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DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit Edzard Schaper als Übersetzer und Vermittler finnischer Literatur im deutschsprachigen Raum Verfasserin Stina Harttila, Bakk.phil. angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, Jänner 2013 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 394 Studienrichtung lt. Studienblatt: Diplomstudium Skandinavistik Betreuer: o. Univ.-Prof. Dr. Sven Hakon Rossel

DA 2013 FINAL - univie.ac.atothes.univie.ac.at/25323/1/2013-01-28_0403925.pdf · (1870) (Die sieben Brüder (1950)) von Aleksis Kivi; Katrina (1936) (Katrina (1949)) der Autorin Sally

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DIPLOMARBEIT

Titel der Diplomarbeit

Edzard Schaper als Übersetzer und Vermittler finnischer Literatur im deutschsprachigen Raum

Verfasserin

Stina Harttila, Bakk.phil.

angestrebter akademischer Grad

Magistra der Philosophie (Mag.phil.)

Wien, Jänner 2013

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 394

Studienrichtung lt. Studienblatt: Diplomstudium Skandinavistik

Betreuer: o. Univ.-Prof. Dr. Sven Hakon Rossel

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Danksagung

Es gibt viele Personen, ohne die diese Arbeit nicht zustande gekommen wäre.

Allen voran gilt mein größter Dank o. Univ.-Prof. Dr. Sven Hakon Rossel für die

hervorragende Betreuung dieser Arbeit. Besonderer Dank richtet sich auch an Mag.

Anja-Leena Holtari, deren wertvolle Inputs hoch geschätzt werden. Weiters sei an

dieser Stelle Dr. Gabriel Imboden vom Edzard Schaper Archiv in Brig/Schweiz

erwähnt, für dessen Hilfe im Zuge der Recherche ich sehr dankbar bin.

Auch die Unterstützung, die ich während dieser Arbeit aus dem privaten Bereich

erhalten habe, ist unglaublich. Herzlichsten Dank verdient hier mein Verlobter, der

mir während der gesamten Arbeit, auch in schwierigen Phasen, zur Seite stand und

auch wertvolles inhaltliches Feedback beisteuerte.

Ohne die Unterstützung meiner Eltern wäre es nicht möglich gewesen, mich derart in

die Materie zu vertiefen. Hierfür bin ich ihnen unendlich dankbar.

Außerdem möchte ich noch allen Verwandten, Freunden sowie meinem Arbeitgeber

und meinen Arbeitskollegen danken, die mich auf dem Weg begleitet und mir

Rückhalt gegeben haben.

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a

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................ b

Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................................... c

Anmerkungen ...................................................................................................................... d

1 Einleitung ...................................................................................................................... 1

2 Edzard Schapers Biographie ........................................................................................ 3

2.1 Allgemeine Biographie .......................................................................................... 3

2.2 Edzard Schaper in Finnland ................................................................................. 12

2.3 Edzard Schaper als Prosaautor ............................................................................ 20

3 Zur allgemeinen Übersetzungstheorie ...................................................................... 25

4 Edzard Schaper als Übersetzer .................................................................................. 37

4.1 Edzard Schaper als Übersetzer von Pär Lagerkvist ............................................ 40

4.2 Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää................................ 43

5 Pär Lagerkvist ............................................................................................................. 45

5.1 Über den Autor .................................................................................................... 45

5.2 Gäst hos verkligheten / Gast bei der Wirklichkeit ............................................... 46

5.3 Barabbas ............................................................................................................... 59

6 Frans Eemil Sillanpää ................................................................................................. 67

6.1 Über den Autor .................................................................................................... 67

6.2 Elämä ja aurinko / Die Sonne des Lebens ............................................................ 70

6.3 Hurskas kurjuus / Das fromme Elend ................................................................. 83

7 Sally Salminen ............................................................................................................ 92

7.1 Über die Autorin .................................................................................................. 92

7.2 Katrina .................................................................................................................. 93

8 Aleksis Kivi ................................................................................................................ 100

8.1 Über den Autor ................................................................................................... 100

8.2 Seitsemän veljestä / Die sieben Brüder ................................................................101

9 Conclusio .................................................................................................................... 111

Literaturverzeichnis ........................................................................................................... 114

Primärquellen .................................................................................................................114

Sekundärquellen ............................................................................................................ 115

Archivquellen ................................................................................................................ 119

Sonstige Quellen ............................................................................................................ 121

Anhang .............................................................................................................................. 122

Abstract (Deutsche Version) ........................................................................................ 122

Abstract (Schwedische Version) .................................................................................. 127

Lebenslauf ..................................................................................................................... 132

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b

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Zweisprachiges Kommunikationsmodell ..................................................... 31

Abbildung 2: Übersetzungsprozeduren ............................................................................ 32

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c

Abkürzungsverzeichnis

AG Aktiengesellschaft

Anm. Anmerkung

AT Ausgangstext

bzw. beziehungsweise

ca. circa

Co Company

d. h. das heißt

dt. deutsch

dä. dänisch

ebd. ebendort

engl. englisch

ff. folgende

Gebr. Gebrüder

GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung

Hrsg. Herausgeber

http Hypertext Transfer Protocol

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

S. Seite

schw. schwedisch

sic! sic ("wirklich so")

u. a. unter anderem

URL Uniform Resource Locator

USA Vereinigte Staaten von Amerika

ÜW Übersetzungswissenschaft

v. a. vor allem

v. Chr. vor Christus

Vgl. vergleiche

www World Wide Web

z. B. zum Beispiel

ZT Zieltext

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d

Anmerkungen

Allgemein getätigte Aussagen und Beschreibungen von geschlechtsbezogenen

Substantiven werden jeweils nur in ihrer männlichen Form angeführt (z. B. „der

Leser“). Dies dient ausschließlich dem flüssigeren Lesefluss. Die getätigten Aussagen

treffen auf beide Geschlechter zu, sofern aus dem Kontext kein eindeutiges Genus

erkennbar ist.

Übliche Abkürzungen wie „z. B.“ oder „bzw.“ werden auch in dieser Arbeit als solche

verwendet. Eine Auflistung der angewandten Abkürzungen findet sich im

Abkürzungsverzeichnis.

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1

1 Einleitung

Der Schriftsteller und Übersetzer Edzard Schaper, der ein äußerst

abwechslungsreiches Leben führte, ist größtenteils in Vergessenheit geraten. Trotz

seines immensen Schaffensbereichs und seiner vielen Übersetzungen, ist er heute

vielen Literaturwissenschaftlern, auch Germanisten, kaum ein Begriff.

Ziel dieser Arbeit ist es auf die Übersetzungen Edzard Schapers zu fokusieren und

diese vor allem auf Korrektheit, Gründlichkeit und Genauigkeit zu überprüfen sowie

zu analysieren, welche Stimmung und Emotionen Schaper in welcher Form

übermittelt. Es gilt daher die Frage zu beantworten, ob Schapers Übersetzungen als

korrekt und künstlerisch gelungen zu beurteilen sind, bzw. ob sie als gerechte

Botschafter der Originalwerke für eine deutschsprachige Leserschaft gesehen werden

können.

In der vorliegenden Arbeit wird zunächst ein biographischer Überblick über Schapers

Leben gegeben, da dessen Verlauf maßgeblich dazu beitrug, wie und was Schaper

übersetzte. Ohne diese Hintergrundinformationen ist ein ganzheitliches Verständnis

seines Schaffens nicht möglich.

Im zweiten Teil der Arbeit werden übersetzungstheoretische Grundbegriffe und Ideen

behandelt, um eine fundierte Basis für die darauffolgenden Analysen der sechs

Romane von vier verschiedenen Autoren zu schaffen.

Die im Hauptteil der Arbeit analysierten Werke sind die folgenden: Elämä ja aurinko

(1916) (Sonne des Lebens (1951)) und Hurskas kurjuus (1919) (Das fromme Elend (1948)

bzw. Sterben und Auferstehen (1956)) von Frans Eemil Sillanpää; Seitsemän veljestä

(1870) (Die sieben Brüder (1950)) von Aleksis Kivi; Katrina (1936) (Katrina (1949)) der

Autorin Sally Salminen sowie Gäst hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit

(1952)) und Barabbas (1950) (Barabbas (1950)) von Pär Lagerkvist.

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2

Die Werke der bekannten Autoren Frans Eemil Sillanpää, einziger finnischer

Nobelpreisträger der Literatur, Aleksis Kivi, Autor des ersten finnischsprachigen

Romans überhaupt, und Sally Salminen, bekannteste Autorin der Ålandinseln, wurden

aufgrund ihres besonderen Status‘ in der finnischen Literatur gewählt. Zum Vergleich

zur schwedischen Sprache, die Sally Salminen verwendet, wurde zusätzlich der

schwedische Nobelpreisträger der Literatur, Pär Lagerkvist, in die Analyse

miteinbezogen.

Die aus diesen Werken ausgewählten Textpassagen, bestehend aus dem Ausgangstext

(Zitat aus der Originalsprache) und dem Zieltext (Zitat aus Schapers Übersetzung),

sollen einen repräsentativen Überblick des jeweiligen Werkes geben und wurden

anhand unterschiedlicher Kriterien ausgewählt. Von jedem beschriebenen Roman

wurden, unabhängig vom Inhalt, die drei ersten und letzten Zeilen berücksichtigt, um

die Objektivität und Einheitlichkeit der Übersetzungskritiken zu gewährleisten.

Die zitierten Texte wurden auf Besonderheiten, sowohl in linguistischer als auch

kulturwissenschaftlicher Hinsicht, überprüft und verglichen. Anhand der vorliegenden

Informationen wurde ferner versucht, die Entstehung eventueller Missinterpretationen

zu rekonstruieren bzw. Verbesserungsvorschläge zu präsentieren.

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3

2 Edzard Schapers Biographie

2.1 Allgemeine Biographie

Ernst Edzard Helmut Schaper wurde am 30. September 1908 in Ostrowo, damaliges

Preußen, heutiges Polen, geboren. Sein Vater war ein deutscher Offizier aus der

Gegend von Hannover, seine Mutter stammte aus Ostfriesland. Die Vorfahren

Schapers waren beweglich, schon zu Reformationszeiten setzte sich ein Teil der

Familie in Estland zur Ruhe, um etwas später wieder zurück nach Deutschland zu

kehren. Sein Vater war einer der letzten, dessen Familie noch eine Mühle in der Nähe

von Hannover betrieb. Vielleicht verspürte Schaper unterbewusst das Erbe seiner

mobilen Ahnen und wurde deshalb über viele Stationen ein Weltbürger.1

Die ersten Jahre Schapers prägten ihn sehr, von der Atmosphäre Ostrowos behauptete

er, dass diese ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr verließ. Ein ruhiges

kleinbürgerliches Leben, mit ersten Eindrücken von Vielfältigkeit durch die deutschen

und polnischen Spielkameraden, wurde vom großen Ereignis im Leben des jungen

fünfjährigen Edzard Schapers, dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, verändert.2

Diesen erlebte er besonders nahe und intensiv dadurch, dass Ostrowo eine Grenzstadt

war und Konflikte immer am stärksten in Grenzgebieten brodeln. So beschreibt

Schaper das Erlebnis, welches sein Leben und das von ganz Europa drastisch

verändern würde:

Ich erinnere mich, dass der Tag der allgemeinen Mobilmachung ein Tag

war, an dem ein großer Jahrmarkt gehalten wurde. In Grenzgebieten wie

dort fluten dann von Osten und Westen die Bauern, die Pferdehändler, die

Zigeuner, die Juden von hüben und drüben zusammen. (…) Ich erinnere

mich jenes Radfahrers (…) der auf einer Trompete Signale blies und die

Mobilmachung verkündete. Dramatische und theatralische Eröffnung eines

1 Vgl. Schaper, 1952 (Archiv) 2 Vgl. Schaper, 1968 (Archiv)

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4

Krieges, wie man sie sich heute im Zeitalter des Fernschreibers kaum mehr

vorzustellen vermag, von einer Bildhaftigkeit, die sich einem Kind

selbstverständlich stark einprägt.3

Während des Krieges erlebte und sah Schaper vieles, was kaum für einen kleinen

Jungen geeignet, wohl aber von großem Reiz ist, wie z. B. Lazarette und Schießstätten.

Nach dem Ersten Weltkrieg flüchtete die Familie nach Glogau, eine historische

polnische Stadt, die nun in Preußen lag und die sie nach zwei Jahren wegen der

gesundheitlichen Probleme und Anpassungsschwierigkeiten des Vaters mit der neuen

Zeit wieder verlassen mussten. Das Thema eines Offiziers, der seinen Platz in der

neuen Welt nach dem Ersten Weltkrieg nicht findet, wiederholt sich oft in Schapers

Erzählungen und beruht auf diesen Kindheitserinnerungen.

Im Jahr 1922, als Edzard Schaper vierzehn Jahre alt war, zog die Familie nach

Hannover. Dort besuchte Schaper neben dem Gymnasium auch das

Musikkonservatorium mit der Absicht, Musiker zu werden.4 Dieses außerakademische

Interesse finanzierte er sich selbst, indem er jüngeren Schülern Nachhilfeunterricht

gab, obwohl er diese Aufgabe als Zeitverschwendung mit „Dummen“ ansah. Einen

Zeichenlehrer, der versuchte ihn hiervon abzuhalten, stieß Schaper die Treppe hinab,

da dies laut ihm die einzige Verständigungsweise war.5

Schon damals kam Schaper in Berührung mit skandinavischen Schriftstellern, da er

seine Melancholie mit entsprechender düsterer Lektüre, vor allem des schwedischen

Dramatikers August Strindberg (1849-1912), nährte. Als Schaper an der Hochschule

Hannover für geisteswissenschaftliche Fächer zugelassen wurde, stieg der Druck auf

den jungen Student bis zu dem Punkt, wo er wegen kompletter Überarbeitung in ein

Sanatorium eingewiesen wurde. Das Interesse für Musik, das Schaper für sich in

Glogau durch Robert Schumanns (1810-1856) Oratorium Das Paradies und die Peri

(1843) entdeckte, wich nach der Genesung dem des Theaters. Er wurde Schauspieler

und Regisseur in Herford und Minden, bis er als Regieassistent der Oper am

3 Schaper, 1956b, S. 23 4 Vgl. ebd. S. 3 5 Vgl. Schaper, 1968, S. 4 (Archiv)

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5

Württembergischen Landestheater Stuttgart und bei verschiedenen sonstigen Arbeiten

in der Kunstszene zu schreiben begann.6 Nach den ersten schriftstellerischen Erfolgen

mit den Romanen Der letzte Gast (1927) und Die Bekenntnisse des Försters Patrick

Doyle (1928), folgte der Entschluss, Stuttgart zu verlassen und in die Bretagne zu

ziehen: „(…) ich merke: heute abend oder nie, – packe die Koffer, zahle die

Rechnungen, verlasse im Laufe von zwei, drei Stunden Stuttgart.“7

Die Beschreibung Schapers von dem plötzlichen Aufbruch spiegelt seine fehlende

Sesshaftigkeit wider, welche zu einem immer wiederkehrenden Thema in seinem

Leben wurde. Im Reisebüro entschied er sich in letzter Minute, die Fahrkarten waren

schon ausgestellt, anders: er wollte anstatt in die Bretagne auf die dänische Insel

Christiansø in der Inselgruppe Ertholmene, von der nicht bekannt war, ob sie bewohnt

sei. Auf dieser, von Fischern bewohnten Insel, wo König Christian IV eine Festung zur

Verteidigung gegen die Schweden im 17. Jahrhundert errichtet hatte, lebte Schaper

nahezu drei Jahre von 1927-1929. Nach den Erfolgen seiner ersten beiden Romane,

erhielt er ein monatliches Honorar vom Verlag, das seine Existenz sicherte.8

In der Ruhe der dänischen Insel gelang es Schaper, an seinem biographischen Roman

über den Komponisten Georg Friedrich Händel (1685-1759) weiterzuarbeiten. Mit

seiner Arbeit unzufrieden und mit großem Zeitdruck seitens des Verlags konfrontiert,

entzog sich Schaper des Projektes. Der Anfang dieses unvollendeten Werkes wurde zu

Schapers Lebzeiten auf seinen Wunsch nie veröffentlicht und es verließ ihn gar der

Mut, überhaupt als Schriftsteller wirken zu können. Es folgten drei Monate als

Gärtnerlehrling, nach denen Schaper auf einem Fischdampfer anheuerte. Die

Erzählung Weltuntergang auf Dagö (1934) basiert auf seinen eigenen Erfahrungen auf

dem Fischdampfer „F.C. Krogman“. Schaper selbst beschreibt die Zeit, in der er in den

kältesten Wässern Europas unterwegs war, mit den Worten: „Sehr traurige, harte

Zeit.“9

6 Vgl. Besch, 1968, S. 3 ff. (Archiv) 7 Schaper, 1952, S. 4 (Archiv) 8 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv) 9 Schaper, 1952, S. 4 (Archiv)

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6

Auf einer der Seefahrten mit dem Fischdampfer entlang der Küste Nordnorwegens,

fasste Schaper den Entschluss, hierhin, nach Beendigung seines Arbeitsverhältnisses

auf dem Schiff, zurückzukehren. Seine Pläne wurden jedoch von der Deutschbaltin

Alice Pergelbaum (1905-1991) durchkreuzt. Er lernte sie in Berlin kennen, als sie auf

ihrer Reise durch Europa bei gemeinsamen Freunden einige Tage Halt machte und er

seinen Koffer für die lange Reise nach Norwegen aus der Wohnung der Freunde holen

wollte. Schaper war von der jungen Dame so begeistert, dass er dieser keine 24

Stunden nach dem Kennenlernen einen Heiratsantrag machte. Diese Ehe sollte den

Rest seines Lebens halten.10 Mit ihr reiste er nach Tallinn, Estland, heiratete sie im Mai

1932 und fühlte sich dort Zuhause. Dies lässt sich besonders in der folgenden

Formulierung zur Beschreibung der neuen Heimat erkennen: „(…) eine meiner

‚Heimat‘ im herkömmlichen Sinne täuschend ähnliche Welt.“11

Bereits in Estland zeigte sich eine Sonderheit in Edzard Schapers Arbeitsweise, die ihn

den Rest seines Lebens begleiten würde. Er konnte in der Nähe seiner Frau und später

seiner Familie seine Werke nie schreiben, sondern benötigte immer seinen eigenen

Arbeitsplatz, ein abgelegenes Zimmer oder eine eigene Wohnung. So wohnte er zwar

in mit seiner Frau in Tallinn, verbrachte aber die meiste Zeit in seinen

„Arbeitswohnungen“ in Baltiski Port und später in Habsalu. Zeitweise hatte er auch

einen Arbeitsplatz in Tallinn; interessanterweise war dieser im ehemaligen Haus des

deutschen Barocklyrikers Paul Fleming (1609-1640).12

1936 folgte ein dramatisches Ereignis, als sich Schaper bei einer Vorlesungsreise nach

Deutschland in Waldenburg in Schlesien mit der Gestapo zerstritt. Dies hatte zur

Folge, dass Schapers Bücher nicht mehr für Bibliotheken angekauft werden durften

und dass er auch in Tallinn von der NSDAP verfolgt wurde.13

10 Vgl. Schaper, 1968, S. 7 (Archiv) 11 Schaper, 1968, S. 86 12 Vgl. Schaper, 1968, S. 9 (Archiv) 13 Vgl. Schaper, 1952, S. 5 (Archiv)

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Die Bolschewiken besetzten im Jahre 1939 Edzard Schapers Haus in Hapsal, im

Nordwesten Estlands, und glaubten dabei, sie wären auf die Zentrale der Sowjetgegner

gestoßen. Im Arbeitszimmer von Schaper war eine große Anzahl von Landkarten

gelagert, jedoch keine modernen, sondern aus dem Jahr 1789, die als Quelle für sein

damaliges Werk14 dienten.15

1939 lehnte Schaper seinerseits die Umsiedlung der Deutschbalten ab, aus Solidarität

den baltischen Staaten gegenüber und als Kritik an der Umsiedlungspolitik der

Sowjetunion und Nazideutschlands, und blieb somit in Estland, als die sowjetischen

Truppen einmarschierten:

Ich habe die von der nationalsozialistisch-deutschen Politik wie von der

russischen Militär- und Polizeigewalt eingeleitete Vernichtung der

baltischen Staaten und Polens ebenso abgelehnt, wie ich die tragische

Umsiedlung, ja, sagen wir doch ruhig: Austreibung der baltischen

Deutschen und ihre Ansiedlung in den eroberten Provinzen West- und

Ostpolens für mich abgelehnt habe.16

Auch nach seiner Flucht nach Finnland blieb Edzard Schaper mit Estland stark

verbunden (siehe Kapitel 2.2) und er setzte sich dafür ein, die Lage der baltischen

Länder im deutschsprachigen Raum bekannt zu machen. In seiner Reiseschilderung

Finnisches Tagebuch (1951) beschrieb er den Augenblick, als er nach dem Zweiten

Weltkrieg wieder auf die estnische Küste blicken konnte mit äußerst gefühlvollen

Worten: „Man hört sein Herz bis in den Hals hinauf schlagen, lebt zwiegeteilt nur

noch mit und in den Augen… Feierlich und traurig, dieses halb verwehrte

Wiedersehen… Estland [kursiv im Original] ragt aus dem Horizont an Steuerbord.“17

14 Anm.: Aus den Unterlagen geht nicht hervor, um welches Werk es sich handelt, jedoch kann angenommen werden, dass vom Roman Der Gouverneur oder Der glückselige Schuldner (1954) die Rede ist. Einerseits spielt die Handlung des Romans im Estland des 18. Jahrhunderts und andererseits ist bekannt, dass Schaper bereits im Jahr 1939 an besagtem Werk schrieb, obwohl dieses erst 1954 erschien. 15 Vgl. Besch, 1968, S. 9 (Archiv) 16 Schaper, 1956b, S. 33 17 Schaper, 1951, S. 16

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8

Es ist eindeutig, wie sehr sich Schaper nach diesem Land sehnte und welch bittersüßes

Glücksgefühl ihn erfüllte, als er wieder auf das geliebte Land blickte, wohlwissend, dass

dieses nun hinter dem Eisernen Vorhang verborgen blieb.18

1944 musste Schaper mit seiner Familie zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren

flüchten. Aufgrund des Waffenstillstandes zwischen Finnland und der Sowjetunion,

der zu seiner Auslieferung geführt hätte, war er gezwungen, nach Schweden zu ziehen.

Während Schaper in Estland und Finnland seine Heimat zu finden glaubte, fühlte er

sich in Schweden nicht zuhause. Er wurde vom schwedischen Geheimdienst der

Spionage verdächtigt, kurioserweise sogar für die Sowjets, dann wieder für die

Deutschen. Schaper litt sehr unter diesem Verdacht. Am bezeichnendsten für die Jahre

in Schweden ist sicherlich, dass Schaper in der Zeit keine Werke verfasste. Sonst so

produktiv, verließen ihn dort die Kraft und der Wille zum Schreiben.19

Obwohl er keine direkte Kritik am Land ausübte oder sein Unwohl ausdrückte, erhält

man den Eindruck, dass Schweden, anders als Estland und Finnland, keinen Platz in

Schapers Herz erobern konnte:

Estland verließ ich nicht freiwillig, Finnland verließ ich nicht freiwillig;

Schweden verließ ich, nachdem ich mich jahrelang als Waldarbeiter,

Übersetzer und als Mitarbeiter in der schwedischen Nachkriegshilfe

durchgebracht hatte.20

Schicksalshaft waren die Umstände, die Schaper in die Schweiz lotsten. Durch einen

Zufall erfuhr der bekannte Literaturwissenschaftler und Germanist Max Wehrli (1909-

1998), dass der von ihm so geschätzte Schriftsteller Edzard Schaper nicht wie

angenommen tot war, sondern in Schweden lebte. Ein Student, der die

Lehrveranstaltung des finnischen Professors Rolf Nevanlinna (1895-1980) an der

Universität Zürich besuchte und bei Nevanlinna einen an Schaper adressierten Brief

bemerkte, informierte umgehend seinen Germanistikprofessor Wehrli. Wehrli schickte

18 Vgl. Schaper, 1950, S. 49 (Sonstige) 19 Vgl. Schaper, 1952 (Archiv) 20 Schaper, 1956b, S. 35

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9

daraufhin unverzüglich eine Einladung, in die Schweiz zu ziehen, an Schaper, der

dieser folgte:21 „Es war so schön, wie es auf den Postkarten ist und auch in der

Wirklichkeit ist.“22 In der Schweiz angekommen, wurde er von der Fremdenpolizei

gründlich überprüft, wobei diese Überprüfung lediglich aus dem Bestätigen der der

Fremdenpolizei schon vorhanden Fakten bestand. In Zürich wurde er zu Detektiv

Meier IV23 zur Befragung eingeladen. Schaper beantwortete die ihm gestellten Fragen,

erzählte über sein bisheriges Leben und merkte plötzlich, dass der Detektiv

anscheinend schon alles über ihn wusste.

Tatsächlich hatte der Detektiv in einem Schuhkarton die Fakten von Schapers Leben

gesammelt, in der festen Überzeugung, dieser würde auch einmal seinen Weg in die

Schweiz finden:

Lieber Herr, wenn das alles, was Sie mir hier eben erzählt haben, wahr ist

(und die Wahrheit wußte Detektiv Meier IV ja aus seinem Schuhkarton!),

dann gehen Sie in Frieden hin; in unserem Lande wird Ihnen nichts Böses

geschehen.24

Nach dem Umzug 1947 in die Schweiz gehörten jene Lebensjahre Edzard Schapers, die

von Flucht gezeichnet waren, der Vergangenheit an. Er hatte nun endlich jenes Land

gefunden, das seine endgültige und letzte Heimat werden sollte. Er war nicht mehr

gezwungen in ein anderes Land zu flüchten, doch ganz sesshaft wurde er dennoch

nicht – er zog mehrmals innerhalb der Schweiz um. Seine Lust zur Abwechslung

beschreibt Schaper selbst wie folgt:

Ich habe manche Stadt und manches Land in meinem Leben unvermittelt

verlassen, so wie ich unvermittelt hingekommen war, ohne dass ich einen

Grund für solch einen jähen Szenenwechsel angeben könnte. Vielleicht bin

21 Vgl. Imboden, 2000, S. 36 22 Schaper, 1968, S. 11 (Archiv) 23 Anm.: Zu dieser Zeit gab es bei der Züricher Fremdenpolizei mehrere Detektive mit dem Nachnamen Meier, der Einfachheit halber wurde diesen Nummern zugewiesen. (Information laut Dr. Gabriel Imboden, Präsident der Edzard Schaper Stiftung in Brig, Schweiz) 24 Besch, 1968, S. 73

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ich mitunter einem geheimen Triebe gefolgt, der sich aber immer als der

richtige erwiesen hat.25

Gewiss konnte Edzard Schaper in der Schweiz die Ruhe und Sicherheit finden, die in

seinem von Umzügen gekennzeichneten Leben gefehlt hatten, dennoch vermisste er

das Gefühl einer Gemeinschaft, einer seelischen Heimat. Schaper selbst beschreibt sein

Verhältnis zur Religion und Kirche als immer stärker werdend. Wer keine Heimat auf

Erden hat, brauchte vermehrt einen Halt in einer anderen Welt. Schaper war als

Lutheraner geboren, dennoch hatte er viele Jahre lang die Orthodoxe Kirche aus der

Nähe betrachten können. Sie spielt auch in seinen Werken, wie z. B. Die sterbende

Kirche (1936), eine große Rolle. Erst in der Schweiz angekommen, spürte er die Kälte

der calvinistischen und zwinglianischen Kirche, welche ihn schließlich der

katholischen Kirche beitreten ließ.26 Trotz des Naheverhältnisses zur Kirche und vielen

verschiedenen Religionen, sah Schaper die Glaubenslehren in seinem Leben mit einem

zwinkernden Auge. Als er seine Schuljahre schilderte, berichtete er „(…) in der

Nachfolge Christi damals schon gestanden zu haben (…) denn ich bekam jeden Freitag

Prügel.“27

Knapp 40 Jahre lang durfte Edzard Schaper nach turbulentem Leben seinen

Lebensabend in der Schweiz, hauptsächlich in der kleinen Gemeinde Brig in Wallis,

verbringen. Am 29. Jänner 1984 verstarb er in Bern im Alter von 76 Jahren. Die

Todesanzeigen huldigten einem fleißigen Autor mit bewegtem Leben, dessen Werk

und Bestrebungen zum Verständnis zwischen Völkern nicht in Vergessenheit geraten

dürfen. So schrieb Werner Ross in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass mit

Schaper als episches Naturtalent der letzte namhafte deutsche Schriftsteller, der seit

den dreißiger Jahren christliche Literatur verkörpert gestorben ist.28

25 Schaper, 1956b, S. 35 26 Vgl. Besch, 1968, S. 18 (Archiv) 27 Ebd. S. 2 28 Vgl. Ross, 1984 (Archiv)

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In selben Tönen huldigt Ulrich Gut von der Zürichsee-Zeitung Schaper:

Der Verstorbene hinterlässt ein monumentales schriftstellerisches Werk.

Leben und Werk sind bei Schaper untrennbare Einheit (…) Im folgenden

soll denn auch der Biografie und [kursiv im Original] dem Schaffen dieses

titanischen, eigenwilligen und doch so sensiblen Dichters gedacht werden –

Schaper war und bleibt ein grosser Europäer und Christ.29

29 Gut, 1984 (Sonstige)

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2.2 Edzard Schaper in Finnland

Im August 1940 kam Edzard Schaper mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern nach

Helsinki. Er selbst beschrieb die dramatische Flucht mit folgenden Worten:

Im August 1940, als ich von den sowjetischen Militär- und Zivilstellen

verfolgt wurde und meine nächsten Freunde verhaftet waren, blieb mir

nichts anderes übrig, als mich zwischen 6 Uhr abends und Mitternacht zur

Flucht zu entschließen. Ich kam nach Finnland. Und in Finnland habe ich

dann den ganzen Krieg verbracht.30

Trotz der gelungenen Flucht aus Estland kam Edzard Schaper in Finnland nicht zur

Ruhe. Er folgte weiterhin seinem Drang zu Mobilität (gewiss auch durch die Ereignisse

eines Landes, das sich mitten im Krieg befand). Er wechselte oft den Wohnsitz und

schrieb viel, meist jedoch Kriegsberichte, die vor allem tagesaktuell waren.31 In

Finnland fühlte sich Schaper sichtlich wohl und so beantragte er auch die Finnische

Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie. Nicht nur aus Not gedrungen, sondern

auch aus eigenem Interesse:

Ich bin finnischer Staatsbürger geworden, nicht nur weil der deutsche

Volksgerichtshof mir Leben und Staatsbürgerschaft aberkannt hatte,

sondern aus einer sittlichen Entscheidung, in der ich die finnische Sache zu

der meinen gemacht hatte.32

Im Staatsbürgerschaftsantrag gaben Edzard Schaper und seine Frau Alice zu, nicht die

normalen Bedingungen einer Staatsbürgerschaft zu erfüllen, begründeten den Antrag

jedoch mit den Gegebenheiten in ihrem bisherigen Leben. So hielten sie sich,

besonders Edzard Schaper, viele Jahre im geographischen Raum Finnlands auf.

Nennenswert sind die skandinavischen Länder und Estland, deren Kultur und

30 Schaper, 1956b, S. 35 31 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 139 32 Schaper, 1956, S. 35

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Verhältnisse Schaper mit seiner Literatur für das deutschsprachige Publikum

bekanntmachen wollte und sich selbst mehr und mehr mit diesen Lebensformen

identifizierte:

Besonders seitdem ich nach Finnland gekommen bin, hat die

Kulturpropaganda für Finnland, welche ich, wie das beigelegte Zeugnis

zeigt, die ganze Zeit ausüben habe müssen, mich an dieses Land gebunden.

Deswegen habe ich mich entschlossen, dauerhaft in Finnland zu bleiben,

um meine Arbeit für dieses Land fortzusetzen. Aus besonderen Gründen

kann ich mich auf diese Arbeit mit vollkommenem Vertrauen nur einlassen,

wenn ich finnischer Staatsbürger bin.33

Aus diesen Zeilen geht die Mentalität hervor, die Edzard Schaper sein Leben lang

begleitete. Einerseits immer auf Flucht und nirgendwo zu Hause, anderseits überall,

wo ihn die Flucht hin verschlug, zu Hause zu sein und die Interessen des Landes

vertretend.

Die Anhänge des Staatsbürgerschaftsantrages enthalten wesentliche Informationen. So

schrieb der Direktor des Verlages Otava, Heikki Reenpää (geboren 1922), der Edzard

Schaper unter Vertrag hatte u. a. für eine Goethe-Biographie, die nie zustande kam,

folgendes:

Auf Wunsch bezeuge ich hiermit, dass der Schriftsteller Edzard Schaper,

den ich seit mehreren Jahren kenne, das gesprochene Schwedisch gut

beherrscht. Frau Alice Schaper beherrscht das gesprochene Schwedisch gut

und das gesprochene Finnisch passabel.34

Bemerkenswert ist, dass Edzard Schaper zu diesem Zeitpunkt (Juli 1944) anscheinend

kein Finnisch konnte. Vier Jahre später, 1948, übersetzte er jedoch Frans Eemil

Sillanpääs Roman Hurskas kurjuus (1919) aus dem Finnischen ins Deutsche mit dem

33 Schaper, 1944 (Archiv) 34 Ebd.

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Titel Das Fromme Elend (1948). Die Umstände dieser Übersetzung werden im Kapitel

4.2 „Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää“ näher untersucht.

Edzard Schaper erhielt 1944 die finnische Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie

und es schien, als ob die Zeit der Flucht nun endgültig zu Ende wäre. Der

bevorstehende Frieden zwischen Finnland und der Sowjetunion sah jedoch die

Auslieferung der flüchtigen Balten und Deutschen vor und zwang Schaper abermals

dazu, nach einer Fluchtmöglichkeit zu suchen. In seiner Erzählung, Der große,

offenbare Tag (1944), wird diese Flucht geschildert:

Als in den verworrenen Oktober- und Novemberwochen des Jahres 1944

allnächtlich Boote mit Schiffbrüchigen des großen Krieges im Osten den

Bottnischen Meerbusen von Finnland aus gen Westen überquerten, deren

Insassen, in der Mehrzahl Esten, Ingermanländer und einstige Bewohner

von Ostkarelien, nach Schweden übersetzten, um ihrer im

Waffenstillstandsvertrag ausbedungenen Rückkehr zu den alten

Unterdrückern zu entgehen, erhielten wir, die selber nach unserer Landung

wenige Tage zuvor dem Quarantänelager in einer kleinen, uns

spielzeughaft-freundlich anmutenden Stadt des nördlichen Schweden

zugeführt worden waren, an einem regnerischen Novemberabend den

Zuzug einer großen Schar von Männern, Frauen und Kindern jeden Alters,

die erst in den frühen Vormittagsstunden eben dieses Tages nach einer

schweren Überfahrt in sehr gebrechlichen, alten Booten an der nahen Küste

mehr gestrandet als gelandet waren.35

Das Wohlfühlen Edzard Schapers in Finnland trug sicherlich dazu bei, dass er schnell

einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufbauen konnte. Arnulf Otto-Sprunck,

der langjährige Mitarbeiter des Goethe-Instituts in Helsinki und Schaper-Forscher,

erzählt von den Menschen in Finnland, die sich noch knapp 40 Jahre später an den

Autor erinnern konnten. Das Bild, das er von Schapers in knapp vier Jahren etablierten

35 Schaper, 1966, S. 7

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Bekanntenkreis zeichnet, ist beachtlich. Hier finden sich sowohl ein Priester, eine

Sekretärin, ein Verleger, eine polnische Adelige, eine baltendeutsche Lehrerin und eine

finnische Übersetzerin wieder. Es ist bemerkenswert, wie vielseitig diese Gruppe von

den Berufen, aber auch von den Geschlechtern her ist. Dies unterstreicht Edzard

Schapers großes Interesse an seinen Mitmenschen und die Anpassung, die ihm fast

überall gelang.36

In seinem Werk, Finnisches Tagebuch, geht auch hervor, wie viele Kontakte er

während seinen knapp fünf Jahren in Finnland geschlossen haben muss. Innerhalb von

zwei Wochen traf er eine Vielzahl an alten Weggefährten, so viele, dass man sich kaum

vorstellen kann, wie es ihm gelang, in so kurzer Zeit so viele Freundschaften

aufzubauen. Besonders Rolf Nevanlinna, der wohl berühmteste finnische

Mathematiker, spielte im Leben von Edzard Schaper eine bedeutende Rolle. So

ermöglichten der Zufall oder das Schicksal, dass ein tot geglaubter Edzard Schaper

mithilfe dieses finnischen Freundes jenes Land, nämlich die Schweiz, fand, in dem er

bis zu seinem Tod sesshaft blieb.37

Edzard Schapers Verbindung zu Finnland währte sein Leben lang. Von diesem

besonderen Verhältnis zeugen die vielen Textstücke und Vorträge (u. a. zum Tod des

ehemaligen finnischen Präsidenten und Oberbefehlshabers Marshall Carl Gustav

Mannerheim (1867-1951)), die Schaper als Finnlandkenner und Finnlandfreund

verfasste.38 Die Reiseschilderung in Buchform Finnisches Tagebuch, welches 1951

erschien und zuvor in verkürzter Fassung als Reisebericht in der Zeitschrift Atlantis

Völker / Länder / Reisen (XXII. Jahr Heft 2) abgedruckt wurde, zählt ebenso zu den

bedeutenden finnlandaffinen Werken Schapers.

36 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 136 37 Vgl. Imboden, 2000, S. 36 38 Vgl. Schaper, 1952, S. 43

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Edzard Schapers Finnisches Tagebuch

Das 1951 beim Verlag Arche erschienene Werk Finnisches Tagebuch ist ohne Zweifel

eine der wichtigsten Quellen, wenn man sich mit dem Finnland-Bild, das von Edzard

Schaper vermittelt wurde, beschäftigt. In dieser Reiseschilderung in Tagebuch-Form

hielt Schaper seine Eindrücke von der ersten Reise zurück nach Finnland, nachdem er

das Land fünf Jahre vorher fluchtartig verlassen musste, fest.

Bezeichnend für die Zeit in der Schaper auf Reisen war, ist die Omnipräsenz der

Sowjetunion. Auf der Reise mit dem Schiff „Ariadne“ von Kopenhagen nach Helsinki

sinnierte er über die Änderungen, die rund um die Ostsee in den vergangenen Jahren

stattfanden. Seiner Meinung nach ist die Ostsee geschrumpft und man könnte meinen,

es gäbe nur das nördliche Ufer (Finnland und Schweden) und dass alles, was hinter

dem Eisernen Vorhang liegt, eigentlich nicht mehr existierte.39

Edzard Schaper zeigte sowohl in seiner Haltung zu Beginn des Krieges, die schließlich

zur Flucht nach Finnland führte, als auch in seinem späteren schriftstellerischen

Schaffen deutlich, dass seine Sympathien auf der Seite der Balten lagen. Dies wird im

Finnisches Tagebuch mehrmals unterstrichen. Besonders bildlich ist die Bewunderung

Schapers für den finnischen Botschafter, den er noch in Estland kennenlernte. Damals

beeindruckte der Diplomat den jungen Schaper tief, als er sich bei einer Sitzung des

Parlaments beim Zuhören der Stalin-Hymne nicht erhob.

Er erklärte dieses Verhalten, welches in der Diplomatenloge einmalig war, mit dem

trockenen und korrekten Argument „die Stalin-Hymne sei keine Staatshymne, sondern

ein Lied auf eine Person.“40 Diese Art von stillem Protest passt sehr gut zur finnischen

Mentalität. Man will sich nicht unterdrücken lassen, möchte seine Meinung zeigen,

achtet dennoch auf Höflichkeit und möchte nie respektlos sein. Von dieser Haltung

zeugt auch folgendes Zitat Schapers in Bezug auf die Sowjetunion: „Der ‚Nachbar‘ ist,

wie mir auffällt, eine stets höflich erwähnte Selbstverständlichkeit.“41

39 Vgl. Schaper, 1951, S. 10 40 Vgl. ebd. S. 11 ff. 41 Ebd. S. 18

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Finnland ohne Sauna wäre wohl kaum vorstellbar und so war für Edzard Schaper die

richtige Heimkehr nach Finnland die „Badstube draussen auf der Schäre vor

Kaivopuisto-Brunnsparken und der wieder und wieder getane Sprung ins salzige

Wasser.“42 Dieser kleine, heiße Raum in dem in Finnland früher geboren und

gestorben wurde, wo wichtige Verträge beschlossen wurden und welcher noch

heutzutage einen großen Stellenwert hat, inspirierte auch Schaper zu regelrecht

träumerischen Aussagen:

Herbstliche Badstube! Dunkelnder, gilbender Wald, schwärender Geruch

nach faulendem Laub und nach Pilzen, der aufsteigt, Stille und die

Mondsichel im gläsern-kühlen, grünlichen Himmel. Gespräche, die wie

Winterbäche dahinmurmeln, Freundschaft ohne alles Dazutun. Das sind

die besten Augenblicke des Lebens.43

In seinem Reisebericht schilderte Schaper auch seine Erwartungen und Vorstellungen

dem Land gegenüber, das so schwer vom Krieg gezeichnet war. Er las in einer Zürcher

Tageszeitung, die von Schaper in seiner Schilderung nicht namentlich erwähnt wird,

kurz vor seinem Reiseantritt, dass sich Finnland in einem Streik befindet und er

musste, wie so oft in der Vergangenheit, feststellen, welch Unterschied zwischen dem

gedruckten Wort und der Realität bestand.

Besonders während seines Aufenthaltes in Schweden beobachtete Schaper, dass die

Nachrichten über Finnland meist nur teilweise mit der Wahrheit übereinstimmten

und so war es seine logische Schlussfolgerung, dass ein noch viel entfernteres Land wie

die Schweiz keine korrekte Informationen weitergeben könnte.44

Obwohl sich Edzard Schaper nicht erwartete, ein Land mitten im „blutigen, roten

Streikterror“45 zu finden, malte er sich dennoch ein Bild von einem Land, das im Krieg

herbe Verluste erlitten hatte und nun dabei war, sich langsam wieder auf die Beine zu

stellen. „In der Tat ist die Entwicklung der vergangenen fünf Jahre beinahe

42 Schaper, 1951, S. 20 43 Ebd. S. 61 44 Vgl. ebd S. 20 ff. 45 Ebd. S. 20

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traumhaft.“46 Mit diesen Worten schildert Schaper seine große Verwunderung über

und Bewunderung für den Wiederaufbau Finnlands nach dem Krieg. Die zahlreichen

Kriegsinvaliden, die Schaper sich auf den Straßen erwartete, waren in Heimen und

Rehabilitationszentren untergebracht.47

Beschränkt sich denn nun Finnland auf ein Land über dessen Kriegsbewältigung und

Saunas man berichten kann? Gewiss nicht, die kulturelle Aktivität scheint bei Schaper

auch große Bewunderung zu wecken:

Es fällt mir im Vergleich mit schweizerischen Konzertsälen das viel jüngere

Publikum auf, und wie anders, wieviel gespannter es zuhört. (…) Seltsam,

sich vorzustellen, dass ausgerechnet die Finnen wahrscheinlich das

theaterversessenste Volk Europas sind: sie, die so sparsam in der

alltäglichen Mimik und im Gebärdenspiel sind.48

Einen großen Anteil am Weiterleben der Kultur in ökonomisch schwierigen Zeiten hat

der Staat, stellte Schaper fest. Er bewunderte auch die Tatsache, welch großer Anteil

aus dem Budget weiterhin dem Theater und der Kultur zufloss.49

Schapers Besuch ereignete sich zu einer Zeit der Wandlung. Man überstand nicht nur

den Krieg zu einem hohen Preis und mit langfristigen Folgen, und fing an, sich dem

Leben auf diese neue Art anzupassen, sondern es stand auch ein Großereignis vor der

Tür: die Olympischen Spiele 1952. Edzard Schaper fragte den Präsidenten des

Organisationskomitees Erik von Frenckell (1887-1977), welche Platzierungen er sich für

das Gastgeberland erhoffte, worauf die Antwort: „Auf den 1. Preis in gutem

Benehmen“50 lautete.

In der Reiseschilderung Schapers ist auffallend, welch großen Respekt er vor der

Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit der Finnen hatte. Immer wieder hob er diese

Charakterzüge überraschenderweise hervor, was möglicherweise auf die Christlichkeit

46 Schaper, 1951, S. 23 47 Vgl. ebd. S. 25 48 Ebd. S. 30 49 Vgl. ebd. S. 53 50 Ebd. S.58

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und den Humanismus Schapers zurückzuführen ist. Zusammenfassend schilderte

Schaper die Charakterzüge der Finnen anhand des Beispiels des großen

Nationaldichters Elias Lönnrot (1802-1884):

In Elias Lönnrots menschlich so anziehender wie geistig bedeutender

Persönlichkeit sind Hauptwesensmale des finnischen Menschen verkörpert:

die Anspruchslosigkeit, die Bescheidenheit, das Dienen, Dienen und

abermals Dienen. Hier tritt zu der Integrität, der Selbstbewahrung und

Selbstentdeckung, die besondere Ergänzung eines christlichen Idealismus

und Humanismus hinzu.51

Am 25. September 1951, nach knapp zweiwöchigem Aufenthalt, reiste Schaper aus

Finnland zurück in die Schweiz. Unter Marschklängen und der sehr emotionalen

Nationalhymne Finnlands verließ das Schiff „Vellamo“ den Hafen Helsinkis in

Richtung Kopenhagen.52

51 Schaper, 1951, S.68 52 Vgl. ebd. S.71

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2.3 Edzard Schaper als Prosaautor

Edzard Schaper hatte als Schriftsteller eine beachtliche Karriere. Diese begann mit 18

Jahren im Jahr 1927 und hielt bis zu seinem Tod im Alter von 76 Jahren 1984 an.

Schaper schrieb nicht um „(…) als Schriftsteller Bravour zu ernten“53, sondern um

seinen Charakteren, denen er Leben einhauchte, bis zum Schluss zu folgen. Viele

Berichte von Zuhörern von Schapers Lesungen lassen das Bild des großen Erzählers

sichtbarer werden. Anstatt bloß aus seinen Büchern vorzulesen, formulierte er die von

ihm niedergeschriebenen Erzählungen jedes Mal um, sodass der Zuhörer immer

wieder auf eine neue Art der Erzählung gespannt sein durfte.54

Schaper schildert die Anfänge seiner Schriftstellertätigkeit, auf die bereits im

allgemeinen biographischen Teil näher eingegangen wurde, wie folgt:

Während der Zeit als Assistent für Opernregie begann ich zu schreiben.

Meine ersten Bücher, Der letzte Gast und Die Bekenntnisse des Försters

Patrick Doyle, entstanden damals. Als Achtzehn- und Neunzehnjähriger

hatte ich bereits zwei Romane veröffentlicht. Ich hatte Beachtung

gewonnen durch meine jugendlichen Bücher, ich erlag beinahe der

Versuchung, so etwas wie ein berühmter Mann werden zu können; und an

einem Abend, als ich mich gerade wieder in ein geselliges Leben verlieren

wollte, packte ich mich selbst bei den Haaren und sagte mir: Wenn ich

mich heute abend [sic!] noch einmal mit der Welt und meinem Erfolg

einlasse, wird aus mir nichts Rechtes.55

Eine entscheidende Rolle im Leben eines Autors spielt sein Verlag. Schapers erster

Verlag, Adolf Bonz und Co, bei dem auch der österreichische Lyriker Rainer Maria

Rilke (1875-1926) zuerst unter Vertrag stand, brachte seine ersten Werke heraus.56

Schapers Achtung und Dankbarkeit jedoch gilt vor allem seinem zweiten Verleger,

53 Besch, 1968, S. 4 (Archiv) 54 Vgl. ebd. S. 4 ff. 55 Schaper, 1956b, S. 28 56 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv)

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dem Insel-Verlag. Für das Verhältnis zu diesem schloss sich Schaper den Worten

Rainer Maria Rilkes an, der ebenfalls den gleichen Weg von Adolf Bonz und Co zum

Insel-Verlag wählte und die Beziehung zu diesem als „geisterhaft großartig“57

beschrieb. Insbesondere Katharina Kippenberg (1876-1947) vom Insel-Verlag begleitete

und beriet Schaper, den jungen Autor, intensiv aber ohne seinen künstlerischen Stolz

zu verletzen.

Als Korrespondent für United Press in den Jahren 1930-1940 in Estland widmete

Schaper sich der täglichen Berichtserstattung, während er gleichzeitig weiter an seinen

Büchern schrieb. Hier entstanden viele seiner Werke wie z. B. der Roman Die Insel

Tütarsaar (1933) und auch lange nach der Flucht von Tallinn begleiteten Estland und

das Baltikum Schaper als Schauplatz seiner Romane.58 Edzard Schaper wollte das

Baltikum in Europa nicht in Vergessenheit geraten lassen, lehnte die Bezeichnung

„deutschbaltischer Schriftsteller“ jedoch strikt ab:

Pauschalisierende Zuordnung aber hatte Schaper selbst unmißverständlich

zurückgewiesen. Das gilt sowohl für die auf ihn angewandte Bezeichnung

„baltischer Schriftsteller“ als auch die umfassendere und oft verwendete

Kennzeichnung als „christlicher Schriftsteller“ (…) „Ich bin durch meine

Geburt an der Grenze von Nationen, Konfessionen, Nationalitäten,

Sprachen (…) dazu bestimmt, immer in der „Mittezwischen“ im

Nebeneinander und Durcheinander zu leben, und habe mir aus diesem

Leben im Durcheinander unserer heutigen Welt meinen Standpunkt

gewinnen müssen.59

Schapers Verärgerung ist nachvollziehbar, da er tatsächlich sehr viel miterlebte und

dieser Facettenreichtum sich in seinen Werken widerspiegelt. Es wäre zu einfach,

seinen Schreibstil auf nur zwei Nenner zu reduzieren. Jaan Undusk unterstreicht dies

in seiner Analyse:

57 Besch, 1968, S. 13 (Archiv) 58 Vgl. Schaper, 1952, S. 5 (Archiv) 59 Garleff, 1996, S. 126

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Ich übertreibe wohl kaum, wenn ich sage, daß Schaper ein Schriftsteller der

Nachkriegszeit im engeren Sinne des Wortes war, d. h. ein literarisches

Phänomen aus der Zeit des Porthitlerismus, Stalinismus und des früheren

Poststalinismus, einer der ideologisch fähigsten Autoren des Kalten Kriegs.

Eben diese 1950er Jahre waren die vom Umfang her beachtlichste, inhaltlich

wirksamste Zeit seines Schaffens (…) der geistig immer zwischen Ost- und

Westeuropa stand, vermochte von den beiderseitigen politischen

Mythologien unabhängig zu bleiben. Seine Immunität gegenüber den

profanen Ideologien der Nachkriegszeit zeigte sich als eine seiner

Dichterweisheiten.60

Facettenreich sind auch die Interessensgebiete Edzard Schapers außerhalb seines

zentralen Fokus‘, der Literatur. Diese reichen von der Musik bis zur Politik. Max

Wehrli fand diese Interessensvielfalt bewundernswert wie aus seiner Schilderung des

44-jährigen Schapers hervorgeht. In dieser beschreibt Wehrli einen Autor, der

musikalische, politische, religiöse und historische Probleme im Angriff nimmt, jedoch

keine Literaturkritik übt.61

Edzard Schaper war ein intuitiver Autor, er plante seine Arbeiten nicht nach strikten

Formen, sondern ließ die Figuren in seinem Unterbewusstsein Form nehmen und sich

schließlich zu einer geordneten Erzählung entwickeln. Wohl aus diesem Grund ging er

in seinem Stoff voll und ganz auf.62 Edzard Schaper war ein passionierter Schriftsteller.

Seine Antworten auf Lutz Beschs Fragen bezüglich seiner Arbeitsweise verdeutlichen

dies:

Der Arbeitsprozeß ist für mich ein unaufhörlicher Prozeß, der durch Tag

und Nacht geht. In Zeiten sehr intensiver Arbeit (…) schlafe und wache ich

bunt durcheinander. (…) Es ist ein Prozeß der Besessenheit, weil die

Gestalten, weil die Schicksale einen gar nicht in Ruhe lassen, bis alle Würfel

60 Undusk, 2000, S. 66 61 Vgl. Schaper, 1952, S. 154 62 Vgl. Besch, 1968, S. 6 (Archiv)

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gefallen sind, alles gesagt ist, die Gestalten heimgeholt worden sind in ihren

Sinn, den man am Anfang vielleicht gar nicht gespürt hat. ‚Es‘ vollendet sich

wie durch eine Zaubermacht.63

Die Realitätsnähe war für Schaper von großer Bedeutung. In beachtlichem Kontrast

zur freien Inspiration, die sein Schreiben bewegte, stand jedoch immer wieder

Schapers Wille, die Fakten genau überprüfen zu wollen. Um ergänzende Quellen für

die korrekten Einzelheiten für sein Werk Schattengericht (1967) zu erforschen, reiste er

zum Herder-Institut für historische Ostmitteleuropaforschung nach Marburg.64 Dort

fand er die Quelle „(…) aus der ich das speisen konnte, was mir zur Nahrung dieser

Arbeit noch fehlte.“65

Die Vielfalt der Schauplätze in den Werken Schapers ist beachtlich. Quer durch

Europa, von Jerusalem bis Christiansø, sogar quer durch Epochen und Zeitalter wird

der Leser von Schaper geführt.66 Trotz dieser Varietät sind Schapers Werke für den

Leser unverkennbar. Sein klassischer Sprachgebrauch, der sich durch die Verwendung

veralteter Begriffe wie z. B. „Reval“, wie Estlands Hauptstadt bis 1918 hieß, anstelle von

Tallinn auszeichnet sowie seine besondere Ausdruckform, die lange, verschachtelte

Sätze und reichlich ausgeschmückte Beschreibungen beinhaltet, verraten deutlich, wer

der Autor ist.

Ein weiteres Wiedererkennungsmerkmal zeigt die Begegnung mit „(…) immer

denselben Problemen und denselben Personen.“67

Viele Schriftsteller teilen diesen Vorgang mit Schaper; er selbst fand als Beispiel den

finnischen Schriftsteller Frans Eemil Sillanpää, der auch in engem, familiärem

Verhältnis zu den von ihm geschaffenen Figuren steht. Immer wieder kehren diese

63 Besch, 1968, S. 19 64 Vgl. Schaper 1968, S. 7 ff. 65 Ebd. S. 8 66 Vgl. Besch, 1968, S. 3 (Archiv) 67 Ebd. S. 3

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Autoren zu ihren Figuren und Themen zurück, um deren Geschichte zu einem Schluss

zu bringen.68

Edzard Schapers Bücher heben christliche Werte und Moral hervor in einer Zeit, in der

Humanismus den wirtschaftlichen und finanziellen Werten weichen muss. Ebenso

erwecken sie Geschichte und fremde Landschaften zum Leben und geben den Völkern

dieser Länder eine Stimme und plädieren für ein Miteinander statt ein Gegeneinander.

Es ist verwunderlich, wie wenig Edzard Schaper zum Gegenstand der

Literaturforschung geworden ist. Max Wehrli reihte Schaper unter die wichtigsten der

damalig gegenwärtigen Schriftsteller. Bewunderung seitens Wehrli fanden vor allem

Schapers psychologische Charakteristik und die Erzählkraft sowie die Tiefe der

Fragestellung und die religiöse Ergründung historischer Vorgänge.69 Wehrli meinte:

„Es ist Grosses von ihm zu erwarten.“70 und in Anbetracht Schapers Schaffens von über

100 Texten behielt Wehrli recht.

68 Vgl. Besch, 1968, S. 8 (Archiv) 69 Vgl. Wehrli, 1947 (Archiv) 70 Ebd.

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3 Zur allgemeinen Übersetzungstheorie

In diesem Kapitel wird der Übersetzungsvorgang, bei dem ein Text aus der

Ausgangssprache in die Zielsprache übersetzt wird, im Allgemeinen behandelt, um

hierdurch eine wichtige Basis für die folgenden Betrachtungen der Übersetzungen

Edzard Schapers zu etablieren.

Man geht davon aus, dass die Übersetzung literarischer Texte so alt wie die Schrift

selbst ist. Vermutlich verdankt das Christentum seine Ausbreitung größtenteils der

Übersetzung der Bibel, die zumindest teilweise in über 2000 Sprachen übersetzt

wurde.71 Gäbe es die westliche Zivilisation wie wir sie kennen, wenn die Texte

altgriechischer Philosophen nicht zum Allgemeinwissen gehören würden, von heutiger

Literatur ganz zu schweigen? Es wäre wohl kaum möglich, Verkaufszahlen in

Millionenhöhe zu erreichen, wäre man nur dem Publikum der eigenen Sprache

zugänglich.72

Relativ neu ist in Anbetracht der jahrtausendalten Geschichte des Übersetzens die

theoretische Auseinandersetzung mit dem Übersetzungsprozess. Früher war

Übersetzungstheorie – die Frage nach dem wie und warum – eher die Schilderung des

Übersetzers selbst, mit der Begründung seiner Übersetzungsmethode, als eine

objektive Analyse eines Beobachters. Doch bereits in der Antike finden sich berühmte

Vertreter der verschiedenen Ansichten, ob man einen Text eher wörtlich oder

sinngemäß übersetzen soll.73

Ein bekannter Übersetzer war der griechische Geschichtenschreiber und Lyriker

Hieronymus (ca. 360 v. Chr.-272 v. Chr.), der untypischerweise beide Methoden,

sowohl das wörtliche als auch das sinngemäße Übersetzen gebrauchte. Dabei kann bei

ihm der konkrete Unterschied bemerkt werden, indem er „(…) für weltliche Texte das

Prinzip der sinngemäßen Übersetzung; für biblische Texte hingegen das Prinzip der

71 Vgl. Bibelübersetzung 2011 (Sonstige) 72 Vgl. Koller, 1992, S. 24 73 Vgl. Wilss, 1977, S. 27 ff.

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wörtlichen Übersetzung“74 verwendete. In starkem Kontrast zu dieser Ansicht steht die

Bibelübersetzung des Reformators Martin Luther (1483-1546), für den es um die

Verständlichkeit für das arme Volk ging und der daher zur sinngemäßen Übersetzung

tendierte.75

Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte sich Deutschland zum Mittelpunkt der

übersetzungstheoretischen Forschung, was zum Großteil dem Theologen, Philologen

und Pädagogen Friedrich Schleiermacher (1768-1834), berühmt für seine

Übersetzungen von Platos Werken, und dem Philologen, Diplomaten und Mitgründer

der Berliner Universität Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zu verdanken ist. Die

Abhandlung Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens (1813) von

Schleiermacher bildet die Basis für jede Beschäftigung mit der modernen

Übersetzungstheorie.76 Seit dieser Zeit steigerte sich mit dem Bedarf an Übersetzungen

auch das Interesse für die Übersetzungswissenschaft: „Die Geschichte des Übersetzens

und des Dolmetschens im 19. und 20. Jahrhundert [kursiv im Original] hat davon

auszugehen, daß die Tätigkeit des Übersetzens und das Phänomen der Übersetzung zu

einer unentbehrlichen Selbstverständlichkeit geworden sind.“77

Die Wichtigkeit des Übersetzens überhaupt geht aus den Worten Werner Kollers

hervor:

Wo kommuniziert werden soll, muß übersetzt werden – übersetzt werden

muß (vergegenwärtigen wir uns die ganze Breite metaphorischer und nicht-

metaphorischer Verwendungsweise des Begriffes „übersetzen“), wo es um

die Herstellung von Kommunikation, um Mitteilung, um Verstehbarkeit

und Verständlichkeit geht.78

Der Mensch übersetzt um zu verstehen und um verstanden zu werden. Dies ist

notwendig in einer Welt, in der sich die Sprachen seit frühester Zeit in

74 Wilss, 1977, S. 31 75 Vgl. ebd. S. 32 76 Vgl. ebd. S. 27 ff. 77 Koller, 1972, S. 19 78 Ebd. S. 11

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unterschiedliche Richtungen entwickelten und die Barrieren zwischen Völkern tiefer

wurden. Um ein harmonisches Zusammenleben bemüht, muss man nicht nur

geographische, sondern vor allem kulturelle und hiermit auch sprachliche Hürden

überwinden.

Die verbreitete Meinung, das Übersetzen wäre der zweitälteste Beruf der Welt, beruht

auf der Tatsache, dass jeder Mensch das Erfahrene in eigene, neue Worte fassen kann.

Wenn diese neue Beschreibung der Erfahrung in einer anderen als der eigenen Sprache

vorliegt, kann von Übersetzung gesprochen werden.79 Jeder Mensch übersetzt in

verschiedenen Situationen im Leben, sei es im Beruf, wenn man sich mit

ausländischen Geschäftspartnern unterhält oder wenn man sich mit den in der

Werbung mittlerweile üblichen englischsprachigen Slogans und Marken

auseinandersetzt.

Wir haben es jeden Tag mit übersetzten Texten zu tun, obwohl uns das meist nicht

bewusst ist. Die Fußballergebnisse der internationalen Ligen werden nicht

ursprünglich auf Deutsch verfasst, genauso wenig wie die Bauanleitung importierter

Möbelstücke. Gerade die Übersetzungswissenschaft beschäftigt sich auch mit der

Frage, wie alltägliche Informationen Menschen mit anderen Muttersprachen

zugänglich gemacht werden können. Dabei wird von der Ausgangssprache

ausgegangen, um den Text in eine für andere Menschen verständliche Sprache zu

übersetzen.

Bei diesen Beispielen kommt besonders zum Vorschein, dass eine Übersetzung im

klassischen Sinne (Ausgangssprache � Zielsprache) nicht mehr ausreicht, da auch

Kultur, Sitten und Gegebenheiten auf den Leser übertragen werden müssen. Es ist kein

Privileg mehr, Zugang zu Übersetzungen zu haben bzw. diese selbst durchzuführen,

sondern viel mehr ein Muss und eine Verpflichtung.80

79 Vgl. Kvam, 1996, S. 121 80 Vgl. Straub, 2002, S. 347 und S. 353

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Seit jeher schafft Übersetzung Verständnis, dort wo Missverständnisse aufgrund von

Sprachbarrieren vorliegen. Besonders in heutigen Bemühungen des friedlichen

Zusammenlebens zwischen allen Weltbewohnern, ist Übersetzung und Dolmetschen

wichtig wie noch nie. Durch Globalisierung und Internationalisierung rücken die

unterschiedlichen Länder und Kulturen dieser Welt enger zusammen und somit steigt

auch der Bedarf an Verständigungsmöglichkeiten:81

Der gemeinsame Nenner aller Übersetzungstheorien ist, daß sie sich mit

verschiedenen Komponenten des Übersetzungsvorgangs beschäftigen. Den

Forschungsgegenstand der ÜW bilden vor allem der Prozeß des

Übersetzens (d. h. der Prozeß, der von einem ausgangssprachlichen Text zu

einem zielsprachlichen Text, der Übersetzung führt) und das Produkt dieses

Prozesses (die Übersetzung).82

Die Aufgabe und Vorgangsweise des Übersetzens ist mit vielen unterschiedlichen

Metaphern zu veranschaulichen. Häufig wird die Metapher des Musikers, der die

Intention des Komponisten dem Publikum vermitteln muss, verwendet, genau wie ein

Übersetzer die Intention des Autors der Leserschaft überliefern möchte. Eine wichtige

Rolle wird hierbei dem Werkzeug (Instrument des Musikers bzw. Sprache des

Übersetzers) beigemessen. Die Musikmetapher wird häufig benutzt, um auf die

Unzulänglichkeit der Übersetzung hinzuweisen.

So zitiert Koller in Grundprobleme der Übersetzungstheorie (1972) den deutschen

Philosophen Arthur Schopenhauer: „Sogar in bloßer Prosa wird die allerbeste

Übersetzung sich zum Original höchstens so verhalten, wie zu einem gegebenen

Musikstück dessen Transposition in eine andere Tonart. Musikverständige wissen, was

es damit auf sich hat.“83

81 Vgl. Pape, 2002, S. 62 und Koller, 1972, S. 20 ff. 82 Järventausta, 1996, S. 95 83 Koller, 1972, S. 45

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Vielfach vertreten ist die Meinung, dass Übersetzen Kunst ist. In besonderer Hinsicht

auf die Übersetzung von literarischen Texten ist diese Metapher akkurat, da Literatur,

insbesondere die Lyrik, als Kunst betrachtet wird. Der Übersetzer muss daher selbst

eine künstlerische Ader haben und sich stilvoll ausdrücken können. Im weiteren Sinne

besteht die Kunst des Übersetzens darin, viele verschiedene Wahlmöglichkeiten

ausfindig zu machen und aus diesen die beste auszuwählen. Ein Musiker, der die

Kompositionen anderer vorträgt, gibt diese mittels eines anderen Mediums wieder –

nicht aber auf Papier wie der Komponist, sondern mit Hilfe seines Instruments.

Der Übersetzer jedoch muss mit demselben Medium arbeiten wie der Autor, nämlich

auf Papier. In Anbetracht dieser Tatsache ist die Herangehensweise, den Übersetzer als

Künstler zu betrachten, durchaus legitim. Eine weitere Metapher, die Übersetzung als

Reproduktion sieht, lässt sich von der Tatsache ableiten, dass in den klassischen

Bereichen der Kunst viele Kopien angefertigt werden.

Koller zitiert in Grundprobleme der Übersetzungstheorie Werner Winter wie folgt:

It seems to me that we may compare the work of a translator with that of an

artist who is asked to create an exact replica of a marble statue, but who

cannot secure any marble. He may find some other stone or some wood (…).

Whatever his material, if he is a good craftsman, his work may be good or

even great; it may indeed surpass the original, but it will never be what he

set out to produce, an exact replica of the original.84

Auf ähnlichen Grundsätzen, dass die Übersetzung nicht mit dem Original

gleichzusetzen ist, bewegt sich die Metapher der Übersetzung als Kleiderwechsel.

Ausgangspunkt dieser Theorie ist, dass der Inhalt des Originals gleichbleibt. Der

Übersetzer verleiht ihm lediglich einen Schleier anderer Grammatik, Semantik und

Syntax. Diese Metapher veranschaulicht, weshalb es immer wieder zu neuen

Übersetzungen desselben Textes kommt.

84 Koller, 1972, S. 50

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Der Inhalt und die Intention des Originaltextes können Jahrtausende lang aktuell

bleiben, genauso wie der Körper des Menschen, jedoch verändert sich die Mode und

daher braucht auch der alte Text ein aktuelles Gewand, um in der Welt präsent zu

bleiben.85

Obwohl Übersetzen gewissermaßen Kunst ist, gibt es bestimmte literarische

Übersetzungsprinzipien, die beachtet werden müssen. Teilweise widersprechen sich

diese Prinzipien, was wiederum die Schwierigkeit der objektiven Übersetzungskritik

bedingt.86

Eine Übersetzung muß

die Worte des Originals wiedergeben;

die Ideen des Originals wiedergeben.

Eine Übersetzung soll

sich wie ein Originalwerk lesen;

sich wie eine Übersetzung lesen;

den Stil des Originals wiedergeben;

im Stil des Übersetzers geschrieben sein;

sich wie ein zeitgenössisches Werk des Originals lesen;

sich wie ein zeitgenössisches Werk der Übersetzung lesen.

In einer Übersetzung kann

gegenüber dem Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.

In einer Übersetzung darf

gegenüber dem Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.87

Das Wort „Übersetzung“ kann vielfach interpretiert werden. Es handelt sich dabei

neben dem Vorgang, einen Text aus einer Sprache in eine andere Sprache zu

übertragen, auch um viele verschiedene Facetten, die zum Übersetzen gehören.

85 Vgl. Koller, 1972, S. 44 ff. 86 Vgl. Wilss, 1977, S. 156 87 Ebd. S. 156

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Übersetzungsbedarf gibt es z. B. auch zwischen Kulturen mit deren unterschiedlichen

Hintergründen und verschiedenen Formen von Medien und Kanälen.88

In Anbetracht der vorliegenden Arbeit ist das Übersetzen in linguistisch-

kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht von besonderer Bedeutung:

Abbildung 1: Zweisprachiges Kommunikationsmodell89

Diese Tabelle von Koller veranschaulicht das Übersetzen in linguistisch-

kommunikationswissenschaftlicher Hinsicht. Die Phase I ist die Grundphase des

Übersetzens. „S“ ist hierbei der Sender bzw. der Ursprung, z. B. der Verfasser, der zu

übersetzenden Mitteilung („M“), der die Mitteilung dem Übersetzer (in dieser Phase

der Empfänger „E´“) in der Ursprungssprache, „ML1“ übermittelt. Der Übersetzer

analysiert die Mitteilung auf Inhalt, Struktur und Kontext90, basierend auf dem Text

selbst, aber auch anhand der besonderen Kenntnisse, die er für die sozialen,

politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und literarischen Rahmenbedingungen der

Mitteilung besitzt. In der Phase II verarbeitet der Übersetzer, anhand der von ihm

getätigten Analyse in Phase I, eine Mitteilung in der Ausgangssprache, indem er die

Einzelteile der „ML1“ mit Äquivalenten der Zielsprache „L2“ ersetzt. So entsteht die

Mitteilung „ML2“. In der Phase III wird der Übersetzer zum Sender, da er die neue

Mitteilung „ML2“ (nun „M´“) an den Empfänger „E“ (Leser/Hörer) der Zielsprache „L2“

vermittelt. Wenn es dem Übersetzer gelingt die ursprüngliche Absicht des Verfassers

88 Vgl. Bachmann-Medick, 2002, S. 275 und Straub, 2002, S. 346 ff. 89 Koller, 1972, S. 72 (Buch) 90 Anm.: Kontext bezieht sich auf das Wissen, das außerhalb des Textes vorhanden ist und gebraucht wird, um den Text zu verstehen. Vgl. Koller, 1972, S. 140

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mit dem kommunikativen Effekt an den End-Empfänger zu übermitteln, kann die

zweisprachige Kommunikation als erfolgreich betrachtet werden.91

Es gibt viele verschiedene Arten der Übersetzung wobei für den Übersetzungs-

wissenschaftler am interessantesten die Wahl der Methode und des Übergangs aus der

Ausgangssprache zur Zielsprache sowie das schlussendliche Resultat darstellen. Es gibt

viele verschiedene Theorien und Methoden, eine einfache Aufstellung findet sich bei

Wilss in der folgenden Tabelle von Jumpelt:92

Abbildung 2: Übersetzungsprozeduren93

Wilss unterscheidet zwischen zwei Hauptzweigen der Übersetzung: die wörtliche und

nichtwörtliche. Die auch von Wilss angewandten Begriffe „wörtlich“ und

„nichtwörtlich“ etablierten sich in der modernen Übersetzungswissenschaft vor allem

aufgrund ihrer beschreibenden Objektivität.94 Die wörtliche Übersetzung bietet die

Wahl zwischen drei unterschiedlichen Unterkategorien.

Die Lehnübersetzung (calque) beinhaltet die wörtliche Übersetzung mehrteiliger

Wörter, welche oft in der Zielsprache angenommen und zum Teil des normalen

Sprachgebrauchs werden. Ein Bespiel hierfür ist das deutsche Wort „Gipfelkonferenz“,

welches sich aus dem englischen „summit conference“ ableitet.

91 Vgl. Koller, 1972, S. 71 92 Vgl. Wilss, 1977, S. 103 93 Ebd. S. 121 94 Vgl. ebd. S. 103

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Das Wort „summit“ ist ein Terminus aus dem Geographie- und Bergsteigerjargon und

wurde mit dem deutschen „Gipfel“ übersetzt – auch hier direkt aus dem

Bergsteigerjargon entwendet.95 Konferenz ist ebenfalls ein Lehnwort, was diesem

Beispiel einen noch passenderen Charakter verleiht.

Wort-für-Wort-Übersetzung ist selbsterklärend. Beispielsweise wird hier aus dem

schwedischen „Han gick hem“ das deutsche „Er ging nachhause“.

Die wörtliche Übersetzung (Substitution) zeichnet sich durch die Wiedergabe des

Ausgangstextes mit denselben Wörtern und derselben Essenz aus, jedoch mit

unterschiedlicher Syntax, die mit jener der Zielsprache übereinstimmt. Folgendes

Übersetzungsbeispiel veranschaulicht diese Theorie: „She had bought the skirt“ – „Sie

hatte das Kleid gekauft“ – „She had the skirt bought“ – „Das Kleid wurde gekauft/Sie

hat das Kleid kaufen lassen“.96

Im Sinne der Transposition, eine nichtwörtliche Übersetzungsprozedur, zu übersetzen,

heißt durch abweichende Strukturen bedeutungsgleiche Wörter wiederzugeben. Diese

Änderungen in Grammatik und Syntax sind oft notwendig, um die Richtigkeit des

Textes zu garantieren.97 In diesem Beispiel wird das englische Verb in der Übersetzung

durch ein deutsches Substantiv ersetzt: „as the pressure increases“ – „mit dem

Ansteigen des Druckes“.98

Modulation bedeutet das Umschreiben des Textes der Ausgangssprache in Anbetracht

der Bedingungen der Zielsprache. Ein häufiges Beispiel für Modulation als

Übersetzungsprozedur sind Sprichwörter, die nicht Wort-für-Wort übersetzt werden,

aber in der Zielsprache denselben Effekt haben. Beispielsweise im selben Kontext wie

das schwedische Sprichwort „När man talar om trollen så står de i farstun“ (wörtl.

Wenn man von den Trollen spricht, stehen sie im Hausflur), wird im Deutschen

95 Vgl. Wilss, 1977, S. 114 96 Ebd. S. 115 97 Vgl. ebd. S. 116 98 Koller, 1992, S. 298

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„Wenn man vom Teufel spricht, kommt er“ verwendet. Der Hintergrund ist derselbe:

Wenn man von bösen Wesen spricht ruft man diese hervor. In Schweden in diesem

Fall die mythischen Trolle, welche in den Wäldern und Bergen leben, im schon lange

religiösen deutschsprachigen Raum ist es der Teufel. Übersetzer müssen sich mit

dieser Vorgangsweise dann befassen, wenn die Zielsprache spezifischer ist als die

Ausgangssprache, was üblicherweise vorkommt, je weiter die Sprachen voneinander

entfernt sind. Die finno-ugrische Sprache Finnisch in die germanische Sprache

Deutsch zu übersetzen ist eine Herausforderung, da durch aktive kulturelle und

literarische Beziehungen ein reger Bedarf an Übersetzung besteht, die Sprachen jedoch

nicht derselben Sprachgruppe zugeordnet werden.99

Ein interessantes Beispiel hierfür hat die finnische Autorin Leena Lehtolainen

gebracht. Die Protagonistin ihres Romans Tappava säde (1999) (Zeit zu Sterben (2002))

besitzt eine Katze mit einem geschlechtsneutralen Namen: Sulo. Lehtolainen machte

sich keine Gedanken drüber, ob die Katze männlich oder weiblich war, da es im

Finnischen nur das geschlechtsneutrale Personalpronomen „hän“ gibt. Als der Roman

ins Deutsche, wo zwischen „er“ und „sie“ unterschieden wird, übersetzt wurde, musste

sich Lehtolainen auf Bitte ihres Übersetzers entscheiden.100

Wo kein adäquates Pendant in der Zielsprache vorhanden ist, hilft es dem Übersetzer,

wenn er auf eine fundierte Kulturkompetenz über die Konstellationen des Milieus der

Ausgangs- und Zielsprache zurückgreifen kann.

Ein deskriptives Beispiel hierfür findet sich bei Koller, der die verschiedenen

Übersetzungen des Wortes „Glögg“ in August Strindbergs Roman Hemsöborna (1887)

erwähnt. Je näher die Zielsprache zur Ausgangssprache verwandt ist, auch auf

geographische und dadurch kulturell bedingte Ähnlichkeiten bezogen, desto exakter

ist die Übersetzung (vgl. schw. „Glöggen“ mit dä. „Glöggen“ [sic!]). In den nicht-

skandinavischen Übersetzungen griffen die Übersetzer auf verschiedene Methoden

zurück und orientierten sich teilweise an den Gegebenheiten der Ausgangssprache,

99 Vgl. Wilss, 1977, S. 120 ff. 100 Lehtolainen Leena, bei ihrem Vortrag am 17.11.2003 auf dem Institut der Finno-Ugristik der Universität Wien.

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teilweise an denen der Zielsprache (vgl. schw. „Glöggen“ engl. „the glögg“ dt. „der

Punsch“). Da schwedischer Glögg und deutscher Punsch beide in der

Vorweihnachtszeit genossen werden, ist der kulturelle Kontext hier für den Übersetzer

richtungsweisend, obwohl sich die Inhalte der beiden Getränke unterscheiden.101

Für eine gelungene Übersetzung wird vorausgesetzt, dass der Übersetzer sowohl die

Ausgangs- als auch Zielsprache hervorragend beherrscht. Weiters muss der Übersetzer

jedoch auch Kenntnis über Kultur, Geographie und weitere spezifische Gegebenheiten

des Landes besitzen. Oft ist dieser Einblick in die Sitten und Traditionen der Kultur

der Ausgangssprache der Schlüssel zu guter und natürlicher Übersetzung.102 In den

Worten von Mounin bei Koller:

Um einen Text zu übersetzen, der in einer Fremdsprache geschrieben ist,

sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen (…) von denen keine allein genügt.

Man muß die Sprache und [Kursiv im Original] die Kultur kennen, von der

diese Sprache handelt, und das heißt: das Leben, die Zivilisation, die

möglichst vollständige Ethnographie des Volkes, dessen Ausdrucks-mittel

diese Sprache ist.103

Diese Voraussetzungen von Mounin ergänzt Kvam um einen weiteren Punkt und

gelangt somit zur Definition, dass ein guter Übersetzer über allgemeine, sprachliche

Kompetenz verfügen, sich mit der kulturell-politischen Landschaft der betroffenen

Länder auseinandersetzen und analytisches Denken beherrschen sollte.104

In Anbetracht der skizzierten Beispiele, ist davon auszugehen, dass Edzard Schaper ein

kompetenter Übersetzer war. Er sprach, neben Deutsch, einigermaßen Finnisch und

Estnisch sowie ziemlich gut Polnisch und Schwedisch, sodass es ihm möglich war, eine

große Bandbreite von Literatur zu übersetzen. Zumal Schapers Leben ihn quer durch

Europa führte, lernte er viele Länder und deren Sitten sowie Umstände genau kennen.

101 Vgl. Koller, 1972, S. 152 102 Vgl. Stenger, 2002, S. 96 103 Koller, 1972, S. 121 104 Vgl. Kvam, 1996, S. 122

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Dieses spezielle Wissen trug maßgeblich dazu bei, dass er als Übersetzer sehr

geschätzt wurde. Dies geht aus dem Empfehlungsschreiben hervor, das Heikki

Reenpää, Geschäftsführer des finnischen Verlagshauses Otava, am 13.11.1946 an den

Schweizer Werner Classen Verlag schrieb:

Mit grossem Vergnügen empfehlen wir Herrn Edzard Schaper den

Verlegern als Ratgeber in Fragen der finnischen Literatur und als Übersetzer

derselben. Seine Vertrautheit mit dem finnischen Schrifttum sowie sein

sicherer literarischer Geschmack werden Verlegern, die sich für finnische

Literatur interessieren, wertvolle Dienste leisten können.105

105 Reenpää, 1946b (Archiv)

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4 Edzard Schaper als Übersetzer

Insgesamt übersetzte Edzard Schaper über 20 Romane aus den skandinavischen

Sprachen und dem Finnischen ins Deutsche. In der vorliegenden Arbeit werden sechs

dieser Werke analysiert. Laut Arnulf Otto-Sprunck sind die wichtigsten von Schaper

übersetzten Werke aus dem Finnischen Hurskas kurjuus (1919) (Das Fromme Elend

(1948) bzw. Sterben und Auferstehen (1956)) und Elämä ja aurinko (1916) (Sonne des

Lebens (1951)) von Frans Eemil Sillanpää, Seitsemän veljestä (1870) (Die sieben Brüder

(1950)) von Aleksis Kivi und aus dem Schwedischen Barabbas (1950), das im gleichen

Jahr unter dem selben Titel auch auf Deutsch erschien sowie Gäst hos verkligheten

(1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) von Pär Lagerkvist.106

Nach exakter Recherche kann Otto-Spruncks Meinung über die Wichtigkeit der

besagten Werke geteilt werden. Diese werden daher in der vorliegenden Arbeit

analysiert. Zusätzlich wird, aufgrund der besonderen Spezifika des Sprachgebrauchs

auf den autonomen und von der Seefahrt und Inselgeographie geprägten Ålandinseln,

und um auch eine Übersetzung aus dem Finnlandschwedischen präsentieren zu

können, Katarina (1936), unter gleichem Titel 1949 auf Deutsch erschienen, von Sally

Salminen analysiert.

Interessant in allen Übersetzungen von Schaper, die in dieser Arbeit analysiert werden,

ist das Fernbleiben von Dialektelementen. Alle hier behandelten Werke, außer

Barabbas, ereignen sich in ländlichen Gegenden in Schweden oder Finnland, wo es

üblich war, im Dialekt zu sprechen. Diese lokalen Besonderheiten berücksichtigten alle

Autoren, umso überraschender ist es, dass Schaper diese sprachlichen Elemente nicht

an den deutschsprachigen Leser weitergegeben hat. Ein möglicher Grund hierfür ist

die Großräumigkeit des deutschsprachigen Raumes sowie das Alter der deutschen

Sprache. Im Vergleich zu den Ausgangssprachen, die durch die geographische und

politische Nähe sowie die geschichtlich relativ neue Sprachentwicklung keine gröberen

Unterschiede aufweisen, ist es schwierig, im Deutschen einen entsprechenden Dialekt

106 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 140

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zu finden, den alle Leser verstehen würden. Zwischen der Sprache eines Burgenländers

aus Österreich und maritimen Ausdrücken eines Hamburgers mögen Welten liegen,

der Festlandfinnlandschwede kann hingegen wegen der nahen geographischen Lage

und ähnlichen Sprachgeschichte sehr wohl maritime Ausdrücke aus Åland verstehen.

Dieses Kapitel befasst sich mit Edzard Schaper als Übersetzer aus dem Schwedischen

anhand des Beispiels Pär Lagerkvist und aus dem Finnischen anhand des Beispiels

Frans Eemil Sillanpää. Auf die Hintergründe und Umstände der

Übersetzungstätigkeiten Schapers in diesen beiden Fällen wird gesondert eingegangen,

da beide Schriftsteller Ähnlichkeiten betreffend Bekanntheitsgrad und Anerkennung

aufweisen (Sillanpää bekam den Nobelpreis 1939 und Lagerkvist 1951). Bemerkenswert

ist auch die unterschiedliche Herangehensweise Schapers. Im Falle Lagerkvists trat

dieser an Schaper heran, worauf sich der Übersetzer nahezu unmotiviert zeigt, die

Übersetzungsarbeit aufzunehmen: „Schapers Antrittsschreiben ist weniger von

Enthusiasmus als zunächst von einer realistischen Selbsteinschätzung geprägt.“107 Bei

Sillanpää hingegen hat Schaper selbst gebeten, diesen übersetzen zu dürfen. (siehe

Kapitel 4.1 und 4.2).

Weniger ausführlich schilderte Schaper seine Übersetzungen von Aleksis Kivi und

Sally Salminen. In seinem im August 1947 verfassten Brief an Heikki Reenpää schrieb

er lediglich: „Jag skall utge (…) en ny edition av de odödliga “Sju brödrar“ i Manesse-

förlagets Weltbibliothek, även Sally Salminen (Du kommer väl ihåg vårt samtal med

henne) står på programmet“108 (Ich werde eine neue Edition der unsterblichen „Sieben

Brüder“ in der Weltbibliothek des Manesse-Verlages herausgeben, auch Sally Salminen

(du erinnerst dich wohl an unser Gespräch mit ihr) steht auf dem Programm). Die

knappe Schilderung erweckt den Eindruck, als wären diese Übersetzungen für Schaper

nicht so wichtig gewesen, was die Tatsache erklären könnte, dass er von Kivi und

Salminen nur jeweils ein Werk übersetzte, wobei es bei Lagerkvist und Sillanpää

jeweils zwei waren.

107 Langheiter-Tutschek, 2008, S. 156 108 Schaper, 1947b (Archiv)

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Von der Übersetzung von Kivi ist bekannt, dass Schaper Hilfe von Sinikka Nevanlinna,

der Frau seines Freundes Rolf Nevanlinna, bekam.109 Nach ausführlicher Recherche in

Schapers Handbibliothek in der Mediathek Brig in der Schweiz, ist es evident, dass die

Übersetzung von Seitsemän veljestä anhand der existierenden schwedischen und

deutschen Versionen erfolgte.110

109 Vgl. Otto-Sprunck, 1996, S. 140 110 Anm.: Die Verfasserin dieser Arbeit besuchte das Archiv Edzard Schapers in Brig / Schweiz und stellte fest, dass sich im Nachlass von Schapers Handbibliothek nur eine finnische Version des Romans, aber zwei schwedische und vier deutsche Versionen befinden.

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4.1 Edzard Schaper als Übersetzer von Pär Lagerkvist

Die ersten Übersetzungen der Werke Lagerkvists ins Deutsche hat der Deutsche Dr.

Henrich Goebel übernommen. Da Lagerkvist mit der Qualität der Übersetzungen nicht

zufrieden war, freute er sich sehr, als der schweizer Professor Otto Oberholzer an ihn,

mit der Absicht seine Werke zu übersetzen, herantrat.111 Pär Lagerkvist pflegte zu

Oberholzer einen engen Kontakt, wie der erhaltene Briefwechsel belegt. Lagerkvist

verließ sich auf Oberholzer als Ratgeber im Verlagswesen des heiklen

deutschsprachigen Raumes, welches soeben dabei war, sich vom Zweiten Weltkrieg zu

erholen. Lagerkvist hätte sich auch gewünscht, dass Oberholzer die Übersetzungen

seiner Werke vornimmt, jedoch beurteilten mehrere Deutschsprachler die

Übersetzungen Oberholzers als zu wörtlich und vom Schwedischen beeinflusst.112

Lagerkvist, der die Übersetzungen durch Oberholzer als abgeschlossen betrachtete, da

er von deren Qualität überzeugt, war von dieser Nachricht nahezu entsetzt, wie

folgendes Zitat belegt: „Ja, jag är så förvirrad och ledsen över detta, jag har faktiskt tagit

för givet att era översättningar skulle vara fulländade.“113 (Ja, ich bin so verwirrt und

traurig darüber, ich bin wirklich davon ausgegangen, dass Ihre Übersetzungen

vollendet sein würden.)

Hierdurch begann für Lagerkvist die Suche nach einem anderen Übersetzer. Sein

Wunsch war es, jemanden zu finden, der mehr Erfahrung mit Belleristik und Lyrik

besaß, da er im Mangel dieser die Ursache für Oberholzers unzufrieden stellende

Übersetzungen vermutete. Für Lagerkvist war es wichtig, jemanden mit einem feinen

Gespür für die deutsche Sprache zu finden, damit derjenige die feinen Nuancen der

Erzählkunst, die Lagerkvist auf Schwedisch selbst benutzte, auf Deutsch wiedergeben

konnte. Lagerkvist selbst schlug Oberholzer vor, er möge mit Edzard Schaper in

Kontakt treten. Schaper sei nicht nur als Übersetzer empfehlenswert, sondern seine

guten Kontakte im Verlagswesen seien durchaus wertvoll. Lagerkvist selbst hatte bis

dahin selbst nichts von Schaper gelesen, aber das Lob besonders für Schapers

111 Vgl. Schöier, 1991, S. 366 112 Vgl. ebd. S. 373 113 Ebd. S. 374

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Übersetzungen von Sillanpää, dessen Status als Nobelpreisträger der Literatur

Lagerkvist knapp zwölf Jahre später teilen würde, war Lagerkvist bekannt.114

Schaper sei nicht nur mit der skandinavischen Kultur vertraut und habe Erfahrung in

Übersetzungen aus diesem Gebiet, sondern auch ein bedeutender Schriftsteller der

Gegenwart. Erstaunlich ist die Tatsache, dass Lagerkvist 1933 den Roman Bödeln (Der

Henker (1946)) und Schaper 1940 den Roman Der Henker schrieb. Trotz

unterschiedlichen Inhalten ist die Namensgleichheit faszinierend.115

Wie aus dem Briefwechsel zwischen Schaper und Lagerkvist hervorgeht, gelang es

Lagerkvist offenbar, in Schaper einen Schriftsteller zu finden, der das von ihm

Geschriebene ins Deutsche überträgt und somit den deutschen Markt eröffnet. Es ist

deutlich zu lesen, welch Bewunderung Schaper für Lagerkvist hegt und wie begrenzt

sein Glaube an sich selbst ist. Lagerkvists Bücher sind Meisterwerke und Schaper

hoffte, dass Lagerkvist die Übersetzungen gefallen werden und ihm nicht zu viel

versprochen wurde.116

Laut der auf dem Buchumschlag der deutschen Übersetzung von Lagerkvists Werk

Gäst hos verkligheten der Österreichischen Buchgemeinschaft 1956 abgedruckten

Information, dürfe Schaper die Übersetzung durchaus gelungen sein: „(…) wobei ihm

die Übersetzung durch den Dichter Edzard Schaper den Zauber eines deutschen

Originalwerkes verliehen hat.“117 Es ist übrigens unüblich, dass in der

Umschlagbeschreibung eines Werks die Übersetzung erwähnt wird, was auf die

besondere Qualität der Übersetzung hinweist. Als in der Schweiz Barabbas in Druck

ging, lagen bereits viele Vorbestellungen vor. Dies war nach Oberholzers Meinung zum

Großteil der Bekannt- und Beliebtheit Schapers zu verdanken.118 Pär Lagerkvist war

von Schaper ebenfalls begeistert.

114 Vgl. Schöier, 1991, S. 374 115 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 152 und S. 156 116 Vgl. ebd. S. 18 117 Lagerkvist, 1956, Klappentext 118 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 158

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Er meint in Schaper einen Übersetzer der höchsten Qualität gefunden zu haben.119 So

nachzulesen auch in Lagerkvists Brief an Otto Oberholzer am 13.02.1953: „Först av allt

skulle jag väl tacka dig för den utomordentliga översättningen av Gäst hos

verkligheten. (…) Jag är oändligt glad över att denna min bok nu finns i en fulländad

tysk språkdräkt.“ 120 (Erst einmal möchte ich mich wohl bei dir für die außerordentliche

Übersetzung von Gast bei der Wirklichkeit bedanken. (…) Ich bin unendlich glücklich

darüber, dass es mein Buch jetzt in ein vollendetes deutsches Sprachgewand gibt.)

Die Kritiken der Übersetzungen Edzard Schapers von Pär Lagerkvists Werken waren

großteils positiv und es ist auffallend, wie oft die Übersetzung explizit in den

Rezensionen erwähnt wird. Z. B. schrieb Geno Hartlaub: „‚Barabbas‘ [kursiv im

Original] (…) meisterhaft übersetzt von Edzard Schaper.“121 Das Ende der

Übersetzungen Schapers von Lagerkvists Werken verursachte die scharfe Kritik des

Büchereidirektors Johannes Iwer Langfeldt, der 1953 bemerkte, dass Schapers

Übersetzungen nicht korrekt waren und dieser seinen neuerlichen Übertritt zum

Katholizismus zu stark durchscheinen lässt.122 Ein Beispiel hierfür findet sich in jenem

Teil dieser Arbeit, der sich konkret mit der Übersetzung Barabbas befasst.

119 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 205 120 Schöier, 1991, S. 390-391 121 Hartlaub, 1951 (Sonstige) 122 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2008, S. 206 ff.

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4.2 Edzard Schaper als Übersetzer von Frans Eemil Sillanpää

Wie bereits in Kapitel 2 ausgeführt, ist die erste Übersetzung Schapers aus dem Jahr

1948 (Frans Eemil Sillanpääs Hurskas kurjuus) aus dem Finnischen ins Deutsche vor

dem Hintergrund, dass Schaper nur vier Jahre zuvor noch kaum Finnisch konnte (im

Staatsbürgerschaftsantrag 1944 werden nur Schwedischkenntnisse erwähnt), besonders

bedeutungsvoll. Es ist anzunehmen, dass Schaper die Übersetzungen ins Deutsche

mithilfe der schon existierenden schwedischen Übersetzungen tätigte, was sich auch

durch Aussagen der Bekannten von ihm bestätigt.123

Edzard Schaper selbst trat an den damaligen Direktor des Verlages Otava, Heikki

Reenpää, mit dem Wunsch, Frans Eemil Sillanpääs Werk Ihmiselon ihanuus ja kurjuus

(1945) übersetzen zu dürfen, heran. Er war vom Buch, welches er auf Schwedisch

gelesen hatte, begeistert und sah seine Finnischkenntnisse als gut genug, um sich an

diese Aufgabe heranzutrauen. Er würde sich auch gerne um die Kontakte zu den

schweizer Verlagen (aufgrund der politischen Situation kämen nur diese im

deutschsprachigen Raum in Frage) gekümmert.124 Reenpääs Antwort am 13.11.1946

dämpfte Schapers Hoffnung, da Reenpää erklärte, die Rechte für Ihmiselon ihanuus ja

kurjuus schon an den schweizer Werner Classen Verlag verkauft zu haben. Eventuell

würden dieser auch am Rest von Sillanpääs Produktion interessiert sein, dies würde

sich zeigen. Ob sie über einen Übersetzer verfügen, wusste er nicht, aber empfahl

ihnen Schaper bereits. Dennoch sah Reenpää es angemessen, dass Schaper mit dem

Verlag persönlich Kontakt aufnimmt.125 In dem von Reenpää dem Brief beigefügten

Referenzschreiben über Schaper ist die große Achtung vor diesem zu spüren (siehe

Kapitel 3).

Schaper las in der Neuen Zürcher Zeitung über das Erscheinen Sillanpääs Werk auf

Deutsch und fühlte sich in seinem Vorhaben, Sillanpääs Werk Ihmiselon ihanuus ja

123 Vgl. Zauner, 1971, S. 3 und S.18 (Sonstige) 124 Vgl. Schaper, 1946a (Archiv) 125 Vgl. Reenpää, 1946a (Archiv)

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kurjuus zu übersetzen, gescheitert.126 Im Frühjahr 1947 erhielt er erfreuliche

Nachrichten von seinem alten Freund, dem deutschen Verleger Anton Kippenberg.

Der Insel-Verlag einigte sich mit dem Werner Classen Verlag, gemeinsam Silllanpääs

Produktion in der Schweiz zu veröffentlichen und Schaper war als Übersetzer

bestimmt. Schaper zeigte sich hocherfreut über diese Aufgabe, hatte jedoch Bedenken,

ob Hurskas kurjuus außerhalb Finnlands begreiflich wäre, und ob es nicht nur mit

„kunskap om människor, natur, historia och kärlek till allt detta“127 (Kenntnisse über

Menschen, der Natur, die Geschichte und Liebe zu all dem) begreifbar wäre. Edzard

Schaper bat Reenpää in demselben Brief, ihm ein finnisches Exemplar von Hurskas

kurjuus zu schicken, denn bis dato las er nur die schwedische Übersetzung, Det

fromma eländet (1920). Diese Aussage unterstützt die Theorie, dass sich Schaper

zumindest teilweise an den schwedischen Übersetzungen finnischer Werke orientierte.

Bemerkenswert an Schapers Übersetzungen von Sillanpää sind die Titel der Werke.

Hurskas kurjuus wurde von Schaper nach 1948 als Das fromme Elend, im Jahr 1956 ein

zweites Mal unter dem Titel Sterben und Auferstehen übersetzt. Der Beweggrund zu

dieser neuen Herausgabe unter anderem Titel ist, zumal es sich inhaltlich um das

gleiche Buch handelt, nicht nachvollziehbar. Als Grund kommt nur die 1951

stattgefundene Konvertierung zum Katholizismus und dadurch erfolgte verstärkte

Auseinandersetzung mit christlichen Themen in Frage. Im Finnischen lautet der Titel

von Sillanpääs erstem Roman Elämä ja aurinko (wörtl. Das Leben und die Sonne);

Schaper übersetzt dies mit Sonne des Lebens.

126 Vgl. Schaper, 1946b (Archiv) 127 Schaper, 1947a (Archiv)

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5 Pär Lagerkvist

5.1 Über den Autor

Pär Fabian Lagerkvist wurde am 23.05.1891 in der småländischen Stadt Växjö geboren.

Sein Vater war Eisenbahnbeamter und seine Mutter eine Bauerntochter. Die Erlebnisse

seiner Kindheit und Jugend, wie z. B. die Besuche auf dem Bauernhof bei den

Großeltern mütterlicherseits, das Betrachten der Züge, das Leben am Bahnhof und ein

religiöses Heim, schildert Lagerkvist in seinem 1925 erschienenen Roman Gäst hos

verkligheten (Gast bei der Wirklichkeit (1952)). Das Milieu des Heimes und auch das der

Großeltern, wurden stark von Religion und Frommheit geprägt, weswegen Religion

und die Suche nach dem Glauben in Lagerkvists Werken, welche sich von Romanen

über Gedichte bis zu Schauspielen erstrecken, immer wiederkehrende Motive sind. Oft

wird den Kampf zwischen Gut und Böse bzw. die moralische Botschaft des Werkes in

einen Schleier der Religion und des christlichen Glaubens gehüllt, trotz Lagerkvists

kritischer Haltung diesen Themen gegenüber. Während der Pubertät wandte er sich

von der christlichen Tradition seiner Familie ab.

Schon früh wusste Lagerkvist, dass er Schriftsteller werden wollte, was ihn aber nicht

davon abhielt, Kunstgeschichte zu studieren und mehrere Monate Ende des Jahres 1913

in vom Impressionismus geprägten Paris zu verbringen. Auch zukünftig reiste

Lagerkvist oft und gerne, seine Wege führten ihn u. a. nach Deutschland, Dänemark,

Norwegen, Italien, Frankreich, Ägypten und Palästina. Seine Sprachbegabung, die aus

den zahlreichen Briefen hervorgeht, eignete er sich auf diese Reisen an. Lagerkvist

wurde viel Ehre zuteil, so z. B. seine Wahl in die Svenska Akademin, einer

Kulturinstitution, deren bekannteste Aufgabe die Verleihung des Nobelpreises in

Literatur ist, sowie das Empfangen des Nobelpreises 1951. Lagerkvist war von 1916-1925

mit Karen Sørensen und von 1925 bis zu ihrem Tod 1967 mit Elaine Sandels verheiratet.

Trotz seiner Reiselust wurde Pär Lagerkvist 1930 sesshaft und wohnte ab diesem

Zeitpunkt nur mehr in Stockholm, wo er am 11.07.1974 als 83-jähriger starb.128

128 Vgl. Schöier, 1991, S. 12 ff. und Linder, 1990, S. 33 ff.

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5.2 Gäst hos verkligheten / Gast bei der Wirklichkeit

Der 1925 erschienene und 1952 von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte Roman

spielt im Bahnhofmilieu einer kleinen schwedischen Stadt und in der weiten

schwedischen Natur um 1900. Der Roman, welcher starke autobiographische Züge von

Lagerkvist trägt, befasst sich hauptsächlich mit den Themen Religion, Familie und

Alltag.

Der Protagonist Anders hat große Angst, dass jemand in seinem Umkreis stirbt, er

betet zu Gott nach seinen eigenen strengen Regeln – doch er fühlt, dass seine Gebete

nur gehört werden, wenn er möglichst widerwillig, beispielsweise bei schlechtem

Wetter, einen Stein mitten im Wald aufsucht, dort fühlt er sich Gott nahe. Als Gott die

Gebete nicht erhört und die geliebte Großmutter an Krebs erkrankt, fühlt sich Anders

äußerst unwohl in der Gegenwart der Kranken, wie wenn ihr Zustand eine einzige

Erinnerung an den bevorstehenden Tod aller wäre. Die Großmutter stirbt und für

Anders ist es gewissermaßen eine Erleichterung, nicht mehr aktiv mit dem Tod

konfrontiert zu sein. Er wendet sich vom elterlichen Glauben langsam ab und

interessiert sich für modernde Ideen. Der Darwinismus fegt den christlichen Glauben

weg und Anders findet endlich, wonach er gesucht hatte – einen Glauben ohne jegliche

Hoffnung und Lügen. Trotzdem führt sein Weg nicht an Christen vorbei, am Ende des

Buches besucht er eine Veranstaltung der Heilsarmee.

Dieser autobiographischer Roman Lagerkvists, zählt zu seinen bedeutendsten Werken.

Da der Autor öffentliche Auftritte mied und keine Details seines Lebens preisgeben

wollte, freute er sich besonders über die Kontaktaufnahme Otto Oberholzers, der sich

mit der Dichtung und nicht mit seinem Leben befassen wollte: „Onekligen är jag också

tilltalad av att Ni inte tänker syssla med mitt liv och så att säga privata person, utan

med min diktning.“129 (Zweifellos fühle ich mich auch davon angesprochen, dass Sie

sich nicht mit meinem Leben und so zu sagen meiner privaten Person befassen

möchten, sondern mit meiner Dichtung.)

129 Schöier, 1991, S. 366

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Die ersten drei Sätze des Romans Gäst hos verkligheten liefern einen Beweis dafür, wie

ausgeschmückt die Sprache Pär Lagerkvists ist:

AT 1:

I en svensk småstad låg som i alla andra en järnvägsrestaurang invid

stationen. Denna låg så nära spåren att röken från lokomotiven strök utefter

fasaden och sotade ner den. Huset skulle annars varit vitt, det tycktes

nästan ämnat att bli ett slags drömslott, ett helt litet feeri; det var fullt med

tinnar och torn, små balkonger dit man inte kunde komma ut, sirater och

utskärningar överallt, nischer där det skulle stått urnor med blommor, fullt

med tomma flaggstänger på taket.130

ZT 1:

In einer schwedischen Kleinstadt lag, wie in allen anderen Kleinstädten, ein

Eisenbahnrestaurant neben dem Bahnhof. Es lag so dicht neben den

Gleisen, daß der Qualm der Lokomotiven über seine Fassade wirbelte und

seinen Ruß daran niederschlug. Sonst wäre das Haus weiß gewesen, ja, es

schien beinahe dazu ausersehen, eine Art Traumschloss zu sein, ein wahres

kleines Wunderwerk: voller Zinnen und Türmchen, mit kleinen Balkons,

auf die man gar nicht hinaustreten konnte, mit Schmuck und ausgesägtem

Zierat allenthalben, Nischen, in denen Vasen mit Blumen hätten stehen

sollen, das Dach förmlich überwachsen mit leeren Fahnenstangen.131

Schaper fängt diese Sprache genau ein und gibt sie auf Deutsch in Lagerkvists Stil

wieder. Drei Änderungen würden den Text dennoch näher dem Original bringen:

Schaper schreibt, dass der Qualm über die Fassaden des Hauses „wirbelte“ („strök

utefter fassaden“). Die Übersetzung mit den Worten „strich der Fassade entlang“ wäre

ein geeigneterer Ausdruck, da der Qualm auch im schwedischen Original

personifiziert wird.

130 Lagerkvist, 1982, S. 5 131 Lagerkvist, 1956, S. 7

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Während der Lektüre des Romans entsteht das Gefühl, als führten die seelenlosen

Wesen und Gegenstände ihr eigenes Leben. Schaper übersetzt „feeri“ mit

„Wunderwerk“, was inadäquat ist, da trotz gleicher Bedeutung im schwedischen Wort

etwas Zauberhaftes beinhaltet ist, welches im Deutschen verloren geht. Zauberland

oder Feenreich hätten hier den Charme der ursprünglichen Wortwahl besser erfasst.

Dass Schaper „urnor med blommor“ als „Vasen mit Blumen“ übersetzt, ist keine

korrekte Übersetzung, da es das Wort „Blumenurne“ auch im Deutschen gibt und

dieses geeigneter ist, wenn man bedenkt, dass der Tod ein dominierendes Thema im

Roman ist.

Diese Textpassage zeichnet das Bild einer Familie, in deren Alltag der protestantische

Glaube sehr präsent ist:

AT 2:

På en vägg hängde en tavla som föreställde Luther, på en annan ett alfabet

som var broderat på stramalj med många slingor och utsmyckningar och

som det var glas och ram om. Över chiffonjén satt en liten hylla sär det låg

en gammal sliten bibel, Arndts postilla och två nya biblar som de största

flickorna fått vid sin konfirmation, de var överklädda med skrivpapper,

lackat på insidan.132

ZT 2:

An einer Wand hing ein Bild, das Luther darstellte, an einer anderen unter

Glas und im Rahmen ein mit vielen Schnörkeln und Verzierungen auf

Stramin gesticktes ABC. Über dem Schreibsekretär hing ein kleines Bord,

auf dem eine alte, abgegriffene Bibel, Arndts Postille und zwei neue Bibeln

lagen, welche die größeren von den Mädchen zur Konfirmation bekommen

hatten; die waren in Schreibpapier eingeschlagen auf der Innenseite mit

132 Lagerkvist, 1982, S. 7

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Siegellack gelackt.133

Beachtenswert ist die Übersetzung von „alfabet“ mit „ABC“ statt „Alphabet“. Diese

Übersetzung macht deutlich, dass durch die gestickten Buchstaben vor allem das

Lesen lernen in einer Familie ohne großem literarischen Interesse gefördert wird. Zu

Zeiten Lagerkvists Kindheit war das Erwerben von Literatur ein kostspieliger,

finanzieller Faktor; verdeutlicht wird dies durch die Tatsache, dass lediglich die

wichtigsten religiösen Texte als Bücher vorhanden waren. Aus dem Kontext ist

vertretbar, dass Schaper den Begriff „ABC“ benutzt.

Die folgenden Zeilen wurden gewählt, da sie das Milieu im Roman schildern, aber auch

besondere Redensarten beinhalten:

AT 3:

Så gick de två från de andra. Nerför gräsmattan, förbi kägelbanan där det

mullrade som om det åskat. En fet herre kom ut i skjortärmarna och

pustade med ett glas i handen. – Djävlar, sånt fint väder, sade han –

godmiddag små barn.134

ZT 3:

Nun verließen diese beiden die anderen. Gingen unten über den Rasen, an

der Kegelhalle vorbei, wo es rumpelte, als ob es donnere. Ein dicker Herr in

Hemdsärmeln kam heraus und verschnaufte sich, ein Glas in der Hand.

Teufel noch mal, so schönes Wetter! sagte er, ‘Abend Kinderchen! [sic!]135

Beachtlich ist der Unterschied zwischen „godmiddag“ was auf Deutsch wörtlich

substiert „Guten Mittag“ heißen würde, und das von Schaper benutzte „Abend“. Aus

dem Kontext kann man schließen, dass mit „middag“ das spätere Essen des Tages

gemeint ist und somit Schapers Modulation in Form der Begrüßung „Abend“

vertretbar scheint.

133 Lagerkvist, 1956, S. 11 134 Lagerkvist, 1982, S. 20 135 Lagerkvist, 1956, S. 33

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Ein Beispiel der Transposition ist in der Übersetzung des Ausdruckes „Djävlar“ in das

deutsche „Teufel noch mal“ zu finden. Die Bedeutung ist die gleiche, im Schwedischen

wird der Teufel aber im Plural benutzt und wird ohne zusätzliche ergänzende Wörter

gebraucht.

Die folgende kurze Schilderung beinhaltet eines der häufigsten Probleme, mit denen

sich Übersetzer aus den skandinavischen Sprachen befassen müssen:

AT 4:

Men mormor stod på förstutrappan, mitt bland alla sina blommor: - Kära

barn, är det ni som kommer, hälsade hon. Hon var så gammal att hon

kallade dem bägge barn. Anders visste ingenting som var så märkvärdigt

gammalt.136

ZT 4:

Die Großmutter aber stand auf der Vorhaustreppe, inmitten aller ihrer

Blumen. Liebe Kinder, seid ihr’s! sagte sie zum Willkomm. Sie war so alt,

daß sie Vater und Sohn Kind nannte. Anders kannte nichts, was so

merkwürdig alt war wie sie.137

Hier wird das Wort „Mormor“ für die Großmutter mütterlicherseits benutzt, wobei es

in der deutschen Sprache keine Differenzierung zwischen den Eltern mütterlicher- und

väterlicherseits gibt. Schaper übersetzt „mormor“ mit „Großmutter“, was eine Eins-zu-

eins-Äquivalenz auf der Textebene ist, obwohl Information verloren geht und die

Übersetzung daher nur Eins-zu-Teil-Äquivalent auf der lexikalischen Ebene ist.138 Den

Leser auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse aufmerksam zu machen, wäre

durchaus vertretbar, da es das enge und familiäre Verhältnis zwischen Anders‘ Vater

und seiner Schwiegermutter betonen würde.

136 Lagerkvist, 1982, S. 38 137 Lagerkvist, 1956, S. 65 138 Vgl. Koller, 1972, S. 142

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Es ist bemerkenswert, dass der Vater zu den Schwiegereltern auf Besuch, anstatt die

Mutter zu ihren eigenen Eltern fährt und dass die Großmutter ihn „Kind“ nennt, was

auf ein ungewöhnlich gutes Verhältnis zu den Schwiegereltern hinweist. In der

deutschen Übersetzung Schapers geht hierbei durch den neutralen Ausdruck

„Großmutter“ die wichtige Information verloren, dass es sich im Schwedischen um die

Mutter der Mutter handelt und nicht die Mutter des Vaters.

Die folgende Textpassage enthält mehrere spezifische Wörter aus der Agrarwirtschaft,

was davon zeugt, dass sich Edzard Schaper mit der Materie stark aussetzen musste:

AT 5:

Hon hängde ner i lorten också när hon reste sig, men det grymtade ur

fläsket av glädje, smånassar trillade av henne åt alla håll. Hela hon sörplade

hon i sig på en gång, de små försökte också komma åt men räckte inte upp

än. Mormor och han gick sedan vidare och skötte en del i lagårn. Det skulle

mockas efter oxarna óch en ko som stod inne för den skulle kalva. Luckorna

ut till gödselstan fick öppnas.139

ZT 5:

Auch wenn sie aufstand, hing ihr Bauch bis in den Schmutz hinab, aber es

grunzte aus all ihrem Speck vor Freude, die Ferkel purzelten von ihr nach

allen Seiten hinab. Die ganze Bütte schlürfte sie auf einmal in sich, die

Kleinen versuchten zwar, auch etwas zu bekommen, aber sie reichten noch

nicht so hoch hinauf. Von dort gingen die Großmutter und Anders weiter

und verrichteten noch etliches im Stall. Bei den Ochsen und bei einer Kuh,

die zum Kalben im Stall stand, mußte ausgemistet werden. Die Pforten zum

Düngerhaufen hin wurden geöffnet.140

139 Lagerkvist, 1982, S. 42 140 Lagerkvist, 1956, S. 72

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Es ist davon auszugehen, dass Schaper die agrarwirtschaftlichen Wörter nicht frei

übersetzen konnte, da er keine Erfahrung im Umfeld eines Bauernhofes hatte. Schaper

nahm sich hierbei einige Freiheiten, so verdeutlicht er z. B., dass der Bauch der Sau in

den Schmutz hängt, obwohl im Schwedischen nicht detailliert angeführt wird, welcher

Teil des Tieres hinunterhängt („Hon hängde ner i lorten“, wörtl. Sie hing in den

Schmutz hinab). Dies mag stilistisch raffiniert sein, die Information ist dennoch

überflüssig, da jeder, der die Anatomie eines Schweines kennt, versteht, dass beim

Aufstehen des Tieres, dessen Bauch zu Boden hängt. Zu wenig Information hingegen

bekommt der deutschsprachige Leser wenn es um die Jungtiere geht. Schaper

übersetzt Lagerkvists „smånassar“ mit „Ferkel“. Da „nasse“ an sich „Ferkel“ bedeutet,

wäre hier eine doppelte Verniedlichung, wie sie in der Ausgangssprache zu finden ist,

angebracht, beispielsweise „die kleinen Ferkel“ oder die „Ferkelchen“.

In der folgenden Textstelle dominiert die im Roman stets präsente Gottesfurcht:

AT 6:

Det är gott att höra åskan gå, sade han, då förstår man att det är Gud som

råder. Därefter reste han sig stabbigt och långsamt och gick efter bibeln. –

Var är min lusborste, Stina? sade han. Gumman tog reda på den, en liten

hemmagjord und tagelborste med skaft av virat segelgarn. (…) “Så hörer nu,

och märker till, och trotser icke: ty Herren haver det sagt. Giver Herranom

edrom Gudi ärona, förr än det mörkt vader, och förr än edre fötter stöta sig

på de mörka berg: så att I vänten efter ljuset, och han skall dock görat allt

till mörker och skugga.“141

ZT 6:

– Gut zu hören, daß es donnert, sagte er, da begreift man, daß Gott gebietet.

Steifbeinig und langsam stand er auf und holte die Bibel hervor. Wo ist

mein «Lausefänger», Stina? fragte er. Die alte Frau suchte ihn hervor: eine

kleine, runde, selbstgefertigte Roßhaarbürste mit einem Handgriff aus

141 Lagerkvist, 1982, S. 46

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gerolltem Segelgarn. «So höret nun und merket auf und verschließt euch

nicht in Trotz, denn der HERR hat gesprochen. Gebet dem Herrn eurem

Gott die Ehre, ehedenn es dunkel wird und eure Füße an den finsteren

Bergen straucheln, also daß ihr auf das Licht wartet und ER doch alles in

Dunkel und Schatten verwandeln wird.»142

Verwunderlich ist Schapers jeweils einmalige Hervorhebung der Worte „HERR“ und

„ER“ im Bibeltext. Was nicht zum Vorschein kommt, ist die Eigenheit des

Schwedischen in Form der Betonung Gottes durch die Großschreibung von „Herr“ und

„Gud“ (Gott), da es im Schwedischen, im Gegensatz zum Deutschen, sonst zu keiner

Großschreibung der Substantive kommt. Es ist denkbar, dass Schaper mit der

Niederschrift der betroffenen Wörter in Versalien jene Bedeutung betonen wollte,

welche die großgeschriebenen Ausdrücke im Schwedischen tragen.

Diese Erklärung erläutert allerdings nicht, weswegen Schaper in der Übersetzung in

den angesprochenen Fällen nur zwei Mal gänzlich Großbuchstaben verwendet, obwohl

„Herr“ bzw. „Gott“ öfter vorkommt.

Das nächste Beispiel schildert die schwedische Natur, welche im Roman eine große

Rolle spielt, auf sehr charakterisierende Weise:

AT 7:

Han hoppade kring som en fågelunge nere på tuvorna. Tittade upp i träden,

tyckte han hörde något, kanske ekorrar? Ristade en grangren och lät det

ösregna lite på lingonriset, släppte också ner lite ösregn på några

hjortronstånd som han skulle plocka av en annan gång. Så kröp han upp

igen på banvallen.143

142 Lagerkvist, 1956, S. 80 143 Lagerkvist, 1982, S. 57-58

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ZT 7:

Wie ein junger Vogel hüpfte er da auf den Blüten umher, guckte in die

Baumwipfel hinauf, meinte, er höre etwas… Eichhörnchen vielleicht?

Schüttelte einen Tannenzwei und ließ auf das Preiselbeergestrüpp einen

kleinen Wolkenbruch niedergehen, - ein bißchen Wolkenbruch auch über

etliche Schellbeerstauden, die er ein andermal plündern wollte. Und dann

kletterte er wieder auf den Bahndamm hinauf.144

Das Wort „Hjortronstånd“ übersetzt Schaper mit „Schellbeerestauden“, was auf den

Zeitpunkt der Übersetzung schließen lässt. Heute wäre die deutsche Bezeichnung

„Moltebeere“ am gängigsten, obwohl beide ihren Ursprung in den skandinavischen

Sprachen haben. Wenn Moltebeeren im Spätsommer überreif sind, haben sie eine

Lava-ähnliche, fast flüssige Konsistenz. Daher ist davon auszugehen, dass sowohl die

Bezeichnung „Schellbeere“ als auch „Moltebeere“ ihren Ursprung im dänischen „melte“

bzw. norwegischen „molte“ (schmelzen) haben.

Schapers Flair als dichterischer Übersetzer lässt sich in der Wortwahl der Übersetzung

für „ösregn“ bewundern. Die alltäglichste Übersetzung hierfür wäre „Platzregen“, was

im Vergleich zu Schapers Ausdruck „Wolkenbruch“, inhaltlich dasselbe, nur meist

anders benutzt (die übliche schwedische Übersetzung für „Wolkenbruch“ wäre

„skyfall“), plump klingt.

Die Großmutter ist gestorben und für Anders die dauernde Erinnerung an die Nähe

des Todes gewichen:

AT 8:

Anders kände det nästan som en lättnad. Syskonen gick och talade om

mormor hela dagen, om hur hon varit d å och d å – ofta från långt tillbaka –

om vad hon sagt de n gången, om hur bittida hon skulle upp om

morgnarna, om vilka bondkringlor hon kunde baka, om hur hon styrde med

144 Lagerkvist, 1956, S. 99

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sitt blomsterland, sina pioner, om att en gång som flicka hade hon gått vill i

skogen, och måst vända koftan – om allting.145

ZT 8:

Anders empfand beinahe so etwas wie eine Erleichterung dabei. Die ganze

Kinderschar sprach an diesem Tage nur von der Großmutter: wie sie damals

und damals gewesen sei, - häufig vor sehr langer Zeit - , was sie damals

gesagt habe, wie früh sie immer Morgens aufgestanden sei, was für

prächtige Kringel sie habe backen können, wie sie ihren Garten gepflegt

habe, ihre Päonien, daß sie einmal als kleines Mädchen sich im Walde

verirrt und ihren Rock habe wenden müssen,… von allem, von allem.146

Bemerkenswert in der deutschen Version des Textes ist das scheinbare Ignorieren der

stilistischen Merkmale der Originalversion. Im schwedischen Ursprungstext werden

die Floskeln „wie sie wann gewesen ist“ („hur hon varit d å och d å “ ) und „was sie das

eine Mal gesagt hatte“ („om vad hon sagt d en gången“) mit größerem Zeichenabstand

(Unterschneidung) betont. Schaper übernahm dies nicht in die deutsche Fassung und

bediente sich auch keiner sonstigen stilistischen oder wörtlichen Hinweise.

Dahingestellt sei auch, was Schapers Absicht war als er „Syskonen“ (wörtl. die

Geschwister) mit „die Kinderschar“ übersetzt. Es erweckt den Eindruck, dass Anders

gar nicht zu dieser Gruppe, die sich an die Großmutter erinnert, gehören würde. Es

handelt sich daher um eine Freiheit, die sich Schaper als Übersetzer, ohne

erkennbaren Grund, nahm, da es im Deutschen selbstverständlich ein akkurates

Pendant gibt. Gleiches gilt auch für das Wort „koftan“ welches im Deutschen

„Strickjacke“ bedeutet. Schaper übersetzt dieses Wort mit „Rock“.

145 Lagerkvist, 1982, S. 76 146 Lagerkvist, 1956, S. 131

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Der folgende Textabsatz beschreibt die Abwendung des jungen Anders‘ weg vom

elterlichen christlichen Glauben, hin zu Richtung realistischer Darwinismus:

AT 9:

Och föräldrarnas gudsfruktan, tung och ålderdomlig, en uråldrig ro som de

sökte känna – under suckar, bara suckar. Den tyngde och tyngde, den ville

liksom kväva en… - Man måste bryta sig ut!

Nej, den nya läran som man fick i sig, den som sopade bort Gud och all

förhoppning, som lade livet öppet och rått, i hela dess nakenhet, hela dess

planmässiga meningslöshet, den hjälpte bättre, den ville en väl. Och den var

ju sann. Inte någon tro – bara såsom det är.147

ZT 9:

Und dazu die Gottesfurcht der Eltern, schwerblütig und altertümlich, eine

uralte Ruhe, die sie auskosten versuchten, - unter Seufzen, nichts als

Seufzen. Sie lastete schwer, lastete schwer … sie wollte einen gewißermaßen

ersticken… Nein, man mußte ausbrechen!

Ja, die neue Lehre, die man verschlang, die Gott und alle Hoffnung

wegfegte, die das Leben offen und roh in aller seiner Nacktheit, all seiner

Planmäßigen Sinnlosigkeit entblößte, - die half besser, die tat einem wohl.

Und außerdem war sie die Wahrheit. Kein Glaube, - nur so wie es ist. [kursiv

im Original]148

Schaper passt den Text der deutschen Sprache besser an, indem er die Wiederholung

„lastete schwer, lastete schwer“ benutzt, um die Kontinuität und Omnipräsenz des

Lastens zu beschreiben. Lagerkvist benutzt im Original die Konjunktion „och“, um

denselben Effekt zu erzielen. Durch die Zeilen sickert die Verzweiflung der

Hauptperson gegenüber der momentanen Situation im Sumpf der Religion und des

Glaubens. Wie eine Erlösung liest man seine Gedanken über die wohltuende neue

147 Lagerkvist, 1982, S. 96 148 Lagerkvist, 1956, S. 166

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Lehre und deren Realismus. Schaper verdeutlichte dies, indem er die Kernaussage des

neuen „Glaubensersatzes“ mittels kursiver Schriftart betont.

Diese Zeilen geben einen unverdeckten Blick auf den winterlichen Alltag eines

schwedischen Schuljunges zur Jahrhundertwende:

AT 10:

Hade de skurlov i skolan kunde de börja tidigt, då det var morgonfrost och

det sjöng i isen, gubbar stod och kolpade längst ute, var som små prickar.

Kom man fram till dem sade de inte kött, bara blängde.149

ZT 10:

Hatten sie in der Schule Scheuerferien, dann konnten sie zeitig aufbrechen,

wenn noch Morgenfrost war und das Eis sang. Weit draußen standen

Männer und pimpelten, wie kleine Punkte anzusehen. Kam man zu ihnen

hinaus, dann sagten sie keinen Mucks und äugten nur stumm.150

Es kommen in diesem Zitat viele wesensgemäße Ausdrücke vor, welche zeigen, dass

sich der Übersetzer mit der Kultur und den Gegebenheiten des Landes auskennt.

Schaper übersetzt „kolpade“ mit „pimpeln“, was er sicherlich vom schwedischen

„pimpla“ entlehnte. Sowohl „kolpa“ als auch „pimpla“ bedeuten im Schwedischen „das

Fischen in einem Eisloch mit einem Blinker aus Metall“.

„Pimpeln“ im Deutschen bedeutet hingegen „zimperlich sein“, „nicht besonders viel

aushalten“. In diesem Beispiel ist die direkte Entlehnung des Wortes misslungen.

Besser wäre, auch für all jene, die die Sitten der Schweden im Fischereijargon nicht

kennen, die einfache, wenn auch etwaig lexikalisch nicht vollkommene, Übersetzung

mit „eisfischen“.

149 Lagerkvist, 1982, S. 99 150 Lagerkvist, 1956, S. 172

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Die folgenden drei Zeilen schließen das Werk Gäst hos verkligheten ab. Sie fassen den

Roman, in den beschreibenden Worten der Jugend zusammen und zeigen auch, dass

die Erleichterung Anders‘ wiedergekehrt ist:

AT 11:

De skildes. Hon gick in i huset som om det varit en mänskoboning. Som

befriad från något begav han sig på väg hemåt. Så slutade den första

ungdomen i bara upplösning, oredlighet, förvirring.151

ZT 11:

Sie trennten sich. Sie ging in die Bude hinein, als sei die eine menschliche

Behausung. Wie von irgend etwas befreit, machte er sich auf den Heimweg.

So endete die erste Jugend in nichts als Auflösung, Unordnung,

Verwirrung.152

Dem Leser fällt hier auf, dass Schaper das Wort „huset“ mit „die Bude“ übersetze. Dies

ist verwunderlich, da es im Deutschen ein nahe verwandtes Korrelat mit dem Wort

„Haus“ gibt. Was man auf den ersten Blick Unstimmigkeit nennen könnte, wird in

Anbetracht des Kotexts153 begreiflich: Einige Zeilen davor schreibt Lagerkvist: „Han

följde henne till smedjan. Där var en tillbyggnad bakom, ett kyffe där hon bodde“154 (Er

begleitete sie zur Schmiede. Hinter der war ein Anbau, eine Bretterbude, in der sie

wohnte.155)

151 Lagerkvist, 1982, S. 117 152 Lagerkvist, 1956, S. 205 153 Anm.: Kotext bezieht sich auf die Information, die der Leser dem vorhandenen Text entnehmen kann, um einen anderen Teil des Textes zu verstehen. Vgl. Koller, 1972, S. 140 154 Lagerkvist, 1982, S. 117 155 Lagerkvist, 1956, S. 205

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5.3 Barabbas

Der 1950 erschienene und im selben Jahr von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte

Roman beschäftigt sich mit dem Glauben und insbesondere dem Leben Jesus‘ aus Sicht

des Räubers Barabbas. Barabbas wird in allen vier Evangelien der Bibel als verhafteter

Mörder geschildert, der durch Pilatus, auf Begehren des Volkes, anstatt Jesus

begnadigt wurde.156 In Lagerkvists Roman folgt der Räuber den Geschehnissen um

Ostern, ohne sich selbst erklären zu können, aus welchem Grund er dies macht. Wie

ein roter Faden durch sein Leben wird er immer wieder mit dem Christentum

konfrontiert und muss sich mit Glaubensthemen auseinandersetzen. Er ist vor Ort am

Golgatha und am leeren Grab Christi, er trifft die ersten Jünger Christi und unterhält

sich mit von Jesus geheilten Menschen. Er wird für mehrere Jahre in Gefangenschaft an

einen tiefgläubigen Christen gekettet und glaubt, den Christen endlich einen Gefallen

zu tun, als er die Stadt Rom anzündet in der Annahme, Jesus und Gott wollen die

sündige Welt reinigen. Schließlich endet sein durch viele Schicksalsschläge

gekennzeichnetes Leben doch am Kreuz.

Dieser Roman von Pär Lagerkvist erregte viel Aufmerksamkeit und war der

Hauptgrund weshalb er ein Jahr später den Nobelpreis verliehen bekam. Das folgende

Zitat in Verbindung mit der Verleihung des Preises zeigt die enge Verbindung

zwischen Buch und Preis: „Pär Lagerkvist ist hier in der Schweiz eigentlich nur

bekannt geworden durch Barabbas, der 1950 erschienene, von Edzard Schaper

übersetzte Roman.“157

Die folgende Passage ist die erste im Roman Barabbas. Sie schildert die Kreuzigung

von Jesus Christus am Golghata mit Informationen die man generell aus der Bibel

kennt:

156 Vgl. Das Neue Testament, 2001, S. 1255 157 Langheiter-Tutschek, 2008, S. 200

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AT 1:

Alla vet hur de hängde där på korsen och vilka som stod samlade omkring

honom, Maria hans moder och Maria från Magdala, Veronika och Simon

från Cyrene, som bar korset, och Josef från Arimatea, han som svepte

honom. Men ett stycke längre ner på sluttningen, lite avsides, stod en man

och iakttog oavlåtligt honom som hängde däruppe och dog, följde hans

dödskamp ända från dess början till dess slut. Hans namn var Barabbas.158

ZT 1:

Alle wissen, wie die damals am Kreuze hingen und wer um ihn herum

versammelt stand: Maria, seine Mutter, und Maria von Magdala, Veronika

und Simon von Kyrene, der das Kreuz getragen hatte, und Joseph von

Arimathia – der, der ihn in Linnen hüllte. Aber etwas weiter entfernt den

Abhang hinab, ein wenig abseits, stand ein Mann und beobachtete

unablässig ihn, der da oben hing und starb, verfolgte seinen Todeskampf

vom Anfang bis zum Ende. Sein Name war Barabbas.159

Es geht aus dem Zitat deutlich hervor, dass Edzard Schaper ein fundiertes Wissen der

Geschehnisse in der Bibel besaß, da sich viele der Namen und Orte im Deutschen

geringfügig ändern. Ein weiteres Indiz für seine religiösen Kenntnisse zeigt die

Tatsache, dass er die Worte „som bar korset“ mit „der das Kreuz getragen hatte“

übersetzt.

Der schwedische Reflexivsatz hätte auch bedeuten können, dass beide, sowohl

Veronika als auch Simon von Kyrene, das Kreuz getragen hatten, da das

Reflexivpronomen „som“ sowohl männlich, als auch weiblich, singulär als auch plural

sein kann. Dieses Beispiel zeigt evident, wie wichtig die Bedeutung des Kontexts, in

diesem Fall das Allgemeinwissen über die Bibel, für den Übersetzer ist.160

158 Lagerkvist, 1975, S. 5 159 Lagerkvist, 1990, S. 87 160 Vgl. Koller, 1972, S. 139

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Im nächsten Zitat werden weiter die Stunden am Hügel Golgatha, welche die meisten

Christen kennen, geschildert:

AT 2:

Men plötsligt mörknade det ver hela backen som om solen mist sitt sken,

det blev nästan nermörkt, och uppe i mörkret ropade den korsfäste med

hög röst: “Gud, min Gud, varför har du övergivit mig!“ Det lät hemskt. Vad

kunde han mena med det? Och varför blev det mörkt? Det var ju mitt på

ljusa dagen. Det var alldeles obegripligt. De tre korsen skymtade bara

otydligt däruppe, det såg kusligt ut.161

ZT 2:

Plötzlich aber brach eine Finsternis um den Hügel herein, als habe die

Sonne ihren Schein verloren, es wurde beinahe pechfinster, und in dieser

Finsternis droben rief der Gekreuzigte mit lauter Stimme: „Mein Gott, mein

Gott, warum hast du mich verlassen!“ Das klang entsetzlich. Was wollte er

damit sagen? Und warum wurde es dunkel? Es war ja doch mitten am

hellichten Tag! Das war ganz unbegreiflich. Die drei Kreuze da oben waren

nur ganz undeutlich zu ahnen, unheimlich sah das aus.162

Da die ähnliche Passage in der Bibel geschildert wird,163 hält sich Schaper an diese und

übersetzt „med hög röst“ mit „mit lauter Stimme“, so wie es auch in der

deutschsprachigen Bibel nachzulesen ist. Würde man den Text auf Schwedisch zum

ersten Mal lesen, ohne je zuvor von diesen Geschehnissen gehört zu haben, ginge man

wahrscheinlich davon aus, dass mit „med hög röst“ eher eine Stimme in hoher Tonlage

gemeint ist, also die deutsche Übersetzung „mit hoher Stimme“.

161 Lagerkvist, 1975, S. 9 162 Lagerkvist, 1990, S.95 163 Vgl. Bibel, Das Evangelium nach Matthäus, 27:46

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Als weiteren Beweis für die sprachliche Eigenart Lagerkvists, die Schaper so elegant ins

Deutsche fließen lässt, dient folgendes Zitat:

AT 3:

Ingen kan som sagt veta vad av detta är sant. Men vad man med

bestämdhet vet är att han ett stycke upp i femtiårsåldern kom som slav till

den romerske ståthållarens hus i Paphos efter att ha tillbringat några år i de

cypriska koppargruvorna som lydde dennes förvaltning. Varför han gripits

och dömts till gruvorna, till det mest fruktansvärda straff som kan tänkas, är

inte känt. Men märkligare än att något sådant kunnat hända honom är att

han efter att ha varit nedstigen till detta helvete hade kunnat få återvända

till livet igen, om också fortfarande som slav.164

ZT 3:

Niemand kann, wie gesagt, wissen, was von allem dem wahr ist. Doch was

man mit Sicherheit weiß, das ist, daß er im Alter von fünfzig und etlichen

Jahren als Sklave in das Haus des römischen Statthalters in Paphos kam,

nachdem er einige Jahre in den zyprischen Kupfergruben zugebracht hatte,

die unter dessen Verwaltung standen. Warum er gefangen und zur Arbeit in

den Gruben verurteilt worden war, der furchtbarsten Strafe, die man sich

vorstellen kann, ist nicht bekannt. Merkwürdiger aber, als daß ihm so etwas

hatte widerfahren können, ist wohl, daß er, nachdem er in diese Hölle

hinuntergestiegen war, wieder vermocht hatte, ins Leben zurückzukehren,

wenn auch weiterhin als Sklave.165

Bemerkenswert ist die Übersetzung von „ett stycke upp i femtiårsåldern“ mit „im Alter

von fünfzig und etlichen Jahren“, da dies ein bezeichnendes Beispiel für Transposition

ist. Schaper erfasste die Bedeutung des Satzes genau und transportierte diese ins

Deutsche, obwohl er andere Wörter benutzt.

164 Lagerkvist, 1975, S. 76 165 Lagerkvist, 1990, S. 190

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Auf Deutsch würde der Satz wörtlich übersetzt „ein Stück hinein in das

*Fünfzigjahrsalter“ lauten, was kein korrektes Deutsch ist. Schapers Wortwahl trifft die

Bedeutung genau (Barabbas ist über 50 Jahre, aber es ist nicht genau definiert wie alt)

und trägt zu flüssigem Lesen des Textes bei.

Der nächste Passus enthält deutliche Spuren von Lagerkvists kritischer Haltung dem

christlichen Glauben gegenüber, da Barabbas einem Mann, den Jesus Christus von den

Toten erweckt hatte, gesteht, dass er nicht glaubt, dass Jesus Gottes Sohn ist:

AT 4:

Mannen tog inte illa upp utan nickade bara och sade: - Nej, det finns det

flera som inte gör. Hans mor, som var här igår, hon tror det inte heller. Men

mig har han ju uppväckt från de döda för att jag skall vittna om honom.

Barabbas sade att då förstod man ju väl att han måste tro på honom.166

ZT 4:

Der Mann nahm das nicht übel auf, sondern nickte nur und sagte: Nein, es

gibt noch mehr, die das nicht tun. Aber mich hat er ja von den Toten

auerweckt, damit ich von ihm zeuge. Barabbas sagte, dann verstehe man ja

gut, daß er an ihn glauben müsse.167

In der Originalversion meint der Auferweckte zu Barabbas Aussage, es gäbe mehrere,

die es nicht glauben, z. B. Jesus‘ Mutter. Schaper ließ den Satz: „Hans mor, som var här

igår, hon tror det inte heller“168 aus der Übersetzung komplett weg, was laut Wilss die

Grundsätze der Übersetzung grob verletzt: „In einer Übersetzung darf gegenüber dem

Original niemals etwas hinzugefügt oder weggelassen werden.“169

166 Lagerkvist, 1975, S. 46-47 167 Lagerkvist, 1990, S. 149 168 Lagerkvist, 1975, S. 46 169 Wilss, 1977, S. 156

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Es ist davon auszugehen, dass Schapers kürzlich zuvor vollzogene Konvertierung zum

Katholizismus, wo die Mutter Gottes einen hohen Stellenwert besitzt, als Grund für

diesen Verstoß auszumachen ist.170 Die Aufdeckung dieses Weglassens durch Johannes

Iwer Langfeldt war schlussendlich der Anstoß für die Beendung des Übersetzer-Autor

Verhältnisses zwischen Schaper und Lagerkvist.

Die folgenden Sätze geben ein raffiniertes Zusammenspiel von Wörtern wieder. Der

weltliche Herrscher wird mit dem himmlischen Herrscher verglichen:

AT 5:

Den gamle ristade bekymrat på sitt vita huvud när han hörde det. Och han

frågade Barabbas hur han kunde tro att det var de som anlade branden. Det

var ju caesar själv som lät göra det, vildjuret själv, och det var honom

Barabbas hade hjälpt. – Det var denna världens härskare som du hjälpte,

sade han, honom som det står på din slavbricka att du tillhör, inte den

Herre vars namn är överkorsat på den. Du tjänade utan att veta det din rätta

herre. – Vår Herre är Kärleken, tillade han stilla.171

ZT 5:

Der Alte schüttelte bekümmert seinen weißen Kopf, als er das hörte. Und er

fragte Barabbas, wie er denn habe glauben können, daß sie es seien, die das

Feuer angelegt hätten. Es sei ja der Cäsar selbst, der das habe tun lassen, das

Ungeheuer selber-, und er sei es, dem Barabbas geholfen habe. Der Fürst

dieser Welt ist es, dem du geholfen hast, sagte er, er, dem du gehörst, wie

auf deiner Sklavenmarke steht, und nicht dem Herrn, dessen Name darauf

mit einem Kreuz durchgestrichen ist. Du hast, ohne es zu wissen, deinem

rechten Herrn gedient. – Unser Herr ist die Liebe, fügte er leise hinzu.172

170 Vgl. Langheiter-Tutschek, 2003, S. 120 171 Lagerkvist, 1975, S. 127 172 Lagerkvist, 1990, S. 266

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Eine besondere Bedeutung liegt bei Lagerkvist in der Symbolik, dass der Name Gottes

auf der Sklavenmarke von den Römern „överkorsat“ (überkreuzt) anstatt

„överstreckat“ (durchgestrichen) wurde. Da das Kreuz in der christlichen Religion eine

große Rolle spielt, ist es besonders in diesem Roman, wo der Protagonist dem Kreuze

entgeht, wichtig, diesen Symbolismus nicht zu verlieren. Schaper löste dies, indem er

„mit einem Kreuz durchgestrichen“ schreibt.

Die letzten Zeilen des Romans Barabbas reflektieren den Verlauf des gesamten

Werkes:

AT 6:

Bara Barabbas hängde ensam kvar, ännu vid liv. När han kände döden

komma, den som han alltid hade varit så rädd för, sade han ut i mörkret,

som om han talade till det: - Till dig överlämnar jag min själ. Och sedan gav

han upp andan.173

ZT 6:

Nur Barabbas hing da noch allein, immer noch am Leben. Als er den Tod

nahen spürte, den Tod, vor dem er immer so große Angst gehabt hatte,

sagte er in das Dunkel hinein, als spreche er zu ihm: Dir befehle ich meine

Seele an! Und dann gab er den Geist auf.174

Barabbas hängt letztendlich alleine am Kreuz, so wie er sein Leben alleine gelebt hatte.

Interessant ist hierbei das Faktum, dass „zu ihm“ auf Deutsch sowohl sachlich als auch

männlich sein kann. Der Leser könnte die Auffassung haben, dass Barabbas diese

Worte zu Gott und nicht zur Dunkelheit sagt. Typischerweise gibt man Gott seine

Seele, in diesem Fall wird nur festgehalten, dass Barabbas zur Dunkelheit spricht und

ihr seine Seele anvertraut.

173 Lagerkvist, 1975, S. 129 174 Lagerkvist, 1990, S. 269

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Aufmerksamkeit erweckt das Hinzufügen eines Rufzeichens von Schaper am Ende des

Satzes: „Dir befehle ich meine Seele an!“ Dies ist eine stilistische Abweichung vom

Original, was den Sachverhalt dreht, da beim Lesen der schwedischen Version eher die

Ansicht entsteht, Barabbas würde dies erschöpft und aufgegeben sagen, nicht mit jener

Kraft, die durch ein Rufzeichen erzeugt wird.

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6 Frans Eemil Sillanpää

6.1 Über den Autor

Frans Eemil Sillanpää wurde am 16. September 1888 im südwestfinnischen Dorf

Hämeenkyrö geboren. Hämeenkyrö liegt zwischen den ehemaligen Verwaltungs-

gebieten Häme und Satakunta und zeigte schon immer besondere Merkmale der

Vielfältigkeit auf. Hier lebten große Gutsherren fast Seite an Seite mit armen Kätnern.

In dieser Umgebung kam Sillanpää als Sohn eines solchen auf die Welt und diese

Eindrücke, sowohl von den Menschen, als auch von den vorherrschenden

Verhältnissen, tauchen in Sillanpääs Romanen immer wieder auf. Seine Eltern

verschafften sich durch das Betreiben einer Handelsbude ein Zusatzeinkommen und

so war es möglich, dass der begabte Junge nach Tampere kam, um dort Schulen zu

besuchen.

Im Laufe der Zeit fand Sillanpää Anstellungen als Hauslehrer, verdiente das

notwendige Geld für den Schulbesuch selbst und konnte sein Abitur im Jahr 1908

machen sowie ein Studium der Naturwissenschaften an der Universität Helsinki

beginnen. Während des Studiums häuften sich erste Anzeichen einer psychischen

Labilität, welche den jungen Studenten zum Abbruch des Studiums zwangen und ihn

sein Leben lang begleiten würden. Zum Elternhaus zurückgekehrt begann Sillanpää zu

schreiben.

Im Jahr 1915 erschien seine erste Novelle Kodin helmasta (Aus dem Schoß des Heims)

und er lernte seine zukünftige Frau Sigrid Salomäki kennen, die er ein Jahr später 1916

heiratete. Die Ehe verlief glücklich und sie bekamen acht Kinder, bevor Sigrid 1939

starb. Im Heiratsjahr 1916 erschien auch Sillanpääs erster Roman Elämä ja aurinko

(Sonne des Lebens (1951) – siehe Kapitel 6.2), der bis heute zu den bekanntesten

Werken seines Schaffens zählt. Der finnische Bürgerkrieg, welcher im Jahr 1918 nach

dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwischen den „Roten“ und bürgerlichen „Weißen“

ausbrach, hinterließ tiefe Spuren im Leben Sillanpääs.175

175 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff.

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Während seines Universitätsstudiums zeigte Sillanpää, wie auch Pär Lagerkvist (vgl.

Kapitel 5.2), großes Interesse für Charles Darwins Entwicklungslehre und konnte nicht

verstehen, dass die Menschen derart respektlos und fahrlässig mit wertvollen

Menschenleben umgingen. Der Bürgerkrieg ist auch eines der zentralen Themen im

Roman Hurskas kurjuus (Das Fromme Elend (1948) – siehe Kapitel 6.3) welcher 1919

erschien. Frans Eemil Sillanpää konnte nicht geschickt mit Geld umgehen und teils

deshalb, teils wegen unterschiedlichen Arbeitsaufgaben, lebte die Familie an vielen

verschiedenen Orten in Finnland.176 Wie bewegt sein Leben war, zeigt folgendes

Beispiel von Edzard Schaper:

(…) daß eines Nachts, Anfang Dezember 1939, während eines wütenden

Schneesturms ein Mann um die Fünfzig herum mit vielen Kindern an der

Hand die finnisch-schwedische Grenze in Tornio überschritten und sich

und seine Kleinen im Warteraum des Zollamtes mit heißem Kaffee und Brot

gestärkt haben soll, ohne die Zeche bezahlen zu können. Er mußte sich

schon beim Bestellen die Gunst ausbitten, seine Schuld erst auf dem

Rückweg nach etlichen Wochen bezahlen zu dürfen, wenn er nach

Stockholm gefahren war und sich – den Nobelpreis abgeholt hatte. Der

kinderreiche Schuldner jener Winternacht war Frans Eemil Sillanpää, der

finnische Dichter.177

1939 wurde Sillanpää der Nobelpreis für Literatur verliehen. Der Zweite Weltkrieg

wütete, Finnland war durch den Krieg mit der Sowietunion arm und geschädigt, und

daher widmete Sillanpää diesen Preis seinem Land und seinem Volk. Es war ein sehr

kontroverser Nobelpreis, da es das erste Mal war, dass die Entscheidung nur anhand

von Übersetzungen beurteilt und getroffen wurde – niemand im Komitee der

Schwedischen Akademie, die über den Preisträger entscheidet, war der finnischen

Sprache mächtig.

176 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff. 177 Schaper, 1956a, S. 5

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Es war auch politisch eine sehr heikle Entscheidung, da man in der Akademie Angst

hatte, mit einem finnischsprachigen Literatur-Nobelpreisträger die Stellung der

schwedischen Sprache in Finnland zu schwächen. Aufgrund des Weltkrieges war es

zudem unsicher, ob dieser Preis die Russen oder Deutschen erzürnen würde.

Schlussendlich erhielt Sillanpää seinen Preis im Rahmen einer formlosen Zeremonie

und die Verleihung des Nobelpreises wurde wegen des Zweiten Weltkrieges erst 1944

wieder verliehen.178 Sillanpää verblieb damals fünf Jahre lang als letzter

Nobelpreisträger und ist bis heute der einzige finnische Nobelpreisträger für

Literatur.179

Die früheren psychischen Probleme Sillanpääs kamen erneut zum Vorschein,

einerseits aufgrund des Todes seiner Frau sowie der rasch gefolgten Eheschließung mit

seiner Sekretärin Anna von Hertzen und andererseits wegen der Erwartungen, die auf

dem frischgebackenen Nobelpreisträger lasteten: „Einen Mann, dessen Weltruf in

einem Augenblick großer, geschichtlicher Entscheidungen geboren wurde, betrachtet

man anders, als jemanden, dessen Lorbeeren in langen, gleichmütigen Jahren

wachsen.“180

Es gelang ihm nicht, an seine früheren Erfolge anzuknüpfen und seine nach 1939

entstandenen Werke blieben im Ausland weitgehend unbekannt. Große Popularität

genoss er als „Taata“, als Großvater der Nation im Radio, wo er seine eigenen Werke

vortrug, aber vor allem durch das Lesen der Weihnachtspredigt, die von 1945 bis 1963

in vielen finnischen Familien ein traditioneller Bestandteil des Heiligen Abends war.

Am 3. Juni 1964 starb Frans Eemil Sillanpää in Helsinki und kehrte in seine

Heimatgegend zurück, indem er am Friedhof von Hämeenkyrö begraben wurde.181

178 Vgl. Rajala, 1993, S. 194 ff. 179 Vgl. Nobelpreisträger, 2012 (Sonstige) 180 Schaper, 1951, S. 38 181 Vgl. Koskela, 1990, S. 376 ff. und Lassila, 1996, S. 134 und Kupiainen, 1971, S. 162 ff.

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6.2 Elämä ja aurinko / Die Sonne des Lebens

Das von Frans Eemil Sillanpää verfasste Werk Elämä ja aurinko (wörtl. Das Leben und

die Sonne) erschien 1916 und wurde von Edzard Schaper unter dem Titel Sonne des

Lebens 1951 ins Deutsche übersetzt. In diesem Roman, welcher explizit auf Wunsch des

Autors sui generis veröffentlicht wurde, obwohl das Werk deutliche Merkmale eines

Romans aufweist, folgt Sillanpää dem Leben drei junger Menschen, Lyyli, Olga und

Elias, vom Frühling bis in den Herbst eines Jahres. Im Vordergrund steht die

menschliche Entwicklung, die diese Jugendlichen im Laufe des Sommers durch

Sehnsucht, Liebe und Enttäuschung durchlaufen. Der 30-jährige Student Elias kehrt

aus der Stadt, in der er die Universität besucht, zurück zu seiner Mutter, um in seinem

Heimatdorf den Sommer zu verbringen. Auf Elias hatte die 19-jährige Lyyli gewartet.

Nachdem sie einander gegenüber im vergangenen Sommer Gefühle gezeigt hatten,

malte sie sich in ihren Träumen ein Idealbild von Elias aus. Nachdem sich Lyyli Elias

jedoch in der Mittsommernacht hingegeben hatte, bricht dieser den Kontakt für

Wochen ab. Teilweise Schuld an diesem Bruch trägt Olga, die 25-jährige Tochter der

neuen Vermieter des Elternhauses von Elias, die kurz vor der Hochzeit mit dem

älteren und gelehrten Rechtsanwalt Erik Brunius steht und davor noch einmal die

Gesellschaft eines jungen Studenten, in diesem Fall Elias, genießen will. Der Roman

endet im Herbst – Lyyli lehnt Elias‘ Heiratsantrag ab, Olga heiratet Brunius wie geplant

und Elias kehrt zurück in die Stadt zu seinem Studium.

Elämä ja aurinko wird wegen der Spannungen zwischen den Protagonisten oft als

Schilderung eines Triangeldramas beschrieben. Die wirklichen Hauptrollen in diesem

Werk spielen dennoch die lyrische Sprache des Erzählers, der die Geschehnisse meist

auktorial schildert, zeitweise sogar die Perspektive eines Insektes einnimmt, und die

finnische hochsommerliche Natur.

Zur Zeit seiner Erscheinung erhielt der Roman gemischte Kritiken, viele lobten die

Sprache und die Handlung, andere hingegen lehnten das Werk strikt ab – v. a. wegen

seiner Unsittlichkeit.

Die ersten Zeilen des Werkes Elämä ja aurinko sind richtungsweisend für den

gesamten Stil, v. a. für die Wortwahl und Milieuschilderungen des Romans:

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AT 1:

Prologi. Kotiutunut. [Überschrift] Poika tulee kotipaikalleen juuri sinä

aikana, jolloin laakson rinteelle on ehtinyt aivan nuori suvi. Suvea on

ikäänkuin siroteltu kaikkialle, sitä on puissa, on maassa on taivaan laessa.

Poika näkee kaukaa tieltä, että porstuanoven puolisko on auki, ja se seikka

määrää koko harmaan rakennuksen sävyn, eikä hän enää lähestyessään sitä

katselekaan.182

ZT 1:

Der Heimkehrer [Überschrift]. Der Sohn kehrt gerade um die Zeit in seine

Heimatgegend zurück, da der wiedererwachte Sommer bei den Talhängen

angelangt ist. Über allem liegt ein Anflug von Sommer: über den Bäumen,

über den Feldern, über dem ganzen Himmelsgewölbe. Schon von weitem

wird der Sohn gewahr, daß ein Flügel der Haustür offensteht, und das prägt

die ganze Stimmung, die über dem grauen Hause liegt, obwohl er beim

Näherkommen gar nicht mehr darauf achtgibt.183

Schaper ließ den Übertitel des ersten Kapitels weg und verschweigt somit den

deutschsprachigen Lesen, dass es sich bei diesem Stück um den Prolog handelt. Die

schon erwähnte Passage „da der wiedererwachte Sommer bei den Talhängen angelangt

ist“ erweckt Verwunderung, da es in der finnischen Version „aivan nuori suvi“ (wörtl.

der ganz junge Sommer) ist, der an den Talhängen angelangt. Dies ist einem

Übersetzungsfehler gleichzustellen, da das Adjektiv „wiedererwacht“ etwas Altes,

Wiederkehrendes beschreibt und im Finnischen explizit auf das neue Dasein des

Sommers aufmerksam gemacht wird. Eine treffendere Formulierung wäre sicherlich

„eben erwachte“.

Interessant ist, dass Schaper „poika“ mit „der Sohn“ übersetzt. Im Finnischen bedeutet

das Wort sowohl Sohn als auch Junge. Da in diesem Fall Elias, wie aus dem Kotext

hervorgeht, auf dem Weg zu seiner Mutter ist, stellt die Wortwahl „Sohn“ eine 182 Sillanpää, 1948, S. 7 183 Sillanpää, 1951, S. 5

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vertretbare Übersetzung dar. „Der Junge“ würde an dieser Stelle ebenso funktionieren,

da später in dem Roman beschrieben wird, dass Elias erst nachdem er die Nacht mit

Lyyli verbracht hatte, ein Mann ist.

Bereits im ersten Kapitel kann festgestellt werden, dass Schaper hier mehrere Zeilen

unübersetzt lässt und so sieben Seiten des Originals auf eine halbe Seite in der

deutschen Version komprimiert:

AT 2:

Niinkuin hänen sisäinen ihmisensä olisi sanonut itselleen: »tässä minä nyt

istun», ja sillä tulkinnut ja selittänyt koko olemisen arvoituksen. Tällaisena

lyhenä hetkenä tuntui siltä, kuin olisi yksin olemassa ihmisenä, mutta se

tunne ei kauhista eikä riemastuta, siihen ei liity surun eikä ilon vivahdusta.

(…) Ravistakoon suosiollinen lukija mielestään kaikki, mitä tähän asti on

kerrottu, aivan kuin rakastavainen havahtuu tuijotuksestaan ja huomaa

armaansa jälleen. Nyt on kesä, Malkamäen vanhanemännän poika Elias on

tullut kotiin; ja siihen seikkaan on kätkettynä erään kesäisen kertomuksen

alku; sellaisen kertomuksen, joka kaikkine tummine sointuineenkin

myöhemmin saa ympärilleen runouden hohteen; se on kätkettynä kuin

linnun pesä kukkivaan pensaikkoon. (…) Oli kevään kuu. Jokin näkymätön

painavuus yhä keveni, nousi ylös ja haihtui maan ilmapiiristä pois. (…)

Hänen läheisin ystävänsä oli »Herttua», ja kolmas, sen huoneen asukas,

jossa he nyt kaikki istuivat, oli »Rikas-mies»». (…) Keinutuoli soutaa yhä ja

hyräily pyrkii usein korkeimpaan diskanttiin.184

ZT 2:

Als hätte sein Innerstes sich selber gesagt: Hier sitze ich nun! und [sic!]

damit das ganze Rätsel des Daseins erklärt und gedeutet. Jetzt ist es

Sommer. Der Sohn der Altwirtin auf dem Malkamäki-Hof, Elias, ist

heimgekehrt, und damit ist der Anfang eines Sommermärchens verknüpft, -

184 Sillanpää, 1948, S. 9-16

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eines Märchens, das trotz allen seinen dunklen Untertönen zuletzt doch

von einem Glanz des poetischen übergossen wird. Wie ein Vogelnest

verbirgt dieses Märchen sich unter den blühenden Büschen. (…) Immer

noch schaukelt der Schaukelstuhl, und die Töne steigen häufig in den

höchsten Diskant hinauf.185

Es ist einem Übersetzer nicht erlaubt, eigenmächtig Textpassagen wegzulassen,

jedenfalls nicht ohne in einer Fußnote darauf aufmerksam zu machen. Das nicht

Berücksichtigen eines einzigen Satzes kann dazu führen, dass der

Übersetzungsauftrag, wie es bereits im Zuge der Zusammenarbeit zwischen Schaper

und Lagerqvist geschehen ist (siehe Kapitel 4.1), gekündigt wird. Besonders für

Sillanpää ist ein philosophischer, ausschweifender Schreibstil typisch. Diese Merkmale

gestalten das Übersetzen komplizierter, jedoch ist Schapers Verhaltensweise in

keinster Weise vertretbar, da damit nicht nur der Zieltext verfälscht und der Stil des

Originals, sondern auch wichtige Informationen vorenthalten werden.

Dem Leser der deutschsprachigen Version entgeht die Schilderung der Beziehung

zwischen Mutter und Sohn und vor allem wird dem deutschsprachigen Leser die

Bekanntschaft mit den Studienkommilitonen des Protagonisten Elias verweigert. Diese

zwei Studenten, im Finnischen „Herttua“ (der Herzog) und „Rikas-mies“ (Reicher

Mann) genannt, sind zwar keine Hauptpersonen des Romans, aber immer

wiederkehrende Nebendarsteller. Der sonnige sommerliche Nachmittag, den Elias mit

ihnen verbringt, gibt außerdem einen besonderen Einblick in das Leben des jungen

Studenten und beschreibt auch die Rolle des Sommers als Spalter und Trenner

normaler Freundschaften für eine gewisse Zeit.

Es kann kaum einen zulässigen Grund geben, der Schaper zu diesem Schritt

veranlasste. Eventuell beurteilte er den deutschsprachigen Leser als zu ungeduldig, um

sich durch Sillanpääs sehr geschmückte Sprache durchzukämpfen, oder seine eigenen

Finnisch-Kenntnisse waren zu gering, um die komplette Übersetzung zu meistern.

185 Sillanpää, 1951, S. 8

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In den von Schaper übersetzten Zeilen verbergen sich auch nicht nachvollziehbare

Unstimmigkeiten in Zusammenhang mit dem Ausgangstext. So übersetzt er „hyräily“

mit „Töne“, obwohl der korrekte deutsche Begriff „vor sich hinsummen“ lauten würde.

Der deutsche Begriff „Töne“ lässt einiges unklar, da nicht klar erkennbar ist, ob die

ansteigenden Töne vom Schaukelstuhl oder vom Mensch, der diesen durch sein

Wippen bewegt, stammen. Dadurch verändert sich auch die Stimmung, da man sich

bei jemandem, der vor sich hinsummt, einen entspannten Sommertag vorstellt.

Die folgende Textpassage fängt die Stimmung, die Sillanpää mit seiner lyrischen

Wortwahl kreiert, besonders gut ein:

AT 3:

Pihalla viipyi vielä jätteitä äskeisestä tunnelmasta, kun Lyyli asteli

saunatietä pirttiin päin. Mutta hänestä itsestään tuntui siltä, kuin hänen

äskeinen pihamaalla kokemansa mieliala olisi kuulunut viime talveen. Hän

silmäili harjulle päin metsän lapetta ja koetti kuvitella, miltä maa siellä

näyttäisi. Ilma oli koleahko, haavat olivat jo jääneet pimentoon. (…) Vallitsi

tavallinen arki-illan raukeus, jota kuitenkin leudonsi se, että syötiin ja

vihdottiin ilman valkeata.186

ZT 3:

Als Lyyli auf das Haus zuging, lag noch etwas von der früheren Stimmung

über dem Hof. Ihr selber aber kam es vor, als habe sie diese Stimmung

während des vergangenen Winters erlebt. Sie sah zum Waldrand auf der

Höhe hinüber und versuchte sich vorzustellen, wie es dort aussehe. Die Luft

war kühl, schon umspann die Espen der Schatten. (…) Es herrschte die

übliche Mattigkeit eines Werktagabends, nur dadurch gemildert, daß man,

ohne Licht zu machen, aß und badete.187

186 Sillanpää, 1948, S. 24-25 187 Sillanpää, 1951, S. 18-19

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Schaper gelingt es, die Stimmung dieses frühsommerlichen Abends wiederzugeben,

obwohl ihm einige stilistisch fragwürdige Entscheidungen unterliefen. Dass Schaper

„kuin (…) mieliala olisi kuulunut viime talveen“ mit „als habe sie diese Stimmung

während des vergangenen Winters erlebt“ übersetzt, ist nicht ganz nachvollziehbar, da

es auf Deutsch wörtlich „als hätte die Stimmung dem vergangenen Winter angehört“

heißt und auch ganz natürlich klingt. Da sich der Inhalt des Satzes nicht ändert, kann

durchaus von einer Frage des Geschmacks gesprochen werden, da in diesem Fall eine

wörtliche Übersetzung problemlos möglich gewesen wäre.

Schaper lässt bei der Übersetzung weg, dass sich Lyyli auf dem „saunatie“ (der Weg

von/zu der Sauna) befindet. Dies ist tragbar, da der Leser dem Kotext entnehmen

kann, dass Lyyli vorher in der Sauna war.

„Koleahko“ wird bei Schaper mit „kühl“ übersetzt, was die Bedeutung dieses Adjektivs

nicht exakt wiedergibt. Der Ableitungssuffix „-hko“ wird zwar als Mittel zur

Adjektivbildung aus Nomina definiert, jedoch ist er im gängigen Sprachgebrauch als

Abstufung zu sehen, vergleichbar mit dem englischen „-ish“ (z. B. it was coldish), und

bedeutet, dass etwas in eine Richtung geht, aber dennoch nicht ganz so ist. Um

originalgetreu zu agieren, sollte daher „koleahko“ mit „eher kühl“ übersetzt werden.

Im selben Satz fällt auf, dass Schaper „haavat olivat jo jääneet pimentoon“ (wörtl. die

Espen sind schon in der Dunkelheit geblieben) mit „schon umspann die Espen der

Schatten“ übersetzt. Es ist eine überraschend lyrische Wortwahl, die ungleich der

sonstigen Beispiele in diesem Satz sogar die Sprache von Sillanpää toppt. Den

Gesamtstil des Werkes betrachtend ist diese Übersetzung passend. Dennoch wäre es

originalgetreuer, wenn Schaper die lyrischen Passagen dichterisch übersetzen würde

und bei den informativen Teilen Sillanpääs Stil beibehalten würde.

Schaper übersetzt „arki-illan raukeus“ mit „Mattigkeit eines Werktagabends“. Dies ist

rein wörtlich korrekt, hat aber einen bitteren Beigeschmack, da „raukeus“ im

Finnischen mehrere Bedeutungen hat: Es kann sowohl „Müdigkeit“ und „Schlaffheit“,

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als auch „Entspanntheit“ bedeuten. Ohne Zweifel handelt es sich hierbei um die

„Entspanntheit“, die man nach einem Saunaaufenthalt verspürt. Schaper scheint die

Betonung auf die Tatsache, dass es ein Werktagabend und man dadurch müde ist

legen zu wollen.

Ein spezifisches finnisches Wort, das in diesem Zitat vorkommt, ist „vihdottiin“ (es

wurde mit dem Birkenquast geschlagen), eine Tätigkeit, welche in der Sauna ausgeübt

wird. Schaper übersetzt diesen Ausdruck mit „badete“, was für den deutschen Leser

sicherlich mehr Sinn ergibt, da dieser wahrscheinlich nicht über den nötigen Kontext

verfügt, um das Konzept, mit Birkenquasten zu schlagen, zu verstehen.

Das folgende volkstümliche Lied singt der Knecht Taave, als er sich in seiner Liebe von

der schönen Olga verschmäht fühlt:

AT 4:

(Taaven laulu.) [kursiv im Original]

Malkamäessä tytär on pulska,

ja muorilla ainoo poika –

halituli-tei, sen silivili-vei –

ja muorilla ainoo poika.

Likka on lonkilta leviä,

mutta poian varsi on hoikka –

halituli-tei, sen silivili-vei –

ja poian varsi on hoikka.

Malkamäestä tytär lähti

ja kuljeskeli mettiin –

halituli-tei, sen silivili-vei –

ja kuljeskeli mettiin

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Kun tuli mettässä puskan taa

ni‘ ketoon kellistettiin. –

halituli-tei, sen silivili-vei –

ja ketoon kellistettiin.

Kelpaa joskus röökynälleki‘

renkipojan ranki –

halituli-tei, sen silivili-vei –

ja renkipojan ranki.188

ZT 4:

Der Malkamäki-Wirt eine Tochter hat

Und die Altwirtin einen stattlichen Sohn.

Holla, holladriho…

Und die Altwirtin einen stattlichen Sohn.

Der Bursche hat Hüften, die sind ja so schmal

Aber die Maid ist so mollig und breit

Holla, holladriho…

Aber die Maid ist so mollig und breit.

Sie erging sich spazieren im grünen Wald,

Und der stattliche Bursche erschien auch sehr bald.

Holla, holladriho…

Und der stattliche Bursche erschien auch sehr bald.

Und als sie mit ihm aus der Sichtweite war,

Da legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.

Holla, holladriho…

Da legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.189

188 Sillanpää, 1948, S. 130

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Diese Textpassage ist besonders faszinierend, da sie viele verschiedene Aspekte des

Übersetzens beinhaltet. Übersetzungen von Dichtungen sind besonders

herausfordernd, da der Übersetzer oft die Wahl zwischen Stil und Rhythmus einerseits

und dem Inhalt andererseits treffen muss. Im Idealfall kann der Übersetzer beiden treu

bleiben.190

Obwohl Schaper der Form dieses dichterischen Textes (Versmaß ABCB DECE FGCG

HICI – im finnischen Original zusätzlich JKCK), bis auf das Weglassen der letzten

Strophe, treu bleibt, komprimiert er viel Information, sodass den deutschsprachigen

Lesern einiges vorenthalten wird. Essentiell ist der Titel im Finnischen: „Taaves Lied“,

da sich erst später herausstellt, wer der Sänger des Liedes ist. Dies ist jedoch eine

unverzichtbare Information für das Verständnis des Liedes und der Situation.

Was den Inhalt des Textes betrifft, nimmt sich Schaper wieder große Freiheiten, wie

schon die erste Strophe des Liedes zeigt: „Malkamäessä tytär on pulska – ja muorilla

ainoo poika“ (wörtl. In Malkamäki [Hof] ist die Tochter wohlgerundet – und die

Altwirtin hat nur einen einzigen Sohn) übersetzt er mit „Der Malkamäki-Wirt eine

Tochter hat und die Altwirtin einen stattlichen Sohn“. Das Aussehen der Tochter wird

überhaupt nicht geschildert, der Sohn bekommt hingegen Attribute wie z. B.

Stattlichkeit zugeschrieben, die er im Originaltext nicht hat, genauso wie verschwiegen

wird, dass er der einzige Sohn der Altwirtin ist.

„Halituli-tei, sen silivili-vei“ hat an sich keine Bedeutung, sondern trägt Merkmale

einer typischen bedeutungslosen Füllung eines finnischen Volksliedes.191 Diese sich

wiederholende Zeile ist aufgrund des vorhandenen Endreimes (vgl. -tei mit -vei)

ausgesprochen melodisch. Schaper liefert bei der Übersetzung dieses Refrains einen

Beweis seiner dichterischen Seite: In seiner Wahl „Holla, holladriho“ bringt er durch

die Alliteration das Melodische zum Vorschein. Aufgrund der onomatopoetischen

189 Sillanpää, 1951, S. 142 190 Vgl. Klockars, 1996, S. 221 191 Anm.: Vgl. z. B. mit „Salivili hipput tupput tapput, äppyt tipput hiljalleen“ in Ievan polkka. (Online im Internet: URL: http://yle.fi/vintti/yle.fi/elavaarkisto/index4c66.html?s=s&g=8&ag=93&t=581&a=4973 [Stand 20.11.2012])

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Ähnlichkeit (Lautmalerei), hat sich Schaper an das in der schweizer Volksmusik häufig

vorkommende Jodeln angelehnt.

Obwohl der Inhalt lexikalisch weit vom Original entfernt ist, handelt es sich bei

Schapers Lösung im kulturellen Kontext betrachtet um eine vollkommen akzeptable

Übersetzung. Durch die Assoziation des deutschsprachigen Lesers mit Volksmusik,

wird der sinnlos erscheinenden Buchstabenaneinanderreihung eine Bedeutung

zugeschrieben und es lässt sich erkennen, dass es sich hierbei um ein gesungenes Lied

handelt.

Nicht akzeptabel ist Schapers Weglassen der Alliteration, die im finnischen Original

mehrfach vorkommt, z. B. bei „Likka on lonkilta leviä“ oder bei „ketoon kellistettiin“.

Dieses Stilmittel ist in der Volksdichtung häufig auffindbar und die inhaltlichen

Änderungen von Schaper wären vertretbar, hätte der zumindest die stilistische Form

der Alliteration übernommen. Dies ist jedoch nicht der Fall, sodass er weder den Stil

noch den Inhalt originalgetreu übersetzt.

Teilweise entlehnt Schaper die Wortwahl Sillanpääs und setzt es an anderen Stellen

ein. So heißt es z. B. in der zweiten Strophe im Finnischen „Likka on lonkilta leviä,

mutta poian varsi on hoikka“ (wörtl. Die Maid ist bei den Hüften breit, aber der Stamm

[Körper] des Burschen ist schlank), was Schaper mit folgenden Worten übersetzt: „Der

Bursche hat Hüften, die sind ja so schmal, aber die Maid ist so mollig und breit“.

Schaper gelingt es, dem Leser die Funktion des Satzes „er ist schlank – sie ist dick“ zu

vermitteln, obwohl er zu der ungewöhnlichen Lösung griff, die Unterschiede zwischen

den vorkommenden Personen gegensätzlich zur Ausdrucksweise des Autors zu

beschreiben.

In der vierten Strophe dreht Schaper in seiner Übersetzung die Rolle der Frau für den

deutschsprachigen Leser um. Auf Finnisch lautet sie „Kun tuli mettässä puskan taa ni‘

ketoon kellistettiin“ (wörtl. Als sie hinter die Büsche kam, so wurde sie auf die Wiese

gelegt), wo die Frau passiv ist und keinen aktiven Teil hat, während Schaper im

Deutschen die aktive Formulierung „Und als sie mit ihm aus der Sichtweite war, da

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legt sie sich hin, und sie wurden ein Paar.“ wählt. Möglicherweise schreibt Schaper von

der Frau als aktiver Part, da der Gebrauch von Passiva in der deutschen Sprache nicht

so üblich ist. Er tut den deutschsprachigen Lesern damit jedoch keinen Gefallen, da

sich dabei der Sachverhalt vollkommen dreht.

Unvertretbar ist die Entscheidung Schapers, die letzte Strophe komplett wegzulassen,

da hier die Ursache dieses hämischen Liedes erläutert wird, nämlich die Ablehnung

des Knechtes Taave durch Olga: „Kelpaa joskus röökynälleki‘ renkipojan ranki (...)“

(sinngem. manchmal ist auch der Körper des Knechtes gut genug für die

Mademoiselle192) Die Frustration über die Zurückweisung der feinen Dame lässt sich in

diesem spöttischen Lied, welches für die Ohren des Verlobten der Untreuen gedacht

ist, aus.

Die folgenden Zeilen beenden den ersten Roman Sillanpääs:

AT 5:

Jolloin yksi istui ruskeana ylhäällä kalliomännyn oksalla, toinen

punertavaan puettuna lähestyi kallion juurta halki violetin

kukkapälvekkeen, ja kauempana päivänsavun takana kutoi kolmas

kangastaan, ja hänen silmistään tuijotti liikkuviin loimiin perus-

inhimillinen ikuinen kaipaus ja murhe, seuranaan kimalaisen surina ja

seinäkellon väsähtänyt astunta.193

192 Anm.: „röökynä“ ist ein im Dialekt vorkommendes Lehnwort abgeleitet vom schwedischen „fröken“. Es wurde oft besonders am Land in einer etwas herabsetzenden Bedeutung benutzt, wenn von der oberen Schicht die Rede war. Im Deutschen würde das dem Französischen entnommene „Mademoiselle“ dieselbe Aufgabe erfüllen. 193 Sillanpää, 1948, S. 269

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ZT 5:

Damals saß einer von ihnen sonnengebräunt im Wipfel einer Kiefer neben

einem kleinen Felshang, und in irgend etwas Rotes gekleidet kam eine

andere über einen blühenden Feldstreifen mit violetten Blumen, und weiter

in der Ferne, hinter dem Sonnenglast, saß eine dritte bei ihrer Webarbeit,

und beim Summen der Hummeln und dem müden Ticken der Wanduhr

strahlte aus ihren Augen die ewige Sehnsucht und Trauer, die ein Grundzug

menschlichen Wesens ist.194

Die melancholische Stimmung des Zitates gleicht der im Winter, der zu Beginn des

Romans geschildert wurde. Es verleiht dem Text eine bestimmte Note, dass die

Protagonisten nicht mehr mit Namen genannt werden, sondern nur als „einer von

ihnen“. Einerseits sind dem Leser nun alle drei Hauptpersonen bekannt und müssen

daher nicht mehr näher beschrieben oder genannt werden, anderseits verleiht der

Ausdruck ein Gefühl von Abschied und Entfernung. Schaper gelingt es, dem

deutschsprachigen Leser dieses Gefühl zu vermitteln, indem er zur selben Methode

wie Sillanpää greift.

Die erste der zwei Unstimmigkeiten im Text stellt die Übersetzung von „lähestyi“

(näherte sich) mit der Übersetzung „kam“ dar. Da es einen entsprechenden, gängigen

deutschen Begriff gibt, ist es fraglich, wieso Schaper nicht auf diesen zurückgreift.

Die zweite bemerkenswerte Abweichung vom Original ist die Übersetzung von „hänen

silmistään tuijotti liikkuviin loimiin perus-inhimillinen ikuinen kaipaus ja murhe”

(wörtl. aus ihren Augen starrten die ewige Sehnsucht und Trauer, die Grundzüge des

menschlichen Wesens sind, auf die sich bewegenden Ketten) mit „strahlte aus ihren

Augen die ewige Sehnsucht und Trauer, die ein Grundzug menschlichen Wesens ist“.

Bei näherer Betrachtung dieses Unterschiedes, lässt sich feststellen, dass Sehnsucht

und Trauer im finnischen Original personifiziert werden und einen aktiven Part

erhalten. Die Gemütszustände starren förmlich aus dem Körper auf die Ketten. In der

194 Sillanpää, 1951, S. 267

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deutschen Übersetzung hingegen wird den Gefühlen kein Eigenleben eingehaucht,

sondern nur beschrieben, dass diese in den Augen des Menschen zu sehen sind und

ausgestrahlt werden. Um dem deutschsprachigen Leser den komplexen Sachverhalt zu

übermitteln, bedient sich Schaper der übersetzerischen Freiheit und beschreibt den

Inhalt des Satzes in gängigerem Deutsch.

Hierbei lässt Schaper außerdem aus, dass sie auf die Ketten starrt, was jedoch wichtig

ist für die Beschreibung des Milieus.

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6.3 Hurskas kurjuus / Das fromme Elend

Hurskas kurjuus, Sillanpääs zweites Werk, erschien 1919 und wurde 1948 von Schaper

mit dem wörtlichen Titel Das fromme Elend sowie 1956 als Sterben und Auferstehen

übersetzt. In diesem Roman wird dem leidigen Lebensweg des Juha Toivola aus

Hämeenkyrö gefolgt. Die Handlung spielt zur Zeit des finnischen Bürgerkrieges 1918,

wo Toivola ein Rückblick auf sein Leben, das 1857 begann, wirft.195 Sein Leben führt

von Schicksalsschlag zu Schicksalsschlag und die wenigen Lichtblicke, die in sein

düsteres Dasein dringen, sind oft nur von kurzer Dauer. Er wird als Sohn eines

trinksüchtigen Bauers und dessen Magd geboren und hat es somit wegen seiner

Herkunft von Anfang an schwieriger im Leben. Er selbst, später dem Alkohol auch

nicht abgeneigt, hat einen steinigen Weg vor sich, da sein Vater den Hof und Juha

dadurch sein Zuhause verliert. Er muss mit seiner Mutter viele weite Wege wandern

und u. a. bei einer Flößerei hart arbeiten. Durch verschiedene Schicksalsschläge

bekommt er als Knecht Arbeit auf einem Bauernhof. Hier heiratet er später die Magd,

die zum Zeitpunkt der Verlobung mit ihm schon von einem anderen Mann schwanger

ist, und bekommt später mit ihr Kinder, von denen die meisten sterben. Auch Juhas

Frau stirbt und er selbst wird schlussendlich als roter Kriegsverbrecher wegen Mord,

den er in Wahrheit nicht begangen hatte, erschossen.

Hurskas kurjuus wurde von der Kritik großteils positiv aufgenommen, teilweise weil

nach dem Bürgerkrieg das Bedürfnis nach jemandem, der nicht die Ansichten der

gespalteten Lager, sondern die des einheitlichen Finnlands und der Menschlichkeit

vertrat, groß war.196 In Hurskas kurjuus erkennt man den typischen Stil Sillanpääs, der

schon in Elämä ja aurinko ausgearbeitet war. Er schildert die Welt aus den Augen eines

dichterisch und literarisch begabten Naturwissenschaftlers, ohne über Gut und Böse

zu urteilen.

195 Anm.: Der finnische Bürgerkrieg fand in der ersten Hälfte des Jahres 1918 zwischen den „Weißen“ und den „Roten“ statt. 196 Vgl. Lassila, 1996, S. 135

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In den ersten Zeilen dieses Romans wird eine Eigenheit geschildert, die einen

durch das Werk begleitet: der Protagonist des Romans hat zwar einen

Taufnamen, hört aber auf viele Rufnamen:

AT 1:

Toivolan Jussi, Juha, Janne – kirkonkirjojen mukaan Johan Abraham

Benjaminpoika – oli vanha vastenmielisen näköinen äijänrahjus. Viimeisinä

vuosinaan hänellä oli laajahko kalju, jota niskassa ja korvilla reunusti joskus

maailmassa tasoitettu, lakin alta harittava hiuskiehkura. Kasvot olivat myös

ruskean rakkimaisen takkukarvan peitossa, vain suippokärkinen nenä oli

selvästi näkyvissä.197

ZT 1:

Toivola-Jussi, auch -Juha oder -Janne genannt, den Kirchenbüchern nach

Johan Abraham Benjaminsson, so hieß ein alter Mann von recht

abstoßendem Aussehen. In seinen letzten Lebensjahren hatte er einen

riesigen Kahlkopf, der im Nacken und um die Ohren herum von einem

unter der Mütze hervorquellenden Haarkranz umrahmt wurde, und Gott

mochte wissen, wann dieser Haarkranz das letzte Mal gestutzt worden war.

Auch aus seinem Gesicht sprossen braune, zottige Haare, wie bei einem

Hunde, und nur die spitze Nase war deutlich sichtbar.198

Es war Schapers bewusste, kluge Wahl, die Namen aus dem Finnischen direkt zu

übernehmen, da er dadurch die Authentizität der Erzählung wahrt. Es wäre auch mit

erheblichem Mehraufwand verbunden, nach entsprechenden Abkürzungen für Namen

in der deutschen Sprache fündig zu werden.

Was die Beschreibung der Kopfhaare angeht, lässt sich über zwei Entscheidungen

Schapers diskutieren. Er übersetzt „laajahko kalju“ (ziemlich große Glatze) mit

„riesigen Kahlkopf“ und es kann diskutiert werden, ob „Kahlkopf“ in der deutschen 197 Sillanpää, 1946, S. 7 198 Sillanpää, 1956, S. 11

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Sprache ein komplett haarloser Kopf oder nur Haarlosigkeit am Oberkopf bedeutet.

Jedenfalls ist die Übersetzung von „laajahko“ mit „riesig“ falsch. Auffälig ist zudem,

dass Schaper „hiuskiehkura“ mit „Haarkranz“ übersetzt, obwohl „kiehkura“ eher

„Haarsträhne“ oder „Haarlocke“ bedeutet.

Dies stellt einen groben sprachlichen Fehler dar, da es einen unterschiedlichen

Eindruck erweckt, ob jemand eine Haarsträhne oder einen Haarkranz trägt, ist jedoch

in Anbetracht des Kotextes nachvollziehbar, da geschildert wird wie die Haarlocke

bzw. der Haarkranz gestutzt worden ist. Da im Deutschen eine einzelne Locke kaum

gestutzt wird, ist Schapers Übersetzung mit dem Haarkranz nachvollziehbar.

Ferner lässt sich eine stilistische Bemerkung nicht vermeiden, da Schaper

„rakkimainen“ mit „wie von einem Hund“ übersetzt. „Rakki“ heißt auf Deutsch „Köter“

und steht für etwas Schmutziges und Verwahrlostes. Dem deutschsprachigen Leser

entgeht hier aufgrund Schapers Wortwahl eine zusätzliche feine Nuance, die betonen

soll, wie schrecklich und abstoßend Juha anzusehen ist, obwohl Sillanpääs generelle,

ausführliche Beschreibung Juhas Aussehens bereits ein Bild eines verwahrlosten

Mannes kreiert.

Der finnische Text im folgenden Zitat ist in einem ganz besonderen Dialekt

geschrieben, der Gegend Sillanpääs Herkunft (Satakunta) zuzuordnen:

AT 2:

Kyl mar sen tiät, etten mää viinaa myy, en rahall enk vellaaks. Mut sen

inträssin mää kyl annan lisät pääommaan. Se on siin kahden sada markan

vaiheil… Ja kyl maar mää sul viinaaki senpualest annan ilmatteks sen verran

ettäs joulun makkuun pääset. Onk sul mittää astiaa?199

199 Sillanpää, 1946, S. 42

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ZT 2:

»…Was das betrifft – du weißt doch, daß ich keinen Branntwein verkaufe,

weder gegen Bar, noch auf Kredit. Aber die Zinsen schlage ich zum Kapital.

Das macht so ungefähr zwei hundert Mark aus…«

»…Branntwein kann ich dir ja doch umsonst geben, so daß es ein bisschen

nach Weihnachten schmeckt. Hast du irgend etwas wohinein ich abfüllen

kann?«200

Im Deutschen ignoriert Schaper den Dialekt, wodurch dem Leser ein gewisser

Unterton der Geschichte entgeht, besonders dadurch, da nicht nur die

Dialektelemente nicht wiedergegeben werden, sondern dazu gehobenere Sprache

benutzt wird. „Kyl mar sen tiät“ (Gewiss weißt du) übersetzt Schaper mit „Was das

betrifft – du weißt doch“, was zu ausschweifend und korrekt für einen Bauern klingt.

Schaper entschloss sich vermutlich bewusst gegen die Übersetzung im Dialekt, da es,

historisch und geographisch bedingt, in den deutschen weit größere Unterschiede als

in den finnischen Dialekten gibt.

Es gibt kaum einen Dialekt, den ein Finne nicht mühelos verstehen würde, im

Gegensatz zu den Kommunikationsproblemen, die oftmals schon zwischen einem

Nord- und Süddeutschen auftreten. Schaper konnte sich wahrscheinlich auch nicht

entscheiden, welchen deutschen Dialekt er hätte wählen sollen, da es, abgesehen vom

Verständigungsproblem, eine weitere Inhaltsebene gibt, wenn Dialekt benutzt wird,

und zwar jene Eigenschaften, die dem Teil des Volkes, der diesen Dialekt spricht,

nachgesagt werden. Man hätte sich dennoch erwarten können, dass Schaper

zumindest auf das Sprachniveau des Sprechers achtet wenngleich sein Dialekt nicht

vermittelt werden kann.

In der folgenden Textpassage wird spezifisch geschildert, wie sich der Alltag eines

Kätners Ende des 19. Jahrhunderts gestaltete:

200 Sillanpää, 1956, S. 42

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AT 3:

Näin alkoi pariskunnan tölliläiselämä ja saavutti ennen pitkää kaikki

luonnolliset pikku piirteensä. (…) Noin neljän virstan päässä oli tänä talvena

hakkuupaikka ja siellä kävi Juha yhtä mittaa kolmatta kuukautta. Siellä hän

oli silloinkin kun Riina ypöyksin synnytti maailmaan ensimmäisen lapsensa,

pojan, jonka nimeksi sittemin pantiin Kalle Johannes.201

ZT 3:

So begann das Ehepaar sein Kätnerleben, und dieses Leben wurde im Laufe

kurzer Zeit von allen natürlichen kleinen Eigenheiten geprägt. (…) In jenem

Winter wurde ungefähr vier Werst von der Kate entfernt Wald abgeholzt,

und drei Monate der Reihe nach ging Juha dort zur Arbeit. Dort befand er

sich auch, als Riina mutterseelenallein ihr erstes Kind gebar, einen Jungen,

der später den Namen Kalle Johannes bekam.202

Die bemerkenswerte Besonderheit ist wieder einmal durch die grammatikalischen

Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Finnischen bedingt; „lapsensa“

bezeichnet im Zitat klar Riinas Kind, diese Tatsache wird in der deutschen

Übersetzung aber nicht gesondert hervorgehoben. „Ihr“ könnte in diesem Fall sowohl

Genitiv Plural als auch Genitiv Singular bedeuten. Interessant ist dies aufgrund des

Kotextes. Der Leser weiß, dass Riina schon zum Zeitpunkt der ersten gemeinsamen

Nacht mit Juha schwanger war, deshalb die subtile Betonung des Autors auf die

Tatsache, dass es ihr Kind ist (vgl. engl. her child).

Die nächsten Zeilen schildern den traurigen Herbst, der in Juhas Haus herrscht. Der

Tod kam oft auf Besuch und es gibt keine Glanzpunkte in seinem Leben:

201 Sillanpää, 1946, S. 126 202 Sillanpää, 1956, S. 118

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AT 4:

Ville on poissa ja äiti on poissa, kuuma suvi on poissa; on syksy – »tytky»,

kuten Martti sanoo Lempin perässä. On raukea hiljaisuus, monen monessa

pirtissä päivä liukuu säteettömänä aamusta iltaan. (…) – Eikös Juhalla ole

siellä kotona semmoinen ripillä käypä tyttö?203

ZT 4:

Ville ist nicht mehr da, und Mutter ist nicht mehr da, der heiße Sommer ist

vorüber, es ist Herbst – »Hest«, wie Martti der kleinen Lempi nachspricht.

Eine müde Stille liegt in der Luft, in unzähligen Hütten gleitet der Tag

glanzlos vom Morgen in den Abend (…)»Hat er nicht eine erwachsene

Tochter zu Hause?«204

Linguistisch gesehen ist es bemerkenswert, dass Schaper den von Sillanpää benutzten

Effekt der Wiederholung („Ville on poissa ja äiti on poissa, kuuma suvi on poissa“)

unbeachtet lässt, indem er die Übersetzung des Wegseins mit unterschiedlichen

Wörtern beschreibt („Ville ist nicht mehr da, und Mutter ist nicht mehr da, der

heiße Sommer ist vorüber“). Dem deutschsprachigen Leser entgeht hierdurch ein

feiner Zwischenton, der hervorheben soll, dass alles Gute und Schöne weg ist. Es ist

verwunderlich, aus welchen Beweggründen Schaper dem Original nicht treu geblieben

ist, da „der heiße Sommer ist nicht mehr da“ eine durchaus passable Übersetzung

darstellt.

Weiters liegen hier zwei Spezifika vor, auf die näher einzugehen ist, einerseits die

Übersetzung der Kindersprache und andererseits die von „ripillä käypä“ (sinngem. den

[protestantischen] Konfirmandenunterricht besuchend, wörtl. zur Beichte gehend), die

Schaper mit „erwachsen sein“ ins Deutsche übersetzt. Dem finnischen Original ist zu

entnehmen, dass Juhas Tochter den Konfirmandenunterricht besucht und daher kaum

203 Sillanpää, 1946, S. 169 204 Sillanpää, 1956, S. 158 ff.

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älter als 15 Jahre alt sein kann.205 Durch Schapers Übersetzung mit „erwachsen sein“

entsteht beim deutschsprachigen Leser der Eindruck, dass die Tochter älter sein

könnte und es stellt sich daher die Frage, ob diese Übersetzung akkurat genug ist.

Bedenkt man, dass man im 19. Jahrhundert, wo dieser Roman spielt, nach der

Konfirmation tatsächlich als ebenbürtiges Mitglied der Gemeinschaft betrachtet

wurde, ist Schapers Übersetzung vertretbar.

Eine eigenmächtige Entscheidung Schapers ist das Hinzufügen des Adjektivs „klein“ zu

Lempi („wie Martti der kleinen Lempi nachspricht“). Im Original findet sich dieses

Wort nicht wieder und die Beschreibung ist irreführend, da Martti der jüngere ist und

somit er als „klein“ bezeichnet werden kann. Eventuell war es Schapers Wunsch, die

Umstände zu betonen, dass fast alle anderen gestorben und die kleinen Kinder oft

alleine zu zweit waren. Daher lernt Martti ein „falsches“ Finnisch von Lempi, da sie

auch so klein ist, dass sie die Sprache noch nicht richtig aussprechen kann.

Die folgende Passage ist ein Beweis für Schapers Raffinesse als Übersetzer:

AT 5:

Joku tulee vaatimaan kuittia telefonistaan, jonka sotamiehet ovat vieneet.

Tämä on niin ärsyttävää, että komendantti ja tuomari tavan takaa

vahingossa puhuvat ruotsia, vaikka paikallispäällikkö on suomalainen.

Vankikysymys on kuitenkin pulmallisin. – Täytyy enstään ekspedieerat ne

kun tulee kuolemaan, sanoo tuomari. – O alla esikunta-huliganer kann man

ge brödkort utan vidare, sanoo komendantti.206

205 Anm.: Im 19. Jahrhundert war in Finnland das übliche Alter für die Konfirmation das 15. Lebensjahr (Online im Internet: URL: http://sakasti.evl.fi/sakasti.nsf/sp?open&cid=Content42A61A [Stand 14.01.2013]) 206 Sillanpää, 1946, S. 230

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ZT 5:

Jemand kommt und fordert eine Empfangsbestätigung für sein Telephon,

das die Soldaten ihm weggenommen haben. Das ist alles dermaßen

ärgerlich, daß der Kommandant und der Kriegsgerichts-Richter von Zeit zu

Zeit immer wieder einmal aus Versehen anfangen Schwedisch zu sprechen,

obschon der Ortschef Finne ist. Die Gefangenenfrage ist auf alle Fälle die

verzwickteste. »Erst muß man die vornehmen, die sterben müssen“, sagt

der Richter im fehlerhaftem Finnisch. »Und alle Stabsbanditen kann man

ohne weiteres die Brotkarte geben«, meint der Kommandant auf

schwedisch [sic!].207

Da es im Deutschen kaum ein Pendant zu dem, schon einmal in dieser Arbeit

erläuterten, Verhältnis zwischen Finnischen als Arbeitersprache und Schwedischen als

Sprache der Oberschicht gibt, löst Schaper das Translationsproblem, indem er die

Unterschiede im Sprachgebrauch beschreibt anstatt diese nachzuahmen. Den

Ausdruck „die Brotkarte geben“ musste Schaper hier nicht mehr erläutern, da er schon

in einem früheren Teil desselben Werkes in einer Fußnote erklärte: „Die Brotkarte

bekommen = erschossen werden“.208

Der zweite Roman Sillanpääs endet mit diesen philosophischen Überlegungen:

AT 6:

Mutta vaikka asiat vielä ovatkin karkealla kannalla, niin onhan päivässä

mittaa. Ja niin pitkällä joka tapauksessa ollaan, että useimmat yksilöt

kuolinhetkellään sen onnen vilaukselta kokevat; sehän juuri antaa öiselle

hautausmaalle semmoisen yhtenäisen tunnelman, kun me sen seikan

aavistamme. Ja kyllä se joskus, ihmiskunnan elinpäivän jatkuessa, vielä

leviää elävienkin valtakuntaan.209

207 Sillanpää, 1956, S. 215 208 Ebd. S. 204, Fußnote 209 Sillanpää, 1946, S. 237

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ZT 6:

Nun, es mag uns hingehen, daß wir in dieser Beziehung noch auf einem so

primitiven Standpunkt stehen; jeder Tag hat ja auch seine Länge. Und

soweit sind wir ja auf jeden Fall gekommen: die meisten Einzelwesen

erfahren dieses Glück für einen Augenblick in ihrer Todesstunde. Das ist es

auch, was dem nächtlichen Friedhof seine eigentliche Stimmung schenkt:

daß wir dies ahnen. Und bestimmt wird diese Erfahrung irgendwann einmal

im Lebenstag der Menschheit auch im Reiche der Lebendigen Einlaß

finden.210

Schaper hält sich hier sehr getreu an das Original, abgesehen von etwaigen

Abweichungen der Satzzeichen, bedingt durch die morphologischen Unterschiede

zwischen Deutsch und Finnisch. Im Vergleich der von Schaper übersetzten Werke

Hurskas kurjuus und Elämä ja aurinko ist festzuhalten, dass Hurskas kurjuus aufgrund

der höheren Originalgetreue der Übersetzung translationswissenschaftlich betrachtet

qualitativ über die Übersetzung von Elämä ja aurinko zu stellen ist.

210 Sillanpää, 1956, S. 221

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7 Sally Salminen

7.1 Über die Autorin

Sally Alina Ingeborg Salminen wurde am 25. April 1906 auf Åland auf der nordöstlichen

Insel Vårdö geboren. Sie war das achte Kind und ihre Eltern betrieben einen kleinen

Bauernhof. Insgesamt hatte Sally zwölf Geschwister, einige davon211 schlugen eine

literarische Laufbahn ein, was in Anbetracht der durchaus ärmlichen und nicht-

akademischen Herkunft äußerst bemerkenswert ist. Aufgrund der finanziell knappen

Situation der Familie, war es selbstverständlich, dass Salminen nach ihrer

Konfirmation zu arbeiten begann. Zuerst war sie in einem kleinen Laden angestellt,

ehe die große weite Welt lockte und sie 1924 nach Stockholm zog, um dort als

Hausgehilfin zu arbeiten.

Nach einer kurzfristigen Rückkehr auf Åland, erweiterte sich 1930 Sally Salminens

Horizont, als sie mit ihrer Schwester in die USA emigrierte. Offen für neue Eindrücke,

beschäftigte sie sich intensiv mit dem neuen Trend des Sozialismus und schrieb

Beiträge für Zeitungen. Ermutigt durch die journalistische Tätigkeit, nahm sie im Jahr

1936 an einem Literaturwettbewerb des finnlandschwedischen Verlages Schildt teil und

gewann mit ihrem Roman Katrina (1936), der im Jahr 1949 mit dem gleichen Titel ins

Deutsche übersetzt wurde, den ersten Preis. Als Folge dieses Preises und des

zunehmenden Ruhmes, zog Salminen im November 1936 wieder zurück nach

Finnland. 1940 heiratete sie den dänischen Maler und Journalist Johannes Dührkop,

mit dem sie von dem sich im Winterkrieg befindenden Finnland nach Dänemark zog.

Abgesehen von Katrina, ist Sally Salminen hauptsächlich wegen ihrer

autobiographischen Reiseschilderungen212 bekannt. Sie starb am 18. Juli 1976 in

Kopenhagen.213

211 Anm.: Uno Salminen (1905-1991), Aili Nordgren (1908-1995) und Runar Salminen (1912-1989) sind bekannte Namen in der finnischen Literatur, obwohl Sally Salminen die erfolgreichste blieb. 212 Anm.: Upptäcktsresan (1966), Min amerikanska saga (1968), Jerusalem (1970), I Israel (1971), I Danmark (1972), Världen öppnar sig (1974) 213 Vgl. Koskela, 1990, S. 356-358 und Zilliacus, 2000, S. 155 ff.

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93

7.2 Katrina

Der 1936 erschienene und 1949 von Edzard Schaper ins Deutsche übersetzte Roman

Katrina erzählt die Geschichte einer österbottnischen Bauerntochter, die ihr Leben

durch die Heirat mit einem Seemann auf der Insel Torsö auf Åland verbringen muss.

Das Werk ist eine realistische Schilderung des Alltags einer Seemannsfrau auf einer

Insel, die weitgehend von den landbesitzenden Seekapitänen beherrscht wird. Die

Frauen müssen für das knappe Essen hart arbeiten sowie den Haushalt mit Kindern

führen. Der Roman schildert den harten Alltag, lässt Hoffnung durchblicken und

handelt von einer starken Frau, die ihre Kinder und ihren Mann zutiefst liebt und

dafür viel opfert, ohne ihre Würde und ihren Stolz zu verlieren.214

Der Roman bahnte in der finnland-schwedischen Literatur einen Weg für

Entwicklungsromane in alltäglicher Umgebung mit einer weiblichen Protagonistin.215

Katrina verkaufte sich im ersten Jahr 53.000 Mal und überraschte vor allem jene

Kritiker, die dem Roman zwar literarischen Wert zugeschrieben hatten, jedoch

keinerlei unterhaltenden Werte abgewinnen konnten. Die Ursache für diesen Triumph

liegt in verschiedenen Aspekten: Da die Sprache des Romans Schwedisch ist, wurde

einerseits die höhere soziale Schicht angesprochen, die den Erwerb von Büchern als

ein Zeichen von Wohlstand ansahen. Anderseits fühlte sich von der realistischen

Alltagsschilderung auch die untere Schicht angesprochen. Medial erhielt das Werk

sehr viel Aufmerksamkeit, da die Geschichte von Sally Salminens Aufstieg, die in den

USA als Aushilfskraft begonnen hatte, bereits damals eine gewisse Faszination

ausübte.216

Die ersten Zeilen des Romans beschreiben die Protagonistin sowie die Umgebung aus

der sie stammt:

214 Vgl. Zilliacus, 2000, S. 155 ff. 215 Vgl. ebd. S. 160 216 Vgl. ebd. S. 171 ff.

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AT 1:

I Österbotten

Katrina var den äldsta av tre systrar, dotter till en bonde i norra

Österbotten. Hon var den vackraste, den gladaste och stoltaste av de tre

systrarna. Stark var hennes unga, högresta kropp och arbeitet gick som en

lek vare sig det gällde att hugga timmer i skogen, plöja och harva på åkern

eller spinna och väva i huset. Det var en vacker syn att se Katrina återvända

från skogen med sitt timmerlass en vintereftermiddag, när solen sjönk

bortom den snötäkta slätten.217

ZT 1:

Katrina war die älteste von drei Töchtern eines Bauern im nördlichen

Österbotten. Sie war die schönste, die fröhlichste und die stolzeste der drei

Schwestern. Stark war sie, jung, rank von Wuchs, und die Arbeit schien ihr

ein Spiel zu sein, ob es nun galt, Holz zu fällen im Walde, auf den Feldern

zu Pflügen und eggen oder daheim auf dem Hof zu spinnen und zu weben.

Es war eine Freude, Katrina zu sehen, wenn sie an einem Winternachmittag

mit einem Fuder Holz aus dem Walde heimkehrte und die Sonne hinter der

schneebedeckten Weite verschwand.218

Auffallend ist, dass Edzard Schaper für das Kapitel (im Schwedischen „I Österbotten“)

keinen Namen überträgt. In der deutschen Version sind die Kapitel durchnummeriert,

weisen aber keine tatsächlichen Namen auf. In dieser Textpassage kommt zum

wiederholten Mal, wie bereits nachgewiesen wurde, zum Vorschein, wie nahe

verwandt Deutsch und Schwedisch sind, da die Textpassage fast eins-zu-eins übersetzt

wurde. Lediglich einzelne stilistische Unterschiede lassen sich feststellen. So z. B., dass

Schaper im Original dem Körper zugeschriebene Eigenschaften der ganzen Person

zuschreibt und die Adjektive unterschiedlich einsetzt.

217 Salminen, 1941, S. 6 218 Salminen, 1949, S. 5

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Den schwedischen Satz „Stark var hennes unga, högresta kropp“ (Stark war ihr junger,

hochgewachsener Körper) übersetzt Schaper mit „Stark war sie, jung, rank von

Wuchs“. Obwohl in diesem Beispiel die Semantik des Satzes grundlegend abgeändert

wurde, beeinflusst dieser Eingriff den Inhalt und die Botschaft jedoch kaum.

Das folgende Zitat beinhaltet den Abschied des ältesten Sohnes von Katrina, der wegen

der schlechten finanziellen Lage der Familie auf einem Schiff als Seemann anheuern

muss. Die ganze Familie begleitet ihn zum Hafen, um sich ordentlich verabschieden zu

können:

AT 2:

„‘Jö, mamma, ‘jö mamma“, sade Einar skyndsamt. „‘Jö Erik, ‘jö Gusta, ‘jö

mamma!“ Han sprang över landgången i detsamma som Johan hoppade

tillbaka på bryggan, och ögonblicket därpå drogs landgången in. Katrina såg

sin gosses bleka, förskrämda drag under den vita luggen, där han stod liten

och ensam, o så liten, i den orediga trängseln på fördäck medan båten lade

ut och svängde och tog bort barnet ur hennes åsyn.219

ZT 2:

Adjö, Mama, adjö, Mama, sagte Einar hastig,… ‘jö Erik,… ‘jö, Gusta;… ‘jö,

Mama! Er lief über den Landungssteg und im selben Augenblick sprang

Johan vom Schiff wieder auf die Brücke. Gleich darauf wurde der

Landungssteg eingeholt. Katrina sah das blasse, verstörte Gesicht ihres

Jungen mit seinem weißblondem Schopf; er stand da, klein und verlassen –

ach, so klein! – in dem Menschengewimmel auf dem Vorderdeck, während

das Schiff ablegte, eine Wendung vornahm und dann das Kind ihren Blicke

entführte.220

219 Salminen, 1941, S. 103 220 Salminen, 1949, S. 153

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Auffallend in diesen Zeilen ist Schapers Beibehaltung des Grußes auf Schwedisch. „‘Jö,

mamma“ übersetzt er mit „Adjö, Mama (…)“ was ganz korrekt ist, nachdem „‘Jö“ eine

Abkürzung für die schwedische Verabschiedung „adjö“ (Auf Wiedersehen) ist.

Durch die Übernahme als Zitatwort trägt Schaper entscheidend zur Wiedergabe der

Lokalkolorits sowie der Charaktere und der Situation bei. Die schwedische

Verabschiedung „adjö“ vermittelt in dieser Form die Gefühle des Jungen, der weit weg

muss und nicht so recht weiß, wie er seine Verlegenheit kaschieren soll. „Auf

Wiedersehen“ wäre auf einer kleinen Insel in ländlicher Gegend als Verabschiedung

zwischen Familienmitgliedern der unteren Schicht zu formell und gehoben.

Im Schwedischen wird die Betonung, mit der auf das Schicksal des kleinen Jungen

aufmerksam gemacht werden will, mit Wiederholungen geschaffen: „han stod liten

och ensam, o så liten“. Schaper betätigt sich ebenfalls dieses Stilmittels, wobei er den

Eindruck durch das Einsetzen anderer Satzzeichen verstärkt: „(….) klein und verlassen

– ach, so klein! – (…)“. Die Kleinheit des Jungen, die eventuell in der Betrachtung durch

die Mutter liegt, wird im Deutschen durch das Herauslösen aus dem Fließtext mit

Gedankenstrichen und die Betonung mittels Rufzeichen hervorgehoben. So wird der

Leser noch deutlicher auf sein Schicksal und das Empfinden der Mutter sensibilisiert.

Schapers Wortwahl ist immer wieder erstaunlich. Dass er das Schwedische „tog bort

barnet ur hennes åsyn“ (wörtl. nahm das Kind aus ihrer Sichtweite) mit dem

Deutschen „das Kind ihren Blicke entführte“ übersetzt, lässt auf dichterische Begabung

schließen. Das Wort „entführt“ passt ausgezeichnet zur Stimmung des Abschieds und

den Gefühlen der Mutter, sogar besser als Sally Salminens Wortwahl.

Katrinas Mann ist kränklich und weiß selbst, dass sein Ende naht. Mit diesen

Gedanken im Kopf verabschiedet er sich von seinem ältesten Sohn, als dieser wieder

auf die See fährt:

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AT 3:

(…) »Nä, men när du kommer tebaks ligger jag på körkgåln.»

»De ska du inte säja.»

»Jo, jo. De är inte farligt, Sanna-syster är där förut, Jag hoppas du får en bra

skuta när du blir kapten.»

»Tack. Ajö nu.»

»Ajö - - - kapten.»

JOHANS SISTA RESA [Versalien im Original]

Johans krafter avtogo hastigt.221

ZT 3:

Nein, aber wenn du zurückkommst, bin ich auf dem Friedhof.

So darfst du nicht sprechen.

Doch, doch, es ist ja auch nicht so schlimm. Sanna wartet dort schon auf

mich. Ich hoffe nur, daß du einmal ein gutes Schiff bekommst, wenn du

Kapitän geworden bist.

Danke. Nun adjö…

Adjö… Kapitän!

30

Mit Johans Kräften ging es schnell zu Ende.222

Schaper schreibt durchgehend in Hochdeutsch, obwohl z. B. „körkgåln“ eindeutig

Dialekt ist (vgl. schw. kyrkogården). Schaper pflegte nicht, wie sich in den anderen in

dieser Arbeit behandelten Werken schon herausstellte, Dialektelemente im deutschen

Text gesondert zu kennzeichnen. Dies ist bedauernswert, da sich ähnliche Elemente

finden ließen, die im gesamten deutschen Sprachraum verstanden werden würden und

dadurch die Authentizität des Originaltextes beibehalten werden würde.

221 Salminen, 1941, S. 194 222 Salminen, 1949, S. 291

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Schaper lässt in dieser Übersetzung weg, dass Johan in besonderer Form von seiner

verstorbenen Tochter spricht: „Sanna-syster“ (wörtl. Sanna-Schwester) übersetzt er mit

„Sanna“. Wenn der Leser den gesamten Roman liest, verursacht dies keine Probleme.

Sollte er jedoch nur diese Passage zu Angesicht bekommen, ohne den notwendigen

Kotext zu kennen, wäre die Situation für ihn unklar. Der schwedischsprachige Leser

weiß dank dem Hinweis „syster“, der von Johan zu Einar geäußert wird, dass es sich

hierbei um ein Familienmitglied der beiden handelt. Zudem kommt in der zitierten

Textpassage abermals deutlich zum Vorschein, dass Schaper auf namentliche Nennung

der Kapitel verzichtete.

Im letzten Kapitel erfährt der Leser, wie Katrina, nun vom Leben sehr angeschlagen

und Müde, in das Reich der Toten übertritt. Hier trifft sie alte Bekannte und

Verwandte wieder sowie ihre Kinder, die sie auf unterschiedliche Weise im Leben

verlor. Am wichtigsten ist, dass sie wieder mit ihrem Johan vereint ist:

AT 4:

Ett litet skepp gled för svällande segel in i viken. Stäven blänkte likt guld

och seglen lyste snövita i solskenet. Vågorna lekte i silverglitter kring bogen.

En man stod rak och spänstig vi rodret. Katrina hastade ned till stranden.

Nu kom Johan seglande, nu var väntetiden över, nu var allt fullkomnat.223

ZT 4:

Denn ein kleines Schiff glitt unter geblähten Segeln in die Bucht herein.

Sein Steven blitzte wie von Gold, und die Segel leuchteten schneeweiß im

Sonnenschein. Mit silbrigem Flittern spielten die Wellen um seinen Bug.

Ein Mann stand rank und rüstig am Ruder … Katrina eilte zum Strand

hinunter. Nun kam Johan gefahren, nun war die Wartezeit zu Ende, nun

war alles vollbracht.224

223 Salminen, 1941, S. 248 224 Salminen, 1949, S. 423

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Das Schwedische wurde in dieser Passage, bis auf wenige Wörter, wörtlich übersetzt.

Einzig die Übersetzung von „seglade“ mit „kam (…) gefahren“ lässt Fragen aufkommen,

da es im Deutschen das verwandte Verb „segelte“ gibt. „Segelte“ hätte diesem Roman

mit starkem maritimem Thema auch ein entsprechendes Ende im Deutschen gegeben.

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8 Aleksis Kivi

8.1 Über den Autor

Aleksis Kivi wurde am 10.10.1834 als Alexis Stenvall im südfinnischen Nurmijärvi

geboren. Der Sohn eines Schneiders besuchte verschiedene Schulen mit geringem

Erfolg und bestand die Reifeprüfung mit 23 Jahren. Er inskribierte sich an der

Universität Helsinki und besuchte Vorlesungen, bevorzugte jene der Geschichte,

Literatur und Fennistik. Schon während seiner Schulzeit schrieb Kivi gerne und sein

erstes noch heute bekanntes Werk ist die Novelle Koto ja kahleet (Das Heim und die

Fesseln) und stammt aus den Jahren vor seiner Reifeprüfung (1852-1855). Während

seines Studiums schrieb er weitere kleine Werke, hauptsächlich auf ein Stipendium

hoffend. Die ersten publizierten Texte von ihm waren Gedichte, die 1860 im

Sammelband Mansikoita ja mustikoita II (Erdbeeren und Heidelbeeren II) erschienen.

Zunächst widmete sich Kivi Schauspielen und schrieb u. a. viele noch heute beliebte

Theaterstücke wie die Tragödie Kullervo (1864) (Anm.: Kullervo ist eine Person, deren

Leben im finnischen Nationalepos Kalevala geschildert wird.) und die Komödien

Nummisuutarit (1864) (Die Heideschuster (1922)) und Kihlaus (1866) (Die Verlobung

(1953)). Kivis Hauptwerk ist der erste finnischsprachige Roman überhaupt, Seitsemän

veljestä (1870) (Die sieben Brüder (1950)). Kivis Einfluss auf die finnische Literatur ist

unbestritten und geht sogar so weit, dass die Epoche von 1860 bis 1872 oftmals als „Die

Epoche Aleksis Kivis“ bezeichnet wird.225

Während seines aktivsten Schaffungsprozesses ab 1863 wohnte Kivi in Siuntio bei

seiner Mäzenin Charlotta Lönnqvist, bis zu jenem Jahr, als Seitsemän veljestä erschien

und Kivi wegen psychischen Problemen in ein Spital eingeliefert wurde. Er erholte sich

nie gänzlich und wurde schließlich im Jahre 1872 zu seinem Bruder, der in Tuusula

wohnte, gebracht, mit der Diagnose „unheilbar“. Am 31.12.1872, dem letzten Tag des

Jahres, starb Aleksis Kivi bei seinem Bruder. Es kursiert das allgemeine Gerücht, Kivis

letzte Worte wären „Minä elän!“ (Ich lebe!) gewesen.226

225 Vgl. Kupiainen, 1971, S. 52 226 Vgl. Koskela, 1990, S. 159 ff. und Kupiainen, 1971, S. 52 und Lassila, 1996, S. 76 ff.

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8.2 Seitsemän veljestä / Die sieben Brüder

Der 1870 erschienene Roman Seitsemän veljestä wurde von Edzard Schaper 1950 ins

Deutsche unter dem wörtlichen Titel Die sieben Brüder übersetzt. Seitsemän veljestä ist

ein Entwicklungsroman mit vielen humoristischen Elementen, dessen Hauptpersonen

die sieben Brüder des Jukola-Hofes sind. Juhani, der älteste, ist eigensinnig und eher

stark als klug, auf ihn folgen die Zwillingsbrüder Tuomas, von der Statur und vom

Charakter der standhafteste, und Aapo, der wortgewandteste. Simeoni in der Mitte

predigt gerne, verurteilt Sünden und hat ein Alkoholproblem, Timo, der dümmste der

Brüder, ist ein ruhiger Typ und nimmt bei Streitereien oft die Rolle des Vermittlers ein.

Sein Zwillingsbruder Lauri ist der handwerklich geschickteste und künstlerisch

begabteste, der gerne Zeit in der Natur verbringt. Der jüngste der Bruderschar ist der

kleine Eero, ein schlauer Besserwisser, der oft den Zorn, vor allem Juhanis, auf sich

lenkt. Die Brüder hatten schon immer Anpassungsprobleme und verursachten ihren

Eltern großen Kummer. Als sie zu Waisen werden, verschlimmert sich die Situation:

Der elterliche Hof verfällt aufgrund von Nachlässigkeit zunehmend, die Brüder geraten

in Handgemenge mit anderen Dorfbewohnern und die Umstände gipfeln in der Flucht

aus dem Haus des Kantors,227 wobei eine Fensterscheibe zu Bruch geht.

Schließlich ziehen sie in den Wald, aus dem sie nach zehn Jahren und vielen

weiterentwickelnden Erlebnissen, wie z. B. landwirtschaftliches Wissen zu erwerben,

Lesen zu lernen und zwei Häuser zu bauen, als gute Bürger zurückkehren, sesshaft

werden und zum Teil des bürgerlichen Dorflebens werden. Wie bei Edzard Schaper zu

lesen ist: „Weitherzigkeit, Toleranz und Humanität sind hohe Gaben, die nur dem

sittlichen Menschen nach der Überwindung seiner selbst zukommen (…) Dies ist die

Lehre, welche die lustigen «Sieben Brüder» (…) durchmachen müssen.“228

Zuerst wurde Seitsemän veljestä in vier Heften als Fortsetzungsgeschichte gedruckt

und erst im Jahr nach Kivis Tod erschien der Roman komplett als gebundenes Buch.

Als Kivi 1872 als verarmter, kranker Mann starb, konnte er nicht ahnen, welch

Bedeutung sein Roman haben würde. So beurteilte der sonst verdienstvolle

227 Anm.: Der Kantor fungierte damals als Lehrer, der den Menschen u. a. das Lesen beibrachte. Seit dem 18. Jahrhundert war in Finnland das Lesen eine Grundvoraussetzung, um heiraten zu können. 228 Schaper, 1951, S. 42-43

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Literaturkritiker August Ahlqvist den Roman sehr negativ und hatte großen Einfluss

darauf, dass dieser nicht sofort als komplettes Buch, sondern nur in Einzelteilen,

erschien.229

Ferner ist unverständlich, dass Kivis Roman, den jeder Finne kennt, damals als

„Schandfleck in der finnischen Literatur“230 bezeichnet wurde. Da Kivi jedoch auch

Freunde und Gönner hatte, waren alle Drucke mit Plädoyer im Vorwort versehen.

Seitsemän veljestä ist in Anbetracht von Kivis Motiven und der Sprache ein besonderer

Roman mit vielen verschiedenen Einflüssen. Die von Kivi benutzte Sprache ist sehr

deskriptiv und enthält Züge der alten Volkssprache und -dichtung sowie der biblischen

Sprache. Diese Umstände erschweren eine Übersetzung, da umfangreicheres Wissen

erforderlich ist.

Die ersten Zeilen des Romans, der die finnische Literaturlandschaft auf

unvergleichbare Weise prägte, malen dem Leser ein Bild des Orts und der Umstände

der Geschehnisse:

AT 1:

Ensimmäinen luku. Jukolan talo, eteläisessä Hämeessä, seisoo erään mäen

pohjaisella rinteellä, liki Toukolan kylää. Sen läheisin ympäristö on kivinen

tanner, mutta alempana alkaa pellot, joissa ennenkuin talo oli häviöön

mennyt, aaltoili teräinen vilja. Peltojen alla on niittu, apila-äyräinen, halki-

leikkaama monipolvisen ojan; ja runsaasti antoi se heiniä, ennenkuin joutui

laitumeksi kylän karjalle.231

ZT 1:

Erstes Kapitel. Im Süden der Landschaft Häme, unweit des Dorfes Toukola,

liegt auf dem Nordhang eines Hügels der Jukola-Hof. In seinem nächsten

Umkreis ist die Gemarkung steinig; aber weiter unterhalb beginnen die

Felder, auf denen vor dem Verfall des Hofes stahlharte Ähren wogten.

229 Vgl. Koskela, 1990, S. 159 ff. und Kupiainen, 1971, S. 52 230 Lassila, 1996, S. 83 231 Kivi, 1931, S. 15

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Hinter den Feldern beginnt Wiesenland, von Klee gesäumt und einem sich

in vielen Windrichtungen dahinschlängelnden Bach durchzogen, und reich

war dessen Ertrag an saftigem Heu, bevor er später zur Dorfweide wurde.232

Schaper übersetzt originalgetreu, mit kleinen Änderungen in Syntax und Wortwahl,

welche bei der Übersetzung aus dem Finnischen ins Deutsche unvermeidbar sind, um

die Zielsprache natürlich klingen zu lassen.

In der deutschen Version wird das Wort „Häme“ als Landschaft definiert, wobei im sie

Original nur als Eigenname dasteht. Dies ist damit begründbar, dass ein

Finnischsprachiger aus dem Kontext bereits weiß, dass „Häme“ eine Landschaft ist.

Von einem deutschsprachigen Leser kann das nicht erwartet werden.

Das Adjektiv „saftigem“ im Zitat fügte Schaper selbstständig hinzu. Im Finnischen wird

dem Heu kein Attribut zugeschrieben.

Außerdem unterläuft Schaper ein grober Übersetzungsfehler, indem er „teräinen“ mit

„stahlhart“ übersetzt. Diese Übersetzung ist grundsätzlich einfach rekonstruierbar, da

„teräs“ auf Deutsch „stahl“ bedeutet. Dennoch handelt es sich hierbei nicht um das

Adjektiv des finnischen Wortes „teräs“, sondern um einen eigenen Begriff aus der

Agrarwirtschaft, der ausdrückt, dass es sich hier um ein Getreide mit vielen Ähren

handelt.

Wie schon erwähnt ist die Sprache Kivis eine ganz besondere, mit vielen

Sprichwörtern und geflügelten Worten, die er entstehen ließ und die mittlerweile

unsterblich geworden sind, wodurch sich die Übersetzung als Herausforderung

gestaltete. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Stelle, wo die Brüder aus dem Heim des

Kantors fliehen, um den Leseunterricht zu vermeiden: „Akkuna sälähti ja taivas välähti,

kun kerran vaan keikahti Jussin pussi.“233 (wörtl. das Fenster zerschellte und der

Himmel blitzte, als bloß einmal der Ranzen von Jussi schaukelte), die im finnischen 232 Kivi, 1950, S. 5 233 Kivi, 1931, S. 74 ff.

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Sprachgebrauch immer wieder Anwendung findet. Schaper übersetzt dies mit: „Das

Fenster in Scherben, ein Rahmen zu Erben! So ging es zu, als Jussis Ranzen ein

bißchen ausrutschte.“234 Die Übersetzung des ersten Teiles ist akzeptabel.

Obwohl Schaper den Inhalt nicht korrekt übersetzt und die in Kivis Sprache oft

vorkommende Naturnähe nicht berücksichtigt („ein Rahmen zu erben“ anstatt „der

Himmel blitzte“), behält er den Endreim bei und gibt so zumindest die Form von Kivis

Sprache wieder.

Im zweiten Teil des Satzes fehlen in der Übersetzung die im Originalen erhaltenen

stilistischen Mittel wie Alliteration und Mittenreim („kerran vaan keikahti“ bzw.

„Jussin pussi“). Es ist nicht notwendig, einen neuen Satz zu beginnen und der Anfang

„So ging es zu“ teilt die Aussage, die im Original kräftig und rhythmisch ist. An diesem

kurzen Beispiel lässt sich gut erkennen, wie komplex die Übersetzung von Seitsemän

veljestä ist.

In der folgenden Textpassage machen sich die Brüder auf ihre typische Weise über die

arme Schröpferin und ihre Familie lustig:

AT 2:

Tämä oli räyhäävä joukko, joka nyt matkusti pitikin tietä Sonnimäen

nummen alta kohden kirkonkylää, koska veljekset, iloisena kuin oinaat,

viettivät vapauden hetkeä nummen korkealla harjulla. Juhani235. Heissaa!

terve, sinä ennenmainittu rykmentti, terve! Timo. »Hustote till?» sanoi

Ruotsalainen. Eero. »Kappusivai!» sanoi Ryssä. Kaisa. Mitä tahdotte, te siellä

ylhäällä? Eero. Että muori tulee ja imee oikein tuikean sarven tämän veli

Juhanin ruskeaan reisi-pakaraan.236

234 Kivi, 1950, S. 72. 235 Anm.: Im sowohl finnischen, als auch deutschen Original sind die Namen kursiv dargestellt. 236 Kivi, 1931, S. 81

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ZT 2:

Dies war die lärmende Gesellschaft, die jetzt unter dem Abhang den Weg

ins Kirchdorf dahinzog, während die Brüder, fröhlich wie die Schöpsen, die

Stunde ihrer Befreiung zuhöchst auf dem Hügel feierten. Juhani: Holla, zu

dienen, weitberühmtes Regiment! Timo: Hau du ju du? Sagen die

Engländer. Eero: Kapposivai? Sagen die Russen. Kajsa: Was wollt ihr da

oben von uns? Eero: Daß Mummu heraufkommt und richtig zwackendes

Kuhhorn voll Blut aus Bruder Juhanis brauner Hinterbacke saugt.237

Das interessante in Hinsicht auf die Übersetzung ist Schapers Lösung für die

phonetisch transkribierten fremdsprachigen Ausdrücke. „Hustote till?“ bezieht sich auf

„Hur står det till?“ im Schwedischen und „Kappusivai!“ auf „Kak poživaješ“ im

Russischen. In der Übersetzung bediente sich Schaper der Phrase „Hau du ju du?“ aus

dem Englischen „How do you do?“. Da vermutlich die wenigsten der

deutschsprachigen Leser Schwedisch verstehen, wählte Schaper, um denselben Effekt

zu erzielen, den Analphabetismus der Brüder hervorzuheben, den englischen

Ausdruck für „Wie geht es?“. Es kann davon ausgegangen werden, dass der in Englisch

geschilderte Zynismus in der Übersetzung von ungefähr derselben Anzahl an

deutschsprachigen Lesern verstanden wird, wie jener in Schwedisch in der finnischen

Version.

Bemerkenswert ist auch die Abwandlung des Namens „Kaisa“ von der finnischen zur

schwedischen Schreibweise („Kajsa“). Diese Tatsache unterstützt die Vermutung, dass

Schaper Seitsemän veljestä anhand der schwedischen Übersetzung, und nicht dem

finnischen Original, ins Deutsche übersetzte. Es ist wiederrum auch denkbar, dass

Schaper den Namen auf Schwedisch schrieb, da dies der deutschen Sprache näher ist

und die korrekte Aussprache unterstützt.

237 Kivi, 1950, S. 80

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Schaper definierte hinsichtlich der Erklärung auch das Horn, mit welchem geschröpft

wird.238 Im Finnischen ist lediglich von einem „sarvi“ (Horn) die Rede, Schaper schreibt

von einem „Kuhhorn“.

Besonders auffallend ist die Übersetzung von „muori“ (Mütterchen / die Alte) mit

„Mummu“. „Mummu“ ist direkt aus der finnischen Sprache entnommen und wird als

Kosename für die Großmutter benutzt, ähnlich dem deutschen „Oma“. Im Kontext der

vorliegenden Textpassage soll angemerkt werden, dass die Übersetzung mit „Mummu“

nicht denselben Effekt zum Ausdruck bringt wie es das Wort „muori“ im Original.

Aufgrund des spöttischen Verhaltens der Brüder wirkt die Wahl des positiven und

freundlichen Begriffs „Mummu“ befremdend. „Muori“ hingegen kann auch im

Zusammenhang mit zynischen oder herablassenden Bemerkungen über eine Frau und

deren Alter benutzt werden.

Da davon auszugehen ist, dass dem deutschsprachigen Leser weder der Begriff „muori“

noch „Mummu“ geläufig ist, darf an der Sinnhaftigkeit der Abänderung des Namens in

der Übersetzung gezweifelt werden, vor allem aufgrund der Tatsache, dass beide

Begriffe der Originalsprache des Werkes zuzuordnen sind.

Andere Merkmale, die dem Leser des Romans in beiden Sprachen auffallen, ist die

Übersetzung von „joukko“ mit „Gesellschaft“. Auf Finnisch wird das Bild einer

lärmenden Horde vermittelt, während im Deutschen das Wort „Gesellschaft“ eine eher

feinere Konnotation besitzt und daher nicht den gleichen Effekt wie der finnische

Ausdruck erzielt.

Schapers Übersetzung von „vapauden hetkeä“ mit „Stunde der Befreiung“ verrät, dass

es sich hierbei nicht um einen Muttersprachler der finnischen Sprache handelt, da der

Unterschied zwischen „vapaus“ (Freiheit) und „vapautus“ (Befreiung) gerade in diesem

Fall von Bedeutung ist. Da die Brüder nicht befreit wurden, sondern selbst flohen, wäre

der korrekte Ausdruck „Stunde der Freiheit“.

Fraglich ist auch, wieso Schaper „terve“ (Grüße euch / Hallo) mit „zu dienen“

übersetzt. Dies verleiht dem Dialog einen unpassend eloquenten Ton. 238 Anm.: Schröpfen ist ein heilmethodischer Vorgang, bei dem einem Kranken mithilfe eines Schröpfhorns Blut entzogen wird.

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Das unnötige Hinzufügen eines Wortes bzw. eines Aspektes von Schaper, wofür in

dieser Arbeit schon einige Beispiele gebracht wurden, ist bei der Übersetzung von

„Että muori tulee“ (Dass Mütterchen kommt) mit „Daß Mummu heraufkommt“. Dies

lässt den Leser darauf schließen, dass Kaisa auf den Stein klettern soll, um dort die

Schröpfung zu vollziehen, was absurd wäre, da solch heilmethodische Prozeduren

meist in der Sauna stattfinden.

Seitsemän veljestä beinhaltet viele Erzählungen, Lieder und Gedichte in Reimform.

Daher war es für die Arbeit essentiell, eine dieser Gedichte hervorzuheben:

AT 3:

Tuonen lehto, öinen lehto!

Siell‘ on hieno hietakehto,

Sinnepä lapseni saatan.

Siell‘ on lapsen lysti olla,

Tuonen herran vainiolla.

Kaitsea Tuonelan karjaa.

Siell‘ on lapsen lysti olla,

Illan tullen tuuditella.

Helmassa Tuonelan immen.

Onpa kullan lysti olla,

Kultakehdoss‘ kellahdella,

Kuullella kehräjälintuu.

Tuonen viita, rauhan viita!

Kaukana on vaino, riita,

Kaukana kavala maailma.239

239 Kivi, 1931, S. 454

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ZT 3:

Tuonis** Hain, du nächtiger Hain,

dort soll der Sand die Wiege sein,

dorthin bring‘ ich mein Kindchen.

Gut wird dort mein Kindchen fahren,

unter Tuonis stillen Scharen,

Tuonelas240 Herde hüten.

Gut wird dort mein Kindchen liegen,

jeden Abend wird es wiegen

Tuonelas Tochter, die bleiche.

Sicher wird mein Goldkind liegen

in Herrn Tuonis goldner Wiegen,

lauschen, wie die Nachtschwalbe singt.

Tuonis Hain, du Friedenshain,

fern wird des Lebens Streit dann sein,

fern die verworrene Welt.»

**Tuoni: Herr des Totenreiches241

240 Anm.: Tuonela ist das Reich des Todes; dies wurde in Schapers Übersetzung auf Seite 502 mittels Fußnote erklärt. 241 Kivi, 1950, S. 502

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Die obige Textpassage ist in Finnland und für dessen Bevölkerung eine der

bekanntesten aus dem Werk Kivis. Besonders nach der Vertonung dieser von Jean

Sibelius (1865-1957, finnischer Komponist), entwickelte es sich zu einem sehr beliebten

Wiegenlied.

Schapers dichterische Begabung kommt in dieser Passage zum wiederholten Male zum

Vorschein. Er gibt den Text mit kleinen inhaltlichen Änderungen wieder und bleibt

dabei der Originalreimform des Liedes fast treu. Im Finnischen folgt der Reim dem

Versmaß AAB CCD CCE CCF GGH, im Deutschen findet sich die Form AAB CCD EEF

EEG AAH. Obwohl Schaper die Endreime ändert, bleibt er den Reimen innerhalb einer

Strophe treu: Die ersten beiden Zeilen reimen sich, die letzte nicht.

Die bemerkenswertesten inhaltlichen Unterschiede finden sich in der dritten und

vierten Strophe. Im Finnischen findet das Kind einen friedlichen Schlaf in „Helmassa

Tuonelan immen“ (wörtl. im Schoß der Jungfrau von Tuonela), während sie Schaper

im Deutschen „Tuonelas Tochter, die bleiche“ nennt. In der finnischen Version ist

keine Erwähnung von Bleiche der Tochter des Totenreiches, obwohl es

nachvollziehbar erscheinen mag, dass Menschen eine unterbewusste Vorstellung

besitzen, dass jemand, der im Totenreich lebt, bleich ist. Da dieser Umstand und diese

merkwürdige Übersetzung auch keinem Reim dienen, ist es verwunderlich, dass

Schaper diese Änderung im Inhalt vornimmt.

Bei der Übersetzung von „Kultakehdoss‘ kellahdella“ (wörtl. in der goldenen Wiege

herumpurzeln) fügt Schaper in seiner Übersetzung hingegen mit „in Herrn Tuonis

goldner Wiegen“ den Herrn des Totenreiches hinzu und verleiht der Wiege somit

einen Besitzer.

Gelungen ist die Beibehaltung der finnischen Begriffe betreffend die Beschreibung der

mythologischen Elemente des Totenreiches und deren eleganter Lösung, den Leser

durch Hinweise in Fußnoten, wie z. B. „Tuoni: Herr des Totenreiches“, aufzuklären.

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Mit den folgenden Worten endet die Erzählung der Abenteuer der sieben Brüder:

AT 4:

Mutta tässä on kertomukseni loppu. Ja niin olen kertonut seitsemästä

veljeksestä Suomen saloissa; ja mitäpä kertoisin enään heidän elämänsä

päivästä ja sen vaiheista täällä? Se kulki rauhaisesti puolipäivän korkeudelle

ylös ja kallistui rauhaisesti alas illan lepoon monen tuhannen, kultaisen

auringon kiertoessa.242

ZT 4:

Ich habe hier nun von sieben Brüdern in Finnlands Wäldern erzählt, und

was sollte ich noch weiter über ihren Lebenstag hienieden und dessen

wechselvollen Ablauf berichten! Er stieg friedevoll zur Mittagshöhe empor,

und er senkte sich friedevoll zur abendlichen Ruhe, als die Sonne viel

tausend Male ihre goldene Bahn gerundet.243

Schaper übersetzte das Ende nahe dem Original, lediglich das Fragezeichen im

Finnischen ersetzte er im Deutschen durch ein Ausrufezeichen.

Das Wort „salo“ übertrug Schaper lediglich mit „Wälder“ ins Deutsche. Da aber „salo“

genau genommen Ödwald heißt, stellt sich hier die Frage, ob dem Leser der deutschen

Version nicht etwas verborgen bleibt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Leser,

der die letzten Zeilen des Romans liest, das komplette Werk gelesen hatte und somit

versteht, dass es sich um öde Wälder handelt. Da Ödwald im Deutschen ein seltener

und spezifischer Begriff ist,244 kann Schapers Übersetzung als gerechtfertigt bezeichnet

werden.

242 Kivi, 1931, S. 457 243 Kivi, 1950, S. 506 244 Anm.: Ödwald ist laut Wahrigs Deutsches Wörterbuch (Gütersloh, 1997) kein gelisteter Begriff.

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9 Conclusio

Ziel dieser Arbeit war es, die Übersetzungen Edzard Schapers zu untersuchen, da die

Übersetzung eine wichtige Rolle im Zuge der Kultur- und Literaturvermittlung in

andere Sprachen spielt. Zu diesem Zweck wurden sechs Werke unterschiedlicher

Autoren, die sich alle durch ihre Bekanntheit auszeichnen, analysiert. Die Autoren

Frans Eemil Sillanpää (einziger finnischer Nobelpreisträger der Literatur), Aleksis Kivi

(Autor des ersten finnischsprachigen Romans) und Sally Salminen (berühmteste

Autorin der Ålandinseln) wurden aufgrund ihres besonderen Status‘ in der finnischen

Literatur ausgewählt. Um ein vollständigeres und vielseitiges Bild von Schaper als

Übersetzer zu übermitteln, wurde zusätzlich der schwedische Nobelpreisträger der

Literatur, Pär Lagerkvist, analysiert.

Da die Qualität der Übersetzungen meist stark davon abhängt, wie versiert der

Übersetzer mit der Kultur und den Gegebenheiten des Landes der Ausgangssprache

ist, war es von großer Bedeutung, dem Leser dieser Arbeit die vielen Stationen im

bewegten Leben von Schaper darzulegen, wie in Kapitel 2 nachzulesen ist. Er wurde in

Ostrowo (heutiges Polen, damaliges Preußen) einige Jahre vor dem Anfang des Ersten

Weltkrieges geboren, seitdem war sein Leben durch Flucht und Szenenwechsel

gekennzeichnet. Er lebte in Deutschland, Dänemark, Estland, Finnland (hier erhielt er

1944 die Staatsbürgerschaft), Schweden und schließlich in der Schweiz. Aufgrund

dieses vielseitigen Lebensstils gewann Schaper Einblicke in fremde Kulturen und

Sprachen in einem überdurchschnittlichen Umfang. Aus diesem Grund hatte er

ausgezeichnete Voraussetzungen für die Übersetzungstätigkeit,245 welche er äußerst

aktiv ausübte. Neben seinem Hauptberuf als Schriftsteller, übersetzte er bis zu 20

Werke aus den skandinavischen Sprachen und dem Finnischen. Besonders wurde auf

Schapers Zeit in und Verhältnis zu Finnland eingegangen, da dies maßgeblich zum

Hauptteil der Arbeit, den Analysen der Übersetzungen, und dem Verständnis dieser

beiträgt.

245 Vgl. Wilss, 1977, S. 156

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Um über eine einheitliche Grundlage für die Übersetzungsanalyse zu verfügen, wurde

in Kapitel 3 auf die Geschichte sowie Theorien der Übersetzungsanalyse eingegangen.

Wichtige Hintergrundinformationen zu Edzard Schaper als Übersetzer, um die

darauffolgenden Analysen der Übersetzungen nachvollziehbar zu machen, erhält der

Leser in Kapitel 4. Besonders die näheren Schilderungen der Übersetzungen von Pär

Lagerkvist und Frans Eemil Sillanpää helfen dem Leser, gewisse Zusammenhänge zu

verstehen.

Es ist nicht möglich, ein eindeutiges und einheitliches Urteil über Schapers

Übersetzungen zu fällen. Einerseits sind diese in gewissen Details außerordentlich

korrekt und zeugen von großem Verständnis der Ausgangssprache und -kultur,

andererseits müssen Schapers Übersetzungen jedoch als inakzeptabel bezeichnet

werden, da sie schwere Mängel aufweisen.

Festzuhalten ist jedenfalls, dass dem deutschsprachigen Leser in fast keinem Fall das

Originalwerk eins-zu-eins überliefert wird. Dennoch hat sich gezeigt, dass Schapers

Übersetzungen durchaus beliebt sind und maßgeblich an der Beliebt- und Bekanntheit

finnischer Literatur im deutschsprachigen Raum beteiligt sind.

Die Übersetzungen von Schaper variieren sehr in ihrer Qualität. Im Rahmen dieser

Arbeit gibt es kein einziges Werk, in dem nicht sowohl Beispiele für eine gelungene,

als auch für eine nicht gelungene Übersetzung vorzufinden sind. Auffallend ist, wie oft

sich die qualitativen Unterschiede bereits innerhalb einer Passage zeigen. In der

Übersetzung von Sillanpääs Roman Elämä ja aurinko ist bemerkenswert, wie viel Text

von Schaper eigenständig weggelassen wurde. Hinzu kommt die Menge an

inhaltlichen Fehlern, die sich innerhalb der vorgegebenen Länge dieser Arbeit nicht

vollständig erfassen lässt. Schaper darf hier durchaus als schlechter Übersetzer gesehen

werden.

Für Schapers Übersetzung von Lagerkvists Romans Barabbas ist v. a. die

Berücksichtigung der Hintergrundinformation bezüglich Schapers und Lagerkvists

unterschiedlicher Haltung der Kirche und des christlichen Glaubens gegenüber

fachlich wertvoll. So kann z. B. festgestellt werden, dass der religiöse Schaper in der

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Übersetzung Lagerkvists Romans Barabbas einen religionskritischen Satz bewusst

weglässt.

Der Roman Katrina von Sally Salminen beinhaltet die sprachliche Sonderform der

Dialekte. Bedauernswert dabei ist, dass Schaper diese nicht zu transkribieren pflegt, da

die sprachlichen Besonderheiten aufgrund der finnlandschwedischen, in diesem Fall

typisch åländischen Sprache einen großen Teil des Wertes des Werkes ausmachen.

Schaper entschied sich hier entgegen der Beibehaltung der Dialektelemente, was zu

einem Verlust des Lokalkolorits führt.

Der Roman Seitsemän veljestä von Aleksis Kivi dient als Paradebeispiel wie eng

Ideenreichtum und Einfallslosigkeit bei Schaper aneinander liegen. Einerseits gelingt

ihm die Übersetzung der phonetisch transkribierten, fremdsprachigen Ausdrücke

hervorragend, andererseits ist jedoch zu bemängeln, dass durch Schapers Übersetzung

ein großer Teil Kivis besonderen Sprachstils verloren geht.

Zusammengefasst gelingt es Schaper häufig, komplexe Sachverhalte und Stile in die

deutsche Sprache zu übertragen. Angesichts der hohen Niveaus der hier behandelten

Romane, verdient diese Fähigkeit Schapers Respekt. Negativ bei seinen Übersetzungen

fällt immer wieder auf, dass er durch unerlaubte Editierungen wie z. B. das komplette

Weglassen von Texten und nicht korrekte Übersetzungen, den Sachverhalt

grundlegend ändert oder für den deutschsprachigen Leser teilweise nicht

nachvollziehbar macht.

Weitere interessante Forschungsgebiete, die jedoch den Rahmen dieser Arbeit

sprengen würden, wären aufgrund der vorliegenden Information, dass Schaper sowohl

Sillanpääs Hurskas kurjuus als auch Kivis Seitsemän veljestä mithilfe der vorhandenen

schwedischen Versionen übersetzte, die finnische und deutsche Version der besagten

Romane mit der schwedischen zu vergleichen. Ebenso viel Material gäbe es in Bezug

auf einen Übersetzungsvergleich derselben Werken von unterschiedlichen

Übersetzern. Das vielbewegte Leben Schapers in einer turbulenten Zeit und u. a. von

Flucht geprägt, führte dazu, dass viele seiner Unterlagen vernichtet wurden oder

verschwanden, was eine Herausforderung für weitere Untersuchungen am Thema

„Edzard Schaper als Übersetzer“ darstellt.

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[Stand 12.12.2012]).

Lehtolainen, Leena in ihrem Vortrag auf dem Institut der Finno-Ugristik der

Universität Wien am 17.11.2003.

Nobelpreisträger. Liste der Svenska Akademin über die Nobelpreisträger im Literatur

(Online im Internet: URL: http://www.svenskaakademien.se/nobelpriset_i_

litteratur/pristagarna [Stand 25.11.2012]).

Schaper, Edzard: Finnisches Tagebuch. Erschienen in Atlantis Länder / Völker / Reisen

XXII. Jahr, Heft 2. Februar 1950.

Zauner, Hanno: Frans Eeml Sillanpään Elämä ja Aurinko ja Edzard Schaperin

saksannos – tyylivertailuja. Esitelmä prof. Virtarannan johtamassa suomen kielen

seminaarissa. 10.11.1971 (Suomalaisen Kirjallisuuden Seuran Kirjallisuusarkisto,

Helsinki/Finnland).

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122

Anhang

Abstract (Deutsche Version)

Ziel dieser Arbeit ist es, die Übersetzungen Edzard Schapers zu untersuchen, da die

Übersetzung eine wichtige Rolle im Zuge der Kultur- und Literaturvermittlung in

andere Sprachen spielt. Konkret handelt es sich um eine Analyse der Übersetzungen

Edzard Schapers aus dem Finnischen und Schwedischen vor allem betreffend

Korrektheit, Gründlichkeit und Genauigkeit zu überprüfen sowie zu analysieren,

welche Stimmung und Emotionen er in welcher Form übermittelt. Es gilt daher die

Frage zu beantworten, ob Schapers Übersetzungen als korrekt und gut zu beurteilen

sind, bzw. ob sie als gerechte Botschafter der Originalwerke für die deutschsprachige

Leserschaft angesehen werden können.

Edzard Schaper wurde 1908 in Ostrowo, damaliges Preußen, heutiges Polen, geboren.

Nach dem Ersten Weltkrieg zog er mit seiner Familie nach Deutschland, wo er seine

ersten Prosawerke schrieb und vorwiegend im künstlerischen Bereich tätig war. Über

verschiedene Berufe und Orte führte sein Weg 1932 nach Tallinn, Estland, wo er acht

Jahre lang lebte und weiterhin als Schriftsteller sowie Korrespondent der United World

Press tätig war. 1940 flüchtete er nach Finnland und beantragte die finnische

Staatsbürgerschaft, die er im Jahr 1944 auch erhielt. Im selben Jahr musste Schaper

weiter nach Schweden ziehen, um einer Auslieferung an die Sowjetunion zu entgehen.

Auf Einladung seines Freundes Max Wehrli, konnte er 1947 in die Schweiz ziehen, wo

er bis zu seinem Tod 1984 lebte.

Aufgrund dieses kosmopolitischen Lebensstils gewann Schaper Einblicke in fremde

Kulturen und Sprachen in einem überdurchschnittlichen Umfang. Deshalb hatte er

ausgezeichnete Voraussetzungen für die Übersetzungstätigkeit, die er äußerst aktiv

ausübte. Neben seinem Hauptberuf als Schriftsteller, übersetzte er bis zu 20 Werke aus

den skandinavischen Sprachen und dem Finnischen.

Dabei wird besonders auf Schapers Zeit in und sein Verhältnis zu Finnland

eingegangen, da dies maßgeblich zum Hauptteil der Arbeit, den Analysen der

Übersetzungen und dem Verständnis dieser beiträgt.

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Bei der Darstellung Edzard Schapers als Übersetzer wird u. a. besonders auf die zwei

Autoren Pär Lagerkvist und Frans Eemil Sillanpää eingegangen, teils um auf die

verschiedenen Hintergründe und Einstellungen von Schapers Übersetzertätigkeit

hinzuweisen, teils um auf gewisse Parallelen und Unterschiede zwischen den

verschiedenen Autoren aufmerksam zu machen.

Um eine fundierte Basis für die darauffolgenden Analysen der sechs Romane von vier

Autoren zu schaffen, wird auf die Geschichte sowie auf verschiedene Aspekte der

Übersetzungstheorie eingegangen. Von besonderer Bedeutung für diese Diplomarbeit

sind vor allem das zweisprachige Kommunikationsmodell von Werner Koller und die

Gliederung der Übersetzungsprozeduren von Wolfram Wilss.

Erst die intensive Beschäftigung mit der Übersetzungswissenschaft lässt konkret

bewusst werden, welch Verantwortung auf den Schultern des Übersetzers lastet und

wie viel Schaden dieser mit einer schlechten Übersetzung anrichten kann bzw. an dem

Erfolg eines Werkes in einem anderen Land beteiligt sein kann.

Die im Hauptteil der Arbeit analysierten Romane sind: Elämä ja aurinko (1916) (Sonne

des Lebens (1951)) und Hurskas kurjuus (1919) (Das fromme Elend (1948) bzw. Sterben

und Auferstehen (1956)) von Frans Eemil Sillanpää; Seitsemän veljestä (1870) (Die sieben

Brüder (1950)) von Aleksis Kivi; Katrina (1936) (Katrina (1949)) der Autorin Sally

Salminen sowie Gäst hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) und

Barabbas (1950) (Barabbas (1950)) von Pär Lagerkvist.

Die Werke der bekannten Autoren Frans Eemil Sillanpää, bislang einziger finnischer

Nobelpreisträger der Literatur, Aleksis Kivi, Autor des ersten finnischsprachigen

Romans und Sally Salminen, berühmteste Autorin der Ålandinseln, wurden aufgrund

ihres besonderen Status‘ in der finnischen Literatur gewählt. Um ein vollständigeres

und vielseitiges Bild von Schaper als Übersetzer zu übermitteln, wurde zusätzlich der

schwedische Nobelpreisträger der Literatur, Pär Lagerkvist, behandelt.

Die aus diesen Werken ausgewählten Textpassagen, bestehend aus dem Ausgangstext

(Zitat aus der Originalsprache) und dem Zieltext (Zitat aus Schapers Übersetzung),

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sollen einen repräsentativen Überblick über der jeweilige Werk geben und sind

anhand unterschiedlicher Kriterien ausgewählt worden. Von jedem Roman wurden,

unabhängig von dessen Inhalt, die drei ersten und letzten Zeilen berücksichtigt, um

die Objektivität und Einheitlichkeit der Übersetzungskritiken zu gewährleisten.

Die zitierten Texte werden auf Besonderheiten, sowohl in linguistischer als auch

kulturwissenschaftlicher Hinsicht, überprüft und verglichen. Anhand der vorliegenden

Information wird versucht, die Entstehung eventueller Missinterpretationen zu

rekonstruieren bzw. Verbesserungsvorschläge vorzuschlagen.

Die Übersetzungen von Schaper variieren sehr in ihrer Qualität. Im Rahmen dieser

Arbeit gibt es kein einziges Werk, in dem nicht sowohl Beispiele für eine gelungene,

als auch für eine nicht gelungene Übersetzung vorzufinden sind. Auffallend ist, wie oft

sich die qualitativen Unterschiede bereits innerhalb einer Passage zeigen.

In der Übersetzung von Frans Eemil Sillanpääs Roman Elämä ja aurinko ist

bemerkenswert, wie viel Text von Schaper eigenständig weggelassen wurde. Hinzu

kommt die Menge an inhaltlichen Fehlern, die sich innerhalb der vorgegebenen Länge

dieser Arbeit nicht vollständig erfassen lässt. Schaper darf hier durchaus als

unzureichender Übersetzer charakterisiert werden.

Bei der Übersetzung von Sillanpääs zweiten Roman Hurskas kurjuus beachtet Schaper

gewisse Stilelemente, wie z. B. Alliteration, nicht und verfälscht so gewissermaßen den

Ton der Erzählung für den deutschsprachigen Leser. Abgesehen von etwaigen

Abweichungen der Satzzeichen, bedingt durch die morphologischen Unterschiede

zwischen Deutsch und Finnisch, hält sich Schaper bei diesem Werk dennoch sehr an

das Original.

Es ist festzuhalten, dass im Vergleich der von Schaper übersetzten Werke Hurskas

kurjuus und Elämä ja aurinko, Hurskas kurjuus aufgrund der höheren Originalgetreue

der Übersetzung, translationswissenschaftlich betrachtet, qualitativ über die

Übersetzung von Elämä ja aurinko zu stellen ist.

Pär Lagerkvists Roman Gäst hos verkligheten zeichnet sich besonders durch seine

ausgeschmückte und detailreiche Sprache aus. Es gelingt Schaper zum größten Teil,

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die Stimmung und den Sprachstil des Romans widerzugeben, obwohl es bei manchen

Begriffen einen besser entsprechenden Ausdruck, als der von Schaper in seiner

Übersetzung gewählte, gäbe. Aufgrund dieser Nähe zum Original und der geringen

Abweichungen, kann dieses Werk als die beste Übersetzung Schapers betrachtet

werden, wenn es darum geht, dem Leser das Original möglichst nahe zu bringen.

Für Schapers Übersetzung von Lagerkvists Roman Barabbas ist v. a. die

Berücksichtigung der Hintergrundinformation bezüglich Schapers und Lagerkvists

unterschiedlicher Haltung der Kirche und des christlichen Glaubens gegenüber

interessant. So kann z. B. festgestellt werden, dass der religiöse Schaper in der

Übersetzung Lagerkvists Romans Barabbas einen religionskritischen Satz bewusst

weglässt.

Der Roman Katrina von Sally Salminen beinhaltet die sprachliche Sonderform der

Dialekte. Bedauernswert dabei ist, dass Schaper diese nicht zu transkribieren pflegt, da

die sprachlichen Besonderheiten aufgrund der finnlandschwedischen, in diesem Fall

typisch åländischen Sprache, einen großen Teil des Wertes dieses Werkes ausmachen.

Schaper entschied sich hier entgegen der Beibehaltung der Dialektelemente, was zu

einem Verlust des Lokalkolorits führt.

Der Roman Seitsemän veljestä von Aleksis Kivi dient als hervorragendes Beispiel dafür,

wie eng Ideenreichtum und Einfallslosigkeit bei Schaper aneinander liegen. Einerseits

gelingt ihm die Übersetzung der phonetisch transkribierten, fremdsprachigen

Ausdrücke hervorragend, andererseits ist jedoch zu bemängeln, dass durch Schapers

Übersetzung ein großer Teil von Kivis besonderen Sprachstil verloren geht, da er

etliche Begriffe und Ausdrücke nicht exakt übersetzt bzw. Phrasen und geflügelte

Worte in ihrer Aussagekraft abschwächt.

Es ist nicht möglich, ein eindeutiges und einheitliches Urteil über Schapers

Übersetzungen zu fällen. Einerseits sind diese in gewissen Details außerordentlich

korrekt und zeugen von großem Verständnis der Ausgangssprache und -kultur,

andererseits müssen Schapers Übersetzungen jedoch als inakzeptabel bezeichnet

werden, da sie schwere Mängel aufweisen.

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Festzuhalten ist jedenfalls, dass dem deutschsprachigen Leser in fast keinem Fall das

Originalwerk eins-zu-eins überliefert wird. Außerdem ist der Analyse zu entnehmen,

dass, obwohl alle untersuchten Werke, bis auf Barabbas, Dialektelemente erhalten,

Schaper diese in keine seiner deutschen Übersetzungen überträgt. Es ist nicht

eindeutig beurteilbar, ob dies ein Defizit darstellt oder nicht, da diese Vorgehensweise

zwar zu besserem Verständnis im deutschsprachigen Raum beiträgt, dabei jedoch an

Authentizität einbüßt. Dennoch zeigt sich, dass Schapers Übersetzungen durchaus

beliebt sind und maßgeblich an dieser Beliebt- und Bekanntheit finnischer Literatur

im deutschsprachigen Raum beteiligt sind.

Zusammengefasst gelingt es Schaper häufig, komplexe Sachverhalte und Stile in die

deutsche Sprache zu übertragen. Angesichts des hohen künstlerischen Niveaus der

hier behandelten Romane, verdient diese Fähigkeit Schapers Respekt. Jedoch ist

negativ zu bewerten, dass es bei seinen Übersetzungen immer wieder auffällt, dass er

den Sachverhalt durch unerlaubte Editierungen wie z. B. das komplette Weglassen von

Texten und nicht korrekte Übersetzungen, grundlegend ändert oder für den

deutschsprachigen Leser teilweise leider nicht nachvollziehbar macht.

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Abstract (Schwedische Version)

Syftet med detta examensarbete är att undersöka översättningar gjorda av Edzard

Schaper. Detta ämne har valts eftersom översättningen spelar en viktig roll som en del

av den kulturella och litterära förmedlingen mellan språkområden. Specifikt är

avsikten att undersöka Edzard Schapers översättningar från finska och svenska till

tyska, med speciell hänsyn till grundligheten och noggrannheten med vilken

översättningen gjorts. Vidare är målet att analysera huruvida Schaper lyckas förmedla

stämningen och känslorna som förekommer i böckerna. Det är därför nödvändigt att

svara på frågan huruvida Schapers översättningar kan bedömas som korrekt, samt om

han kan ses som en rättmätig överförare av orginalverket till den tyskspråkiga läsaren.

Edzard Schaper föddes 1908 i Ostrowo, dagens Polen, som då låg i Preussen. Efter

första världskriget flyttade han med sin familj till Tyskland, där han skrev sin första

prosa, även om han främst arbetade inom konst under sin tid där. Efter att ha både

arbetat och bott på ett flertal olika ställen, begav han sig 1932 till Tallinn, Estland, där

han bodde i åtta år och fortsatte att arbeta som författare och som korrespondent för

United World Press. År 1940 flydde han till Finland och ansökte om finskt

medborgarskap, vilket han fick 1944. Under samma år, 1944, var han tvungen att flytta

vidare till Sverige, för att undgå utlämning till Sovjetunionen. På inbjudan av sin vän

Max Wehrli kunde han flytta till Schweiz 1947, var han förblev kvar ända fram till sin

död 1984.

På grund av denna kosmopolitiska livsstil fick Schaper en särskilt djup inblick i ett

flertal kulturer och språk. Av denna anledning hade han goda förutsättningar för

översättningsarbetet, som han utövade mycket aktivt. Vid sidan om sitt huvudyrke

som författare, översatte han över 20 verk från de skandinaviska språken och från

finska.

Speciellt utförligt skildras Schapers tid i och förhållande till Finland, eftersom detta i

hög grad bidrar till förståelsen av omständigheterna kring huvuddelen av detta

examensarbete; analysen av översättningarna. Schapers arbete som översättare av de

två författarna Pär Lagerkvist och Frans Eemil Sillanpää, beskrivs synnerligen

noggrannt. I samband med dessa två författare understryks de olika bakgrunderna och

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Schapers attityd gentemot översättningsarbetet tydligt. Detta kapitel är också

representativt för att framhäva gemenskaper och olikheter mellan alla författarna som

analyseras i detta examensarbete.

För att lägga en grund till senare analyserna av sex romaner av fyra olika författare,

skildras historien och olika aspekter inom översättningsvetenskapen. Av särskild

betydelse för denna avhandling är tvåspråkiga kommunikationsmodellen av Werner

Koller och dispositionen av översättningsmetoder av Wolfram Wilss.

Endast ett intensivt resonemang med översättningsstudier kan göra en medveten om

det stora ansvar som vilar på översättaren, samt hur mycket skada denne kan göra med

en dålig översättning eller hur stor betydelse översättaren kan ha i framgången av en

roman i ett annat land.

I huvuddelen av detta arbete analyseras sex romaner, tre vars orginalspråk är finska

och tre vars orginalspråk är svenska. De finskspråkiga är de av Frans Eemil Sillanpää

skrivna Elämä ja Aurinko (1916), utkommen med svenska titeln Livet och solen (1926),

på tyska som Sonne des Lebens (1951), och Hurskas kurjuus (1919), på svenska Det

fromma eländet (1920), utkommen som tysk översättning i två versioner; Das fromme

Elend (1948) och Sterben und Auferstehen (1956), samt Aleksis Kivis Seitsemän veljestä

(1870), på svenska Sju bröder (1919), på tyska Die sieben Brüder (1950). De

svenskspråkiga verken är Katrina (1936) (Katrina (1949)) av Sally Salminen, samt Gäst

hos verkligheten (1925) (Gast bei der Wirklichkeit (1952)) och Barabbas (1950) (Barabbas

(1950)) av Pär Lagerkvist.

Frans Eemil Sillanpää är hittills den enda finska nobelpristagaren i litteratur, Aleksis

Kivi, författare av den första finskspråkiga romanen, och Sally Salminen, den mest

berömda författaren från Åland, vilka på grund av sin status i den finska litteraturen

valdes för detta examensarbete. Som jämförelse till det svenska språket som Sally

Salminen använder, ingår dessutom också den svenska nobelpristagaren i litteratur,

Pär Lagerkvist, i analysen.

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De utvalda utdragen ur dessa verk, bestående av källtexten (citerat från

ursprungsspråket) och måltexten (citerat från Schapers översättning), skall ge en

representativ överblick av respektive verk och har blivit valda på grund av olika

kriterier. Från varje roman har dock de tre första och sista raderna, oavsett innehåll,

analyserats med syftet att säkerställa objektivitet och konsekvens av

översättningsrecensionerna.

De citerade texterna granskas och jämförs på både språkliga och kulturell-

vetenskapliga plan. Baserat på den tillgängliga informationen görs ett försök att

rekonstruera händelseförloppet av eventuella feltolkningar samt att presentera

förbättringsförslag.

Översättningarna av Schaper varierar mycket i kvalitet. I detta arbete finns det inte en

enda roman, där det inte skulle återfinnas exempel på både framgångsrika och mindre

lyckade översättningar. Det är frappant hur ofta de kvalitativa skillnaderna

förekommer till och med inom ett enda textavsnitt.

I översättningen av Frans Eemil Sillanpääs Elämä ja aurinko är det påfallande hur

mycket text Schaper har utelämnat. I den undersökta versionen fattas nästan ett helt

kapitel, vilket förvrider tyskspråkiga läsares uppfattning av romanen. Tillagt till detta

är mängden av fel som förkommer beträffande innehållet förundrandsvärt hög. I detta

exempel kan Schaper mycket väl betraktas som en otillräcklig översättare.

I översättningen av Sillanpääs andra roman Hurskas kurjuus, utelämnar Schaper vissa

stilistiska element, som t.ex. alliteration, vilket i en viss grad förfalskar stilen och tonen

för den tyskspråkiga läsaren. Översättningen av vissa enstaka ord ger anledning till

kritik, likväl finns det orsak att vidbehålla meningen att Hurskas kurjuus är den

kvalitativt bättre översättningen, då båda av Schaper översatta verken Elämä ja aurinko

och Hurskas kurjuus betraktas.

Pär Lagerkvists roman Gäst hos verkligheten utmärker sig framför allt genom det

detaljerade och utsmyckade språkbruket. Schaper lyckas till största delen att överföra

stämningen och stilen av språket, även om vissa uttryck kunde ha översatts bättre.

För vissa svenska ord och uttryck finns det närmare pendanger i tyskan än de som

Schaper valt, men på grund av mestadels bestående trogenheten till orignalet och föga

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mängden av bättringsförslag som kan göras, kan detta betraktas som den bästa av

Schapers översättningar, då det gäller att föra orginalet närmast möjligt den

tyskspråkiga läsaren.

För Schapers översättning av Lagerkvists roman Barabbas måste framförallt

bakrundsinformationen tas hänsyn till. Det har avgörande betydelse att Schaper och

Lagerkvist hade olika inställnigar till kyrkan och religionen (Lagerkvist vände sig bort

från kyrkan, Schaper var nybliven katolik vid tidpunkten av översättningen). Härmed

kan förklaras varför Schaper komplett utelämnar en religionskritisk mening i mitten av

romanen. Det får översättare inte göra, eftersom det förändrar berättelsens innehåll på

avgörande sätt.

Romanen Katrina av Sally Salminen innehåller den språkliga egenheten av dialekter.

Det är beklagansvärt att Schaper inte överfört detta till tyskan, eftersom dessa typiska

uttryck för finlandsvenska och speciellt åländska utgör en stor del av romanens värde.

En del av lokalfärgen går förlorad då Schaper inte tar hänsyn till denna speciella

språkform.

Romanen Seitsemän veljestä av Aleksis Kivi utgör ett utmärkt exempel för Schapers

mångfaldighet. I denna översättning finns exempel på utmärkta översättningslösningar

i samma textavsnitt som felöversättningar. Å ena sidan lyckas Schaper översätta

fonetiska transkriptionen av främmande språkuttryck galant, å andra sidan kan det

ömkas att Schaper på många ställen inte förblir trogen till Kivis speciella språkstil, då

han låter bli att exakt återge vissa fraser och tonar ner kräftiga uttryck.

Det är inte möjligt att fatta en enhetlig mening över Schapers översättningar. Å ena

sidan är Schaper utomordentligt korrekt i vissa detaljer och man märker hans

förståelse för och kunskap av källspråket och ländernas kultur. Å andra sidan måste

man betrakta Schapers översättningar som inacceptabla och felaktiga, eftersom de

delvis innerhåller grova fel och delvis inte återger författarens berättelse i sin helhet.

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Det måste framhävas att den tyskspråkiga läsaren i ingetdera fall får en fullständigt

korrekt översättning av orginalverket.

En vidare faktor som förbinder Schapers översättningar är, att även om det

förekommer dialektelement i alla analyserade verk, förutom Barabbas, har Schaper valt

att inte överta dessa i de tyska översättningarna. Man kan inte entydigt säga att detta

vore enbart ett negativt faktum. Det är beklagansvärt på grund av förlusten av lokalfärg

och stämning, men kan också ses som acceptabelt eftersom skillnaderna mellan olika

dialekter är större i tyskspråkiga området och det därmed vore tänkbart att alla läsare

inte skulle ha förstått den dialektala översättningen.

Sammanfattat kan man säga att Schaper oftast lyckas med att översätta komplexa

innehållsbundna saklägen och speciella nyanser till tyskan. Med hänsyn till den höga

litterära nivån av de analyserade romanerna är detta en prestation som förtjänar

respekt. Hans översättningar gör sig negativt anmärkningsbara då det handlar om

lojalitet mot orginalet. I flera fall stryker han längre textavsnitt ur orginalet eller

översätter begrepp fel, vilket leder till att den tyskspråkiga läsaren inte kan ha samma

läseupplevelse som en läsare på orginalspråket.

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Lebenslauf

Stina Maria Alexandra Harttila, geboren am 09.10.1986 in Helsinki, Finnland.

Ausbildung:

2006-2011 Fennistik an der Universität Wien

(abgeschlossen mit Bakkalaurea der Philosophie)

seit 2004 Skandinavistik (Diplomstudium) an der Universität Wien

2002-2004 Vienna International School, Wien

(abgeschlossen mit Bilingual International Baccalaureate Reifeprüfung)

2001-2002 Gymnasiet Svenska Normallyceum, Helsinki, Finnland

1998-2001 Högstadiet Svenska Normallyceum, Helsinki, Finnland

1995-1998 Brändö lågstadieskola, Helsinki, Finnland

1992-1995 Svenska skolan i Berlin, Berlin, Deutschland

Sprachkenntnisse:

Schwedisch, Finnisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Isländisch

Einschlägige Berufserfahrung:

03/2012 – heute angestellt bei Gebauer & Griller Kabelwerke GmbH

06/2010 – 06/2011 angestellt bei Inbound Services

12/2009 – 01/2011 angestellt bei Finnisch-Österreichisches Wirtschaftsforum

2005, 2006, 2008 Praktikum bei Merckens Papier&Karton