DIPLOMARBEIT
Titel der Diplomarbeit
Edzard Schaper als Übersetzer und Vermittler finnischer Literatur im deutschsprachigen Raum
Verfasserin
Stina Harttila, Bakk.phil.
angestrebter akademischer Grad
Magistra der Philosophie (Mag.phil.)
Wien, Jänner 2013
Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 394
Studienrichtung lt. Studienblatt: Diplomstudium Skandinavistik
Betreuer: o. Univ.-Prof. Dr. Sven Hakon Rossel
Danksagung
Es gibt viele Personen, ohne die diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre.
Allen voran gilt mein größter Dank o. Univ.-Prof. Dr. Sven Hakon Rossel für die
hervorragende Betreuung dieser Arbeit. Besonderer Dank richtet sich auch an Mag.
Anja-Leena Holtari, deren wertvolle Inputs hoch geschätzt werden. Weiters sei an
dieser Stelle Dr. Gabriel Imboden vom Edzard Schaper Archiv in Brig/Schweiz
erwähnt, für dessen Hilfe im Zuge der Recherche ich sehr dankbar bin.
Auch die Unterstützung, die ich während dieser Arbeit aus dem privaten Bereich
erhalten habe, ist unglaublich. Herzlichsten Dank verdient hier mein Verlobter, der
mir während der gesamten Arbeit, auch in schwierigen Phasen, zur Seite stand und
auch wertvolles inhaltliches Feedback beisteuerte.
Ohne die Unterstützung meiner Eltern wäre es nicht möglich gewesen, mich derart in
die Materie zu vertiefen. Hierfür bin ich ihnen unendlich dankbar.
Außerdem möchte ich noch allen Verwandten, Freunden sowie meinem Arbeitgeber
und meinen Arbeitskollegen danken, die mich auf dem Weg begleitet und mir
Rückhalt gegeben haben.
a
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ b
Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... c
Anmerkungen ...................................................................................................................... d
1 Einleitung ...................................................................................................................... 1
2 Edzard Schapers Biographie ........................................................................................ 3
2.1 Allgemeine Biographie .......................................................................................... 3
2.2 Edzard Schaper in Finnland ................................................................................. 12
2.3 Edzard Schaper als Prosaautor ............................................................................ 20
3 Zur allgemeinen Übersetzungstheorie ...................................................................... 25
4 Edzard Schaper als Übersetzer .................................................................................. 37
4.1 Edzard Schaper als Übersetzer von Pär Lagerkvist ............................................ 40
4.2 Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää................................ 43
5 Pär Lagerkvist ............................................................................................................. 45
5.1 Über den Autor .................................................................................................... 45
5.2 Gäst hos verkligheten / Gast bei der Wirklichkeit ............................................... 46
5.3 Barabbas ............................................................................................................... 59
6 Frans Eemil Sillanpää ................................................................................................. 67
6.1 Über den Autor .................................................................................................... 67
6.2 Elämä ja aurinko / Die Sonne des Lebens ............................................................ 70
6.3 Hurskas kurjuus / Das fromme Elend ................................................................. 83
7 Sally Salminen ............................................................................................................ 92
7.1 Über die Autorin .................................................................................................. 92
7.2 Katrina .................................................................................................................. 93
8 Aleksis Kivi ................................................................................................................ 100
8.1 Über den Autor ................................................................................................... 100
8.2 Seitsemän veljestä / Die sieben Brüder ................................................................101
9 Conclusio .................................................................................................................... 111
Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 114
Primärquellen .................................................................................................................114
Sekundärquellen ............................................................................................................ 115
Archivquellen ................................................................................................................ 119
Sonstige Quellen ............................................................................................................ 121
Anhang .............................................................................................................................. 122
Abstract (Deutsche Version) ........................................................................................ 122
Abstract (Schwedische Version) .................................................................................. 127
Lebenslauf ..................................................................................................................... 132
b
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zweisprachiges Kommunikationsmodell ..................................................... 31
Abbildung 2: Übersetzungsprozeduren ............................................................................ 32
c
Abkürzungsverzeichnis
AG Aktiengesellschaft
Anm. Anmerkung
AT Ausgangstext
bzw. beziehungsweise
ca. circa
Co Company
d. h. das heißt
dt. deutsch
dä. dänisch
ebd. ebendort
engl. englisch
ff. folgende
Gebr. Gebrüder
GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung
Hrsg. Herausgeber
http Hypertext Transfer Protocol
NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei
S. Seite
schw. schwedisch
sic! sic ("wirklich so")
u. a. unter anderem
URL Uniform Resource Locator
USA Vereinigte Staaten von Amerika
ÜW Übersetzungswissenschaft
v. a. vor allem
v. Chr. vor Christus
Vgl. vergleiche
www World Wide Web
z. B. zum Beispiel
ZT Zieltext
d
Anmerkungen
Allgemein getätigte Aussagen und Beschreibungen von geschlechtsbezogenen
Substantiven werden jeweils nur in ihrer männlichen Form angeführt (z. B. „der
Leser“). Dies dient ausschließlich dem flüssigeren Lesefluss. Die getätigten Aussagen
treffen auf beide Geschlechter zu, sofern aus dem Kontext kein eindeutiges Genus
erkennbar ist.
Übliche Abkürzungen wie „z. B.“ oder „bzw.“ werden auch in dieser Arbeit als solche
verwendet. Eine Auflistung der angewandten Abkürzungen findet sich im
Abkürzungsverzeichnis.
1
1 Einleitung
Der Schriftsteller und Übersetzer Edzard Schaper, der ein äußerst
abwechslungsreiches Leben führte, ist größtenteils in Vergessenheit geraten. Trotz
seines immensen Schaffensbereichs und seiner vielen Übersetzungen, ist er heute
vielen Literaturwissenschaftlern, auch Germanisten, kaum ein Begriff.
Ziel dieser Arbeit ist es auf die Übersetzungen Edzard Schapers zu fokusieren und
diese vor allem auf Korrektheit, Gründlichkeit und Genauigkeit zu überprüfen sowie
zu analysieren, welche Stimmung und Emotionen Schaper in welcher Form
übermittelt. Es gilt daher die Frage zu beantworten, ob Schapers Übersetzungen als
korrekt und künstlerisch gelungen zu beurteilen sind, bzw. ob sie als gerechte
Botschafter der Originalwerke für eine deutschsprachige Leserschaft gesehen werden
können.
In der vorliegenden Arbeit wird zunächst ein biographischer Überblick über Schapers
Leben gegeben, da dessen Verlauf maßgeblich dazu beitrug, wie und was Schaper
übersetzte. Ohne diese Hintergrundinformationen ist ein ganzheitliches Verständnis
seines Schaffens nicht möglich.
Im zweiten Teil der Arbeit werden übersetzungstheoretische Grundbegriffe und Ideen
behandelt, um eine fundierte Basis für die darauffolgenden Analysen der sechs
Romane von vier verschiedenen Autoren zu schaffen.
Die im Hauptteil der Arbeit analysierten Werke sind die folgenden: Elämä ja aurinko
(1916) (Sonne des Lebens (1951)) und Hurskas kurjuus (1919) (Das fromme Elend (1948)
bzw. Sterben und Auferstehen (1956)) von Frans Eemil Sillanpää; Seitsemän veljestä
(1870) (Die sieben Brüder (1950)) von Aleksis Kivi; Katrina (1936) (Katrina (1949)) der
Autorin Sally Salminen sowie Gäst hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit
(1952)) und Barabbas (1950) (Barabbas (1950)) von Pär Lagerkvist.
2
Die Werke der bekannten Autoren Frans Eemil Sillanpää, einziger finnischer
Nobelpreisträger der Literatur, Aleksis Kivi, Autor des ersten finnischsprachigen
Romans überhaupt, und Sally Salminen, bekannteste Autorin der Ålandinseln, wurden
aufgrund ihres besonderen Status‘ in der finnischen Literatur gewählt. Zum Vergleich
zur schwedischen Sprache, die Sally Salminen verwendet, wurde zusätzlich der
schwedische Nobelpreisträger der Literatur, Pär Lagerkvist, in die Analyse
miteinbezogen.
Die aus diesen Werken ausgewählten Textpassagen, bestehend aus dem Ausgangstext
(Zitat aus der Originalsprache) und dem Zieltext (Zitat aus Schapers Übersetzung),
sollen einen repräsentativen Überblick des jeweiligen Werkes geben und wurden
anhand unterschiedlicher Kriterien ausgewählt. Von jedem beschriebenen Roman
wurden, unabhängig vom Inhalt, die drei ersten und letzten Zeilen berücksichtigt, um
die Objektivität und Einheitlichkeit der Übersetzungskritiken zu gewährleisten.
Die zitierten Texte wurden auf Besonderheiten, sowohl in linguistischer als auch
kulturwissenschaftlicher Hinsicht, überprüft und verglichen. Anhand der vorliegenden
Informationen wurde ferner versucht, die Entstehung eventueller Missinterpretationen
zu rekonstruieren bzw. Verbesserungsvorschläge zu präsentieren.
3
2 Edzard Schapers Biographie
2.1 Allgemeine Biographie
Ernst Edzard Helmut Schaper wurde am 30. September 1908 in Ostrowo, damaliges
Preußen, heutiges Polen, geboren. Sein Vater war ein deutscher Offizier aus der
Gegend von Hannover, seine Mutter stammte aus Ostfriesland. Die Vorfahren
Schapers waren beweglich, schon zu Reformationszeiten setzte sich ein Teil der
Familie in Estland zur Ruhe, um etwas später wieder zurück nach Deutschland zu
kehren. Sein Vater war einer der letzten, dessen Familie noch eine Mühle in der Nähe
von Hannover betrieb. Vielleicht verspürte Schaper unterbewusst das Erbe seiner
mobilen Ahnen und wurde deshalb über viele Stationen ein Weltbürger.1
Die ersten Jahre Schapers prägten ihn sehr, von der Atmosphäre Ostrowos behauptete
er, dass diese ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr verließ. Ein ruhiges
kleinbürgerliches Leben, mit ersten Eindrücken von Vielfältigkeit durch die deutschen
und polnischen Spielkameraden, wurde vom großen Ereignis im Leben des jungen
fünfjährigen Edzard Schapers, dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, verändert.2
Diesen erlebte er besonders nahe und intensiv dadurch, dass Ostrowo eine Grenzstadt
war und Konflikte immer am stärksten in Grenzgebieten brodeln. So beschreibt
Schaper das Erlebnis, welches sein Leben und das von ganz Europa drastisch
verändern würde:
Ich erinnere mich, dass der Tag der allgemeinen Mobilmachung ein Tag
war, an dem ein großer Jahrmarkt gehalten wurde. In Grenzgebieten wie
dort fluten dann von Osten und Westen die Bauern, die Pferdehändler, die
Zigeuner, die Juden von hüben und drüben zusammen. (…) Ich erinnere
mich jenes Radfahrers (…) der auf einer Trompete Signale blies und die
Mobilmachung verkündete. Dramatische und theatralische Eröffnung eines
1 Vgl. Schaper, 1952 (Archiv) 2 Vgl. Schaper, 1968 (Archiv)
4
Krieges, wie man sie sich heute im Zeitalter des Fernschreibers kaum mehr
vorzustellen vermag, von einer Bildhaftigkeit, die sich einem Kind
selbstverständlich stark einprägt.3
Während des Krieges erlebte und sah Schaper vieles, was kaum für einen kleinen
Jungen geeignet, wohl aber von großem Reiz ist, wie z. B. Lazarette und Schießstätten.
Nach dem Ersten Weltkrieg flüchtete die Familie nach Glogau, eine historische
polnische Stadt, die nun in Preußen lag und die sie nach zwei Jahren wegen der
gesundheitlichen Probleme und Anpassungsschwierigkeiten des Vaters mit der neuen
Zeit wieder verlassen mussten. Das Thema eines Offiziers, der seinen Platz in der
neuen Welt nach dem Ersten Weltkrieg nicht findet, wiederholt sich oft in Schapers
Erzählungen und beruht auf diesen Kindheitserinnerungen.
Im Jahr 1922, als Edzard Schaper vierzehn Jahre alt war, zog die Familie nach
Hannover. Dort besuchte Schaper neben dem Gymnasium auch das
Musikkonservatorium mit der Absicht, Musiker zu werden.4 Dieses außerakademische
Interesse finanzierte er sich selbst, indem er jüngeren Schülern Nachhilfeunterricht
gab, obwohl er diese Aufgabe als Zeitverschwendung mit „Dummen“ ansah. Einen
Zeichenlehrer, der versuchte ihn hiervon abzuhalten, stieß Schaper die Treppe hinab,
da dies laut ihm die einzige Verständigungsweise war.5
Schon damals kam Schaper in Berührung mit skandinavischen Schriftstellern, da er
seine Melancholie mit entsprechender düsterer Lektüre, vor allem des schwedischen
Dramatikers August Strindberg (1849-1912), nährte. Als Schaper an der Hochschule
Hannover für geisteswissenschaftliche Fächer zugelassen wurde, stieg der Druck auf
den jungen Student bis zu dem Punkt, wo er wegen kompletter Überarbeitung in ein
Sanatorium eingewiesen wurde. Das Interesse für Musik, das Schaper für sich in
Glogau durch Robert Schumanns (1810-1856) Oratorium Das Paradies und die Peri
(1843) entdeckte, wich nach der Genesung dem des Theaters. Er wurde Schauspieler
und Regisseur in Herford und Minden, bis er als Regieassistent der Oper am
3 Schaper, 1956b, S. 23 4 Vgl. ebd. S. 3 5 Vgl. Schaper, 1968, S. 4 (Archiv)
5
Württembergischen Landestheater Stuttgart und bei verschiedenen sonstigen Arbeiten
in der Kunstszene zu schreiben begann.6 Nach den ersten schriftstellerischen Erfolgen
mit den Romanen Der letzte Gast (1927) und Die Bekenntnisse des Försters Patrick
Doyle (1928), folgte der Entschluss, Stuttgart zu verlassen und in die Bretagne zu
ziehen: „(…) ich merke: heute abend oder nie, – packe die Koffer, zahle die
Rechnungen, verlasse im Laufe von zwei, drei Stunden Stuttgart.“7
Die Beschreibung Schapers von dem plötzlichen Aufbruch spiegelt seine fehlende
Sesshaftigkeit wider, welche zu einem immer wiederkehrenden Thema in seinem
Leben wurde. Im Reisebüro entschied er sich in letzter Minute, die Fahrkarten waren
schon ausgestellt, anders: er wollte anstatt in die Bretagne auf die dänische Insel
Christiansø in der Inselgruppe Ertholmene, von der nicht bekannt war, ob sie bewohnt
sei. Auf dieser, von Fischern bewohnten Insel, wo König Christian IV eine Festung zur
Verteidigung gegen die Schweden im 17. Jahrhundert errichtet hatte, lebte Schaper
nahezu drei Jahre von 1927-1929. Nach den Erfolgen seiner ersten beiden Romane,
erhielt er ein monatliches Honorar vom Verlag, das seine Existenz sicherte.8
In der Ruhe der dänischen Insel gelang es Schaper, an seinem biographischen Roman
über den Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759) weiterzuarbeiten. Mit
seiner Arbeit unzufrieden und mit großem Zeitdruck seitens des Verlags konfrontiert,
entzog sich Schaper des Projektes. Der Anfang dieses unvollendeten Werkes wurde zu
Schapers Lebzeiten auf seinen Wunsch nie veröffentlicht und es verließ ihn gar der
Mut, überhaupt als Schriftsteller wirken zu können. Es folgten drei Monate als
Gärtnerlehrling, nach denen Schaper auf einem Fischdampfer anheuerte. Die
Erzählung Weltuntergang auf Dagö (1934) basiert auf seinen eigenen Erfahrungen auf
dem Fischdampfer „F.C. Krogman“. Schaper selbst beschreibt die Zeit, in der er in den
kältesten Wässern Europas unterwegs war, mit den Worten: „Sehr traurige, harte
Zeit.“9
6 Vgl. Besch, 1968, S. 3 ff. (Archiv) 7 Schaper, 1952, S. 4 (Archiv) 8 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv) 9 Schaper, 1952, S. 4 (Archiv)
6
Auf einer der Seefahrten mit dem Fischdampfer entlang der Küste Nordnorwegens,
fasste Schaper den Entschluss, hierhin, nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses
auf dem Schiff, zurückzukehren. Seine Pläne wurden jedoch von der Deutschbaltin
Alice Pergelbaum (1905-1991) durchkreuzt. Er lernte sie in Berlin kennen, als sie auf
ihrer Reise durch Europa bei gemeinsamen Freunden einige Tage Halt machte und er
seinen Koffer für die lange Reise nach Norwegen aus der Wohnung der Freunde holen
wollte. Schaper war von der jungen Dame so begeistert, dass er dieser keine 24
Stunden nach dem Kennenlernen einen Heiratsantrag machte. Diese Ehe sollte den
Rest seines Lebens halten.10 Mit ihr reiste er nach Tallinn, Estland, heiratete sie im Mai
1932 und fühlte sich dort Zuhause. Dies lässt sich besonders in der folgenden
Formulierung zur Beschreibung der neuen Heimat erkennen: „(…) eine meiner
‚Heimat‘ im herkömmlichen Sinne täuschend ähnliche Welt.“11
Bereits in Estland zeigte sich eine Sonderheit in Edzard Schapers Arbeitsweise, die ihn
den Rest seines Lebens begleiten würde. Er konnte in der Nähe seiner Frau und später
seiner Familie seine Werke nie schreiben, sondern benötigte immer seinen eigenen
Arbeitsplatz, ein abgelegenes Zimmer oder eine eigene Wohnung. So wohnte er zwar
in mit seiner Frau in Tallinn, verbrachte aber die meiste Zeit in seinen
„Arbeitswohnungen“ in Baltiski Port und später in Habsalu. Zeitweise hatte er auch
einen Arbeitsplatz in Tallinn; interessanterweise war dieser im ehemaligen Haus des
deutschen Barocklyrikers Paul Fleming (1609-1640).12
1936 folgte ein dramatisches Ereignis, als sich Schaper bei einer Vorlesungsreise nach
Deutschland in Waldenburg in Schlesien mit der Gestapo zerstritt. Dies hatte zur
Folge, dass Schapers Bücher nicht mehr für Bibliotheken angekauft werden durften
und dass er auch in Tallinn von der NSDAP verfolgt wurde.13
10 Vgl. Schaper, 1968, S. 7 (Archiv) 11 Schaper, 1968, S. 86 12 Vgl. Schaper, 1968, S. 9 (Archiv) 13 Vgl. Schaper, 1952, S. 5 (Archiv)
7
Die Bolschewiken besetzten im Jahre 1939 Edzard Schapers Haus in Hapsal, im
Nordwesten Estlands, und glaubten dabei, sie wären auf die Zentrale der Sowjetgegner
gestoßen. Im Arbeitszimmer von Schaper war eine große Anzahl von Landkarten
gelagert, jedoch keine modernen, sondern aus dem Jahr 1789, die als Quelle für sein
damaliges Werk14 dienten.15
1939 lehnte Schaper seinerseits die Umsiedlung der Deutschbalten ab, aus Solidarität
den baltischen Staaten gegenüber und als Kritik an der Umsiedlungspolitik der
Sowjetunion und Nazideutschlands, und blieb somit in Estland, als die sowjetischen
Truppen einmarschierten:
Ich habe die von der nationalsozialistisch-deutschen Politik wie von der
russischen Militär- und Polizeigewalt eingeleitete Vernichtung der
baltischen Staaten und Polens ebenso abgelehnt, wie ich die tragische
Umsiedlung, ja, sagen wir doch ruhig: Austreibung der baltischen
Deutschen und ihre Ansiedlung in den eroberten Provinzen West- und
Ostpolens für mich abgelehnt habe.16
Auch nach seiner Flucht nach Finnland blieb Edzard Schaper mit Estland stark
verbunden (siehe Kapitel 2.2) und er setzte sich dafür ein, die Lage der baltischen
Länder im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. In seiner Reiseschilderung
Finnisches Tagebuch (1951) beschrieb er den Augenblick, als er nach dem Zweiten
Weltkrieg wieder auf die estnische Küste blicken konnte mit äußerst gefühlvollen
Worten: „Man hört sein Herz bis in den Hals hinauf schlagen, lebt zwiegeteilt nur
noch mit und in den Augen… Feierlich und traurig, dieses halb verwehrte
Wiedersehen… Estland [kursiv im Original] ragt aus dem Horizont an Steuerbord.“17
14 Anm.: Aus den Unterlagen geht nicht hervor, um welches Werk es sich handelt, jedoch kann angenommen werden, dass vom Roman Der Gouverneur oder Der glückselige Schuldner (1954) die Rede ist. Einerseits spielt die Handlung des Romans im Estland des 18. Jahrhunderts und andererseits ist bekannt, dass Schaper bereits im Jahr 1939 an besagtem Werk schrieb, obwohl dieses erst 1954 erschien. 15 Vgl. Besch, 1968, S. 9 (Archiv) 16 Schaper, 1956b, S. 33 17 Schaper, 1951, S. 16
8
Es ist eindeutig, wie sehr sich Schaper nach diesem Land sehnte und welch bittersüßes
Glücksgefühl ihn erfüllte, als er wieder auf das geliebte Land blickte, wohlwissend, dass
dieses nun hinter dem Eisernen Vorhang verborgen blieb.18
1944 musste Schaper mit seiner Familie zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren
flüchten. Aufgrund des Waffenstillstandes zwischen Finnland und der Sowjetunion,
der zu seiner Auslieferung geführt hätte, war er gezwungen, nach Schweden zu ziehen.
Während Schaper in Estland und Finnland seine Heimat zu finden glaubte, fühlte er
sich in Schweden nicht zuhause. Er wurde vom schwedischen Geheimdienst der
Spionage verdächtigt, kurioserweise sogar für die Sowjets, dann wieder für die
Deutschen. Schaper litt sehr unter diesem Verdacht. Am bezeichnendsten für die Jahre
in Schweden ist sicherlich, dass Schaper in der Zeit keine Werke verfasste. Sonst so
produktiv, verließen ihn dort die Kraft und der Wille zum Schreiben.19
Obwohl er keine direkte Kritik am Land ausübte oder sein Unwohl ausdrückte, erhält
man den Eindruck, dass Schweden, anders als Estland und Finnland, keinen Platz in
Schapers Herz erobern konnte:
Estland verließ ich nicht freiwillig, Finnland verließ ich nicht freiwillig;
Schweden verließ ich, nachdem ich mich jahrelang als Waldarbeiter,
Übersetzer und als Mitarbeiter in der schwedischen Nachkriegshilfe
durchgebracht hatte.20
Schicksalshaft waren die Umstände, die Schaper in die Schweiz lotsten. Durch einen
Zufall erfuhr der bekannte Literaturwissenschaftler und Germanist Max Wehrli (1909-
1998), dass der von ihm so geschätzte Schriftsteller Edzard Schaper nicht wie
angenommen tot war, sondern in Schweden lebte. Ein Student, der die
Lehrveranstaltung des finnischen Professors Rolf Nevanlinna (1895-1980) an der
Universität Zürich besuchte und bei Nevanlinna einen an Schaper adressierten Brief
bemerkte, informierte umgehend seinen Germanistikprofessor Wehrli. Wehrli schickte
18 Vgl. Schaper, 1950, S. 49 (Sonstige) 19 Vgl. Schaper, 1952 (Archiv) 20 Schaper, 1956b, S. 35
9
daraufhin unverzüglich eine Einladung, in die Schweiz zu ziehen, an Schaper, der
dieser folgte:21 „Es war so schön, wie es auf den Postkarten ist und auch in der
Wirklichkeit ist.“22 In der Schweiz angekommen, wurde er von der Fremdenpolizei
gründlich überprüft, wobei diese Überprüfung lediglich aus dem Bestätigen der der
Fremdenpolizei schon vorhanden Fakten bestand. In Zürich wurde er zu Detektiv
Meier IV23 zur Befragung eingeladen. Schaper beantwortete die ihm gestellten Fragen,
erzählte über sein bisheriges Leben und merkte plötzlich, dass der Detektiv
anscheinend schon alles über ihn wusste.
Tatsächlich hatte der Detektiv in einem Schuhkarton die Fakten von Schapers Leben
gesammelt, in der festen Überzeugung, dieser würde auch einmal seinen Weg in die
Schweiz finden:
Lieber Herr, wenn das alles, was Sie mir hier eben erzählt haben, wahr ist
(und die Wahrheit wußte Detektiv Meier IV ja aus seinem Schuhkarton!),
dann gehen Sie in Frieden hin; in unserem Lande wird Ihnen nichts Böses
geschehen.24
Nach dem Umzug 1947 in die Schweiz gehörten jene Lebensjahre Edzard Schapers, die
von Flucht gezeichnet waren, der Vergangenheit an. Er hatte nun endlich jenes Land
gefunden, das seine endgültige und letzte Heimat werden sollte. Er war nicht mehr
gezwungen in ein anderes Land zu flüchten, doch ganz sesshaft wurde er dennoch
nicht – er zog mehrmals innerhalb der Schweiz um. Seine Lust zur Abwechslung
beschreibt Schaper selbst wie folgt:
Ich habe manche Stadt und manches Land in meinem Leben unvermittelt
verlassen, so wie ich unvermittelt hingekommen war, ohne dass ich einen
Grund für solch einen jähen Szenenwechsel angeben könnte. Vielleicht bin
21 Vgl. Imboden, 2000, S. 36 22 Schaper, 1968, S. 11 (Archiv) 23 Anm.: Zu dieser Zeit gab es bei der Züricher Fremdenpolizei mehrere Detektive mit dem Nachnamen Meier, der Einfachheit halber wurde diesen Nummern zugewiesen. (Information laut Dr. Gabriel Imboden, Präsident der Edzard Schaper Stiftung in Brig, Schweiz) 24 Besch, 1968, S. 73
10
ich mitunter einem geheimen Triebe gefolgt, der sich aber immer als der
richtige erwiesen hat.25
Gewiss konnte Edzard Schaper in der Schweiz die Ruhe und Sicherheit finden, die in
seinem von Umzügen gekennzeichneten Leben gefehlt hatten, dennoch vermisste er
das Gefühl einer Gemeinschaft, einer seelischen Heimat. Schaper selbst beschreibt sein
Verhältnis zur Religion und Kirche als immer stärker werdend. Wer keine Heimat auf
Erden hat, brauchte vermehrt einen Halt in einer anderen Welt. Schaper war als
Lutheraner geboren, dennoch hatte er viele Jahre lang die Orthodoxe Kirche aus der
Nähe betrachten können. Sie spielt auch in seinen Werken, wie z. B. Die sterbende
Kirche (1936), eine große Rolle. Erst in der Schweiz angekommen, spürte er die Kälte
der calvinistischen und zwinglianischen Kirche, welche ihn schließlich der
katholischen Kirche beitreten ließ.26 Trotz des Naheverhältnisses zur Kirche und vielen
verschiedenen Religionen, sah Schaper die Glaubenslehren in seinem Leben mit einem
zwinkernden Auge. Als er seine Schuljahre schilderte, berichtete er „(…) in der
Nachfolge Christi damals schon gestanden zu haben (…) denn ich bekam jeden Freitag
Prügel.“27
Knapp 40 Jahre lang durfte Edzard Schaper nach turbulentem Leben seinen
Lebensabend in der Schweiz, hauptsächlich in der kleinen Gemeinde Brig in Wallis,
verbringen. Am 29. Jänner 1984 verstarb er in Bern im Alter von 76 Jahren. Die
Todesanzeigen huldigten einem fleißigen Autor mit bewegtem Leben, dessen Werk
und Bestrebungen zum Verständnis zwischen Völkern nicht in Vergessenheit geraten
dürfen. So schrieb Werner Ross in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass mit
Schaper als episches Naturtalent der letzte namhafte deutsche Schriftsteller, der seit
den dreißiger Jahren christliche Literatur verkörpert gestorben ist.28
25 Schaper, 1956b, S. 35 26 Vgl. Besch, 1968, S. 18 (Archiv) 27 Ebd. S. 2 28 Vgl. Ross, 1984 (Archiv)
11
In selben Tönen huldigt Ulrich Gut von der Zürichsee-Zeitung Schaper:
Der Verstorbene hinterlässt ein monumentales schriftstellerisches Werk.
Leben und Werk sind bei Schaper untrennbare Einheit (…) Im folgenden
soll denn auch der Biografie und [kursiv im Original] dem Schaffen dieses
titanischen, eigenwilligen und doch so sensiblen Dichters gedacht werden –
Schaper war und bleibt ein grosser Europäer und Christ.29
29 Gut, 1984 (Sonstige)
12
2.2 Edzard Schaper in Finnland
Im August 1940 kam Edzard Schaper mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern nach
Helsinki. Er selbst beschrieb die dramatische Flucht mit folgenden Worten:
Im August 1940, als ich von den sowjetischen Militär- und Zivilstellen
verfolgt wurde und meine nächsten Freunde verhaftet waren, blieb mir
nichts anderes übrig, als mich zwischen 6 Uhr abends und Mitternacht zur
Flucht zu entschließen. Ich kam nach Finnland. Und in Finnland habe ich
dann den ganzen Krieg verbracht.30
Trotz der gelungenen Flucht aus Estland kam Edzard Schaper in Finnland nicht zur
Ruhe. Er folgte weiterhin seinem Drang zu Mobilität (gewiss auch durch die Ereignisse
eines Landes, das sich mitten im Krieg befand). Er wechselte oft den Wohnsitz und
schrieb viel, meist jedoch Kriegsberichte, die vor allem tagesaktuell waren.31 In
Finnland fühlte sich Schaper sichtlich wohl und so beantragte er auch die Finnische
Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie. Nicht nur aus Not gedrungen, sondern
auch aus eigenem Interesse:
Ich bin finnischer Staatsbürger geworden, nicht nur weil der deutsche
Volksgerichtshof mir Leben und Staatsbürgerschaft aberkannt hatte,
sondern aus einer sittlichen Entscheidung, in der ich die finnische Sache zu
der meinen gemacht hatte.32
Im Staatsbürgerschaftsantrag gaben Edzard Schaper und seine Frau Alice zu, nicht die
normalen Bedingungen einer Staatsbürgerschaft zu erfüllen, begründeten den Antrag
jedoch mit den Gegebenheiten in ihrem bisherigen Leben. So hielten sie sich,
besonders Edzard Schaper, viele Jahre im geographischen Raum Finnlands auf.
Nennenswert sind die skandinavischen Länder und Estland, deren Kultur und
30 Schaper, 1956b, S. 35 31 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 139 32 Schaper, 1956, S. 35
13
Verhältnisse Schaper mit seiner Literatur für das deutschsprachige Publikum
bekanntmachen wollte und sich selbst mehr und mehr mit diesen Lebensformen
identifizierte:
Besonders seitdem ich nach Finnland gekommen bin, hat die
Kulturpropaganda für Finnland, welche ich, wie das beigelegte Zeugnis
zeigt, die ganze Zeit ausüben habe müssen, mich an dieses Land gebunden.
Deswegen habe ich mich entschlossen, dauerhaft in Finnland zu bleiben,
um meine Arbeit für dieses Land fortzusetzen. Aus besonderen Gründen
kann ich mich auf diese Arbeit mit vollkommenem Vertrauen nur einlassen,
wenn ich finnischer Staatsbürger bin.33
Aus diesen Zeilen geht die Mentalität hervor, die Edzard Schaper sein Leben lang
begleitete. Einerseits immer auf Flucht und nirgendwo zu Hause, anderseits überall,
wo ihn die Flucht hin verschlug, zu Hause zu sein und die Interessen des Landes
vertretend.
Die Anhänge des Staatsbürgerschaftsantrages enthalten wesentliche Informationen. So
schrieb der Direktor des Verlages Otava, Heikki Reenpää (geboren 1922), der Edzard
Schaper unter Vertrag hatte u. a. für eine Goethe-Biographie, die nie zustande kam,
folgendes:
Auf Wunsch bezeuge ich hiermit, dass der Schriftsteller Edzard Schaper,
den ich seit mehreren Jahren kenne, das gesprochene Schwedisch gut
beherrscht. Frau Alice Schaper beherrscht das gesprochene Schwedisch gut
und das gesprochene Finnisch passabel.34
Bemerkenswert ist, dass Edzard Schaper zu diesem Zeitpunkt (Juli 1944) anscheinend
kein Finnisch konnte. Vier Jahre später, 1948, übersetzte er jedoch Frans Eemil
Sillanpääs Roman Hurskas kurjuus (1919) aus dem Finnischen ins Deutsche mit dem
33 Schaper, 1944 (Archiv) 34 Ebd.
14
Titel Das Fromme Elend (1948). Die Umstände dieser Übersetzung werden im Kapitel
4.2 „Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää“ näher untersucht.
Edzard Schaper erhielt 1944 die finnische Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie
und es schien, als ob die Zeit der Flucht nun endgültig zu Ende wäre. Der
bevorstehende Frieden zwischen Finnland und der Sowjetunion sah jedoch die
Auslieferung der flüchtigen Balten und Deutschen vor und zwang Schaper abermals
dazu, nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen. In seiner Erzählung, Der große,
offenbare Tag (1944), wird diese Flucht geschildert:
Als in den verworrenen Oktober- und Novemberwochen des Jahres 1944
allnächtlich Boote mit Schiffbrüchigen des großen Krieges im Osten den
Bottnischen Meerbusen von Finnland aus gen Westen überquerten, deren
Insassen, in der Mehrzahl Esten, Ingermanländer und einstige Bewohner
von Ostkarelien, nach Schweden übersetzten, um ihrer im
Waffenstillstandsvertrag ausbedungenen Rückkehr zu den alten
Unterdrückern zu entgehen, erhielten wir, die selber nach unserer Landung
wenige Tage zuvor dem Quarantänelager in einer kleinen, uns
spielzeughaft-freundlich anmutenden Stadt des nördlichen Schweden
zugeführt worden waren, an einem regnerischen Novemberabend den
Zuzug einer großen Schar von Männern, Frauen und Kindern jeden Alters,
die erst in den frühen Vormittagsstunden eben dieses Tages nach einer
schweren Überfahrt in sehr gebrechlichen, alten Booten an der nahen Küste
mehr gestrandet als gelandet waren.35
Das Wohlfühlen Edzard Schapers in Finnland trug sicherlich dazu bei, dass er schnell
einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen konnte. Arnulf Otto-Sprunck,
der langjährige Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Helsinki und Schaper-Forscher,
erzählt von den Menschen in Finnland, die sich noch knapp 40 Jahre später an den
Autor erinnern konnten. Das Bild, das er von Schapers in knapp vier Jahren etablierten
35 Schaper, 1966, S. 7
15
Bekanntenkreis zeichnet, ist beachtlich. Hier finden sich sowohl ein Priester, eine
Sekretärin, ein Verleger, eine polnische Adelige, eine baltendeutsche Lehrerin und eine
finnische Übersetzerin wieder. Es ist bemerkenswert, wie vielseitig diese Gruppe von
den Berufen, aber auch von den Geschlechtern her ist. Dies unterstreicht Edzard
Schapers großes Interesse an seinen Mitmenschen und die Anpassung, die ihm fast
überall gelang.36
In seinem Werk, Finnisches Tagebuch, geht auch hervor, wie viele Kontakte er
während seinen knapp fünf Jahren in Finnland geschlossen haben muss. Innerhalb von
zwei Wochen traf er eine Vielzahl an alten Weggefährten, so viele, dass man sich kaum
vorstellen kann, wie es ihm gelang, in so kurzer Zeit so viele Freundschaften
aufzubauen. Besonders Rolf Nevanlinna, der wohl berühmteste finnische
Mathematiker, spielte im Leben von Edzard Schaper eine bedeutende Rolle. So
ermöglichten der Zufall oder das Schicksal, dass ein tot geglaubter Edzard Schaper
mithilfe dieses finnischen Freundes jenes Land, nämlich die Schweiz, fand, in dem er
bis zu seinem Tod sesshaft blieb.37
Edzard Schapers Verbindung zu Finnland währte sein Leben lang. Von diesem
besonderen Verhältnis zeugen die vielen Textstücke und Vorträge (u. a. zum Tod des
ehemaligen finnischen Präsidenten und Oberbefehlshabers Marshall Carl Gustav
Mannerheim (1867-1951)), die Schaper als Finnlandkenner und Finnlandfreund
verfasste.38 Die Reiseschilderung in Buchform Finnisches Tagebuch, welches 1951
erschien und zuvor in verkürzter Fassung als Reisebericht in der Zeitschrift Atlantis
Völker / Länder / Reisen (XXII. Jahr Heft 2) abgedruckt wurde, zählt ebenso zu den
bedeutenden finnlandaffinen Werken Schapers.
36 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 136 37 Vgl. Imboden, 2000, S. 36 38 Vgl. Schaper, 1952, S. 43
16
Edzard Schapers Finnisches Tagebuch
Das 1951 beim Verlag Arche erschienene Werk Finnisches Tagebuch ist ohne Zweifel
eine der wichtigsten Quellen, wenn man sich mit dem Finnland-Bild, das von Edzard
Schaper vermittelt wurde, beschäftigt. In dieser Reiseschilderung in Tagebuch-Form
hielt Schaper seine Eindrücke von der ersten Reise zurück nach Finnland, nachdem er
das Land fünf Jahre vorher fluchtartig verlassen musste, fest.
Bezeichnend für die Zeit in der Schaper auf Reisen war, ist die Omnipräsenz der
Sowjetunion. Auf der Reise mit dem Schiff „Ariadne“ von Kopenhagen nach Helsinki
sinnierte er über die Änderungen, die rund um die Ostsee in den vergangenen Jahren
stattfanden. Seiner Meinung nach ist die Ostsee geschrumpft und man könnte meinen,
es gäbe nur das nördliche Ufer (Finnland und Schweden) und dass alles, was hinter
dem Eisernen Vorhang liegt, eigentlich nicht mehr existierte.39
Edzard Schaper zeigte sowohl in seiner Haltung zu Beginn des Krieges, die schließlich
zur Flucht nach Finnland führte, als auch in seinem späteren schriftstellerischen
Schaffen deutlich, dass seine Sympathien auf der Seite der Balten lagen. Dies wird im
Finnisches Tagebuch mehrmals unterstrichen. Besonders bildlich ist die Bewunderung
Schapers für den finnischen Botschafter, den er noch in Estland kennenlernte. Damals
beeindruckte der Diplomat den jungen Schaper tief, als er sich bei einer Sitzung des
Parlaments beim Zuhören der Stalin-Hymne nicht erhob.
Er erklärte dieses Verhalten, welches in der Diplomatenloge einmalig war, mit dem
trockenen und korrekten Argument „die Stalin-Hymne sei keine Staatshymne, sondern
ein Lied auf eine Person.“40 Diese Art von stillem Protest passt sehr gut zur finnischen
Mentalität. Man will sich nicht unterdrücken lassen, möchte seine Meinung zeigen,
achtet dennoch auf Höflichkeit und möchte nie respektlos sein. Von dieser Haltung
zeugt auch folgendes Zitat Schapers in Bezug auf die Sowjetunion: „Der ‚Nachbar‘ ist,
wie mir auffällt, eine stets höflich erwähnte Selbstverständlichkeit.“41
39 Vgl. Schaper, 1951, S. 10 40 Vgl. ebd. S. 11 ff. 41 Ebd. S. 18
17
Finnland ohne Sauna wäre wohl kaum vorstellbar und so war für Edzard Schaper die
richtige Heimkehr nach Finnland die „Badstube draussen auf der Schäre vor
Kaivopuisto-Brunnsparken und der wieder und wieder getane Sprung ins salzige
Wasser.“42 Dieser kleine, heiße Raum in dem in Finnland früher geboren und
gestorben wurde, wo wichtige Verträge beschlossen wurden und welcher noch
heutzutage einen großen Stellenwert hat, inspirierte auch Schaper zu regelrecht
träumerischen Aussagen:
Herbstliche Badstube! Dunkelnder, gilbender Wald, schwärender Geruch
nach faulendem Laub und nach Pilzen, der aufsteigt, Stille und die
Mondsichel im gläsern-kühlen, grünlichen Himmel. Gespräche, die wie
Winterbäche dahinmurmeln, Freundschaft ohne alles Dazutun. Das sind
die besten Augenblicke des Lebens.43
In seinem Reisebericht schilderte Schaper auch seine Erwartungen und Vorstellungen
dem Land gegenüber, das so schwer vom Krieg gezeichnet war. Er las in einer Zürcher
Tageszeitung, die von Schaper in seiner Schilderung nicht namentlich erwähnt wird,
kurz vor seinem Reiseantritt, dass sich Finnland in einem Streik befindet und er
musste, wie so oft in der Vergangenheit, feststellen, welch Unterschied zwischen dem
gedruckten Wort und der Realität bestand.
Besonders während seines Aufenthaltes in Schweden beobachtete Schaper, dass die
Nachrichten über Finnland meist nur teilweise mit der Wahrheit übereinstimmten
und so war es seine logische Schlussfolgerung, dass ein noch viel entfernteres Land wie
die Schweiz keine korrekte Informationen weitergeben könnte.44
Obwohl sich Edzard Schaper nicht erwartete, ein Land mitten im „blutigen, roten
Streikterror“45 zu finden, malte er sich dennoch ein Bild von einem Land, das im Krieg
herbe Verluste erlitten hatte und nun dabei war, sich langsam wieder auf die Beine zu
stellen. „In der Tat ist die Entwicklung der vergangenen fünf Jahre beinahe
42 Schaper, 1951, S. 20 43 Ebd. S. 61 44 Vgl. ebd S. 20 ff. 45 Ebd. S. 20
18
traumhaft.“46 Mit diesen Worten schildert Schaper seine große Verwunderung über
und Bewunderung für den Wiederaufbau Finnlands nach dem Krieg. Die zahlreichen
Kriegsinvaliden, die Schaper sich auf den Straßen erwartete, waren in Heimen und
Rehabilitationszentren untergebracht.47
Beschränkt sich denn nun Finnland auf ein Land über dessen Kriegsbewältigung und
Saunas man berichten kann? Gewiss nicht, die kulturelle Aktivität scheint bei Schaper
auch große Bewunderung zu wecken:
Es fällt mir im Vergleich mit schweizerischen Konzertsälen das viel jüngere
Publikum auf, und wie anders, wieviel gespannter es zuhört. (…) Seltsam,
sich vorzustellen, dass ausgerechnet die Finnen wahrscheinlich das
theaterversessenste Volk Europas sind: sie, die so sparsam in der
alltäglichen Mimik und im Gebärdenspiel sind.48
Einen großen Anteil am Weiterleben der Kultur in ökonomisch schwierigen Zeiten hat
der Staat, stellte Schaper fest. Er bewunderte auch die Tatsache, welch großer Anteil
aus dem Budget weiterhin dem Theater und der Kultur zufloss.49
Schapers Besuch ereignete sich zu einer Zeit der Wandlung. Man überstand nicht nur
den Krieg zu einem hohen Preis und mit langfristigen Folgen, und fing an, sich dem
Leben auf diese neue Art anzupassen, sondern es stand auch ein Großereignis vor der
Tür: die Olympischen Spiele 1952. Edzard Schaper fragte den Präsidenten des
Organisationskomitees Erik von Frenckell (1887-1977), welche Platzierungen er sich für
das Gastgeberland erhoffte, worauf die Antwort: „Auf den 1. Preis in gutem
Benehmen“50 lautete.
In der Reiseschilderung Schapers ist auffallend, welch großen Respekt er vor der
Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit der Finnen hatte. Immer wieder hob er diese
Charakterzüge überraschenderweise hervor, was möglicherweise auf die Christlichkeit
46 Schaper, 1951, S. 23 47 Vgl. ebd. S. 25 48 Ebd. S. 30 49 Vgl. ebd. S. 53 50 Ebd. S.58
19
und den Humanismus Schapers zurückzuführen ist. Zusammenfassend schilderte
Schaper die Charakterzüge der Finnen anhand des Beispiels des großen
Nationaldichters Elias Lönnrot (1802-1884):
In Elias Lönnrots menschlich so anziehender wie geistig bedeutender
Persönlichkeit sind Hauptwesensmale des finnischen Menschen verkörpert:
die Anspruchslosigkeit, die Bescheidenheit, das Dienen, Dienen und
abermals Dienen. Hier tritt zu der Integrität, der Selbstbewahrung und
Selbstentdeckung, die besondere Ergänzung eines christlichen Idealismus
und Humanismus hinzu.51
Am 25. September 1951, nach knapp zweiwöchigem Aufenthalt, reiste Schaper aus
Finnland zurück in die Schweiz. Unter Marschklängen und der sehr emotionalen
Nationalhymne Finnlands verließ das Schiff „Vellamo“ den Hafen Helsinkis in
Richtung Kopenhagen.52
51 Schaper, 1951, S.68 52 Vgl. ebd. S.71
20
2.3 Edzard Schaper als Prosaautor
Edzard Schaper hatte als Schriftsteller eine beachtliche Karriere. Diese begann mit 18
Jahren im Jahr 1927 und hielt bis zu seinem Tod im Alter von 76 Jahren 1984 an.
Schaper schrieb nicht um „(…) als Schriftsteller Bravour zu ernten“53, sondern um
seinen Charakteren, denen er Leben einhauchte, bis zum Schluss zu folgen. Viele
Berichte von Zuhörern von Schapers Lesungen lassen das Bild des großen Erzählers
sichtbarer werden. Anstatt bloß aus seinen Büchern vorzulesen, formulierte er die von
ihm niedergeschriebenen Erzählungen jedes Mal um, sodass der Zuhörer immer
wieder auf eine neue Art der Erzählung gespannt sein durfte.54
Schaper schildert die Anfänge seiner Schriftstellertätigkeit, auf die bereits im
allgemeinen biographischen Teil näher eingegangen wurde, wie folgt:
Während der Zeit als Assistent für Opernregie begann ich zu schreiben.
Meine ersten Bücher, Der letzte Gast und Die Bekenntnisse des Försters
Patrick Doyle, entstanden damals. Als Achtzehn- und Neunzehnjähriger
hatte ich bereits zwei Romane veröffentlicht. Ich hatte Beachtung
gewonnen durch meine jugendlichen Bücher, ich erlag beinahe der
Versuchung, so etwas wie ein berühmter Mann werden zu können; und an
einem Abend, als ich mich gerade wieder in ein geselliges Leben verlieren
wollte, packte ich mich selbst bei den Haaren und sagte mir: Wenn ich
mich heute abend [sic!] noch einmal mit der Welt und meinem Erfolg
einlasse, wird aus mir nichts Rechtes.55
Eine entscheidende Rolle im Leben eines Autors spielt sein Verlag. Schapers erster
Verlag, Adolf Bonz und Co, bei dem auch der österreichische Lyriker Rainer Maria
Rilke (1875-1926) zuerst unter Vertrag stand, brachte seine ersten Werke heraus.56
Schapers Achtung und Dankbarkeit jedoch gilt vor allem seinem zweiten Verleger,
53 Besch, 1968, S. 4 (Archiv) 54 Vgl. ebd. S. 4 ff. 55 Schaper, 1956b, S. 28 56 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv)
21
dem Insel-Verlag. Für das Verhältnis zu diesem schloss sich Schaper den Worten
Rainer Maria Rilkes an, der ebenfalls den gleichen Weg von Adolf Bonz und Co zum
Insel-Verlag wählte und die Beziehung zu diesem als „geisterhaft großartig“57
beschrieb. Insbesondere Katharina Kippenberg (1876-1947) vom Insel-Verlag begleitete
und beriet Schaper, den jungen Autor, intensiv aber ohne seinen künstlerischen Stolz
zu verletzen.
Als Korrespondent für United Press in den Jahren 1930-1940 in Estland widmete
Schaper sich der täglichen Berichtserstattung, während er gleichzeitig weiter an seinen
Büchern schrieb. Hier entstanden viele seiner Werke wie z. B. der Roman Die Insel
Tütarsaar (1933) und auch lange nach der Flucht von Tallinn begleiteten Estland und
das Baltikum Schaper als Schauplatz seiner Romane.58 Edzard Schaper wollte das
Baltikum in Europa nicht in Vergessenheit geraten lassen, lehnte die Bezeichnung
„deutschbaltischer Schriftsteller“ jedoch strikt ab:
Pauschalisierende Zuordnung aber hatte Schaper selbst unmißverständlich
zurückgewiesen. Das gilt sowohl für die auf ihn angewandte Bezeichnung
„baltischer Schriftsteller“ als auch die umfassendere und oft verwendete
Kennzeichnung als „christlicher Schriftsteller“ (…) „Ich bin durch meine
Geburt an der Grenze von Nationen, Konfessionen, Nationalitäten,
Sprachen (…) dazu bestimmt, immer in der „Mittezwischen“ im
Nebeneinander und Durcheinander zu leben, und habe mir aus diesem
Leben im Durcheinander unserer heutigen Welt meinen Standpunkt
gewinnen müssen.59
Schapers Verärgerung ist nachvollziehbar, da er tatsächlich sehr viel miterlebte und
dieser Facettenreichtum sich in seinen Werken widerspiegelt. Es wäre zu einfach,
seinen Schreibstil auf nur zwei Nenner zu reduzieren. Jaan Undusk unterstreicht dies
in seiner Analyse:
57 Besch, 1968, S. 13 (Archiv) 58 Vgl. Schaper, 1952, S. 5 (Archiv) 59 Garleff, 1996, S. 126
22
Ich übertreibe wohl kaum, wenn ich sage, daß Schaper ein Schriftsteller der
Nachkriegszeit im engeren Sinne des Wortes war, d. h. ein literarisches
Phänomen aus der Zeit des Porthitlerismus, Stalinismus und des früheren
Poststalinismus, einer der ideologisch fähigsten Autoren des Kalten Kriegs.
Eben diese 1950er Jahre waren die vom Umfang her beachtlichste, inhaltlich
wirksamste Zeit seines Schaffens (…) der geistig immer zwischen Ost- und
Westeuropa stand, vermochte von den beiderseitigen politischen
Mythologien unabhängig zu bleiben. Seine Immunität gegenüber den
profanen Ideologien der Nachkriegszeit zeigte sich als eine seiner
Dichterweisheiten.60
Facettenreich sind auch die Interessensgebiete Edzard Schapers außerhalb seines
zentralen Fokus‘, der Literatur. Diese reichen von der Musik bis zur Politik. Max
Wehrli fand diese Interessensvielfalt bewundernswert wie aus seiner Schilderung des
44-jährigen Schapers hervorgeht. In dieser beschreibt Wehrli einen Autor, der
musikalische, politische, religiöse und historische Probleme im Angriff nimmt, jedoch
keine Literaturkritik übt.61
Edzard Schaper war ein intuitiver Autor, er plante seine Arbeiten nicht nach strikten
Formen, sondern ließ die Figuren in seinem Unterbewusstsein Form nehmen und sich
schließlich zu einer geordneten Erzählung entwickeln. Wohl aus diesem Grund ging er
in seinem Stoff voll und ganz auf.62 Edzard Schaper war ein passionierter Schriftsteller.
Seine Antworten auf Lutz Beschs Fragen bezüglich seiner Arbeitsweise verdeutlichen
dies:
Der Arbeitsprozeß ist für mich ein unaufhörlicher Prozeß, der durch Tag
und Nacht geht. In Zeiten sehr intensiver Arbeit (…) schlafe und wache ich
bunt durcheinander. (…) Es ist ein Prozeß der Besessenheit, weil die
Gestalten, weil die Schicksale einen gar nicht in Ruhe lassen, bis alle Würfel
60 Undusk, 2000, S. 66 61 Vgl. Schaper, 1952, S. 154 62 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv)
23
gefallen sind, alles gesagt ist, die Gestalten heimgeholt worden sind in ihren
Sinn, den man am Anfang vielleicht gar nicht gespürt hat. ‚Es‘ vollendet sich
wie durch eine Zaubermacht.63
Die Realitätsnähe war für Schaper von großer Bedeutung. In beachtlichem Kontrast
zur freien Inspiration, die sein Schreiben bewegte, stand jedoch immer wieder
Schapers Wille, die Fakten genau überprüfen zu wollen. Um ergänzende Quellen für
die korrekten Einzelheiten für sein Werk Schattengericht (1967) zu erforschen, reiste er
zum Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung nach Marburg.64 Dort
fand er die Quelle „(…) aus der ich das speisen konnte, was mir zur Nahrung dieser
Arbeit noch fehlte.“65
Die Vielfalt der Schauplätze in den Werken Schapers ist beachtlich. Quer durch
Europa, von Jerusalem bis Christiansø, sogar quer durch Epochen und Zeitalter wird
der Leser von Schaper geführt.66 Trotz dieser Varietät sind Schapers Werke für den
Leser unverkennbar. Sein klassischer Sprachgebrauch, der sich durch die Verwendung
veralteter Begriffe wie z. B. „Reval“, wie Estlands Hauptstadt bis 1918 hieß, anstelle von
Tallinn auszeichnet sowie seine besondere Ausdruckform, die lange, verschachtelte
Sätze und reichlich ausgeschmückte Beschreibungen beinhaltet, verraten deutlich, wer
der Autor ist.
Ein weiteres Wiedererkennungsmerkmal zeigt die Begegnung mit „(…) immer
denselben Problemen und denselben Personen.“67
Viele Schriftsteller teilen diesen Vorgang mit Schaper; er selbst fand als Beispiel den
finnischen Schriftsteller Frans Eemil Sillanpää, der auch in engem, familiärem
Verhältnis zu den von ihm geschaffenen Figuren steht. Immer wieder kehren diese
63 Besch, 1968, S. 19 64 Vgl. Schaper 1968, S. 7 ff. 65 Ebd. S. 8 66 Vgl. Besch, 1968, S. 3 (Archiv) 67 Ebd. S. 3
24
Autoren zu ihren Figuren und Themen zurück, um deren Geschichte zu einem Schluss
zu bringen.68
Edzard Schapers Bücher heben christliche Werte und Moral hervor in einer Zeit, in der
Humanismus den wirtschaftlichen und finanziellen Werten weichen muss. Ebenso
erwecken sie Geschichte und fremde Landschaften zum Leben und geben den Völkern
dieser Länder eine Stimme und plädieren für ein Miteinander statt ein Gegeneinander.
Es ist verwunderlich, wie wenig Edzard Schaper zum Gegenstand der
Literaturforschung geworden ist. Max Wehrli reihte Schaper unter die wichtigsten der
damalig gegenwärtigen Schriftsteller. Bewunderung seitens Wehrli fanden vor allem
Schapers psychologische Charakteristik und die Erzählkraft sowie die Tiefe der
Fragestellung und die religiöse Ergründung historischer Vorgänge.69 Wehrli meinte:
„Es ist Grosses von ihm zu erwarten.“70 und in Anbetracht Schapers Schaffens von über
100 Texten behielt Wehrli recht.
68 Vgl. Besch, 1968, S. 8 (Archiv) 69 Vgl. Wehrli, 1947 (Archiv) 70 Ebd.
25
3 Zur allgemeinen Übersetzungstheorie
In diesem Kapitel wird der Übersetzungsvorgang, bei dem ein Text aus der
Ausgangssprache in die Zielsprache übersetzt wird, im Allgemeinen behandelt, um
hierdurch eine wichtige Basis für die folgenden Betrachtungen der Übersetzungen
Edzard Schapers zu etablieren.
Man geht davon aus, dass die Übersetzung literarischer Texte so alt wie die Schrift
selbst ist. Vermutlich verdankt das Christentum seine Ausbreitung größtenteils der
Übersetzung der Bibel, die zumindest teilweise in über 2000 Sprachen übersetzt
wurde.71 Gäbe es die westliche Zivilisation wie wir sie kennen, wenn die Texte
altgriechischer Philosophen nicht zum Allgemeinwissen gehören würden, von heutiger
Literatur ganz zu schweigen? Es wäre wohl kaum möglich, Verkaufszahlen in
Millionenhöhe zu erreichen, wäre man nur dem Publikum der eigenen Sprache
zugänglich.72
Relativ neu ist in Anbetracht der jahrtausendalten Geschichte des Übersetzens die
theoretische Auseinandersetzung mit dem Übersetzungsprozess. Früher war
Übersetzungstheorie – die Frage nach dem wie und warum – eher die Schilderung des
Übersetzers selbst, mit der Begründung seiner Übersetzungsmethode, als eine
objektive Analyse eines Beobachters. Doch bereits in der Antike finden sich berühmte
Vertreter der verschiedenen Ansichten, ob man einen Text eher wörtlich oder
sinngemäß übersetzen soll.73
Ein bekannter Übersetzer war der griechische Geschichtenschreiber und Lyriker
Hieronymus (ca. 360 v. Chr.-272 v. Chr.), der untypischerweise beide Methoden,
sowohl das wörtliche als auch das sinngemäße Übersetzen gebrauchte. Dabei kann bei
ihm der konkrete Unterschied bemerkt werden, indem er „(…) für weltliche Texte das
Prinzip der sinngemäßen Übersetzung; für biblische Texte hingegen das Prinzip der
71 Vgl. Bibelübersetzung 2011 (Sonstige) 72 Vgl. Koller, 1992, S. 24 73 Vgl. Wilss, 1977, S. 27 ff.
26
wörtlichen Übersetzung“74 verwendete. In starkem Kontrast zu dieser Ansicht steht die
Bibelübersetzung des Reformators Martin Luther (1483-1546), für den es um die
Verständlichkeit für das arme Volk ging und der daher zur sinngemäßen Übersetzung
tendierte.75
Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Deutschland zum Mittelpunkt der
übersetzungstheoretischen Forschung, was zum Großteil dem Theologen, Philologen
und Pädagogen Friedrich Schleiermacher (1768-1834), berühmt für seine
Übersetzungen von Platos Werken, und dem Philologen, Diplomaten und Mitgründer
der Berliner Universität Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zu verdanken ist. Die
Abhandlung Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens (1813) von
Schleiermacher bildet die Basis für jede Beschäftigung mit der modernen
Übersetzungstheorie.76 Seit dieser Zeit steigerte sich mit dem Bedarf an Übersetzungen
auch das Interesse für die Übersetzungswissenschaft: „Die Geschichte des Übersetzens
und des Dolmetschens im 19. und 20. Jahrhundert [kursiv im Original] hat davon
auszugehen, daß die Tätigkeit des Übersetzens und das Phänomen der Übersetzung zu
einer unentbehrlichen Selbstverständlichkeit geworden sind.“77
Die Wichtigkeit des Übersetzens überhaupt geht aus den Worten Werner Kollers
hervor:
Wo kommuniziert werden soll, muß übersetzt werden – übersetzt werden
muß (vergegenwärtigen wir uns die ganze Breite metaphorischer und nicht-
metaphorischer Verwendungsweise des Begriffes „übersetzen“), wo es um
die Herstellung von Kommunikation, um Mitteilung, um Verstehbarkeit
und Verständlichkeit geht.78
Der Mensch übersetzt um zu verstehen und um verstanden zu werden. Dies ist
notwendig in einer Welt, in der sich die Sprachen seit frühester Zeit in
74 Wilss, 1977, S. 31 75 Vgl. ebd. S. 32 76 Vgl. ebd. S. 27 ff. 77 Koller, 1972, S. 19 78 Ebd. S. 11
27
unterschiedliche Richtungen entwickelten und die Barrieren zwischen Völkern tiefer
wurden. Um ein harmonisches Zusammenleben bemüht, muss man nicht nur
geographische, sondern vor allem kulturelle und hiermit auch sprachliche Hürden
überwinden.
Die verbreitete Meinung, das Übersetzen wäre der zweitälteste Beruf der Welt, beruht
auf der Tatsache, dass jeder Mensch das Erfahrene in eigene, neue Worte fassen kann.
Wenn diese neue Beschreibung der Erfahrung in einer anderen als der eigenen Sprache
vorliegt, kann von Übersetzung gesprochen werden.79 Jeder Mensch übersetzt in
verschiedenen Situationen im Leben, sei es im Beruf, wenn man sich mit
ausländischen Geschäftspartnern unterhält oder wenn man sich mit den in der
Werbung mittlerweile üblichen englischsprachigen Slogans und Marken
auseinandersetzt.
Wir haben es jeden Tag mit übersetzten Texten zu tun, obwohl uns das meist nicht
bewusst ist. Die Fußballergebnisse der internationalen Ligen werden nicht
ursprünglich auf Deutsch verfasst, genauso wenig wie die Bauanleitung importierter
Möbelstücke. Gerade die Übersetzungswissenschaft beschäftigt sich auch mit der
Frage, wie alltägliche Informationen Menschen mit anderen Muttersprachen
zugänglich gemacht werden können. Dabei wird von der Ausgangssprache
ausgegangen, um den Text in eine für andere Menschen verständliche Sprache zu
übersetzen.
Bei diesen Beispielen kommt besonders zum Vorschein, dass eine Übersetzung im
klassischen Sinne (Ausgangssprache � Zielsprache) nicht mehr ausreicht, da auch
Kultur, Sitten und Gegebenheiten auf den Leser übertragen werden müssen. Es ist kein
Privileg mehr, Zugang zu Übersetzungen zu haben bzw. diese selbst durchzuführen,
sondern viel mehr ein Muss und eine Verpflichtung.80
79 Vgl. Kvam, 1996, S. 121 80 Vgl. Straub, 2002, S. 347 und S. 353
28
Seit jeher schafft Übersetzung Verständnis, dort wo Missverständnisse aufgrund von
Sprachbarrieren vorliegen. Besonders in heutigen Bemühungen des friedlichen
Zusammenlebens zwischen allen Weltbewohnern, ist Übersetzung und Dolmetschen
wichtig wie noch nie. Durch Globalisierung und Internationalisierung rücken die
unterschiedlichen Länder und Kulturen dieser Welt enger zusammen und somit steigt
auch der Bedarf an Verständigungsmöglichkeiten:81
Der gemeinsame Nenner aller Übersetzungstheorien ist, daß sie sich mit
verschiedenen Komponenten des Übersetzungsvorgangs beschäftigen. Den
Forschungsgegenstand der ÜW bilden vor allem der Prozeß des
Übersetzens (d. h. der Prozeß, der von einem ausgangssprachlichen Text zu
einem zielsprachlichen Text, der Übersetzung führt) und das Produkt dieses
Prozesses (die Übersetzung).82
Die Aufgabe und Vorgangsweise des Übersetzens ist mit vielen unterschiedlichen
Metaphern zu veranschaulichen. Häufig wird die Metapher des Musikers, der die
Intention des Komponisten dem Publikum vermitteln muss, verwendet, genau wie ein
Übersetzer die Intention des Autors der Leserschaft überliefern möchte. Eine wichtige
Rolle wird hierbei dem Werkzeug (Instrument des Musikers bzw. Sprache des
Übersetzers) beigemessen. Die Musikmetapher wird häufig benutzt, um auf die
Unzulänglichkeit der Übersetzung hinzuweisen.
So zitiert Koller in Grundprobleme der Übersetzungstheorie (1972) den deutschen
Philosophen Arthur Schopenhauer: „Sogar in bloßer Prosa wird die allerbeste
Übersetzung sich zum Original höchstens so verhalten, wie zu einem gegebenen
Musikstück dessen Transposition in eine andere Tonart. Musikverständige wissen, was
es damit auf sich hat.“83
81 Vgl. Pape, 2002, S. 62 und Koller, 1972, S. 20 ff. 82 Järventausta, 1996, S. 95 83 Koller, 1972, S. 45
29
Vielfach vertreten ist die Meinung, dass Übersetzen Kunst ist. In besonderer Hinsicht
auf die Übersetzung von literarischen Texten ist diese Metapher akkurat, da Literatur,
insbesondere die Lyrik, als Kunst betrachtet wird. Der Übersetzer muss daher selbst
eine künstlerische Ader haben und sich stilvoll ausdrücken können. Im weiteren Sinne
besteht die Kunst des Übersetzens darin, viele verschiedene Wahlmöglichkeiten
ausfindig zu machen und aus diesen die beste auszuwählen. Ein Musiker, der die
Kompositionen anderer vorträgt, gibt diese mittels eines anderen Mediums wieder –
nicht aber auf Papier wie der Komponist, sondern mit Hilfe seines Instruments.
Der Übersetzer jedoch muss mit demselben Medium arbeiten wie der Autor, nämlich
auf Papier. In Anbetracht dieser Tatsache ist die Herangehensweise, den Übersetzer als
Künstler zu betrachten, durchaus legitim. Eine weitere Metapher, die Übersetzung als
Reproduktion sieht, lässt sich von der Tatsache ableiten, dass in den klassischen
Bereichen der Kunst viele Kopien angefertigt werden.
Koller zitiert in Grundprobleme der Übersetzungstheorie Werner Winter wie folgt:
It seems to me that we may compare the work of a translator with that of an
artist who is asked to create an exact replica of a marble statue, but who
cannot secure any marble. He may find some other stone or some wood (…).
Whatever his material, if he is a good craftsman, his work may be good or
even great; it may indeed surpass the original, but it will never be what he
set out to produce, an exact replica of the original.84
Auf ähnlichen Grundsätzen, dass die Übersetzung nicht mit dem Original
gleichzusetzen ist, bewegt sich die Metapher der Übersetzung als Kleiderwechsel.
Ausgangspunkt dieser Theorie ist, dass der Inhalt des Originals gleichbleibt. Der
Übersetzer verleiht ihm lediglich einen Schleier anderer Grammatik, Semantik und
Syntax. Diese Metapher veranschaulicht, weshalb es immer wieder zu neuen
Übersetzungen desselben Textes kommt.
84 Koller, 1972, S. 50
30
Der Inhalt und die Intention des Originaltextes können Jahrtausende lang aktuell
bleiben, genauso wie der Körper des Menschen, jedoch verändert sich die Mode und
daher braucht auch der alte Text ein aktuelles Gewand, um in der Welt präsent zu
bleiben.85
Obwohl Übersetzen gewissermaßen Kunst ist, gibt es bestimmte literarische
Übersetzungsprinzipien, die beachtet werden müssen. Teilweise widersprechen sich
diese Prinzipien, was wiederum die Schwierigkeit der objektiven Übersetzungskritik
bedingt.86
Eine Übersetzung muß
die Worte des Originals wiedergeben;
die Ideen des Originals wiedergeben.
Eine Übersetzung soll
sich wie ein Originalwerk lesen;
sich wie eine Übersetzung lesen;
den Stil des Originals wiedergeben;
im Stil des Übersetzers geschrieben sein;
sich wie ein zeitgenössisches Werk des Originals lesen;
sich wie ein zeitgenössisches Werk der Übersetzung lesen.
In einer Übersetzung kann
gegenüber dem Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.
In einer Übersetzung darf
gegenüber dem Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.87
Das Wort „Übersetzung“ kann vielfach interpretiert werden. Es handelt sich dabei
neben dem Vorgang, einen Text aus einer Sprache in eine andere Sprache zu
übertragen, auch um viele verschiedene Facetten, die zum Übersetzen gehören.
85 Vgl. Koller, 1972, S. 44 ff. 86 Vgl. Wilss, 1977, S. 156 87 Ebd. S. 156
31
Übersetzungsbedarf gibt es z. B. auch zwischen Kulturen mit deren unterschiedlichen
Hintergründen und verschiedenen Formen von Medien und Kanälen.88
In Anbetracht der vorliegenden Arbeit ist das Übersetzen in linguistisch-
kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung:
Abbildung 1: Zweisprachiges Kommunikationsmodell89
Diese Tabelle von Koller veranschaulicht das Übersetzen in linguistisch-
kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht. Die Phase I ist die Grundphase des
Übersetzens. „S“ ist hierbei der Sender bzw. der Ursprung, z. B. der Verfasser, der zu
übersetzenden Mitteilung („M“), der die Mitteilung dem Übersetzer (in dieser Phase
der Empfänger „E´“) in der Ursprungssprache, „ML1“ übermittelt. Der Übersetzer
analysiert die Mitteilung auf Inhalt, Struktur und Kontext90, basierend auf dem Text
selbst, aber auch anhand der besonderen Kenntnisse, die er für die sozialen,
politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und literarischen Rahmenbedingungen der
Mitteilung besitzt. In der Phase II verarbeitet der Übersetzer, anhand der von ihm
getätigten Analyse in Phase I, eine Mitteilung in der Ausgangssprache, indem er die
Einzelteile der „ML1“ mit Äquivalenten der Zielsprache „L2“ ersetzt. So entsteht die
Mitteilung „ML2“. In der Phase III wird der Übersetzer zum Sender, da er die neue
Mitteilung „ML2“ (nun „M´“) an den Empfänger „E“ (Leser/Hörer) der Zielsprache „L2“
vermittelt. Wenn es dem Übersetzer gelingt die ursprüngliche Absicht des Verfassers
88 Vgl. Bachmann-Medick, 2002, S. 275 und Straub, 2002, S. 346 ff. 89 Koller, 1972, S. 72 (Buch) 90 Anm.: Kontext bezieht sich auf das Wissen, das außerhalb des Textes vorhanden ist und gebraucht wird, um den Text zu verstehen. Vgl. Koller, 1972, S. 140
32
mit dem kommunikativen Effekt an den End-Empfänger zu übermitteln, kann die
zweisprachige Kommunikation als erfolgreich betrachtet werden.91
Es gibt viele verschiedene Arten der Übersetzung wobei für den Übersetzungs-
wissenschaftler am interessantesten die Wahl der Methode und des Übergangs aus der
Ausgangssprache zur Zielsprache sowie das schlussendliche Resultat darstellen. Es gibt
viele verschiedene Theorien und Methoden, eine einfache Aufstellung findet sich bei
Wilss in der folgenden Tabelle von Jumpelt:92
Abbildung 2: Übersetzungsprozeduren93
Wilss unterscheidet zwischen zwei Hauptzweigen der Übersetzung: die wörtliche und
nichtwörtliche. Die auch von Wilss angewandten Begriffe „wörtlich“ und
„nichtwörtlich“ etablierten sich in der modernen Übersetzungswissenschaft vor allem
aufgrund ihrer beschreibenden Objektivität.94 Die wörtliche Übersetzung bietet die
Wahl zwischen drei unterschiedlichen Unterkategorien.
Die Lehnübersetzung (calque) beinhaltet die wörtliche Übersetzung mehrteiliger
Wörter, welche oft in der Zielsprache angenommen und zum Teil des normalen
Sprachgebrauchs werden. Ein Bespiel hierfür ist das deutsche Wort „Gipfelkonferenz“,
welches sich aus dem englischen „summit conference“ ableitet.
91 Vgl. Koller, 1972, S. 71 92 Vgl. Wilss, 1977, S. 103 93 Ebd. S. 121 94 Vgl. ebd. S. 103
33
Das Wort „summit“ ist ein Terminus aus dem Geographie- und Bergsteigerjargon und
wurde mit dem deutschen „Gipfel“ übersetzt – auch hier direkt aus dem
Bergsteigerjargon entwendet.95 Konferenz ist ebenfalls ein Lehnwort, was diesem
Beispiel einen noch passenderen Charakter verleiht.
Wort-für-Wort-Übersetzung ist selbsterklärend. Beispielsweise wird hier aus dem
schwedischen „Han gick hem“ das deutsche „Er ging nachhause“.
Die wörtliche Übersetzung (Substitution) zeichnet sich durch die Wiedergabe des
Ausgangstextes mit denselben Wörtern und derselben Essenz aus, jedoch mit
unterschiedlicher Syntax, die mit jener der Zielsprache übereinstimmt. Folgendes
Übersetzungsbeispiel veranschaulicht diese Theorie: „She had bought the skirt“ – „Sie
hatte das Kleid gekauft“ – „She had the skirt bought“ – „Das Kleid wurde gekauft/Sie
hat das Kleid kaufen lassen“.96
Im Sinne der Transposition, eine nichtwörtliche Übersetzungsprozedur, zu übersetzen,
heißt durch abweichende Strukturen bedeutungsgleiche Wörter wiederzugeben. Diese
Änderungen in Grammatik und Syntax sind oft notwendig, um die Richtigkeit des
Textes zu garantieren.97 In diesem Beispiel wird das englische Verb in der Übersetzung
durch ein deutsches Substantiv ersetzt: „as the pressure increases“ – „mit dem
Ansteigen des Druckes“.98
Modulation bedeutet das Umschreiben des Textes der Ausgangssprache in Anbetracht
der Bedingungen der Zielsprache. Ein häufiges Beispiel für Modulation als
Übersetzungsprozedur sind Sprichwörter, die nicht Wort-für-Wort übersetzt werden,
aber in der Zielsprache denselben Effekt haben. Beispielsweise im selben Kontext wie
das schwedische Sprichwort „När man talar om trollen så står de i farstun“ (wörtl.
Wenn man von den Trollen spricht, stehen sie im Hausflur), wird im Deutschen
95 Vgl. Wilss, 1977, S. 114 96 Ebd. S. 115 97 Vgl. ebd. S. 116 98 Koller, 1992, S. 298
34
„Wenn man vom Teufel spricht, kommt er“ verwendet. Der Hintergrund ist derselbe:
Wenn man von bösen Wesen spricht ruft man diese hervor. In Schweden in diesem
Fall die mythischen Trolle, welche in den Wäldern und Bergen leben, im schon lange
religiösen deutschsprachigen Raum ist es der Teufel. Übersetzer müssen sich mit
dieser Vorgangsweise dann befassen, wenn die Zielsprache spezifischer ist als die
Ausgangssprache, was üblicherweise vorkommt, je weiter die Sprachen voneinander
entfernt sind. Die finno-ugrische Sprache Finnisch in die germanische Sprache
Deutsch zu übersetzen ist eine Herausforderung, da durch aktive kulturelle und
literarische Beziehungen ein reger Bedarf an Übersetzung besteht, die Sprachen jedoch
nicht derselben Sprachgruppe zugeordnet werden.99
Ein interessantes Beispiel hierfür hat die finnische Autorin Leena Lehtolainen
gebracht. Die Protagonistin ihres Romans Tappava säde (1999) (Zeit zu Sterben (2002))
besitzt eine Katze mit einem geschlechtsneutralen Namen: Sulo. Lehtolainen machte
sich keine Gedanken drüber, ob die Katze männlich oder weiblich war, da es im
Finnischen nur das geschlechtsneutrale Personalpronomen „hän“ gibt. Als der Roman
ins Deutsche, wo zwischen „er“ und „sie“ unterschieden wird, übersetzt wurde, musste
sich Lehtolainen auf Bitte ihres Übersetzers entscheiden.100
Wo kein adäquates Pendant in der Zielsprache vorhanden ist, hilft es dem Übersetzer,
wenn er auf eine fundierte Kulturkompetenz über die Konstellationen des Milieus der
Ausgangs- und Zielsprache zurückgreifen kann.
Ein deskriptives Beispiel hierfür findet sich bei Koller, der die verschiedenen
Übersetzungen des Wortes „Glögg“ in August Strindbergs Roman Hemsöborna (1887)
erwähnt. Je näher die Zielsprache zur Ausgangssprache verwandt ist, auch auf
geographische und dadurch kulturell bedingte Ähnlichkeiten bezogen, desto exakter
ist die Übersetzung (vgl. schw. „Glöggen“ mit dä. „Glöggen“ [sic!]). In den nicht-
skandinavischen Übersetzungen griffen die Übersetzer auf verschiedene Methoden
zurück und orientierten sich teilweise an den Gegebenheiten der Ausgangssprache,
99 Vgl. Wilss, 1977, S. 120 ff. 100 Lehtolainen Leena, bei ihrem Vortrag am 17.11.2003 auf dem Institut der Finno-Ugristik der Universität Wien.
35
teilweise an denen der Zielsprache (vgl. schw. „Glöggen“ engl. „the glögg“ dt. „der
Punsch“). Da schwedischer Glögg und deutscher Punsch beide in der
Vorweihnachtszeit genossen werden, ist der kulturelle Kontext hier für den Übersetzer
richtungsweisend, obwohl sich die Inhalte der beiden Getränke unterscheiden.101
Für eine gelungene Übersetzung wird vorausgesetzt, dass der Übersetzer sowohl die
Ausgangs- als auch Zielsprache hervorragend beherrscht. Weiters muss der Übersetzer
jedoch auch Kenntnis über Kultur, Geographie und weitere spezifische Gegebenheiten
des Landes besitzen. Oft ist dieser Einblick in die Sitten und Traditionen der Kultur
der Ausgangssprache der Schlüssel zu guter und natürlicher Übersetzung.102 In den
Worten von Mounin bei Koller:
Um einen Text zu übersetzen, der in einer Fremdsprache geschrieben ist,
sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen (…) von denen keine allein genügt.
Man muß die Sprache und [Kursiv im Original] die Kultur kennen, von der
diese Sprache handelt, und das heißt: das Leben, die Zivilisation, die
möglichst vollständige Ethnographie des Volkes, dessen Ausdrucks-mittel
diese Sprache ist.103
Diese Voraussetzungen von Mounin ergänzt Kvam um einen weiteren Punkt und
gelangt somit zur Definition, dass ein guter Übersetzer über allgemeine, sprachliche
Kompetenz verfügen, sich mit der kulturell-politischen Landschaft der betroffenen
Länder auseinandersetzen und analytisches Denken beherrschen sollte.104
In Anbetracht der skizzierten Beispiele, ist davon auszugehen, dass Edzard Schaper ein
kompetenter Übersetzer war. Er sprach, neben Deutsch, einigermaßen Finnisch und
Estnisch sowie ziemlich gut Polnisch und Schwedisch, sodass es ihm möglich war, eine
große Bandbreite von Literatur zu übersetzen. Zumal Schapers Leben ihn quer durch
Europa führte, lernte er viele Länder und deren Sitten sowie Umstände genau kennen.
101 Vgl. Koller, 1972, S. 152 102 Vgl. Stenger, 2002, S. 96 103 Koller, 1972, S. 121 104 Vgl. Kvam, 1996, S. 122
36
Dieses spezielle Wissen trug maßgeblich dazu bei, dass er als Übersetzer sehr
geschätzt wurde. Dies geht aus dem Empfehlungsschreiben hervor, das Heikki
Reenpää, Geschäftsführer des finnischen Verlagshauses Otava, am 13.11.1946 an den
Schweizer Werner Classen Verlag schrieb:
Mit grossem Vergnügen empfehlen wir Herrn Edzard Schaper den
Verlegern als Ratgeber in Fragen der finnischen Literatur und als Übersetzer
derselben. Seine Vertrautheit mit dem finnischen Schrifttum sowie sein
sicherer literarischer Geschmack werden Verlegern, die sich für finnische
Literatur interessieren, wertvolle Dienste leisten können.105
105 Reenpää, 1946b (Archiv)
37
4 Edzard Schaper als Übersetzer
Insgesamt übersetzte Edzard Schaper über 20 Romane aus den skandinavischen
Sprachen und dem Finnischen ins Deutsche. In der vorliegenden Arbeit werden sechs
dieser Werke analysiert. Laut Arnulf Otto-Sprunck sind die wichtigsten von Schaper
übersetzten Werke aus dem Finnischen Hurskas kurjuus (1919) (Das Fromme Elend
(1948) bzw. Sterben und Auferstehen (1956)) und Elämä ja aurinko (1916) (Sonne des
Lebens (1951)) von Frans Eemil Sillanpää, Seitsemän veljestä (1870) (Die sieben Brüder
(1950)) von Aleksis Kivi und aus dem Schwedischen Barabbas (1950), das im gleichen
Jahr unter dem selben Titel auch auf Deutsch erschien sowie Gäst hos verkligheten
(1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) von Pär Lagerkvist.106
Nach exakter Recherche kann Otto-Spruncks Meinung über die Wichtigkeit der
besagten Werke geteilt werden. Diese werden daher in der vorliegenden Arbeit
analysiert. Zusätzlich wird, aufgrund der besonderen Spezifika des Sprachgebrauchs
auf den autonomen und von der Seefahrt und Inselgeographie geprägten Ålandinseln,
und um auch eine Übersetzung aus dem Finnlandschwedischen präsentieren zu
können, Katarina (1936), unter gleichem Titel 1949 auf Deutsch erschienen, von Sally
Salminen analysiert.
Interessant in allen Übersetzungen von Schaper, die in dieser Arbeit analysiert werden,
ist das Fernbleiben von Dialektelementen. Alle hier behandelten Werke, außer
Barabbas, ereignen sich in ländlichen Gegenden in Schweden oder Finnland, wo es
üblich war, im Dialekt zu sprechen. Diese lokalen Besonderheiten berücksichtigten alle
Autoren, umso überraschender ist es, dass Schaper diese sprachlichen Elemente nicht
an den deutschsprachigen Leser weitergegeben hat. Ein möglicher Grund hierfür ist
die Großräumigkeit des deutschsprachigen Raumes sowie das Alter der deutschen
Sprache. Im Vergleich zu den Ausgangssprachen, die durch die geographische und
politische Nähe sowie die geschichtlich relativ neue Sprachentwicklung keine gröberen
Unterschiede aufweisen, ist es schwierig, im Deutschen einen entsprechenden Dialekt
106 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 140
38
zu finden, den alle Leser verstehen würden. Zwischen der Sprache eines Burgenländers
aus Österreich und maritimen Ausdrücken eines Hamburgers mögen Welten liegen,
der Festlandfinnlandschwede kann hingegen wegen der nahen geographischen Lage
und ähnlichen Sprachgeschichte sehr wohl maritime Ausdrücke aus Åland verstehen.
Dieses Kapitel befasst sich mit Edzard Schaper als Übersetzer aus dem Schwedischen
anhand des Beispiels Pär Lagerkvist und aus dem Finnischen anhand des Beispiels
Frans Eemil Sillanpää. Auf die Hintergründe und Umstände der
Übersetzungstätigkeiten Schapers in diesen beiden Fällen wird gesondert eingegangen,
da beide Schriftsteller Ähnlichkeiten betreffend Bekanntheitsgrad und Anerkennung
aufweisen (Sillanpää bekam den Nobelpreis 1939 und Lagerkvist 1951). Bemerkenswert
ist auch die unterschiedliche Herangehensweise Schapers. Im Falle Lagerkvists trat
dieser an Schaper heran, worauf sich der Übersetzer nahezu unmotiviert zeigt, die
Übersetzungsarbeit aufzunehmen: „Schapers Antrittsschreiben ist weniger von
Enthusiasmus als zunächst von einer realistischen Selbsteinschätzung geprägt.“107 Bei
Sillanpää hingegen hat Schaper selbst gebeten, diesen übersetzen zu dürfen. (siehe
Kapitel 4.1 und 4.2).
Weniger ausführlich schilderte Schaper seine Übersetzungen von Aleksis Kivi und
Sally Salminen. In seinem im August 1947 verfassten Brief an Heikki Reenpää schrieb
er lediglich: „Jag skall utge (…) en ny edition av de odödliga “Sju brödrar“ i Manesse-
förlagets Weltbibliothek, även Sally Salminen (Du kommer väl ihåg vårt samtal med
henne) står på programmet“108 (Ich werde eine neue Edition der unsterblichen „Sieben
Brüder“ in der Weltbibliothek des Manesse-Verlages herausgeben, auch Sally Salminen
(du erinnerst dich wohl an unser Gespräch mit ihr) steht auf dem Programm). Die
knappe Schilderung erweckt den Eindruck, als wären diese Übersetzungen für Schaper
nicht so wichtig gewesen, was die Tatsache erklären könnte, dass er von Kivi und
Salminen nur jeweils ein Werk übersetzte, wobei es bei Lagerkvist und Sillanpää
jeweils zwei waren.
107 Langheiter-Tutschek, 2008, S. 156 108 Schaper, 1947b (Archiv)
39
Von der Übersetzung von Kivi ist bekannt, dass Schaper Hilfe von Sinikka Nevanlinna,
der Frau seines Freundes Rolf Nevanlinna, bekam.109 Nach ausführlicher Recherche in
Schapers Handbibliothek in der Mediathek Brig in der Schweiz, ist es evident, dass die
Übersetzung von Seitsemän veljestä anhand der existierenden schwedischen und
deutschen Versionen erfolgte.110
109 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 140 110 Anm.: Die Verfasserin dieser Arbeit besuchte das Archiv Edzard Schapers in Brig / Schweiz und stellte fest, dass sich im Nachlass von Schapers Handbibliothek nur eine finnische Version des Romans, aber zwei schwedische und vier deutsche Versionen befinden.
40
4.1 Edzard Schaper als Übersetzer von Pär Lagerkvist
Die ersten Übersetzungen der Werke Lagerkvists ins Deutsche hat der Deutsche Dr.
Henrich Goebel übernommen. Da Lagerkvist mit der Qualität der Übersetzungen nicht
zufrieden war, freute er sich sehr, als der schweizer Professor Otto Oberholzer an ihn,
mit der Absicht seine Werke zu übersetzen, herantrat.111 Pär Lagerkvist pflegte zu
Oberholzer einen engen Kontakt, wie der erhaltene Briefwechsel belegt. Lagerkvist
verließ sich auf Oberholzer als Ratgeber im Verlagswesen des heiklen
deutschsprachigen Raumes, welches soeben dabei war, sich vom Zweiten Weltkrieg zu
erholen. Lagerkvist hätte sich auch gewünscht, dass Oberholzer die Übersetzungen
seiner Werke vornimmt, jedoch beurteilten mehrere Deutschsprachler die
Übersetzungen Oberholzers als zu wörtlich und vom Schwedischen beeinflusst.112
Lagerkvist, der die Übersetzungen durch Oberholzer als abgeschlossen betrachtete, da
er von deren Qualität überzeugt, war von dieser Nachricht nahezu entsetzt, wie
folgendes Zitat belegt: „Ja, jag är så förvirrad och ledsen över detta, jag har faktiskt tagit
för givet att era översättningar skulle vara fulländade.“113 (Ja, ich bin so verwirrt und
traurig darüber, ich bin wirklich davon ausgegangen, dass Ihre Übersetzungen
vollendet sein würden.)
Hierdurch begann für Lagerkvist die Suche nach einem anderen Übersetzer. Sein
Wunsch war es, jemanden zu finden, der mehr Erfahrung mit Belleristik und Lyrik
besaß, da er im Mangel dieser die Ursache für Oberholzers unzufrieden stellende
Übersetzungen vermutete. Für Lagerkvist war es wichtig, jemanden mit einem feinen
Gespür für die deutsche Sprache zu finden, damit derjenige die feinen Nuancen der
Erzählkunst, die Lagerkvist auf Schwedisch selbst benutzte, auf Deutsch wiedergeben
konnte. Lagerkvist selbst schlug Oberholzer vor, er möge mit Edzard Schaper in
Kontakt treten. Schaper sei nicht nur als Übersetzer empfehlenswert, sondern seine
guten Kontakte im Verlagswesen seien durchaus wertvoll. Lagerkvist selbst hatte bis
dahin selbst nichts von Schaper gelesen, aber das Lob besonders für Schapers
111 Vgl. Schöier, 1991, S. 366 112 Vgl. ebd. S. 373 113 Ebd. S. 374
41
Übersetzungen von Sillanpää, dessen Status als Nobelpreisträger der Literatur
Lagerkvist knapp zwölf Jahre später teilen würde, war Lagerkvist bekannt.114
Schaper sei nicht nur mit der skandinavischen Kultur vertraut und habe Erfahrung in
Übersetzungen aus diesem Gebiet, sondern auch ein bedeutender Schriftsteller der
Gegenwart. Erstaunlich ist die Tatsache, dass Lagerkvist 1933 den Roman Bödeln (Der
Henker (1946)) und Schaper 1940 den Roman Der Henker schrieb. Trotz
unterschiedlichen Inhalten ist die Namensgleichheit faszinierend.115
Wie aus dem Briefwechsel zwischen Schaper und Lagerkvist hervorgeht, gelang es
Lagerkvist offenbar, in Schaper einen Schriftsteller zu finden, der das von ihm
Geschriebene ins Deutsche überträgt und somit den deutschen Markt eröffnet. Es ist
deutlich zu lesen, welch Bewunderung Schaper für Lagerkvist hegt und wie begrenzt
sein Glaube an sich selbst ist. Lagerkvists Bücher sind Meisterwerke und Schaper
hoffte, dass Lagerkvist die Übersetzungen gefallen werden und ihm nicht zu viel
versprochen wurde.116
Laut der auf dem Buchumschlag der deutschen Übersetzung von Lagerkvists Werk
Gäst hos verkligheten der Österreichischen Buchgemeinschaft 1956 abgedruckten
Information, dürfe Schaper die Übersetzung durchaus gelungen sein: „(…) wobei ihm
die Übersetzung durch den Dichter Edzard Schaper den Zauber eines deutschen
Originalwerkes verliehen hat.“117 Es ist übrigens unüblich, dass in der
Umschlagbeschreibung eines Werks die Übersetzung erwähnt wird, was auf die
besondere Qualität der Übersetzung hinweist. Als in der Schweiz Barabbas in Druck
ging, lagen bereits viele Vorbestellungen vor. Dies war nach Oberholzers Meinung zum
Großteil der Bekannt- und Beliebtheit Schapers zu verdanken.118 Pär Lagerkvist war
von Schaper ebenfalls begeistert.
114 Vgl. Schöier, 1991, S. 374 115 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 152 und S. 156 116 Vgl. ebd. S. 18 117 Lagerkvist, 1956, Klappentext 118 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 158
42
Er meint in Schaper einen Übersetzer der höchsten Qualität gefunden zu haben.119 So
nachzulesen auch in Lagerkvists Brief an Otto Oberholzer am 13.02.1953: „Först av allt
skulle jag väl tacka dig för den utomordentliga översättningen av Gäst hos
verkligheten. (…) Jag är oändligt glad över att denna min bok nu finns i en fulländad
tysk språkdräkt.“ 120 (Erst einmal möchte ich mich wohl bei dir für die außerordentliche
Übersetzung von Gast bei der Wirklichkeit bedanken. (…) Ich bin unendlich glücklich
darüber, dass es mein Buch jetzt in ein vollendetes deutsches Sprachgewand gibt.)
Die Kritiken der Übersetzungen Edzard Schapers von Pär Lagerkvists Werken waren
großteils positiv und es ist auffallend, wie oft die Übersetzung explizit in den
Rezensionen erwähnt wird. Z. B. schrieb Geno Hartlaub: „‚Barabbas‘ [kursiv im
Original] (…) meisterhaft übersetzt von Edzard Schaper.“121 Das Ende der
Übersetzungen Schapers von Lagerkvists Werken verursachte die scharfe Kritik des
Büchereidirektors Johannes Iwer Langfeldt, der 1953 bemerkte, dass Schapers
Übersetzungen nicht korrekt waren und dieser seinen neuerlichen Übertritt zum
Katholizismus zu stark durchscheinen lässt.122 Ein Beispiel hierfür findet sich in jenem
Teil dieser Arbeit, der sich konkret mit der Übersetzung Barabbas befasst.
119 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 205 120 Schöier, 1991, S. 390-391 121 Hartlaub, 1951 (Sonstige) 122 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 206 ff.
43
4.2 Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää
Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt, ist die erste Übersetzung Schapers aus dem Jahr
1948 (Frans Eemil Sillanpääs Hurskas kurjuus) aus dem Finnischen ins Deutsche vor
dem Hintergrund, dass Schaper nur vier Jahre zuvor noch kaum Finnisch konnte (im
Staatsbürgerschaftsantrag 1944 werden nur Schwedischkenntnisse erwähnt), besonders
bedeutungsvoll. Es ist anzunehmen, dass Schaper die Übersetzungen ins Deutsche
mithilfe der schon existierenden schwedischen Übersetzungen tätigte, was sich auch
durch Aussagen der Bekannten von ihm bestätigt.123
Edzard Schaper selbst trat an den damaligen Direktor des Verlages Otava, Heikki
Reenpää, mit dem Wunsch, Frans Eemil Sillanpääs Werk Ihmiselon ihanuus ja kurjuus
(1945) übersetzen zu dürfen, heran. Er war vom Buch, welches er auf Schwedisch
gelesen hatte, begeistert und sah seine Finnischkenntnisse als gut genug, um sich an
diese Aufgabe heranzutrauen. Er würde sich auch gerne um die Kontakte zu den
schweizer Verlagen (aufgrund der politischen Situation kämen nur diese im
deutschsprachigen Raum in Frage) gekümmert.124 Reenpääs Antwort am 13.11.1946
dämpfte Schapers Hoffnung, da Reenpää erklärte, die Rechte für Ihmiselon ihanuus ja
kurjuus schon an den schweizer Werner Classen Verlag verkauft zu haben. Eventuell
würden dieser auch am Rest von Sillanpääs Produktion interessiert sein, dies würde
sich zeigen. Ob sie über einen Übersetzer verfügen, wusste er nicht, aber empfahl
ihnen Schaper bereits. Dennoch sah Reenpää es angemessen, dass Schaper mit dem
Verlag persönlich Kontakt aufnimmt.125 In dem von Reenpää dem Brief beigefügten
Referenzschreiben über Schaper ist die große Achtung vor diesem zu spüren (siehe
Kapitel 3).
Schaper las in der Neuen Zürcher Zeitung über das Erscheinen Sillanpääs Werk auf
Deutsch und fühlte sich in seinem Vorhaben, Sillanpääs Werk Ihmiselon ihanuus ja
123 Vgl. Zauner, 1971, S. 3 und S.18 (Sonstige) 124 Vgl. Schaper, 1946a (Archiv) 125 Vgl. Reenpää, 1946a (Archiv)
44
kurjuus zu übersetzen, gescheitert.126 Im Frühjahr 1947 erhielt er erfreuliche
Nachrichten von seinem alten Freund, dem deutschen Verleger Anton Kippenberg.
Der Insel-Verlag einigte sich mit dem Werner Classen Verlag, gemeinsam Silllanpääs
Produktion in der Schweiz zu veröffentlichen und Schaper war als Übersetzer
bestimmt. Schaper zeigte sich hocherfreut über diese Aufgabe, hatte jedoch Bedenken,
ob Hurskas kurjuus außerhalb Finnlands begreiflich wäre, und ob es nicht nur mit
„kunskap om människor, natur, historia och kärlek till allt detta“127 (Kenntnisse über
Menschen, der Natur, die Geschichte und Liebe zu all dem) begreifbar wäre. Edzard
Schaper bat Reenpää in demselben Brief, ihm ein finnisches Exemplar von Hurskas
kurjuus zu schicken, denn bis dato las er nur die schwedische Übersetzung, Det
fromma eländet (1920). Diese Aussage unterstützt die Theorie, dass sich Schaper
zumindest teilweise an den schwedischen Übersetzungen finnischer Werke orientierte.
Bemerkenswert an Schapers Übersetzungen von Sillanpää sind die Titel der Werke.
Hurskas kurjuus wurde von Schaper nach 1948 als Das fromme Elend, im Jahr 1956 ein
zweites Mal unter dem Titel Sterben und Auferstehen übersetzt. Der Beweggrund zu
dieser neuen Herausgabe unter anderem Titel ist, zumal es sich inhaltlich um das
gleiche Buch handelt, nicht nachvollziehbar. Als Grund kommt nur die 1951
stattgefundene Konvertierung zum Katholizismus und dadurch erfolgte verstärkte
Auseinandersetzung mit christlichen Themen in Frage. Im Finnischen lautet der Titel
von Sillanpääs erstem Roman Elämä ja aurinko (wörtl. Das Leben und die Sonne);
Schaper übersetzt dies mit Sonne des Lebens.
126 Vgl. Schaper, 1946b (Archiv) 127 Schaper, 1947a (Archiv)
45
5 Pär Lagerkvist
5.1 Über den Autor
Pär Fabian Lagerkvist wurde am 23.05.1891 in der småländischen Stadt Växjö geboren.
Sein Vater war Eisenbahnbeamter und seine Mutter eine Bauerntochter. Die Erlebnisse
seiner Kindheit und Jugend, wie z. B. die Besuche auf dem Bauernhof bei den
Großeltern mütterlicherseits, das Betrachten der Züge, das Leben am Bahnhof und ein
religiöses Heim, schildert Lagerkvist in seinem 1925 erschienenen Roman Gäst hos
verkligheten (Gast bei der Wirklichkeit (1952)). Das Milieu des Heimes und auch das der
Großeltern, wurden stark von Religion und Frommheit geprägt, weswegen Religion
und die Suche nach dem Glauben in Lagerkvists Werken, welche sich von Romanen
über Gedichte bis zu Schauspielen erstrecken, immer wiederkehrende Motive sind. Oft
wird den Kampf zwischen Gut und Böse bzw. die moralische Botschaft des Werkes in
einen Schleier der Religion und des christlichen Glaubens gehüllt, trotz Lagerkvists
kritischer Haltung diesen Themen gegenüber. Während der Pubertät wandte er sich
von der christlichen Tradition seiner Familie ab.
Schon früh wusste Lagerkvist, dass er Schriftsteller werden wollte, was ihn aber nicht
davon abhielt, Kunstgeschichte zu studieren und mehrere Monate Ende des Jahres 1913
in vom Impressionismus geprägten Paris zu verbringen. Auch zukünftig reiste
Lagerkvist oft und gerne, seine Wege führten ihn u. a. nach Deutschland, Dänemark,
Norwegen, Italien, Frankreich, Ägypten und Palästina. Seine Sprachbegabung, die aus
den zahlreichen Briefen hervorgeht, eignete er sich auf diese Reisen an. Lagerkvist
wurde viel Ehre zuteil, so z. B. seine Wahl in die Svenska Akademin, einer
Kulturinstitution, deren bekannteste Aufgabe die Verleihung des Nobelpreises in
Literatur ist, sowie das Empfangen des Nobelpreises 1951. Lagerkvist war von 1916-1925
mit Karen Sørensen und von 1925 bis zu ihrem Tod 1967 mit Elaine Sandels verheiratet.
Trotz seiner Reiselust wurde Pär Lagerkvist 1930 sesshaft und wohnte ab diesem
Zeitpunkt nur mehr in Stockholm, wo er am 11.07.1974 als 83-jähriger starb.128
128 Vgl. Schöier, 1991, S. 12 ff. und Linder, 1990, S. 33 ff.
46
5.2 Gäst hos verkligheten / Gast bei der Wirklichkeit
Der 1925 erschienene und 1952 von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte Roman
spielt im Bahnhofmilieu einer kleinen schwedischen Stadt und in der weiten
schwedischen Natur um 1900. Der Roman, welcher starke autobiographische Züge von
Lagerkvist trägt, befasst sich hauptsächlich mit den Themen Religion, Familie und
Alltag.
Der Protagonist Anders hat große Angst, dass jemand in seinem Umkreis stirbt, er
betet zu Gott nach seinen eigenen strengen Regeln – doch er fühlt, dass seine Gebete
nur gehört werden, wenn er möglichst widerwillig, beispielsweise bei schlechtem
Wetter, einen Stein mitten im Wald aufsucht, dort fühlt er sich Gott nahe. Als Gott die
Gebete nicht erhört und die geliebte Großmutter an Krebs erkrankt, fühlt sich Anders
äußerst unwohl in der Gegenwart der Kranken, wie wenn ihr Zustand eine einzige
Erinnerung an den bevorstehenden Tod aller wäre. Die Großmutter stirbt und für
Anders ist es gewissermaßen eine Erleichterung, nicht mehr aktiv mit dem Tod
konfrontiert zu sein. Er wendet sich vom elterlichen Glauben langsam ab und
interessiert sich für modernde Ideen. Der Darwinismus fegt den christlichen Glauben
weg und Anders findet endlich, wonach er gesucht hatte – einen Glauben ohne jegliche
Hoffnung und Lügen. Trotzdem führt sein Weg nicht an Christen vorbei, am Ende des
Buches besucht er eine Veranstaltung der Heilsarmee.
Dieser autobiographischer Roman Lagerkvists, zählt zu seinen bedeutendsten Werken.
Da der Autor öffentliche Auftritte mied und keine Details seines Lebens preisgeben
wollte, freute er sich besonders über die Kontaktaufnahme Otto Oberholzers, der sich
mit der Dichtung und nicht mit seinem Leben befassen wollte: „Onekligen är jag också
tilltalad av att Ni inte tänker syssla med mitt liv och så att säga privata person, utan
med min diktning.“129 (Zweifellos fühle ich mich auch davon angesprochen, dass Sie
sich nicht mit meinem Leben und so zu sagen meiner privaten Person befassen
möchten, sondern mit meiner Dichtung.)
129 Schöier, 1991, S. 366
47
Die ersten drei Sätze des Romans Gäst hos verkligheten liefern einen Beweis dafür, wie
ausgeschmückt die Sprache Pär Lagerkvists ist:
AT 1:
I en svensk småstad låg som i alla andra en järnvägsrestaurang invid
stationen. Denna låg så nära spåren att röken från lokomotiven strök utefter
fasaden och sotade ner den. Huset skulle annars varit vitt, det tycktes
nästan ämnat att bli ett slags drömslott, ett helt litet feeri; det var fullt med
tinnar och torn, små balkonger dit man inte kunde komma ut, sirater och
utskärningar överallt, nischer där det skulle stått urnor med blommor, fullt
med tomma flaggstänger på taket.130
ZT 1:
In einer schwedischen Kleinstadt lag, wie in allen anderen Kleinstädten, ein
Eisenbahnrestaurant neben dem Bahnhof. Es lag so dicht neben den
Gleisen, daß der Qualm der Lokomotiven über seine Fassade wirbelte und
seinen Ruß daran niederschlug. Sonst wäre das Haus weiß gewesen, ja, es
schien beinahe dazu ausersehen, eine Art Traumschloss zu sein, ein wahres
kleines Wunderwerk: voller Zinnen und Türmchen, mit kleinen Balkons,
auf die man gar nicht hinaustreten konnte, mit Schmuck und ausgesägtem
Zierat allenthalben, Nischen, in denen Vasen mit Blumen hätten stehen
sollen, das Dach förmlich überwachsen mit leeren Fahnenstangen.131
Schaper fängt diese Sprache genau ein und gibt sie auf Deutsch in Lagerkvists Stil
wieder. Drei Änderungen würden den Text dennoch näher dem Original bringen:
Schaper schreibt, dass der Qualm über die Fassaden des Hauses „wirbelte“ („strök
utefter fassaden“). Die Übersetzung mit den Worten „strich der Fassade entlang“ wäre
ein geeigneterer Ausdruck, da der Qualm auch im schwedischen Original
personifiziert wird.
130 Lagerkvist, 1982, S. 5 131 Lagerkvist, 1956, S. 7
48
Während der Lektüre des Romans entsteht das Gefühl, als führten die seelenlosen
Wesen und Gegenstände ihr eigenes Leben. Schaper übersetzt „feeri“ mit
„Wunderwerk“, was inadäquat ist, da trotz gleicher Bedeutung im schwedischen Wort
etwas Zauberhaftes beinhaltet ist, welches im Deutschen verloren geht. Zauberland
oder Feenreich hätten hier den Charme der ursprünglichen Wortwahl besser erfasst.
Dass Schaper „urnor med blommor“ als „Vasen mit Blumen“ übersetzt, ist keine
korrekte Übersetzung, da es das Wort „Blumenurne“ auch im Deutschen gibt und
dieses geeigneter ist, wenn man bedenkt, dass der Tod ein dominierendes Thema im
Roman ist.
Diese Textpassage zeichnet das Bild einer Familie, in deren Alltag der protestantische
Glaube sehr präsent ist:
AT 2:
På en vägg hängde en tavla som föreställde Luther, på en annan ett alfabet
som var broderat på stramalj med många slingor och utsmyckningar och
som det var glas och ram om. Över chiffonjén satt en liten hylla sär det låg
en gammal sliten bibel, Arndts postilla och två nya biblar som de största
flickorna fått vid sin konfirmation, de var överklädda med skrivpapper,
lackat på insidan.132
ZT 2:
An einer Wand hing ein Bild, das Luther darstellte, an einer anderen unter
Glas und im Rahmen ein mit vielen Schnörkeln und Verzierungen auf
Stramin gesticktes ABC. Über dem Schreibsekretär hing ein kleines Bord,
auf dem eine alte, abgegriffene Bibel, Arndts Postille und zwei neue Bibeln
lagen, welche die größeren von den Mädchen zur Konfirmation bekommen
hatten; die waren in Schreibpapier eingeschlagen auf der Innenseite mit
132 Lagerkvist, 1982, S. 7
49
Siegellack gelackt.133
Beachtenswert ist die Übersetzung von „alfabet“ mit „ABC“ statt „Alphabet“. Diese
Übersetzung macht deutlich, dass durch die gestickten Buchstaben vor allem das
Lesen lernen in einer Familie ohne großem literarischen Interesse gefördert wird. Zu
Zeiten Lagerkvists Kindheit war das Erwerben von Literatur ein kostspieliger,
finanzieller Faktor; verdeutlicht wird dies durch die Tatsache, dass lediglich die
wichtigsten religiösen Texte als Bücher vorhanden waren. Aus dem Kontext ist
vertretbar, dass Schaper den Begriff „ABC“ benutzt.
Die folgenden Zeilen wurden gewählt, da sie das Milieu im Roman schildern, aber auch
besondere Redensarten beinhalten:
AT 3:
Så gick de två från de andra. Nerför gräsmattan, förbi kägelbanan där det
mullrade som om det åskat. En fet herre kom ut i skjortärmarna och
pustade med ett glas i handen. – Djävlar, sånt fint väder, sade han –
godmiddag små barn.134
ZT 3:
Nun verließen diese beiden die anderen. Gingen unten über den Rasen, an
der Kegelhalle vorbei, wo es rumpelte, als ob es donnere. Ein dicker Herr in
Hemdsärmeln kam heraus und verschnaufte sich, ein Glas in der Hand.
Teufel noch mal, so schönes Wetter! sagte er, ‘Abend Kinderchen! [sic!]135
Beachtlich ist der Unterschied zwischen „godmiddag“ was auf Deutsch wörtlich
substiert „Guten Mittag“ heißen würde, und das von Schaper benutzte „Abend“. Aus
dem Kontext kann man schließen, dass mit „middag“ das spätere Essen des Tages
gemeint ist und somit Schapers Modulation in Form der Begrüßung „Abend“
vertretbar scheint.
133 Lagerkvist, 1956, S. 11 134 Lagerkvist, 1982, S. 20 135 Lagerkvist, 1956, S. 33
50
Ein Beispiel der Transposition ist in der Übersetzung des Ausdruckes „Djävlar“ in das
deutsche „Teufel noch mal“ zu finden. Die Bedeutung ist die gleiche, im Schwedischen
wird der Teufel aber im Plural benutzt und wird ohne zusätzliche ergänzende Wörter
gebraucht.
Die folgende kurze Schilderung beinhaltet eines der häufigsten Probleme, mit denen
sich Übersetzer aus den skandinavischen Sprachen befassen müssen:
AT 4:
Men mormor stod på förstutrappan, mitt bland alla sina blommor: - Kära
barn, är det ni som kommer, hälsade hon. Hon var så gammal att hon
kallade dem bägge barn. Anders visste ingenting som var så märkvärdigt
gammalt.136
ZT 4:
Die Großmutter aber stand auf der Vorhaustreppe, inmitten aller ihrer
Blumen. Liebe Kinder, seid ihr’s! sagte sie zum Willkomm. Sie war so alt,
daß sie Vater und Sohn Kind nannte. Anders kannte nichts, was so
merkwürdig alt war wie sie.137
Hier wird das Wort „Mormor“ für die Großmutter mütterlicherseits benutzt, wobei es
in der deutschen Sprache keine Differenzierung zwischen den Eltern mütterlicher- und
väterlicherseits gibt. Schaper übersetzt „mormor“ mit „Großmutter“, was eine Eins-zu-
eins-Äquivalenz auf der Textebene ist, obwohl Information verloren geht und die
Übersetzung daher nur Eins-zu-Teil-Äquivalent auf der lexikalischen Ebene ist.138 Den
Leser auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse aufmerksam zu machen, wäre
durchaus vertretbar, da es das enge und familiäre Verhältnis zwischen Anders‘ Vater
und seiner Schwiegermutter betonen würde.
136 Lagerkvist, 1982, S. 38 137 Lagerkvist, 1956, S. 65 138 Vgl. Koller, 1972, S. 142
51
Es ist bemerkenswert, dass der Vater zu den Schwiegereltern auf Besuch, anstatt die
Mutter zu ihren eigenen Eltern fährt und dass die Großmutter ihn „Kind“ nennt, was
auf ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern hinweist. In der
deutschen Übersetzung Schapers geht hierbei durch den neutralen Ausdruck
„Großmutter“ die wichtige Information verloren, dass es sich im Schwedischen um die
Mutter der Mutter handelt und nicht die Mutter des Vaters.
Die folgende Textpassage enthält mehrere spezifische Wörter aus der Agrarwirtschaft,
was davon zeugt, dass sich Edzard Schaper mit der Materie stark aussetzen musste:
AT 5:
Hon hängde ner i lorten också när hon reste sig, men det grymtade ur
fläsket av glädje, smånassar trillade av henne åt alla håll. Hela hon sörplade
hon i sig på en gång, de små försökte också komma åt men räckte inte upp
än. Mormor och han gick sedan vidare och skötte en del i lagårn. Det skulle
mockas efter oxarna óch en ko som stod inne för den skulle kalva. Luckorna
ut till gödselstan fick öppnas.139
ZT 5:
Auch wenn sie aufstand, hing ihr Bauch bis in den Schmutz hinab, aber es
grunzte aus all ihrem Speck vor Freude, die Ferkel purzelten von ihr nach
allen Seiten hinab. Die ganze Bütte schlürfte sie auf einmal in sich, die
Kleinen versuchten zwar, auch etwas zu bekommen, aber sie reichten noch
nicht so hoch hinauf. Von dort gingen die Großmutter und Anders weiter
und verrichteten noch etliches im Stall. Bei den Ochsen und bei einer Kuh,
die zum Kalben im Stall stand, mußte ausgemistet werden. Die Pforten zum
Düngerhaufen hin wurden geöffnet.140
139 Lagerkvist, 1982, S. 42 140 Lagerkvist, 1956, S. 72
52
Es ist davon auszugehen, dass Schaper die agrarwirtschaftlichen Wörter nicht frei
übersetzen konnte, da er keine Erfahrung im Umfeld eines Bauernhofes hatte. Schaper
nahm sich hierbei einige Freiheiten, so verdeutlicht er z. B., dass der Bauch der Sau in
den Schmutz hängt, obwohl im Schwedischen nicht detailliert angeführt wird, welcher
Teil des Tieres hinunterhängt („Hon hängde ner i lorten“, wörtl. Sie hing in den
Schmutz hinab). Dies mag stilistisch raffiniert sein, die Information ist dennoch
überflüssig, da jeder, der die Anatomie eines Schweines kennt, versteht, dass beim
Aufstehen des Tieres, dessen Bauch zu Boden hängt. Zu wenig Information hingegen
bekommt der deutschsprachige Leser wenn es um die Jungtiere geht. Schaper
übersetzt Lagerkvists „smånassar“ mit „Ferkel“. Da „nasse“ an sich „Ferkel“ bedeutet,
wäre hier eine doppelte Verniedlichung, wie sie in der Ausgangssprache zu finden ist,
angebracht, beispielsweise „die kleinen Ferkel“ oder die „Ferkelchen“.
In der folgenden Textstelle dominiert die im Roman stets präsente Gottesfurcht:
AT 6:
Det är gott att höra åskan gå, sade han, då förstår man att det är Gud som
råder. Därefter reste han sig stabbigt och långsamt och gick efter bibeln. –
Var är min lusborste, Stina? sade han. Gumman tog reda på den, en liten
hemmagjord und tagelborste med skaft av virat segelgarn. (…) “Så hörer nu,
och märker till, och trotser icke: ty Herren haver det sagt. Giver Herranom
edrom Gudi ärona, förr än det mörkt vader, och förr än edre fötter stöta sig
på de mörka berg: så att I vänten efter ljuset, och han skall dock görat allt
till mörker och skugga.“141
ZT 6:
– Gut zu hören, daß es donnert, sagte er, da begreift man, daß Gott gebietet.
Steifbeinig und langsam stand er auf und holte die Bibel hervor. Wo ist
mein «Lausefänger», Stina? fragte er. Die alte Frau suchte ihn hervor: eine
kleine, runde, selbstgefertigte Roßhaarbürste mit einem Handgriff aus
141 Lagerkvist, 1982, S. 46
53
gerolltem Segelgarn. «So höret nun und merket auf und verschließt euch
nicht in Trotz, denn der HERR hat gesprochen. Gebet dem Herrn eurem
Gott die Ehre, ehedenn es dunkel wird und eure Füße an den finsteren
Bergen straucheln, also daß ihr auf das Licht wartet und ER doch alles in
Dunkel und Schatten verwandeln wird.»142
Verwunderlich ist Schapers jeweils einmalige Hervorhebung der Worte „HERR“ und
„ER“ im Bibeltext. Was nicht zum Vorschein kommt, ist die Eigenheit des
Schwedischen in Form der Betonung Gottes durch die Großschreibung von „Herr“ und
„Gud“ (Gott), da es im Schwedischen, im Gegensatz zum Deutschen, sonst zu keiner
Großschreibung der Substantive kommt. Es ist denkbar, dass Schaper mit der
Niederschrift der betroffenen Wörter in Versalien jene Bedeutung betonen wollte,
welche die großgeschriebenen Ausdrücke im Schwedischen tragen.
Diese Erklärung erläutert allerdings nicht, weswegen Schaper in der Übersetzung in
den angesprochenen Fällen nur zwei Mal gänzlich Großbuchstaben verwendet, obwohl
„Herr“ bzw. „Gott“ öfter vorkommt.
Das nächste Beispiel schildert die schwedische Natur, welche im Roman eine große
Rolle spielt, auf sehr charakterisierende Weise:
AT 7:
Han hoppade kring som en fågelunge nere på tuvorna. Tittade upp i träden,
tyckte han hörde något, kanske ekorrar? Ristade en grangren och lät det
ösregna lite på lingonriset, släppte också ner lite ösregn på några
hjortronstånd som han skulle plocka av en annan gång. Så kröp han upp
igen på banvallen.143
142 Lagerkvist, 1956, S. 80 143 Lagerkvist, 1982, S. 57-58
54
ZT 7:
Wie ein junger Vogel hüpfte er da auf den Blüten umher, guckte in die
Baumwipfel hinauf, meinte, er höre etwas… Eichhörnchen vielleicht?
Schüttelte einen Tannenzwei und ließ auf das Preiselbeergestrüpp einen
kleinen Wolkenbruch niedergehen, - ein bißchen Wolkenbruch auch über
etliche Schellbeerstauden, die er ein andermal plündern wollte. Und dann
kletterte er wieder auf den Bahndamm hinauf.144
Das Wort „Hjortronstånd“ übersetzt Schaper mit „Schellbeerestauden“, was auf den
Zeitpunkt der Übersetzung schließen lässt. Heute wäre die deutsche Bezeichnung
„Moltebeere“ am gängigsten, obwohl beide ihren Ursprung in den skandinavischen
Sprachen haben. Wenn Moltebeeren im Spätsommer überreif sind, haben sie eine
Lava-ähnliche, fast flüssige Konsistenz. Daher ist davon auszugehen, dass sowohl die
Bezeichnung „Schellbeere“ als auch „Moltebeere“ ihren Ursprung im dänischen „melte“
bzw. norwegischen „molte“ (schmelzen) haben.
Schapers Flair als dichterischer Übersetzer lässt sich in der Wortwahl der Übersetzung
für „ösregn“ bewundern. Die alltäglichste Übersetzung hierfür wäre „Platzregen“, was
im Vergleich zu Schapers Ausdruck „Wolkenbruch“, inhaltlich dasselbe, nur meist
anders benutzt (die übliche schwedische Übersetzung für „Wolkenbruch“ wäre
„skyfall“), plump klingt.
Die Großmutter ist gestorben und für Anders die dauernde Erinnerung an die Nähe
des Todes gewichen:
AT 8:
Anders kände det nästan som en lättnad. Syskonen gick och talade om
mormor hela dagen, om hur hon varit d å och d å – ofta från långt tillbaka –
om vad hon sagt de n gången, om hur bittida hon skulle upp om
morgnarna, om vilka bondkringlor hon kunde baka, om hur hon styrde med
144 Lagerkvist, 1956, S. 99
55
sitt blomsterland, sina pioner, om att en gång som flicka hade hon gått vill i
skogen, och måst vända koftan – om allting.145
ZT 8:
Anders empfand beinahe so etwas wie eine Erleichterung dabei. Die ganze
Kinderschar sprach an diesem Tage nur von der Großmutter: wie sie damals
und damals gewesen sei, - häufig vor sehr langer Zeit - , was sie damals
gesagt habe, wie früh sie immer Morgens aufgestanden sei, was für
prächtige Kringel sie habe backen können, wie sie ihren Garten gepflegt
habe, ihre Päonien, daß sie einmal als kleines Mädchen sich im Walde
verirrt und ihren Rock habe wenden müssen,… von allem, von allem.146
Bemerkenswert in der deutschen Version des Textes ist das scheinbare Ignorieren der
stilistischen Merkmale der Originalversion. Im schwedischen Ursprungstext werden
die Floskeln „wie sie wann gewesen ist“ („hur hon varit d å och d å “ ) und „was sie das
eine Mal gesagt hatte“ („om vad hon sagt d en gången“) mit größerem Zeichenabstand
(Unterschneidung) betont. Schaper übernahm dies nicht in die deutsche Fassung und
bediente sich auch keiner sonstigen stilistischen oder wörtlichen Hinweise.
Dahingestellt sei auch, was Schapers Absicht war als er „Syskonen“ (wörtl. die
Geschwister) mit „die Kinderschar“ übersetzt. Es erweckt den Eindruck, dass Anders
gar nicht zu dieser Gruppe, die sich an die Großmutter erinnert, gehören würde. Es
handelt sich daher um eine Freiheit, die sich Schaper als Übersetzer, ohne
erkennbaren Grund, nahm, da es im Deutschen selbstverständlich ein akkurates
Pendant gibt. Gleiches gilt auch für das Wort „koftan“ welches im Deutschen
„Strickjacke“ bedeutet. Schaper übersetzt dieses Wort mit „Rock“.
145 Lagerkvist, 1982, S. 76 146 Lagerkvist, 1956, S. 131
56
Der folgende Textabsatz beschreibt die Abwendung des jungen Anders‘ weg vom
elterlichen christlichen Glauben, hin zu Richtung realistischer Darwinismus:
AT 9:
Och föräldrarnas gudsfruktan, tung och ålderdomlig, en uråldrig ro som de
sökte känna – under suckar, bara suckar. Den tyngde och tyngde, den ville
liksom kväva en… - Man måste bryta sig ut!
Nej, den nya läran som man fick i sig, den som sopade bort Gud och all
förhoppning, som lade livet öppet och rått, i hela dess nakenhet, hela dess
planmässiga meningslöshet, den hjälpte bättre, den ville en väl. Och den var
ju sann. Inte någon tro – bara såsom det är.147
ZT 9:
Und dazu die Gottesfurcht der Eltern, schwerblütig und altertümlich, eine
uralte Ruhe, die sie auskosten versuchten, - unter Seufzen, nichts als
Seufzen. Sie lastete schwer, lastete schwer … sie wollte einen gewißermaßen
ersticken… Nein, man mußte ausbrechen!
Ja, die neue Lehre, die man verschlang, die Gott und alle Hoffnung
wegfegte, die das Leben offen und roh in aller seiner Nacktheit, all seiner
Planmäßigen Sinnlosigkeit entblößte, - die half besser, die tat einem wohl.
Und außerdem war sie die Wahrheit. Kein Glaube, - nur so wie es ist. [kursiv
im Original]148
Schaper passt den Text der deutschen Sprache besser an, indem er die Wiederholung
„lastete schwer, lastete schwer“ benutzt, um die Kontinuität und Omnipräsenz des
Lastens zu beschreiben. Lagerkvist benutzt im Original die Konjunktion „och“, um
denselben Effekt zu erzielen. Durch die Zeilen sickert die Verzweiflung der
Hauptperson gegenüber der momentanen Situation im Sumpf der Religion und des
Glaubens. Wie eine Erlösung liest man seine Gedanken über die wohltuende neue
147 Lagerkvist, 1982, S. 96 148 Lagerkvist, 1956, S. 166
57
Lehre und deren Realismus. Schaper verdeutlichte dies, indem er die Kernaussage des
neuen „Glaubensersatzes“ mittels kursiver Schriftart betont.
Diese Zeilen geben einen unverdeckten Blick auf den winterlichen Alltag eines
schwedischen Schuljunges zur Jahrhundertwende:
AT 10:
Hade de skurlov i skolan kunde de börja tidigt, då det var morgonfrost och
det sjöng i isen, gubbar stod och kolpade längst ute, var som små prickar.
Kom man fram till dem sade de inte kött, bara blängde.149
ZT 10:
Hatten sie in der Schule Scheuerferien, dann konnten sie zeitig aufbrechen,
wenn noch Morgenfrost war und das Eis sang. Weit draußen standen
Männer und pimpelten, wie kleine Punkte anzusehen. Kam man zu ihnen
hinaus, dann sagten sie keinen Mucks und äugten nur stumm.150
Es kommen in diesem Zitat viele wesensgemäße Ausdrücke vor, welche zeigen, dass
sich der Übersetzer mit der Kultur und den Gegebenheiten des Landes auskennt.
Schaper übersetzt „kolpade“ mit „pimpeln“, was er sicherlich vom schwedischen
„pimpla“ entlehnte. Sowohl „kolpa“ als auch „pimpla“ bedeuten im Schwedischen „das
Fischen in einem Eisloch mit einem Blinker aus Metall“.
„Pimpeln“ im Deutschen bedeutet hingegen „zimperlich sein“, „nicht besonders viel
aushalten“. In diesem Beispiel ist die direkte Entlehnung des Wortes misslungen.
Besser wäre, auch für all jene, die die Sitten der Schweden im Fischereijargon nicht
kennen, die einfache, wenn auch etwaig lexikalisch nicht vollkommene, Übersetzung
mit „eisfischen“.
149 Lagerkvist, 1982, S. 99 150 Lagerkvist, 1956, S. 172
58
Die folgenden drei Zeilen schließen das Werk Gäst hos verkligheten ab. Sie fassen den
Roman, in den beschreibenden Worten der Jugend zusammen und zeigen auch, dass
die Erleichterung Anders‘ wiedergekehrt ist:
AT 11:
De skildes. Hon gick in i huset som om det varit en mänskoboning. Som
befriad från något begav han sig på väg hemåt. Så slutade den första
ungdomen i bara upplösning, oredlighet, förvirring.151
ZT 11:
Sie trennten sich. Sie ging in die Bude hinein, als sei die eine menschliche
Behausung. Wie von irgend etwas befreit, machte er sich auf den Heimweg.
So endete die erste Jugend in nichts als Auflösung, Unordnung,
Verwirrung.152
Dem Leser fällt hier auf, dass Schaper das Wort „huset“ mit „die Bude“ übersetze. Dies
ist verwunderlich, da es im Deutschen ein nahe verwandtes Korrelat mit dem Wort
„Haus“ gibt. Was man auf den ersten Blick Unstimmigkeit nennen könnte, wird in
Anbetracht des Kotexts153 begreiflich: Einige Zeilen davor schreibt Lagerkvist: „Han
följde henne till smedjan. Där var en tillbyggnad bakom, ett kyffe där hon bodde“154 (Er
begleitete sie zur Schmiede. Hinter der war ein Anbau, eine Bretterbude, in der sie
wohnte.155)
151 Lagerkvist, 1982, S. 117 152 Lagerkvist, 1956, S. 205 153 Anm.: Kotext bezieht sich auf die Information, die der Leser dem vorhandenen Text entnehmen kann, um einen anderen Teil des Textes zu verstehen. Vgl. Koller, 1972, S. 140 154 Lagerkvist, 1982, S. 117 155 Lagerkvist, 1956, S. 205
59
5.3 Barabbas
Der 1950 erschienene und im selben Jahr von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte
Roman beschäftigt sich mit dem Glauben und insbesondere dem Leben Jesus‘ aus Sicht
des Räubers Barabbas. Barabbas wird in allen vier Evangelien der Bibel als verhafteter
Mörder geschildert, der durch Pilatus, auf Begehren des Volkes, anstatt Jesus
begnadigt wurde.156 In Lagerkvists Roman folgt der Räuber den Geschehnissen um
Ostern, ohne sich selbst erklären zu können, aus welchem Grund er dies macht. Wie
ein roter Faden durch sein Leben wird er immer wieder mit dem Christentum
konfrontiert und muss sich mit Glaubensthemen auseinandersetzen. Er ist vor Ort am
Golgatha und am leeren Grab Christi, er trifft die ersten Jünger Christi und unterhält
sich mit von Jesus geheilten Menschen. Er wird für mehrere Jahre in Gefangenschaft an
einen tiefgläubigen Christen gekettet und glaubt, den Christen endlich einen Gefallen
zu tun, als er die Stadt Rom anzündet in der Annahme, Jesus und Gott wollen die
sündige Welt reinigen. Schließlich endet sein durch viele Schicksalsschläge
gekennzeichnetes Leben doch am Kreuz.
Dieser Roman von Pär Lagerkvist erregte viel Aufmerksamkeit und war der
Hauptgrund weshalb er ein Jahr später den Nobelpreis verliehen bekam. Das folgende
Zitat in Verbindung mit der Verleihung des Preises zeigt die enge Verbindung
zwischen Buch und Preis: „Pär Lagerkvist ist hier in der Schweiz eigentlich nur
bekannt geworden durch Barabbas, der 1950 erschienene, von Edzard Schaper
übersetzte Roman.“157
Die folgende Passage ist die erste im Roman Barabbas. Sie schildert die Kreuzigung
von Jesus Christus am Golghata mit Informationen die man generell aus der Bibel
kennt:
156 Vgl. Das Neue Testament, 2001, S. 1255 157 Langheiter-Tutschek, 2008, S. 200
60
AT 1:
Alla vet hur de hängde där på korsen och vilka som stod samlade omkring
honom, Maria hans moder och Maria från Magdala, Veronika och Simon
från Cyrene, som bar korset, och Josef från Arimatea, han som svepte
honom. Men ett stycke längre ner på sluttningen, lite avsides, stod en man
och iakttog oavlåtligt honom som hängde däruppe och dog, följde hans
dödskamp ända från dess början till dess slut. Hans namn var Barabbas.158
ZT 1:
Alle wissen, wie die damals am Kreuze hingen und wer um ihn herum
versammelt stand: Maria, seine Mutter, und Maria von Magdala, Veronika
und Simon von Kyrene, der das Kreuz getragen hatte, und Joseph von
Arimathia – der, der ihn in Linnen hüllte. Aber etwas weiter entfernt den
Abhang hinab, ein wenig abseits, stand ein Mann und beobachtete
unablässig ihn, der da oben hing und starb, verfolgte seinen Todeskampf
vom Anfang bis zum Ende. Sein Name war Barabbas.159
Es geht aus dem Zitat deutlich hervor, dass Edzard Schaper ein fundiertes Wissen der
Geschehnisse in der Bibel besaß, da sich viele der Namen und Orte im Deutschen
geringfügig ändern. Ein weiteres Indiz für seine religiösen Kenntnisse zeigt die
Tatsache, dass er die Worte „som bar korset“ mit „der das Kreuz getragen hatte“
übersetzt.
Der schwedische Reflexivsatz hätte auch bedeuten können, dass beide, sowohl
Veronika als auch Simon von Kyrene, das Kreuz getragen hatten, da das
Reflexivpronomen „som“ sowohl männlich, als auch weiblich, singulär als auch plural
sein kann. Dieses Beispiel zeigt evident, wie wichtig die Bedeutung des Kontexts, in
diesem Fall das Allgemeinwissen über die Bibel, für den Übersetzer ist.160
158 Lagerkvist, 1975, S. 5 159 Lagerkvist, 1990, S. 87 160 Vgl. Koller, 1972, S. 139
61
Im nächsten Zitat werden weiter die Stunden am Hügel Golgatha, welche die meisten
Christen kennen, geschildert:
AT 2:
Men plötsligt mörknade det ver hela backen som om solen mist sitt sken,
det blev nästan nermörkt, och uppe i mörkret ropade den korsfäste med
hög röst: “Gud, min Gud, varför har du övergivit mig!“ Det lät hemskt. Vad
kunde han mena med det? Och varför blev det mörkt? Det var ju mitt på
ljusa dagen. Det var alldeles obegripligt. De tre korsen skymtade bara
otydligt däruppe, det såg kusligt ut.161
ZT 2:
Plötzlich aber brach eine Finsternis um den Hügel herein, als habe die
Sonne ihren Schein verloren, es wurde beinahe pechfinster, und in dieser
Finsternis droben rief der Gekreuzigte mit lauter Stimme: „Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen!“ Das klang entsetzlich. Was wollte er
damit sagen? Und warum wurde es dunkel? Es war ja doch mitten am
hellichten Tag! Das war ganz unbegreiflich. Die drei Kreuze da oben waren
nur ganz undeutlich zu ahnen, unheimlich sah das aus.162
Da die ähnliche Passage in der Bibel geschildert wird,163 hält sich Schaper an diese und
übersetzt „med hög röst“ mit „mit lauter Stimme“, so wie es auch in der
deutschsprachigen Bibel nachzulesen ist. Würde man den Text auf Schwedisch zum
ersten Mal lesen, ohne je zuvor von diesen Geschehnissen gehört zu haben, ginge man
wahrscheinlich davon aus, dass mit „med hög röst“ eher eine Stimme in hoher Tonlage
gemeint ist, also die deutsche Übersetzung „mit hoher Stimme“.
161 Lagerkvist, 1975, S. 9 162 Lagerkvist, 1990, S.95 163 Vgl. Bibel, Das Evangelium nach Matthäus, 27:46
62
Als weiteren Beweis für die sprachliche Eigenart Lagerkvists, die Schaper so elegant ins
Deutsche fließen lässt, dient folgendes Zitat:
AT 3:
Ingen kan som sagt veta vad av detta är sant. Men vad man med
bestämdhet vet är att han ett stycke upp i femtiårsåldern kom som slav till
den romerske ståthållarens hus i Paphos efter att ha tillbringat några år i de
cypriska koppargruvorna som lydde dennes förvaltning. Varför han gripits
och dömts till gruvorna, till det mest fruktansvärda straff som kan tänkas, är
inte känt. Men märkligare än att något sådant kunnat hända honom är att
han efter att ha varit nedstigen till detta helvete hade kunnat få återvända
till livet igen, om också fortfarande som slav.164
ZT 3:
Niemand kann, wie gesagt, wissen, was von allem dem wahr ist. Doch was
man mit Sicherheit weiß, das ist, daß er im Alter von fünfzig und etlichen
Jahren als Sklave in das Haus des römischen Statthalters in Paphos kam,
nachdem er einige Jahre in den zyprischen Kupfergruben zugebracht hatte,
die unter dessen Verwaltung standen. Warum er gefangen und zur Arbeit in
den Gruben verurteilt worden war, der furchtbarsten Strafe, die man sich
vorstellen kann, ist nicht bekannt. Merkwürdiger aber, als daß ihm so etwas
hatte widerfahren können, ist wohl, daß er, nachdem er in diese Hölle
hinuntergestiegen war, wieder vermocht hatte, ins Leben zurückzukehren,
wenn auch weiterhin als Sklave.165
Bemerkenswert ist die Übersetzung von „ett stycke upp i femtiårsåldern“ mit „im Alter
von fünfzig und etlichen Jahren“, da dies ein bezeichnendes Beispiel für Transposition
ist. Schaper erfasste die Bedeutung des Satzes genau und transportierte diese ins
Deutsche, obwohl er andere Wörter benutzt.
164 Lagerkvist, 1975, S. 76 165 Lagerkvist, 1990, S. 190
63
Auf Deutsch würde der Satz wörtlich übersetzt „ein Stück hinein in das
*Fünfzigjahrsalter“ lauten, was kein korrektes Deutsch ist. Schapers Wortwahl trifft die
Bedeutung genau (Barabbas ist über 50 Jahre, aber es ist nicht genau definiert wie alt)
und trägt zu flüssigem Lesen des Textes bei.
Der nächste Passus enthält deutliche Spuren von Lagerkvists kritischer Haltung dem
christlichen Glauben gegenüber, da Barabbas einem Mann, den Jesus Christus von den
Toten erweckt hatte, gesteht, dass er nicht glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist:
AT 4:
Mannen tog inte illa upp utan nickade bara och sade: - Nej, det finns det
flera som inte gör. Hans mor, som var här igår, hon tror det inte heller. Men
mig har han ju uppväckt från de döda för att jag skall vittna om honom.
Barabbas sade att då förstod man ju väl att han måste tro på honom.166
ZT 4:
Der Mann nahm das nicht übel auf, sondern nickte nur und sagte: Nein, es
gibt noch mehr, die das nicht tun. Aber mich hat er ja von den Toten
auerweckt, damit ich von ihm zeuge. Barabbas sagte, dann verstehe man ja
gut, daß er an ihn glauben müsse.167
In der Originalversion meint der Auferweckte zu Barabbas Aussage, es gäbe mehrere,
die es nicht glauben, z. B. Jesus‘ Mutter. Schaper ließ den Satz: „Hans mor, som var här
igår, hon tror det inte heller“168 aus der Übersetzung komplett weg, was laut Wilss die
Grundsätze der Übersetzung grob verletzt: „In einer Übersetzung darf gegenüber dem
Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.“169
166 Lagerkvist, 1975, S. 46-47 167 Lagerkvist, 1990, S. 149 168 Lagerkvist, 1975, S. 46 169 Wilss, 1977, S. 156
64
Es ist davon auszugehen, dass Schapers kürzlich zuvor vollzogene Konvertierung zum
Katholizismus, wo die Mutter Gottes einen hohen Stellenwert besitzt, als Grund für
diesen Verstoß auszumachen ist.170 Die Aufdeckung dieses Weglassens durch Johannes
Iwer Langfeldt war schlussendlich der Anstoß für die Beendung des Übersetzer-Autor
Verhältnisses zwischen Schaper und Lagerkvist.
Die folgenden Sätze geben ein raffiniertes Zusammenspiel von Wörtern wieder. Der
weltliche Herrscher wird mit dem himmlischen Herrscher verglichen:
AT 5:
Den gamle ristade bekymrat på sitt vita huvud när han hörde det. Och han
frågade Barabbas hur han kunde tro att det var de som anlade branden. Det
var ju caesar själv som lät göra det, vildjuret själv, och det var honom
Barabbas hade hjälpt. – Det var denna världens härskare som du hjälpte,
sade han, honom som det står på din slavbricka att du tillhör, inte den
Herre vars namn är överkorsat på den. Du tjänade utan att veta det din rätta
herre. – Vår Herre är Kärleken, tillade han stilla.171
ZT 5:
Der Alte schüttelte bekümmert seinen weißen Kopf, als er das hörte. Und er
fragte Barabbas, wie er denn habe glauben können, daß sie es seien, die das
Feuer angelegt hätten. Es sei ja der Cäsar selbst, der das habe tun lassen, das
Ungeheuer selber-, und er sei es, dem Barabbas geholfen habe. Der Fürst
dieser Welt ist es, dem du geholfen hast, sagte er, er, dem du gehörst, wie
auf deiner Sklavenmarke steht, und nicht dem Herrn, dessen Name darauf
mit einem Kreuz durchgestrichen ist. Du hast, ohne es zu wissen, deinem
rechten Herrn gedient. – Unser Herr ist die Liebe, fügte er leise hinzu.172
170 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2003, S. 120 171 Lagerkvist, 1975, S. 127 172 Lagerkvist, 1990, S. 266
65
Eine besondere Bedeutung liegt bei Lagerkvist in der Symbolik, dass der Name Gottes
auf der Sklavenmarke von den Römern „överkorsat“ (überkreuzt) anstatt
„överstreckat“ (durchgestrichen) wurde. Da das Kreuz in der christlichen Religion eine
große Rolle spielt, ist es besonders in diesem Roman, wo der Protagonist dem Kreuze
entgeht, wichtig, diesen Symbolismus nicht zu verlieren. Schaper löste dies, indem er
„mit einem Kreuz durchgestrichen“ schreibt.
Die letzten Zeilen des Romans Barabbas reflektieren den Verlauf des gesamten
Werkes:
AT 6:
Bara Barabbas hängde ensam kvar, ännu vid liv. När han kände döden
komma, den som han alltid hade varit så rädd för, sade han ut i mörkret,
som om han talade till det: - Till dig överlämnar jag min själ. Och sedan gav
han upp andan.173
ZT 6:
Nur Barabbas hing da noch allein, immer noch am Leben. Als er den Tod
nahen spürte, den Tod, vor dem er immer so große Angst gehabt hatte,
sagte er in das Dunkel hinein, als spreche er zu ihm: Dir befehle ich meine
Seele an! Und dann gab er den Geist auf.174
Barabbas hängt letztendlich alleine am Kreuz, so wie er sein Leben alleine gelebt hatte.
Interessant ist hierbei das Faktum, dass „zu ihm“ auf Deutsch sowohl sachlich als auch
männlich sein kann. Der Leser könnte die Auffassung haben, dass Barabbas diese
Worte zu Gott und nicht zur Dunkelheit sagt. Typischerweise gibt man Gott seine
Seele, in diesem Fall wird nur festgehalten, dass Barabbas zur Dunkelheit spricht und
ihr seine Seele anvertraut.
173 Lagerkvist, 1975, S. 129 174 Lagerkvist, 1990, S. 269
66
Aufmerksamkeit erweckt das Hinzufügen eines Rufzeichens von Schaper am Ende des
Satzes: „Dir befehle ich meine Seele an!“ Dies ist eine stilistische Abweichung vom
Original, was den Sachverhalt dreht, da beim Lesen der schwedischen Version eher die
Ansicht entsteht, Barabbas würde dies erschöpft und aufgegeben sagen, nicht mit jener
Kraft, die durch ein Rufzeichen erzeugt wird.
67
6 Frans Eemil Sillanpää
6.1 Über den Autor
Frans Eemil Sillanpää wurde am 16. September 1888 im südwestfinnischen Dorf
Hämeenkyrö geboren. Hämeenkyrö liegt zwischen den ehemaligen Verwaltungs-
gebieten Häme und Satakunta und zeigte schon immer besondere Merkmale der
Vielfältigkeit auf. Hier lebten große Gutsherren fast Seite an Seite mit armen Kätnern.
In dieser Umgebung kam Sillanpää als Sohn eines solchen auf die Welt und diese
Eindrücke, sowohl von den Menschen, als auch von den vorherrschenden
Verhältnissen, tauchen in Sillanpääs Romanen immer wieder auf. Seine Eltern
verschafften sich durch das Betreiben einer Handelsbude ein Zusatzeinkommen und
so war es möglich, dass der begabte Junge nach Tampere kam, um dort Schulen zu
besuchen.
Im Laufe der Zeit fand Sillanpää Anstellungen als Hauslehrer, verdiente das
notwendige Geld für den Schulbesuch selbst und konnte sein Abitur im Jahr 1908
machen sowie ein Studium der Naturwissenschaften an der Universität Helsinki
beginnen. Während des Studiums häuften sich erste Anzeichen einer psychischen
Labilität, welche den jungen Studenten zum Abbruch des Studiums zwangen und ihn
sein Leben lang begleiten würden. Zum Elternhaus zurückgekehrt begann Sillanpää zu
schreiben.
Im Jahr 1915 erschien seine erste Novelle Kodin helmasta (Aus dem Schoß des Heims)
und er lernte seine zukünftige Frau Sigrid Salomäki kennen, die er ein Jahr später 1916
heiratete. Die Ehe verlief glücklich und sie bekamen acht Kinder, bevor Sigrid 1939
starb. Im Heiratsjahr 1916 erschien auch Sillanpääs erster Roman Elämä ja aurinko
(Sonne des Lebens (1951) – siehe Kapitel 6.2), der bis heute zu den bekanntesten
Werken seines Schaffens zählt. Der finnische Bürgerkrieg, welcher im Jahr 1918 nach
dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen den „Roten“ und bürgerlichen „Weißen“
ausbrach, hinterließ tiefe Spuren im Leben Sillanpääs.175
175 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff.
68
Während seines Universitätsstudiums zeigte Sillanpää, wie auch Pär Lagerkvist (vgl.
Kapitel 5.2), großes Interesse für Charles Darwins Entwicklungslehre und konnte nicht
verstehen, dass die Menschen derart respektlos und fahrlässig mit wertvollen
Menschenleben umgingen. Der Bürgerkrieg ist auch eines der zentralen Themen im
Roman Hurskas kurjuus (Das Fromme Elend (1948) – siehe Kapitel 6.3) welcher 1919
erschien. Frans Eemil Sillanpää konnte nicht geschickt mit Geld umgehen und teils
deshalb, teils wegen unterschiedlichen Arbeitsaufgaben, lebte die Familie an vielen
verschiedenen Orten in Finnland.176 Wie bewegt sein Leben war, zeigt folgendes
Beispiel von Edzard Schaper:
(…) daß eines Nachts, Anfang Dezember 1939, während eines wütenden
Schneesturms ein Mann um die Fünfzig herum mit vielen Kindern an der
Hand die finnisch-schwedische Grenze in Tornio überschritten und sich
und seine Kleinen im Warteraum des Zollamtes mit heißem Kaffee und Brot
gestärkt haben soll, ohne die Zeche bezahlen zu können. Er mußte sich
schon beim Bestellen die Gunst ausbitten, seine Schuld erst auf dem
Rückweg nach etlichen Wochen bezahlen zu dürfen, wenn er nach
Stockholm gefahren war und sich – den Nobelpreis abgeholt hatte. Der
kinderreiche Schuldner jener Winternacht war Frans Eemil Sillanpää, der
finnische Dichter.177
1939 wurde Sillanpää der Nobelpreis für Literatur verliehen. Der Zweite Weltkrieg
wütete, Finnland war durch den Krieg mit der Sowietunion arm und geschädigt, und
daher widmete Sillanpää diesen Preis seinem Land und seinem Volk. Es war ein sehr
kontroverser Nobelpreis, da es das erste Mal war, dass die Entscheidung nur anhand
von Übersetzungen beurteilt und getroffen wurde – niemand im Komitee der
Schwedischen Akademie, die über den Preisträger entscheidet, war der finnischen
Sprache mächtig.
176 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff. 177 Schaper, 1956a, S. 5
69
Es war auch politisch eine sehr heikle Entscheidung, da man in der Akademie Angst
hatte, mit einem finnischsprachigen Literatur-Nobelpreisträger die Stellung der
schwedischen Sprache in Finnland zu schwächen. Aufgrund des Weltkrieges war es
zudem unsicher, ob dieser Preis die Russen oder Deutschen erzürnen würde.
Schlussendlich erhielt Sillanpää seinen Preis im Rahmen einer formlosen Zeremonie
und die Verleihung des Nobelpreises wurde wegen des Zweiten Weltkrieges erst 1944
wieder verliehen.178 Sillanpää verblieb damals fünf Jahre lang als letzter
Nobelpreisträger und ist bis heute der einzige finnische Nobelpreisträger für
Literatur.179
Die früheren psychischen Probleme Sillanpääs kamen erneut zum Vorschein,
einerseits aufgrund des Todes seiner Frau sowie der rasch gefolgten Eheschließung mit
seiner Sekretärin Anna von Hertzen und andererseits wegen der Erwartungen, die auf
dem frischgebackenen Nobelpreisträger lasteten: „Einen Mann, dessen Weltruf in
einem Augenblick großer, geschichtlicher Entscheidungen geboren wurde, betrachtet
man anders, als jemanden, dessen Lorbeeren in langen, gleichmütigen Jahren
wachsen.“180
Es gelang ihm nicht, an seine früheren Erfolge anzuknüpfen und seine nach 1939
entstandenen Werke blieben im Ausland weitgehend unbekannt. Große Popularität
genoss er als „Taata“, als Großvater der Nation im Radio, wo er seine eigenen Werke
vortrug, aber vor allem durch das Lesen der Weihnachtspredigt, die von 1945 bis 1963
in vielen finnischen Familien ein traditioneller Bestandteil des Heiligen Abends war.
Am 3. Juni 1964 starb Frans Eemil Sillanpää in Helsinki und kehrte in seine
Heimatgegend zurück, indem er am Friedhof von Hämeenkyrö begraben wurde.181
178 Vgl. Rajala, 1993, S. 194 ff. 179 Vgl. Nobelpreisträger, 2012 (Sonstige) 180 Schaper, 1951, S. 38 181 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff.
70
6.2 Elämä ja aurinko / Die Sonne des Lebens
Das von Frans Eemil Sillanpää verfasste Werk Elämä ja aurinko (wörtl. Das Leben und
die Sonne) erschien 1916 und wurde von Edzard Schaper unter dem Titel Sonne des
Lebens 1951 ins Deutsche übersetzt. In diesem Roman, welcher explizit auf Wunsch des
Autors sui generis veröffentlicht wurde, obwohl das Werk deutliche Merkmale eines
Romans aufweist, folgt Sillanpää dem Leben drei junger Menschen, Lyyli, Olga und
Elias, vom Frühling bis in den Herbst eines Jahres. Im Vordergrund steht die
menschliche Entwicklung, die diese Jugendlichen im Laufe des Sommers durch
Sehnsucht, Liebe und Enttäuschung durchlaufen. Der 30-jährige Student Elias kehrt
aus der Stadt, in der er die Universität besucht, zurück zu seiner Mutter, um in seinem
Heimatdorf den Sommer zu verbringen. Auf Elias hatte die 19-jährige Lyyli gewartet.
Nachdem sie einander gegenüber im vergangenen Sommer Gefühle gezeigt hatten,
malte sie sich in ihren Träumen ein Idealbild von Elias aus. Nachdem sich Lyyli Elias
jedoch in der Mittsommernacht hingegeben hatte, bricht dieser den Kontakt für
Wochen ab. Teilweise Schuld an diesem Bruch trägt Olga, die 25-jährige Tochter der
neuen Vermieter des Elternhauses von Elias, die kurz vor der Hochzeit mit dem
älteren und gelehrten Rechtsanwalt Erik Brunius steht und davor noch einmal die
Gesellschaft eines jungen Studenten, in diesem Fall Elias, genießen will. Der Roman
endet im Herbst – Lyyli lehnt Elias‘ Heiratsantrag ab, Olga heiratet Brunius wie geplant
und Elias kehrt zurück in die Stadt zu seinem Studium.
Elämä ja aurinko wird wegen der Spannungen zwischen den Protagonisten oft als
Schilderung eines Triangeldramas beschrieben. Die wirklichen Hauptrollen in diesem
Werk spielen dennoch die lyrische Sprache des Erzählers, der die Geschehnisse meist
auktorial schildert, zeitweise sogar die Perspektive eines Insektes einnimmt, und die
finnische hochsommerliche Natur.
Zur Zeit seiner Erscheinung erhielt der Roman gemischte Kritiken, viele lobten die
Sprache und die Handlung, andere hingegen lehnten das Werk strikt ab – v. a. wegen
seiner Unsittlichkeit.
Die ersten Zeilen des Werkes Elämä ja aurinko sind richtungsweisend für den
gesamten Stil, v. a. für die Wortwahl und Milieuschilderungen des Romans:
71
AT 1:
Prologi. Kotiutunut. [Überschrift] Poika tulee kotipaikalleen juuri sinä
aikana, jolloin laakson rinteelle on ehtinyt aivan nuori suvi. Suvea on
ikäänkuin siroteltu kaikkialle, sitä on puissa, on maassa on taivaan laessa.
Poika näkee kaukaa tieltä, että porstuanoven puolisko on auki, ja se seikka
määrää koko harmaan rakennuksen sävyn, eikä hän enää lähestyessään sitä
katselekaan.182
ZT 1:
Der Heimkehrer [Überschrift]. Der Sohn kehrt gerade um die Zeit in seine
Heimatgegend zurück, da der wiedererwachte Sommer bei den Talhängen
angelangt ist. Über allem liegt ein Anflug von Sommer: über den Bäumen,
über den Feldern, über dem ganzen Himmelsgewölbe. Schon von weitem
wird der Sohn gewahr, daß ein Flügel der Haustür offensteht, und das prägt
die ganze Stimmung, die über dem grauen Hause liegt, obwohl er beim
Näherkommen gar nicht mehr darauf achtgibt.183
Schaper ließ den Übertitel des ersten Kapitels weg und verschweigt somit den
deutschsprachigen Lesen, dass es sich bei diesem Stück um den Prolog handelt. Die
schon erwähnte Passage „da der wiedererwachte Sommer bei den Talhängen angelangt
ist“ erweckt Verwunderung, da es in der finnischen Version „aivan nuori suvi“ (wörtl.
der ganz junge Sommer) ist, der an den Talhängen angelangt. Dies ist einem
Übersetzungsfehler gleichzustellen, da das Adjektiv „wiedererwacht“ etwas Altes,
Wiederkehrendes beschreibt und im Finnischen explizit auf das neue Dasein des
Sommers aufmerksam gemacht wird. Eine treffendere Formulierung wäre sicherlich
„eben erwachte“.
Interessant ist, dass Schaper „poika“ mit „der Sohn“ übersetzt. Im Finnischen bedeutet
das Wort sowohl Sohn als auch Junge. Da in diesem Fall Elias, wie aus dem Kotext
hervorgeht, auf dem Weg zu seiner Mutter ist, stellt die Wortwahl „Sohn“ eine 182 Sillanpää, 1948, S. 7 183 Sillanpää, 1951, S. 5
72
vertretbare Übersetzung dar. „Der Junge“ würde an dieser Stelle ebenso funktionieren,
da später in dem Roman beschrieben wird, dass Elias erst nachdem er die Nacht mit
Lyyli verbracht hatte, ein Mann ist.
Bereits im ersten Kapitel kann festgestellt werden, dass Schaper hier mehrere Zeilen
unübersetzt lässt und so sieben Seiten des Originals auf eine halbe Seite in der
deutschen Version komprimiert:
AT 2:
Niinkuin hänen sisäinen ihmisensä olisi sanonut itselleen: »tässä minä nyt
istun», ja sillä tulkinnut ja selittänyt koko olemisen arvoituksen. Tällaisena
lyhenä hetkenä tuntui siltä, kuin olisi yksin olemassa ihmisenä, mutta se
tunne ei kauhista eikä riemastuta, siihen ei liity surun eikä ilon vivahdusta.
(…) Ravistakoon suosiollinen lukija mielestään kaikki, mitä tähän asti on
kerrottu, aivan kuin rakastavainen havahtuu tuijotuksestaan ja huomaa
armaansa jälleen. Nyt on kesä, Malkamäen vanhanemännän poika Elias on
tullut kotiin; ja siihen seikkaan on kätkettynä erään kesäisen kertomuksen
alku; sellaisen kertomuksen, joka kaikkine tummine sointuineenkin
myöhemmin saa ympärilleen runouden hohteen; se on kätkettynä kuin
linnun pesä kukkivaan pensaikkoon. (…) Oli kevään kuu. Jokin näkymätön
painavuus yhä keveni, nousi ylös ja haihtui maan ilmapiiristä pois. (…)
Hänen läheisin ystävänsä oli »Herttua», ja kolmas, sen huoneen asukas,
jossa he nyt kaikki istuivat, oli »Rikas-mies»». (…) Keinutuoli soutaa yhä ja
hyräily pyrkii usein korkeimpaan diskanttiin.184
ZT 2:
Als hätte sein Innerstes sich selber gesagt: Hier sitze ich nun! und [sic!]
damit das ganze Rätsel des Daseins erklärt und gedeutet. Jetzt ist es
Sommer. Der Sohn der Altwirtin auf dem Malkamäki-Hof, Elias, ist
heimgekehrt, und damit ist der Anfang eines Sommermärchens verknüpft, -
184 Sillanpää, 1948, S. 9-16
73
eines Märchens, das trotz allen seinen dunklen Untertönen zuletzt doch
von einem Glanz des poetischen übergossen wird. Wie ein Vogelnest
verbirgt dieses Märchen sich unter den blühenden Büschen. (…) Immer
noch schaukelt der Schaukelstuhl, und die Töne steigen häufig in den
höchsten Diskant hinauf.185
Es ist einem Übersetzer nicht erlaubt, eigenmächtig Textpassagen wegzulassen,
jedenfalls nicht ohne in einer Fußnote darauf aufmerksam zu machen. Das nicht
Berücksichtigen eines einzigen Satzes kann dazu führen, dass der
Übersetzungsauftrag, wie es bereits im Zuge der Zusammenarbeit zwischen Schaper
und Lagerqvist geschehen ist (siehe Kapitel 4.1), gekündigt wird. Besonders für
Sillanpää ist ein philosophischer, ausschweifender Schreibstil typisch. Diese Merkmale
gestalten das Übersetzen komplizierter, jedoch ist Schapers Verhaltensweise in
keinster Weise vertretbar, da damit nicht nur der Zieltext verfälscht und der Stil des
Originals, sondern auch wichtige Informationen vorenthalten werden.
Dem Leser der deutschsprachigen Version entgeht die Schilderung der Beziehung
zwischen Mutter und Sohn und vor allem wird dem deutschsprachigen Leser die
Bekanntschaft mit den Studienkommilitonen des Protagonisten Elias verweigert. Diese
zwei Studenten, im Finnischen „Herttua“ (der Herzog) und „Rikas-mies“ (Reicher
Mann) genannt, sind zwar keine Hauptpersonen des Romans, aber immer
wiederkehrende Nebendarsteller. Der sonnige sommerliche Nachmittag, den Elias mit
ihnen verbringt, gibt außerdem einen besonderen Einblick in das Leben des jungen
Studenten und beschreibt auch die Rolle des Sommers als Spalter und Trenner
normaler Freundschaften für eine gewisse Zeit.
Es kann kaum einen zulässigen Grund geben, der Schaper zu diesem Schritt
veranlasste. Eventuell beurteilte er den deutschsprachigen Leser als zu ungeduldig, um
sich durch Sillanpääs sehr geschmückte Sprache durchzukämpfen, oder seine eigenen
Finnisch-Kenntnisse waren zu gering, um die komplette Übersetzung zu meistern.
185 Sillanpää, 1951, S. 8
74
In den von Schaper übersetzten Zeilen verbergen sich auch nicht nachvollziehbare
Unstimmigkeiten in Zusammenhang mit dem Ausgangstext. So übersetzt er „hyräily“
mit „Töne“, obwohl der korrekte deutsche Begriff „vor sich hinsummen“ lauten würde.
Der deutsche Begriff „Töne“ lässt einiges unklar, da nicht klar erkennbar ist, ob die
ansteigenden Töne vom Schaukelstuhl oder vom Mensch, der diesen durch sein
Wippen bewegt, stammen. Dadurch verändert sich auch die Stimmung, da man sich
bei jemandem, der vor sich hinsummt, einen entspannten Sommertag vorstellt.
Die folgende Textpassage fängt die Stimmung, die Sillanpää mit seiner lyrischen
Wortwahl kreiert, besonders gut ein:
AT 3:
Pihalla viipyi vielä jätteitä äskeisestä tunnelmasta, kun Lyyli asteli
saunatietä pirttiin päin. Mutta hänestä itsestään tuntui siltä, kuin hänen
äskeinen pihamaalla kokemansa mieliala olisi kuulunut viime talveen. Hän
silmäili harjulle päin metsän lapetta ja koetti kuvitella, miltä maa siellä
näyttäisi. Ilma oli koleahko, haavat olivat jo jääneet pimentoon. (…) Vallitsi
tavallinen arki-illan raukeus, jota kuitenkin leudonsi se, että syötiin ja
vihdottiin ilman valkeata.186
ZT 3:
Als Lyyli auf das Haus zuging, lag noch etwas von der früheren Stimmung
über dem Hof. Ihr selber aber kam es vor, als habe sie diese Stimmung
während des vergangenen Winters erlebt. Sie sah zum Waldrand auf der
Höhe hinüber und versuchte sich vorzustellen, wie es dort aussehe. Die Luft
war kühl, schon umspann die Espen der Schatten. (…) Es herrschte die
übliche Mattigkeit eines Werktagabends, nur dadurch gemildert, daß man,
ohne Licht zu machen, aß und badete.187
186 Sillanpää, 1948, S. 24-25 187 Sillanpää, 1951, S. 18-19
75
Schaper gelingt es, die Stimmung dieses frühsommerlichen Abends wiederzugeben,
obwohl ihm einige stilistisch fragwürdige Entscheidungen unterliefen. Dass Schaper
„kuin (…) mieliala olisi kuulunut viime talveen“ mit „als habe sie diese Stimmung
während des vergangenen Winters erlebt“ übersetzt, ist nicht ganz nachvollziehbar, da
es auf Deutsch wörtlich „als hätte die Stimmung dem vergangenen Winter angehört“
heißt und auch ganz natürlich klingt. Da sich der Inhalt des Satzes nicht ändert, kann
durchaus von einer Frage des Geschmacks gesprochen werden, da in diesem Fall eine
wörtliche Übersetzung problemlos möglich gewesen wäre.
Schaper lässt bei der Übersetzung weg, dass sich Lyyli auf dem „saunatie“ (der Weg
von/zu der Sauna) befindet. Dies ist tragbar, da der Leser dem Kotext entnehmen
kann, dass Lyyli vorher in der Sauna war.
„Koleahko“ wird bei Schaper mit „kühl“ übersetzt, was die Bedeutung dieses Adjektivs
nicht exakt wiedergibt. Der Ableitungssuffix „-hko“ wird zwar als Mittel zur
Adjektivbildung aus Nomina definiert, jedoch ist er im gängigen Sprachgebrauch als
Abstufung zu sehen, vergleichbar mit dem englischen „-ish“ (z. B. it was coldish), und
bedeutet, dass etwas in eine Richtung geht, aber dennoch nicht ganz so ist. Um
originalgetreu zu agieren, sollte daher „koleahko“ mit „eher kühl“ übersetzt werden.
Im selben Satz fällt auf, dass Schaper „haavat olivat jo jääneet pimentoon“ (wörtl. die
Espen sind schon in der Dunkelheit geblieben) mit „schon umspann die Espen der
Schatten“ übersetzt. Es ist eine überraschend lyrische Wortwahl, die ungleich der
sonstigen Beispiele in diesem Satz sogar die Sprache von Sillanpää toppt. Den
Gesamtstil des Werkes betrachtend ist diese Übersetzung passend. Dennoch wäre es
originalgetreuer, wenn Schaper die lyrischen Passagen dichterisch übersetzen würde
und bei den informativen Teilen Sillanpääs Stil beibehalten würde.
Schaper übersetzt „arki-illan raukeus“ mit „Mattigkeit eines Werktagabends“. Dies ist
rein wörtlich korrekt, hat aber einen bitteren Beigeschmack, da „raukeus“ im
Finnischen mehrere Bedeutungen hat: Es kann sowohl „Müdigkeit“ und „Schlaffheit“,
76
als auch „Entspanntheit“ bedeuten. Ohne Zweifel handelt es sich hierbei um die
„Entspanntheit“, die man nach einem Saunaaufenthalt verspürt. Schaper scheint die
Betonung auf die Tatsache, dass es ein Werktagabend und man dadurch müde ist
legen zu wollen.
Ein spezifisches finnisches Wort, das in diesem Zitat vorkommt, ist „vihdottiin“ (es
wurde mit dem Birkenquast geschlagen), eine Tätigkeit, welche in der Sauna ausgeübt
wird. Schaper übersetzt diesen Ausdruck mit „badete“, was für den deutschen Leser
sicherlich mehr Sinn ergibt, da dieser wahrscheinlich nicht über den nötigen Kontext
verfügt, um das Konzept, mit Birkenquasten zu schlagen, zu verstehen.
Das folgende volkstümliche Lied singt der Knecht Taave, als er sich in seiner Liebe von
der schönen Olga verschmäht fühlt:
AT 4:
(Taaven laulu.) [kursiv im Original]
Malkamäessä tytär on pulska,
ja muorilla ainoo poika –
halituli-tei, sen silivili-vei –
ja muorilla ainoo poika.
Likka on lonkilta leviä,
mutta poian varsi on hoikka –
halituli-tei, sen silivili-vei –
ja poian varsi on hoikka.
Malkamäestä tytär lähti
ja kuljeskeli mettiin –
halituli-tei, sen silivili-vei –
ja kuljeskeli mettiin
77
Kun tuli mettässä puskan taa
ni‘ ketoon kellistettiin. –
halituli-tei, sen silivili-vei –
ja ketoon kellistettiin.
Kelpaa joskus röökynälleki‘
renkipojan ranki –
halituli-tei, sen silivili-vei –
ja renkipojan ranki.188
ZT 4:
Der Malkamäki-Wirt eine Tochter hat
Und die Altwirtin einen stattlichen Sohn.
Holla, holladriho…
Und die Altwirtin einen stattlichen Sohn.
Der Bursche hat Hüften, die sind ja so schmal
Aber die Maid ist so mollig und breit
Holla, holladriho…
Aber die Maid ist so mollig und breit.
Sie erging sich spazieren im grünen Wald,
Und der stattliche Bursche erschien auch sehr bald.
Holla, holladriho…
Und der stattliche Bursche erschien auch sehr bald.
Und als sie mit ihm aus der Sichtweite war,
Da legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.
Holla, holladriho…
Da legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.189
188 Sillanpää, 1948, S. 130
78
Diese Textpassage ist besonders faszinierend, da sie viele verschiedene Aspekte des
Übersetzens beinhaltet. Übersetzungen von Dichtungen sind besonders
herausfordernd, da der Übersetzer oft die Wahl zwischen Stil und Rhythmus einerseits
und dem Inhalt andererseits treffen muss. Im Idealfall kann der Übersetzer beiden treu
bleiben.190
Obwohl Schaper der Form dieses dichterischen Textes (Versmaß ABCB DECE FGCG
HICI – im finnischen Original zusätzlich JKCK), bis auf das Weglassen der letzten
Strophe, treu bleibt, komprimiert er viel Information, sodass den deutschsprachigen
Lesern einiges vorenthalten wird. Essentiell ist der Titel im Finnischen: „Taaves Lied“,
da sich erst später herausstellt, wer der Sänger des Liedes ist. Dies ist jedoch eine
unverzichtbare Information für das Verständnis des Liedes und der Situation.
Was den Inhalt des Textes betrifft, nimmt sich Schaper wieder große Freiheiten, wie
schon die erste Strophe des Liedes zeigt: „Malkamäessä tytär on pulska – ja muorilla
ainoo poika“ (wörtl. In Malkamäki [Hof] ist die Tochter wohlgerundet – und die
Altwirtin hat nur einen einzigen Sohn) übersetzt er mit „Der Malkamäki-Wirt eine
Tochter hat und die Altwirtin einen stattlichen Sohn“. Das Aussehen der Tochter wird
überhaupt nicht geschildert, der Sohn bekommt hingegen Attribute wie z. B.
Stattlichkeit zugeschrieben, die er im Originaltext nicht hat, genauso wie verschwiegen
wird, dass er der einzige Sohn der Altwirtin ist.
„Halituli-tei, sen silivili-vei“ hat an sich keine Bedeutung, sondern trägt Merkmale
einer typischen bedeutungslosen Füllung eines finnischen Volksliedes.191 Diese sich
wiederholende Zeile ist aufgrund des vorhandenen Endreimes (vgl. -tei mit -vei)
ausgesprochen melodisch. Schaper liefert bei der Übersetzung dieses Refrains einen
Beweis seiner dichterischen Seite: In seiner Wahl „Holla, holladriho“ bringt er durch
die Alliteration das Melodische zum Vorschein. Aufgrund der onomatopoetischen
189 Sillanpää, 1951, S. 142 190 Vgl. Klockars, 1996, S. 221 191 Anm.: Vgl. z. B. mit „Salivili hipput tupput tapput, äppyt tipput hiljalleen“ in Ievan polkka. (Online im Internet: URL: http://yle.fi/vintti/yle.fi/elavaarkisto/index4c66.html?s=s&g=8&ag=93&t=581&a=4973 [Stand 20.11.2012])
79
Ähnlichkeit (Lautmalerei), hat sich Schaper an das in der schweizer Volksmusik häufig
vorkommende Jodeln angelehnt.
Obwohl der Inhalt lexikalisch weit vom Original entfernt ist, handelt es sich bei
Schapers Lösung im kulturellen Kontext betrachtet um eine vollkommen akzeptable
Übersetzung. Durch die Assoziation des deutschsprachigen Lesers mit Volksmusik,
wird der sinnlos erscheinenden Buchstabenaneinanderreihung eine Bedeutung
zugeschrieben und es lässt sich erkennen, dass es sich hierbei um ein gesungenes Lied
handelt.
Nicht akzeptabel ist Schapers Weglassen der Alliteration, die im finnischen Original
mehrfach vorkommt, z. B. bei „Likka on lonkilta leviä“ oder bei „ketoon kellistettiin“.
Dieses Stilmittel ist in der Volksdichtung häufig auffindbar und die inhaltlichen
Änderungen von Schaper wären vertretbar, hätte der zumindest die stilistische Form
der Alliteration übernommen. Dies ist jedoch nicht der Fall, sodass er weder den Stil
noch den Inhalt originalgetreu übersetzt.
Teilweise entlehnt Schaper die Wortwahl Sillanpääs und setzt es an anderen Stellen
ein. So heißt es z. B. in der zweiten Strophe im Finnischen „Likka on lonkilta leviä,
mutta poian varsi on hoikka“ (wörtl. Die Maid ist bei den Hüften breit, aber der Stamm
[Körper] des Burschen ist schlank), was Schaper mit folgenden Worten übersetzt: „Der
Bursche hat Hüften, die sind ja so schmal, aber die Maid ist so mollig und breit“.
Schaper gelingt es, dem Leser die Funktion des Satzes „er ist schlank – sie ist dick“ zu
vermitteln, obwohl er zu der ungewöhnlichen Lösung griff, die Unterschiede zwischen
den vorkommenden Personen gegensätzlich zur Ausdrucksweise des Autors zu
beschreiben.
In der vierten Strophe dreht Schaper in seiner Übersetzung die Rolle der Frau für den
deutschsprachigen Leser um. Auf Finnisch lautet sie „Kun tuli mettässä puskan taa ni‘
ketoon kellistettiin“ (wörtl. Als sie hinter die Büsche kam, so wurde sie auf die Wiese
gelegt), wo die Frau passiv ist und keinen aktiven Teil hat, während Schaper im
Deutschen die aktive Formulierung „Und als sie mit ihm aus der Sichtweite war, da
80
legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.“ wählt. Möglicherweise schreibt Schaper von
der Frau als aktiver Part, da der Gebrauch von Passiva in der deutschen Sprache nicht
so üblich ist. Er tut den deutschsprachigen Lesern damit jedoch keinen Gefallen, da
sich dabei der Sachverhalt vollkommen dreht.
Unvertretbar ist die Entscheidung Schapers, die letzte Strophe komplett wegzulassen,
da hier die Ursache dieses hämischen Liedes erläutert wird, nämlich die Ablehnung
des Knechtes Taave durch Olga: „Kelpaa joskus röökynälleki‘ renkipojan ranki (...)“
(sinngem. manchmal ist auch der Körper des Knechtes gut genug für die
Mademoiselle192) Die Frustration über die Zurückweisung der feinen Dame lässt sich in
diesem spöttischen Lied, welches für die Ohren des Verlobten der Untreuen gedacht
ist, aus.
Die folgenden Zeilen beenden den ersten Roman Sillanpääs:
AT 5:
Jolloin yksi istui ruskeana ylhäällä kalliomännyn oksalla, toinen
punertavaan puettuna lähestyi kallion juurta halki violetin
kukkapälvekkeen, ja kauempana päivänsavun takana kutoi kolmas
kangastaan, ja hänen silmistään tuijotti liikkuviin loimiin perus-
inhimillinen ikuinen kaipaus ja murhe, seuranaan kimalaisen surina ja
seinäkellon väsähtänyt astunta.193
192 Anm.: „röökynä“ ist ein im Dialekt vorkommendes Lehnwort abgeleitet vom schwedischen „fröken“. Es wurde oft besonders am Land in einer etwas herabsetzenden Bedeutung benutzt, wenn von der oberen Schicht die Rede war. Im Deutschen würde das dem Französischen entnommene „Mademoiselle“ dieselbe Aufgabe erfüllen. 193 Sillanpää, 1948, S. 269
81
ZT 5:
Damals saß einer von ihnen sonnengebräunt im Wipfel einer Kiefer neben
einem kleinen Felshang, und in irgend etwas Rotes gekleidet kam eine
andere über einen blühenden Feldstreifen mit violetten Blumen, und weiter
in der Ferne, hinter dem Sonnenglast, saß eine dritte bei ihrer Webarbeit,
und beim Summen der Hummeln und dem müden Ticken der Wanduhr
strahlte aus ihren Augen die ewige Sehnsucht und Trauer, die ein Grundzug
menschlichen Wesens ist.194
Die melancholische Stimmung des Zitates gleicht der im Winter, der zu Beginn des
Romans geschildert wurde. Es verleiht dem Text eine bestimmte Note, dass die
Protagonisten nicht mehr mit Namen genannt werden, sondern nur als „einer von
ihnen“. Einerseits sind dem Leser nun alle drei Hauptpersonen bekannt und müssen
daher nicht mehr näher beschrieben oder genannt werden, anderseits verleiht der
Ausdruck ein Gefühl von Abschied und Entfernung. Schaper gelingt es, dem
deutschsprachigen Leser dieses Gefühl zu vermitteln, indem er zur selben Methode
wie Sillanpää greift.
Die erste der zwei Unstimmigkeiten im Text stellt die Übersetzung von „lähestyi“
(näherte sich) mit der Übersetzung „kam“ dar. Da es einen entsprechenden, gängigen
deutschen Begriff gibt, ist es fraglich, wieso Schaper nicht auf diesen zurückgreift.
Die zweite bemerkenswerte Abweichung vom Original ist die Übersetzung von „hänen
silmistään tuijotti liikkuviin loimiin perus-inhimillinen ikuinen kaipaus ja murhe”
(wörtl. aus ihren Augen starrten die ewige Sehnsucht und Trauer, die Grundzüge des
menschlichen Wesens sind, auf die sich bewegenden Ketten) mit „strahlte aus ihren
Augen die ewige Sehnsucht und Trauer, die ein Grundzug menschlichen Wesens ist“.
Bei näherer Betrachtung dieses Unterschiedes, lässt sich feststellen, dass Sehnsucht
und Trauer im finnischen Original personifiziert werden und einen aktiven Part
erhalten. Die Gemütszustände starren förmlich aus dem Körper auf die Ketten. In der
194 Sillanpää, 1951, S. 267
82
deutschen Übersetzung hingegen wird den Gefühlen kein Eigenleben eingehaucht,
sondern nur beschrieben, dass diese in den Augen des Menschen zu sehen sind und
ausgestrahlt werden. Um dem deutschsprachigen Leser den komplexen Sachverhalt zu
übermitteln, bedient sich Schaper der übersetzerischen Freiheit und beschreibt den
Inhalt des Satzes in gängigerem Deutsch.
Hierbei lässt Schaper außerdem aus, dass sie auf die Ketten starrt, was jedoch wichtig
ist für die Beschreibung des Milieus.
83
6.3 Hurskas kurjuus / Das fromme Elend
Hurskas kurjuus, Sillanpääs zweites Werk, erschien 1919 und wurde 1948 von Schaper
mit dem wörtlichen Titel Das fromme Elend sowie 1956 als Sterben und Auferstehen
übersetzt. In diesem Roman wird dem leidigen Lebensweg des Juha Toivola aus
Hämeenkyrö gefolgt. Die Handlung spielt zur Zeit des finnischen Bürgerkrieges 1918,
wo Toivola ein Rückblick auf sein Leben, das 1857 begann, wirft.195 Sein Leben führt
von Schicksalsschlag zu Schicksalsschlag und die wenigen Lichtblicke, die in sein
düsteres Dasein dringen, sind oft nur von kurzer Dauer. Er wird als Sohn eines
trinksüchtigen Bauers und dessen Magd geboren und hat es somit wegen seiner
Herkunft von Anfang an schwieriger im Leben. Er selbst, später dem Alkohol auch
nicht abgeneigt, hat einen steinigen Weg vor sich, da sein Vater den Hof und Juha
dadurch sein Zuhause verliert. Er muss mit seiner Mutter viele weite Wege wandern
und u. a. bei einer Flößerei hart arbeiten. Durch verschiedene Schicksalsschläge
bekommt er als Knecht Arbeit auf einem Bauernhof. Hier heiratet er später die Magd,
die zum Zeitpunkt der Verlobung mit ihm schon von einem anderen Mann schwanger
ist, und bekommt später mit ihr Kinder, von denen die meisten sterben. Auch Juhas
Frau stirbt und er selbst wird schlussendlich als roter Kriegsverbrecher wegen Mord,
den er in Wahrheit nicht begangen hatte, erschossen.
Hurskas kurjuus wurde von der Kritik großteils positiv aufgenommen, teilweise weil
nach dem Bürgerkrieg das Bedürfnis nach jemandem, der nicht die Ansichten der
gespalteten Lager, sondern die des einheitlichen Finnlands und der Menschlichkeit
vertrat, groß war.196 In Hurskas kurjuus erkennt man den typischen Stil Sillanpääs, der
schon in Elämä ja aurinko ausgearbeitet war. Er schildert die Welt aus den Augen eines
dichterisch und literarisch begabten Naturwissenschaftlers, ohne über Gut und Böse
zu urteilen.
195 Anm.: Der finnische Bürgerkrieg fand in der ersten Hälfte des Jahres 1918 zwischen den „Weißen“ und den „Roten“ statt. 196 Vgl. Lassila, 1996, S. 135
84
In den ersten Zeilen dieses Romans wird eine Eigenheit geschildert, die einen
durch das Werk begleitet: der Protagonist des Romans hat zwar einen
Taufnamen, hört aber auf viele Rufnamen:
AT 1:
Toivolan Jussi, Juha, Janne – kirkonkirjojen mukaan Johan Abraham
Benjaminpoika – oli vanha vastenmielisen näköinen äijänrahjus. Viimeisinä
vuosinaan hänellä oli laajahko kalju, jota niskassa ja korvilla reunusti joskus
maailmassa tasoitettu, lakin alta harittava hiuskiehkura. Kasvot olivat myös
ruskean rakkimaisen takkukarvan peitossa, vain suippokärkinen nenä oli
selvästi näkyvissä.197
ZT 1:
Toivola-Jussi, auch -Juha oder -Janne genannt, den Kirchenbüchern nach
Johan Abraham Benjaminsson, so hieß ein alter Mann von recht
abstoßendem Aussehen. In seinen letzten Lebensjahren hatte er einen
riesigen Kahlkopf, der im Nacken und um die Ohren herum von einem
unter der Mütze hervorquellenden Haarkranz umrahmt wurde, und Gott
mochte wissen, wann dieser Haarkranz das letzte Mal gestutzt worden war.
Auch aus seinem Gesicht sprossen braune, zottige Haare, wie bei einem
Hunde, und nur die spitze Nase war deutlich sichtbar.198
Es war Schapers bewusste, kluge Wahl, die Namen aus dem Finnischen direkt zu
übernehmen, da er dadurch die Authentizität der Erzählung wahrt. Es wäre auch mit
erheblichem Mehraufwand verbunden, nach entsprechenden Abkürzungen für Namen
in der deutschen Sprache fündig zu werden.
Was die Beschreibung der Kopfhaare angeht, lässt sich über zwei Entscheidungen
Schapers diskutieren. Er übersetzt „laajahko kalju“ (ziemlich große Glatze) mit
„riesigen Kahlkopf“ und es kann diskutiert werden, ob „Kahlkopf“ in der deutschen 197 Sillanpää, 1946, S. 7 198 Sillanpää, 1956, S. 11
85
Sprache ein komplett haarloser Kopf oder nur Haarlosigkeit am Oberkopf bedeutet.
Jedenfalls ist die Übersetzung von „laajahko“ mit „riesig“ falsch. Auffälig ist zudem,
dass Schaper „hiuskiehkura“ mit „Haarkranz“ übersetzt, obwohl „kiehkura“ eher
„Haarsträhne“ oder „Haarlocke“ bedeutet.
Dies stellt einen groben sprachlichen Fehler dar, da es einen unterschiedlichen
Eindruck erweckt, ob jemand eine Haarsträhne oder einen Haarkranz trägt, ist jedoch
in Anbetracht des Kotextes nachvollziehbar, da geschildert wird wie die Haarlocke
bzw. der Haarkranz gestutzt worden ist. Da im Deutschen eine einzelne Locke kaum
gestutzt wird, ist Schapers Übersetzung mit dem Haarkranz nachvollziehbar.
Ferner lässt sich eine stilistische Bemerkung nicht vermeiden, da Schaper
„rakkimainen“ mit „wie von einem Hund“ übersetzt. „Rakki“ heißt auf Deutsch „Köter“
und steht für etwas Schmutziges und Verwahrlostes. Dem deutschsprachigen Leser
entgeht hier aufgrund Schapers Wortwahl eine zusätzliche feine Nuance, die betonen
soll, wie schrecklich und abstoßend Juha anzusehen ist, obwohl Sillanpääs generelle,
ausführliche Beschreibung Juhas Aussehens bereits ein Bild eines verwahrlosten
Mannes kreiert.
Der finnische Text im folgenden Zitat ist in einem ganz besonderen Dialekt
geschrieben, der Gegend Sillanpääs Herkunft (Satakunta) zuzuordnen:
AT 2:
Kyl mar sen tiät, etten mää viinaa myy, en rahall enk vellaaks. Mut sen
inträssin mää kyl annan lisät pääommaan. Se on siin kahden sada markan
vaiheil… Ja kyl maar mää sul viinaaki senpualest annan ilmatteks sen verran
ettäs joulun makkuun pääset. Onk sul mittää astiaa?199
199 Sillanpää, 1946, S. 42
86
ZT 2:
»…Was das betrifft – du weißt doch, daß ich keinen Branntwein verkaufe,
weder gegen Bar, noch auf Kredit. Aber die Zinsen schlage ich zum Kapital.
Das macht so ungefähr zwei hundert Mark aus…«
»…Branntwein kann ich dir ja doch umsonst geben, so daß es ein bisschen
nach Weihnachten schmeckt. Hast du irgend etwas wohinein ich abfüllen
kann?«200
Im Deutschen ignoriert Schaper den Dialekt, wodurch dem Leser ein gewisser
Unterton der Geschichte entgeht, besonders dadurch, da nicht nur die
Dialektelemente nicht wiedergegeben werden, sondern dazu gehobenere Sprache
benutzt wird. „Kyl mar sen tiät“ (Gewiss weißt du) übersetzt Schaper mit „Was das
betrifft – du weißt doch“, was zu ausschweifend und korrekt für einen Bauern klingt.
Schaper entschloss sich vermutlich bewusst gegen die Übersetzung im Dialekt, da es,
historisch und geographisch bedingt, in den deutschen weit größere Unterschiede als
in den finnischen Dialekten gibt.
Es gibt kaum einen Dialekt, den ein Finne nicht mühelos verstehen würde, im
Gegensatz zu den Kommunikationsproblemen, die oftmals schon zwischen einem
Nord- und Süddeutschen auftreten. Schaper konnte sich wahrscheinlich auch nicht
entscheiden, welchen deutschen Dialekt er hätte wählen sollen, da es, abgesehen vom
Verständigungsproblem, eine weitere Inhaltsebene gibt, wenn Dialekt benutzt wird,
und zwar jene Eigenschaften, die dem Teil des Volkes, der diesen Dialekt spricht,
nachgesagt werden. Man hätte sich dennoch erwarten können, dass Schaper
zumindest auf das Sprachniveau des Sprechers achtet wenngleich sein Dialekt nicht
vermittelt werden kann.
In der folgenden Textpassage wird spezifisch geschildert, wie sich der Alltag eines
Kätners Ende des 19. Jahrhunderts gestaltete:
200 Sillanpää, 1956, S. 42
87
AT 3:
Näin alkoi pariskunnan tölliläiselämä ja saavutti ennen pitkää kaikki
luonnolliset pikku piirteensä. (…) Noin neljän virstan päässä oli tänä talvena
hakkuupaikka ja siellä kävi Juha yhtä mittaa kolmatta kuukautta. Siellä hän
oli silloinkin kun Riina ypöyksin synnytti maailmaan ensimmäisen lapsensa,
pojan, jonka nimeksi sittemin pantiin Kalle Johannes.201
ZT 3:
So begann das Ehepaar sein Kätnerleben, und dieses Leben wurde im Laufe
kurzer Zeit von allen natürlichen kleinen Eigenheiten geprägt. (…) In jenem
Winter wurde ungefähr vier Werst von der Kate entfernt Wald abgeholzt,
und drei Monate der Reihe nach ging Juha dort zur Arbeit. Dort befand er
sich auch, als Riina mutterseelenallein ihr erstes Kind gebar, einen Jungen,
der später den Namen Kalle Johannes bekam.202
Die bemerkenswerte Besonderheit ist wieder einmal durch die grammatikalischen
Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Finnischen bedingt; „lapsensa“
bezeichnet im Zitat klar Riinas Kind, diese Tatsache wird in der deutschen
Übersetzung aber nicht gesondert hervorgehoben. „Ihr“ könnte in diesem Fall sowohl
Genitiv Plural als auch Genitiv Singular bedeuten. Interessant ist dies aufgrund des
Kotextes. Der Leser weiß, dass Riina schon zum Zeitpunkt der ersten gemeinsamen
Nacht mit Juha schwanger war, deshalb die subtile Betonung des Autors auf die
Tatsache, dass es ihr Kind ist (vgl. engl. her child).
Die nächsten Zeilen schildern den traurigen Herbst, der in Juhas Haus herrscht. Der
Tod kam oft auf Besuch und es gibt keine Glanzpunkte in seinem Leben:
201 Sillanpää, 1946, S. 126 202 Sillanpää, 1956, S. 118
88
AT 4:
Ville on poissa ja äiti on poissa, kuuma suvi on poissa; on syksy – »tytky»,
kuten Martti sanoo Lempin perässä. On raukea hiljaisuus, monen monessa
pirtissä päivä liukuu säteettömänä aamusta iltaan. (…) – Eikös Juhalla ole
siellä kotona semmoinen ripillä käypä tyttö?203
ZT 4:
Ville ist nicht mehr da, und Mutter ist nicht mehr da, der heiße Sommer ist
vorüber, es ist Herbst – »Hest«, wie Martti der kleinen Lempi nachspricht.
Eine müde Stille liegt in der Luft, in unzähligen Hütten gleitet der Tag
glanzlos vom Morgen in den Abend (…)»Hat er nicht eine erwachsene
Tochter zu Hause?«204
Linguistisch gesehen ist es bemerkenswert, dass Schaper den von Sillanpää benutzten
Effekt der Wiederholung („Ville on poissa ja äiti on poissa, kuuma suvi on poissa“)
unbeachtet lässt, indem er die Übersetzung des Wegseins mit unterschiedlichen
Wörtern beschreibt („Ville ist nicht mehr da, und Mutter ist nicht mehr da, der
heiße Sommer ist vorüber“). Dem deutschsprachigen Leser entgeht hierdurch ein
feiner Zwischenton, der hervorheben soll, dass alles Gute und Schöne weg ist. Es ist
verwunderlich, aus welchen Beweggründen Schaper dem Original nicht treu geblieben
ist, da „der heiße Sommer ist nicht mehr da“ eine durchaus passable Übersetzung
darstellt.
Weiters liegen hier zwei Spezifika vor, auf die näher einzugehen ist, einerseits die
Übersetzung der Kindersprache und andererseits die von „ripillä käypä“ (sinngem. den
[protestantischen] Konfirmandenunterricht besuchend, wörtl. zur Beichte gehend), die
Schaper mit „erwachsen sein“ ins Deutsche übersetzt. Dem finnischen Original ist zu
entnehmen, dass Juhas Tochter den Konfirmandenunterricht besucht und daher kaum
203 Sillanpää, 1946, S. 169 204 Sillanpää, 1956, S. 158 ff.
89
älter als 15 Jahre alt sein kann.205 Durch Schapers Übersetzung mit „erwachsen sein“
entsteht beim deutschsprachigen Leser der Eindruck, dass die Tochter älter sein
könnte und es stellt sich daher die Frage, ob diese Übersetzung akkurat genug ist.
Bedenkt man, dass man im 19. Jahrhundert, wo dieser Roman spielt, nach der
Konfirmation tatsächlich als ebenbürtiges Mitglied der Gemeinschaft betrachtet
wurde, ist Schapers Übersetzung vertretbar.
Eine eigenmächtige Entscheidung Schapers ist das Hinzufügen des Adjektivs „klein“ zu
Lempi („wie Martti der kleinen Lempi nachspricht“). Im Original findet sich dieses
Wort nicht wieder und die Beschreibung ist irreführend, da Martti der jüngere ist und
somit er als „klein“ bezeichnet werden kann. Eventuell war es Schapers Wunsch, die
Umstände zu betonen, dass fast alle anderen gestorben und die kleinen Kinder oft
alleine zu zweit waren. Daher lernt Martti ein „falsches“ Finnisch von Lempi, da sie
auch so klein ist, dass sie die Sprache noch nicht richtig aussprechen kann.
Die folgende Passage ist ein Beweis für Schapers Raffinesse als Übersetzer:
AT 5:
Joku tulee vaatimaan kuittia telefonistaan, jonka sotamiehet ovat vieneet.
Tämä on niin ärsyttävää, että komendantti ja tuomari tavan takaa
vahingossa puhuvat ruotsia, vaikka paikallispäällikkö on suomalainen.
Vankikysymys on kuitenkin pulmallisin. – Täytyy enstään ekspedieerat ne
kun tulee kuolemaan, sanoo tuomari. – O alla esikunta-huliganer kann man
ge brödkort utan vidare, sanoo komendantti.206
205 Anm.: Im 19. Jahrhundert war in Finnland das übliche Alter für die Konfirmation das 15. Lebensjahr (Online im Internet: URL: http://sakasti.evl.fi/sakasti.nsf/sp?open&cid=Content42A61A [Stand 14.01.2013]) 206 Sillanpää, 1946, S. 230
90
ZT 5:
Jemand kommt und fordert eine Empfangsbestätigung für sein Telephon,
das die Soldaten ihm weggenommen haben. Das ist alles dermaßen
ärgerlich, daß der Kommandant und der Kriegsgerichts-Richter von Zeit zu
Zeit immer wieder einmal aus Versehen anfangen Schwedisch zu sprechen,
obschon der Ortschef Finne ist. Die Gefangenenfrage ist auf alle Fälle die
verzwickteste. »Erst muß man die vornehmen, die sterben müssen“, sagt
der Richter im fehlerhaftem Finnisch. »Und alle Stabsbanditen kann man
ohne weiteres die Brotkarte geben«, meint der Kommandant auf
schwedisch [sic!].207
Da es im Deutschen kaum ein Pendant zu dem, schon einmal in dieser Arbeit
erläuterten, Verhältnis zwischen Finnischen als Arbeitersprache und Schwedischen als
Sprache der Oberschicht gibt, löst Schaper das Translationsproblem, indem er die
Unterschiede im Sprachgebrauch beschreibt anstatt diese nachzuahmen. Den
Ausdruck „die Brotkarte geben“ musste Schaper hier nicht mehr erläutern, da er schon
in einem früheren Teil desselben Werkes in einer Fußnote erklärte: „Die Brotkarte
bekommen = erschossen werden“.208
Der zweite Roman Sillanpääs endet mit diesen philosophischen Überlegungen:
AT 6:
Mutta vaikka asiat vielä ovatkin karkealla kannalla, niin onhan päivässä
mittaa. Ja niin pitkällä joka tapauksessa ollaan, että useimmat yksilöt
kuolinhetkellään sen onnen vilaukselta kokevat; sehän juuri antaa öiselle
hautausmaalle semmoisen yhtenäisen tunnelman, kun me sen seikan
aavistamme. Ja kyllä se joskus, ihmiskunnan elinpäivän jatkuessa, vielä
leviää elävienkin valtakuntaan.209
207 Sillanpää, 1956, S. 215 208 Ebd. S. 204, Fußnote 209 Sillanpää, 1946, S. 237
91
ZT 6:
Nun, es mag uns hingehen, daß wir in dieser Beziehung noch auf einem so
primitiven Standpunkt stehen; jeder Tag hat ja auch seine Länge. Und
soweit sind wir ja auf jeden Fall gekommen: die meisten Einzelwesen
erfahren dieses Glück für einen Augenblick in ihrer Todesstunde. Das ist es
auch, was dem nächtlichen Friedhof seine eigentliche Stimmung schenkt:
daß wir dies ahnen. Und bestimmt wird diese Erfahrung irgendwann einmal
im Lebenstag der Menschheit auch im Reiche der Lebendigen Einlaß
finden.210
Schaper hält sich hier sehr getreu an das Original, abgesehen von etwaigen
Abweichungen der Satzzeichen, bedingt durch die morphologischen Unterschiede
zwischen Deutsch und Finnisch. Im Vergleich der von Schaper übersetzten Werke
Hurskas kurjuus und Elämä ja aurinko ist festzuhalten, dass Hurskas kurjuus aufgrund
der höheren Originalgetreue der Übersetzung translationswissenschaftlich betrachtet
qualitativ über die Übersetzung von Elämä ja aurinko zu stellen ist.
210 Sillanpää, 1956, S. 221
92
7 Sally Salminen
7.1 Über die Autorin
Sally Alina Ingeborg Salminen wurde am 25. April 1906 auf Åland auf der nordöstlichen
Insel Vårdö geboren. Sie war das achte Kind und ihre Eltern betrieben einen kleinen
Bauernhof. Insgesamt hatte Sally zwölf Geschwister, einige davon211 schlugen eine
literarische Laufbahn ein, was in Anbetracht der durchaus ärmlichen und nicht-
akademischen Herkunft äußerst bemerkenswert ist. Aufgrund der finanziell knappen
Situation der Familie, war es selbstverständlich, dass Salminen nach ihrer
Konfirmation zu arbeiten begann. Zuerst war sie in einem kleinen Laden angestellt,
ehe die große weite Welt lockte und sie 1924 nach Stockholm zog, um dort als
Hausgehilfin zu arbeiten.
Nach einer kurzfristigen Rückkehr auf Åland, erweiterte sich 1930 Sally Salminens
Horizont, als sie mit ihrer Schwester in die USA emigrierte. Offen für neue Eindrücke,
beschäftigte sie sich intensiv mit dem neuen Trend des Sozialismus und schrieb
Beiträge für Zeitungen. Ermutigt durch die journalistische Tätigkeit, nahm sie im Jahr
1936 an einem Literaturwettbewerb des finnlandschwedischen Verlages Schildt teil und
gewann mit ihrem Roman Katrina (1936), der im Jahr 1949 mit dem gleichen Titel ins
Deutsche übersetzt wurde, den ersten Preis. Als Folge dieses Preises und des
zunehmenden Ruhmes, zog Salminen im November 1936 wieder zurück nach
Finnland. 1940 heiratete sie den dänischen Maler und Journalist Johannes Dührkop,
mit dem sie von dem sich im Winterkrieg befindenden Finnland nach Dänemark zog.
Abgesehen von Katrina, ist Sally Salminen hauptsächlich wegen ihrer
autobiographischen Reiseschilderungen212 bekannt. Sie starb am 18. Juli 1976 in
Kopenhagen.213
211 Anm.: Uno Salminen (1905-1991), Aili Nordgren (1908-1995) und Runar Salminen (1912-1989) sind bekannte Namen in der finnischen Literatur, obwohl Sally Salminen die erfolgreichste blieb. 212 Anm.: Upptäcktsresan (1966), Min amerikanska saga (1968), Jerusalem (1970), I Israel (1971), I Danmark (1972), Världen öppnar sig (1974) 213 Vgl. Koskela, 1990, S. 356-358 und Zilliacus, 2000, S. 155 ff.
93
7.2 Katrina
Der 1936 erschienene und 1949 von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte Roman
Katrina erzählt die Geschichte einer österbottnischen Bauerntochter, die ihr Leben
durch die Heirat mit einem Seemann auf der Insel Torsö auf Åland verbringen muss.
Das Werk ist eine realistische Schilderung des Alltags einer Seemannsfrau auf einer
Insel, die weitgehend von den landbesitzenden Seekapitänen beherrscht wird. Die
Frauen müssen für das knappe Essen hart arbeiten sowie den Haushalt mit Kindern
führen. Der Roman schildert den harten Alltag, lässt Hoffnung durchblicken und
handelt von einer starken Frau, die ihre Kinder und ihren Mann zutiefst liebt und
dafür viel opfert, ohne ihre Würde und ihren Stolz zu verlieren.214
Der Roman bahnte in der finnland-schwedischen Literatur einen Weg für
Entwicklungsromane in alltäglicher Umgebung mit einer weiblichen Protagonistin.215
Katrina verkaufte sich im ersten Jahr 53.000 Mal und überraschte vor allem jene
Kritiker, die dem Roman zwar literarischen Wert zugeschrieben hatten, jedoch
keinerlei unterhaltenden Werte abgewinnen konnten. Die Ursache für diesen Triumph
liegt in verschiedenen Aspekten: Da die Sprache des Romans Schwedisch ist, wurde
einerseits die höhere soziale Schicht angesprochen, die den Erwerb von Büchern als
ein Zeichen von Wohlstand ansahen. Anderseits fühlte sich von der realistischen
Alltagsschilderung auch die untere Schicht angesprochen. Medial erhielt das Werk
sehr viel Aufmerksamkeit, da die Geschichte von Sally Salminens Aufstieg, die in den
USA als Aushilfskraft begonnen hatte, bereits damals eine gewisse Faszination
ausübte.216
Die ersten Zeilen des Romans beschreiben die Protagonistin sowie die Umgebung aus
der sie stammt:
214 Vgl. Zilliacus, 2000, S. 155 ff. 215 Vgl. ebd. S. 160 216 Vgl. ebd. S. 171 ff.
94
AT 1:
I Österbotten
Katrina var den äldsta av tre systrar, dotter till en bonde i norra
Österbotten. Hon var den vackraste, den gladaste och stoltaste av de tre
systrarna. Stark var hennes unga, högresta kropp och arbeitet gick som en
lek vare sig det gällde att hugga timmer i skogen, plöja och harva på åkern
eller spinna och väva i huset. Det var en vacker syn att se Katrina återvända
från skogen med sitt timmerlass en vintereftermiddag, när solen sjönk
bortom den snötäkta slätten.217
ZT 1:
Katrina war die älteste von drei Töchtern eines Bauern im nördlichen
Österbotten. Sie war die schönste, die fröhlichste und die stolzeste der drei
Schwestern. Stark war sie, jung, rank von Wuchs, und die Arbeit schien ihr
ein Spiel zu sein, ob es nun galt, Holz zu fällen im Walde, auf den Feldern
zu Pflügen und eggen oder daheim auf dem Hof zu spinnen und zu weben.
Es war eine Freude, Katrina zu sehen, wenn sie an einem Winternachmittag
mit einem Fuder Holz aus dem Walde heimkehrte und die Sonne hinter der
schneebedeckten Weite verschwand.218
Auffallend ist, dass Edzard Schaper für das Kapitel (im Schwedischen „I Österbotten“)
keinen Namen überträgt. In der deutschen Version sind die Kapitel durchnummeriert,
weisen aber keine tatsächlichen Namen auf. In dieser Textpassage kommt zum
wiederholten Mal, wie bereits nachgewiesen wurde, zum Vorschein, wie nahe
verwandt Deutsch und Schwedisch sind, da die Textpassage fast eins-zu-eins übersetzt
wurde. Lediglich einzelne stilistische Unterschiede lassen sich feststellen. So z. B., dass
Schaper im Original dem Körper zugeschriebene Eigenschaften der ganzen Person
zuschreibt und die Adjektive unterschiedlich einsetzt.
217 Salminen, 1941, S. 6 218 Salminen, 1949, S. 5
95
Den schwedischen Satz „Stark var hennes unga, högresta kropp“ (Stark war ihr junger,
hochgewachsener Körper) übersetzt Schaper mit „Stark war sie, jung, rank von
Wuchs“. Obwohl in diesem Beispiel die Semantik des Satzes grundlegend abgeändert
wurde, beeinflusst dieser Eingriff den Inhalt und die Botschaft jedoch kaum.
Das folgende Zitat beinhaltet den Abschied des ältesten Sohnes von Katrina, der wegen
der schlechten finanziellen Lage der Familie auf einem Schiff als Seemann anheuern
muss. Die ganze Familie begleitet ihn zum Hafen, um sich ordentlich verabschieden zu
können:
AT 2:
„‘Jö, mamma, ‘jö mamma“, sade Einar skyndsamt. „‘Jö Erik, ‘jö Gusta, ‘jö
mamma!“ Han sprang över landgången i detsamma som Johan hoppade
tillbaka på bryggan, och ögonblicket därpå drogs landgången in. Katrina såg
sin gosses bleka, förskrämda drag under den vita luggen, där han stod liten
och ensam, o så liten, i den orediga trängseln på fördäck medan båten lade
ut och svängde och tog bort barnet ur hennes åsyn.219
ZT 2:
Adjö, Mama, adjö, Mama, sagte Einar hastig,… ‘jö Erik,… ‘jö, Gusta;… ‘jö,
Mama! Er lief über den Landungssteg und im selben Augenblick sprang
Johan vom Schiff wieder auf die Brücke. Gleich darauf wurde der
Landungssteg eingeholt. Katrina sah das blasse, verstörte Gesicht ihres
Jungen mit seinem weißblondem Schopf; er stand da, klein und verlassen –
ach, so klein! – in dem Menschengewimmel auf dem Vorderdeck, während
das Schiff ablegte, eine Wendung vornahm und dann das Kind ihren Blicke
entführte.220
219 Salminen, 1941, S. 103 220 Salminen, 1949, S. 153
96
Auffallend in diesen Zeilen ist Schapers Beibehaltung des Grußes auf Schwedisch. „‘Jö,
mamma“ übersetzt er mit „Adjö, Mama (…)“ was ganz korrekt ist, nachdem „‘Jö“ eine
Abkürzung für die schwedische Verabschiedung „adjö“ (Auf Wiedersehen) ist.
Durch die Übernahme als Zitatwort trägt Schaper entscheidend zur Wiedergabe der
Lokalkolorits sowie der Charaktere und der Situation bei. Die schwedische
Verabschiedung „adjö“ vermittelt in dieser Form die Gefühle des Jungen, der weit weg
muss und nicht so recht weiß, wie er seine Verlegenheit kaschieren soll. „Auf
Wiedersehen“ wäre auf einer kleinen Insel in ländlicher Gegend als Verabschiedung
zwischen Familienmitgliedern der unteren Schicht zu formell und gehoben.
Im Schwedischen wird die Betonung, mit der auf das Schicksal des kleinen Jungen
aufmerksam gemacht werden will, mit Wiederholungen geschaffen: „han stod liten
och ensam, o så liten“. Schaper betätigt sich ebenfalls dieses Stilmittels, wobei er den
Eindruck durch das Einsetzen anderer Satzzeichen verstärkt: „(….) klein und verlassen
– ach, so klein! – (…)“. Die Kleinheit des Jungen, die eventuell in der Betrachtung durch
die Mutter liegt, wird im Deutschen durch das Herauslösen aus dem Fließtext mit
Gedankenstrichen und die Betonung mittels Rufzeichen hervorgehoben. So wird der
Leser noch deutlicher auf sein Schicksal und das Empfinden der Mutter sensibilisiert.
Schapers Wortwahl ist immer wieder erstaunlich. Dass er das Schwedische „tog bort
barnet ur hennes åsyn“ (wörtl. nahm das Kind aus ihrer Sichtweite) mit dem
Deutschen „das Kind ihren Blicke entführte“ übersetzt, lässt auf dichterische Begabung
schließen. Das Wort „entführt“ passt ausgezeichnet zur Stimmung des Abschieds und
den Gefühlen der Mutter, sogar besser als Sally Salminens Wortwahl.
Katrinas Mann ist kränklich und weiß selbst, dass sein Ende naht. Mit diesen
Gedanken im Kopf verabschiedet er sich von seinem ältesten Sohn, als dieser wieder
auf die See fährt:
97
AT 3:
(…) »Nä, men när du kommer tebaks ligger jag på körkgåln.»
»De ska du inte säja.»
»Jo, jo. De är inte farligt, Sanna-syster är där förut, Jag hoppas du får en bra
skuta när du blir kapten.»
»Tack. Ajö nu.»
»Ajö - - - kapten.»
JOHANS SISTA RESA [Versalien im Original]
Johans krafter avtogo hastigt.221
ZT 3:
Nein, aber wenn du zurückkommst, bin ich auf dem Friedhof.
So darfst du nicht sprechen.
Doch, doch, es ist ja auch nicht so schlimm. Sanna wartet dort schon auf
mich. Ich hoffe nur, daß du einmal ein gutes Schiff bekommst, wenn du
Kapitän geworden bist.
Danke. Nun adjö…
Adjö… Kapitän!
30
Mit Johans Kräften ging es schnell zu Ende.222
Schaper schreibt durchgehend in Hochdeutsch, obwohl z. B. „körkgåln“ eindeutig
Dialekt ist (vgl. schw. kyrkogården). Schaper pflegte nicht, wie sich in den anderen in
dieser Arbeit behandelten Werken schon herausstellte, Dialektelemente im deutschen
Text gesondert zu kennzeichnen. Dies ist bedauernswert, da sich ähnliche Elemente
finden ließen, die im gesamten deutschen Sprachraum verstanden werden würden und
dadurch die Authentizität des Originaltextes beibehalten werden würde.
221 Salminen, 1941, S. 194 222 Salminen, 1949, S. 291
98
Schaper lässt in dieser Übersetzung weg, dass Johan in besonderer Form von seiner
verstorbenen Tochter spricht: „Sanna-syster“ (wörtl. Sanna-Schwester) übersetzt er mit
„Sanna“. Wenn der Leser den gesamten Roman liest, verursacht dies keine Probleme.
Sollte er jedoch nur diese Passage zu Angesicht bekommen, ohne den notwendigen
Kotext zu kennen, wäre die Situation für ihn unklar. Der schwedischsprachige Leser
weiß dank dem Hinweis „syster“, der von Johan zu Einar geäußert wird, dass es sich
hierbei um ein Familienmitglied der beiden handelt. Zudem kommt in der zitierten
Textpassage abermals deutlich zum Vorschein, dass Schaper auf namentliche Nennung
der Kapitel verzichtete.
Im letzten Kapitel erfährt der Leser, wie Katrina, nun vom Leben sehr angeschlagen
und Müde, in das Reich der Toten übertritt. Hier trifft sie alte Bekannte und
Verwandte wieder sowie ihre Kinder, die sie auf unterschiedliche Weise im Leben
verlor. Am wichtigsten ist, dass sie wieder mit ihrem Johan vereint ist:
AT 4:
Ett litet skepp gled för svällande segel in i viken. Stäven blänkte likt guld
och seglen lyste snövita i solskenet. Vågorna lekte i silverglitter kring bogen.
En man stod rak och spänstig vi rodret. Katrina hastade ned till stranden.
Nu kom Johan seglande, nu var väntetiden över, nu var allt fullkomnat.223
ZT 4:
Denn ein kleines Schiff glitt unter geblähten Segeln in die Bucht herein.
Sein Steven blitzte wie von Gold, und die Segel leuchteten schneeweiß im
Sonnenschein. Mit silbrigem Flittern spielten die Wellen um seinen Bug.
Ein Mann stand rank und rüstig am Ruder … Katrina eilte zum Strand
hinunter. Nun kam Johan gefahren, nun war die Wartezeit zu Ende, nun
war alles vollbracht.224
223 Salminen, 1941, S. 248 224 Salminen, 1949, S. 423
99
Das Schwedische wurde in dieser Passage, bis auf wenige Wörter, wörtlich übersetzt.
Einzig die Übersetzung von „seglade“ mit „kam (…) gefahren“ lässt Fragen aufkommen,
da es im Deutschen das verwandte Verb „segelte“ gibt. „Segelte“ hätte diesem Roman
mit starkem maritimem Thema auch ein entsprechendes Ende im Deutschen gegeben.
100
8 Aleksis Kivi
8.1 Über den Autor
Aleksis Kivi wurde am 10.10.1834 als Alexis Stenvall im südfinnischen Nurmijärvi
geboren. Der Sohn eines Schneiders besuchte verschiedene Schulen mit geringem
Erfolg und bestand die Reifeprüfung mit 23 Jahren. Er inskribierte sich an der
Universität Helsinki und besuchte Vorlesungen, bevorzugte jene der Geschichte,
Literatur und Fennistik. Schon während seiner Schulzeit schrieb Kivi gerne und sein
erstes noch heute bekanntes Werk ist die Novelle Koto ja kahleet (Das Heim und die
Fesseln) und stammt aus den Jahren vor seiner Reifeprüfung (1852-1855). Während
seines Studiums schrieb er weitere kleine Werke, hauptsächlich auf ein Stipendium
hoffend. Die ersten publizierten Texte von ihm waren Gedichte, die 1860 im
Sammelband Mansikoita ja mustikoita II (Erdbeeren und Heidelbeeren II) erschienen.
Zunächst widmete sich Kivi Schauspielen und schrieb u. a. viele noch heute beliebte
Theaterstücke wie die Tragödie Kullervo (1864) (Anm.: Kullervo ist eine Person, deren
Leben im finnischen Nationalepos Kalevala geschildert wird.) und die Komödien
Nummisuutarit (1864) (Die Heideschuster (1922)) und Kihlaus (1866) (Die Verlobung
(1953)). Kivis Hauptwerk ist der erste finnischsprachige Roman überhaupt, Seitsemän
veljestä (1870) (Die sieben Brüder (1950)). Kivis Einfluss auf die finnische Literatur ist
unbestritten und geht sogar so weit, dass die Epoche von 1860 bis 1872 oftmals als „Die
Epoche Aleksis Kivis“ bezeichnet wird.225
Während seines aktivsten Schaffungsprozesses ab 1863 wohnte Kivi in Siuntio bei
seiner Mäzenin Charlotta Lönnqvist, bis zu jenem Jahr, als Seitsemän veljestä erschien
und Kivi wegen psychischen Problemen in ein Spital eingeliefert wurde. Er erholte sich
nie gänzlich und wurde schließlich im Jahre 1872 zu seinem Bruder, der in Tuusula
wohnte, gebracht, mit der Diagnose „unheilbar“. Am 31.12.1872, dem letzten Tag des
Jahres, starb Aleksis Kivi bei seinem Bruder. Es kursiert das allgemeine Gerücht, Kivis
letzte Worte wären „Minä elän!“ (Ich lebe!) gewesen.226
225 Vgl. Kupiainen, 1971, S. 52 226 Vgl. Koskela, 1990, S. 159 ff. und Kupiainen, 1971, S. 52 und Lassila, 1996, S. 76 ff.
101
8.2 Seitsemän veljestä / Die sieben Brüder
Der 1870 erschienene Roman Seitsemän veljestä wurde von Edzard Schaper 1950 ins
Deutsche unter dem wörtlichen Titel Die sieben Brüder übersetzt. Seitsemän veljestä ist
ein Entwicklungsroman mit vielen humoristischen Elementen, dessen Hauptpersonen
die sieben Brüder des Jukola-Hofes sind. Juhani, der älteste, ist eigensinnig und eher
stark als klug, auf ihn folgen die Zwillingsbrüder Tuomas, von der Statur und vom
Charakter der standhafteste, und Aapo, der wortgewandteste. Simeoni in der Mitte
predigt gerne, verurteilt Sünden und hat ein Alkoholproblem, Timo, der dümmste der
Brüder, ist ein ruhiger Typ und nimmt bei Streitereien oft die Rolle des Vermittlers ein.
Sein Zwillingsbruder Lauri ist der handwerklich geschickteste und künstlerisch
begabteste, der gerne Zeit in der Natur verbringt. Der jüngste der Bruderschar ist der
kleine Eero, ein schlauer Besserwisser, der oft den Zorn, vor allem Juhanis, auf sich
lenkt. Die Brüder hatten schon immer Anpassungsprobleme und verursachten ihren
Eltern großen Kummer. Als sie zu Waisen werden, verschlimmert sich die Situation:
Der elterliche Hof verfällt aufgrund von Nachlässigkeit zunehmend, die Brüder geraten
in Handgemenge mit anderen Dorfbewohnern und die Umstände gipfeln in der Flucht
aus dem Haus des Kantors,227 wobei eine Fensterscheibe zu Bruch geht.
Schließlich ziehen sie in den Wald, aus dem sie nach zehn Jahren und vielen
weiterentwickelnden Erlebnissen, wie z. B. landwirtschaftliches Wissen zu erwerben,
Lesen zu lernen und zwei Häuser zu bauen, als gute Bürger zurückkehren, sesshaft
werden und zum Teil des bürgerlichen Dorflebens werden. Wie bei Edzard Schaper zu
lesen ist: „Weitherzigkeit, Toleranz und Humanität sind hohe Gaben, die nur dem
sittlichen Menschen nach der Überwindung seiner selbst zukommen (…) Dies ist die
Lehre, welche die lustigen «Sieben Brüder» (…) durchmachen müssen.“228
Zuerst wurde Seitsemän veljestä in vier Heften als Fortsetzungsgeschichte gedruckt
und erst im Jahr nach Kivis Tod erschien der Roman komplett als gebundenes Buch.
Als Kivi 1872 als verarmter, kranker Mann starb, konnte er nicht ahnen, welch
Bedeutung sein Roman haben würde. So beurteilte der sonst verdienstvolle
227 Anm.: Der Kantor fungierte damals als Lehrer, der den Menschen u. a. das Lesen beibrachte. Seit dem 18. Jahrhundert war in Finnland das Lesen eine Grundvoraussetzung, um heiraten zu können. 228 Schaper, 1951, S. 42-43
102
Literaturkritiker August Ahlqvist den Roman sehr negativ und hatte großen Einfluss
darauf, dass dieser nicht sofort als komplettes Buch, sondern nur in Einzelteilen,
erschien.229
Ferner ist unverständlich, dass Kivis Roman, den jeder Finne kennt, damals als
„Schandfleck in der finnischen Literatur“230 bezeichnet wurde. Da Kivi jedoch auch
Freunde und Gönner hatte, waren alle Drucke mit Plädoyer im Vorwort versehen.
Seitsemän veljestä ist in Anbetracht von Kivis Motiven und der Sprache ein besonderer
Roman mit vielen verschiedenen Einflüssen. Die von Kivi benutzte Sprache ist sehr
deskriptiv und enthält Züge der alten Volkssprache und -dichtung sowie der biblischen
Sprache. Diese Umstände erschweren eine Übersetzung, da umfangreicheres Wissen
erforderlich ist.
Die ersten Zeilen des Romans, der die finnische Literaturlandschaft auf
unvergleichbare Weise prägte, malen dem Leser ein Bild des Orts und der Umstände
der Geschehnisse:
AT 1:
Ensimmäinen luku. Jukolan talo, eteläisessä Hämeessä, seisoo erään mäen
pohjaisella rinteellä, liki Toukolan kylää. Sen läheisin ympäristö on kivinen
tanner, mutta alempana alkaa pellot, joissa ennenkuin talo oli häviöön
mennyt, aaltoili teräinen vilja. Peltojen alla on niittu, apila-äyräinen, halki-
leikkaama monipolvisen ojan; ja runsaasti antoi se heiniä, ennenkuin joutui
laitumeksi kylän karjalle.231
ZT 1:
Erstes Kapitel. Im Süden der Landschaft Häme, unweit des Dorfes Toukola,
liegt auf dem Nordhang eines Hügels der Jukola-Hof. In seinem nächsten
Umkreis ist die Gemarkung steinig; aber weiter unterhalb beginnen die
Felder, auf denen vor dem Verfall des Hofes stahlharte Ähren wogten.
229 Vgl. Koskela, 1990, S. 159 ff. und Kupiainen, 1971, S. 52 230 Lassila, 1996, S. 83 231 Kivi, 1931, S. 15
103
Hinter den Feldern beginnt Wiesenland, von Klee gesäumt und einem sich
in vielen Windrichtungen dahinschlängelnden Bach durchzogen, und reich
war dessen Ertrag an saftigem Heu, bevor er später zur Dorfweide wurde.232
Schaper übersetzt originalgetreu, mit kleinen Änderungen in Syntax und Wortwahl,
welche bei der Übersetzung aus dem Finnischen ins Deutsche unvermeidbar sind, um
die Zielsprache natürlich klingen zu lassen.
In der deutschen Version wird das Wort „Häme“ als Landschaft definiert, wobei im sie
Original nur als Eigenname dasteht. Dies ist damit begründbar, dass ein
Finnischsprachiger aus dem Kontext bereits weiß, dass „Häme“ eine Landschaft ist.
Von einem deutschsprachigen Leser kann das nicht erwartet werden.
Das Adjektiv „saftigem“ im Zitat fügte Schaper selbstständig hinzu. Im Finnischen wird
dem Heu kein Attribut zugeschrieben.
Außerdem unterläuft Schaper ein grober Übersetzungsfehler, indem er „teräinen“ mit
„stahlhart“ übersetzt. Diese Übersetzung ist grundsätzlich einfach rekonstruierbar, da
„teräs“ auf Deutsch „stahl“ bedeutet. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um das
Adjektiv des finnischen Wortes „teräs“, sondern um einen eigenen Begriff aus der
Agrarwirtschaft, der ausdrückt, dass es sich hier um ein Getreide mit vielen Ähren
handelt.
Wie schon erwähnt ist die Sprache Kivis eine ganz besondere, mit vielen
Sprichwörtern und geflügelten Worten, die er entstehen ließ und die mittlerweile
unsterblich geworden sind, wodurch sich die Übersetzung als Herausforderung
gestaltete. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Stelle, wo die Brüder aus dem Heim des
Kantors fliehen, um den Leseunterricht zu vermeiden: „Akkuna sälähti ja taivas välähti,
kun kerran vaan keikahti Jussin pussi.“233 (wörtl. das Fenster zerschellte und der
Himmel blitzte, als bloß einmal der Ranzen von Jussi schaukelte), die im finnischen 232 Kivi, 1950, S. 5 233 Kivi, 1931, S. 74 ff.
104
Sprachgebrauch immer wieder Anwendung findet. Schaper übersetzt dies mit: „Das
Fenster in Scherben, ein Rahmen zu Erben! So ging es zu, als Jussis Ranzen ein
bißchen ausrutschte.“234 Die Übersetzung des ersten Teiles ist akzeptabel.
Obwohl Schaper den Inhalt nicht korrekt übersetzt und die in Kivis Sprache oft
vorkommende Naturnähe nicht berücksichtigt („ein Rahmen zu erben“ anstatt „der
Himmel blitzte“), behält er den Endreim bei und gibt so zumindest die Form von Kivis
Sprache wieder.
Im zweiten Teil des Satzes fehlen in der Übersetzung die im Originalen erhaltenen
stilistischen Mittel wie Alliteration und Mittenreim („kerran vaan keikahti“ bzw.
„Jussin pussi“). Es ist nicht notwendig, einen neuen Satz zu beginnen und der Anfang
„So ging es zu“ teilt die Aussage, die im Original kräftig und rhythmisch ist. An diesem
kurzen Beispiel lässt sich gut erkennen, wie komplex die Übersetzung von Seitsemän
veljestä ist.
In der folgenden Textpassage machen sich die Brüder auf ihre typische Weise über die
arme Schröpferin und ihre Familie lustig:
AT 2:
Tämä oli räyhäävä joukko, joka nyt matkusti pitikin tietä Sonnimäen
nummen alta kohden kirkonkylää, koska veljekset, iloisena kuin oinaat,
viettivät vapauden hetkeä nummen korkealla harjulla. Juhani235. Heissaa!
terve, sinä ennenmainittu rykmentti, terve! Timo. »Hustote till?» sanoi
Ruotsalainen. Eero. »Kappusivai!» sanoi Ryssä. Kaisa. Mitä tahdotte, te siellä
ylhäällä? Eero. Että muori tulee ja imee oikein tuikean sarven tämän veli
Juhanin ruskeaan reisi-pakaraan.236
234 Kivi, 1950, S. 72. 235 Anm.: Im sowohl finnischen, als auch deutschen Original sind die Namen kursiv dargestellt. 236 Kivi, 1931, S. 81
105
ZT 2:
Dies war die lärmende Gesellschaft, die jetzt unter dem Abhang den Weg
ins Kirchdorf dahinzog, während die Brüder, fröhlich wie die Schöpsen, die
Stunde ihrer Befreiung zuhöchst auf dem Hügel feierten. Juhani: Holla, zu
dienen, weitberühmtes Regiment! Timo: Hau du ju du? Sagen die
Engländer. Eero: Kapposivai? Sagen die Russen. Kajsa: Was wollt ihr da
oben von uns? Eero: Daß Mummu heraufkommt und richtig zwackendes
Kuhhorn voll Blut aus Bruder Juhanis brauner Hinterbacke saugt.237
Das interessante in Hinsicht auf die Übersetzung ist Schapers Lösung für die
phonetisch transkribierten fremdsprachigen Ausdrücke. „Hustote till?“ bezieht sich auf
„Hur står det till?“ im Schwedischen und „Kappusivai!“ auf „Kak poživaješ“ im
Russischen. In der Übersetzung bediente sich Schaper der Phrase „Hau du ju du?“ aus
dem Englischen „How do you do?“. Da vermutlich die wenigsten der
deutschsprachigen Leser Schwedisch verstehen, wählte Schaper, um denselben Effekt
zu erzielen, den Analphabetismus der Brüder hervorzuheben, den englischen
Ausdruck für „Wie geht es?“. Es kann davon ausgegangen werden, dass der in Englisch
geschilderte Zynismus in der Übersetzung von ungefähr derselben Anzahl an
deutschsprachigen Lesern verstanden wird, wie jener in Schwedisch in der finnischen
Version.
Bemerkenswert ist auch die Abwandlung des Namens „Kaisa“ von der finnischen zur
schwedischen Schreibweise („Kajsa“). Diese Tatsache unterstützt die Vermutung, dass
Schaper Seitsemän veljestä anhand der schwedischen Übersetzung, und nicht dem
finnischen Original, ins Deutsche übersetzte. Es ist wiederrum auch denkbar, dass
Schaper den Namen auf Schwedisch schrieb, da dies der deutschen Sprache näher ist
und die korrekte Aussprache unterstützt.
237 Kivi, 1950, S. 80
106
Schaper definierte hinsichtlich der Erklärung auch das Horn, mit welchem geschröpft
wird.238 Im Finnischen ist lediglich von einem „sarvi“ (Horn) die Rede, Schaper schreibt
von einem „Kuhhorn“.
Besonders auffallend ist die Übersetzung von „muori“ (Mütterchen / die Alte) mit
„Mummu“. „Mummu“ ist direkt aus der finnischen Sprache entnommen und wird als
Kosename für die Großmutter benutzt, ähnlich dem deutschen „Oma“. Im Kontext der
vorliegenden Textpassage soll angemerkt werden, dass die Übersetzung mit „Mummu“
nicht denselben Effekt zum Ausdruck bringt wie es das Wort „muori“ im Original.
Aufgrund des spöttischen Verhaltens der Brüder wirkt die Wahl des positiven und
freundlichen Begriffs „Mummu“ befremdend. „Muori“ hingegen kann auch im
Zusammenhang mit zynischen oder herablassenden Bemerkungen über eine Frau und
deren Alter benutzt werden.
Da davon auszugehen ist, dass dem deutschsprachigen Leser weder der Begriff „muori“
noch „Mummu“ geläufig ist, darf an der Sinnhaftigkeit der Abänderung des Namens in
der Übersetzung gezweifelt werden, vor allem aufgrund der Tatsache, dass beide
Begriffe der Originalsprache des Werkes zuzuordnen sind.
Andere Merkmale, die dem Leser des Romans in beiden Sprachen auffallen, ist die
Übersetzung von „joukko“ mit „Gesellschaft“. Auf Finnisch wird das Bild einer
lärmenden Horde vermittelt, während im Deutschen das Wort „Gesellschaft“ eine eher
feinere Konnotation besitzt und daher nicht den gleichen Effekt wie der finnische
Ausdruck erzielt.
Schapers Übersetzung von „vapauden hetkeä“ mit „Stunde der Befreiung“ verrät, dass
es sich hierbei nicht um einen Muttersprachler der finnischen Sprache handelt, da der
Unterschied zwischen „vapaus“ (Freiheit) und „vapautus“ (Befreiung) gerade in diesem
Fall von Bedeutung ist. Da die Brüder nicht befreit wurden, sondern selbst flohen, wäre
der korrekte Ausdruck „Stunde der Freiheit“.
Fraglich ist auch, wieso Schaper „terve“ (Grüße euch / Hallo) mit „zu dienen“
übersetzt. Dies verleiht dem Dialog einen unpassend eloquenten Ton. 238 Anm.: Schröpfen ist ein heilmethodischer Vorgang, bei dem einem Kranken mithilfe eines Schröpfhorns Blut entzogen wird.
107
Das unnötige Hinzufügen eines Wortes bzw. eines Aspektes von Schaper, wofür in
dieser Arbeit schon einige Beispiele gebracht wurden, ist bei der Übersetzung von
„Että muori tulee“ (Dass Mütterchen kommt) mit „Daß Mummu heraufkommt“. Dies
lässt den Leser darauf schließen, dass Kaisa auf den Stein klettern soll, um dort die
Schröpfung zu vollziehen, was absurd wäre, da solch heilmethodische Prozeduren
meist in der Sauna stattfinden.
Seitsemän veljestä beinhaltet viele Erzählungen, Lieder und Gedichte in Reimform.
Daher war es für die Arbeit essentiell, eine dieser Gedichte hervorzuheben:
AT 3:
Tuonen lehto, öinen lehto!
Siell‘ on hieno hietakehto,
Sinnepä lapseni saatan.
Siell‘ on lapsen lysti olla,
Tuonen herran vainiolla.
Kaitsea Tuonelan karjaa.
Siell‘ on lapsen lysti olla,
Illan tullen tuuditella.
Helmassa Tuonelan immen.
Onpa kullan lysti olla,
Kultakehdoss‘ kellahdella,
Kuullella kehräjälintuu.
Tuonen viita, rauhan viita!
Kaukana on vaino, riita,
Kaukana kavala maailma.239
239 Kivi, 1931, S. 454
108
ZT 3:
Tuonis** Hain, du nächtiger Hain,
dort soll der Sand die Wiege sein,
dorthin bring‘ ich mein Kindchen.
Gut wird dort mein Kindchen fahren,
unter Tuonis stillen Scharen,
Tuonelas240 Herde hüten.
Gut wird dort mein Kindchen liegen,
jeden Abend wird es wiegen
Tuonelas Tochter, die bleiche.
Sicher wird mein Goldkind liegen
in Herrn Tuonis goldner Wiegen,
lauschen, wie die Nachtschwalbe singt.
Tuonis Hain, du Friedenshain,
fern wird des Lebens Streit dann sein,
fern die verworrene Welt.»
**Tuoni: Herr des Totenreiches241
240 Anm.: Tuonela ist das Reich des Todes; dies wurde in Schapers Übersetzung auf Seite 502 mittels Fußnote erklärt. 241 Kivi, 1950, S. 502
109
Die obige Textpassage ist in Finnland und für dessen Bevölkerung eine der
bekanntesten aus dem Werk Kivis. Besonders nach der Vertonung dieser von Jean
Sibelius (1865-1957, finnischer Komponist), entwickelte es sich zu einem sehr beliebten
Wiegenlied.
Schapers dichterische Begabung kommt in dieser Passage zum wiederholten Male zum
Vorschein. Er gibt den Text mit kleinen inhaltlichen Änderungen wieder und bleibt
dabei der Originalreimform des Liedes fast treu. Im Finnischen folgt der Reim dem
Versmaß AAB CCD CCE CCF GGH, im Deutschen findet sich die Form AAB CCD EEF
EEG AAH. Obwohl Schaper die Endreime ändert, bleibt er den Reimen innerhalb einer
Strophe treu: Die ersten beiden Zeilen reimen sich, die letzte nicht.
Die bemerkenswertesten inhaltlichen Unterschiede finden sich in der dritten und
vierten Strophe. Im Finnischen findet das Kind einen friedlichen Schlaf in „Helmassa
Tuonelan immen“ (wörtl. im Schoß der Jungfrau von Tuonela), während sie Schaper
im Deutschen „Tuonelas Tochter, die bleiche“ nennt. In der finnischen Version ist
keine Erwähnung von Bleiche der Tochter des Totenreiches, obwohl es
nachvollziehbar erscheinen mag, dass Menschen eine unterbewusste Vorstellung
besitzen, dass jemand, der im Totenreich lebt, bleich ist. Da dieser Umstand und diese
merkwürdige Übersetzung auch keinem Reim dienen, ist es verwunderlich, dass
Schaper diese Änderung im Inhalt vornimmt.
Bei der Übersetzung von „Kultakehdoss‘ kellahdella“ (wörtl. in der goldenen Wiege
herumpurzeln) fügt Schaper in seiner Übersetzung hingegen mit „in Herrn Tuonis
goldner Wiegen“ den Herrn des Totenreiches hinzu und verleiht der Wiege somit
einen Besitzer.
Gelungen ist die Beibehaltung der finnischen Begriffe betreffend die Beschreibung der
mythologischen Elemente des Totenreiches und deren eleganter Lösung, den Leser
durch Hinweise in Fußnoten, wie z. B. „Tuoni: Herr des Totenreiches“, aufzuklären.
110
Mit den folgenden Worten endet die Erzählung der Abenteuer der sieben Brüder:
AT 4:
Mutta tässä on kertomukseni loppu. Ja niin olen kertonut seitsemästä
veljeksestä Suomen saloissa; ja mitäpä kertoisin enään heidän elämänsä
päivästä ja sen vaiheista täällä? Se kulki rauhaisesti puolipäivän korkeudelle
ylös ja kallistui rauhaisesti alas illan lepoon monen tuhannen, kultaisen
auringon kiertoessa.242
ZT 4:
Ich habe hier nun von sieben Brüdern in Finnlands Wäldern erzählt, und
was sollte ich noch weiter über ihren Lebenstag hienieden und dessen
wechselvollen Ablauf berichten! Er stieg friedevoll zur Mittagshöhe empor,
und er senkte sich friedevoll zur abendlichen Ruhe, als die Sonne viel
tausend Male ihre goldene Bahn gerundet.243
Schaper übersetzte das Ende nahe dem Original, lediglich das Fragezeichen im
Finnischen ersetzte er im Deutschen durch ein Ausrufezeichen.
Das Wort „salo“ übertrug Schaper lediglich mit „Wälder“ ins Deutsche. Da aber „salo“
genau genommen Ödwald heißt, stellt sich hier die Frage, ob dem Leser der deutschen
Version nicht etwas verborgen bleibt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Leser,
der die letzten Zeilen des Romans liest, das komplette Werk gelesen hatte und somit
versteht, dass es sich um öde Wälder handelt. Da Ödwald im Deutschen ein seltener
und spezifischer Begriff ist,244 kann Schapers Übersetzung als gerechtfertigt bezeichnet
werden.
242 Kivi, 1931, S. 457 243 Kivi, 1950, S. 506 244 Anm.: Ödwald ist laut Wahrigs Deutsches Wörterbuch (Gütersloh, 1997) kein gelisteter Begriff.
111
9 Conclusio
Ziel dieser Arbeit war es, die Übersetzungen Edzard Schapers zu untersuchen, da die
Übersetzung eine wichtige Rolle im Zuge der Kultur- und Literaturvermittlung in
andere Sprachen spielt. Zu diesem Zweck wurden sechs Werke unterschiedlicher
Autoren, die sich alle durch ihre Bekanntheit auszeichnen, analysiert. Die Autoren
Frans Eemil Sillanpää (einziger finnischer Nobelpreisträger der Literatur), Aleksis Kivi
(Autor des ersten finnischsprachigen Romans) und Sally Salminen (berühmteste
Autorin der Ålandinseln) wurden aufgrund ihres besonderen Status‘ in der finnischen
Literatur ausgewählt. Um ein vollständigeres und vielseitiges Bild von Schaper als
Übersetzer zu übermitteln, wurde zusätzlich der schwedische Nobelpreisträger der
Literatur, Pär Lagerkvist, analysiert.
Da die Qualität der Übersetzungen meist stark davon abhängt, wie versiert der
Übersetzer mit der Kultur und den Gegebenheiten des Landes der Ausgangssprache
ist, war es von großer Bedeutung, dem Leser dieser Arbeit die vielen Stationen im
bewegten Leben von Schaper darzulegen, wie in Kapitel 2 nachzulesen ist. Er wurde in
Ostrowo (heutiges Polen, damaliges Preußen) einige Jahre vor dem Anfang des Ersten
Weltkrieges geboren, seitdem war sein Leben durch Flucht und Szenenwechsel
gekennzeichnet. Er lebte in Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland (hier erhielt er
1944 die Staatsbürgerschaft), Schweden und schließlich in der Schweiz. Aufgrund
dieses vielseitigen Lebensstils gewann Schaper Einblicke in fremde Kulturen und
Sprachen in einem überdurchschnittlichen Umfang. Aus diesem Grund hatte er
ausgezeichnete Voraussetzungen für die Übersetzungstätigkeit,245 welche er äußerst
aktiv ausübte. Neben seinem Hauptberuf als Schriftsteller, übersetzte er bis zu 20
Werke aus den skandinavischen Sprachen und dem Finnischen. Besonders wurde auf
Schapers Zeit in und Verhältnis zu Finnland eingegangen, da dies maßgeblich zum
Hauptteil der Arbeit, den Analysen der Übersetzungen, und dem Verständnis dieser
beiträgt.
245 Vgl. Wilss, 1977, S. 156
112
Um über eine einheitliche Grundlage für die Übersetzungsanalyse zu verfügen, wurde
in Kapitel 3 auf die Geschichte sowie Theorien der Übersetzungsanalyse eingegangen.
Wichtige Hintergrundinformationen zu Edzard Schaper als Übersetzer, um die
darauffolgenden Analysen der Übersetzungen nachvollziehbar zu machen, erhält der
Leser in Kapitel 4. Besonders die näheren Schilderungen der Übersetzungen von Pär
Lagerkvist und Frans Eemil Sillanpää helfen dem Leser, gewisse Zusammenhänge zu
verstehen.
Es ist nicht möglich, ein eindeutiges und einheitliches Urteil über Schapers
Übersetzungen zu fällen. Einerseits sind diese in gewissen Details außerordentlich
korrekt und zeugen von großem Verständnis der Ausgangssprache und -kultur,
andererseits müssen Schapers Übersetzungen jedoch als inakzeptabel bezeichnet
werden, da sie schwere Mängel aufweisen.
Festzuhalten ist jedenfalls, dass dem deutschsprachigen Leser in fast keinem Fall das
Originalwerk eins-zu-eins überliefert wird. Dennoch hat sich gezeigt, dass Schapers
Übersetzungen durchaus beliebt sind und maßgeblich an der Beliebt- und Bekanntheit
finnischer Literatur im deutschsprachigen Raum beteiligt sind.
Die Übersetzungen von Schaper variieren sehr in ihrer Qualität. Im Rahmen dieser
Arbeit gibt es kein einziges Werk, in dem nicht sowohl Beispiele für eine gelungene,
als auch für eine nicht gelungene Übersetzung vorzufinden sind. Auffallend ist, wie oft
sich die qualitativen Unterschiede bereits innerhalb einer Passage zeigen. In der
Übersetzung von Sillanpääs Roman Elämä ja aurinko ist bemerkenswert, wie viel Text
von Schaper eigenständig weggelassen wurde. Hinzu kommt die Menge an
inhaltlichen Fehlern, die sich innerhalb der vorgegebenen Länge dieser Arbeit nicht
vollständig erfassen lässt. Schaper darf hier durchaus als schlechter Übersetzer gesehen
werden.
Für Schapers Übersetzung von Lagerkvists Romans Barabbas ist v. a. die
Berücksichtigung der Hintergrundinformation bezüglich Schapers und Lagerkvists
unterschiedlicher Haltung der Kirche und des christlichen Glaubens gegenüber
fachlich wertvoll. So kann z. B. festgestellt werden, dass der religiöse Schaper in der
113
Übersetzung Lagerkvists Romans Barabbas einen religionskritischen Satz bewusst
weglässt.
Der Roman Katrina von Sally Salminen beinhaltet die sprachliche Sonderform der
Dialekte. Bedauernswert dabei ist, dass Schaper diese nicht zu transkribieren pflegt, da
die sprachlichen Besonderheiten aufgrund der finnlandschwedischen, in diesem Fall
typisch åländischen Sprache einen großen Teil des Wertes des Werkes ausmachen.
Schaper entschied sich hier entgegen der Beibehaltung der Dialektelemente, was zu
einem Verlust des Lokalkolorits führt.
Der Roman Seitsemän veljestä von Aleksis Kivi dient als Paradebeispiel wie eng
Ideenreichtum und Einfallslosigkeit bei Schaper aneinander liegen. Einerseits gelingt
ihm die Übersetzung der phonetisch transkribierten, fremdsprachigen Ausdrücke
hervorragend, andererseits ist jedoch zu bemängeln, dass durch Schapers Übersetzung
ein großer Teil Kivis besonderen Sprachstils verloren geht.
Zusammengefasst gelingt es Schaper häufig, komplexe Sachverhalte und Stile in die
deutsche Sprache zu übertragen. Angesichts der hohen Niveaus der hier behandelten
Romane, verdient diese Fähigkeit Schapers Respekt. Negativ bei seinen Übersetzungen
fällt immer wieder auf, dass er durch unerlaubte Editierungen wie z. B. das komplette
Weglassen von Texten und nicht korrekte Übersetzungen, den Sachverhalt
grundlegend ändert oder für den deutschsprachigen Leser teilweise nicht
nachvollziehbar macht.
Weitere interessante Forschungsgebiete, die jedoch den Rahmen dieser Arbeit
sprengen würden, wären aufgrund der vorliegenden Information, dass Schaper sowohl
Sillanpääs Hurskas kurjuus als auch Kivis Seitsemän veljestä mithilfe der vorhandenen
schwedischen Versionen übersetzte, die finnische und deutsche Version der besagten
Romane mit der schwedischen zu vergleichen. Ebenso viel Material gäbe es in Bezug
auf einen Übersetzungsvergleich derselben Werken von unterschiedlichen
Übersetzern. Das vielbewegte Leben Schapers in einer turbulenten Zeit und u. a. von
Flucht geprägt, führte dazu, dass viele seiner Unterlagen vernichtet wurden oder
verschwanden, was eine Herausforderung für weitere Untersuchungen am Thema
„Edzard Schaper als Übersetzer“ darstellt.
114
Literaturverzeichnis
Primärquellen
Kivi, Aleksis: Die sieben Brüder. Roman. Zürich: Manesse Verlag, 1950.
Kivi, Aleksis: Seitsemän veljestä. Kertomus.Helsinki: Suomalaisen kirjallisuuden seura,
1931.
Lagerkvist, Pär: Barabbas. Nobelpreis 1951 Schweden, in: Nobelpreis 1951-1953. Coron:
Verlag Lachen am Zürichsee, 1990.
Lagerkvist, Pär: Gäst hos verkligheten. Stockholm: Bonniers, 1982.
Lagerkvist, Pär: Barabbas. Stockholm: Bonniers, 1975.
Lagerkvist, Pär: Gast bei der Wirklichkeit. Roman. Wien: Österreichische
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Salminen, Sally: Katrina. Wiesbaden: Insel-Verlag, 1949.
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Schaper, Edzard in einem Brief an Heikki Reenpää am 21.10.1946.
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Schaper, Edzard in einem Brief an Heikki Reenpää am 21.11.1946.
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121
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122
Anhang
Abstract (Deutsche Version)
Ziel dieser Arbeit ist es, die Übersetzungen Edzard Schapers zu untersuchen, da die
Übersetzung eine wichtige Rolle im Zuge der Kultur- und Literaturvermittlung in
andere Sprachen spielt. Konkret handelt es sich um eine Analyse der Übersetzungen
Edzard Schapers aus dem Finnischen und Schwedischen vor allem betreffend
Korrektheit, Gründlichkeit und Genauigkeit zu überprüfen sowie zu analysieren,
welche Stimmung und Emotionen er in welcher Form übermittelt. Es gilt daher die
Frage zu beantworten, ob Schapers Übersetzungen als korrekt und gut zu beurteilen
sind, bzw. ob sie als gerechte Botschafter der Originalwerke für die deutschsprachige
Leserschaft angesehen werden können.
Edzard Schaper wurde 1908 in Ostrowo, damaliges Preußen, heutiges Polen, geboren.
Nach dem Ersten Weltkrieg zog er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er seine
ersten Prosawerke schrieb und vorwiegend im künstlerischen Bereich tätig war. Über
verschiedene Berufe und Orte führte sein Weg 1932 nach Tallinn, Estland, wo er acht
Jahre lang lebte und weiterhin als Schriftsteller sowie Korrespondent der United World
Press tätig war. 1940 flüchtete er nach Finnland und beantragte die finnische
Staatsbürgerschaft, die er im Jahr 1944 auch erhielt. Im selben Jahr musste Schaper
weiter nach Schweden ziehen, um einer Auslieferung an die Sowjetunion zu entgehen.
Auf Einladung seines Freundes Max Wehrli, konnte er 1947 in die Schweiz ziehen, wo
er bis zu seinem Tod 1984 lebte.
Aufgrund dieses kosmopolitischen Lebensstils gewann Schaper Einblicke in fremde
Kulturen und Sprachen in einem überdurchschnittlichen Umfang. Deshalb hatte er
ausgezeichnete Voraussetzungen für die Übersetzungstätigkeit, die er äußerst aktiv
ausübte. Neben seinem Hauptberuf als Schriftsteller, übersetzte er bis zu 20 Werke aus
den skandinavischen Sprachen und dem Finnischen.
Dabei wird besonders auf Schapers Zeit in und sein Verhältnis zu Finnland
eingegangen, da dies maßgeblich zum Hauptteil der Arbeit, den Analysen der
Übersetzungen und dem Verständnis dieser beiträgt.
123
Bei der Darstellung Edzard Schapers als Übersetzer wird u. a. besonders auf die zwei
Autoren Pär Lagerkvist und Frans Eemil Sillanpää eingegangen, teils um auf die
verschiedenen Hintergründe und Einstellungen von Schapers Übersetzertätigkeit
hinzuweisen, teils um auf gewisse Parallelen und Unterschiede zwischen den
verschiedenen Autoren aufmerksam zu machen.
Um eine fundierte Basis für die darauffolgenden Analysen der sechs Romane von vier
Autoren zu schaffen, wird auf die Geschichte sowie auf verschiedene Aspekte der
Übersetzungstheorie eingegangen. Von besonderer Bedeutung für diese Diplomarbeit
sind vor allem das zweisprachige Kommunikationsmodell von Werner Koller und die
Gliederung der Übersetzungsprozeduren von Wolfram Wilss.
Erst die intensive Beschäftigung mit der Übersetzungswissenschaft lässt konkret
bewusst werden, welch Verantwortung auf den Schultern des Übersetzers lastet und
wie viel Schaden dieser mit einer schlechten Übersetzung anrichten kann bzw. an dem
Erfolg eines Werkes in einem anderen Land beteiligt sein kann.
Die im Hauptteil der Arbeit analysierten Romane sind: Elämä ja aurinko (1916) (Sonne
des Lebens (1951)) und Hurskas kurjuus (1919) (Das fromme Elend (1948) bzw. Sterben
und Auferstehen (1956)) von Frans Eemil Sillanpää; Seitsemän veljestä (1870) (Die sieben
Brüder (1950)) von Aleksis Kivi; Katrina (1936) (Katrina (1949)) der Autorin Sally
Salminen sowie Gäst hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) und
Barabbas (1950) (Barabbas (1950)) von Pär Lagerkvist.
Die Werke der bekannten Autoren Frans Eemil Sillanpää, bislang einziger finnischer
Nobelpreisträger der Literatur, Aleksis Kivi, Autor des ersten finnischsprachigen
Romans und Sally Salminen, berühmteste Autorin der Ålandinseln, wurden aufgrund
ihres besonderen Status‘ in der finnischen Literatur gewählt. Um ein vollständigeres
und vielseitiges Bild von Schaper als Übersetzer zu übermitteln, wurde zusätzlich der
schwedische Nobelpreisträger der Literatur, Pär Lagerkvist, behandelt.
Die aus diesen Werken ausgewählten Textpassagen, bestehend aus dem Ausgangstext
(Zitat aus der Originalsprache) und dem Zieltext (Zitat aus Schapers Übersetzung),
124
sollen einen repräsentativen Überblick über der jeweilige Werk geben und sind
anhand unterschiedlicher Kriterien ausgewählt worden. Von jedem Roman wurden,
unabhängig von dessen Inhalt, die drei ersten und letzten Zeilen berücksichtigt, um
die Objektivität und Einheitlichkeit der Übersetzungskritiken zu gewährleisten.
Die zitierten Texte werden auf Besonderheiten, sowohl in linguistischer als auch
kulturwissenschaftlicher Hinsicht, überprüft und verglichen. Anhand der vorliegenden
Information wird versucht, die Entstehung eventueller Missinterpretationen zu
rekonstruieren bzw. Verbesserungsvorschläge vorzuschlagen.
Die Übersetzungen von Schaper variieren sehr in ihrer Qualität. Im Rahmen dieser
Arbeit gibt es kein einziges Werk, in dem nicht sowohl Beispiele für eine gelungene,
als auch für eine nicht gelungene Übersetzung vorzufinden sind. Auffallend ist, wie oft
sich die qualitativen Unterschiede bereits innerhalb einer Passage zeigen.
In der Übersetzung von Frans Eemil Sillanpääs Roman Elämä ja aurinko ist
bemerkenswert, wie viel Text von Schaper eigenständig weggelassen wurde. Hinzu
kommt die Menge an inhaltlichen Fehlern, die sich innerhalb der vorgegebenen Länge
dieser Arbeit nicht vollständig erfassen lässt. Schaper darf hier durchaus als
unzureichender Übersetzer charakterisiert werden.
Bei der Übersetzung von Sillanpääs zweiten Roman Hurskas kurjuus beachtet Schaper
gewisse Stilelemente, wie z. B. Alliteration, nicht und verfälscht so gewissermaßen den
Ton der Erzählung für den deutschsprachigen Leser. Abgesehen von etwaigen
Abweichungen der Satzzeichen, bedingt durch die morphologischen Unterschiede
zwischen Deutsch und Finnisch, hält sich Schaper bei diesem Werk dennoch sehr an
das Original.
Es ist festzuhalten, dass im Vergleich der von Schaper übersetzten Werke Hurskas
kurjuus und Elämä ja aurinko, Hurskas kurjuus aufgrund der höheren Originalgetreue
der Übersetzung, translationswissenschaftlich betrachtet, qualitativ über die
Übersetzung von Elämä ja aurinko zu stellen ist.
Pär Lagerkvists Roman Gäst hos verkligheten zeichnet sich besonders durch seine
ausgeschmückte und detailreiche Sprache aus. Es gelingt Schaper zum größten Teil,
125
die Stimmung und den Sprachstil des Romans widerzugeben, obwohl es bei manchen
Begriffen einen besser entsprechenden Ausdruck, als der von Schaper in seiner
Übersetzung gewählte, gäbe. Aufgrund dieser Nähe zum Original und der geringen
Abweichungen, kann dieses Werk als die beste Übersetzung Schapers betrachtet
werden, wenn es darum geht, dem Leser das Original möglichst nahe zu bringen.
Für Schapers Übersetzung von Lagerkvists Roman Barabbas ist v. a. die
Berücksichtigung der Hintergrundinformation bezüglich Schapers und Lagerkvists
unterschiedlicher Haltung der Kirche und des christlichen Glaubens gegenüber
interessant. So kann z. B. festgestellt werden, dass der religiöse Schaper in der
Übersetzung Lagerkvists Romans Barabbas einen religionskritischen Satz bewusst
weglässt.
Der Roman Katrina von Sally Salminen beinhaltet die sprachliche Sonderform der
Dialekte. Bedauernswert dabei ist, dass Schaper diese nicht zu transkribieren pflegt, da
die sprachlichen Besonderheiten aufgrund der finnlandschwedischen, in diesem Fall
typisch åländischen Sprache, einen großen Teil des Wertes dieses Werkes ausmachen.
Schaper entschied sich hier entgegen der Beibehaltung der Dialektelemente, was zu
einem Verlust des Lokalkolorits führt.
Der Roman Seitsemän veljestä von Aleksis Kivi dient als hervorragendes Beispiel dafür,
wie eng Ideenreichtum und Einfallslosigkeit bei Schaper aneinander liegen. Einerseits
gelingt ihm die Übersetzung der phonetisch transkribierten, fremdsprachigen
Ausdrücke hervorragend, andererseits ist jedoch zu bemängeln, dass durch Schapers
Übersetzung ein großer Teil von Kivis besonderen Sprachstil verloren geht, da er
etliche Begriffe und Ausdrücke nicht exakt übersetzt bzw. Phrasen und geflügelte
Worte in ihrer Aussagekraft abschwächt.
Es ist nicht möglich, ein eindeutiges und einheitliches Urteil über Schapers
Übersetzungen zu fällen. Einerseits sind diese in gewissen Details außerordentlich
korrekt und zeugen von großem Verständnis der Ausgangssprache und -kultur,
andererseits müssen Schapers Übersetzungen jedoch als inakzeptabel bezeichnet
werden, da sie schwere Mängel aufweisen.
126
Festzuhalten ist jedenfalls, dass dem deutschsprachigen Leser in fast keinem Fall das
Originalwerk eins-zu-eins überliefert wird. Außerdem ist der Analyse zu entnehmen,
dass, obwohl alle untersuchten Werke, bis auf Barabbas, Dialektelemente erhalten,
Schaper diese in keine seiner deutschen Übersetzungen überträgt. Es ist nicht
eindeutig beurteilbar, ob dies ein Defizit darstellt oder nicht, da diese Vorgehensweise
zwar zu besserem Verständnis im deutschsprachigen Raum beiträgt, dabei jedoch an
Authentizität einbüßt. Dennoch zeigt sich, dass Schapers Übersetzungen durchaus
beliebt sind und maßgeblich an dieser Beliebt- und Bekanntheit finnischer Literatur
im deutschsprachigen Raum beteiligt sind.
Zusammengefasst gelingt es Schaper häufig, komplexe Sachverhalte und Stile in die
deutsche Sprache zu übertragen. Angesichts des hohen künstlerischen Niveaus der
hier behandelten Romane, verdient diese Fähigkeit Schapers Respekt. Jedoch ist
negativ zu bewerten, dass es bei seinen Übersetzungen immer wieder auffällt, dass er
den Sachverhalt durch unerlaubte Editierungen wie z. B. das komplette Weglassen von
Texten und nicht korrekte Übersetzungen, grundlegend ändert oder für den
deutschsprachigen Leser teilweise leider nicht nachvollziehbar macht.
127
Abstract (Schwedische Version)
Syftet med detta examensarbete är att undersöka översättningar gjorda av Edzard
Schaper. Detta ämne har valts eftersom översättningen spelar en viktig roll som en del
av den kulturella och litterära förmedlingen mellan språkområden. Specifikt är
avsikten att undersöka Edzard Schapers översättningar från finska och svenska till
tyska, med speciell hänsyn till grundligheten och noggrannheten med vilken
översättningen gjorts. Vidare är målet att analysera huruvida Schaper lyckas förmedla
stämningen och känslorna som förekommer i böckerna. Det är därför nödvändigt att
svara på frågan huruvida Schapers översättningar kan bedömas som korrekt, samt om
han kan ses som en rättmätig överförare av orginalverket till den tyskspråkiga läsaren.
Edzard Schaper föddes 1908 i Ostrowo, dagens Polen, som då låg i Preussen. Efter
första världskriget flyttade han med sin familj till Tyskland, där han skrev sin första
prosa, även om han främst arbetade inom konst under sin tid där. Efter att ha både
arbetat och bott på ett flertal olika ställen, begav han sig 1932 till Tallinn, Estland, där
han bodde i åtta år och fortsatte att arbeta som författare och som korrespondent för
United World Press. År 1940 flydde han till Finland och ansökte om finskt
medborgarskap, vilket han fick 1944. Under samma år, 1944, var han tvungen att flytta
vidare till Sverige, för att undgå utlämning till Sovjetunionen. På inbjudan av sin vän
Max Wehrli kunde han flytta till Schweiz 1947, var han förblev kvar ända fram till sin
död 1984.
På grund av denna kosmopolitiska livsstil fick Schaper en särskilt djup inblick i ett
flertal kulturer och språk. Av denna anledning hade han goda förutsättningar för
översättningsarbetet, som han utövade mycket aktivt. Vid sidan om sitt huvudyrke
som författare, översatte han över 20 verk från de skandinaviska språken och från
finska.
Speciellt utförligt skildras Schapers tid i och förhållande till Finland, eftersom detta i
hög grad bidrar till förståelsen av omständigheterna kring huvuddelen av detta
examensarbete; analysen av översättningarna. Schapers arbete som översättare av de
två författarna Pär Lagerkvist och Frans Eemil Sillanpää, beskrivs synnerligen
noggrannt. I samband med dessa två författare understryks de olika bakgrunderna och
128
Schapers attityd gentemot översättningsarbetet tydligt. Detta kapitel är också
representativt för att framhäva gemenskaper och olikheter mellan alla författarna som
analyseras i detta examensarbete.
För att lägga en grund till senare analyserna av sex romaner av fyra olika författare,
skildras historien och olika aspekter inom översättningsvetenskapen. Av särskild
betydelse för denna avhandling är tvåspråkiga kommunikationsmodellen av Werner
Koller och dispositionen av översättningsmetoder av Wolfram Wilss.
Endast ett intensivt resonemang med översättningsstudier kan göra en medveten om
det stora ansvar som vilar på översättaren, samt hur mycket skada denne kan göra med
en dålig översättning eller hur stor betydelse översättaren kan ha i framgången av en
roman i ett annat land.
I huvuddelen av detta arbete analyseras sex romaner, tre vars orginalspråk är finska
och tre vars orginalspråk är svenska. De finskspråkiga är de av Frans Eemil Sillanpää
skrivna Elämä ja Aurinko (1916), utkommen med svenska titeln Livet och solen (1926),
på tyska som Sonne des Lebens (1951), och Hurskas kurjuus (1919), på svenska Det
fromma eländet (1920), utkommen som tysk översättning i två versioner; Das fromme
Elend (1948) och Sterben und Auferstehen (1956), samt Aleksis Kivis Seitsemän veljestä
(1870), på svenska Sju bröder (1919), på tyska Die sieben Brüder (1950). De
svenskspråkiga verken är Katrina (1936) (Katrina (1949)) av Sally Salminen, samt Gäst
hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) och Barabbas (1950) (Barabbas
(1950)) av Pär Lagerkvist.
Frans Eemil Sillanpää är hittills den enda finska nobelpristagaren i litteratur, Aleksis
Kivi, författare av den första finskspråkiga romanen, och Sally Salminen, den mest
berömda författaren från Åland, vilka på grund av sin status i den finska litteraturen
valdes för detta examensarbete. Som jämförelse till det svenska språket som Sally
Salminen använder, ingår dessutom också den svenska nobelpristagaren i litteratur,
Pär Lagerkvist, i analysen.
129
De utvalda utdragen ur dessa verk, bestående av källtexten (citerat från
ursprungsspråket) och måltexten (citerat från Schapers översättning), skall ge en
representativ överblick av respektive verk och har blivit valda på grund av olika
kriterier. Från varje roman har dock de tre första och sista raderna, oavsett innehåll,
analyserats med syftet att säkerställa objektivitet och konsekvens av
översättningsrecensionerna.
De citerade texterna granskas och jämförs på både språkliga och kulturell-
vetenskapliga plan. Baserat på den tillgängliga informationen görs ett försök att
rekonstruera händelseförloppet av eventuella feltolkningar samt att presentera
förbättringsförslag.
Översättningarna av Schaper varierar mycket i kvalitet. I detta arbete finns det inte en
enda roman, där det inte skulle återfinnas exempel på både framgångsrika och mindre
lyckade översättningar. Det är frappant hur ofta de kvalitativa skillnaderna
förekommer till och med inom ett enda textavsnitt.
I översättningen av Frans Eemil Sillanpääs Elämä ja aurinko är det påfallande hur
mycket text Schaper har utelämnat. I den undersökta versionen fattas nästan ett helt
kapitel, vilket förvrider tyskspråkiga läsares uppfattning av romanen. Tillagt till detta
är mängden av fel som förkommer beträffande innehållet förundrandsvärt hög. I detta
exempel kan Schaper mycket väl betraktas som en otillräcklig översättare.
I översättningen av Sillanpääs andra roman Hurskas kurjuus, utelämnar Schaper vissa
stilistiska element, som t.ex. alliteration, vilket i en viss grad förfalskar stilen och tonen
för den tyskspråkiga läsaren. Översättningen av vissa enstaka ord ger anledning till
kritik, likväl finns det orsak att vidbehålla meningen att Hurskas kurjuus är den
kvalitativt bättre översättningen, då båda av Schaper översatta verken Elämä ja aurinko
och Hurskas kurjuus betraktas.
Pär Lagerkvists roman Gäst hos verkligheten utmärker sig framför allt genom det
detaljerade och utsmyckade språkbruket. Schaper lyckas till största delen att överföra
stämningen och stilen av språket, även om vissa uttryck kunde ha översatts bättre.
För vissa svenska ord och uttryck finns det närmare pendanger i tyskan än de som
Schaper valt, men på grund av mestadels bestående trogenheten till orignalet och föga
130
mängden av bättringsförslag som kan göras, kan detta betraktas som den bästa av
Schapers översättningar, då det gäller att föra orginalet närmast möjligt den
tyskspråkiga läsaren.
För Schapers översättning av Lagerkvists roman Barabbas måste framförallt
bakrundsinformationen tas hänsyn till. Det har avgörande betydelse att Schaper och
Lagerkvist hade olika inställnigar till kyrkan och religionen (Lagerkvist vände sig bort
från kyrkan, Schaper var nybliven katolik vid tidpunkten av översättningen). Härmed
kan förklaras varför Schaper komplett utelämnar en religionskritisk mening i mitten av
romanen. Det får översättare inte göra, eftersom det förändrar berättelsens innehåll på
avgörande sätt.
Romanen Katrina av Sally Salminen innehåller den språkliga egenheten av dialekter.
Det är beklagansvärt att Schaper inte överfört detta till tyskan, eftersom dessa typiska
uttryck för finlandsvenska och speciellt åländska utgör en stor del av romanens värde.
En del av lokalfärgen går förlorad då Schaper inte tar hänsyn till denna speciella
språkform.
Romanen Seitsemän veljestä av Aleksis Kivi utgör ett utmärkt exempel för Schapers
mångfaldighet. I denna översättning finns exempel på utmärkta översättningslösningar
i samma textavsnitt som felöversättningar. Å ena sidan lyckas Schaper översätta
fonetiska transkriptionen av främmande språkuttryck galant, å andra sidan kan det
ömkas att Schaper på många ställen inte förblir trogen till Kivis speciella språkstil, då
han låter bli att exakt återge vissa fraser och tonar ner kräftiga uttryck.
Det är inte möjligt att fatta en enhetlig mening över Schapers översättningar. Å ena
sidan är Schaper utomordentligt korrekt i vissa detaljer och man märker hans
förståelse för och kunskap av källspråket och ländernas kultur. Å andra sidan måste
man betrakta Schapers översättningar som inacceptabla och felaktiga, eftersom de
delvis innerhåller grova fel och delvis inte återger författarens berättelse i sin helhet.
131
Det måste framhävas att den tyskspråkiga läsaren i ingetdera fall får en fullständigt
korrekt översättning av orginalverket.
En vidare faktor som förbinder Schapers översättningar är, att även om det
förekommer dialektelement i alla analyserade verk, förutom Barabbas, har Schaper valt
att inte överta dessa i de tyska översättningarna. Man kan inte entydigt säga att detta
vore enbart ett negativt faktum. Det är beklagansvärt på grund av förlusten av lokalfärg
och stämning, men kan också ses som acceptabelt eftersom skillnaderna mellan olika
dialekter är större i tyskspråkiga området och det därmed vore tänkbart att alla läsare
inte skulle ha förstått den dialektala översättningen.
Sammanfattat kan man säga att Schaper oftast lyckas med att översätta komplexa
innehållsbundna saklägen och speciella nyanser till tyskan. Med hänsyn till den höga
litterära nivån av de analyserade romanerna är detta en prestation som förtjänar
respekt. Hans översättningar gör sig negativt anmärkningsbara då det handlar om
lojalitet mot orginalet. I flera fall stryker han längre textavsnitt ur orginalet eller
översätter begrepp fel, vilket leder till att den tyskspråkiga läsaren inte kan ha samma
läseupplevelse som en läsare på orginalspråket.
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Lebenslauf
Stina Maria Alexandra Harttila, geboren am 09.10.1986 in Helsinki, Finnland.
Ausbildung:
2006-2011 Fennistik an der Universität Wien
(abgeschlossen mit Bakkalaurea der Philosophie)
seit 2004 Skandinavistik (Diplomstudium) an der Universität Wien
2002-2004 Vienna International School, Wien
(abgeschlossen mit Bilingual International Baccalaureate Reifeprüfung)
2001-2002 Gymnasiet Svenska Normallyceum, Helsinki, Finnland
1998-2001 Högstadiet Svenska Normallyceum, Helsinki, Finnland
1995-1998 Brändö lågstadieskola, Helsinki, Finnland
1992-1995 Svenska skolan i Berlin, Berlin, Deutschland
Sprachkenntnisse:
Schwedisch, Finnisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Isländisch
Einschlägige Berufserfahrung:
03/2012 – heute angestellt bei Gebauer & Griller Kabelwerke GmbH
06/2010 – 06/2011 angestellt bei Inbound Services
12/2009 – 01/2011 angestellt bei Finnisch-Österreichisches Wirtschaftsforum
2005, 2006, 2008 Praktikum bei Merckens Papier&Karton