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8/7/2019 Augustin Wer Sabotiert Hier Die Justiz - 278a Justizfarce Wr. Neustadt

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tun & lassen Nr. 292, 23. 2. - 8. 3. 201 1 7

Ex-Strafverteidigerin beobachtete für den Augustin die Gerichtsfarce von Wr. Neustadt

Wer sabotiert hier die Justiz?

Sonja Arleth, die Richte-rin im Wiener NeustädterTierschützerprozess, lässt .sich durch die Bestimmungen der Strafprozessordnung und der Menschenrechtskonvention in ihrerProzessführung nicht einengen. Wie für Petra Velten vomInstitut für Strafrechtswissen

schaften an der Uni Linz ist auch

for die ehemalige Rechtsanwäl

tin und Strajverteidigerin Ka-

tharina Rueprecht das Verfah

ren zur Farce geraten. Für den

Augustin beobachtete Rueprecht

das «permanente Unterlaufender Verteidiger-Rechte» durch

Frau Arleth.

I

eh würd' Sie bitten, nicht

« immer Paragrafen zu zitie-ren, weil das sinnlos i s t ! ~ So

weist die Richterin die Verteidige-

rInnen im Tierschützerprozess zu- !recht. Diese haben es ohnehin schonbemerkt: Das Zitieren von gesetzlichen Bestimmungen zur Durchsetzung ihrer Rechte in diesem Verfah

ren ist tatsächlich sinnlos. Sie tun

es für das Protokoll, vermute ich.Damit alles festgehalten ist, für denFall, dass der Europäische GerichtshoffUr Menschenrechte einmal dar

über zu befinden hat, ob das Gebotdes fairen Verfahrens nach der Men-

schenrechtskonvention eingehaltenwurde oder nicht.

Das Recht der Verteidigung, Fragen an die Zeugen zu stellen, ist inder Strafprozessordnung un d inArtikel 6 der Menschenrechtskonvention normiert und steht in Österreich damit in Verfassungsrang.Gerade dieses Recht wird von der

Richterin permanent unterlaufen,indem sie Antworten auf die Fra

gen verhindert. So ließ sie die verdeckte Ermittlerin au f die Fragender Verteidigung meistens nicht

antworten, sondern las stattdessenselbst aus dem Akt vor. Und zwarlange. Seitenweise. Was einmal vomPublikum mi t dem Zwischenruf

Wenn ein Mann wie Ex-Min is te r Grasser frei herumläuft und Tie rrechtsaktivistinnen kriminalisier t werden, wachsen in Wien solche Sprüche •••

«Prozessverschleppung» quittiert

wurde.Dies machte die Richterin etwa

bei jeder zweiten Frage. Es war lähmend. Ich konnte jedenfalls überhaupt nicht erkennen, was diese endlos langen Vorlesungen ausdem Gerichtsakt für einen Sinn haben sollten.

Oder sie unterbrach die Fragen mitden Worten f(Sagen Sie konkret, worauf Sie Bezug nehmen» oder f(Das

ist nicht relevant» oder «Das hatten wir schon». Einmal erklärte sie,sie sei verpflichtet, Wiederholungennicht zuzulassen, was mir neu war.

Dazu ist zu sagen, dass sich oft erstdurch eine nachfolgende Frage er

gibt, worauf eine Frage abzielt, ode rerst durch eine Folge von Fragen.Dabei wird etwa in den ersten einbis zwei oder drei Fragen mitunterbereits Aktenkundiges wiederholt,

um die Zeugin oder den Zeugen zueinem ganz bestimmten Punkt hin zuführen, und erst dann wird eine

Frage gestellt, deren Beantwortungmöglicherweise einen Widerspruch

zu den auf die vorangehenden Fragen gegebenen Antworten beinhaltet. Diese Aneinanderreihung vonaufeinander abgestimmten Fragengehört zum Handwerkszeug jeder

Verteidigung und ist aus den Gerichtsfilmen wohlbekannt. Die Richterin in diesem Prozess ließ eine Aneinanderreihung von Fragen jedochso gut wie gar nicht zu.

Eine «UnschädlichmachungdesFragerechts»

Manchmal hat sie auch noch auf

andere Weise den Fragenfluss un-

terbrochen, etwa indem sie sagte: «Langsam, langsam. damit sich

die Zeugin daraufeinstellen kann»,oder: «Sie müssen schon vorsichtigsein bei der Befragung, damit Siesich nicht aufein Gebiet begeben, zudem die Zeugin nichts sagen kann»,

oder auch indem sie den Wortlautder Frage umformulierte und selbstfragte.

Petra Velten, Vorständin des Instituts für Strafrechtswissenschaf

ten an der Uni UnI, hält ihre Eindrücke in einem Aufsatz im Journal

für Strafrecht 2010/6 fest. Nachfolgend gebe ich einige Passagen davon wieder.

Am 13. 12.2010 nahm ich an ei-

ner Einzelrichtersitzung am Landes-

gericht Wiener Neustadt teil - und

traute meine Augen und Ohren nicht.

Obwohl ich als ehemalige Strafvertei-

digerin so einiges gewöhnt bin, hätte

ich das, was sich am Landesgericht

Wiener Neustadt ereignete, nicht für

möglich gehalten ... Zur Vernehmungeines Zeugen schreiben die §§ 248

Abs. 1, 161 Abs. 2 der Strafprozess-

ordnung vor; dass der Zeuge nach der

Vernehmung zur Person um eine zu

sammenhängende Darstellung seiner

Wahrnehmungen zu ersuchen ist. Ob

die Richterin diese Vorschrift kann

te, bezweifle ich. Sie leilete die Ver

nehmung durch einen Katalog von

Fragen. die der Zeuge meist nur mit

einem Satz, oft sogar bloß mit ja be-

antworten konnte. Dieses enge Fra

genkorsett wurde nie verlassen ...Die Richterin unternahm nicht ein-

mal den Versuch (man war geneigt

zu mutmaßen: Sie ging nicht erst

das Risiko ein), zu erfahren, was der

Zeuge aus eigenem Wissen erzählen

würde ... Sodann durfte der Staats-

anwalt fragen - ungehindert, unmittelbar und kontinuierlich ... Darauf

folg te das krasseste Beisp iel für den

vieldiskutierten Schulterschlusseffekt,

das ich je in der forensischen Praxis

erlebt habe. Als die Verteidiger und

Verte idigerinnen mit ihrerBefragungbegannen, wurden sie zunächst da-

rüber belehrt, dass sie sachlich und

ohne Emotionen zu fragen hätten.

Fortsetzung auf Seite 8

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8/7/2019 Augustin Wer Sabotiert Hier Die Justiz - 278a Justizfarce Wr. Neustadt

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8 Nr. 292, 23. 2. - 8. 3. 2011

FQrtsetzung von Seite 9

Der Zeuge wurde darüber unterrichtet, dass zuerst die

Richterin über die Zulässigkeit der Fragen befinde, bevorer sie beantworten müsse. Vielleicht trifft es diese Beleh-

rung besser. wenn man sie als Warnung an den Zeugen

charakterisiert, nicht voreilig zu antworten, bevor die

Frage nicht die Vorzensur durch das Gericht erfolgreich

passiert habe. Das nahm im Folgenden groteske Formenan, die auch das Publikum - zu dem keineswegs nur Un-

terstützeT der Angeklagten zählten - nicht unberührt lie-

ßen. Bei vielen, vor allem bei jenen, die zum ersten Mal

diesen Prozess miterlebten, war Fassungslosigkeit zu be-

merken. Viele lachten, um nicht weinen zu müssen ...

Die Unterbrechungen liefen auf eine .Unschädlich-machung» des Fragerechts hinaus. Hätte es etwas gege-

ben, was dem Zeugen hätte entlockt werden können, so

hat das Stör/euer an Unterbrechungen und Zurückwei·sungen der Fragen dies gründlich unterbunden. Dass die

VerteidigerInnen gleichwohl weitgehend die Contenancebewahrten, war bewundernswert ... Das Verfahren mag

eine Ausnahrneerscheinung sein (das wäre sehr zu hof-

fen). Mir scheint aber doch deutlich zum Ausdruck ge-

kommen zu sein, dass eine österreichische Richterin (irr-

tümlich) glaubt, sich nicht fürchten zu müssen, in aller

Öffentlichkeit mit den Angeklagten und ihren Verteidi-

gern so zu verfahren, als wären sie Saboteure. Was den

Zuschauern dabei die Sprache verschlug, war die Un-

verfrorenheit, mit der sich die Richterin als Instanz ver-

stand, die darüber befinden darf, welche Verteidigungs-

aktivitäten sie zulässt und welche nicht ...

Der feige Anschlag auf die Damentoilette

Seitdem Frau Prof. Velten an der Verhandlung t e i l ~ nahm, sind mehr als zwei Monate vergangen.

I n z w i ~ sehen hat einer der Angeklagten einen aus hundert

Punkten bestehenden Antrag auf Ausschließung der

Richterin eingebracht, und zwar mit der Begründung,

dass ~ e r h e b l i c h e Zweifel an ihrer vollen Unvoreinge·

nommenheit und Unparteilichkeit bestehen)). Der Vor·

trag dieses Antrages dauerte gute drei Stunden. Unteranderem wird darin die systematische Beschneidung

des Fragerechts und der Verteidigungsrechte gerügt.

Oder, dass die Richterin selbst Anzeige erstattet hatte,

weil sie sich als das Opfer einer Straftat fUhlt: Auf der

Damentoilette des Gerichts soll jemand geschrieben

haben, die Richterin habe sich kaufen lassen. (Die von

ihr erstattete Strafanzeige hat die Richterin damals in

der Verhandlung verlesen.)Die Richterin entscheidet über den Antrag auf Aus·

schließung der Richterin selbst und weist ihn erwar·

tungsgemäß ab: «Es liegen keine Gründe vor, die Un·voreingenommenheit in Frage zu stellen.» Sie sei dafür

verantwortlich, keine Fragen zu erlauben. die nicht

der Erörterung. sondern nur der Verfahrensverzöge·

rung dienen.

In diesem Verfahren stehen dreizehn Personen we·

gen angeblicher Mitgliedschaft in einer ktiminellen Or

ganisation vor Gericht. Der Strafrahmen beträgt sechs

Monate bis fUnf Jahre. Wenn die Sache fUr die Ange

klagten nicht so bitterernst wäre, würde ich sagen. das

Verfahren ist vollends zur Farce geraten. I


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