Gesund-heitswesen der österreichisch-ungari-schen Monarchie in einem Ausnah-mezustand, der sich nicht zuletzt ineinem drastischen Ärztemangel nie-derschlug. Zahlreiche pensionierteMediziner waren reaktiviert worden,um die Versorgung im zivilen Bereicheinigermaßen aufrechtzuerhalten.Durch die militärischen Erfordernissewar auch die Struktur der Ärzteschaftstark beeinträchtigt. Fachärzte undSpezialisten, kaum erfahren in derAllgemeinpraxis, mussten die medizi-nische Basisversorgung übernehmen.

Zahnärzte studierten den Urin,Psychiater rissen Zähne, und Inter-nisten beobachteten den Geistes-zustand, wie es überspitzt im PragerTagblatt hieß. Kriegsdoktoren, oftfrisch vom Hörsaal an die Front ab-kommandiert, wurden im Herbst1918 als Infektionsärzte gegen dieSpanische Grippe eingesetzt.

Auch den Ärzten im Hinterlandwurde geradezu Übermenschlichesabverlangt: Wer als alter, gebeugter,frierender, hungernder Praktikernoch aushielt, für den waren täglich150 Ordinationen und bis zu 60 Visi-ten keine Seltenheit. Selbstverständ-lich zu Fuß, denn Autos waren längstMangelware.

Rizinusöl und QuecksilberDie jungen Kollegen, die ab Novem-ber von der Front zurückströmten,brachten zunächst nicht die ersehn-te Entspannung: Sie hatten zwarreichlich Erfahrungen mit Amputati-onen, Schussverletzungen und demDienstreglement, kaum aber Kennt-nisse in der zivilen Praxis. Mit Rizi-nusöl oder dem QuecksilberpräparatKalomel, berüchtigte Allheillaxativader Militärmediziner, war in der zivi-len Grippetherapie jedenfalls keinLorbeer zu gewinnen.

Die allgemeine Mangelsituationbetraf auch die Versorgung mit Arz-neimitteln. Nachdrücklich ersuchteder österreichische Gesundheitsmi-

nister Ivan Horbaczewski im Septem-ber und Oktober 1918 die deutscheReichsregierung um Aspirin-Liefe-rungen. Was kam, war nur ein Trop-fen auf den heißen Stein. Zudemdurften die Apotheker wegen der be-fürchteten Hamsterei sowie des allge-genwärtigen Schleichhandels nur ge-ringe Mengen im Handverkauf abge-ben. So mussten viele, besondersKassenpatienten, die Influenza prak-tisch ohne Heilmittel überstehen.

Kein Wunder, dass Betroffene oftZuflucht bei nichtmedikamentösenHeilmethoden suchten. Neben diäte-tischen Maßnahmen (Knoblauch,Rote-Rüben-Salat, sogar Zwetsch-genkuchen) wurden trockene Wärme,Heißluftbäder, kalte Umschläge undPriesnitzbinden empfohlen, dazuTeespezialitäten von Kamille bis Sal-bei, die den „wohltätigen Schweiß“hervorrufen sollten. Homöopathenstreuten ihre Heilsversprechen aus,geriebene Händler offerierten Cog-nac, Rum und Sliwowitz gegen dieSpanische Grippe. Doch das Sterbenim großen Maßstab, das im Herbst1918 einsetzte, ließ sich weder durch

Hausmittelchen aufhalten noch mitdem Behandlungsregime der vertrau-ten Saisongrippe. Die Menschen-verluste stiegen Tag für Tag, gingenbald in die Tausende. Es war die Zeit,als die Leichenwagen die Gassendurchfuhren und StraßenbahnenSärge transportierten.

Kampfer und EukalyptusIn den Verlautbarungen der Gesund-heitsbehörden, die um Schulschlie-ßungen und Hygienemaßnahmenkreisten, blieb das Thema Behand-lung ausgespart. Was hätte man denKollegen auch sagen sollen, wo mandoch keine spezifische Prophylaxewusste! So hilflos jedoch, wie inmanchen vorschnellen Urteilen überdie Medizin anno 1918 behauptet,war die vor schwerste Aufgaben ge-stellte Ärzteschaft gewiss nicht. Im-merhin gebot sie über eine breitePalette hilfreicher Medikamente wieetwa Hustenmittel vom Ipecacuan-ha-Pulver über das damals stark be-worbene Pertussin bis zum Kodeinoder Expektorantien vom Eukalyp-tusöl über Kampferbenzoe bis zumPyrenol, einem Cocktail aus Benzoe-säure, Salizylsäure und Thymol.

Natürlich steckten die seit derJahrhundertwende verbreiteten neu-eren Antipyretika und Analgetika inder Arzttasche, die sowohl gegen diequalvollen Kopfschmerzen als auchgegen das hohe Fieber nützlich wa-ren. Zum Einsatz kamen Antipyrin,Salipyrin, Pyramidon, Antifebrin,Phenacetin, Kalmopyrin, Citrophenund dergleichen mehr – zumindest,wenn die Apotheker liefern konnten.

Zum gefragtesten Medikamentder Pandemiezeit avancierte das seit1899 gehandelte Aspirin, erhältlichin Tablettenform und als löslichesPulver, empfohlen in einer Dosie-rung von 1 g zweimal täglich. Wie-

derholt teilte man mit, dass Acetylsa-licylsäure auch ein Spezifikum gegenden Grippeerreger sei. Die Homöo-pathen dagegen geißelten das Mittelals Verderblichste aller Substanzen.Selbst in einer jüngeren US-Studiewurde vor wenigen Jahren die kühneVermutung geäußert, die damals üb-liche Überdosierung von Acetylsali-cylaten hätte dem millionenfachenSterben Vorschub geleistet.

War man auch nicht gerade zim-perlich mit den Dosierungen, so warAspirin bei den oft ins Unerträglichegesteigerten pleuritischen Schmer-zen und exzessiven Neuralgien dochkaum zufriedenstellend – was Wun-der, wenn die Ärzte bereitwillig zumMorphium griffen. Auch Heroin, be-worben als glänzendes Mittel gegenden starken Hustenreiz bei Bronchi-tiden und Laryngitiden, wurde er-staunlich blauäugig als Analgetikumverschrieben. Im klinischen Alltagbewährte sich das ab 1909 erhältli-che, subkutan injizierbare Pantopon.Dieses weitverbreitete Präparat nachden Vorschlägen des Berner Inter-nisten Hermann Sahli bot sinniger-weise eine Mischung von Opium-alkaloiden im gleichen Verhältniswie im natürlichen Opium .

Der wohl wichtigste Aufgaben-bereich symptomatischer Grippe-behandlung betraf die Stärkung desHerzens und die Aufrechterhaltungder Kreislauffunktion, besonders beiden vielen lebensbedrohlichenPneumonien. Zum Einsatz kamenhauptsächlich Digitalis, Strophan-thin, Koffein, Strychnin und regel-mäßig Kampfer, das eukalyptusartigriechende Pulver aus Holz und Blät-tern des Kampferbaumes. Subkutanverabreicht, galt Kampfer als wir-kungsvolles Kollapsmittel, für den

Zwetschgen gegen die GrippePandemie. Mindestens25 Millionen Menschenstarben von 1918 bis 1920weltweit an der SpanischenGrippe. Der damals all-gegenwärtige Ärzte- undArzneimittelmangel triebmitunter seltsame Blüten.

Von Harald Salfellner

● ●

●●

»„I had a littlebird,Its name wasEnza.I opened thewindow andIn-flu-enza.Kinderreim in den USAzur Zeit der Spanischen Grippe

Lesen Sie bitte weiter auf Seite 15

Die Spanische Grippe ent-wickelte sich ab 1918 in dreiWellen zur schlimmstenGrippe-Pandemie allerZeiten. Hier ein Notfall-krankenhaus im CampFunston der MilitärbasisFort Riley in Kansas.© National Museum of Health andMedicine / picture alliance

Soldaten beim Gurgeln mit Salzwasser: eine Vorsichtsmaßnahme gegen dieSpanische Grippe im US-amerikanischen Camp Dix. © akg-images / picture alliance

Besser als Whiskey: Diese Grippe-Arz-nei hat nur 10 % Alkohol. © Vitalis Verlag

Persönlich erstellt für: R

aoul Mazhar

Hausgebrauch empfahl sich Kamp-ferwein. Mit intramuskulären Kamp-ferdepots, in den Oberschenkel ge-spritzt, behandelte man Lungenent-zündungen durch Pneumokokken.

Gynäkologe empfahl AdrenalinEin neuartiges, aber zugleich um-strittenes Therapiekonzept verfolgteder Prager Professor für Gynäkologieund Geburtshilfe Georg August Wag-ner. Er hatte in der Landesgebärkli-nik zahlreiche Schwangere undWöchnerinnen durch unbeherrsch-bare Grippepneumonien sterben se-hen. In lebensbedrohlichen Fällenentschied er sich zu intramuskulärenAdrenalingaben, und schon im Feb-ruar 1919 warb eine chemische Fa-brik bei Chrudim in Ostböhmen mitentsprechenden Ampullen, herge-stellt nach Wagners Angaben. DerInternist Rudolf Jaksch von Warten-horst, prominenter Ordinarius ander Prager Deutschen Universität,quittierte diese riskanten Experi-mente mit geharnischtem Tadel.

Kurz nach der Jahrhundertwen-de hatte sich die inhalative Sauer-stofftherapie in der Behandlung derkardio-respiratorischen Insuffizienzbei Pneumonien etabliert. Durchwichtige technische Neuerungen wiedas Linde-Verfahren zur Gastren-nung sowie die Einführung von Re-duktionsventilen war die kontinuier-liche und wohldosierte Zufuhr vonOxygenium möglich geworden.

Nicht nur in Spitälern und Ge-bärkliniken, auch in Lazaretten undFeldspitälern wurde 1918 zyanoti-schen und dyspnoischen Grippe-und Pneumoniepatienten reinerSauerstoff insuffliert, wobei die Wär-ter die O 2-Flaschen unter den Rö-chelnden reihumgehen ließen. Vor-übergehend normalisierten sichPuls- und Atemfrequenz, doch so-bald die schon gewohnte Sauerstoff-flasche leer war, schlug die Euphoriein qualvolle Entzugserscheinungenum. Mochte durch die „Lebensluft“auch ein Gefühl der Erleichterungeingetreten sein, das Schicksal derSterbenden blieb letztlich unbeein-flusst. Der Mangel an verfügbaremGerät setzte dieser adjuvantenTherapie jedenfalls enge Grenzen.

„Sensationelle Durchbrüche“Mit Nachdruck suchte man nach spe-zifisch wirksamen Chemotherapeuti-ka gegen den noch fraglichen Erregerder Grippe sowie die Verursacher dergefürchteten Sekundärpneumonien.Wiederholt berichteten medizinischeFachblätter von „sensationellenDurchbrüchen“, wobei sich die Ergeb-nisse meist auf viel zu kleine Fallzah-len stützten. So kamen imVerlauf der PandemieArzneistoffe wie Subli-mat, Jod oder Vioform zutherapeutischen Ehren.

Die Grippekranken wa-ren Versuchskaninchenund Patienten in einem.Sowohl als Chemothera-peutika wie zur Prophylaxewurden die Chinaalkaloidenach Julius Morgenrothempfohlen. Durch mög-lichst früh appliziertes Eu-kupin (ferner Optochin undVuzin) hoffte man, pneu-monische Komplikatio-nen abzuwehren. In fort-geschrittenen Stadien ei-ner Lungenentzündungoder bei septischen Ver-läufen war damit aller-dings kein Erfolg zu ver-zeichnen. Spezifische

Wirksamkeit sagte man auch dem seit1910 erhältlichen Syphilismedika-ment Salvarsan (Arsphenamin) bzw.dessen besser verträglichem Nachfol-ger Neosalvarsan nach. So kostbarwar die von Fälschern aus Schlemm-kreide und Scheuerpulver nachge-machte Spezialität, dass man sie biszum Kriegseintritt der USA mit einemeigenen Handels-U-Boot nach Ame-rika exportierte. Zahlreiche Empfeh-lungen für Neosalvarsan bei Influen-za erschienen jetzt in den Fachmedi-en. Skeptiker indes hielten von Neo-salvarsan in der Grippetherapie garnichts. Einmal mehr strichen sich dieKliniker ratlos den Bart.

Große Hoffnung setzte man indie Serotherapie, die passive Immu-nisierung mittels antikörperhaltigerSera, wie sie sich so segensreich ge-gen Diphtherie und Tetanus bewährthatten. Ulrich Friedemann etwa,Nachfolger Robert Kochs am Preußi-schen Institut für Infektionskrank-heiten im Berliner Rudolf-Virchow-Krankenhaus, berichtete von überra-schenden Wendungen im Krank-heitsbild, die er während der Pande-mie mittels Serotherapie erzielt hät-te. Leider erfüllten sich die mitAuto-, Antistreptokokken-, Rekonva-leszenten-, Pferde- und Diphthe-riepferdesera verbundenen Erwar-tungen in den meisten Fällen nicht.

Anderen pharmakologischenÜberlegungen folgte die parenteraleProteinkörperbehandlung, bei derbeliebiges artfremdes Eiweiß (z. B.Pferdeserum oder abgekochte Kuh-milch) eingespritzt wurde, um dieLösung bzw. Abstoßung bronchio-litischer Pseudomembranen oderdie Verflüssigung eitrigen Sputumszu bewirken.

Kolloidale SilberpräparateWährend der Pandemie waren kol-loidale Silberpräparate nachdem Dresdner ChirurgenBenno Credé weit ver-breitet, deren bakteri-zide Wirksamkeitbesonders beiStreptokokken-und Staphylo-kokkenpneu-monien her-vorgehobenwurde – Arz-neimittel wieCollargol, Sep-targol oder Ar-gochrom. Dietägliche intrave-nöse Gabe vonElektrargol bei Grip-pepneumonie empfahletwa Julius Citron von derII. Medizinischen Klinik derKöniglichen Charité in Berlin.

Zu den Exoten der Grippe-behandlung gehörte das

Kreosot, ein meist aus Bu-chenholzteer erzeugtes, an-

tiseptisches Destillat. Dasdunkelgelbe, rauchig schme-ckende Phenolgemisch warder älteren Generation nochwohlbekannt als Husten-und Tuberkulosemittel.Während der SpanischenGrippe wurde Kreosot inKombination mit Codeinund Diacethylmorphin un-ter dem HandelsnamenSirup Famel vermarktet.

Urotropin (Hexamethyl-entetramin) kennt manheute in medizinischen

Zusammenhängen nurmehr als Wirkstoff gegenübermäßigen Fuß- oderAchselschweiß. Um 1918hatte das Kondensati-

onsprodukt aus Formaldehyd undAmmoniak jedoch einen weiten Indi-kationsbereich, besonders als bakteri-zides Diuretikum in der Urologie.Den Soldaten an den Weltkriegsfron-ten war die Substanz nicht unbe-

kannt, die sie als brennbares Pulverfür die tragbaren Kochapparate imTornister hatten. Das peroral und in-travenös applizierbare Urotropinwurde enthusiastisch als Grippemittelgefeiert. Leider traten auch in diesemFall Spielverderber auf den Plan, dieder Substanz jeden therapeutischen

Wert bei Influenza absprachen.Durch die rasante Dynamik

der pandemischen Grip-pe, die innerhalb weni-

ger Wochen Zehn-tausende meist

junger Menschenaus dem Lebenriss, war anernsthafte expe-rimentelleSchritte odereingehendeArzneimittel-

prüfungen garnicht zu denken,

zumal vor demHintergrund einer

sich auflösendenstaatlichen Ordnung.

Wegen der weitgehendenWirkungslosigkeit der mut-

maßlichen Spezifika hatte sich dieBehandlung im Wesentlichen aufsymptomatische Maßnahmen zu be-schränken, womit gleichwohl in vie-len Fällen geholfen werden konnte. Indiesem Zusammenhang ist auch derBeitrag der Chirurgen zu würdigen,die mit Parazentesen bei Grippe-Mit-telohrentzündungen intervenierten,mit lebensrettenden Tracheotomienbei stenosierenden Influenza-Laryn-gitiden oder mit Rippenresektionenin wohl tausenden Fällen von hartnä-ckigen Pleuraempyemen.

Der Suche nach einem spezifi-schen Wirkstoff war dagegen keinErfolg beschieden. Erst nach Jahr-zehnten virologischer Grundlagen-forschung mündete sie in den 1960erJahren in die antivirale Therapie.Wegen der mittlerweile eingetrete-nen Resistenzen in diesem Bereichhat sich jedoch Ernüchterung einge-stellt. Das seinerzeit so sehnlich er-hoffte Wundermittel gegen die Grip-

pe steht jedenfalls 100 Jahre nachder Pandemie immer noch aus.Auch gegen die häufig tödlichen Be-gleitpneumonien gab es 1918 keinursächlich wirksames Mittel. IhrenSchrecken verloren die bakteriellenLungenentzündungen erst nachdem Zweiten Weltkrieg mit der Ein-führung des Penicillins und weitererAntibiotika in die ärztliche Praxis.

Mangels zufriedenstellenderTherapie suchte man 1918 Zufluchtbei Vorsorgemaßnahmen. Aufgrundder irrigen Annahme einer bakteriel-len Ätiologie blieben die Immunisa-tionsversuche ohne Erfolg. Ein pan-demischer Impfstoff nach heutigemVerständnis hätte einen Großteil derim Herbst 1918 und danach erkrank-ten Personen schützen können. Wel-chen Nutzen die mancherorts vorge-nommenen Immunisierungen gegendie bakteriellen Begleiterregerbrachten, ist nicht klar ersichtlich.

Inneres ErtrinkenZwar verfügte die Ärzteschaft 1918bis 1920 über eine Reihe symptoma-tisch wirksamer Arzneien, nicht aberüber das erhoffte Spezifikum gegendie Spanische Grippe und ihre Kom-plikationen. So war ein fatales Endeallzu oft unvermeidlich: Bei klaremBewusstsein verfolgten die unterqualvoller Atemnot leidenden Mori-bunden die Rettungsversuche derÄrzte, ehe sie schließlich mit Entset-zen das bevorstehende Ende er-kannten.

Zu hunderten und tausendenwurden die Grippeopfer in die Sekti-onssäle gebracht, wo sich bei denObduktionen regelmäßig ausgepräg-te hämorrhagische Lungenödemefanden. Immer wieder sprachen dieProsektoren von einer Art innerenErtrinkens. Die Beiträge der Patholo-gen, denen in der Erforschung derrätselhaften Krankheit eine Schlüs-selrolle zufiel, dominierten langeZeit das wissenschaftliche Schrift-tum zur Pandemie. Womit man derSpanischen Grippe hätte Einhalt ge-bieten können, wussten jedoch auchsie nicht zu sagen.

● ●

●●

500Millionen Menschen weltweitsollen sich von 1918 bis 1920 mitdem Erreger der SpanischenGrippe infiziert haben: Daswären ein Drittel der damaligenWeltbevölkerung.

Fortsetzung von Seite 14

„Better be ridiculous than dead“: Straßenkehrer in New York folgten 1918 einemAufruf der Behörden, bei der Arbeit Mundschutz zu tragen. © akg-images / picture alliance

Gegen Fieber: Phena-cetin war die erste Arz-nei der FarbenfabrikenBayer. © Bayer, Leverkusen

32. Jahrgang

Medizin.GeschichteÄrzte Woche Nr. 14, Donnerstag, 05. April 2018 15

RM. Das Buch gehört zu jenen, dieman gerne in Händen hält, weildie Hochglanzseiten den Finger-kuppen schmeicheln. Aber nichtnur haptisch imponiert das insbe-sondere für Laien verfasste Sach-buch, auch visuell überzeugt dasWerk des Grazers Mediziners Ha-rald Safellner. Die farbigen Abbil-dungen sind kein Sammelsuriumder üblichen Bilder, die man in je-dem zweiten Buch über die Spani-sche Grippe findet. Gleiches giltfür den Text, der mannigfaltig dieAuswirkungen der Pandemie aufalle Bevölkerungsteile, vor allemin Mitteleuropa, beschreibt.

Harald SafellnerDie Spanische Grippe – Eine Geschich-te der Pandemie von 1918Vitalis Verlag 2018, 168 S., Hardcover24,90 Euro, ISBN 978-3-89919-510-1

Buchtipp

Spanisch sterben

Lisa magLisAm®

10mg/5 mg20mg/5 mg20mg/10 mg

3 Stärken

2 Substanzen kombiniertLisinopril + Amlodipin

1 - fach verordnen

2018_03_LisAm

_I_ÄW_01,©lenets_tan/Fotolia,

Symbolpackung

Fachkurzinformation siehe Seite 28

Persönlich erstellt für: R

aoul Mazhar