Zwischenspiel Am Himmelstor

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Absurdes Gegenwartsdramain einem Akt von Steffen Michael GreschAuf einer Wolke im Himmel sitzen Angelo und Raffaela in Badekleidung. Im Hintergrund sieht man die Himmelspforte. Über der ist eine große Schrifttafel angebracht. Auf der steht geschrieben:

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  • Zwischenspiel am Himmelstor.

    Absurdes Gegenwartsdrama in einem Akt von

    Steffen Michael Gresch

    Personen.Raffaela - Mitte dreiig. Schauspielerin auf einer ProvinzbhneAngelo Um die Vierzig. Chefredakteur einer kleinen Lokalzeitung

    Ort.Wo man sein knnte, wenn man nicht mehr ist.

    Auf einer Wolke im Himmel sitzen Angelo und Raffaela in Badekleidung. Im Hintergrund sieht man die Himmelspforte. ber der ist eine groe Schrifttafel angebracht. Auf der steht geschrieben:

    ERST FERTIG DANN ABGEHOLT !

    Angelo: Warum sind wir nur soweit raus geschwommen?Raffaela: Ist doch ganz nett hier. Htt ich gar nicht gedacht, dass es so etwaswirklich gibt.Angelo: Das es was gibt?Raffaela: Dass wir hier sind, und nicht wirklich tot.Angelo: Es wundert mich nicht. Es kann nicht einfach Schluss sein. Ich habe daran nie geglaubt.Raffaela: Und nun heit es warten. Angelo: Bis uns wer abholt.Raffaela: Wann das wohl sein wird?Angelo: Wenn wir hier fertig sind. Da steht es geschrieben.Raffaela: Womit?Angelo: Ich glaube, es liegt an uns.Raffaela: (Sieht sich um.) Es kann nur an dir und mir liegen. Sonst ist um uns herum ja nichts weiter als Luft, Wasserdampf, du und ich - und dieses lcherliche Tor da hinten.Angelo: Das Problem ist nicht wann, auch nicht womit, sondern wie wir miteinander fertig werden. Wenn diese Frage beantwortet sein wird, holt uns auchjemand ab. Dann, aber nur dann.Raffaela: Glaubst du, Angelo?Angelo: Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, Darling. Versprochen.Raffaela: Na hoffentlich. Dein Wort in Gottes Gehrgang. - Im wahrsten Sinne desWortes!Angelo: Bist du nicht mde, Schatz?Raffaela: Im Himmel mde werden? Gibts das denn berhaupt?Angelo: Also ich jedenfalls bin nicht mde.Raffaela: Ich auch nicht.Angelo: Aber wir knnen ja so tun, als ob wir mde sind und ein wenig schlafen.Raffaela: Jetzt faselst du wieder denselben Quatsch, den du in deiner Zeitung schreibst, um auch den dmmsten Leser bei der Stange zu halten. Wir schlafen doch schon. Wir schlafen, kapiert? Und zwar fr immer. Fr immer! Verstehst du das!Angelo: Fr die anderen schlafen wir. Wir schlafen nicht, Raffaela.Raffaela: (Sieht sich um.) Welche anderen?Angelo: Fr die da unter uns, auf der Erde. Raffaela: (Schaut angestrengt nach unten.) Idiot! Da ist nur Luft.Angelo: Wenigstens Luft. Wenigstens Luft haben wir jetzt genug.Raffaela: Besser als nur Wasser um einen herum. Besser als keine Luft.

  • Angelo: Was mussten wir auch dieses gottverdammte Strandbad aufsuchen, da wo derStrom in die Kurve geht. Es war deine Idee! Wren wir doch an diesem Nachmittag nur weiter gefahren, wie ich es vorgeschlagen hatte!Raffaela: Aber am Ende warst du einverstanden, Angelo. Das war die nchstbeste Gelegenheit, sich abzukhlen. Diese furchtbare Hitze! Wir wollten nur noch runter von der Autobahn und ins Wasser. Angelo: Und dann passierte es.Raffaela: Ganz genau. Zu weit raus geschwommen sind wir. ber die Flussmitte hinaus und in die Fahrrinne gekommenAngelo: dann von dem Sog der Schiffschraube eines gerade vorbeifahrenden Luxusliners nach unten gezogen wordenRaffaela: Schon wars ums uns geschehen. - (Rezitiert aus dem Kopf) Halb zog sie ihn halb sank er hin - Und ward nicht mehr gesehen von wem war das noch mal?Angelo: Eichendorff?Raffaela: Du bist vielleicht bekloppt! Das kann doch niemals von Eichendorff sein. Das Gedicht ist von Schiller!Angelo: Dann sag doch gleich Nietzsche! Oder Marx! Oder Adenauer!Raffaela: Oder Ollenhauer! Und du willst mal Literaturwissenschaft studiert haben! Das ich nicht lache.Angelo: Werd bitte nicht unfair! Es waren nur drei Semester. Aber das gengt mir, um zu wissen, dass es nicht von Schiller ist! Mein Gott, Schiller! Der hatdoch einen ganz anderen Stil! Kennst du den: Schiller sagt zu GoetheRaffaela: (Wrgt ihn ab) Aber von Eichendorff ist es auch nicht.Angelo: Das ist doch so was von egal. Als ob es darauf jetzt noch ankme! Auerdem habe ich das Wirtschaftsressort geleitet, und nicht das Feuilleton.Raffaela: Das hast du nun davon. Angelo: Verdammt, ich bin nun mal kein Schngeist! Httest du doch besser deinenIntendanten zum Ehemann genommen. Dann wre der jetzt hier an meiner Stelle, undnicht ich! Verehrt hat er dich ja, wie eine Mata Hari! Der geile Bock! Seine Position ausnutzen, um sich an die Kolleginnen ran zu machen. Solche Leute gehren an den Pranger!Raffaela: Du erzhlst Quatsch, Angelo.Angelo: Wieso, er war doch als Junggeselle immer auf der Pirsch.Raffaela: Aber doch nicht nach mir!Angelo: Nach wem dann?Raffaela: Keine Ahnung nach wem. Jedenfalls nicht nach seinen Kolleginnen. Er war nmlich schwul.Angelo: Was?Raffaela: Haben dir das deine Leute von der Kulturredaktion etwa nicht gesagt? Die sind doch sonst immer an jedem privaten Klatsch beteiligt.Angelo: (Kniet vor ihr nieder.) Und ich war immer so eiferschtig! Entschuldige,Raffaela! Im so sorry! (Klammert sich an ihr fest.) Das habe ich doch nicht gewusst, (Schluchzt.), dass er schwul ist. Kannst du mir noch einmal verzeihen?Raffaela: Werd nicht albern! (Reit sich los.) Jetzt wei ich ichs wieder!Angelo: Wie? Was weit du?Raffaela: Der Fischer wars!Angelo: Ach der Fischer wollte mit dir immer ins Bett! Irgendwie hab ich mir so was schon immer gedacht! Dieser perverse Sack! - Diese korrupte Sau! Alle hat ergeschmiert, das Schwein. Und dann ist er im letzten Herbst auch noch in die andere Partei bergelaufen, bevor er besoffen, mit seiner Nobelkarosse, whrend ihn eine Edelnutte vom Beifahrersitz aus fellationierte, mit Hundertzwanzig Sachen in die neu verputzte Schlossmauer raste. Wenn ich den hier oben erwische!Der soll mich kennen lernen!Raffaela: Ich meine den FischerAngelo: Ich wei schon, wen du meinst!Raffaela: Ich meine den Fischer vonAngelo: Du brauchst berhaupt nicht weiterzureden!Raffaela: Ich meine den Fischer von Goethe! Angelo: Ach den!Raffaela: Ich habe ihn damals beim Vorsprechen auf der Schauspielschule vorgetragen. Er geht so. (Macht eurhythmie-hnliche Bewegungen)

  • Das Wasser rauschtt, das Wasser schwoll,Netzt ihm den nackten Fu;Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,wie bei der liebsten Gru.Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;Da wars um ihn geschehn:Halb zog sie ihn, halb sank er hin,Und ward nicht mehr gesehen.

    (Sie sinkt ganz langsam zu Boden.)

    Angelo: (Nicht Notiz davon nehmend. Mit den Gedanken woanders.) Ob man uns gefunden hat?Raffaela: Vielleicht. Irgendwer muss dort an Deck noch was bemerkt haben. Ich hatte noch jemanden rufen gehrt und ihn kurz gesehen.Angelo: Und du glaubst, er meinte uns?Raffaela. I dont know. Aber ich wei noch wie er aussah. Ganz genau beschreibenkann ich ihn sogar.Angelo: War es denn berhaupt ein Mann? Raffaela: Unbedingt! Er trug einen gepflegten Vollbart, und hatte lange braune Haare.Angelo: (lacht.) Lange braune Haare!Raffaela: Was gibt es da zu lachen, Mann!Angelo: Wie Jesus!Raffaela: Ja. Wie Jesus! Er sah wirklich so aus.Angelo: Vielleicht war es Jesus, ich meineRaffaela: Jetzt spinnst du.Angelo: Ich meine, dass man in solchen SituationenRaffaela: Sei still! Du spinnst!Angelo: Ich meine, das man in solchen Situationen vielleichtRaffaela: Jetzt hr auf!Angelo: Und du lsst mich mal ausreden! - Das man in seinen allerletzten Lebensmomenten so eine Art Erscheinung bekommen kann. Wie du in diesem Augenblick.Raffaela: Wie immer. Du nimmst mich nicht ernst.Pause.Angelo: (Versucht sie zu streicheln.) Wollen wir nicht doch ein wenig schlafen, Raffaela?Raffaela: Ich bin aber gar nicht mde.Angelo: Wir knnen uns ja trotzdem hinlegen.Raffaela: Meinetwegen. Aber kein Sex vor der Himmelspforte! Haben wir uns da verstanden?Angelo: Mach dir nur keine Sorgen. Ich will doch, dass man uns abholt.

    (Sie legen sich hin.)

    Nach einer Weile.

    Angelo: Schlfst du, Raffaela? Raffaela: Nicht wirklich. So was wie tagtrumen.Angelo: Ich hatte auch einen Traum:Raffaela: Erzhl ihn mir!Angelo: Ich hab getrumt, du bist schwanger. Wie schon so oft.Raffaela: Immer hast du nur davon getrumt. Wir wollten kein Kind. Das war ein Fehler.Angelo: Findest du?Raffaela: Ja. Es war die falsche Richtung, in die wir gegangen sind.Angelo: Aber wre ich dann Chefredakteur geworden? Wir htten so ein Balg aufziehen mssen, und weniger Zeit fr unsere eigentlichen Sachen gehabt.Raffaela: Das mag schon sein. Aber waren wir so denn glcklicher?Angelo: Vielleicht htten wir uns andernfalls ja auch getrennt. Wer wei?Raffaela: Das glaube ich nicht.Angelo: Ich schon.Raffaela: Arschloch!

  • Angelo: Denk doch mal logisch! Ein Chefredakteur, der eine Schauspielerin als Mutter entlastet, das htte doch nie im Leben funktioniert!Raffaela: Ne Tagesmutter wre die Lsung gewesen.Angelo: Und deshalb war es gut so, es lieber gleich sein zu lassen. Raffaela: War es nicht.Angelo: War es doch. Besser gar keine, als nur die halbe Verantwortung.Raffaela: Nun ist es ja auch egal. Vorbei, vorbei.Angelo: Im nchsten Leben wird alles besser.Raffaela: Als wenn wir es wssten, was besser wre, Angelo. Auerdem holt uns auch niemand ab. Wir mssen erstmal hier weg.Angelo: Das wird wohl noch dauern.Raffaela: Warum diese Veranstaltung? Kannst du mir das mal verraten?Angelo: Solange wir nicht wissen, was besser sein knnte, wird uns auch keiner abholen.Raffaela: Was fr eine dmliche Schlussfolgerung! Das mssen wir doch nicht hierentscheiden.Angelo: Wo denn sonst? Hinter dem Tor dort etwa? Vielleicht sind wir dann ja garnicht mehr zusammen. Das hier ist eine bergangssituation. Wer wei, was dann kommt!Raffaela: Du hast nie wirklich Vertrauen in die Zukunft gehabt, Angelo. Das hatte mich schon immer an dir gestrt.Angelo: Vertrauen in die Zukunft? Nur Bildungsferne haben so was. Die alten gypter kannten gar keine Zukunft. Zeit als ewiger, immer wiederkehrender Kreislauf, das war ihr Weltbild. So wird es hier oben auch ablaufen. Da wette ich drauf.Raffaela: Das sind ja wunderbare Aussichten. Hoffentlich kommt Echnaton uns abholen!Angelo: Mach dir blo keine Illusionen, Baby. Der wird nicht kommen. Wie wrsmit ner Runde Sex?Raffaela: (Winkt demonstrativ ab.) Htte ich doch nur Roberto damals keinen Korb gegeben.Angelo: Tja schnste Raffaela. Nun ist es ja wohl zu spt, zum Umkehren.Raffaela: Er war ein unsicherer Kantonist. Aber nur finanziell. Sonst nicht.Angelo: Weshalb du mich genommen hast.Raffaela: Aber romantischer wars schon mit Roberto.Angelo: Ich habe dir auch aus Eichendorff vorgelesen. Vergiss das nicht, Raffaela!Raffaela: Aber er konnte ihn auswendig. Das war der feine Unterschied.Angelo: Wenn du meinst.Raffaela: Klingt ja nicht gerade interessiert, an einer Fortsetzung unserer Beziehung.Angelo: Ich will abgeholt werden von hier. Verstehst du! Das interessiert mich. Sonst nichts.Raffaela: Dann mach dich doch bemerkbar, Angelo!Angelo: Aber wir sind noch nicht fertig miteinander!Raffaela: Siehst du. Deine Position in der Hierarchie auf Erden ntzt dir im Himmel berhaupt nichts. tsch.Angelo: Hierarchie? Wozu? Hat hier oben irgendjemand auch nur ein Minimum an Verantwortung zu tragen?Raffaela: Niemand. Wir haben ja noch nicht einmal Hunger.Angelo: Und Sex wollen wir auch keinen. Nicht wirklich jedenfalls.Raffaela: Und Bedrfnisse mssen wir auch keine verrichten!Angelo: Was wollen wir mehr?Raffaela: Jetzt bertreibst du aber.Angelo: Warum? Alles wollen ist tricht. Sagt Buddha. Wir sind frei.Raffaela: Sieh an! Sieh an! Ein Wirtschaftsjournalist, der zum Esoteriker mutiert.Angelo: Dieser Prozess ist lngst in mir abgeschlossen. Ich bin es schon lange leid, ffentlich ber Exportberschsse, Aktienmrkte, Gewinnwarnungen, feindliche bernahmen, Hedge-Fonds, Sozialtransfers, niedrige Lohnnebenkosten oder Ankurbelung der Binnennachfrage zu philosophieren.Raffaela: Resigniert hast du, Angelo. Dabei wolltest du mal zum Fernsehen.Angelo: Papperlapapp. Fernsehen nervt doch nur noch. Warum htte ich dann andere nerven sollen! Meine Ruhe wollte ich. Nix weiter als meine Ruhe. Und mein

  • Gehalt dazu. Aber das durfte niemand merken. Ich musste weiterhin Ehrgeiz vortuschen.Raffaela: Wie dem auch sei. Ruhe haben wir hier oben jedenfalls.Angelo: Vielleicht bilden wir uns das alles ja nur ein. So simpel kann es im Jenseits doch gar nicht zugehen. Oder?Raffaela: Es ist, wie es ist.Angelo: Und was wollen wir jetzt machen?Raffaela: Du knntest mir Eichendorff vorlesen.Angelo: Geht es dir gut Raffaela? Siehst du hier irgendwo ein Buch liegen? Deutsche Gedichte, oder so?Raffaela: Denk nach, Angelo, denk ganz konzentriert nach! Memoriere was du mir mal vorgetragen hattest, intensiv. Alles ist in uns abgespeichert, du musst es nur wiederfinden!Angelo: (Geht konsequent in sich.) Ich finde es nicht wieder. Schade eigentlich.Raffaela: (Zeigt nach oben.) Sieh mal! Da kommt etwas herunter auf uns. Was ist das?Angelo: Sieht aus wie eine Taube von Picasso.Raffaela: Ich habe dir schon zu Lebzeiten gesagt: Du brauchst eine Brille. Das ist niemals eine Taube!Angelo: Man sieht nur was man denkt soll Schopenhauer gesagt haben, vielleichtist es ja eineRaffaela: Es ist nur ein Blatt Papier! Ich hab es gleich gefangen! (Sie fngt es.)Angelo: Steht da was drauf?Raffaela: Mal sehen. (Sie liest stutzt und fngt schallend an zulachen.)Angelo: Lass mich doch bitte auch an deiner Freude teilhaben, ja!Raffaela: Es ist ein Text von Eichendorff!!! (Gibt ihm das Blatt) So. Du bist dran! Dein Part. Wir spielen jetzt Vorsprechen fr eine Engagement beim Theater. Ich bin die Intendantin, und du der Bewerber. Und bitte! Herr, Herr, wie noch mal Ihr Name?Angelo: Du darfst mich nicht verunsichern, ich will mich auf den Text konzentrieren.Raffaela: Amateur! Sie knnen gehen. Die Fahrtkosten bekommen Sie von uns erstattet. Alles Gute weiterhin in Ihrem Leben!Angelo: Na gut. (Gibt ihr das Blatt zurck.) Dann gibts auch keinen Eichendorff heute. Bye, bye! (Dreht ihr den Rcken zu.)Raffaela: Na so war das jetzt auch nicht gemeint. Du hast ja berhaupt keinen Ehrgeiz!Angelo: Den hatte ich mal, bevor ich Dich kennen lernte. Das kannst du mir glauben.Raffaela: Und das sagst du mir erst jetzt! Ich bin enttuscht von dir, Angelo. Wenn wir nicht hier bleiben mssten, wrde ich dich weg schicken.Angelo: Ich mchte ja gerne weg von dir. Aber es geht nun mal nicht. Also laufe ich auf dieser Wolke mal ein wenig hin und her. Viel Platz ist ja nicht gerade. (Luft auf und ab.)Raffaela: Ein groes Kind bist du! Wieso springst du nicht runter? Dann bin ich dich los.Angelo: (Erschrocken.) Unser Segelboot!Raffaela: Wie kommst du denn jetzt darauf? Angelo: Unser Segelboot! Ich hab es nicht in den Schuppen gestellt. Hoffentlich klaut es keiner.Raffaela: Das ist doch jetzt nicht mehr wichtig, oder?Angelo: Nein, ist es natrlich nicht. Ich hnge aber immer noch an diesem romantischen Vehikel. Was habe ich doch von den glcklichen Stunden allein auf dem See immer getrumt! Stets begleitete es mich in der Redaktion innerlich, ganz gleich, was gerade anstand. Ob Mllabfuhrskandal, Fuball-WM oder BundesprsidentenwahlAlles schien mir so gleichgltig, wenn ich doch sonntags nur allein mit dem Boot auf dem See segeln konnte. Niemand da. Nur Stille. - Das war es, was mich antrieb, und aufbaute. Alles andere schien nicht mehr wichtig. Hier nur kamen Phantasien und Jugendtrume noch mal in mir hoch. Ich hatte das unbeschreibliche Gefhl Ich zu sein.Raffaela: Komisch. Das du mir davon nie erzhlt hattest. Angelo: Hr auf! Du musstest doch immer deine Texte lernen! Raffaela: Dafr htten wir schon Zeit haben sollen, uns mehr ber uns zu sagen.

  • Wollen wir doch mal ehrlich zueinander sein.Angelo: Dafr httest du Zeit haben mssen! Ich wollte doch mit dir samstags immer in die Hummer-Lounge gehen. Aber du hattest es stets abgelehnt. Weil du ja so viel zu tun hattest.Raffaela: Weil du da nur angeben wolltest mit mir. Das war mir einfach zu bld: Von der Schickeria an den Nebentischen aufs Korn genommen zu werden.Angelo: Stimmt. Mit mir konntest du ja nicht angeben. Ich war ja nur ein langweiliger Lokalreporter.Raffaela: Immerhin Chefredakteur.Angelo: In einem Kleinstadtkseblatt. Verarschen kann ich mich selbst.Raffaela: Na ja. Waffengleichheit. Ich htte wahrscheinlich sonst auch nirgendwonoch mal ein Engagement bekommen, als in diesem jmmerlichen Kuhkaff, inmitten einer abtrnnigen Provinz. Diese kleine dumme Welt ! Sie war einfach zu gro frunseren Ehrgeiz.Angelo: Und nun liegt sie da unten. Bedeutungslos geworden fr dich und mich. (Packt, und ksst sie.)Raffaela: (Lst sich.) Hr auf! Du wolltest mir doch Eichendorff vorlesen. Angelo: So. Wollte ich das? Du wolltest es.Raffaela: Aber damals hast du es freiwillig gemacht.Angelo: Nachdem du stndig von deinem Kommilitonen Roberto geschwrmt hattest, und mir sagtest dass er Eichendorff frei vortragen knne, hab ich gedacht; Versuchs doch auch mal damit. Kopieren geht eben ber studieren.Raffaela: Oder umgekehrt. Wie bei dir. Sechstausend Euro hat uns das Plagiat frdeinen Doktortitel gekostet. Eine Weltreise htten wir davon machen knnen!Angelo: Mag sein. Jedenfalls hat es Wirkung gezeigt.Raffaela: Was? Dein erkaufter Doktortitel?Angelo: Nein. Mein Eichendorff-Vortrag. Den Heiratsantrag danach hattest du akzeptiert.Raffaela: Ich habe nur das Geld und deine Position gesehen.Du wirst es nie so gut knnen, wie Roberto.Angelo: Jetzt forderst du mich aber heraus. Gib mir den Text!Raffaela: Fang mich doch (Sie luft auf der Wolke im Kreis um ihn herum.)Angelo: Was fr eine Kinderei! Du gibst mir ja keine Chance!Raffaela: In jedem Manne ist ein Kind, und das will spielen.Angelo: Nietzsche, ich wei. Aber was ist nun mit Eichendorff? (Er erhascht sie.)Raffaela: Voila der Text!Angelo: Und du bist jetzt das Publikum.Raffaela: Aber ich habe keinen Stuhl!Angelo: Dann bin ich eben dein Stuhl. (Er geht in die Hocke, und mimt einen Stuhl.)Raffaela: Und da soll ich mich jetzt drauf setzen?Angelo: Du kannst mir vertrauen. Ich trage nur Eichendorff vor.Raffaela: Und was, wenn nun du doch eine Erektion bekommst?Angelo: Das hier ist nicht die Erde. Hier gelten andere Gesetze.Raffaela: Die Gesetze machen wir hier. Sonst niemand.Angelo: Na also. Dann setz dich drauf! Mein letztes Angebot.Raffaela: Okay. (Sie setzt sich auf ihn. Nimmt die Haltung einer sittsamen Zuschauerin ein. Ihr Krper ist auf das reale Publikum im Saal gerichtet. Sie applaudiert, und fordert die wirklichen Zuschauer im Saal ebenfalls zum Applaus auf. Sie klatschen.) Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte nun um Ihre Aufmerksamkeit fr WETTER von Joseph von Eichendorff

    Angelo: Ich warf mich zuletzt ganz verzweifelt vor einemschnen groen Hause hin, vor dem ein Balkon mitSulen, breiten Schatten warf, und betrachtete balddie stille Stadt, die in der pltzlichen Einsamkeit beiheller Mittagstunde ordentlich schauerlich aussah,bald wieder den tiefblauen, ganz wolkenlosenHimmel, bis ich endlich vor groer Ermdung gareinschlummerte. Da trumte mir, ich lge bei meinemDorfe auf einer einsamen, grnen Wiese, ein

  • warmer Sommerregen sprhte und glnzte in derSonne, die soeben hinter den Bergen unterging, undwie die Regentropfen auf den Rasen fielen, warenes lauter schne, bunte Blumen, so dass ich davonganz berschttet war.

    Raffaela: (Steht auf.) Bravo! Applaus fr diesen nicht mehr ganz so jungen Mann. Du kannst jetzt aufstehen und dich verbeugen. (Angelo verneigt sich vor dem Publikum. Applaus.)

    Jemand aus dem Publikum bringt ihnen zwei Bademntel, die sie anziehen.

    Angelo: Dankeschn. Dankeschn meine sehr verehrten Damen und Herren. Und jetzt haben wir zwei Versionen fr Sie vorbereitet, fr die Sie sich entscheiden knnen, wie unser Stck enden soll.Raffaela: Natrlich wollen wir die Ihnen nicht vorher verraten.Angelo: Wir haben eine esoterische und eine naturwissenschaftliche Schlussvariante im Angebot.Raffaela: Es liegt an Ihnen, welche Sie nun sehen wollen.Angelo: Was jetzt folgt, liebe Zuschauer ist keine Pause, sondern nur eine kurzeUnterbrechung.Raffaela: Sie knnen Ihre Eintrittskarten selbstverstndlich spter wieder haben. Angelo: Aber zunchst brauchen wir diese, um zu wissen, fr welche der beiden Versionen Sie sich entschieden haben.Raffaela (bekommt einen Zylinder zugeworfen.): Wenn Sie fr ein naturwissenschaftliches Ende unseres Stckes sind, dann werfen sie Ihre Eintrittskarte, einfach so wie ist, in den Zylinder.Angelo: (bekommt einen Turban zugeworfen.) Wenn Sie aber fr einen esoterischen Schluss der Handlung pldieren mchten, dann falten Sie Ihr Ticket einmal zusammen, und legen es geknickt in meinen Turban.Raffaela: Wir kommen nun an den Seitenrndern zu Ihnen herunter, und bitten Sie um Ihre Stimme.

    (Beide gehen hinunter. Sie sammeln die Stimmen ein. Sie betreten wieder die Bhne. )

    Angelo: Ver(K)ehrtes Publikum! Herzlichen Dank! Sie haben sich entschieden.Raffaela: Nach einem kurzen BLACK sehen Sie gleich Ihre Version. Beide: Bis gleich!

    FORTSETZUNG FOLGT Copyright by Steffen Gresch 2010-2014

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