Transcript

B‹CHER

2520 ¹ WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044-8249/02/11413-2520 $ 20.00+.50/0 Angew. Chem. 2002, 114, Nr. 13

sequenzdeterminierend entpuppte. Dergezielte Einsatz synthetisierter Polynu-cleotide als m-RNA und die anschlie-˚ende Sequenzierung der resultierendenProteine f¸hrte schlie˚lich zur so ge-nannten Entschl¸sselung des geneti-schen Codes, insbesondere von Niren-berg und Ochoa au˚erhalb der Arbeits-gruppe von Zamecnik. Rheinbergerzeigt, wie die biochemischen Mechanis-musmodelle in der letzten Phase, beson-ders unter dem Einfluss von FrancisCrick, umgedeutet wurden durch Be-grifflichkeiten aus πdem Bereich derInformation und Kommunikation:Transfer, Botschaft, Transkription,Translation, Codierung™ (S. 242), dieseitdem den molekularbiologischenDiskurs beherrschen.

Rheinberger erz‰hlt die Geschichteder Proteinbiosynthese unter Einschubvon wissenschaftsphilosophischen Kapi-teln (1, 4, 6, 8, 10 und Epilog), diegleichsam ein eigenes Buch darstellenund auch zur unabh‰ngigen Lekt¸reempfohlen werden (S. 8). In diesem Teilentwirft er programmatisch seinen histo-riographischen Ansatz als eine Episte-mologie des modernen Experimentie-rens, entwickelt sein analytisches Be-griffsinstrumentarium, zieht verallge-meinernde Schl¸sse aus der Fallstudieund stellt Beziehungen zu ¸berwiegendzeitgenˆssischen franzˆsischen Philoso-phen her. ‹berzeugend argumentiert erf¸r eine Wende der traditionellen Wis-senschaftsphilosophie von den logischenBegr¸ndungszusammenh‰ngen hin zuexperimentellen Entdeckungszusam-menh‰ngen, ohne dabei in die Extremeeines naiven Realismus oder Konstruk-tivismus zu fallen. Scharfsinnig analy-siert er, wie Wissensobjekte (πepistemi-sche Dinge™) in Experimentalsystemenzun‰chst unscharf entworfen, durch dietechnischen Experimentalbedingungenzunehmend stabilisiert und pr‰zisiertund schlie˚lich selber als Teil des expe-rimentellen Instrumentariums integriertwerden kˆnnen. Geschickt vermeidet erdie traditionelle Dichotomie Experi-ment/Theorie und entwickelt statt des-sen den theoretischen Deutungshorizontals mˆgliche Repr‰sentationsform vonExperimentalsystemen. Raffiniert deu-tet er das traditionell spannungsreicheDisziplinenverh‰ltnis zwischen Bioche-mie und Molekularbiologie als Ver-schr‰nkung von Experimentalsystemen

im Rahmen einer allgemeinen Theorieder Dynamik von Experimentalkultu-ren. Verst‰ndnisprobleme, selbst ausfachphilosophischer Perspektive, stellensich hingegen h‰ufig ein, wenn Rhein-berger seine selber meist klar eingef¸hr-te Begrifflichkeit durch Zitate seinerπLieblingsphilosophen™ (insbesondereHeidegger und Derrida) erl‰utern oderuntermauern will. Leider hinterl‰sst die-ser Einfluss gelegentlich auch wider-spr¸chliche Eindr¸cke, wenn etwa einer-seits die Akausalit‰t und unvorherseh-bare Ereignishaftigkeit der Experimen-talsysteme beschworen werden (S. 144),und andererseits von πder inneren Me-chanik der experimentellen Zukunfts-maschine™ (S. 145) die Rede ist. Liestman ¸ber solche Ausrutscher gro˚z¸gighinweg, dann zeigt sich, dass Rheinber-ger ‰u˚erst scharfsichtige Einblicke inDeterminanten der experimentellenForschungsdynamik liefert, weit mehrals er selber zuzugestehen bereit ist.

πDas Buch wendet sich gleicherma-˚en an Naturwissenschaftler, Wissen-schaftshistoriker und Wissenschaftphilo-sophen.™ (S. 8) Allen dreien ist es w‰rms-tens zu empfehlen.

Joachim SchummerInstitut f¸r Philosophie

der Universit‰t Karlsruhe

Richard Willst‰tter im Briefwechselmit Emil Fischer in den Jahren 1901bis 1918. Herausgegeben von HorstRemane und Wolfgang Schweitzer.Verlag f¸r Wissenschafts- und Re-gionalgeschichte Dr. Michael Engel,Berlin 2000. 125 S., Broschur19.68 �.–ISBN 3-929 134-27-6

Die 47 Briefe aus der Korrespondenzzwischen Willst‰tter und Fischer - siebilden keine l¸ckenlose Kette - stammenmit einer Ausnahme aus der BancroftLibrary der UC Berkeley. The EmilFischer Papers gelangten wohl alsSchenkung des 1960 verstorbenen Her-mann O. L. Fischer nach Berkeley. DieHerausgeber haben die Briefe klugkommentiert und mit einem Quellen-verzeichnis versehen. Kurze Lebensbil-der der beiden gro˚en Forscher sind denBriefen vorangestellt.

Das Verh‰ltnis der beiden Pionierewar von wechselseitiger Wertsch‰tzunggetragen, vonseiten des 20 Jahre j¸nge-ren Willst‰tter gar von Ehrerbietung.Von letzterer zeugt die hˆfliche Anrededes ælteren als πExcellenz, hochzuver-ehrender Herr Geheimer Rat™ sowieBriefschl¸sse wie πverharre ich in tieferEhrfurcht, Ihr ergebenster™. Hochge-spannte Erwartungen, in diesen Briefenvon Titanengespr‰chen zu erfahren, wer-den entt‰uscht. Von z¸ndenden neuenIdeen und Zukunftspl‰nen der Forscherist nicht die Rede; die Hˆflichkeit verbotsogar kritische Bemerkungen.

Die ersten 7 Briefe dienten der Feld-begradigung; die Arbeitsgebiete wurdendamals sorgf‰ltig abgegrenzt. Im Zusam-menhang mit Synthesen in der Atropin/Cocain-Reihe war Willst‰tter an denCarbons‰uren des Piperidins und Pyrro-lidins interessiert. Die Sorge vor einem‹bergriff in Fischers Dom‰ne (Amino-s‰uren) war berechtigt, und in allerHˆflichkeit wurden sogar Diskrepanzenin Schmelzpunkt und Analysen des Be-tainaurochlorats gekl‰rt.

Das Reservieren von Interessensph‰-ren lockerte sich nur wenig in der erstenH‰lfte des 20. Jahrhunderts und fiel erstin den 1950er Jahren. Die junge Genera-tion wandte sich gegen das πErbhofden-ken™, und der Protest, vor allem vonjenseits des Atlantik, f¸hrte bis zurHemds‰rmeligkeit.

Die langen Briefe Nr. 8 bis 10 galtender Vorbereitung des SiebzigerfestsAdolf von Baeyers (Oktober 1905), desgemeinsamen akademischen Lehrers.Da wurden die Kosten des zur Subskrip-tion empfohlenen Neudrucks vonBaeyers gesammelten Werken kalku-liert, und mit der Frage, ob man nebender Bronzeb¸ste (A. v. Hildebrand) aucheine M¸nzpr‰gung w¸nsche, wurde so-gar der Jubilar befa˚t.

Willst‰tter zog 1905 als Ordinarius andas Eidgenˆssische Polytechnikum(sp‰tere ETH) nach Z¸rich um. SeineBerufung an das neue Kaiser-Wilhelm-Institut f¸r Chemie in Berlin-Dahlemf¸hrte zu einem Anschwellen der Kor-respondenz (13 Briefe von Nov. 1910 bisEnde 1911). Bei der Gr¸ndungssitzungder Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft imNov. 1911 (in Anwesenheit des Kaiser-paars) hielt Fischer einen Experimental-vortrag ¸ber ∏Neuere Erfolge und Pro-bleme der Chemie und Biologie−, f¸r den

B‹CHER

Angew. Chem. 2002, 114, Nr. 13 ¹ WILEY-VCH Verlag GmbH, 69451 Weinheim, Germany, 2002 0044-8249/02/11413-2521 $ 20.00+.50/0 2521

er sich Pr‰parate des kristallisiertenChlorophylls von Willst‰tter auslieh. Esgelang Fischer, die Kollegen und Behˆr-den davon zu ¸berzeugen, dass Willst‰t-ter die herausragende Persˆnlichkeitwar, um die Organische Chemie imRahmen des neuen KWI zu vertreten.Das Berufungsverfahren geriet ins Sto-cken, als Willst‰tter im Juli 1911 ± hierfehlen zwei Briefe ± abrupt auf dieangebotene Stellung verzichtete. Ge-schickt blenden die Herausgeber hierBriefe (E1 ± E9) von Fischer an Beck-mann, Haber und Duisberg sowie derenAntworten ein. Fritz Haber erkannte,dass Willst‰tter nicht als Subdirektorunter Ernst Beckmann, der schon 1910als Direktor des KWI vorgeschlagenwar, dienen mochte. Um Willst‰tter einestaatliche Pension anbieten zu kˆnnen,hatte man ihm ein Extraordinariat ander Berliner Universit‰t offeriert. Ha-bers diplomatisches Geschick leitete dieLˆsung des Knotens ein: Freie Forscher-t‰tigkeit am KWI und ordentlicher Ho-norarprofessor ohne Lehrverpflichtungan der Universit‰t. Willst‰tter willigteein und siedelte Ende 1912 nach Fertig-stellung des Institutsgeb‰udes um.

Im Januar 1915 erbat Willst‰tter dieErlaubnis von Fischer, ihn f¸r seineArbeiten ¸ber Aminos‰uren, Polypepti-de und Proteine f¸r einen zweiten No-belpreis vorschlagen zu d¸rfen (BriefeNr. 34, 37, 38); den ersten hatte Fischer1902 f¸r die Pionierarbeiten ¸ber Zu-cker und Purine erhalten. Fischer f¸hrtegewichtige Gr¸nde gegen eine zweiteNominierung an. Der Nobelpreis 1915ging ± an Willst‰tter f¸r seine Unter-suchungen ¸ber Pflanzenfarbstoffe.

Im Jahr 1916 ¸bersiedelte Willst‰tterals Nachfolger A. von Baeyers nachM¸nchen; keine Briefe sind erhaltenvon den eventuellen Bem¸hungen, Will-st‰tter in Berlin-Dahlem zu halten. ImAugust 1917 verstarb A. von Baeyer imAlter von 82 Jahren. Die Briefe 41 ± 44galten der Veranstaltung einer w¸rdigenGedenkfeier, der Abfassung des Nach-rufs sowie der Aufstellung eines Denk-mals und dessen Finanzierung. Anmer-kung des Rezensenten: Das von H.Hahn geschaffene Baeyer-Denkmalwurde 1922 vor dem von Willst‰tteraufgef¸hrten Erweiterungsbau des Che-mischen Laboratoriums der BayerischenAkademie der Wissenschaften, wie esdamals hie˚, aufgestellt und ¸berlebte

die Kriegszerstˆrung des Laboratoriums.Heute befindet es sich vor dem Haus Fder neuen Geb‰ude des DepartmentsChemie der Ludwig-Maximilians-Uni-versit‰t in M¸nchen-Gro˚hadern.

Der letzte Briefaustausch (Nr. 46, 47),in das Jahr 1918 fallend, galt der Auf-rechterhaltung des Niveaus von LiebigsAnnalen der Chemie sowie der Schaf-fung einer Gesellschaft f¸r die Fˆrde-rung des Chemischen Unterrichts.

Das Bl¸hen wissenschaftlicher For-schung erfordert einen festen ‰u˚erenRahmen, der so elastisch sein musste,dass er auch in Kriegszeiten nicht zer-brach. Die faszinierende Lekt¸re diesesBriefwechsels vermittelt wenig von denForschungsergebnissen, umso mehr abervom Leben der handelnden Personenund den Bedingungen ihres Wirkens.Aus heutiger Sicht mag erstaunen, dasstrotz gelegentlicher N‰he der Arbeits-gebiete der Gedanke einer Kooperationnicht aufkam. Die Abgrenzung von In-teressensph‰ren war von grˆ˚erer Wich-tigkeit in der Zeit der gro˚en Einzel-persˆnlichkeiten.

Die Herausgeber verdienen Dank f¸rdie sorgf‰ltige Edierung der Briefe, diein diesem B¸chlein einer breiteren ÷f-fentlichkeit zug‰nglich gemacht werden.

Rolf HuisgenDepartment Chemie

der Universit‰t M¸nchen

Bioinformatik. Von Reinhard Rau-hut. Wiley-VCH, Weinheim 2001.286 S., Broschur 69.00 �.–ISBN3-527-30355-3

πGenomprojekte, die enorm fortge-schrittenen Techniken der Strukturauf-kl‰rung biologischer Makromolek¸le,die Erstellung komplexer Datens‰tzemit Chiptechnologien f¸hren seit den90er Jahren zu einer immer rasanterenZunahme des biologischen Wissens. Al-lein die blo˚e Menge existierender Da-ten machte spezielle Methoden zu ihrerErschlie˚ung nˆtig. Entdeckungen sindheute mˆglich, indem man die bereitsexistierenden Datenmengen genau ana-lysiert.™ schreibt Reinhard Rauhut inder Einleitung zu seinem Buch Bioin-formatik, Sequenz-Struktur-Funktion. Esrichtet sich in erster Linie an die expe-

rimentell arbeitenden Biologen und Bio-chemiker im Labor. Die Bioinformatikwird in sieben Abschnitten behandelt:Sequenzen, Strukturen, Genomics,Functional Genomics, Proteomics, Phy-logenetik und DNA-Computing, wobeidie ersten beiden Abschnitte den grˆ˚-ten Raum einnehmen. Insgesamt ver-zichtet der Autor auf detaillierte, kom-plexe Erkl‰rungen der zugrunde liegen-den Mathematik. Vielmehr beschr‰nkensich die mathematischen Ausf¸hrungenauf die Erl‰uterung der grunds‰tzlichenKonzepte, wo sie f¸r das Verst‰ndnis derverwendeten Software notwendig sind.Rauhut verzichtet ebenso auf eine An-leitung zur Bedienung der verschiede-nen Softwarepakete, da er davon aus-geht, dass umfassende Dokumentatio-nen dar¸ber im Internet erh‰ltlich sind.

Im ersten und zugleich umfangreichs-ten Kapitel πSequenzen™ werden zuerstverschiedene ˆffentliche Sequenzdaten-banken f¸r DNA- und Proteinsequenzenvorgestellt. Ein Schwerpunkt liegt aufder Beschreibung von Alignments, alsodem Vergleich verschiedener Sequenzenund der Ermittlung ihrer æhnlichkeit.Dieses Thema verdient besondere Auf-merksamkeit, da Alignments die Grund-lage von Programmen wie BLAST sind,mit denen Sequenzdatenbanken nachidentischen oder ‰hnlichen Sequenzenzu einer gegebenen Sequenz durchsuchtwerden kˆnnen. Die Erkl‰rung der zu-grunde liegenden Algorithmen wird ins-besondere dem durchschnittlichen An-wender, der sich bislang nicht um diemathematischen Grundlagen gescherthat, zahlreiche neue Einsichten liefern.Im folgenden Abschnitt wird die An-wendung der BLAST-Programme ge-nauer besprochen. Wer bislang nur dieStandardfunktionen dieser Programmegenutzt hat, findet eine F¸lle wertvollerHinweise zu den zahlreichen Programm-funktionen und -optionen, die eine we-sentlich bessere Erfolgsquote bei derDatenbanksuche ermˆglichen.

Mit der Anwendung von Markov-Modellen zur Identifizierung von Genenund als Methode zur Erstellung multip-ler Alignments unter Ber¸cksichtigungvon Proteinstrukturen wird der ‹ber-gang zum zweiten Kapitel πStrukturen™geschaffen. Ausgehend von den Grund-lagen der Proteinfaltung werden ver-schiedene Systeme zur Strukturvorher-sage von Proteinen und RNA sowie die


Recommended