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Achim Hildebrandt

Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer

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Achim Hildebrandt

Die finanzpolitischeHandlungsfähigkeit der BundesländerDeterminanten, institutionelle Defiziteund Reformoptionen

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1. Auflage 2009

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009

Lektorat: Frank Schindler

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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-16912-5

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D93 (Diss. Universität Stuttgart)

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Inhaltsverzeichnis

1 Fragestellung und Vorgehensweise 13

2 Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit durch das bundesstaatliche Institutionensystem 22 2.1 Grundstrukturen des deutschen Verbundföderalismus 22 2.2 Das föderale Finanzsystem 24 2.3 Die ostdeutschen Länder und Berlin im föderalen Finanzsystem 29

3 Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 32 3.1 Konstitutionelle Politische Ökonomie 32

3.1.1 Synchrone Machtverteilung 37 3.1.2 Diachrone Machtverteilung 38 3.1.3 Bailout-Erwartungen im bundesstaatlichen Transfersystem 40 3.1.4 Grenzen und Defizite der Konstitutionellen Politischen

Ökonomie 45 3.2 Parteienherrschaftstheorie 47

3.2.1 Die ideologische Orientierung der Landesregierungen 48 3.3 Theorie der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit 51

3.3.1 Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum in den Ländern 53 3.4 Das Politikerbtheorem 58

3.4.1 Die Zinslasten der Länder 59 3.5 Die geographische Determination der Staatstätigkeit 60

3.5.1 Strukturelle Besonderheiten der Stadtstaaten 67 3.6 Situationsspezifischer Faktor: Die finanzielle Situation der

ostdeutschen Länder 78 3.7 Die Hypothesen im Überblick 82 3.8 Die Operationalisierung der Konstrukte 84

3.8.1 Die Messung der abhängigen Variable 84 3.8.2 Die Messung der unabhängigen Variablen 86

4 Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 90

5 Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 101 5.1 Methodische Vorüberlegungen 101 5.2 Bivariate Analysen 104

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6 Inhalt

5.3 Trivariate Regressionen 111 5.4 Zusammenfassung 116

6 Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 126 6.1 Die Irrelevanz der ‚goldenen Regel’ 126

6.1.1 Die Regelungen im Grundgesetz 128 6.1.2 Modifikationen in einzelnen Ländern 135 6.1.3 Gemeinsame Probleme aller Regelungen 136

6.2 Die begrenzte Bindungswirkung der europäischen Haushaltsregeln 140 6.2.1 Die europäischen Haushaltsregeln 141 6.2.2 Die Umsetzung der europäischen Regeln im deutschen

Bundesstaat 146 6.3 Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 147

7 Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 149 7.1 Finanzreferenden 149 7.2 Bundesstaatliches Insolvenzverfahren 152 7.3 Die Durchsetzbarkeit dieser Reformoptionen 158

8 Fazit 161

9 Literaturverzeichnis 169

10 Anhang 183

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Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Prozentualer Anteil der Steuerarten an den kassenmäßigen

Steuereinnahmen im Jahr 2004 25 Tabelle 2-2: Geberländer im horizontalen Länderfinanzausgleich 1995-

2006 27 Tabelle 2-3: Durchschnittliche Bereinigte Einnahmen pro Kopf nach

Ländergruppen 1991-2006 30 Tabelle 2-4: Durchschnittliche jährliche Veränderung der kassenmäßigen

Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften in Prozent 31 Tabelle 3-1: Durchschnittliche Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte

der Bundesländer 1995-2006 63 Tabelle 3-2: Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner nach

Gemeindegrößenklassen im Jahr 2004 67 Tabelle 3-3: Studierende pro 1000 Einwohner im Bundesländervergleich

im Jahr 2004 70 Tabelle 3-4: Studierende pro 1000 Einwohner im Großstadtvergleich im

Jahr 2004 71 Tabelle 3-5: Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Euro der Stadtstaaten

im Vergleich der Bundesländer und der Großstädte im Jahr 2004 72

Tabelle 3-6: Einnahmen im realen Haushalt und einem Modellhaushalt Mecklenburg-Vorpommerns in Millionen Euro im Jahr 2005 81

Tabelle 3-7: Ausgaben im realen Haushalt und einem Modellhaushalt Mecklenburg-Vorpommerns in Millionen Euro im Jahr 2005 82

Tabelle 3-8: Hypothesen zur Erklärung der Unterschiede in den Länderdefiziten 83

Tabelle 3-9: Übersicht über die Operationalisierung der theoretischen Konstrukte und die verwendeten Datenquellen 89

Tabelle 4-1: Schuldenstand der Länder am 31.12.2006 92 Tabelle 4-2: Durchschnittliche Haushaltssaldi und Primärsaldi der Länder

1995-2006 93 Tabelle 4-3: Jährliche Veränderung der kassenmäßigen Steuereinnahmen

in Prozent und jährliches Wirtschaftswachstum (Periodendurchschnitte) 94

Tabelle 4-4: Haushaltssaldi nach Untersuchungsphasen 96 Tabelle 4-5: Primäre Haushaltssaldi nach Untersuchungsphasen 97 Tabelle 5-1: Determinanten der Pro-Kopf-Saldi 1995-2006 (Bivariate

Regressionen und Partialkorrelationen) 105

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8 Tabellenverzeichnis

Tabelle 5-2: Determinanten der Pro-Kopf-Primärsaldi 1995-2006 (Bivariate Regressionen und Partialkorrelationen) 107

Tabelle 5-3: Determinanten der Primärdefizite. Zusammenfassung der bivariaten Regressionen und Partialkorrelationen in den vier Subperioden 108

Tabelle 5-4: Mittelwertvergleich des Wirtschaftswachstums nach Ländergruppen 110

Tabelle 5-5: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1995-2006 112 Tabelle 5-6: Determinanten der Primärsaldi 1995-2006 (Trivariate

Regression) 113 Tabelle 5-7: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der

Haushaltsbilanz nach Regierungstypen 118 Tabelle 5-8: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der

Haushaltsbilanz nach ideologischer Orientierung 119 Tabelle 5-9: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der

Haushaltsbilanz nach parteipolitischer Zusammensetzung 120 Tabelle 6-1: Referenzgrößen quantitativer Beschränkungen für Ausgaben,

Haushaltssaldo und Schuldenstand 126 Tabelle 6-2: Klassifizierung der quantitativen Beschränkungen in den

Landesverfassungen 135 Tabelle 6-3: Defizitquoten und Schuldenstandsquoten Deutschlands in

den Jahren 1991 bis 2006 143 Tabelle 7-1: Kreditratings der Bundesländer 154

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Verzeichnis der Schaubilder Schaubild 3-1: Durchschnittliche Arbeitslosigkeit und

Bevölkerungsentwicklung im Zeitraum 1991 bis 2006 57 Schaubild 3-2: Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Pro-Kopf-

Ausgaben 61 Schaubild 3-3: Der Einfluss der Einwohnerzahl auf die Pro-Kopf-Ausgaben 65 Schaubild 3-4: Bundesergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlich

hoher Kosten politischer Führung pro Einwohner in Euro und Einwohnerzahl der Bundesländer im Jahr 2005 66

Schaubild 3-5: Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner und Einwohner je Polizist in den Ländern im Jahr 1997 68

Schaubild 3-6: Wirtschaftskraft und Finanzkraft der Bundesländer in Prozent des Länderdurchschnitts im Jahr 2004 75

Schaubild 3-7: Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten an die ostdeutschen Länder und Berlin in Milliarden Euro 80

Schaubild 4-1: Durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung in Euro nach Ländergruppen 1960-2006 90

Schaubild 4-2: Primärausgabenquoten von Berlin, Bremen und dem Saarland 1991-2006 98

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10 Tabellenverzeichnis

Verzeichnis der Tabellen im Anhang Tabelle A-3-1: Bundesgesetzlich veranlasste Sozialausgaben und Defizite

pro Einwohner im Jahr 2003 in Euro 183 Tabelle A-5-1: Determinanten der Primärsaldi 1995-1997 (bivariate

Regressionen und Partialkorrelationen) 184 Tabelle A-5-2: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1995-1997 185 Tabelle A-5-3: Determinanten der Primärdefizite 1995-1997 (trivariate

Regressionen) 186 Tabelle A-5-4: Determinanten der Primärsaldi 1998-2000 (bivariate

Regressionen und Partialkorrelationen) 187 Tabelle A-5-5: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1998-2000 188 Tabelle A-5-6: Determinanten der Primärdefizite 1998-2000 (trivariate

Regressionen) 188 Tabelle A-5-7: Determinanten der Primärdefizite 2001-2003 (bivariate

Regressionen und Partialkorrelationen) 190 Tabelle A-5-8: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 2001-2003 191 Tabelle A-5-9: Determinanten der Primärdefizite 2001-2003 (trivariate

Regressionen) 191 Tabelle A-5-10: Determinanten der Primärdefizite 2004-2006 (bivariate

Regressionen und Partialkorrelationen) 193 Tabelle A-5-11: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 2004-2006 194 Tabelle A-6-1: Quantative Beschränkungen der Kreditaufnahme in den

Landesverfassungen 194 Tabelle A-6-2: Schuldenstandsquoten der EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2005 197 Tabelle A-7-1: Rating-Skalen von Fitch, Moody’s und Standard&Poor’s

(Investment Grade Ratings) 197

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Abkürzungsverzeichnis 11

Abkürzungsverzeichnis AB Arbeitslosenquote Abs. Absatz a.F. Alte Fassung BAFöG Bundesausbildungsförderungsgesetz BayHO Haushaltsordnung des Freistaates Bayern (Bayerische Haushaltsord-

nung – BayHO) BB Brandenburg BE Berlin BHE/GB Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten/Gesamtdeutscher

Bund BIP Bruttoinlandsprodukt BGBl. Bundesgesetzblatt BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BW Baden-Württemberg BY Bayern CDU Christlich Demokratische Union Deutschlands CSU Christlich-Soziale Union in Bayern DM Diachrone Machtverteilung EG Europäische Gemeinschaft EINW Einwohner EU Europäische Union FAG Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Fi-

nanzausgleichsgesetz – FAG) FDP Freie Demokratische Partei GB Gesamtdeutscher Bund GG Grundgesetz HB Bremen HE Hessen HGrG Haushaltsgrundsätzegesetz HH Hamburg i.E. im Erscheinen InsO Insolvenzordnung IO Ideologische Orientierung MaßstG Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die

Verteilung des Umsatzsteueraufkommen, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungs-zuweisungen (Maßstäbegesetze – MaßstG)

MV Mecklenburg-Vorpommern nF Neue Fassung NI Niedersachsen

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12 Abkürzungsverzeichnis

NRW Nordrhein-Westfalen NW Nordrhein-Westfalen OW Ost-West-Dummy PDS Partei des Demokratischen Sozialismus RP Rheinland-Pfalz SCHILL SCHILL-Partei (eigentlich: Partei Rechtsstaatlicher Offensive) SH Schleswig-Holstein SL Saarland SM Synchrone Machtverteilung SoBEZ Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen SN Sachsen SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands ST Stadtstaaten-Dummy ST Sachsen-Anhalt STATT STATT-Partei StabWG Stabilitäts- und Wachstumsgesetz TN Thüringen TR Transfersaldo TSD Tausend WW Wirtschaftswachstum

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1. Fragestellung und Vorgehensweise 13

1 Fragestellung und Vorgehensweise

In den vergangenen Jahren unterlagen die Landeshaushalte starken Schwankungen: Seit 2008 schlagen sich die Folgen der internationalen Finanzkrise auch in den Ländern nieder – so stark, dass in den Medien schon über einen möglichen Staatsbankrott Schleswig-Holsteins spekuliert wurde.1 Zuvor konnten die Länder jedoch im Zuge der wirtschaftlichen Erholung deutliche Konsolidierungserfolge verbuchen. So wiesen im Jahr 2007 die Haus-halte von zwölf der sechzehn Länder einen Überschuss auf,2 ein Novum nach Jahrzehnten ständig steigender Schulden. Denn noch 2004 befand sich die Kreditaufnahme in zehn von sechzehn Landeshaushalten oberhalb der von den Verfassungen definierten Regelgrenze (Kitterer/Groneck 2006: 561).3 Die Regierungen dieser Länder führten dafür mitunter au-ßergewöhnliche Begründungen an. So griff der nordrhein-westfälische Finanzminister Linssen mit der objektiven Unmöglichkeit4 auf einen Terminus des Privatrechts zurück und führte in den Haushaltsverhandlungen aus: „Es ist uns nach wie vor objektiv unmöglich, unsere in der Landesverfassung verankerten Aufgaben zu erfüllen und gleichzeitig die Re-gelobergrenze der Kreditaufnahme einzuhalten“ (Linssen 2006).

Diese Entwicklungen verdeutlichen die Konjunktursensibilität der Haushalte – ein steigendes Wirtschaftswachstum führt zu steigenden Steuereinnahmen und sinkenden Sozi-alausgaben und resultiert somit in einer verbesserten Haushaltsbilanz. Zugleich zeigt diese Entwicklung auch die Notwendigkeit einer längerfristig angelegten Analyse der Länderfi-nanzen auf, denn erst in der längerfristigen Betrachtung gleichen sich die kurzfristigen Schwankungen aus. Diese Studie widmet sich dieser Analyse unter Rekurs auf den Begriff der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit. Als finanzpolitische Handlungsfähigkeit wird in dieser Studie die Fähigkeit einer Regierung bezeichnet, Ausgaben zu tätigen, um politische Zielvorstellungen zu realisieren und die hierfür nötigen Einnahmen zu generieren.5 Da der moderne Staat ein Steuerstaat ist (Schuppert 2003), ist für die Generierung der Einnahmen vor allem die Fähigkeit entscheidend, über Art und Umfang der Steuern zu entscheiden. Wendet man das Konzept der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit auf den Gegenstand dieser Studie, die deutschen Bundesländer, an, so kann festgehalten werden, dass ihre fi-nanzpolitische Handlungsfähigkeit sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgaben-seite durch die bundesstaatliche Verfassung institutionell stark eingeschränkt ist.

1 „Politiker warnen vor Staatsbankrott in Schleswig-Holstein“, http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518, 609519,00.html vom 24.2.2009. 2 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 14, Reihe 2). Die Angaben beziehen sich auf die konsolidierten Haushalte von Ländern und Gemeinden (vgl. Abschnitt 3.8.1.). 3 Die Länder dürfen Kredite aufnehmen bis zur Höhe der im Haushalt veranschlagten Investitionsausgaben. Aus-nahmen sind zulässig bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Diese Regel und ihre Variati-onen in den einzelnen Ländern werden in Abschnitt 6.1. ausführlich analysiert. 4 „Die innerhalb eines Schuldverhältnisses zu erbringende Leistung ist unmöglich, wenn sie vom Schuldner end-gültig nicht erbracht werden kann […]. Bei der Unmöglichkeit einer Leistung ist zwischen objektiver U. (die L. ist niemandem möglich, z.B. die Sache ist untergegangen) und subjektiver U. (auch Unvermögen genannt, die L. ist nur dem Schuldner unmöglich, z.B. die Sache gehört einem Dritten) […] zu unterscheiden“ (Creifelds 1997: 1306). 5 Vgl. dazu auch die Debatte um fiscal space (Heller 2005).

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14 1. Fragestellung und Vorgehensweise

Auf der Einnahmenseite ist zu konstatieren, dass die Länder keine autonome Steuerge-setzgebung besitzen. Sie können über den Bundesrat zwar Einfluss nehmen, dessen Zu-stimmung ist notwendig für alle Gesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden ganz oder zum Teil zufließt (Art. 105 Abs. 3 GG). Kein Land kann jedoch allein für sich über Art und Umfang der Steuern entscheiden, die auf seinem Territo-rium erhoben werden. Zudem werden die Erträge aus den bundeseinheitlichen Steuern durch das System der bundesstaatlichen Steuerverteilung und den nachgelagerten Länderfi-nanzausgleich massiv umverteilt. Die Länder müssen daher ihre Einnahmen weitgehend als extern vorgegebene Größe betrachten.

Auch auf der Ausgabenseite der Länderhaushalte zeigen sich institutionelle Begren-zungen der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit. Der deutsche Bundesstaat weist eine funktionale Aufgabenteilung auf: Der Bund ist für den Großteil der Gesetzgebung zustän-dig, während den Ländern überwiegend die Gesetzesausführung, also der Verwaltungsvoll-zug, obliegt. Infolgedessen ist der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben der Länder mehr als dreimal so hoch als im Bund (Bräuer 2005: 369). Personalausgaben sind deutlich weniger flexibel als Sach- und Investitionsausgaben, so dass sich hier langfristige Bindungen der Haushalte ergeben. Wichtiger noch für die Länderhaushalte ist eine andere Folge des deutschen Verbundföderalismus, die Vollzugskausalität. Gemäß der Vollzugs-kausalität trägt die ausführende Staatsebene und nicht die veranlassende Staatsebene die Kosten einer Maßnahme. Infolgedessen werden die Länder durch die Kosten der Bundesge-setze belastet, die sie ausführen.

Aus diesem institutionell beschränkten Handlungsspielraum der Länder ergibt sich ei-ne erhöhte Attraktivität der Kreditaufnahme. Kredite sind eine autonom gestaltbare Ein-nahmequelle – allerdings nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Schranken, die aber kaum eine effektive Restriktion bedeuten (vgl. Abschnitt 6.1.). Sie bieten zusätzliche Ein-nahmen, die gemäß eigener Präferenzen ausgegeben werden können. Kurzfristig und für einen begrenzten Zeitraum erhöhen sie also die finanzpolitische Handlungsfähigkeit. Mit-tel- und langfristig schränkt die Staatsverschuldung jedoch die Handlungsfähigkeit der Landesregierungen infolge der Belastungen durch den Schuldendienst enorm ein. Gegen-wärtig ist bereits ein Punkt erreicht, an dem die Kreditfinanzierung den Bundesländern keine Spielräume mehr verschafft, sondern die vorhandenen, ohnehin bescheidenen Spiel-räume weiter eingeschränkt: Im Jahr 2006 nahmen die Bundesländer Kredite in Höhe von 82,7 Milliarden Euro auf. 76,5 Milliarden Euro davon – das entspricht 92,5 % der aufge-nommenen Kredite – mussten die Länder für die Anschlussfinanzierung (‚Prolongierung’) auslaufender Kredite ausgeben, da seit Jahrzehnten kaum noch eine Tilgung von Krediten stattfindet (Schemmel 2006: 44), sondern auslaufende Kredite in der Regel mit immer neu-en Krediten weiterfinanziert werden. Somit verbleiben noch etwa 5,8 Milliarden, die für Staatsausgaben zur Verfügung stehen. Ihnen stehen jedoch Zinsausgaben in Höhe von 26,1 Milliarden Euro gegenüber, die durch die Verschuldung der Vergangenheit entstanden sind.6

Während sich diese Zahlen auf alle Bundesländer gemeinsam beziehen, zeigt sich in einzelnen besonders hoch verschuldeten Ländern eine drastisch verschärfte Situation: Das am höchsten verschuldete Bundesland Bremen gab im Jahr 2006 17,1 Prozent seiner dauer-

6 Quelle: Statistisches Bundesamt. Fachserie 14 Reihe 2. Alle Daten beziehen sich auf das Aggregat von Ländern und ihren Gemeinden (vgl. Abschnitt 3.8.1.).

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1. Fragestellung und Vorgehensweise 15

haften Einnahmen7 für Zinsen aus, in Berlin waren es 12,9 % und im Saarland 12,4 %. Wenn aber ein Achtel (Berlin, Saarland) bzw. ein Sechstel (Bremen) der dauerhaften Ein-nahmen für Zinsen ausgegeben werden muss und der Haushalt obendrein in Teilen durch bundesgesetzlich normierte Ausgaben gebunden ist, stehen für eine eigenständige Politik der Länder nur begrenzte Spielräume zur Verfügung.

Die Verschuldung kann somit als wichtigster Faktor bezeichnet werden, der die fi-nanzpolitische Handlungsfähigkeit der Länder über die institutionelle Bindung hinaus ein-schränkt. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden zu dieser Belastung verstärkt die erheblichen Kosten der demographischen Entwicklung treten. Ein Ausgleich der Haushalte und der Beginn der Tilgung in der Gegenwart würden in den Länderhaushalten Platz für die zu erwartenden Lasten schaffen.

Für die Länder bestehen die Lasten der demographischen Entwicklung vor allem in den Pensionszahlungen für Landesbeamte (Besendorfer/Dang/Raffelhüschen 2005). Infolge der Einstellungswelle der sechziger und siebziger Jahre wird in den kommenden Jahren in den westdeutschen Ländern die Anzahl der Pensionäre stark ansteigen. Der Scheitelpunkt der Pensionsausgaben wird in den westlichen Ländern voraussichtlich 2020 erreicht, da-nach wird die Belastung langsam abklingen. Im Durchschnitt der westlichen Länder prog-nostizieren Besendorfer, Dang und Raffelhüschen (2005: 15) investitionsbereinigt in etwa eine Verdopplung der Pensionsausgaben.8 Den ostdeutschen Ländern sagen sie eine ver-gleichbare Entwicklung mit zeitlicher Verzögerung voraus (Besendorfer/Dang/Raffelhü-schen 2005: 10). Der Bundeshaushalt ist in einem noch stärkeren Ausmaß von der demo-graphischen Entwicklung betroffen als die Landeshaushalte aufgrund des wachsenden Fi-nanzierungsbedarfs in der Pflege- und Rentenversicherung.9 Wenn der Bund jedoch in dauerhafte Finanzierungsschwierigkeiten gerät, bleibt das in der bundesstaatlichen Ver-handlungsarena nicht ohne Auswirkungen auf die Länder. Ein letztes Haushaltsrisiko schließlich ergibt sich für die ostdeutschen Länder aus dem Abbau der Bundesergänzungs-zuweisungen zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten der ostdeutschen Länderhaushal-te. Bis 2020 werden diese Zahlungen ausgehend von einem Niveau von 10,5 Milliarden Euro im Jahre 2005 sukzessive auf null abgesenkt (vgl. Abschnitt 3.7.). Diese Entwicklun-gen machen das Problem der bereits akkumulierten Verschuldung und der fortgesetzten Kreditaufnahme umso dringlicher. Die Konsolidierung sollte unmittelbar begonnen werden, um die finanzpolitische Handlungsfähigkeit auch in den nächsten Jahren sicherzustellen.

Die hohe praktische Relevanz der Länderdefizite hat eine politik-, rechts- und wirt-schaftswissenschaftliche Forschung angeregt zu den Ursachen der unterschiedlich hohen Verschuldung einzelner Länder10 und zu möglichen Reformoptionen, die eine effizientere Begrenzung der Länderdefizite ermöglichen.11 Allerdings erfolgte die Forschung zu den 7 Die dauerhaften Einnahmen bestehen aus den Steuereinnahmen zuzüglich der regulären Transfers aus dem Finanzausgleichssystem. Die befristeten Sanierungszuweisungen an Bremen und das Saarland (vgl. Abschnitt 3.1.3.) bleiben dabei ebenso unberücksichtigt wie die Einnahmen aus der Kreditaufnahme. 8 Die prognostizierten Zahlen variieren zwischen den Ländern. Der Anteil der Pensionsausgaben betrug im Jahr 2001 zwischen 5 und 7 % der Gesamtausgaben der westlichen Flächenländer (eigene Berechnungen auf Basis von Besendorfer/Dang/Raffelhüschen 2005 sowie Daten des Statistischen Bundesamtes). 9 Bereits heute fließen circa 30% des Bundeshaushalts als Zuschuss in die Rentenversicherung. Im Jahr 2008 sind dies 78,5 Milliarden Euro (Quelle: Bundesministerium der Finanzen). 10 Galli/Rossi 2002, Jochimsen/Nuschler 2007, Rodden 2006, Schneider 2007, Seitz 2000, Wagschal 1996a, Wagschal 1996b. 11 Unter anderem: Isensee 2004, Kerber 2002, Konrad 2007, Rossi/Schuppert 2006, Schemmel 2006, Sierck/Pöhl 2006, Wissenschaftlicher Beirat 2005.

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16 1. Fragestellung und Vorgehensweise

Ursachen und zu Reformoptionen weitgehend isoliert voneinander. Diese Segmentierung der Forschung ist problematisch, daher sollen beide Forschungsansätze in dieser Studie integriert werden. Die Probleme der Segmentierung ergeben sich daraus, dass nur unter Kenntnis der Ursachen geeignete Reformoptionen für eine Beseitigung der Länderdefizite identifiziert werden können: Sollte die Ursache der Länderdefizite dominant in strukturel-len Zwängen liegen, so müssten die strukturellen Zwänge beseitigt werden. Strukturelle Zwänge könnten beispielsweise von ökonomischen Problemen oder bundesrechtlichen Verpflichtungen ausgehen, welche ohne Eingriffsmöglichkeiten der Landesregierungen die Ausgaben erhöhen und daher bei einer extern gegebenen Höhe der Einnahmen eine Kredit-finanzierung erzwingen. Geeignete Reformoptionen wären in diesem Fall beispielsweise Finanzhilfen für Bundesländer mit wirtschaftlichen Strukturproblemen oder eine Änderung der bundesstaatlichen Finanzierungszuständigkeiten. Die Lösung bestände somit in institu-tionellen Regelungen, da sie intentional gestaltbar sind und daher politischen Reformen offenstehen.

Wenn hingegen die Länderdefizite vor allem auf eigenständige, nicht strukturell er-zwungene Entscheidungen der Landesregierungen zurückzuführen wären, wäre eine effek-tivere institutionelle Beschränkung des Zugangs zur Kreditfinanzierung notwendig. Der theoretische Ansatz dieser Studie, die Konstitutionelle Politische Ökonomie, geht davon aus, dass die Regierenden dominant an ihrer Wiederwahl orientiert sind. Die Kreditfinan-zierung dient somit dazu, zusätzliche öffentliche Güter zu finanzieren, um Wählerstimmen zu gewinnen. Entscheidungen einer Regierung zur Kreditfinanzierung, die nicht unter strukturellen Zwängen getroffen werden, sollen daher in dieser Studie als wiederwahlorien-tierte Verschuldung bezeichnet werden. Es wird somit zwischen wiederwahlorientierter und strukturell erzwungener Verschuldung differenziert.

Institutionelle Beschränkungen der Kreditaufnahme, die beim dominanten Vorliegen einer wiederwahlorientierten Verschuldung die geeignete Reformoption darstellen, können im Rückgriff auf Buchanan (1980) in quantitative und prozedurale Beschränkungen unter-teilt werden.12 Quantitative Beschränkungen normieren zulässige Ergebnisse des Haus-haltsprozesses, wobei die Grenze der Zulässigkeit durch eine konkrete Maßzahl angegeben wird. Kennedy und Robbins definieren quantitative Beschränkungen „as a statutory or constitutional restriction on fiscal policy that sets a specific limit on a fiscal indicator such as budgetary balance, debt, spending or taxation“ (Kennedy/Robbins 2001: 2). Die Kredit-aufnahme der deutschen Bundesländer unterliegt gegenwärtig zwei quantitativen Beschrän-kungen: Einerseits einer Regelung innerhalb der Landesverfassungen, die die zulässige Kreditaufnahme auf die Höhe der Investitionsausgaben begrenzt, andererseits den europäi-schen Haushaltsregeln, die das zulässige gesamtstaatliche Defizit auf 3 % des Bruttoin-landsproduktes begrenzen.13

Prozedurale Beschränkungen greifen in den Haushaltsprozess ein und versuchen ihn im Sinne eines gewünschten Resultats zu modifizieren, geben jedoch kein quantitatives Ergebnis vor: „procedural constraints have in common that they seek, not to operate upon specific outcomes, but to modify the processes or rules through which fiscal decisions are 12 Quantitative und prozedurale Beschränkungen der Kreditaufnahme zählen zu der größeren Gruppe der Haus-haltsregeln. Die Haushaltsregeln (budgetary institutions) umfassen “the set of rules and regulations according to which budgets are drafted, approved and implemented“ (Alesina/Perrotti 1996: 401). 13 Das gesamtstaatliche Defizit ergibt es aus den Haushalten des Bundes, der Länder und ihrer Gemeinden sowie der Sozialversicherungen. Die Länder sind den europäischen Haushaltsregeln als Teil des deutschen Bundesstaates unterworfen. Die europäischen Haushaltsregeln werden in Abschnitt 6.2. ausführlich diskutiert.

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1. Fragestellung und Vorgehensweise 17

made“ (Buchanan 1980: 83). In der Regel verändern prozedurale Beschränkungen die Ent-scheidungsbefugnis einzelner Akteure im Haushaltsprozess. In den Kapiteln 6 und 7 dieser Studie werden die Vorzüge und Nachteile quantitativer und prozeduraler Beschränkungen näher analysiert.

Aus der Verknüpfung der Analyse der Verschuldungsursachen mit der Identifikation von Reformoptionen resultiert eine doppelte Fragestellung: 1. Wie lassen sich die Unterschiede in den Defiziten der Bundesländer erklären? 2. Welche Reformoptionen für eine effektive Reduzierung der Länderdefizite bieten sich

an? Beide Fragestellungen werden unter einem einheitlichen theoretischen Ansatz, der Konsti-tutionellen Politischen Ökonomie (Buchanan 1991), behandelt. Dieser theoretische Ansatz ist auch in der Diskussion institutioneller Reformoptionen von zentraler Bedeutung: In dieser Studie sind nicht die institutionellen Regelungen selbst von Interesse, sondern die Frage, welche Regeln das Handeln der Akteure so lenken können, dass ein spezifisches Ergebnis – niedrigere Defizite – entsteht. Das Ziel besteht also nicht darin, einzelne institu-tionelle Regeln zu beschreiben, sondern Aussagen über die Interaktionen von Institutionen und Akteuren zu treffen. Um diese Aussagen treffen zu können, wird ein Handlungsmodell benötigt (Zintl 1994: 219), das der Konstitutionellen Politischen Ökonomie entnommen wird.

Während die Konstitutionelle Politische Ökonomie für sich genommen die Identifika-tion möglicher Reformoptionen anleiten kann, bedarf sie für die Analyse der Verschul-dungsursachen der Ergänzung um weitere Theorien, um ein adäquates Erklärungsmodell zu konstruieren. Hierzu wird auf Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung (Schmidt 1993, Zohlnhöfer 2008) zurückgegriffen. Um die spezifischen Probleme der Stadtstaaten zu erfassen, werden zudem Anleihen aus der Finanzwissenschaft entnommen (Brecht 1932, Seitz 2002). Die Erklärungsfaktoren aus den unterschiedlichen Theorietradi-tionen werden in dieser Studie unter einer gemeinsamen handlungstheoretischen Perspekti-ve integriert, die zwischen den Präferenzen der Akteure und den Restriktionen differenziert, denen das Handeln der Akteure unterliegt (Roller 2005: 123).

Aufgrund der Verwendung von Erklärungsfaktoren aus unterschiedlichen Theorietra-ditionen kann der relative Erklärungsbeitrag der Konstitutionellen Politischen Ökonomie und der Staatstätigkeitsforschung vergleichend analysiert werden. Das ist zugleich ein Bei-trag zu einem Theorienvergleich. Einen solchen Theorienvergleich unternimmt Wagschal (2003) im Rahmen einer Analyse der Defizite entwickelter westlicher Demokratien. Er kommt zu dem Ergebnis: „Hinsichtlich der Diskussion der einzelnen politisch-ökono-mischen Modelle bleibt nach einer empirischen Überprüfung nicht mehr allzu viel übrig“ (Wagschal 2003: 317).

Trotz einiger bereits vorliegender Untersuchungen zu den Determinanten der Länder-defizite, muss in dieser Studie eine erneute Analyse erfolgen. In den vorhandenen Arbeiten werden nicht alle sechzehn Länder untersucht, sondern nur eine variierende Teilmenge. Zumeist werden allein die westdeutschen Länder untersucht. Häufig wird obendrein Berlin aus der Analyse ausgeschlossen, aufgrund der besonderen fiskalischen Situation West-Berlins vor der Vereinigung (vgl. Abschnitt 7.3.). Eine Ausnahme bildet Roddens (2006) Untersuchung: Rodden untersucht auch die ostdeutschen Länder, schließt aber Bremen und

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18 1. Fragestellung und Vorgehensweise

das Saarland aufgrund unterschiedlicher Ausgangsbedingungen infolge der Sanierungszu-weisungen aus.14 Zudem analysiert Rodden nicht die Defizite der Länder, sondern die jähr-lichen Veränderungen der Länderausgaben. In dieser Studie werden erstmals die Defizite aller sechzehn Länder vergleichend analysiert.

Neben der Begrenzung der Fallauswahl in den vorliegenden Studien muss auch ver-merkt werden, dass die Ergebnisse der Analysen in Teilen widersprüchlich sind. Die Frage nach den Determinanten der Länderdefizite kann daher als noch nicht hinreichend geklärt angesehen werden. In den vorliegenden Studien werden in der Regel politisch-institutio-nelle und sozioökonomische Faktoren untersucht. Zu den politisch-institutionellen Faktoren gehören zumeist die ideologische Orientierung der Regierungen und die Frage eines politi-schen Konjunkturzyklus. So untersucht Wagschal (1996a) die Auswirkungen der ideologi-schen Orientierung und des Wahlzeitpunktes auf die Pro-Kopf-Verschuldung der westdeut-schen Länder in den Jahren 1960 bis 1992 mithilfe von Korrelationsanalysen und Mittel-wertvergleichen. Er konstatiert eine deutlich höhere Pro-Kopf-Verschuldung unter linken Regierungen sowie einen leicht erhöhten Anstieg der Verschuldung in Wahljahren, welcher zudem nach ideologischer Orientierung variiert: Unter linken Regierungen ist der Unter-schied im Verschuldungsanstieg zwischen Wahljahren und Nichtwahljahren deutlich größer als unter bürgerlichen Regierungen. Wagschal (1996b) bestätigt zudem den höheren An-stieg der Pro-Kopf-Verschuldung unter Linksregierungen und in Wahljahren mit einer gepoolten Zeitreihenanalyse im Zeitraum 1960 bis 1990. Für die Anzahl der Regierungs-parteien erhält er hingegen uneinheitliche Befunde.

Seitz (2000) findet in seinen gepoolten Zeitreihenanalysen für die Jahre 1976 bis 1996 keinerlei Anhaltspunkte für eine Wirkung der ideologischen Orientierung der Landesregie-rung auf die jährliche Veränderung der Primärdefizite der westdeutschen Länder.15 Seitz sieht die Haushaltspolitik vielmehr hauptsächlich ökonomisch determiniert. Dagegen sind der gepoolten Zeitreihenanalyse von Galli und Rossi (2002) zufolge die Defizite der west-deutschen Länder in den Jahren 1974 bis 1994 unter Rechtsregierungen signifikant niedri-ger als unter Linksregierungen. Gleichwohl schätzen die Autorinnen die Erklärungskraft der ideologischen Orientierung als nicht sehr befriedigend ein (Galli/Rossi 2002: 299). Im Unterschied zu Wagschal und Seitz schließen Galli und Rossi Berlin nicht aus der Analyse aus.

Jochimsen und Nuscheler (2007) untersuchen die jährliche Veränderung der Defizite der zehn westdeutschen Länder mit Ausnahme Berlins in den Jahren 1960 bis 2005. Sie finden einen signifikant niedrigeren Anstieg der Defizite in Vorwahljahren sowie einen signifikant höheren Anstieg unter Koalitionsregierungen und können keine parteipoliti-schen Effekte feststellen. Den Effekt hinsichtlich der Vorwahljahre rationalisieren sie fol-gendermaßen: „Thus, German voters seem to favor fiscal discipline or, at least, the incum-bent may believe they do“ (Jochimsen/Nuscheler 2007: 2). Dieser Befund steht im diamet-ralen Gegensatz zu den Ergebnissen von Wagschal und Galli/Rossi. Wagschal und Gal-li/Rossi argumentieren in Anlehnung an eine Tradition der Theorien des politischen Kon-junkturzyklus (Nordhaus 1975), dass Regierungen versuchen, ihre Wiederwahlaussichten mit zusätzlichen öffentlichen Gütern zu verbessern, welche ein steigendes Defizit nach sich ziehen. Jochimsen und Nuscheler gehen hingegen im Anschluss an eine andere Tradition

14 Infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhielten Bremen und das Saarland zwischen 1994 und 2004 Sanierungszuweisungen des Bundes aufgrund einer extremen Haushaltsnotlage (vgl. Abschnitt 3.1.3.). 15 Vgl. zur Definition der Primärdefizite Abschnitt 3.8.1.

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1. Fragestellung und Vorgehensweise 19

davon aus, dass Regierungen vor Wahlen ihre finanzpolitische Kompetenz mit einer sin-kenden Kreditaufnahme signalisieren (Rogoff/Sibert 1988) – dafür müssten sie allerdings unter sonst gleichen Bedingungen ein sinkendes Angebot an öffentlichen Gütern in Kauf nehmen.

Schneider (2007) erhält ähnliche Ergebnisse wie Jochimsen und Nuscheler in ihrer Analyse des natürlichen Defizitwachstums der westdeutschen Länder ohne Berlin zwischen 1970 und 2003.16 Schneider berichtet ein sinkendes Defizitwachstum in Vorwahljahren und interpretiert dieses Ergebnisse offensiver als Jochimsen und Nuscheler: „Wähler bevorzu-gen eine konservative Fiskalpolitik und tendieren dazu, die Regierung für exzessive Haus-haltsdefizite abzustrafen.“17 Des Weiteren weist Schneider ein höheres Defizitwachstum unter SPD-Regierungen sowie bei den Nehmerländern des Finanzausgleichs und ein niedri-geres Defizitwachstum unter CDU-Regierungen aus.

Rodden (2006) verfolgt – wie bereits erwähnt – eine andere, aber verwandte Fragestel-lung. Er untersucht, wie sich die Ausgaben der Länder in Abhängigkeit unerwarteter Ein-nahmenentwicklungen (revenue shocks) verändern. Seiner Hypothese zufolge reagieren Länder, die Einnahmen aus dem bundesstaatlichen Transfersystem erhalten, auf unerwartet niedrige Einnahmen (negative revenue shocks etwa infolge einer Rezession) nicht mit komplementären Ausgabenkürzungen. Rodden geht davon aus, dass die Regierungen der Empfängerländer die Erwartung hegen, bei einer übermäßigen Verschuldung Hilfen der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu erhalten, wie dies bei Bremen und dem Saarland in den Jahren 1994 bis 2004 der Fall war. Daher vermeiden diese Regierungen unpopuläre Ausga-benkürzungen in der Gegenwart und nehmen infolgedessen höhere Defizite in Kauf. Rod-den findet seine Hypothese empirisch bestätigt – sowohl für die westdeutschen Länder mit Ausnahme West-Berlins im Zeitraum von 1975 bis 1993 als auch für alle Länder mit Aus-nahme Bremens und des Saarlandes in den Jahren von 1995 bis 2003.

Nach Durchsicht dieser Vorgängerstudien kann konstatiert werden, dass erheblicher Dissens hinsichtlich einiger Erklärungsfaktoren verbleibt, namentlich des politischen Kon-junkturzyklus und der ideologischen Orientierung der Regierung. Die Ursache dieser diver-gierenden Ergebnisse liegt auch darin, dass die Studien die abhängige Variable unterschied-lich messen und auch die Fallzahlen, Untersuchungszeiträume und Analysemethoden vari-ieren. Aus diesem Befund wird unter anderem die Konsequenz gezogen, die Determinanten der Länderdefizite in allen sechzehn Ländern zu analysieren. Da die Fragestellung dieser Studie auf längerfristige Niveauunterschiede in den Defiziten zielt, werden im Gegensatz zu den meisten Vorgängerstudien nicht die jährlichen Veränderungen der Defizite ( Defi-zit = Defizitt – Defizitt-1) mithilfe einer gepoolten Zeitreihenanalyse untersucht. Stattdessen werden mehrjährige Durchschnitte des Defizits (Niveauwerte) einer Querschnittsregression unterzogen. Die Gründe und Implikationen dieser Entscheidung werden in Abschnitt 5.1. ausführlich beleuchtet.

Die gemeinsame Analyse der Verschuldungsursachen aller sechzehn Länder in dieser Studie setzt 1995 ein und endet 2006. 2006 ist das letzte Jahr, zu dem alle erforderlichen Daten zum Zeitpunkt der Niederschrift vorlagen. 1995 wurde als Beginn der Untersuchung gewählt, da von diesem Jahr an den ostdeutschen Ländern eine Finanzierungsbasis zur

16 Das natürliche Defizitwachstum berechnet Schneider (2007: 228) folgendermaßen: ln(Defizitt) – ln(Defizitt-1). 17 Diese These steht im Konflikt zu den Erkenntnissen der empirischen Wahlforschung zu den Informations-grundlagen und dem Entscheidungskalkül der Wähler (vgl. D. Fuchs/Kühnel 1994), eine eingehendere Ausei-nandersetzung mit der These erfolgt in Abschnitt 3.1.2.

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20 1. Fragestellung und Vorgehensweise

Verfügung stand, die ihre erhöhte Ausgabenbelastung infolge der Transition auffangen konnte (vgl. Abschnitt 2.3.). Eine vergleichende Analyse der Defizite der ost- und west-deutschen Länder ist daher ab 1995 möglich. Eine solche Analyse wird in dieser Studie erstmalig unternommen.18 Die Frage nach der Vergleichbarkeit der fiskalischen Bedingun-gen in den ost- und den westdeutschen Ländern wird somit explizit aufgeworfen und empi-risch beantwortet. Die Vorgängerstudien hingegen beließen es in der Regel dabei, eine Besonderheit der ostdeutschen Länder zu postulieren und sie dann aus der Analyse auszu-schließen.

Ergänzend zu der quantifizierenden Analyse von Aggregatdaten aller sechzehn Länder treten fünf Experteninterviews: Um die Wirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Länder-haushalte besser erfassen zu können, wurden Interviews in einem westdeutschen und einem ostdeutschen Land mit hoher Arbeitslosigkeit geführt – mit Vertretern der Finanzministe-rien im Saarland und in Mecklenburg-Vorpommern.19 Die fiskalische Situation der Stadt-staaten wurde in Interviews mit Haushaltsexperten aus Berlin, Bremen und Hamburg erör-tert.20 Gliederungsaufbau Vor der Untersuchung der Verschuldungsursachen wird zunächst der institutionelle Rah-men der Analyse dargestellt, um die Handlungsspielräume der Akteure adäquat einschätzen zu können. Im Vordergrund steht dabei die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit der Länder durch die bundesstaatliche Finanzverfassung (Kapitel 2). Das dritte Kapitel stellt das der Studie zugrundeliegende Erklärungsmodell vor. In 3.1. wird zunächst der zentrale Ansatz der Konstitutionellen Politischen Ökonomie expliziert, dabei werden auch Grenzen und Defizite dieses Ansatzes herausgearbeitet. Um zu einem ange-messeneren Erklärungsmodell zu gelangen, wird der Versuch unternommen, diese Defizite durch Anleihen bei der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung (3.2., 3.3. und 3.4.) sowie der Finanzwissenschaft (3.5.) zu kompensieren. Aus diesen Erklärungsansätzen werden jeweils Hypothesen abgeleitet. Der Abschnitt 3.6. widmet sich der fiskalischen Situation der ostdeutschen Länder, daran anschließend werden die Hypothesen zusammengefasst und auf die Leitdifferenz zwischen strukturell erzwungener und wiederwahlorientierter Ver-schuldung bezogen (3.7.). Der Theorieteil schließt mit der Operationalisierung der theoreti-schen Konstrukte (3.8.).

Im vierten Kapitel erfolgt eine ausführliche Deskription der Länderhaushalte, und die Determinanten der Länderdefizite werden im fünften Kapitel analysiert. Die nachfolgende Diskussion institutioneller Defizite und möglicher Reformoptionen wird durch die Ergeb-nisse der Kausalanalyse gesteuert. Diese Ergebnisse zeigen ein deutliches Überwiegen der wiederwahlorientierten Verschuldung über die strukturell erzwungene Verschuldung. Die in dieser Studie diskutierten Reformoptionen fokussieren deshalb auf die institutionelle

18 Mögliche Verzerrungen, die sich aus fortdauernden Unterschieden zwischen den ostdeutschen und westdeut-schen Ländern ergeben könnten, werden statistisch kontrolliert und ausgewiesen. 19 Am 30.1.2006 wurde Wolfgang Förster vom Ministerium der Finanzen des Saarlands interviewt und am 21.3.2006 Jörn Witte vom Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern. 20 Es wurden Gespräche geführt mit Dr. Klaus Martin Boese von der Senatsverwaltung für Finanzen, Berlin (17.3.2006), Bernd-Michael Bühler von der Finanzbehörde Hamburg (20.3.2006) sowie Prof. Dr. Günther Dan-nemann (Universität Bremen, zuvor: Staatsrat in der Senatsverwaltung für Finanzen der Freien Hansestadt Bre-men, 5.12.2005). Der Verfasser dankt allen Interviewpartnern.

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1. Fragestellung und Vorgehensweise 21

Beschränkung der Kreditaufnahme.21 Zunächst wird die Frage aufgeworfen, weshalb die bestehenden quantitativen Beschränkungen in die Landesverfassungen (6.1.) und in den europäischen Haushaltsregeln (6.2.) die übermäßige Verschuldung einiger Bundesländer nicht verhindern konnten. Aus dieser Diskussion wird die Konsequenz gezogen, dass quan-titative Beschränkungen keine ausreichende Wirksamkeit entfalten, wenn sie den Präferen-zen der Regierungsakteure entgegenstehen (6.3.). Als mögliche Reformoptionen werden daher prozedurale Beschränkungen diskutiert, die externe Akteure im Haushaltsprozess mobilisieren, um die Fähigkeit der Regierung zur Kreditaufnahme einzuschränken. Im Einzelnen werden Finanzreferenden (7.1.) und ein bundesstaatliches Insolvenzverfahren (7.2.) betrachtet, zudem wird die Durchsetzbarkeit dieser Reformoptionen untersucht. Die Studie schließt mit einem Fazit, das die wichtigsten Ergebnisse zusammenfasst und einen Ausblick auf die jüngst beschlossene Schuldenbremse wirft (Kapitel 8).

21 In Abschnitt 5.4. werden ergänzend Reformoptionen zur Beseitigung strukturell erzwungener Defizite diskutiert.

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22 2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

2 Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit durch das bundesstaatliche Institutionensystem

2 Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

2.1 Grundstrukturen des deutschen Verbundföderalismus Einer Analyse der bundesstaatlichen Finanzverfassung muss eine Analyse der bundesstaat-lichen Aufgabenverteilung vorausgehen, da die Finanzverfassung nur sekundären Charakter hat: Die Finanzverfassung hat die Aufgabe für eine angemessene Finanzausstattung aller Glieder der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu sorgen, wobei die Angemessenheit an den von der Verfassung übertragenen Aufgaben zu messen ist. In diesem Sinne kann sie auch als Folgeverfassung bezeichnet werden (Korioth 1997: 32ff.). Neben diesem distributiven Ziel verfolgt die Finanzverfassung auch das allokative Ziel, die knappen finanziellen Res-sourcen effizient einzusetzen. Beide Ziele stehen im politischen Prozess häufig im Konflikt zueinander. In der wissenschaftlichen und in der politischen Debatte überwiegt derzeit deutlich das Allokationsziel, nach ihm wird die deutsche Finanzverfassung bewertet – und heftig kritisiert (Renzsch 2005: 5f.).

Der deutsche Bundesstaat weist eine funktionale Aufgabenteilung auf, bei der der Bund einen Großteil der Gesetzgebungszuständigkeiten auf sich vereint, während die Län-der das Gros der Verwaltungszuständigkeiten tragen. Diese Grundstruktur blieb auch nach der im Jahr 2006 verabschiedeten Föderalismusreform unverändert (Burkhart/Manow 2006, Scharpf 2006). Deutschland steht damit im Gegensatz zu anderen Bundesstaaten, wie etwa den USA oder Kanada, in denen die Aufgaben sektoral getrennt sind: In einzelnen Sektoren bzw. Aufgabenbereichen haben der Bund beziehungsweise die Gliedstaaten jeweils Ge-setzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten. Lehmbruch (2002) führt die Besonderheit des deutschen Bundesstaates auf seine Entstehungsgeschichte zurück: Bei der Gründung des deutschen Nationalstaates 1871 existierten bereits vollständig konsolidierte und macht-voll ausgebaute Staatsapparate in vielen deutschen Gliedstaaten. Der Rückbau dieser Appa-rate und der Aufbau eines konkurrierenden bundesstaatlichen Apparats erschienen politisch nicht opportun. Daher wurden den Gliedstaaten die Verwaltungs- und Durchführungskom-petenzen belassen und der Bund zog allein die Gesetzgebungskompetenzen an sich. Lehm-bruch spricht daher von der Pfadabhängigkeit der weiteren bundesstaatlichen Entwicklung.

Für die Länder ergibt sich aus der überwiegenden Zuständigkeit für die Gesetzes-durchführung und Verwaltung ein vergleichsweise hoher Personalstand. Somit sind die Länderhaushalte anteilig stärker durch Personalausgaben belastet als der Bundeshaushalt, wie eine Betrachtung der Personalkostenquote, d.h. der Personalausgaben in Relation zu den Gesamtausgaben, aufzeigt. In dem Untersuchungszeitraum betrug sie für den Bund ca. 10 %, für die konsolidierten Länder- und Kommunalhaushalte hingegen 38 % (Bräuer 2005: 369). Da Personalausgaben kurzfristig deutlich weniger beeinflussbar sind als Sach- und Investitionsausgaben, ergibt sich eine erste Rigidität der Länderhaushalte beziehungs-weise ein begrenzter finanzpolitischer Handlungsspielraum der Landesregierungen.

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2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit 23

Bei einer funktionalen Trennung von Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit muss in der Verfassung geklärt werden, wer die Kosten einer Maßnahme trägt: derjenige, der sie veranlasst (Gesetzgebungskausalität) oder derjenige, der sie ausführt (Vollzugskau-salität). Das Grundgesetz normiert in Art. 104 a I GG die Vollzugskausalität, jede föderale Einheit hat die finanziellen Lasten zu tragen, die sich aus der jeweiligen Aufgabenzustän-digkeit ergeben, keine Einheit darf fremde Aufgaben finanzieren: „Nicht wer bestellt be-zahlt, sondern umgekehrt, wer ausführt trägt die Kosten“ (Renzsch 2005: 15).22 Die Voll-zugskausalität

„ermöglicht es folglich, dass der Bund den Ländern, in gewissem Umfang aber auch unmittelbar den Kommunen, durch Gesetz kostenträchtige Aufgaben übertragen oder bestehende Aufgaben erweitern kann, ohne zugleich für die finanziellen Folgen aufkommen zu müssen (‚finanzieller Verschiebebahnhof’, ‚heimliche’ Kostenüberwälzung wie z.B. Rechtsanspruch auf einen Kin-dergartenplatz usw. […]“ (Katz 2006: 59).23

Die Vollzugskausalität zeitigt somit ebenfalls Rigiditäten der Länderhaushalte.

Auch wenn der Bund nicht unmittelbar finanziell betroffen ist, so steht er doch mittel-bar in der Pflicht, den Ländern eine hinreichende und weitgehend homogene Finanzausstat-tung zu gewähren, damit sie die bundeseinheitlich definierten Aufgaben bewältigen können (vgl. Renzsch 2005: 10): „Einer einheitlichen Aufgaben- und Ausgabenstruktur kann nicht eine Einnahmenverteilung gleichsam angehängt werden, die auf Verschiedenheit und De-zentralisation setzt“ (Korioth 2007: 59). Im deutschen Bundesstaat wird dieses Postulat durch ein extensives Transfersystem realisiert.24

Das Ausmaß dieses Transfersystems ist darüber hinaus auch in der spezifischen deut-schen Auflösung des universellen Spannungsverhältnisses von Bundesstaatlichkeit und Sozialstaatlichkeit begründet. Das Spannungsverhältnis beruht darauf, dass die Bundes-staatlichkeit auf die Bewahrung von Vielfalt und Unterschieden zielt. Die Sozialstaatlich-keit basiert hingegen auf gleichen Rechtsansprüchen aller Staatsbürger, die unabhängig von territorialen Subeinheiten durchgesetzt werden sollen. Sozialstaatlichkeit zielt somit viel-fach auf die Einebnung der föderalen Vielfalt. Die Bundesrepublik hat sich in diesem Spannungsverhältnis weit dem Pol der Sozialstaatlichkeit angenähert mit dem Postulat der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ (Artikel 106 Abs. 3 GG), beziehungsweise der

22 Die Vollzugskausalität ist heftig kritisiert worden (vgl. beispielhaft Gröpl 2006), aber auch die Alternative der Gesetzeskausalität wäre nicht unproblematisch: Kostenrelevante Entscheidungen werden nicht nur durch das Gesetz selbst, sondern auch in der Gesetzesausführung getroffen: Wenn die Länder von den Folgekosten Ihrer Verwaltungsentscheidungen entbunden wären, wäre ein teurer Gesetzesvollzug zu Lasten des Bundes zu erwarten (Korioth 2007, Selmer 1996). 23 Das Grundgesetz sieht allerdings eine Reihe Ausnahmen vor, so etwa die Bundesauftragsverwaltung (Art. 104a Abs. 2 GG), eine Beteiligung des Bundes an Geldleistungen, die Länder aufgrund von Bundesgesetzen zu erbrin-gen haben (Art. 104 a Abs. 3) sowie Finanzhilfen des Bundes „für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden“ (Art. 104b Abs. 1 GG). Infolge der Föderalismusreform erfahren die Kommunen, nicht aber die Länder einen gewissen Schutz vor den Folgen der Vollzugkausalität: Den Kommunen dürfen von 2006 an keine Aufgaben mehr durch Bundesgesetze zugewiesen werden (Ipsen 2006: 2805). 24 Hierbei muss jedoch angemerkt werden, dass eine annähernd homogene Finanzausstattung der Länder die Belastungen durch die Vollzugskausalität nicht vollständig auffangen kann, da die Belastungen durch Bundesge-setze teilweise zwischen den Ländern streuen. Das gilt insbesondere bei Gesetzen, die Leistungsansprüche der Bürger an den Staat konstituieren, so etwa bei der Gewährung von Wohngeld und Sozialhilfe (vgl. Abschnitt 3.3.1.). Pro Einwohner fallen höhere Sozialausgaben in wirtschaftlich schwachen Ländern an, die Vollzugskausali-tät führt hier zu „negativen Finanzausgleichseffekten“ (Renzsch 2005: 16).

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24 2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

„Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse“ (Art.72 Abs. 2 GG).25 Dieses Postulat verstärkte und intensivierte den ohnehin funktional notwendigen Finanzausgleich zusätz-lich. Dieser Finanzausgleich bildet den Gegenstand des nächsten Abschnittes. 2.2 Das föderale Finanzsystem Das bundesstaatliche Steuerverteilungs- und Transfersystem war seit der Gründung der Bundesrepublik ein Gegenstand fortlaufender politischer und juristischer Auseinanderset-zungen (Renzsch 1991). Diese Auseinandersetzungen nahmen in den letzten Jahrzehnten deutlich an Schärfe zu, wie die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den Jah-ren 1986, 1992, 1999 und 2006 aufgrund von Klagen mehrerer Bundesländer belegen. Ur-sache dieser Auseinandersetzungen sind primär die unterschiedliche wirtschaftliche Ent-wicklung im Bundesgebiet – ab 1990 besonders die finanzielle Belastung durch die ost-deutschen Länder – und sekundär die gewachsene Popularität von Theorien des Wettbe-werbsföderalismus (vgl. Schatz/Oyen/Werthes 2000).

Auf Grundlage der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und von Bund-Länder-Exekutivverhandlungen wurde in den letzten Jahren das Finanzsystem mehrfach verändert. Trotz aller Forderungen nach einem radikalen Umbau (u.a. Huber/Lichtblau 1998, Ottnad/Linnartz 1997, Peffekoven 2001) stellten diese Veränderungen jedoch Modi-fikationen im Rahmen des Bestehenden dar (Bräuer 2005). Daher werden in diesem Ab-schnitt nur die Grundstrukturen des Systems dargestellt, die während des Untersuchungs-zeitraums dieser Studie Gültigkeit besaßen, auf eine Schilderung einzelner Detailstrukturen wird verzichtet (siehe dazu Bräuer 2005).

Die ostdeutschen Länder und das wiedervereinigte Berlin waren bis einschließlich 1994 nicht in das bundesstaatliche Ausgleichssystem integriert, sondern erhielt Zuweisun-gen aus dem kreditfinanzierten Fonds Deutsche Einheit. Die Finanzierung der ostdeutschen Länder und Berlins wird im anschließenden Abschnitt 2.3. ausführlich dargestellt, wegen ihrer besonderen Bedeutung für diese Studie: Nur wenn alle sechzehn Länder über eine – vor dem Hintergrund ihrer jeweiligen Kostenbelastung – vergleichbare Finanzausstattung verfügen, kann eine gemeinsame Analyse aller sechzehn Länder sinnvoll durchgeführt werden. Zunächst gilt es jedoch wie bereits erwähnt die Grundstrukturen des Systems dar-zustellen.

Am Beginn des Finanzsystems steht die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern, diese originäre Verteilung wird im anschließenden Finanzausgleich umverteilt. Hinsichtlich der Steuerverteilung ist zwischen der Steuergesetzgebungskompetenz und der Steuer-ertragskompetenz zu unterscheiden (Hennecke 2000). Die Steuergesetzgebungskompetenz ist nahezu ausschließlich beim Bund konzentriert (Bräuer 2005: 94, Kloepfer/Rossi 2003: 320f.). Gemäß Art. 105 2a GG haben die Länder „die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind.“ Da der Bund seine Gesetzgebungskompetenzen wei- 25 Häde (2006) weist zu recht daraufhin, dass „eine ausdrückliche und allgemeine Forderung der Verfassung nach einheitlichen und gleichwertigen Lebensverhältnissen im Bundesgebiet“ (Häde 2006: 565) nicht existiert. Die einheitlichen beziehungsweise gleichwertigen Lebensverhältnisse werden vielmehr als Kriterien für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens und für die konkurrierende Gesetzgebung erwähnt. Auch wenn die beiden Prinzi-pien formalrechtlich auf diese Detailregelungen des Grundgesetzes limitiert sind, so können sie doch im politi-schen Diskurs eine größere Geltung als quasi-allgemeine Prinzipien des deutschen Föderalismus beanspruchen.

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2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit 25

testgehend ausgeschöpft hat, verbleibt nur ein enger Spielraum für die Länder (Kesper 1998: 95), den sie für quantitativ unbedeutende Steuern nutzen, die primär Lenkungszwe-cken dienen, wie etwa die Zweitwohnungssteuer oder die Verpackungssteuer auf Einweg-geschirr in der Gastronomie (Kesper 1998: 96; Weinzen 2000: 188ff.). Im Zuge der Födera-lismusreform bekamen die Länder zudem „die Befugnis zur Bestimmung des Steuersatzes zur Grunderwerbssteuer“ (Art. 105 2a GG Satz 2). Aber auch diese neue Befugnis ist quan-titativ eher unbedeutsam (Korioth 2007: 58, siehe auch Tabelle 2-1).26

Die Länder können somit faktisch nicht autonom über Art und Umfang der Steuern entscheiden, die auf Ihrem Territorium erhoben werden. Sie haben jedoch Mitentschei-dungsrechte durch den Bundesrat: „Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des Bundesrates“ (Art. 105 Abs. 3 GG). Tabelle 2-1: Prozentualer Anteil der Steuerarten an den kassenmäßigen Steuereinnahmen

im Jahr 2004

Steuerarten Millionen Euro Prozentualer Anteil am Gesamtaufkommen

Gemeinschaftssteuern 296.470 66,9

davon: Umsatzsteuer1 137.366 31,0

davon: Lohnsteuer 123.895 28,0

Bundessteuern 84.554 19,1

davon: Mineralölsteuer 41.782 9,4

davon: Tabaksteuer 13.630 3,1

Ländersteuern 19.774 4,5

davon: KFZ-Steuer 7.739 1,7

davon: Grunderwerbsteuer 4.646 1,0

Gemeindesteuern 38.981 8,8

davon:Gewerbesteuer 28.373 6,4

davon: Grundsteuer2 9.591 2,2

Zölle 3.059 0,7

Steuereinnahmen insgesamt 442.838 100 1 einschließlich Einfuhrumsatzsteuer, 2 umfasst Grundsteuer A und Grundsteuer B. Quelle: Finanzbe-richt 2006: 288. Bezüglich der Steuerertragskompetenz ist festzustellen, dass einzelne Steuern Bund, Län-dern, und Gemeinden ausschließlich zustehen. Die aufkommensstärksten Steuern sind je-doch Gemeinschaftssteuern, ihr Aufkommen wird zwischen Bund, Ländern und Gemein-

26 Quantitativ bedeutsamer ist das Recht der Gemeinden Hebesätze auf die Gewerbesteuer und die Grundsteuer festzusetzen (Art. 106 Abs. 6 GG).

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26 2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

den aufgeteilt. In Tabelle 2-1 wird der Anteil der Steuerarten an den kassenmäßigen Steuer-einnahmen im Jahr 2004 ausgewiesen, sowie die beiden quantitativ bedeutsamsten Steuern der einzelnen Steuerarten: Zwei Drittel aller Steuereinnahmen entfallen auf die Gemein-schaftssteuern, während den Länder und ihren Kommunen nur 13,3 % der gesamten Steu-ereinnahmen ausschließlich zustehen.27

Gemäß Art. 106 Abs. 3 GG wird das Aufkommen aus der Einkommens- und Körper-schaftssteuer hälftig zwischen Bund und Ländern geteilt. Die Verteilung der Umsatzsteuer wird durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, geregelt. Hierin liegt ein Flexibilitätspotential der Finanzverfassung, da durch Veränderungen der Umsatz-steuerverteilung zeitnah auf Veränderungen im Finanzbedarf zwischen den föderalen Ebe-nen reagiert werden kann.28

In einem nächsten Schritt muss der Länderanteil an den Verbundsteuern auf die ein-zelnen Länder verteilt werden. Die Einkommenssteuer wird gemäß des Wohnorts des Ar-beitsnehmers und die Körperschaftssteuer gemäß der Betriebsstätte verteilt. Hinsichtlich der Verteilung der Umsatzsteuer normiert das Grundgesetz:

Art 107 Abs. 1: […] „Der Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer steht den einzelnen Ländern nach Maßgabe ihrer Einwohnerzahl zu; für einen Teil, höchstens jedoch für ein Viertel dieses Länderanteils, können durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, Ergänzungsanteile für die Länder vorgesehen werden, deren Einnahmen aus den Landessteuern und aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer je Einwohner unter dem Durchschnitt der Länder liegen.“

Diese Ergänzungsanteile werden zumeist als Umsatzsteuervorwegausgleich bezeichnet, sie sind die wenig bekannte erste Stufe des Finanzausgleichssystems.29

Daran schließt sich der horizontale Finanzausgleich an. Hierbei werden Mittel von den finanzstarken Ländern an die finanzschwachen Länder transferiert, gemäß dem Nivellie-rungsverbot ist eine Umkehrung der Finanzkraftreihenfolge auf dieser Stufe ausgeschlos-sen. 30 Die Finanzkraft wird auch auf dieser Stufe auf die Einwohnerzahl bezogen, wobei

27 Aufgrund des dominanten Steuerverbundes sieht Peffekoven die Bundesländer in einer Trittbrettfahrerposition: „Sie sind bei Steuererhöhungen am Mehraufkommen beteiligt, müssen aber den politischen Widerstand der Steu-erzahler kaum fürchten“ (Peffekoven 2006: 557). Das gilt sicherlich für die Mehrwertsteuererhöhung vom 1.1.2007. Demgegenüber stehen aber massive Einnahmeausfälle der Länder infolge von Steuersenkungen durch den Bundesgesetzgeber (Vesper 2006: 13). Die Länder hätten diesen Steuerreformen zwar im Bundesrat Wider-stand entgegen bringen können, angesichts der notwendigen konzertierten Aktion der Landesregierungen über Parteigrenzen hinweg und angesichts der großen Popularität von Steuersenkungen wäre dies allerdings mit erheb-lichen Schwierigkeiten verbunden gewesen. 28 Vgl. dazu § 1 des FAG. 29 Im Rahmen der maximal zur Verfügung stehenden 25 % des Umsatzsteueraufkommens erfolgte bis Ende 2004 bei finanzschwachen Ländern eine Aufstockung auf 92 % des Länderdurchschnitts. Seitdem gilt die folgende Regelung: „Bei Ländern mit bis zu 97 % der länderdurchschnittlichen Finanzkraft beträgt die Grenzauffüllung bis zu 95 %, zwischen 97 % und 100 % sinkt der Grenzauffüllungssatz linear von 95 % auf 60 %“ (Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern 2005b: 82). 30 Die Quoten, bis zu denen eine Angleichung der Finanzkraft bis 2004 erfolgte und seit 2005 erfolgt, werden bei Bräuer (2005: 258) ausführlich beschrieben. „Die Finanzkraftmesszahl eines Landes errechnet sich aus dessen (ausgleichsrelevanten) Steuereinnahmen nach der Umsatzsteuerverteilung (horizontale Steuerverteilung) zzgl. dessen Anteil am Aufkommen der bergrechtlichen Förderabgabe. Zusätzlich wird die kommunale Finanzkraft zu 64 % einbezogen, die sich aus Grundsteuern, Gewerbesteuer und den Gemeindeanteilen an der Einkommen- und Umsatzsteuer vermindert um die Gewerbesteuerumlage ermittelt“ (Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern 2005b: 82). Bis einschließlich 2004 wurde die kommunale Finanzkraft nur zu 50 % berücksichtigt.

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2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit 27

allerdings die Einwohner der Stadtstaaten mit dem Faktor 1,35 gewichtet (‚veredelt’) wer-den. Mit dieser Einwohnergewichtung soll den strukturellen Unterschieden zwischen Flä-chenländern und Stadtstaaten Rechnung getragen werden (vgl. Abschnitt 3.5.1.).

Die Zahlungen in den horizontalen Länderfinanzausgleich werden von fünf Ländern erbracht, die übrigen elf Länder gehören zu den Empfängern.31 Bei der Interpretation dieses Missverhältnisses müssen jedoch die Einwohnerzahlen der Länder berücksichtigt werden: In den fünf Geberländern leben 59 % der Bundesbevölkerung, sie erbringen die Transfer-leistungen für die übrigen 41 % (Bräuer 2005: 297). Wenn man den Beitrag der einzelnen Geberländer betrachtet, zeigt sich gleichwohl ein deutliches Missverhältnis (vgl. Tabelle 2-2). Entgegen der öffentlichen Diskussion, in der häufig die Belastungen von Baden-Württemberg und Bayern thematisiert werden, unterliegt Hessen bezogen auf die Einwoh-nerzahl deutlich der höchsten Belastung. Relativ stark wird auch Hamburg herangezogen. Tabelle 2-2: Geberländer im horizontalen Länderfinanzausgleich 1995-2006

Land Durchschnittliche jährliche Zahlung pro Einwohner in Euro

Durchschnittliche jährliche Zahlung in Millionen Euro

Hessen 319 1936 Hamburg 210 363 Baden-Württemberg 172 1820 Bayern 150 1846 Nordrhein-Westfalen 54 979

Quelle: Eigene Berechnungen Die dritte und letzte Stufe des Ausgleichs bilden Ergänzungszuweisungen des Bundes (Bundesergänzungszuweisungen, kurz: BEZ). Hier kann zwischen Fehlbetrags- und Son-derbedarfszuweisungen unterschieden werden. Fehlbetragszuweisungen (ab 2005 als all-gemeine Bundesergänzungszuweisungen bezeichnet) führen finanzschwache Länder weiter an den Länderdurchschnitt heran, der aber auch hierbei gemäß des Nivellierungsverbots nicht erreicht wird.32

Bis hierhin orientiert sich das gesamte Ausgleichsystem an dem Prinzip der Anglei-chung der Einnahmen pro Einwohner. Besondere Finanzbedarfe einzelner Länder aufgrund spezifischer Ausgaben können auf dieser letzten Stufe durch Sonderbedarfszuweisungen des Bundes berücksichtigt werden. Auf dieser Stufe kann es zur Umkehrung der Finanz-

31 Eine Sonderstellung nimmt Schleswig-Holstein ein: In den Jahren 1995 und 1997 hat das Land in den Finanz-ausgleich eingezahlt. 1998 hat das Land weder Zahlungen geleistet noch erhalten. In den übrigen neun Jahren des Untersuchungszeitraums hat es Zahlungen empfangen. Im Durchschnitt hat es jährlich pro Einwohner Zahlungen in Höhe von 22,73 Euro empfangen, deshalb wird das Land zu den Empfängerländern gerechnet. 32 Bis einschließlich 2004 wurden 90 % der auf 100 % des Durchschnitts fehlenden Finanzkraft aufgefüllt (Bräuer 2005: 258), seit 2005 sind es 77,5 % der auf 99,5 % des Durchschnitts fehlenden Finanzkraft (Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern 2005b: 84).

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28 2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

kraftreihenfolge kommen, so dass ursprünglich (nach der originären Steuerverteilung) fi-nanzschwache vor ursprünglich finanzstarken Ländern stehen. Im Untersuchungszeitraum wurden die folgenden Sonderbedarfszuweisungen (SoBEZ) gezahlt: SoBEZ „Kosten politischer Führung“ bzw. „Kosten der Kleinheit“: zehn Bundesländer

(bis 2004 neun Bundesländer) erhalten Zuweisungen, weil sie aufgrund einer verhält-nismäßig geringen Einwohnerzahl überproportional hohe Kosten politischer Führung zu tragen haben (vgl. Abschnitt 3.5.).

SoBEZ „Teilungsbedingte Sonderlasten“: Die fünf neuen Länder und Berlin bekom-men Zuweisungen zur Deckung teilungsbedingter Sonderlasten aus dem bestehenden infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft. Diese Zuweisungen sind bis 2019 befristet und degressiv gestaltet (vgl. Abschnitt 3.6.).

SoBEZ „Strukturelle Arbeitslosigkeit“ bzw. „Hartz IV“: Seit 2005 erhalten die neuen Länder Mittel zum Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und der daraus entstehenden überproportionalen Lasten bei der Zusammenfassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige (vgl. Abschnitt 3.3.1.).

„Übergangs“-SoBEZ: Ab 1995 wurden zehn Jahre lang degressiv ausgestaltete Über-gangs-Bundesergänzungszuweisungen an finanzschwache alte Bundesländer gezahlt, die durch die Einbeziehung der neuen Länder und Berlins in das Ausgleichssystem be-sonders belastet wurden.

SoBEZ „Haushaltssanierung“: Von 1994 bis 2004 erhielten Bremen und das Saarland Sanierungszuweisungen (vgl. Abschnitt 3.1.3.).

Bevor die Finanzausstattung der ostdeutschen Länder und Berlins diskutiert wird, kann in einem kurzen Resümee die institutionelle Beschränkung der finanzpolitischen Handlungs-fähigkeit in den Ländern zusammengefasst werden: Bezüglich der Ausgabenseite der Län-derhaushalte ist festzuhalten, dass die Ausgaben auf Grund der Vollzugskausalität in Teilen bundesgesetzlich determiniert sind, sowie durch Personalausgaben langfristig gebunden sind. Auf der Ausgabenseite sind also deutliche Rigiditäten festzustellen.

Auf der Einnahmenseite ist festzuhalten, dass die Länder keine autonome Steuerge-setzgebungskompetenz besitzen und ihr originäres Steueraufkommen in einem komplizier-ten Ausgleichssystem umverteilt und angeglichen wird. Die unitarisierende Dynamik des Finanzausgleichs ergibt sich aus dem Zusammenwirken von funktionaler Aufgabenvertei-lung, Vollzugskausalität, dem Fehlen von autonomen Steuergesetzgebungskompetenzen und dem Gebot gleichwertiger bzw. einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (Bräuer 2005: 86). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Steuereinnahmen der Län-der aus ihrer Sicht als extern gegebenes Faktum zu begreifen sind.

Als autonom gestaltbare Einnahmequellen verbleiben den Bundesländern im Wesent-lichen die Einnahmen aus Vermögensveräußerungen sowie die Kreditaufnahme. Die Ein-nahmen aus Vermögensveräußerungen sind jedoch keine dauerhaften Einnahmen, da sie aus der Auflösung eines Kapitalstockes resultieren. Die Kreditfinanzierung hat eine janus-köpfige Bedeutung für die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Landesregierungen: Kurzfristig erhöht sie den Handlungsspielraum, langfristig schränkt sie ihn jedoch aufgrund der Belastungen des Schuldendienstes erheblich ein.

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2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit 29

2.3 Die ostdeutschen Länder und Berlin im föderalen Finanzsystem Die Wiedervereinigung belastete das bundesdeutsche Finanzsystem schwer: „Während sich die Pro-Kopf-Steuereinnahmen in Folge der gesunkenen Wirtschaftskraft je Einwohner reduzierten, stiegen die Ausgaben des Staates in Anbetracht dieser einigungsbedingten Lasten“ (Bräuer 2005: 101f.). Die sofortige Integration der neuen Länder in den horizonta-len Länderfinanzausgleich hätte dessen Volumen verzehnfacht (Mäding 1995: 105). Die westdeutschen Länder drangen daher auf Übergangsregelungen und eine zeitlich begrenzte Suspendierung der neuen Länder aus dem Finanzausgleichssystem. Die westlichen Länder konnten sich in den Verhandlungen über die Finanzierung der Einheit weitgehend durchset-zen, da ihre Verhandlungsposition einfacher strukturiert war als die des Bundes: Sie zielten nahezu ausschließlich auf die Begrenzung ihrer finanziellen Belastung. Auf Bundesebene waren die fiskalischen Bedenken hingegen dem zentralen Handlungsziel untergeordnet, das historische Gelegenheitsfenster zu nutzen und die Wiedervereinigung international und national durchzusetzen und abzusichern. Den westdeutschen Ländern gelang es somit, die Zahlungen an die ostdeutschen Länder sowie ihren eigenen Beitrag an diesen Transfers zu begrenzen: „Die Festlegung der Finanztransaktionen orientierte sich deshalb nicht an einer validen Prognose des Finanzbedarfs des Beitrittsgebiets, sondern an der Zahlungsbereit-schaft der Geberhaushalte im Westen“ (Bräuer 2005: 154).33

Für einen Übergangszeitraum bis zum 31.12.1994 wurden die ostdeutschen Länder aus dem horizontalen Finanzausgleich ausgeschlossen. Sie erhielten in diesem Zeitraum eben-falls keine Bundesergänzungszuweisungen und ihr Anteil an dem Aufkommen der Umsatz-steuer wurde begrenzt.34 Im Gegenzug erhielten die neuen Länder Zahlungen aus dem Fonds Deutsche Einheit, der als Sondervermögen des Bundes außerhalb des Bundeshaus-haltes konstruiert wurde. Der Fonds wurde zum kleineren Teil aus laufenden Zahlungen von Bund und Westländern finanziert, zum größeren Teil aber durch Kredite. Die verein-barten Transferzahlungen konnten den Finanzbedarf der ostdeutschen Länder nicht decken, daher wurden das Volumen des Fonds Deutsche Einheit sukzessive aufgestockt, von den zunächst veranschlagten 59 Milliarden Euro auf 82 Milliarden Euro.

Bis Ende 1994 bliebt auch das wiedervereinigte Berlin – wie schon West-Berlin zu Zeiten der Teilung – bei dem Finanzausgleich ausgeklammert. West-Berlin erhielt stattdes-sen einen umfangreichen Bundeszuschuss aus dem Bundeshaushalt, der gegen Ende der achtziger Jahre circa die Hälfte der West-Berliner Einnahmen umfasste (Weinzen 2000: 13). Zwischen 1991 und 1995 wurde dieser Bundeszuschuss zügig auf Null heruntergefah-ren, parallel dazu erhielt Berlin ebenfalls Zahlungen aus dem Fonds Deutsche Einheit.35 Die Einnahmen Berlins und der ostdeutschen Länder blieben in den Jahren 1991 bis 1994 deut-lich hinter den Ausgaben zurück. Während man angesichts der Transitionslasten eindeutig 33 Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die politisch Verantwortlichen angesichts der praktisch inexistenten Ver-schuldung der neugegründeten ostdeutschen Länder Spielräume für eine Kreditfinanzierung sahen und daher bewusst auf eine Ausgaben deckende Finanzierung verzichteten (Seitz 2001b: 111). 34 „Für den Übergangszeitraum bis 31.12.2004 sollten die neuen Länder nach Art. 7 III EVertr einen durchschnitt-lichen Umgangssteueranteil je Einwohner in Höhe von 55 % (1991) / 60 % (1992) / 65 % (1993) / 70 % des durchschnittlichen Umsatzsteueranteils je Einwohner der westdeutschen Länder (jeweils ohne Berlin) erhalten“ (Bräuer 2005: 139). 35 Die Einnahmen aus dem Bundeszuschuss erreichten im Jahr 1991 für das vereinigte Berlin mit 14,469 Mrd. DM ihren Höhepunkt, und sanken dann kontinuierlich auf 13,182 Mrd. DM (1992), 10,082 Mrd. DM (1993) und 5,540 Mrd. DM (1994). Aus dem Fonds Deutsche Einheit erhielt Berlin in den Jahren 1991 bis 1994 jährlich zwischen 2,2 und 2,4 Mrd. DM (Quelle: Zentrale Datenstelle der Länderfinanzministerien).

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30 2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit

von einer zeitweiligen „Unterfinanzierung“ (Seitz 2001b: 111) der ostdeutschen Länder sprechen kann, ist im Falle Berlins eine differenziertere Bewertung angemessen: Neben transitionsbedingten Schwierigkeiten ergab sich im Westteil vor allem das Problem, das drastisch überhöhte Ausgabenniveau parallel zur Kürzung des Bundeszuschusses zurückzu-fahren. Diese hohen Ausgaben waren eine Folge der hohen Zuweisungen an Berlin, welche wiederum aus der Zielsetzung resultierten, im Systemwettbewerb West-Berlin als „Schau-fenster der freien Welt“ aufzubauen. Die notwendigen Anpassungen wurden von der Berli-ner Politik nur verzögert angegangen (vgl. Abschnitt 5.4.). Infolge dieser Ausgabenüber-hänge wuchs die Verschuldung in den ostdeutschen Ländern und Berlin zwischen 1991 und 1994 rasch an (vgl. Abschnitt 4).

1995 wurden die ostdeutschen Länder und Berlin in das föderale Ausgleichssystem in-tegriert, was das gemeinsame Volumen von Umsatzsteuervorwegausgleich, Länderfinanz-ausgleich und Bundesergänzungszuweisungen von 5,2 Mrd. Euro (1994) auf 24,7 Mrd. Euro (1995) anwachsen ließ. Besonders stark war der Anstieg auf der zuvor relativ unbe-deutenden ersten Stufe des Ausgleichssystems, dem Umsatzsteuervorwegausgleich zwi-schen den Ländern. Sein Volumen wuchs von 76 Millionen Euro (1994) auf 6,1 Mrd. Euro (1995) an (Bräuer 2005: 356).

Der Bund beteiligte sich an den Kosten für die intensivierten Transfers zwischen den Ländern, indem er den Länderanteil am Aufkommen der Umsatzsteuer um sieben Prozent-punkte anhob,36 und überwies den ostdeutschen Ländern weitere Mittel zum Ausbau der Infrastruktur und zur Wirtschaftsförderung im Rahmen des Solidarpakts I (Seitz 2001b: 110). Der Solidarpakt II bezieht sich auf die Jahre 2005 bis 2019 und sichert den ostdeut-schen Ländern Transfers im Umfang von 156 Milliarden Euro zu: Korb I des Solidarpakts umfasst Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich teilungsbedingter Sonderlasten (vgl. Abschnitt 2.2.) in Höhe von 105,3 Milliarden Euro, Korb II enthält die Absichtserklärung des Bundes, für die neuen Länder überproportionale Finanzleistungen in Höhe von 51 Milliarden bereitzustellen, und zwar im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben, Finanzhilfen sowie weiterer Investitionsfördermaßnahmen. Die Sonderbedarfsbedarfs-Bundesergänzungsweisungen sind bis 2019 befristet und degressiv ausgestaltet.

Tabelle 2-3: Durchschnittliche Bereinigte Einnahmen pro Kopf nach Ländergruppen

1991-2006

Westländer Ostländer Stadtstaaten € pro Kopf West=100 € pro Kopf West=100 € pro Kopf West=100

1991-1994 3423 100 3638 106 4711 138

1995-1997 3574 100 4160 116 4809 135

1998-2000 3821 100 4376 115 5203 136

2001-2003 3721 100 4276 115 4752 128

2004-2006 3892 100 4541 117 5204 134 Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes (Kassenergebnisse). Ohne Sanierungszuweisungen an Bremen und das Saarland.

36 Abzüglich von rund 1,1 Milliarden Euro jährlich, die der Bund für die restliche Finanzierung des Fonds Deut-sche Einheit erhält (Finanzbericht 2006: 165).

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2. Die institutionelle Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit 31

Die Einnahmensituation der ostdeutschen Länder verbesserte sich durch diese Maßnahmen deutlich, wie Tabelle 2-3: aufzeigt. In den Jahren nach 1995 erhielten sie im Durchschnitt Pro-Kopf-Einnahmen in Höhe von 115 % des Vergleichswertes der westlichen Länder.37 In Abschnitt 3.7. wird untersucht, ob diese Mehreinnahmen die transitionsbedingten Mehraus-gaben der ostdeutschen Länder kompensieren können und welche Auswirkungen das Ab-senken des Solidarpakts auf die Haushalte der ostdeutschen Länder haben wird. Tabelle 2-4: Durchschnittliche jährliche Veränderung der kassenmäßigen

Steuereinnahmen aller Gebietskörperschaften in Prozent 1960-1969 1970-1979 1980-1989 1995-2006

9,5 9,0 4,6 1,7 (N=10) (N=10) (N=10) (N=12)

60-64 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 92-94 95-97 98-00 01-03 04-06 10,9 8,0 10,6 7,5 3,9 5,2 5,9 0,5 4,7 -1,8 3,4

(N=5) (N=5) (N=5) (N=5) (N=5) (N=5) (N=3) (N=3) (N=3) (N=3) (N=3) Anmerkung: bis 1989 alte Bundesrepublik, ab 1992 wiedervereinigtes Deutschland; Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Daten aus Finanzbericht 2008: 277ff. Parallel zu den steigenden Ausgaben für die ostdeutschen Länder verringerte sich das Wachstum der Steuereinnahmen in Deutschland. Im Gegensatz zu den sechziger und sieb-ziger Jahren konnten daher die Hilfen für strukturschwache Gebiete nicht mehr aus der Wachstumsdividende finanziert werden (Färber 2005: 231). Zu jener Zeit wuchsen die Steuereinnahmen im Durchschnitt jährlich um 9 %, im Untersuchungszeitraum dieser Stu-die stagnierten sie nahezu bei einem durchschnittlichen Wachstum von 1,7 % (vgl. Tabelle 2-4). Die Kombination aus steigenden Transferausgaben und nahezu stagnierenden Steuer-einnahmen intensivierte die Konflikte in den Verteilungsarenen. Diese konfliktreiche Situa-tion ist der Hintergrund der Analyse der Defizite im Untersuchungszeitraum dieser Studie.

37 Bereits vor 1994 hatten die ostdeutschen Länder einen leichten Ausstattungsvorsprung vor den westdeutschen Ländern. Diese Mehreinnahmen reichten jedoch nicht aus, um die Herausforderungen der Transformation finan-ziell zu bewältigen (Seitz 2001b). Die Gründe für die beträchtlichen Mehreinnahmen der Stadtstaaten werden in Abschnitt 3.5.1. beleuchtet.

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32 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

3 Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

In diesem Kapitel wird der theoretische Ansatz dieser Studie, die Konstitutionelle Politi-sche Ökonomie (3.1.), expliziert. Die Konstitutionelle Politische Ökonomie steuert durch-gängig die Diskussion der institutionellen Defizite und der Reformoptionen. Für die Analy-se der Determinanten wird sie um weitere Theorieansätze ergänzt. Die Notwendigkeit die-ser Ergänzungen ergibt sich aus zwei Schwächen der Konstitutionellen Politischen Ökono-mie, nämlich die zu enge Konzeptualisierung der Akteurspräferenzen und die weitgehende Vernachlässigung von nicht-institutionellen Restriktionen des Akteurshandelns. Um diese Schwächen auszugleichen, werden für diese Studie Theorien aus der vergleichenden Staats-tätigkeitsforschung herangezogen – und zwar die Parteienherrschaftstheorie (3.2.), die The-orie der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit (3.3), sowie das Politikerb-theorem (3.4.).

Von besonderer Bedeutung für die Fragestellung dieser Studie ist die Prägung der Staatstätigkeit durch die räumliche Konzentration der Bevölkerung. Theoretische Ansätze hierzu werden der Finanzwissenschaft entnommen und als Theorie der geographischen Determination der Staatstätigkeit konzeptualisiert (3.5.). Im Gegensatz zu den vorangegan-genen Abschnitten widmet sich 3.6. nicht Theorien zu systematischen Unterschieden in der Haushaltspolitik, sondern einem situationsspezifischen Faktor im Untersuchungszeitraum, den transitionsbedingten Lasten der ostdeutschen Länder. Aus allen Theorietraditionen werden in den einzelnen Abschnitten Hypothesen bezüglich der Determinanten der Länder-defizite abgeleitet. Die Hypothesen werden in 3.7. nochmals zusammengefasst. In 3.8. werden schließlich die theoretischen Konstrukte operationalisiert. 3.1 Konstitutionelle Politische Ökonomie Eine grundlegende Definition der Konstitutionellen Politischen Ökonomie stammt von James M. Buchanan, der dieses Forschungsprogramm entscheidend mitgeprägt hat:38

„[…] constitutional economic analysis attempts to explain the working properties of alternative sets of legal-institutional-constitutional rules that constrain the choices and activities of eco-nomic and political agents, the rules that define the framework within the ordinary choices of economic and political agents are made” (Buchanan 1991: 585). “The ultimate purpose of ana-lysing alternative sets of rules is to inform the choice among these sets” (Buchanan 1991: 587).

Die Konstitutionelle Politische Ökonomie hat somit eine anwendungsorientierte Fokussie-rung auf die Beratung von institutioneller Neu- bzw. Umgestaltung (Stauffer 2001: 28). Diese Beratungsorientierung erfordert die Bewertung verschiedener institutioneller Rege-

38 Einen Überblick über die Entwicklung der Konstitutionellen Politischen Ökonomie bieten Grözinger/Panther 1998 sowie Pies 1996.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 33

lungen und damit die systematische Verknüpfung von empirischen und normativen Frage-stellungen. Einerseits geht es darum, Aussagen über die „working properties“ institutionel-ler Regelungen zu treffen, andererseits geht es darum, Kriterien zu entwickeln und zu be-gründen, nach denen diese Ergebnisse bewertet werden. Diese Kriterien schöpft Buchanan aus dem Einstimmigkeitsprinzip (Behnke 2002, Folkers 1996, Pies 1996), was allerdings nicht unumstritten ist innerhalb der Konstitutionellen Politischen Ökonomie (Voigt 1994).39 Dieser normative Strang der Konstitutionellen Politischen Ökonomie wird in dieser Studie nicht weiter verfolgt. Stattdessen wird eine übermäßige Verschuldung aus den in der Einlei-tung angeführten Gründen abgelehnt und daher werden Regeln, die zu einer effizienteren Begrenzung der Verschuldung führen, positiv bewertet.

Die von Buchanan angesprochenen Aussagen über die „working properties“ der insti-tutionellen Regeln bestehen in Annahmen darüber, wie diese Regeln das Handeln der ihnen unterworfenen Akteure beeinflussen, beziehungsweise welche outcomes unter diesen Re-geln entstehen. Um Aussagen über die Interaktionen von Institutionen und Akteuren zu treffen, wird ein Handlungsmodell benötigt (Zintl 1994: 219). Die Konstitutionelle Politi-sche Ökonomie greift als Teildisziplin des Public Choice auf den Homo oeconomicus zu-rück. Zentrale Akteure in den Analysen der Konstitutionellen Politischen Ökonomie sind die Regierungen. Die erste Kernannahme lautet daher: (1) Die Regierungsakteure sind rationale Egoisten. Daher sind sie dominant an der Wie-derwahl orientiert, „sichert sie doch allein den Machterhalt und die damit verbundenen Annehmlichkeiten wie Einkommen und Ansehen“ (Heinemann 1994: 21). Diese und die folgenden Kernannahmen spitzen den Ansatz der Konstitutionellen Politi-schen Ökonomie bereits auf den Gegenstand der vorliegenden Studie, die Analyse der Staatsverschuldung, zu. Die Regierenden können ihr Eigeninteresse nur im Rahmen der Wiederwahlrestriktion verfolgen, Breyer spricht von dem Modell des „egoistischen Demo-kraten“ im Gegensatz zu dem älteren Modell „des wohlwollenden Diktators“, der aus in-trinsischer Motivation das Allgemeinwohl anstrebt (Breyer 1997: 2). Die Annahme egoisti-scher Politiker wird in der Literatur mit drei Argumenten begründet:

Erstens mit der Konsistenz der Grundannahmen innerhalb des Forschungsprogramms: Der Homo oeconomicus wurde von den Public Choice-Theoretikern von der Analyse öko-nomischen Verhaltens auf die Analyse politischen Verhaltens übertragen, die Vertreter des Forschungsprogramms sehen keinen Grund, die Annahmen in diesem Kontext zu revidie-ren:

„There is at least a strong presumption that individuals do not undergo character transformation when they shift from roles as buyers and sellers in the market place to roles as voters, taxpayers, beneficiaries, politicians, or bureaucrats in the political process“(Buchanan 1991: 587).

Zweitens mit einem pragmatischen Zweckpessimismus, demzufolge der schlechtest mögli-che Fall – „worst case behavior patterns“ (Buchanan 1991: 587) – , als Grundlage für die 39 Dem Einstimmigkeitskriterium zufolge wird gefragt, „auf welche Arrangements sich rational handelnde Indivi-duen unter bestimmten Umständen einstimmig hätten einigen können, um dann die realen Verhältnisse an diesem Maßstab zu messen“ (Hegmann 1996: 154) [Hervorhebung im Original, AH]. Kritikern zufolge setzt die poten-zielle Zustimmung „der Beliebigkeit der Bewertung des jeweils hypothetisch Vermutenden kaum Grenzen (Voigt 1994: 201). Vgl. für die Antwort auf diese Kritik: Folkers 1996, Pies 1996.

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34 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Institutionengestaltung dienen sollte, um die Institutionen auch in diesem Fall leistungsfä-hig zu erhalten. Aus diesem Grund sollte die Annahme ausschließlich opportunistischen Verhaltens auch entgegen (möglicher) empirischer Befunde aufrechterhalten werden (Bu-chanan 1991: 587).

Drittens werden politische Entscheidungen, und im besonderen haushaltswirksame Entscheidungen, häufig in Konstellationen strategischer Interdependenz gefällt, in denen einige wenige Akteure den übrigen Akteuren eine egoistische Handlungslogik aufzwingen können, wenn diese nicht ausgebeutet werden wollen: In Haushaltsverhandlungen werden beispielsweise Akteure, die ein ausgeglichenes Budget anstreben und daher nur moderate Forderungen für das eigene Ressort stellen, ihre Forderungen erhöhen, wenn andere Akteu-re entschlossen sind, ihre Budgetmittel zu maximieren (Stauffer 2001: 14). Bezieht man die Kernannahme egoistischer Präferenzen auf den Gegenstandsbereich der Finanzpolitik, ergeben sich zwei weitere zentrale Aussagen: (2) Die Haushaltspolitik ist ein Instrument, das die Regierenden zur Optimierung ihrer Wiederwahlaussichten verwenden können. Die Ausgaben werden bis zu einer Größe er-höht, „bei der sich die (marginalen) Kosten – gerechnet in Stimmenverlusten – mit dem (marginalen) Ertrag – gerechnet in Stimmengewinnen – die Waage halten; eine weitere Ausdehnung würde per Saldo Wählerstimmen kosten“ (Heinemann 1994: 22). Den Akteuren wird ein beträchtlicher Handlungsspielraum bei der Manipulation des Haus-halts im Sinne ihrer Wiederwahlaussichten unterstellt, strukturelle Restriktionen der Haus-haltspolitik werden weitgehend ausgeblendet. Die dritte Kernannahme bezieht sich auf die Finanzierung des Budgets: Als Finanzierungsoptionen stehen im wesentlichen Steuern und Kredite zur Verfügung. Die Kreditfinanzierung hat aus Sicht der Regierenden den Vorteil, dass sie in der Gegenwart keine Kosten verursacht. (3) Die Regierungen habe eine Präferenz für die Kreditfinanzierung der Staatsausgaben. Die Kreditfinanzierung ermöglicht es ihnen, eine Politik des spending without taxing (Bu-chanan/Wagner 1977: 95) zu betreiben. Sie können die Ausgaben steigern, ohne die Steu-ern erhöhen zu müssen, beziehungsweise die Steuern ohne Reduktion der Ausgaben senken. Diese Finanzierungsoption findet die Unterstützung der Wähler. Wie im letzten Abschnitt ausführlich dargelegt, entfällt in den Bundesländern mangels autonomer Steuergesetzgebungskompetenzen die Alternative einer Steuererhöhung. Zusätz-liche Ausgaben können somit allein durch Kredite finanziert werden – sieht man einmal von der nicht dauerhaft möglichen Finanzierung durch Vermögensveräußerungen ab.

An dieser Stelle stellt sich die Frage, warum die Bürger die Kreditfinanzierung unter-stützen sollten, wenn gegenwärtige Kredite mit zukünftigen Steuererhöhungen und Ausga-benkürzungen finanziert werden müssen. Zu den Motiven der Bürger werden zwei konkur-rierende Annahmen in der Forschung getroffen (Buchanan/Roback 1987). (4a) Die Bürger unterliegen einer Fiskalillusion. Oates definiert die Fiskalillusion, als „a systematic misperception of fiscal parameters” (Oates 1988: 67). Oates zufolge ist die Schuldenillusion eine Unterform der Fiskalillusion.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 35

Die Logik einer Schuldenillusion lässt sich auf der Basis eines von der gesamten Konstitu-tionellen Politischen Ökonomie geteilten Arguments besser verstehen. Die Konstitutionelle Politische Ökonomie begreift das Verhältnis von Individuum und Staat als eine etwas kom-plexere Form des ökonomischen Tausches, bei der das Individuum öffentliche Leistungen im Austausch für seine Steuerzahlungen erhält (Behnke 2002: 121).

„Politics is a structure of complex exchange among individuals, a structure within which per-sons seek to secure collectively their own privately defined objectives that cannot be efficiently secured through simple market exchanges. […] In the market, individuals exchange apples for oranges; in politics, individuals exchange agreed-on shares in contributions toward the costs of that which is commonly desired, from the services of the local fire station to that of the judge” (Buchanan 1987: 246).

Im ökonomischen Tausch erfolgt bei jedem einzelnen Tauschakt eine simultane Entschei-dung über das zu erwerbende Gut und die dafür aufzubringenden Leistungen. In der Demo-kratie hingegen werden die Entscheidungen periodisch bei Wahlen gefällt, bei denen ganze Pakete von Ausgabenentscheidungen und Einnahmenentscheidungen zur Wahl stehen.

Eine Integration von Ausgaben- und Finanzierungsentscheid findet somit nicht statt. Angesichts ihrer begrenzten Informationsbasis (Downs 1957, siehe auch Abschnitt 7.1.) ist es für die Wähler schwierig, die Kosten der von den konkurrierenden Parteien angebotenen öffentlichen Güter zu erfassen. Die Vertreter der Schuldenillusionsthese behaupten nun, dass die Wähler eher in der Lage sind, Kosten wahrzunehmen, die durch Besteuerung ent-stehen, als Kosten, die durch den zukünftigen Schuldendienst infolge der Kreditaufnahme erwachsen (Oates 1988: 76). Infolgedessen fragen sie mehr öffentliche Güter nach, als sie es täten, wenn sie die zukünftigen Kosten der kreditfinanzierten Güter adäquat wahrnehmen würden. Regierungsakteure können daher ihre Wahlchancen erhöhen, indem sie zusätzliche öffentliche Güter bereitstellen, deren Kosten vor dem Wähler verborgen sind. Diese Schul-denillusionsthese ist eine Variante des in der gesamten Public Choice-orientierten For-schung vertretenen Prinzipal-Agenten-Modells,40 bei der die Agenten (Regierungsakteure) ihre eigenen Interessen zu Lasten ihrer Prinzipale (Wähler) verfolgen. (4b) Angesichts des begrenzten Zeithorizonts der menschlichen Lebenserwartung trachten die Bürger den Nutzen in der Gegenwart zu maximieren. „Ein Wähler, der nicht damit rechnet, daß ihn eine Besteuerung in der Zukunft noch trifft, hat offensichtlich eine Präferenz für schuldenfinanzierte Staatsausgaben. Die Defizite hal-ten ihm zu Lebzeiten die Steuerlast vom Hals“ (Heinemann 1994: 25). Mit dieser These sind zumeist Behauptungen über sozialstrukturelle Determinanten der Einstellungen zur Staatsverschuldung in entwickelten Industrienationen verbunden, deren Überprüfung noch aussteht. So etwa die Annahme, dass mit steigendem Alter die Attraktivität der Verschul-dung wächst. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene würde folglich mit dem Altersschnitt der Bevölkerung die gesamtgesellschaftliche Präferenz für die Verschuldung wachsen, und zwar umso mehr, wenn zugleich die Anzahl der Kinder sinkt. Kinder stellen „individuelle 40 Prinzipal-Agenten-Probleme können auftreten, wenn in der Beziehung zwischen Auftraggeber (Prinzipal) und Auftragnehmer (Agent) die Informationen asymmetrisch verteilt sind. In der Regel verfügt der Auftragnehmer über einen Informationsvorsprung gegenüber dem Auftraggeber, den er zu eigennützigem Verhalten zu Lasten seines Auftraggebers nutzen kann (Eisenhardt 1989).

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36 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Bindungen an die Zukunft“ (Weizsäcker 1997: 151) dar, sie reduzieren die egoistische Gegenwartsfixierung. Barro spricht in diesem Zusammenhang von intergenerativen Altru-ismus (Barro 1974).

Ausgehend von diesen Annahmen über das Verhalten der Akteure trifft die Konstituti-onelle Politische Ökonomie Aussagen darüber, ob verschiedene institutionelle Strukturen in der Lage sind, das Verhalten der Akteure so zu restringieren, dass bestimmte Ergebnisse, in diesem Fall niedrigere Defizite, erreicht werden. Brennan fasst die Annahmen hinter diesem Ansatz folgendermaßen zusammen:

„Different institutional settings connect different actors to one another, or the same actors in dif-ferent ways, and therefore will generate different structures of interactions among the individual agents. In this sense, the choice of one among a set of possible rules or social institutions can be seen to involve choice of an outcome (or pattern of possible outcomes) which will be systemati-cally different from the outcomes (or patterns) that would emerge under an alternative set of rules” (Brennan 1984: 116).

Auch hierbei steht die Konstitutionelle Politische Ökonomie im Mainstream des Public Choice. Ein zentrales Erkenntnisinteresse dieses Paradigmas ist, wie ein normativ er-wünschtes kollektives Ergebnis trotz egoistischer Präferenzen der beteiligten Akteure durch gezieltes Setzen und Verändern von Restriktionen erreicht werden kann (Breyer 1997: 2): „Good games depend on good rules more than they depend on good players“ (Weizsäcker 1997: 147).

Weizsäckers These setzt sich jedoch einem Gegenargument aus: „Why should bad players adopt good rules?“ Wenn Regierungen ein Interesse daran haben, sich zu verschul-den, warum sollten sie dann Institutionenreformen durchführen, die zu niedrigeren Defizi-ten führen? Dieses Problem wird in Abschnitt 7.3. beleuchtet. (5) Das institutionelle Design des Haushaltsprozesses beeinflusst die Höhe des Defizits. Dieses Grundmodell der Konstitutionellen Politischen Ökonomie kann die Analyse der institutionellen Defizite der etablierten Kreditbegrenzungsregeln sowie die Bewertung potenzieller Reformoptionen in den Abschnitten 6 und 7 steuern. Dort wird jeweils gefragt, in welchem Ausmaß institutionelle Regelungen das egoistisch-rationale Verhalten der Ak-teure steuern können. Für die Kausalanalyse hingegen reicht das Grundmodell noch nicht aus, da es von einer generellen Präferenz der Regierungen für Kreditfinanzierung ausgeht und keine Hypothesen zu Unterschieden zwischen Regierungen beinhaltet. Derartige Hypo-thesen können aus verwandten Erklärungsansätzen der Politischen Ökonomie abgeleitet werden. Diese Erklärungsansätze beschäftigen sich vornehmlich mit der Machtverteilung, wie Weizsäcker ausführt: „Machtzersplitterung, in welcher Form auch immer, erhöht die Wahrscheinlichkeit einer kurzsichtigen, zeitlich inkonsistenten Budgetpolitik, deren fi-nanzwirtschaftliche Folgen typischerweise auf dem Rücken der Staatsverschuldung ausge-tragen werden“ (Weizsäcker 1997: 146).

Aus Weizsäckers Postulat lassen sich zwei Dimensionen der Machtverteilung ableiten, die Machtverteilung zu einem Zeitpunkt (synchrone M.) und die Machtverteilung im Zeit-verlauf (diachrone M.). Bevor jedoch diese Argumentation entwickelt wird und Hypothesen abgeleitet werden, sei noch auf eine weitere Forschungstradition im Rahmen des Public Choice hingewiesen. Sie geht davon aus, dass in öffentlichen Finanzsystemen mit mehr als

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 37

einer Ebene die niedrigere Ebene bei einer übermäßigen Verschuldung auf eine Schulden-auslösung durch die höhere Ebene (Bailout) spekuliert. Dieser Forschungstradition zufolge prägt die Zukunftserwartung das Ausgabeverhalten in der Gegenwart. Nach der Diskussion zur synchronen und diachronen Machtverteilung wird die Bailout-Problematik näher entfal-tet. 3.1.1 Synchrone Machtverteilung Die Hypothesen zur synchronen und diachronen Machtverteilung gehen davon aus, dass bei einer breiteren Machtverteilung sich der politische Wettbewerb intensiviert und der Kampf um Wählerstimmen verstärkt geführt wird. Infolgedessen stellen die Regierungen in größe-rem Ausmaß öffentliche Güter bereit, was ceteris paribus zu höheren Defiziten führt.

Die synchrone Machtverteilung fokussiert auf die Machtverteilung zwischen verschie-denen Regierungsparteien zu einem Zeitpunkt: Jede Regierungspartei stellt öffentliche Güter bereit, die im Interesse ihrer jeweiligen Wählerklientel liegen. Je mehr Parteien an der Regierung beteiligt sind, desto größer ist die Wählerklientel einer Regierung und die Palette an öffentlichen Gütern, die von dieser Regierung bereit gestellt wird. Damit einher-gehend steigen die Kosten für die Bereitstellung dieses Güterangebotes, was wiederum unter ansonsten gleichen Bedingungen zu einer höheren Kreditaufnahme führt. Dies gilt insbesondere für die deutschen Bundesländer, in denen aufgrund mangelnder Steuergesetz-gebungskompetenzen Mehrausgaben in einem Land nicht durch eine Steuererhöhung in diesem Land aufgefangen werden können:

H1: Je breiter die Macht zwischen unterschiedlichen Regierungsparteien zu ei-nem Zeitpunkt in einem Land verteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbi-lanz in diesem Land.

Diese Hypothese steht im Kontext zahlreicher Public Choice-orientierter Arbeiten, die die Kooperation egoistisch-rationaler Akteure zum Gegenstand haben. Das Kernargument dieser Arbeiten lautet, dass individuell rationales Verhalten zu kollektiv suboptimalen Er-gebnissen führt.41 In den Anwendungen dieses Arguments auf die Finanzpolitik wird der Haushalt als Allmendegut (common pool resource) betrachtet (Hagen/Harden 1995, Velas-co 2000). Wie bei einem Kollektivgut auch, können potenzielle Nutzer nicht oder kaum von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden. Anders als ein Kollektivgut ist ein Allmen-degut jedoch rivalisierend im Konsum (Franke 2000: 65f.). Aus der Kombination dieser beiden Eigenschaften ergibt sich die Gefahr einer übermäßigen Nutzung und letztendlich der Zerstörung des Allmendeguts.

Wendet man diese Logik auf die Haushaltsverhandlungen an, so fällt der Nutzen zu-sätzlicher Ausgabenprogramme konzentriert bei den einzelnen Regierungsparteien an, die die Interessen ihrer Wählerschaft bedienen. Die Kosten dieser Programme – eine wachsen-de Kreditfinanzierung – werden hingegen auf die ganze Regierung verteilt. Je breiter nun die Macht innerhalb einer Regierung verteilt ist, desto geringer werden die Kosten der De-fizite von den einzelnen Akteuren bei ihrer Kosten-Nutzen-Abwägung berücksichtigt (Po-terba/Hagen 1999: 3). 41 So etwa im Gefangenen-Dilemma (Axelrod 1984), bei der Tragödie der Allmende (Hardin 1968, Ostrom 1990) und bei dem Freerider-Problem (Olson 1965), vgl. für einen Überblick: Shepsle/Bonchek 1997: 199-296.

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38 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

3.1.2 Diachrone Machtverteilung Die diachrone Machtverteilung fokussiert auf die Machtverteilung zwischen den Regie-rungsparteien im Zeitverlauf, also auf den Wechsel in der Regierungsbeteiligung der Partei-en. Um die Komplexität zu reduzieren, konzentriert sich die Analyse auf die beiden Groß-parteien CDU/CSU und SPD, die in der Lage sind, das Amt des Ministerpräsidenten zu besetzen.42 Je häufiger die Macht in einem Land zwischen diesen beiden Parteien wechselt, desto geringer ist die Aussicht der Regierung in diesem Land wiedergewählt zu werden.

Dieses Argument kann anhand von zwei Extrembeispielen erläutert werden: In Bayern regierte die CSU zwischen 1962 und 2008 mit einer absoluten Mehrheit,43 Sachsen-Anhalt hat hingegen in den knapp zwei Jahrzehnten seiner Existenz bereits die folgenden Regie-rungskonstellationen gesehen: Von 1990 an regierte eine CDU/FDP-Koalition, die 1994 von einer rot-grünen Minderheitsregierung unter Tolerierung durch die PDS abgelöst wur-de; 1998 scheiterten die Grünen an der Fünfprozenthürde, weshalb die SPD ihre Minder-heitsregierung unter Duldung der PDS alleine fortsetzte. 2002 kam eine CDU/FDP-Regie-rung an die Macht, die wiederum 2006 von einer großen Koalition unter Führung der CDU abgelöst wurde. Es erscheint plausibel, davon auszugehen, dass die Gewissheit der sachsen-anhaltinischen CDU, auch nach der nächsten Wahl noch die Regierungsspitze stellen zu können, deutlich schwächer ist als die der CSU in Bayern.

Die reduzierte Wiederwahlaussicht infolge einer breiten Machtverteilung zwischen CDU und SPD im Zeitverlauf kann aufgrund der folgenden drei Mechanismen zu einer defizitsteigernden Ausgabenpolitik führen: (1) Unsichere Wiederwahlaussichten führen zu verstärkten Bemühungen im Kampf um die Wählerstimmen. Infolgedessen werden die Regierungen zusätzliche öffentliche Güter be-reitstellen, um Wähler auf ihre Seite zu ziehen (Aghion/Bolton 1990). (2) Die unsicheren Wiederwahlaussichten verkürzen den Zeithorizont einer Regierung. Die zukünftigen Kosten der Verschuldung – die notwendige Konsolidierung – werden diskon-tiert, da unklar ist, ob die Regierung diese Kosten selbst tragen muss. Sollte es tatsächlich zu einem Machtwechsel kommen, würde die heutige Verschuldung zudem erwünschterma-ßen den Handlungsspielraum der Nachfolgeregierung einschränken (Persson/Svensson 1989, Alesina/Tabellini 1990). Die Logik hinter den ersten beiden Argumenten kann mit-hilfe einer Äußerung eines anonymen SPD-Bundestagsabgeordneten illustriert werden: Die Zeit zitierte im Jahr 2000 seine Bewertung der Finanzpolitik der rot-grünen Bundesregie-rung: „Es kann nicht sein, dass wir im Jahr 2001 noch mal so eine Sparaktion hinlegen, deswegen die Wahl verlieren und der Union auch noch einen konsolidierten Haushalt hin-terlassen.“44

42 Nur in den fünfziger Jahren gelang es zwei anderen Parteien, das Ministerpräsidentenamt zu stellen: Der Deut-schen Partei (DP) mit Heinrich Hellwege in Niedersachsen (1955-1959) sowie der FDP mit Reinhold Maier in Baden-Württemberg (1952-1953) (Schneider 1997: 69, Mann 1997: 365). 43 Zwischen 1957 und 1962 war die CSU auf eine Koalition mit dem BHE und der FDP angewiesen, zwischen 1954 und 1957 befand sich die CSU in der Opposition, als Bayern von einer Koalition aus SPD, Bayernpartei, FDP und GB/BHE regiert wurde (Ismayr/Kral 1997: 108). 44 Zitiert nach: „Sozialklimbim im Ausverkauf“, in: Die Zeit Nr. 12/2000, S. 8.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 39

(3) Wenn die theoretische Argumentation neben der bloßen Wiederwahlorientierung auch eine Policyorientierung der Regierungen vorsieht – also eine Orientierung an der Durchset-zung programmatischer Ziele –, dann kann noch ein dritter Grund für höhere Defizite bei geringerer Wiederwahlaussicht formuliert werden: Der reduzierte Zeithorizont einer Regie-rung betrifft auch die Realisierung politischer Maßnahmen, die sich die Regierung vorge-nommen hat: Wichtige Projekte müssen noch in dieser Legislaturperiode auch zulasten steigender Ausgaben (und damit auch Defizite) finanziert werden, da unklar ist, ob in der nächsten Legislaturperiode überhaupt noch die Möglichkeit zu ihrer Umsetzung besteht. Aufgrund dieser drei Argumente lautet die zweite Hypothese:

H2: Je gleichmäßiger die Macht zwischen CDU und SPD im Zeitverlauf in einem Land aufgeteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

Die Hypothese der diachronen Machtverteilung weist einerseits deutliche Parallelen ande-rerseits aber auch markante Differenzen auf zu Hypothesen des Politischen Konjunkturzyk-lus, wie sie von Wagschal (1996a, 1996b), Galli/Rossi (2002), Jochimsen/Nuscheler (2007) und Schneider (2007) zur Analyse der Länderfinanzpolitik herangezogen werden. Beide Theorierichtungen gehen von der wahlstrategischen Prägung der Finanzpolitik aus. Wäh-rend die Hypothesen des politischen Konjunkturzyklus diese Prägung jedoch bei allen Re-gierungen vor dem Wahltermin vermuten, postuliert die Hypothese der diachronen Macht-verteilung die wahlstrategische Nutzung der Finanzpolitik vor allem bei Regierungen, die sich in ihrer Wiederwahl bedroht sehen. Sie geht des Weiteren davon aus, dass die In-dienstnahme der Finanzpolitik dauerhaft erfolgt und nicht allein vor dem Wahltermin.

Die Hypothesen zum politischen Konjunkturzyklus liegen in zwei Varianten vor: Wagschal (1996a, 1996b) sowie Galli/Rossi (2002) postulieren eine erhöhte Bereitstellung von öffentlichen Gütern vor dem Wahltermin, welche eine erhöhte Kreditaufnahme nach sich zieht. Jochimsen/Nuscheler (2007) und Schneider (2007) gehen hingegen von einer wahlstrategisch motivierten Absenkung der Kreditaufnahme aus, um einer Bestrafung für übermäßige Defizite durch die Wähler zu entgehen. Die Hypothese zur diachronen Macht-verteilung steht eindeutig der ersten Theorievariante nahe, da auch sie von einer erhöhten Kreditaufnahme infolge der Restriktionen des Wahl-Wiederwahlmechanismus ausgeht. Die Annahme hingegen, dass die Wähler die Höhe der öffentlichen Kreditaufnahme bemerken, sie in ihr Entscheidungskalkül einfließen lassen und gegebenenfalls durch Stimmentzug für die Regierungsparteien bestrafen, widerspricht allen Erkenntnissen der empirischen Wahl-forschung zu der beschränkten Informationsbasis der Wähler und ihrem Entscheidungskal-kül (D. Fuchs/Kühnel 1994) und muss daher als unhaltbar zurückgewiesen werden. Die begrenzte Informationsbasis der Wähler und ihre Bedeutung für die Finanzpolitik werden in Abschnitt 7.1. reflektiert.

Im Gegensatz zu den Hypothesen zur diachronen Machtverteilung finden die Hypo-thesen des politischen Konjunkturzyklus keine Verwendung in dieser Studie, da sie keinen Beitrag zur Beantwortung der Fragestellung leisten können. Die Fragestellung zielt auf die Erklärung langfristiger Niveauunterschiede in den Defiziten der Länder. Wenn aber wie in Deutschland die Wahlzyklen annähernd gleich lang sind, und daher im Zeitverlauf annä-hernd gleich oft gewählt wird, können Hypothesen, die Unterschiede in der Defizithöhe zwischen Wahljahren bzw. Vorwahljahren und der restlichen Zeit der Wahlperiode vorher-

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40 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

sagen, keinen Beitrag zur Klärung der Ursachen langfristiger Niveauunterschiede in den Defiziten der Länder leisten. 3.1.3 Bailout-Erwartungen im bundesstaatlichen Transfersystem In der Public choice-orientierten Forschung wurde eine Reihe von Arbeiten zur sogenann-ten Bailout-Problematik vorgelegt. Diesen Arbeiten zufolge besteht in einem Finanzsystem mit mehreren Ebenen die Gefahr, dass Einheiten der niedrigeren Ebenen die Erwartung hegen, bei einer Schuldenkrise finanziellen Hilfen (Bailout) von der höheren Ebene zu erhalten. Diese Erwartungen führen zu schuldenfinanzierten Mehrausgaben in der Gegen-wart, um Wählerstimmen zu maximieren. Diese Kreditaufnahme ist mit der Erwartung verbunden, die Kosten des Schuldendienstes in der Zukunft zumindest teilweise auf die höhere Ebene abwälzen zu können. Wegen der potenziell immensen Kosten einer Schul-denauslösung hat die höhere Ebene das Interesse, frühzeitig zu signalisieren, dass sie auf keinen Fall einen Bailout gewähren wird. Damit sollen übermäßige Defizite auf der niedri-gen Ebene von Anfang an vermieden werden, indem den politisch Verantwortlichen signa-lisiert wird, dass sie die Kosten ihrer Politik nicht externalisieren können. Neben bloßen Verlautbarungen können die Verantwortlichen auf der höheren Ebene den Haftungsaus-schluss auch in institutionellen Regelungen fixieren, wie im Artikel 103(1) des EG-Vertrags.45

Sollte eine Gebietskörperschaft allerdings tatsächlich in eine Überschuldung geraten, in der öffentliche Leistungen massiv eingeschränkt werden müssen, die Kredite der Gläubi-ger nicht mehr bedient und die Gehälter der öffentlich Bediensteten nicht mehr gezahlt werden können, würde ein massiver rechtlicher, moralischer und politischer Druck auf der höheren Ebene lasten, der betroffenen Einheit zu helfen – auch wenn das zuvor ausge-schlossen wurde. Rodden, Eskeland und Litvack verdeutlichen das Problem anhand des außerwissenschaftlichen Beispiels einer freiwilligen Feuerwehrkooperative, die nur ihren Mitgliedern Brandschutz gewährt und die vor der Frage steht, wie sie sich verhält, wenn das Haus eines Nicht-Mitglieds brennt:

„It could be, of course, that letting a house burn down despite the ability to stop it would be an excellent way to make people contribute voluntarily. However, to make such sacrifices to earn a reputation may be a costly way to improve incentives” (Rodden/Eskeland/Litvack 2002: 10).

Die Signalisierung eines Haftungsausschlusses hat somit in jedem Fall ein Glaubwürdig-keitsproblem. Die Gebietskörperschaften auf der niedrigeren Ebene machen ceteris paribus die Entscheidung über die Höhe der Kreditaufnahme davon abhängig, wie glaubwürdig das Signal eines Haftungsausschlusses ist (Inman 2002). Die Glaubwürdigkeit des Signals

45 Art 103(1) des EG-Vertrags: „Die Gemeinschaft haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen von Mitgliedstaaten und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens. Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiten der Zentralre-gierungen, der regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein; dies gilt unbeschadet der gegenseitigen finanziellen Garantien für die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens.“

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 41

hängt unter anderem von dem institutionellen Gefüge ab, in dem die beiden Ebenen mitein-ander interagieren. Rodden, Eskeland und Litvack (2002) kristallisieren aus einem breit angelegten internationalen Vergleich institutionelle Regelungen heraus, die das Glaubwür-digkeitsproblem verstärken und daher zu besonders intensiven Bailout-Erwartungen führen können. Die Liste dieser institutionellen Regelungen liest sich in Teilen wie eine detaillierte Beschreibung des deutschen Bundesstaates: Den Autoren zufolge treten Bailout-Erwar-tungen unter anderem dann verstärkt auf, wenn 1. die niedrigere Ebene prinzipiell das Recht hat, Kredite aufzunehmen. (Das gilt für die

deutschen Bundesländer wie für die meisten Gliedstaaten in Bundesstaaten. Verbote oder administrative Kontrollen und Genehmigungsverfahren der Kreditaufnahme sei-tens der höheren Ebene finden in der Regel nur gegenüber Kommunen Verwendung).

2. die niedrige Ebene keine oder so gut wie keine autonome Steuergesetzgebungskompe-tenzen hat. Dieser Mangel macht die Kreditaufnahme als autonom gestaltbare Ein-nahmequelle attraktiv. Überdies legitimiert er im Falle einer übermäßigen Verschul-dung die Forderung nach externer Hilfe, da die betroffene Gebietskörperschaft nicht in der Lage ist, selbstständig die nötigen Einnahmen zu generieren.46 (Wie in Abschnitt 2 ausführlich geschildert, besitzen die Länder keine autonomen Steuergesetzgebungs-kompetenzen).

3. die niedrigeren Ebenen in starkem Ausmaß von Transferzahlungen der höheren Ebene und/oder anderen Gliedern der gleichen Ebene abhängig sind. Die dauerhafte Abhän-gigkeit von Transfereinnahmen führt zu der Wahrnehmung, dass die eigenen Ausga-ben von anderen Einheiten bezahlt werden. Rodden geht davon aus, dass die Trans-ferabhängigkeit auch die Zukunftserwartungen prägt: „I go further and assert that transfer-dependence (as opposed to local revenue mobilization) also alters beliefs about the sustainability of subnational deficits by allowing local politicians – along with their voters and creditors – to believe that the central government will ultimately be unable to ignore their fiscal woes” (Rodden 2002: 672). (Die Bedeutung des Fi-nanzausgleichssystems für die Finanzierung einer Vielzahl von Bundesländern wurde in Abschnitt 2 ausführlich beschrieben).

4. rechtlich kodifizierte oder in der politischen Kultur implizit vorhandene Normen der höheren Ebene die Verantwortung zuweisen, bei einer Schuldenkrise auf niedrigerer Ebene helfend einzugreifen. (Im Falle Deutschlands ist neben dem bündischen Prinzip des wechselseitigen Eintretens füreinander, welches für alle Bundesstaaten gültig ist, vor allem die grundgesetzliche Norm einheitlicher bzw. vergleichbarer Lebensverhält-nisse im Bundesgebiet von Bedeutung).

5. historische Präzedenzfälle existieren, in denen die höhere Ebene einer niedrigeren Einheit in einer Schuldenkrise geholfen hat. Das nährt die Erwartung, dass die höhere Ebene in einem vergleichbaren Fall wieder tätig werden wird. (Von größter Relevanz sind in diesem Kontext die Sanierungszuweisungen des Bundes an Bremen und das Saarland, die aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1992 gezahlt werden mussten. Die daraus resultierenden Bailout-Erwartungen wurden mutmaßlich erst im Jahr 2006 abgeschwächt, aufgrund einer weiteren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Das Gericht lehnte eine Klage Berlins auf die Ge-

46 Eine Ausnahme bilden allerdings Mittel aus Vermögensveräußerungen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich dabei allerdings um eine begrenzte Einnahmequelle.

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42 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

währung von Sanierungszuweisungen ab und verschärfte die Kriterien für die Gewäh-rung solcher Zahlungen deutlich. Aufgrund der starken Bedeutung dieser Urteile für die Anreizstrukturen der beteiligten Akteure wird der Sachverhalt im Folgenden näher ausführt).

In seiner Entscheidung zum Finanzausgleichsgesetz vom 27.5.1992 stellte das Bundesver-fassungsgericht fest, dass sich Bremen und das Saarland jeweils in einer extremen Haus-haltsnotlage befänden, die das bundesstaatliche Prinzip als solches berühre. „Aus ihm er-wächst den anderen Gliedern der bundesstaatlichen Gemeinschaft die Pflicht, mit konzepti-onell aufeinander abgestimmten Maßnahmen dem betroffenen Land beizustehen“ (Bundes-verfassungsgericht 1992: 263). Das Bundesverfassungsgericht sah die Ursache dieser Haushaltsnotlage in „einer Kombination von wirtschaftlicher Strukturschwäche und hier-durch mitverursachter übermäßiger Verschuldung“ (Bundesverfassungsgericht 1992: 266). Zur Abhilfe seien daher sowohl Mittel zum Abbau der Verschuldung als auch Maßnahmen zur Beseitigung der wirtschaftlichen Strukturschwäche notwendig:

„Handlungssubjekt aus dieser Pflicht ist zunächst der Bund. Nach der gegebenen Kompetenz-aufteilung verfügt er allein über die einschlägigen Handlungsinstrumente […]. Die finanziellen Lasten, die sich aus der Wahrnehmung dieser Pflicht ergeben, haben sowohl der Bund als auch die Länder zu tragen“ (Bundesverfassungsgericht 1992: 265).

Entgegen des Wortlautes der Entscheidung trug der Bund die Kosten der extremen Haus-haltsnotlage allein. Der Bund verzichtete darauf, einen Beitrag der Länder einzufordern, um die parallel stattfindenden komplizierten Bund-Länder-Verhandlungen über die Einbezie-hung der neuen Länder und Berlins in das Finanzausgleichssystem nicht zusätzlich zu be-lasten.47 Er überwies Bremen und dem Saarland in den Jahren 1994 bis 2004 insgesamt 15,19 Milliarden Euro Bundesergänzungszuweisungen zum Zwecke der Haushaltssanie-rung. Der Bund griff mit den zeitlich befristeten, erhöhten Bundesergänzungszuweisungen auf ein Instrument zurück, das bereits im Urteil als eine der möglichen Optionen vorge-schlagen wurde.

In der Literatur wurde in den folgenden Jahren versucht, die vage Definition des Bun-desverfassungsgerichtes klarer zu fassen (Höfling 2004, Wieland 2003), und es wurde eine Reihe von Maßnahmen vorgeschlagen, um eine Haushaltsnotlage präventiv abzuwenden.48 Letzteres hatte bereits das Bundesverfassungsgericht 1992 (Bundesverfassungsgericht 1992: 266) dem Bundesgesetzgeber als Auftrag gegeben, dieser Auftrag wurde jedoch nicht erfüllt. Nach dem Auslaufen der Sanierungszuweisungen klagten Bremen und das Saarland auf weitere Zuweisungen, da sich die finanzielle Lage nicht dauerhaft gebessert hatte. Ber-lin klagte auf die erstmalige Feststellung einer extremen Haushaltsnotlage. Der Klage Ber-lins wurden gute Erfolgsaussichten attestiert, auf Basis der Kriterien der Entscheidung von 1992 wurde ein Umfang der notwendigen Sanierungszuweisungen an Berlin von 17 Mrd. Euro errechnet (Vesper 2003). Gleichzeitig wuchs die Sorge, dass infolge der gestiegenen Verschuldung der ostdeutschen Länder (mit Ausnahme Sachsens) weitere Länder Sanie-

47 Vgl. Ausführlich zu diesen Verhandlungen: Bräuer 2005: 167ff. 48 Unter anderen: Färber 1996, 2005; Isensee 2004; Konrad/Jochimsen 2006; Rossi/Schuppert 2006; Seitz 1999, 2001a; Wissenschaftlicher Beirat 2005.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 43

rungszuweisungen einklagen könnten – mit potenziell unabsehbaren Folgen für den deut-schen Bundesstaat (Huber/Milbrandt/Runkel 2002).

Diese Sorgen wurden durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006 gedämpft. Das Gericht lehnte die Klage Berlins ab, wobei es die folgenden Kriterien anwendete:

Sanierungszuweisungen „unterliegen einem strengen Ultima-Ratio-Prinzip und sind nur dann verfassungsrechtlich zulässig und geboten, wenn die Haushaltsnotlage eines Landes nicht nur relativ – im Verhältnis zu den übrigen Ländern – als extrem zu werten ist, sondern wenn sie auch absolut – nach dem Maßstab der dem Land verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben – ein so extremes Ausmaß erreicht hat, dass ein bundesstaatlicher Notstand im Sinne einer nicht ohne fremde Hilfe abzuwehrenden Existenzbedrohung des Landes als verfassungsgerecht hand-lungsfähigen Trägers staatlicher Aufgaben eingetreten ist.“ (Bundesverfassungsgericht 2006, Absatz-Nr. 172). Voraussetzung für den Einsatz des Instruments der Bundesergänzungszuwei-sungen als Sanierungshilfen ist, „dass kumulativ die Voraussetzungen einer ‚relativen’, auf das Verhältnis zu den anderen Ländern bezogenen, und einer ‚absoluten’, auf die Fähigkeit zur Er-füllung der verfassungsmäßig vorgegebenen Aufgaben bezogenen Haushaltsnotlage erfüllt sein müssen.“ (Bundesverfassungsgericht 2006: Absatz-Nr. 194).

Liegen die kumultativen Kriterien einer relativen und absoluten Haushaltsnotlage vor, muss das Land schließlich nachweisen, dass es alle ihm möglichen Maßnahmen auf der Einnah-men- und Ausgabenseite ausgeschöpft hat, um die Haushaltssituation aus eigener Kraft zu verbessern.

Nach dem Urteil des Gerichts verfehlte Berlin diese Kriterien vollständig: Das Gericht sieht Berlin weder in einer absoluten noch in einer relativen Haushaltsnotlage (Bundesver-fassungsgericht 2006: Absatz Nr. 196, 205). „Aussagekräftige Indikatoren auf der Basis verlässlicher Datengrundlagen [..] lassen lediglich eine angespannte Haushaltslage für das Land Berlin erkennen [..], die es mit großer Wahrscheinlichkeit aus eigener Kraft überwin-den kann [..].“ (Bundesverfassungsgericht 2006: Absatz Nr. 205). Darüber hinaus erkannte das Gericht erhebliche Einsparpotentiale in Berlin und Möglichkeiten zur Einnahmensteige-rung etwa durch eine Erhöhung des Gewerbesteuerhebesatzes49 und weitere Privatisie-rungserlöse (Bundesverfassungsgericht 2006: Absatz Nr. 230ff.).

Die Bedeutung dieser Entscheidung reicht weit über Berlin hinaus: Die Klagen Bre-mens und des Saarlands dürften wenig aussichtsreich sein, und auch die Gewährung von Sanierungszuweisungen in der Zukunft erscheint unwahrscheinlich (Häde 2007: 17, Schel-ler 2006: 25, Wieland 2006: 1): Sollte sich die fiskalische Situation einer ganzen Länder-gruppe so verschlechtern, dass sie im Sinne einer absoluten Haushaltsnotlage interpretiert werden könnte, würden diese Länder zugleich das relative Kriterium verfehlen.

Auch wenn das Gericht sehr hohe Hürden für die Gewährung von Sanierungszuwei-sungen gesetzt hat, bejahte es grundsätzlich die Pflicht zur bundesstaatlichen Hilfeleistung:

„Weil und soweit Situationen eintreten, in denen die verfassungsrechtlich gebotene Handlungs-fähigkeit eines Landes anders nicht aufrecht zu erhalten ist, ist bundesstaatliche Hilfeleistung durch Mittel zur Sanierung als ultima ratio erlaubt und dann auch bundesstaatlich geboten“ (Bundesverfassungsgericht 2006: Randnummer 190).

49 Da der Stadtstaat Berlin zugleich Land und Kommune ist, verfügt er über das kommunale Recht, die Gewerbe-steuerhebesätze festzulegen (vgl. Abschnitt 2.2.).

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44 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Von einem prinzipiellen Haftungsausschluss kann also auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes nicht die Rede sein. Daher veränderten sich durch die Ent-scheidung auch nicht die Kreditrankings der Länder, d.h. ihre Kreditwürdigkeit sank in der Einschätzung der Ratingagenturen nicht (vgl. Abschnitt 7.2.).

Aufgrund der bisherigen Ausführungen kann angenommen werden, dass – vor allem vor dem einschränkenden Urteil im Jahr 2006 – in den Landesregierungen die Einschätzung verbreitet war, bei einer übermäßigen Verschuldung Zuweisungen von der bundesstaatli-chen Gemeinschaft erhalten zu können. Die empirische Forschung steht jedoch vor dem Problem, dass die Erwartungen der handelnden Politiker bezüglich möglicher Schuldenaus-lösungen in der Zukunft nicht adäquat erfasst werden können, weshalb sich die Frage nach einer geeigneten Proxy-Variable stellt (Rodden 2006: 3).

Rodden (2006: ebd.) verwendet die Stellung der Länder im Ausgleichssystem als Pro-xy-Variable: Ihm zufolge können allein Länder, die Transfers empfangen, Erwartungen hinsichtlich eines Bailouts hegen, und dies aus zwei Gründen: (1) Bei diesen Ländern kommt das Instrument zur Anwendung, über das auch die Sanierungszuweisungen an Bre-men und das Saarland abgewickelt wurden, die Bundesergänzungszuweisungen; Voraus-setzung für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen ist die Leistungsschwäche eines Landes (§ 10 MaßstG), d.h. es muss ein Nehmerland im Länderfinanzausgleich sein. (2) Wie bereits erwähnt, führte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 1992 die übermäßige Verschuldung von Bremen und dem Saarland auch auf die wirtschaft-liche Strukturschwäche dieser Länder zurück. Die Geberländer im Ausgleichssystem wei-sen jedoch keine wirtschaftlichen Strukturschwächen auf – zumindest nicht, wenn man sie im Vergleich zu den Nehmerländern betrachtet.

Rodden zufolge stehen somit die Geberländer einer extremen Haushaltsnotlage sowohl in der vermeintlichen Ursache (wirtschaftliche Strukturschwäche) als auch im Instrument zur Abwendung (Erhalt von Bundesergänzungszuweisungen) so fern, dass ihre Regierun-gen kaum davon ausgehen können, die Kosten eigener Verschuldung in der Zukunft exter-nalisieren zu können.

H3: Je höher die Einnahmen eines Landes aus dem bundesstaatlichen Transfer-system sind, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

Gegen dieses Argument kann eingewendet werden, dass die transferempfangenden Länder zumeist wirtschaftliche Probleme haben und in der Regel eine deutlich höhere Arbeitslo-sigkeit aufweisen als die Geberländer. Höhere Defizite von Empfängerländern wären daher nicht oder nicht primär auf die Anreizwirkungen der Transferzahlungen zurückzuführen, sondern auf die Folgekosten ökonomischer Strukturprobleme (vgl. Abschnitt 3.3.1.). Tat-sächlich korreliert im Untersuchungszeitraum dieser Studie der Transfersaldo sehr hoch mit der Arbeitslosenquote (r = ,91***; N=16). In die empirischen Analysen wird die Arbeitslo-senquote als unabhängige Variable aus der Tradition der vergleichenden Staatstätigkeitsfor-schung (vgl. Abschnitt 3.3.1.) integriert, so dass der Erklärungsbeitrag von Transfersaldo und Arbeitslosenquote verglichen werden kann – auch wenn die Integration beider Variab-len in eine multiple Regression aufgrund der hohen Kollinearität nicht zulässig ist.

Nachdem in diesem Abschnitt die Grundzüge der Konstitutionellen Politischen Öko-nomie dargestellt und drei Hypothesen zu den Länderdefiziten aus diesem Ansatz abgeleitet wurden, soll abschließend auf die Kritik an der Konstitutionellen Politischen Ökonomie

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 45

eingegangen werden. Dabei sollen Grenzen und Defizite der Konstitutionellen Politischen Ökonomie aufgezeigt werden. Diese Defizite gilt es durch Anleihen aus anderen Theorie-traditionen so gut wie möglich zu kompensieren, um ein möglichst angemessenes Erklä-rungsmodell zu erhalten. 3.1.4 Grenzen und Defizite der Konstitutionellen Politischen Ökonomie An dem Forschungsprogramm der Konstitutionellen Politischen Ökonomie kann in zweier-lei Hinsicht Kritik geübt werden: Zum einen an der sehr engen Annahme über die Motive der Akteure (1), zum anderen an der Vernachlässigung von nicht-institutionellen Restrikti-onen (2). Diese Kritik wird im Folgenden skizziert. Als Folge dieser Kritik werden im An-schluss daran Anleihen aus anderen Forschungstraditionen genommen, um ein adäquateres Erklärungsmodell zu erhalten. Kritikpunkt 1: Die zu engen Annahmen über die Motive der Akteure Zintl (1994) bezeichnet die Konzeptualisierung der Regierungsakteure als skeptische Fikti-on, bei der der Grenzfall des rabiaten Egoisten zum Standardmodell erhoben wird, um Ri-siken der Politik aufzudecken. Dabei wird die „Hintergrundfrage: ‚Was passiert, wenn es rabiate Egoisten gibt?’ [..] ersetzt durch die Frage ‚Was passiert, wenn es nur rabiate Egois-ten gibt’ – sicherlich sind das zwei verschiedene Fragen“ (Zintl 1994: 219). Zintl lehnt diese Konzeptualisierung ab, da sie empirisch verfehlt sei: Angemessener als Vorstellungen eines typischen Verhaltens seien Vorstellungen über die Verteilung von Verhaltenstypen (Zintl 1994: 228): Diese Verhaltenstypen entstünden dadurch, dass die Akteure in variie-rendem Ausmaß an Interessen und normativen Überzeugungen orientiert sind.

„Das relative Gewicht der beiden Komponenten und der Umgang mit etwaigen Konflikten zwi-schen ihnen sind ‚Individualität’, über die ein rational-choice-Modell keine Behauptungen auf-stellen kann.“ (Zintl 1994: 228f.).

Geht man von den von Zintl vorgeschlagenen Verhaltenstypen aus, so können zwei Arten von normativen Überzeugungen der Regierungsakteure unterschieden werden, einerseits die Orientierung an Ideologien, andererseits die Orientierung an dem, was von den beteilig-ten Politikern als Gemeinwohl wahrgenommen wird. Ideologische Orientierungen können mit der im Rahmen der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung entwickelten Parteienherr-schaftstheorie erfasst werden (vgl. Abschnitt 3.2.), auf die ergänzend zurückgegriffen wird, um eine umfassendere Konzeptualisierung möglicher Akteurspräferenzen zu erhalten.

Gemeinwohlorientierte Motive einzelner Politiker bestehen im Kontext unserer Studie in der Ablehnung einer Verschuldungspolitik, auch wenn damit auf die Förderung der Wahlchancen durch eine gezielte Kreditfinanzierung verzichtet wird. Als Beispiel hierfür kann die Politik des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Biedenkopf dienen. Bie-denkopf regierte Sachsen von 1990 bis 2002, in diesen Jahren wurde die Grundlage gelegt für die heute wesentlich geringere Verschuldung Sachsens im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Ländern. Biedenkopfs starke Ablehnung der Staatsverschuldung lässt sich bis in die siebziger Jahre zurückverfolgen (vgl. Biedenkopf/Miegel 1979), so dass man argu-mentieren kann, dass die unter ihm vollzogene Finanzpolitik zumindest auch Ausdruck einer von ihm wahrgenommenen Vorstellung von Gemeinwohl ist.

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46 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Diese vagen Formulierungen deuten allerdings schon an, dass das variierende Ausmaß der Gemeinwohlorientierung von Politikern nicht adäquat erfasst werden kann, so dass allein ideologische und wiederwahlorientierte Motive in das Erklärungsmodell aufgenom-men werden. Kritikpunkt 2: Die Vernachlässigung externer, nicht-institutioneller Restriktionen Die Konstitutionelle Politische Ökonomie modelliert den haushaltspolitischen Entschei-dungsprozess als strategische Interaktion zwischen Politikern und Wählern sowie der Poli-tiker untereinander. Den Haushaltspolitikern wird bei dem strategischen Gebrauch der Kre-ditfinanzierung ein beträchtlicher Spielraum unterstellt. Externe Restriktionen werden mit Ausnahme institutioneller Regelungen, denen das Erkenntnisinteresse des Ansatzes gilt, weitgehend ausgeblendet. Daher besteht die Gefahr, dass die Handlungsspielräume der beteiligten Politiker systematisch überschätzt werden. Insbesondere werden die Restriktio-nen nicht erfasst, die sich aus der sozioökonomischen Problemstruktur, den Entscheidungen vorangegangener Regierungen sowie aus der räumlichen Gliederung der Bevölkerung erge-ben. Letztere sind vor allem hinsichtlich der besonderen finanziellen Probleme der drei Stadtstaaten relevant. Um diese Restriktionen adäquat zu erfassen, werden wiederum An-leihen aus anderen Theorietraditionen genommen, nämlich der Theorie der sozioökonomi-schen Determination der Staatstätigkeit (3.4.) sowie des Politikerbtheorems (3.5.) aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung. Für die Analyse der Restriktionen staatlichen Handelns, die sich aus der räumlichen Gliederung der Bevölkerung ergeben, hat sich noch keine vergleichbar kohärente Theorietradition herausgebildet, daher werden im Abschnitt 3.5. Erklärungsansätze aus der Finanzwissenschaft entnommen.

Im Gegensatz zur Konstitutionellen Politischen Ökonomie stellen die Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung50 kein einheitliches Forschungsprogramm dar; sie bestehen vielmehr aus einer Reihe von Theoremen, die jeweils separat einzelne Erklärungs-faktoren zum Gegenstand haben.51 Einen Ansatzpunkt zur Integration der unterschiedlichen Theorietraditionen bietet Schmidt (1993, 1996), der die Erklärungsfaktoren aus der Sicht der Regierung als zentralem Akteur konzeptualisiert (vgl. Roller 2005: 81f.). Aus der Per-spektive der Staatstätigkeitsforschung werden die Präferenzen der Regierung durch ihre ideologische Orientierung bzw. ihre parteipolitische Verortung bestimmt. Die übrigen Er-klärungsfaktoren werden als Restriktionen modelliert, die auf die Entscheidungen der Re-gierungen einwirken. Diese Perspektive erleichtert die Integration dieser Theorien mit der Konstitutionellen Politischen Ökonomie sowie den finanzwissenschaftlichen Theoremen in einem integrierten Erklärungsmodell (vgl. Abschnitt 3.7.).

50 Die Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung werden vor allem im Rückgriff auf die klassische Überblicksdarstellung von Manfred G. Schmidt (1993) sowie auf zwei neuere Dissertationen von Schmidt-Schülern (Siegel 2002, Wolf 2006) und eine neuere Überblicksdarstellung (Zohlnhöfer 2008) rekonstruiert. 51 Schmidt (1993) führt vier Theorietraditionen an: die Theorie der sozio-ökonomischen Determination der Staats-tätigkeit, die Parteienherrschaftstheorie und die politisch-institutionalistische Theorie sowie die Theorie der Machtressourcen organisierter Interessen. Wolf hingegen spricht von einem „inzwischen kanonisierten ‚Siebener-pack’“ der Theorieansätze: Er ergänzt die Theorie der sozio-ökonomischen Determination um die sozio-demo-graphische Determination und fügt das Politikerbtheorem und die sich mit den Auswirkungen soziokultureller Faktoren und internationaler Einflüsse befassende Theorien hinzu (Wolf 2006: 61). Die Theorietraditionen aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, die keine Verwendung in dieser Arbeit finden, weisen entweder keinen systematischen Bezug zur Kreditfinanzierung auf oder variieren nicht zwischen den Bundesländern.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 47

3.2 Parteienherrschaftstheorie Die Parteienherrschaftstheorie geht davon aus, dass die Staatstätigkeit weitgehend von den Regierenden beeinflusst wird, deren Präferenzen von der Parteienzugehörigkeit bezie-hungsweise ideologischen Orientierung bestimmt werden. Den Ausgangspunkt dieser For-schungsrichtung bildete Hibbs’ klassischer Aufsatz von 1977, „Political Parties and Mac-roeconomic Policies“, der zugleich den theoretischen Rahmen der späteren Forschung lie-ferte.

Hibbs geht in seiner Arbeit von einem Zielkonflikt zwischen Preisstabilität und Voll-beschäftigung aus, der sogenannten modifizierten Phillipskurve. Innerhalb dieses Konflik-tes bemisst er den Regierungen jedoch einen großen Spielraum zur Beeinflussung makro-ökonomischer Größen zu: Die Regierungen können somit die Arbeitslosigkeit niedrig hal-ten, unter Inkaufnahme der Inflation, oder die Preise stabil halten und eine höhere Arbeits-losigkeit hinnehmen. Hibbs argumentiert, dass die Wähler der Linksparteien im Durch-schnitt stärker von Arbeitslosigkeit betroffen seien und daher eine Vollbeschäftigungspoli-tik präferierten, während die Wähler der bürgerlichen Parteien im Durchschnitt über höhere Einkommen und Geldvermögen verfügen, weshalb sie eher an einer Politik der Preisstabili-tät interessiert seien. Hibbs zufolge greifen die Parteien die Präferenzen ihrer Wähler in ihrer Programmatik auf und setzen diese Programmatik um, wenn sie an die Regierung gelangen. Diesem Modell zufolge variieren Arbeitslosenquote und Inflationsrate systema-tisch mit der ideologischen Orientierung der Regierung.52

Hibbs Reduktion der parteipolitischen Differenzen auf die Vertretung sozioökonomi-scher Interessen der Wählerschaft weist Parallelen auf zu den Ansätzen der Politischen Ökonomie. In beiden Ansätzen bedienen Regierungsparteien die Interessen ihrer Wähler, um wiedergewählt zu werden. Hibbs geht insofern über die Politische Ökonomie hinaus, als dass er unterschiedliche Interessen der Wählerklientel verschiedener Parteien postuliert. Zohlnhöfer verbreitert die Grundlage möglicher Differenzen in der Staatstätigkeit unter-schiedlicher Parteien. Er geht davon aus,

„dass die Mitglieder einer Partei bestimmte grundlegende Wertvorstellungen und Kausalannah-men darüber, wie sich diese Werte politisch verwirklichen lassen, teilen, die sich von den Wert-vorstellungen und/oder Kausalannahmen anderer Parteien unterscheiden. Insofern würden unter-schiedliche Parteiprogramme dadurch zustande kommen, dass Parteien unterschiedliche Wert-vorstellungen vertreten oder unterschiedliche Vorstellungen darüber haben, mit welchen Mitteln bestimmte Ziele zu erreichen sind, etwa weil sie unterschiedliche ‚Theorien’ darüber haben, wie die Ökonomie ‚funktioniert’“. (Zohlnhöfer 2003: 52).

Zohlnhöfer zufolge schließen sich beide Begründungen wechselseitig nicht aus: Die Vertre-tung von sozioökonomischen Interessen der Wählerschaft und Unterschiede in Wertorien-tierungen und Kausalannahmen innerhalb der Parteien können als komplementäre Erklä-rungsansätze für Parteidifferenzen in der Staatstätigkeit herangezogen werden (Zohlnhöfer 2003: 57). So können höhere Sozialausgaben von sozialdemokratisch geführten Regierun-gen nicht mehr nur allein mit dem Interesse ihrer Wählerschaft an Sozialleistungen begrün-det werden, sondern auch mit der grundlegenden Wertvorstellung, dass die Verteilungser-gebnisse des Marktes ungerecht seien und einer staatlichen Korrektur bedürften.

52 Vgl. zur Kritik an dem Modell von Hibbs: Zohlnhöfer 2003: 48ff.

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48 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Allen Varianten der Parteienherrschaftstheorie ist gemeinsam, dass sie ein enges Aus-tauschverhältnis zwischen den politischen Präferenzen der Bürger und der Programmatik sowie der Regierungspolitik der von ihnen gewählten Parteien postulieren: Die Parteien berücksichtigen die Präferenzen der Bürger in ihrer Programmatik und setzen die Präferen-zen in konkrete Politik um, wenn sie an die Regierung gelangen. Die Parteien sind somit responsiv auf der Input-Seite und auf der Output-Seite des politischen Systems (D. Fuchs 1998: 163), und erhalten im Gegenzug die Unterstützung ihrer Wähler (Schmidt 1996: 173). Der Handlungsspielraum der Regierungen bei der Umsetzung der Wählerpräferenzen wird als vergleichsweise hoch eingeschätzt, wobei spätere Arbeiten in dieser Forschungs-tradition auch Restriktionen thematisieren, die die ‚Parteienherrschaft’ begrenzen, etwa machtbeschränkende Institutionen (Schmidt 1996).

Die Parteienherrschaftstheorie konnte in den achtziger Jahren empirische Erfolge fei-ern, noch 1996 schrieb Schmidt: Viele Studien „support the view that a ‚law of partisan influences on public policy’, defined in terms of statistical tendency, is at work in democra-tic states“ (Schmidt 1996: 167), neuere Studien kommen allerdings zu einem anderen Er-gebnis. So spricht Zohlnhöfer nach Durchsicht einer Vielzahl von quantitativ-empirischen Studien zur Wirtschafts- und Sozialpolitik von einem „Verschwinden von Parteieffekten“ (Zohlnhöfer 2008: 13) in den 1990er Jahren: „Es ist allerdings noch nicht abschätzbar, ob es sich bei diesen Beobachtungen um eine dauerhafte Veränderung der Politikmuster han-delt oder sie als Einmaleffekt der 1990er Jahre zu verstehen sind“ (Zohlnhöfer 2008: 14). Die sinkende Erklärungskraft der Parteienherrschaftstheorie kann auf gestiegene externe Restriktionen, die eine Realisierung der unterschiedlichen Parteipräferenzen zunehmend behinderten und/oder auf den Wandel der Parteipräferenzen selbst zurückgeführt werden. So argumentierte Schmidt bereits im Jahr 1993, dass man der klassischen Parteienherr-schaftstheorie vorwerfen könne, dass „sie ungeprüft von der Konstanz grundlegender poli-tischer Positionen der Parteien ausgeht. Das war eine sinnvolle Annahme für die Analyse von Staatstätigkeit in westlichen Industrieländern nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der 70er Jahre […]“ (Schmidt 1993: 376). Mögliche Veränderungen seit dieser Zeit werden am Ende des folgenden Unterabschnittes thematisiert, in dem parteipolitische bzw. ideologische Einflüsse auf die Kreditaufnahme der Bundesländer diskutiert werden. 3.2.1 Die ideologische Orientierung der Landesregierungen Forschungsleitend für die folgenden Ausführungen ist Wagschals These (1996a, 1996b) eines linken und eines bürgerlichen Weges in die Verschuldung, auf Basis angenommener Interessen der Wählerschaft linker und bürgerlicher Parteien: Die linken Regierungen ver-folgen die Interessen ihres Klientels mit einer vergleichsweise stärker interventionistischen Politik, welche höhere Staatsausgaben nach sich zieht. Die bürgerlichen Regierungen wie-derum vertreten die Interessen ihrer im Durchschnitt besser verdienenden Wähler, indem sie die Steuern absenken, was zu niedrigeren Staatseinnahmen führt. In den Bundesländern ist nun aufgrund fehlender Steuergesetzgebungskompetenzen der rechte Weg in die Ver-schuldung institutionell versperrt, daher kann allein der linke Weg beschritten werden. Somit ist mit höheren Defiziten unter linken Landesregierungen zu rechnen:

H4: Je stärker linke Parteien in einem Land an der Regierung beteiligt sind, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 49

Ausgehend von Zohlnhöfers Befund einer abnehmenden parteipolitischen Prägung der Staatstätigkeit in den 1990er Jahren, soll bereits hier die Möglichkeit abnehmender partei-politischer Effekte auf die Haushaltspolitik reflektiert werden. Da die These Wagschals von höheren Defiziten linker Landesregierungen ausgeht, fokussieren die folgenden Ausführun-gen ausschließlich auf die linken Landesregierungen, und zwar genauer gesagt auf ihren Kristallisierungskern, die SPD: In allen als links klassifizierten Landesregierungen war sie vertreten, sie hat entweder alleine regiert oder mit kleineren Partnern.

Bevor mögliche Restriktionen sozialdemokratischer Regierungspolitik bzw. ein ideo-logischer Wandel der Sozialdemokratie diskutiert werden, welche niedrigere Defizite unter sozialdemokratischen Regierungen nach sich ziehen, wird zunächst als Kontrastfolie die Programmatik der klassischen Sozialdemokratie der Nachkriegszeit rekonstruiert. Diese klassische Sozialdemokratie hatten die Gründer der Parteienherrschaftstheorie vor Augen. In Anlehnung an Scharpf (1987) lässt sich ihre Programmatik auf zwei Punkte verdichten: (1) Die aus dem Marxismus hervorgegangenen sozialdemokratischen Parteien lehnten die moralischen Prämissen der Marktwirtschaft – „die egoistische Interessenverfolgung, den solidaritätsfeindlichen Wettbewerb und die Verteilung individueller Lebenschancen nach den Kriterien des Markterfolges“ (Scharpf 1987: 44) – prinzipiell ab. Gleichwohl erkannten sie, auch vor dem Hintergrund der Erfahrungen des Ostblocks, die überlegene einzelwirt-schaftliche Effizienz der Marktwirtschaft an, und sahen überdies keine Möglichkeit, eine Abkehr vom Kapitalismus in den westlichen Demokratien durchzusetzen (Scharpf 1987: 42ff.). Die Lösung aus diesem Dilemma bestand für sozialdemokratische Regierungen darin, die Leistungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaft für ihre Ideologieziele zu nut-zen. Sie lenkten die in den wohlhabenden Ländern reichlich vorhandenen Ressourcen in eine extensive Staatstätigkeit um, die das Ziel hatte, die marktinduzierten Ungleichheiten zu korrigieren. Substanzielle Ziele dieser Politik waren Vollbeschäftigung, der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme53 sowie der Ausbau des Bildungssystems. Die Investitionen in den Bildungssektor sollten die Aufstiegschancen von Kindern aus ökonomisch benachtei-ligten Elternhäusern verbessern. Der Gleichheitsbegriff der traditionellen Sozialdemokratie beschränkte sich jedoch nicht auf die Gewährung von Chancengleichheit: Marktinduzierte Ungleichheit galt auch bei gleichen Ausgangschancen als korrekturbedürftig, individuelle Lebenschancen sollten nicht nach dem Kriterium des Markterfolges verteilt werden, eine Umverteilungspolitik diente dem Ziel einer partiellen Ergebnisgleichheit. Als instrumentel-les Ziel der sozialdemokratischen Regierungen trat die Sicherung des Wirtschaftswachs-tums hinzu: Nur ein kontinuierliches und ausgeprägtes Wirtschaftswachstum sicherte die Verteilungsspielräume, die die sozialdemokratischen Regierungen für ihr umfangreiches Programm benötigten. (2) Sozialdemokratische Parteien gingen von der „fundamentalen Krisenanfälligkeit der kapitalistischen Ökonomie“ (Scharpf 1987: 44) aus. Diese Krisenanfälligkeit gefährdete aber das für die sozialdemokratische Politik dringend benötigte Wirtschaftswachstum. Die von den Sozialdemokraten gewünschte Einhegung und Humanisierung des Kapitalismus

53 Esping-Andersen (1990) spricht in diesem Kontext von einer Politik der „Dekommodifizierung“ – einer Politik, die vor einer ausschließlichen Abhängigkeit des Lebensunterhalts von Erwerbstätigkeit schützen soll. Der Name „Dekommodifizierung“ leitet sich aus der Sichtweise ab, dass bei der Erwerbstätigkeit die eigene Arbeitskraft als Ware („commodity“) auf dem Markt feilgeboten werden muss.

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50 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

hing somit von seinem reibungslosen Funktionieren ab, Scharpf spricht in diesem Kontext von der „unzähmbaren Raubtiergefährlichkeit“ der kapitalistischen Ökonomie (Scharpf 1987: 44). Die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum und die wahrgenommene Krisen-anfälligkeit der Marktwirtschaft macht aus Sicht der Sozialdemokraten umfangreiche staat-liche Eingriffe in das Wirtschaftsleben erforderlich, so etwa die langjährig betriebene Nach-fragesteuerung zur Glättung des Konjunkturzyklus sowie die regionale und sektorale Struk-turpolitik und Technologiepolitik. Somit lässt sich eine vergleichsweise umfangreichere Staatstätigkeit der Sozialdemokratie in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht allein mit den Verteilungsinteressen der Wählerschaft, sondern auch mit basalen Wertvorstellungen und Kausalannahmen begründen. Diese Politik sah sich seit den neunziger Jahren mit einer Reihe von Restriktionen konfron-tiert, die ihre Finanzierungsbasis erodieren ließ, ihr rechtliche oder materielle Schranken setzte und sie vor neue Problemlagen stellte: In Deutschland sind zunächst die enormen finanziellen Lasten der Vereinigung zu nennen, die den Verteilungsspielraum massiv be-schränkten. Die Finanzierungsbasis wurde auch von der ökonomischen Globalisierung54 bedroht, da die Ergiebigkeit der Unternehmens- und Kapitalbesteuerung infolge der wach-senden Exit-Optionen der Unternehmen sank. Darüber hinaus ermöglichte es die Globali-sierung den Unternehmen, wohlfahrtsstaatliche Eingriffe in die Ökonomie mit Abwande-rungsdrohungen zu belegen (Merkel et al. 2006: 49ff.).55

Weitere Restriktionen ergeben sich aus dem Prozess der europäischen Einigung: Das europäische Wettbewerbsrecht beschränkt das Instrumentarium einer interventionistischen Wirtschaftspolitik, indem es sich gegen Wettbewerbsverzerrungen durch Beihilfen an Un-ternehmen und durch die Tätigkeit öffentlicher Unternehmen wendet (Merkel et al. 2006: 61). Letzteres zog in Kombination mit den Präferenzen der nationalstaatlichen Regierungen eine Welle von Privatisierungen im Post-, Telekommunikations- und Verkehrssektor nach sich. Leibfried (2001: 158) bezeichnet diese partielle Privatisierung des öffentlichen Sek-tors drastisch als „die Zerstörung des äußeren Verteidigungsrings des Sozialstaates.“

Ein wachsender Problemdruck für die wohlfahrtstaatliche Politik erwächst schließlich aus dem steigenden Altersdurchschnitt westlicher Gesellschaften, welcher durch eine sin-kende Geburtenrate und eine steigende Lebenserwartung verursacht wird. Unterbleiben Einschnitte in die Leistungsansprüche der Bürger, steigen die Ausgaben der Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung aufgrund der Bevölkerungsentwicklung. Vor dem Hinter-grund dessen, dass bereits die derzeitige Höhe der Sozialausgaben massiv unter Kritik steht, ergeben sich hier erhebliche Herausforderungen für jede Regierung, besonders aber für die wohlfahrtsstaatlich orientierten Sozialdemokraten.

54 Globalisierung kann verstanden werden „as a process (or a set of processes) which embodies a transformation in the spatial organization of social relations and transactions – assessed in terms of their extensity, intensity, velocity and impact – generating transcontinental or interregional flows and networks of activity, interaction, and the exer-cise of power” (Held 1999: 16). In Abgrenzung von dem umfassenden Globalisierungsbegriff beinhaltet die öko-nomische Globalisierung die zunehmende Ausdehnung und Intensität ökonomischer Austauschprozesse und be-zieht sich somit auf grenzüberschreitende Ströme von Waren, Dienstleistungen und Kapital (Bernauer 2000: 28). 55 Teile der Forschung argumentieren, dass das Ausmaß der Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die natio-nalstaatliche Politik massiv überschätzt würden (Krugman 1999, Fligstein 2000). Gegen diese Position kann jedoch eingewendet werden, dass unabhängig von dem tatsächlichen Ausmaß der Globalisierung, sie bereits als Restriktion wirkt, wenn ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Wirkungen von der Öffentlichkeit und den politi-schen Akteuren als Handlungsbeschränkung wahrgenommen und akzeptiert werden (Merkel et al. 2006: 38).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 51

Parallel zu diesen Restriktionen wandelte sich die Programmatik und Politik sozialde-mokratischer Parteien, dieser Wandel wurde um die Jahrtausendwende unter dem Begriff des Dritten Weges (Giddens 1998, 2000) diskutiert. Zuvor hatten sich die Sozialdemokra-ten bereits in den achtziger Jahren von der keynesianischen Konjunktursteuerung abgewen-det. Nach der Abkehr von diesem wirtschaftspolitischen Instrument schwand auch die grundlegende Überzeugung von der Notwendigkeit staatlicher Eingriffe in den Marktme-chanismus. Stattdessen wird in der reformierten Sozialdemokratie dem Markt eine überle-gene Rolle im Vergleich zur staatlichen Intervention eingeräumt. Dementsprechend zielt die sozialdemokratische Wirtschaftspolitik nun verstärkt auf die Verbesserung der Ange-botsbedingungen (Seeleib-Kaiser 2002: 491) – kurz gesagt: Die Rechte hat die ökonomi-sche Debatte gewonnen.

Dieser programmatische Wandel wirkte sich in zweierlei Hinsicht auf das Ausmaß aus, in dem sozialdemokratisch geführte Regierungen die Kreditfinanzierung nutzten. Zum einen übernahmen sozialdemokratische Parteien nach der Abkehr von Keynesianismus die Zielsetzung der Haushaltskonsolidierung (Merkel et al. 2006: 352), zum anderen legte die positivere Beurteilung des Marktmechanismus eine weniger interventionistische, und damit in der Regel weniger ausgabenintensive Wirtschafts- und Sozialpolitik nahe. In der Sozial-politik verschob die Sozialdemokratie die Prioritäten weg von der Ergebnisgleichheit hin zur Chancengleichheit. Die Beschäftigungspolitik orientierte sich verstärkt daran, die Indi-viduen für den Marktwettbewerb zu ertüchtigten („from welfare to workfare“), innerhalb der Wahrung von sozialen Mindeststandards werden auch finanzielle Einschränkungen und die Aufnahme atypischer Beschäftigung verlangt (Seeleib-Kaiser 2002: 492), in der Ab-grenzung von dem klassischen Ziel der Dekommodifizierung (Esping-Andersen 1990) kann man hier von „Rekommodifizierung“ (Merkel et al. 2006: 463) sprechen.

Neben den veränderten externen Restriktionen und der veränderten Programmatik ver-schob sich zudem die Wählerbasis der Sozialdemokraten: Wegen des sinkenden Anteils des industriellen Sektors ist die Bedeutung der Arbeiterschaft für die Sozialdemokraten redu-ziert worden. Die Sozialdemokraten sind von einer Arbeiterpartei zu einer Angestelltenpar-tei geworden (Merkel et al. 2006: 91), auch wenn die Arbeiter im Vergleich zu anderen Parteien deutlich überrepräsentiert sind. Damit hat sich auch die Interessenstruktur der sozialdemokratischen Wählerschaft verändert, was die Abkehr von der traditionellen Pro-grammatik und Politik erleichterte.

Die skizzierten Veränderungen seit den neunziger Jahren lassen vermuten, dass sozial-demokratisch dominierte Regierungen (d.h. alle Linksregierungen im Untersuchungszeit-raum) nur sehr begrenzt höhere Ausgaben tätigen als bürgerliche Regierungen. Daher muss Hypothese H4 dahingehend konkretisiert werden, dass höhere Defizite von Linksregierun-gen nur in geringem Ausmaß erwartet werden können.

3.3 Theorie der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit Die Theorie der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit begreift Staatstätig-keit als Reaktion auf sozioökonomische Entwicklungen und hieraus entstehende lösungs-bedürftige Probleme (Schmidt 1993: 372). Ihre Hochzeit fand diese Theorierichtung in modernisierungstheoretisch orientierten Analysen des Wohlfahrtsstaates der sechziger und siebziger Jahre (Wilensky 1975, Zöllner 1963): Diesen Arbeiten zufolge überlasteten die

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52 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Folgen der Industrialisierung althergebrachte Sicherungsnetze, wie Familien, lokale und kirchliche Armenfürsorge, und schufen einen Bedarf nach staatlichen Problemlösungen: „Sozioökonomische Entwicklungsmechanismen setzen [dieser Theorie zufolge] die Politik in die Zwangslage, Funktionsvakui zu füllen, die durch die gesellschaftliche Entwicklung erzeugt wurden und im Interesse der Systemstabilisierung zu beseitigen sind“ (Schmidt 1993: 373). Diese Funktionsvakui werden dieser Theorieschule zufolge, unangesehen der Präferenzen der Akteure, in staatliche Politik überführt. Zöllner fasst diese Credo zusam-men: „Die Sozialleistungsquote entwickelt sich weitgehend unabhängig von politischen Wertvorstellungen. Bei fortschreitender wirtschaftlicher Entwicklung besteht keine politi-sche Alternative hinsichtlich der Frage, ob öffentliche Sozialleistungen gewährt werden sollen oder nicht“ (Zöllner 1963: 115). Die sozioökonomische Entwicklung schafft aller-dings nicht nur die Probleme, auf die der Staat reagieren muss, sie stellt zugleich auch die notwendigen Ressourcen für die Problembearbeitung bereit.

Die Kritik an dieser Theorierichtung konzentriert sich vor allem auf den mangelnden Akteursbezug. Im Grunde genommen folgt diese Theorierichtung einem Stimulus-Res-ponse-Ansatz. Auf Stimuli aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld reagie-ren die politischen Akteure gleichförmig nach einem einheitlichen Schema. Den politischen Akteuren wird kaum ein Handlungsspielraum bei der Problembearbeitung zugestanden. Demgegenüber wird eingewandt: „Auf gegebene Problemlagen kann die Politik bekannt-lich höchst unterschiedlich reagieren: durch Problembewältigung, Ignorieren oder Repres-sion“ (Schmidt 1993: 374).

Hinsichtlich dieser Kritik ist im Kontext dieser Studie darauf hinzuweisen, dass die Antwort der substaatlichen politischen Akteure auf wirtschaftliche Stimuli zum Teil ge-samtstaatlich gesetzlich determiniert ist. Das lässt sich an dem Problem der Arbeitslosigkeit verdeutlichen: So mussten die Gemeinden im Untersuchungszeitraum dieser Studie bei einer steigenden Arbeitslosigkeit mehr Sozialhilfeleistungen auszahlen. Über Adressaten-kreis und Umfang der Sozialhilfe entscheidet der Bundesgesetzgeber, die Länder und ihre Kommunen haben darauf keinen Einfluss. Bei der Unterstützung von Arbeitslosen und ihren Angehörigen durch Sozialhilfe besteht tatsächlich kein Handlungsspielraum auf Län-der- und Gemeindeebene. Das ist jedoch ein Extremfall, der auf dem institutionell begrenz-ten Handlungsspielraum von Gliedstaaten in einem weitgehend unitarisierten Bundesstaat beruht. Ein Handlungsspielraum für die Länder besteht hingegen in der Frage, ob und wenn ja, in welchem Ausmaß sie die Mittel für arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Maßnah-men aufwenden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Dieser Handlungsspielraum ist nicht institutionell begrenzt, gleichwohl setzt der Wahlmechanismus der Demokratie Regie-rungen unter Druck, etwas zur Beseitigung des von den Bürgern als dringend wahrgenom-menen Problems der Arbeitslosigkeit zu unternehmen. Die Option, keine Mittel zur Be-kämpfung der Arbeitslosigkeit aufzuwenden, besteht für eine an ihrer Wiederwahl interes-sierte Regierung faktisch nicht.

Generell ist in der Analyse der Staatstätigkeit von variablen Handlungsspielräumen der Regierungen auszugehen. Somit ist der Kritik von Schmidt an der Theorie der sozi-ökonomischen Determination der Staatstätigkeit zuzustimmen: Zu ihren charakteristischen Schwächen zählt er „die Vernachlässigung des Politischen, insbesondere die unzureichende Erfassung politischer Institutionen, Akteure, Wahlfreiheiten sowie der relativen Autonomie der Politik gegenüber Gesellschaft und Wirtschaft“ (Schmidt 1993: 374). Während sie für sich allein genommen deutliche Defizite aufweist, kann sie in Kombination mit den Ansät-

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 53

zen der Konstitutionellen Politischen Ökonomie und der Parteienherrschaftstheorie, welche die Akteurspräferenzen thematisieren und strukturelle Restriktionen vernachlässigen, einen sinnvollen Erklärungsbeitrag in einem integrierten Kausalmodell leisten. Für diese Studie sind die soziökonomischen Restriktionen relevant, die sich aus der Arbeitslosigkeit und dem Wirtschaftswachstum ergeben. 3.3.1 Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum in den Ländern Wie bereits ausgeführt, wirkt die Arbeitslosigkeit auf mehreren Wegen auf die Länderhaus-halte: (1) durch Ausgaben für die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen und ihren Angehörigen, (2) durch Ausgaben für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und (3) durch Einnahmenverluste infolge von Bevölkerungsabwanderung. Für das Wirtschaftswachstum sind die beiden letztgenannten Kausalpfade relevant: Das Wirtschaftswachstum wird haus-haltsrelevant durch Ausgaben für die Wirtschaftsförderung sowie durch die Bevölkerungs-abwanderung in Folge einer schwachen wirtschaftlichen Entwicklung. (1) Ausgaben für die finanzielle Unterstützung von Arbeitslosen und ihren Angehörigen Bis Ende 2004 wirkte sich die finanzielle Unterstützung der Arbeitslosen und ihrer Ange-hörigen durch die Belastung infolge von Sozialhilfezahlungen auf die aggregierten Haus-halte von Ländern und Kommunen aus (a). Nach der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe wurden die aggregierten Haushalte durch die Kosten für Unterkunft und Heizung im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitssuchende belastet (b). (a) Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt)56 erhielten Arbeitslose, die nicht oder nicht ausreichend von den vorgelagerten Sicherungssystemen Arbeitslosengeld und Arbeitslo-senhilfe erfasst wurden. Dies betraf zum kleineren Teil Arbeitslose, deren Ansprüche aus Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe unterhalb des Sozialhilfeniveaus lagen. In diesen Fällen wurden die Zahlungen durch Sozialhilfe aufgestockt. Zum größeren Teil betraf es Arbeitslose, die von den Sicherungssystemen Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe nicht erfasst wurden, weil sie die Bezugskriterien nicht erfüllten: Sozialhilfe erhielten Arbeitslo-se, die „wegen ihres Alters, ihrer beeinträchtigten Gesundheit oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vermittelbar waren“ (Lampert/Althammer 2001: 309), sowie Arbeitslose „die noch keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld oder -hilfe erworben haben und auch nicht innerhalb ihrer Familie abgesichert sind, wie etwa alleinstehende Berufsanfänger und Per-sonen, die nach längerer Pause wieder eine Arbeit aufnehmen wollen oder müssen“ (Hauser 1990: 35). Zu der Sozialhilfebedürftigkeit der Arbeitslosen tritt die Bedürftigkeit ihrer An-gehörigen. Hauser verweist zudem darauf, „dass auch die Fähigkeit zur Leistung von Un-terhaltszahlungen an geschiedene oder getrennt lebende Ehegatten und Kinder durch Ar-beitslosigkeit des Unterhaltsverpflichteten eingeschränkt werden kann“ (Hauser 1990: 35).

56 Neben der „Hilfe zum Lebensunterhalt“ existiert im Sozialhilferecht die „Hilfe in besonderen Lebenslagen“: „Hilfe zum Lebensunterhalt ist dem zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausrei-chend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem aus einem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann“ (§11(1) des Bundessozialhilfegesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechtes in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022). Bei der „Hilfe in besonderen Lebenslagen“ führt der Gesetzgeber enumerativ eine Reihe von Lebenslagen auf, unter andere Behinderte, psychisch Kranke und Sucht-kranke sowie pflegebedürftige Personen. Arbeitslose, die keinen oder einen nicht ausreichenden Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe haben, erhielten in der Regel die „Hilfe zum Lebensunterhalt“.

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54 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Hierin ist auch eine Ursache für den hohen Prozentsatz allein erziehender Frauen zu sehen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind.57

Als die Sozialhilfe 1961 eingeführt wurde, gingen die politischen Entscheidungsträger nicht davon aus, dass Arbeitslosigkeit ein Bezugskriterium für die Sozialhilfe werden könn-te. Hauser beschreibt die dem Bundessozialhilfegesetz zugrundeliegende Konzeption fol-gendermaßen: Die Konzeption ging von der Erwartung aus,

„daß ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und der weitere Ausbau des ‚gehobenen’ Teilsys-tems der sozialen Sicherung, insbesondere die 1957 eingeführte Rentendynamisierung, zu einem weitgehenden Überflüssigwerden der monetären Regelleistungen in Form der Hilfe zum Le-bensunterhalt führen und sich das Schwergewicht auf die individualisierten persönlichen Hilfen und Sachleistungen bei Vorliegen besonderer Lebenslagen […] verschieben würde. […] Aus dieser Sicht ist die Sozialhilfe vor allem auf Personen mit atypischen Lebensläufen oder beson-deren Bedürfnissen und auf Randgruppen der Gesellschaft ausgerichtet, während Personen mit ‚typischen’ Lebensverläufen, mit ‚normalen’ Bedürfnissen und ‚normalen’ Verhaltensweisen in der Regel durch die vorgelagerten Teilsysteme ausreichend abgesichert werden sollten.“ (Hauser 1990: 23)

Die tatsächliche Entwicklung entsprach bekanntlich nicht den optimistischen Erwartungen, und seit den 1970ern Jahren war ein zunehmender Teil der Arbeitslosen auf Hilfe zum Lebensunterhalt angewiesen (Hauser 1990, Klanberg/Prinz 1984, Kühl 1990). Da die vor-gelagerten Sicherungssysteme nicht entsprechend ausgebaut wurden, führten ökonomische Entwicklungen, wie die dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, und gesellschaftliche Verände-rungen, wie die wachsende Zahl allein erziehender Eltern, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer stärkeren Inanspruchnahme der Sozialhilfe. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger wuchs überdies, weil an den vorgelagerten Systemen gekürzt wurde. Im Bereich der Arbeitslosen-versicherung sind im Besonderen die Verschärfung der Leistungsvoraussetzungen und die Absenkung der Lohnersatzraten zu nennen (Hauser 1990: 37).

Für den Bund lohnten sich die Kürzungen an der Arbeitslosenhilfe unmittelbar, sie entlasteten den Bundeshaushalt direkt, die notwendigerweise steigenden Sozialhilfeausga-ben waren von den Kommunen und vermittelt durch die Länder zu tragen (Milbradt 1990: 160). Die „Hilfe zum Lebensunterhalt“ fällt in den Zuständigkeitsbereich der örtlichen Träger der Sozialhilfe – das sind die Landkreise und kreisfreien Städte in den Flächenlän-dern beziehungsweise die Stadtstaaten.58 Die örtlichen Träger führen das Bundessozialhil-fegesetz als Selbstverwaltungsaufgabe aus, das heißt, dass sie die entstehenden Lasten aus eigenen Mitteln aufzubringen haben (Bötticher-Meyners 1990: 101). Die Landesebene ist allerdings mittelbar an der Finanzierung der Hilfe zum Lebensunterhalt beteiligt, und zwar durch das Gebot, für eine aufgabengerechte Finanzausstattung ihrer Kommunen zu sorgen. Dieses Gebot manifestiert sich in dem kommunalen Finanzausgleich, aus dem die Kommu-nen ergänzend zu ihren originären Einnahmen Zuweisungen des Landes erhalten. Das Vo-lumen des kommunalen Finanzausgleichs wird von den einzelnen Länder von Jahr zu Jahr neu festgelegt und orientiert sich den Ausgaben der Kommunen (Hennecke 2000: 358).

57 1997 bezog jede dritte allein erziehende Frau Hilfe zum Lebensunterhalt (Lampert/Althammer 2001: 310). 58 Die überörtlichen Träger sind partiell für die Hilfen in besonderen Lebenslagen verantwortlich. Überörtliche Träger sind entweder die Länder selbst, nachgeordnete Verwaltungseinheiten wie Bezirke oder Landschaftsver-bände oder die Landeswohlfahrtsverbände. Die Organisation der überörtlichen Träger variiert von Bundesland zu Bundesland (Prinz/Klanberg 1983: 433f.).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 55

(b) Nach der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum 1. Januar 2005 übernahm der Bund bzw. die Bundesagentur für Arbeit die Kosten der Grundsicherung für Arbeitssuchende, während den kreisfreien Städten und Kreisen die Kosten für Unterkunft und Heizung der Arbeitssuchenden zugewiesen wurden. Um die Kommunen zu entlasten, übernimmt der Bund einen Teil Kosten der Heizung und Unterkunft. Der Bund weist diesen Betrag den Ländern zu, denen es überlassen bleibt, die Zahlungen an ihre Kommunen wei-terzureichen. Sowohl die Höhe der finanziellen Belastungen der Kommunen durch die Kosten für Unterkunft und Heizung als auch die Höhe ihrer Erstattung durch den Bund sind ein Gegenstand fortdauernder Auseinandersetzungen zwischen Bund, Ländern und Ge-meinden (Hennecke 2008, Scheller 2006: 24).59 Um die massive Belastung der ostdeut-schen Länder und ihrer Gemeinden zu reduzieren, erhalten sie vom Bund Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten durch die strukturelle Arbeitslosigkeit und der daraus entstehenden überproportionalen Lasten bei der Zusammen-fassung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe für Erwerbsfähige (abgekürzt SoBEZ „Struk-turelle Arbeitslosigkeit“ bzw. „Hartz IV“, vgl. Abschnitt 2.2.).

Wenn man die Arbeitsquote in einem weiteren Sinne als Indikator für die wirtschaftli-che Leistungsfähigkeit der Bundesländer begreift, ist plausiblerweise davon auszugehen, dass in Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit auch relativ gesehen höhere Sozialausgaben getätigt werden, die nicht in unmittelbaren Zusammenhang mit der finanziellen Unterstüt-zung von Arbeitslosen stehen. An dieser Stelle sollen nur Ausgaben berücksichtigt werden, die wie die Sozialhilfe aufgrund von bundesgesetzlichen Verpflichtungen von den Ländern beziehungsweise ihren Kommunen getätigt werden müssen. Leistungen, die aufgrund auto-nomer Entscheidungen der Länder getätigt werden, stehen im Mittelpunkt des folgenden Abschnitts. Im Kontext der bundesgesetzlich determinierten Sozialleistungen ist das Wohn-geld zu nennen. Das Wohngeld dient der finanziellen Unterstützung von Bürgern, die auf-grund niedrigen Einkommens einen Zuschuss zur Miete oder zu den Kosten selbstgenutzten Wohneigentums erhalten (Lampert/Althammer 2001: 320ff.). Bund und Länder teilen sich die Kosten für das Wohngeld in Höhe von 5,6 Milliarden Euro (2003) zur Hälfte (Renzsch 2005).60 Eine überdurchschnittliche Kostenbelastung von Ländern mit hoher Arbeitslosig-keit ergibt sich somit auch aus der bundesgesetzlichen Verpflichtung, Wohngeld zu zahlen.

Um abzuschätzen, wie relevant die Kostenbelastungen durch die bundesgesetzlich de-terminierten Sozialausgaben für die Länderhaushalte sind, werden in Tabelle A-3-1 die Kosten für Sozialhilfe und der Länderanteil am Wohngeld im Jahr 2003 den Defiziten der Länder gegenübergestellt. Im Durchschnitt der Länder erreichten diese Sozialausgaben 32,2 % des Defizits. Dieser Vergleich ist selbstverständlich nicht schematisch zu sehen, im Sin-ne, dass ein gesparter Euro bei den Sozialausgaben zur Senkung des Defizits in gleicher Höhe führen würde. Sinkende Sozialausgaben können natürlich auch zu steigenden Ausga-

59 Nach einer Klage mehrerer Landkreise entschied das Bundesverfassungsgericht am 20. Dezember 2007, das die Aufgabenübertragung an die Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen der Grundsicherung für Arbeitslose nicht gegen das Recht auf kommunale Selbstverwaltung verstößt (Bundesverfassungsgericht 2007: Absatz-Nr. 114). Auch die Finanzierungsregelung mit der Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft und Heizung sind gemäß dieser Entscheidung nicht verfassungswidrig (Bundesverfassungsgericht 2007: Absatz-Nr. 137). 60 Bei dem Wohngeld handelt es sich um ein Geldleistungsgesetz gemäß Art. 104a Abs. 3 des Grundgesetzes: „Bundesgesetze, die Geldleistungen gewähren und von den Ländern ausgeführt werden, können bestimmen, dass die Geldleistungen ganz oder zum Teil vom Bund getragen werden.“ Das Bundessozialhilfegesetz fällt nicht unter die Geldleistungsgesetze, da es nicht nur Geld-, sondern auch Sachleistungen vorsieht. Die Kosten des Bundesso-zialhilfegesetzes tragen deshalb allein die ausführenden Gebietskörperschaften.

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56 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

ben in anderen Bereichen führen. Der Vergleich soll lediglich einen Hinweis auf die haus-haltspolitische Bedeutung der Sozialausgaben geben, und auf Basis dieser Daten müssen sie als relevant angesehen werden. 2. Kosten für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und für die Steigerung des Wirtschafts-wachstums Die Bundesländer können mit einer Vielzahl von Instrumenten versuchen, das Wirt-schaftswachstum zu steigern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, beispielsweise mithil-fe der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Diese zielt auf „den Ausgleich von Arbeitskräfteangebot und –nachfrage, etwa durch Arbeitsvermittlung, Betreuung und Beratung, Zuschüsse zu Lohnkosten, Qualifizierung sowie Förderung von Existenzgründungen und beruflicher Mobilität“ (Schmid/Hedrich 2008: 196).61

Im Rahmen der Wirtschaftspolitik können einzelne Branchen durch die Gewährung von Subventionen gefördert werden. Es kann dabei differenziert werden zwischen Erhalts- bzw. Anpassungssubventionen für stagnierende und schrumpfende Branchen (z.B. Kohle-bergbau, Landwirtschaft) sowie Subventionen für Wachstumsbranchen (z.B. Biotechnolo-gie, Informations- und Kommunikationstechnologie, Umweltschutztechnik) (Müller 2008: 215). Im Zusammenhang mit der Förderung von Zukunftstechnologien steht auch die For-schungspolitik der Länder. Sie zielt unter anderem darauf ab, öffentliche Forschungsein-richtungen mit privatwirtschaftlichen Unternehmen zu vernetzen, um durch die praxisbezo-gene Anwendung der Forschungsergebnisse Spillover-Effekte zu erzeugen (Keller/Niebuhr/ Stiller 2004, Scherzinger 1998).

Allen diesen Maßnahmen ist gemeinsam, dass die Landesregierungen sie aufgrund ei-gener Entscheidungen treffen und nicht bundesgesetzlich zu ihnen verpflichtet sind. Gleichwohl bestehen massive Anreize für die Landesregierungen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, da das Problem der Arbeitslosigkeit eine hohe Bedeutung für die Wähler hat (Völkl 2008: 174ff.). Die plakative Untätigkeit einer Regierung könnte ihre Wiederwahl gefährden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass Regierungen eine Tendenz zu publikums-wirksamen Wirtschaftsfördermaßnahmen haben, deren Effektivität im Einzelfall nicht un-bedingt gegeben sein muss.62 (3) Einnahmenverluste durch Bevölkerungsabwanderung infolge hoher Arbeitslosigkeit und niedrigen Wirtschaftswachstums Anhaltende wirtschaftliche Probleme in einigen Bundesländern führen zur Binnenabwande-rung in andere prosperierende Bundesländer, deren bessere Beschäftigungsaussichten – niedrigere Arbeitslosigkeit und höhere Löhne – die Abwanderer anziehen (Wolff 2006: 28). Schaubild 3-1 belegt die Gültigkeit dieser allgemeinen Aussage für die Bundesländer im Zeitraum seit der Wiedervereinigung: In dem Schaubild wird die durchschnittliche Arbeits-losigkeit der Jahre 1991 bis 2006 mit der Bevölkerungsentwicklung im gleichen Zeitraum in Beziehung gesetzt. Dazu wurde die Einwohnerzahl von 1991 mit der von 2006 vergli-chen, und die Einwohnerzahl von 1991 als Referenzzahl auf 100 gesetzt.

61 Die passive Arbeitsmarktpolitik dient hingegen dazu mittels Lohnersatzleistungen den Lebensunterhalt der Arbeitslosen zu sichern (Schmid/Hedrich 2008: 196, siehe auch oben unter Punkt 1). 62 So etwa bei den brandenburger Prestigeprojekten Cargo-Lifter, Lausitzring und der Chip-Fabrik in Frankfurt/ Oder (Seitz 2006: 78).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 57

Schaubild 3-1: Durchschnittliche Arbeitslosigkeit und Bevölkerungsentwicklung im Zeitraum 1991 bis 2006

SNA

MVPSN

THÜ

BRBBER

BRESAAR

NRW

HAMNSASHO

HES

RPFBAY

BAW

85

90

95

100

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110

5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

durchschnittliche Arbeitslosenquote

Bev

ölke

rung

ssal

do (1

991=

100)

Quelle: Statistisches Bundesamt Der postulierte Zusammenhang lässt sich eindeutig nachweisen und fällt mit r = 0,88*** stark aus. Sieben der sechzehn Bundesländer haben im Untersuchungszeitraum an Einwoh-nern verloren: Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Als einziges der fünf ostdeutschen Länder weist Brandenburg einen schwach positiven Bevölkerungssaldo (100,2 %) auf. Brandenburg profitiert von der Sub-urbanisierung der Berliner Bevölkerung, die wegen der Teilung erst mit jahrzehntelanger Verspätung begann. Die Wanderungsverluste infolge ökonomischer Probleme betreffen somit in besonderem Maße die ostdeutschen Länder.

Die Abwanderung schädigt die wirtschaftliche Entwicklung der betroffenen Länder, da vor allem jüngere und höher Qualifizierte ihre Herkunftsländer verlassen (Wolff 2006: 28). Darüber hinaus wird die Abwanderung unmittelbar haushaltswirksam, da die bundes-staatliche Finanzverteilung überwiegend auf dem Kriterium der Einwohnerzahl beruht (vgl. Abschnitt 2.2.): Jeder Einwohner erbringt den Flächenländern im Durchschnitt 2300 Euro (Experteninterview mit Jörn Witte, 21.3.2006), beziehungsweise den Stadtstaaten aufgrund der Einwohnerwertung 2500 Euro (Experteninterview mit Bernd-Michael Bühler, 20.3.2006) – umgekehrt fehlt die entsprechende Summe bei Einwohnerverlusten.

Diese sinkenden Einnahmen sollten prinzipiell mit sinkenden Ausgaben einhergehen: Eine schrumpfende Bevölkerung bedeutet ja, dass weniger Personen öffentliche Leistungen nachfragen. Es gilt jedoch zu beachten, dass Einnahmen und Ausgaben unterschiedlich auf die Bevölkerungsverluste reagieren. Die Einnahmenverluste machen sich unmittelbar bei der jährlichen Steuerverteilung bemerkbar. Ausgabenkürzungen erfolgen hingegen nur mit Verzögerung oder gar nicht. Sie sind zum Teil praktisch unmöglich, nämlich dort, wo star-

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58 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

ke Fixkosten-Effekte vorliegen, etwa bei den Ausgaben für die Landesregierung und die Landesparlamente. In diesen Bereichen führt eine sinkende Einwohnerzahl zu steigenden Pro-Kopf-Ausgaben. In den meisten Bereichen sind Ausgabenkürzungen jedoch durchführ-bar, sie müssen allerdings gegen zum Teil beträchtlichen Widerstand durchgesetzt werden, wie an einem Beispiel illustriert werden kann: Überdurchschnittlich häufig ziehen junge Menschen nach dem Schulabschluss in prosperierende Länder. Dort schließen sie ihre Aus-bildung ab, beginnen zu arbeiten und gründen ihre Familien. In den Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit kommen somit zunehmend weniger Kinder in die Schule. Um Ausgaben zu kürzen, müssten die politischen Entscheidungsträger Schulklassen zusammenlegen be-ziehungsweise einzelne Schulen schließen. Das führt zumeist zu heftigem Widerstand der Eltern und stößt in dünnbesiedelten Ländern wie Mecklenburg-Vorpommern und Branden-burg zum Teil an praktische Grenzen – wenn nicht überlange Schulwege in Kauf genom-men werden sollen. Selbst wenn die politischen Entscheidungsträger Schulschließungen durchsetzen, stellt sich die Frage, wie die nicht mehr benötigten Lehrer von der Gehaltsliste gestrichen werden können.

In Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise müssen bei einem Verlust von 10.000 Einwohnern 200 Stellen gestrichen werden, um einen konstante Rate des Personals pro Einwohner zu halten (Experteninterview mit Jörn Witte, 21.3.2006). Prinzipiell ist aber ein weitergehender Personalabbau in den ostdeutschen Ländern notwendig: Die neuen Länder haben einen im Vergleich zu den alten Ländern überhöhten Personalbestand aus der DDR übernommen. Der Bevölkerungsschwund erschwert beziehungsweise verzögert hier not-wendige Anpassungsprozesse. Abschließend kann zusammengefasst werden: Die Einnah-menverluste aufgrund des Bevölkerungsschwunds wirken unmittelbar, sie werden nur ver-zögert und nicht vollständig durch Ausgabenkürzungen kompensiert (Renzsch 2005: 25, Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern 2006: 77).

Auf Basis der drei skizzierten Kausalpfade – Einwohnerverluste, Ausgaben für die Unterstützung von Arbeitslosen sowie Ausgaben für die Ankurbelung des Wirtschafts-wachstums und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – können die beiden folgenden Hypo-thesen formuliert werden:

H5: Je höher die Arbeitslosigkeit in einem Land ist, desto negativer ist die Haus-haltsbilanz in diesem Land.

H6: Je höher das Wirtschaftswachstum in einem Land ist, desto positiver ist die

Haushaltsbilanz in diesem Land.

3.4 Das Politikerbtheorem Im Gegensatz zu den Ansätzen der Politischen Ökonomie und der Parteienherrschaftstheo-rie sieht das Politikerbtheorem die Staatstätigkeit nicht durch Entscheidungen der gegen-wärtigen Regierung, sondern durch die Entscheidungen früherer Regierungen determiniert (Rose 1991, Rose/Davies 1994). Das Politikerbtheorem kann somit als Anwendung der in den Sozialwissenschaften prominenten These der Pfadabhängigkeit (Pierson 2004) auf den Bereich der Staatstätigkeit begriffen werden. Rose und Davies fassen die zugrunde liegende These folgendermaßen zusammen:

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 59

„Policymakers are heirs before they are choosers. […] The statute book consists of laws made by past generations yet binding upon each new incumbent. For the moment, at least, a policy-maker must accept the legacy of past administrations – and all the constraints that got with it. Policymakers are thus rooted in time. An inheritance is not chosen; it is given by history. Past events and past choices create the situation to which policymakers are heirs.” (Rose/Davies 1994: 1).

Der wichtigste Grund, warum die Regierungen nach der Machtübernahme die ‚ererbten’ Entscheidungen nicht korrigieren, besteht in der ungeheuren Masse der Gesetzgebung in modernen Demokratien und den begrenzten zeitlichen und kognitiven Ressourcen der Re-gierungen: Es ist den Regierungen daher unmöglich, alle bestehenden Gesetze zu lesen, geschweige Alternativen zu den bestehenden Gesetzen zu entwickeln und zu verabschieden (Wolf 2006: 69). Ein Großteil der Gesetze bleibt unverändert bestehen,63 und die Verände-rungen beziehen sich in der Regel auf Sachfragen, in denen die aktuellen Regierungen starke Präferenzen haben.

Die Übernahme des Politikerbes wurde nicht nur mit dem Mangel an zeitlichen und kognitiven Ressourcen, sondern auch mit machtpolitischen Erwägungen begründet: Viele Ausgabenprogramme werden von mächtigen Interessengruppen verteidigt, deren Proteste vermieden werden können, wenn die Nachfolgeregierung am Status quo festhält. Darüber hinaus können weitreichende Gesetzesänderungen die Wiederwahlchancen auch dann ver-mindern, wenn sie unerwünschte unintendierte Auswirkungen nach sich ziehen bezie-hungsweise die angestrebten Ziele nicht erreichen. Der Status quo erscheint somit als weni-ger riskante Lösung (Zohlnhöfer 2008: 8f.). Solche Erwägungen stehen im Einklang mit der Forderung Schmidts, die Übernahme des Politikerbes durch Aussagen über die Präferenzen der Akteure zu erklären:

„Public policy inheritance may be statistically more important than policy choice at timepoint t (Rose/Davies 1994), but policy inheritance itself is largely a product of decisions taken in the past. Furthermore the acceptance or rejection of the inheritance is the product of policy choices at timepoint t” (Schmidt 1996: 169).

3.4.1 Die Zinslasten der Länder Bezogen auf die Fragestellung dieser Studie ist zunächst festzustellen, dass die Zinsausga-ben das wichtigste Politikerbe sind, das auf die haushaltspolitischen Entscheidungen der jeweils aktuellen Regierungen einwirkt. Hinsichtlich Schmidts Argumentation kann fest-gehalten werden, dass die Zinsausgaben tatsächlich auf den Entscheidungen früherer Regie-rungen beruhen, Kredite aufzunehmen. Der aktuellen Regierung steht es jedoch nicht frei, über die Annahme oder Ablehnung dieses Politikerbes zu entscheiden: Die Zinszahlungen sind rechtliche Verpflichtungen, denen sich die Regierungen nicht entziehen können – sieht man einmal von der hypothetischen Möglichkeit einer Zahlungseinstellung ab. Das unter-scheidet die Zinsausgaben von anderen, programmbasierten Ausgabenverpflichtungen, die Regierungen von ihren Vorgängern geerbt haben: Die Ausgabenprogramme können in der

63 Rose und Davies zufolge werden in Großbritannien, dessen Westminster-Modell vergleichsweise große Spiel-räume für die Regierungen aufweist, durchschnittlich 90 % der Gesetze von einer Regierung geerbt und wiederum unverändert an die Nachfolgeregierung weitergegeben (Rose/Davies 1994: 137).

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60 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Regel abgeschafft werden, um Spielräume im Haushalt zu schaffen. Die Zinsausgaben stellen hingegen einen Ausgabenposten dar, der von den Entscheidungen der gegenwärtigen Regierungen und von den gegenwärtig wirkenden Restriktionen unabhängig ist.

Im Kontext der Bundesländer besitzt die Belastung durch Zinsausgaben einen ungleich höheren Stellenwert als in Nationalstaaten. Gegebene Ausgaben, deren Höhe die gegenwär-tigen Regierungen nicht beeinflussen können, schlagen sich in den Bundesländern mit hö-herer Wahrscheinlichkeit direkt in höheren Defiziten nieder: Die Landesregierungen kön-nen die Zinsbelastung mangels autonomer Steuergesetzgebung nicht mit einer Steigerung der Steuereinnahmen kompensieren. Und sie können die Zinsbelastung nur begrenzt durch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle auffangen, aufgrund der bundesgesetzlichen Fixie-rung von Teilen der Länderausgaben.

Die Prägung der Länderhaushalte durch die Defizite in der Vergangenheit kann auf einfache Weise in dieser Studie berücksichtigt werden, indem die Zinsausgaben in das Erklärungsmodell aufgenommen werden:

H7: Je höher die Zinsausgaben eines Landes sind, desto negativer ist die Haus-haltsbilanz in diesem Land.

Alternativ zur Verwendung der Zinsausgaben als Kontrollvariable kann ihr Einfluss auch bei der Konstruktion der abhängigen Variablen kontrolliert werden. Bei der Berechnung der primären Haushaltsbilanz werden die Zinsausgaben herausgerechnet (vgl. Abschnitt 3.8.1.), die Primärausgaben beruhen somit ausschließlich auf Entscheidungen der gegenwärtigen Regierung. Sie können dann in der Kausalanalyse mit den gegenwärtigen Präferenzen der Regierenden und den gegenwärtigen Restriktionen, denen die Regierenden in ihren Ent-scheidungen unterliegen, erklärt werden.

Beide Herangehensweisen – Zinsausgaben als Kontrollvariable und Primärdefizite als abhängige Variable – finden Verwendung in dieser Studie. Als abhängige Variable fungie-ren sowohl die Haushaltsbilanz als auch die primäre Haushaltsbilanz, bei der Analyse der Haushaltsbilanz werden die Zinsausgaben als Prädiktor verwendet. Durch den Vergleich der beiden Spezifikationen können ergänzende Informationen über die Stabilität der empiri-schen Ergebnisse gewonnen werden.

3.5 Die geographische Determination der Staatstätigkeit Die extrem hohe Verschuldung der drei Stadtstaaten macht es im Rahmen dieser Studie zwingend erforderlich, nach Ursachen zu suchen, die in den Unterschieden zwischen Flä-chenländern und Stadtstaaten liegen. Als hilfreich erweisen sich dabei finanzwissenschaft-liche Arbeiten, die einen Zusammenhang zwischen der Verteilung der Bevölkerung auf territoriale Einheiten und der Höhe der öffentlichen Ausgaben pro Einwohner postulieren. Diese Ansätze sind akademisch weniger etabliert als die zuvor diskutierten Ansätze der Konstitutionellen Politischen Ökonomie und der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung, da es sich zumeist um gutachterliche Auftragsforschung im Rahmen der Gestaltung von Finanzausgleichssystemen handelt; Seitz nennt die Forschung zu diesem Themenkomplex einen „sehr spezifischen Bereich der angewandten Finanzwissenschaft“ (Seitz 2002: 22). Diese Auftragsforschung erhielt in Deutschland durch die Verfahren vor dem Bundesver-

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 61

fassungsgericht einen deutlichen Aufschwung, da die Bundesländer genötigt waren, ihre Verteilungsinteressen durch wissenschaftliche Expertisen zu legitimieren (Bräuer 2005: 233).64 Diese Arbeiten bilden die Basis der folgenden Ausführungen.

In ihnen wird die räumliche Verteilung der Bevölkerung bezüglich zweier Dimensio-nen betrachtet: einerseits der Bevölkerungskonzentration bzw. Bevölkerungsdichte (Ein-wohner pro Quadratkilometer), andererseits der Bevölkerungszahl (‚Größe’) der territoria-len Einheiten. In beiden Dimensionen wird die Frage gestellt, ob economies of scale (stei-gende Skalenerträge) oder diseconomies of scale (sinkende Skalenerträge) vorliegen. Stei-gende Skalenerträge liegen vor, wenn bei steigender Bevölkerungsdichte beziehungsweise bei steigender Bevölkerungszahl die Kosten pro Einwohner abnehmen. Sinkende Skalener-träge liegen vor, wenn die Kosten pro Einwohner zunehmen (Seitz 2002: 12). Die Diskus-sion der beiden Dimensionen Bevölkerungsdichte und Bevölkerungsgröße ermöglicht es nicht nur, die Besonderheiten der Stadtstaaten theoretisch zu erfassen. Es werden auch potenziell relevante Erklärungsfaktoren für die unterschiedlich hohen Defizite der Flächen-länder diskutiert. Bevölkerungsdichte Seitz (2002: 20ff.) synthetisiert die vorliegenden theoretischen und empirischen Befunde dahingehend, dass die Pro-Kopf-Ausgaben bei hoher Bevölkerungsdichte, d.h. in Städten, wesentlich höher liegen als in geringer verdichteten Räumen. Mit sinkender Bevölkerungs-dichte sinken die Pro-Kopf-Ausgaben, bevor ein Umschlagpunkt erreicht wird und sie bei sehr geringer Bevölkerungskonzentration wieder leicht ansteigen. Schaubild 3-2 stellt die-sen j-förmigen Zusammenhang graphisch dar. Schaubild 3-2: Der Einfluss der Bevölkerungsdichte auf die Pro-Kopf-Ausgaben

64 Diesem Druck sahen sich Befürworter und Gegner einzelner Ausgleichstatbestände ausgesetzt, was zu einer Fülle von Gutachten führte. „Die akademische Politikberatung avancierte damit zum heimlichen Gewinner“ (Bräuer 2005: 233) der Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Bevölkerungsdichte Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Seitz 2002: 19

Ausgaben pro Einwohner

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62 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Die Pro-Kopf-Ausgaben reagieren je nach Aufgabenbereich verschiedenartig auf eine Ver-änderung der Bevölkerungskonzentration: Bereiche, in denen steigende Skalenerträge vor-liegen, stehen solchen gegenüber, in denen sinkende Skalenerträge auftreten. Die j-förmige Verteilung bezieht sich auf die Aggregation über alle Politikfelder hinweg.

Die These höherer Pro-Kopf-Ausgaben in Städten wird nach einer Arbeit von Arnold Brecht aus dem Jahr 1932 Brechtsches Gesetz genannt. Brecht entdeckte zunächst empiri-sche Regelmäßigkeiten, die er zu plausibilisieren versuchte (Hennecke 2000: 377f.) und als „Gesetz der progressiven Parallelität zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung“ (Brecht 1932: 6) bezeichnete. Die eigentliche theoretische Begründung des Zusammen-hangs erfolgte wesentlich später (Kähler 1982, Littmann 1977). Der von Brecht entdeckte Effekt ist vor allem auf Ausgaben zur Kompensation negativer Verstädterungserscheinun-gen sowie auf ein höheres Leistungsniveau in Städten zurückzuführen (Andel 1992: 193).65

Die Ausgaben zur Kompensation negativer Verstädterungserscheinungen werden auch als agglomerationsbedingte Lasten bezeichnet. Sie bestehen vor allem in höheren Ausgaben für die öffentliche Sicherheit aufgrund der höheren Kriminalität in Städten, sowie in höhe-ren Sozialausgaben, die aufgrund des spezifischen Bevölkerungsprofils von Städten anfal-len. Das höhere Leistungsniveau zeigt sich darin, dass mit steigender Gemeindegröße Um-fang und Vielfalt der bereitgestellten öffentlichen Güter zunehmen, so z.B. Universitäten, Krankenhäuser, Museen, Theater und Opernhäuser. In der Produktion dieser Güter fallen erhebliche Fixkosten an, die eine möglichst große Nachfrage ökonomisch sinnvoll erschei-nen lassen. Zugleich werden sie in kleineren Gemeinden nur wenig nachgefragt, so dass sie in der Regel nur in Städten, teils auch nur in größeren Städten, angeboten werden (Seitz 2002: 14). Dort werden diese Güter allerdings nicht nur von den Stadtbewohnern, sondern auch von den Bewohnern des Umlandes konsumiert. Deshalb werden derartige Güter auch als zentralörtliche Leistungen bezeichnet.

Diesen Mehrausgaben stehen in der Regel Mehreinnahmen gegenüber: In Städten wird zumeist eine größere Wertschöpfung je Einwohner erzielt. Daher verfügen Städte in der Regel auch über höhere Steuereinnahmen pro Einwohner. Diese höhere Finanzkraft ermög-licht höhere Ausgaben – auch unabhängig von der Frage eines höheren Bedarfs. Bei der Anwendung dieser Analysekategorien auf die Bundesländer (vgl. Abschnitt 3.5.1.) gilt es jedoch zu beachten, dass die Steuereinnahmen, die innerhalb der Städte erwirtschaftet wer-den, nicht dort verbleiben, sondern in das komplexe Steuerverteilungssystem eingespeist werden (vgl. Abschnitt 2.2.). Besondere Kostenbelastungen der Stadtstaaten werden aller-dings im Länderfinanzausgleich durch die Stadtstaatenwertung berücksichtigt, bei der die Einwohner der Stadtstaaten mit dem Faktor 1,35 gewichtet (‚veredelt’) werden.66

Die Tabelle 3-1 zeigt die zu erwartende Differenz in der Bevölkerungsdichte zwischen Stadtstaaten und Flächenländern, wobei auch innerhalb der beiden Gruppen erhebliche Differenzen bestehen. Auffällig ist, dass die ostdeutschen Länder mit Ausnahme Sachsens am Ende der Verteilung stehen. Insbesondere Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg weisen eine weit unterdurchschnittliche Bevölkerungskonzentration auf. Im Auftrag dieser beiden Länder untersuchte Seitz kostensteigernde Effekte dünner Besiedelung. Derartige Effekte sind aufgrund der Verpflichtung zur flächendeckenden Versorgung der Bevölke-

65 Daneben werden auch steigende Kosten beispielsweise für Grundstücke in Städten angeführt (Andel 1992: 193). Gegenüber den beiden übrigen Faktoren ist dieser Effekt jedoch nachrangig. 66 Mehrausgaben der Städte in den Flächenländern werden analog dazu in der Mehrzahl der Kommunalfinanzaus-gleichsgesetze der einzelnen Ländern explizit berücksichtigt (Birke 2000).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 63

rung zu erwarten, die bei einer breiten Streuung der Bevölkerung bei einigen öffentlichen Leistungen einen erhöhten Aufwand erfordert: Seitz (2002: 117f.) kann einen Mehraufwand im Bau und Unterhalt von Abwasserentsorgung, Schulgebäuden und Straßen nachweisen. Er erwartet darüber hinaus auch Mehrkosten für eine bürgernahe Versorgung dünnbesiedel-ter Gebiete in den Bereichen Polizei und Rettungsdienste, Kreisverwaltung und Justiz – mangels Daten kann er sie jedoch nicht empirisch nachweisen. Tabelle 3-1: Durchschnittliche Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte der Bundesländer

1995-2006 Land Einwohnerzahl

(in 1000) Land Bevölkerungsdichte:

Einwohner pro Quadratkilometer

Nordrhein-Westfalen 18015 Berlin 3819

Bayern 12260 Hamburg 2281

Baden-Württemberg 10556 Bremen 1650

Niedersachsen 7920 Nordrhein-Westfalen 529

Hessen 6063 Saarland 415

Sachsen 4407 Baden-Württemberg 295

Rheinland-Pfalz 4035 Hessen 287

Berlin 3407 Sachsen 239

Schleswig-Holstein 2791 Rheinland-Pfalz 203

Sachsen-Anhalt 2597 Schleswig-Holstein 177

Brandenburg 2573 Bayern 174

Thüringen 2418 Niedersachsen 166

Mecklenburg-Vorpommern 1764 Thüringen 150

Hamburg 1722 Sachsen-Anhalt 127

Saarland 1067 Brandenburg 87

Bremen 667 Mecklenburg-Vorpommern 76

Ø Östliche Flächenländer 2752 Ø Östliche Flächenländer 136

Ø Westliche Flächenländer 7838 Ø Westliche Flächenländer 281

Ø Stadtstaaten 1932 Ø Stadtstaaten 2583

Ø Gesamt 5141 Ø Gesamt 667

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamts. Die Durchschnitte wurden nicht nach der Größe der Bundesländer gewichtet. In seinem Urteil vom 11. November 1999 forderte das Bundesverfassungsgericht den Ge-setzgeber auf, „die Finanzkraft der Stadtstaaten der Finanzkraft dünn besiedelter Flächen-länder gegenüberzustellen und zu prüfen, ob eine Ballung der Bevölkerung in einem Land

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64 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

oder eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehrbedarf pro Ein-wohner rechtfertigen kann“ (Bundesverfassungsgericht: 1999: Absatz-Nr. 320). In dem auf Basis dieses Urteils und den anschließenden Verhandlungen reformierten Länderfinanzaus-gleich (vgl. Abschnitt 2.2.), der am 1. Januar 2005 in Kraft trat, wird nun auch die Mehrbe-lastung dünn besiedelter Länder berücksichtigt, allerdings nur mit einer sehr moderaten Gewichtung, die für Mecklenburg-Vorpommern 105 %, für Brandenburg 103 % und für Sachsen-Anhalt 102 % beträgt. Diese Gewichtung bezieht sich obendrein nur auf das kommunale Steueraufkommen.67 Diese Kompensation wurde erst gegen Ende der Untersu-chungsperiode dieser Studie eingeführt, in zehn der zwölf untersuchten Jahre wurden die kostensteigernden Effekte einen dünnen Bevölkerungsdichte nicht im Länderfinanzaus-gleich berücksichtigt. Das geringe Ausmaß der Kompensation zeigt jedoch, dass von einer dünnen Besiedelung vergleichsweise untergeordnete Effekte auf die Ausgaben eines Lan-des ausgehen. Von einem hinreichend starken Effekt der Bevölkerungsdichte auf die Defi-zite in Flächenländern kann daher nicht ausgegangen werden, so dass die Bevölkerungs-dichte der Flächenländer nicht in das Erklärungsmodell dieser Studie aufgenommen wird. Einwohnerzahl Die Literatur unterscheidet im Rückgriff auf die betriebswirtschaftliche Produktions- und Kostentheorie zwischen festen und variablen Verwaltungskosten (Junkernheinrich/Micosatt 2005: 234). Variable Kosten fallen vor allem auf der Durchführungsebene der Verwaltung an, so richtet sich beispielsweise „der Personalbedarf zur Bearbeitung von Steuerfällen nach der Zahl der Steuerpflichtigen“ (Junkernheinrich/Micosatt 2005: 233) und ist somit anpassungsfähig, wobei allerdings zu einem kleineren Teil Fixkosten für die grundlegende Organisation der Steuerverwaltung anfallen. Fixkosten existieren jedoch vor allem in den zentralen Institutionen des Regierungssystems. Die personelle Ausstattung dieser Instituti-onen variiert nur sehr beschränkt mit der Einwohnerzahl eines Landes: „Würde im Saarland (21235 Einwohner je Abgeordneten) die gleiche Zahl der Einwohner je Abgeordneten zugrunde gelegt wie in Nordrhein-Westfalen (80448 E.) würde das saarländische Parlament von 51 auf knapp 14 Abgeordnete zusammenschmelzen“ (Junkernheinrich/Micosatt 2005: 233). Aufgrund dieser Fixkosteneffekte weisen Länder mit einer niedrigen Einwohnerzahl höhere fixe Verwaltungskosten pro Kopf auf, mit steigender Einwohnerzahl sinken die fixen Verwaltungskosten pro Kopf, wobei allerdings ein Sättigungseffekt zu erwarten ist. Schaubild 3-3 stellt diesen Zusammenhang graphisch dar:

67 Während das Aufkommen der Landessteuern zu 100 % in die Berechnung des Länderfinanzausgleichs eingeht, wird nur ein Teil des kommunalen Steueraufkommens erfasst, und zwar 50 % bis Ende 2004 beziehungsweise 64 % ab 2005 (vgl. Abschnitt 2.2.).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 65

Schaubild 3-3: Der Einfluss der Einwohnerzahl auf die Pro-Kopf-Ausgaben

Im Gegensatz zu der hohen und vergleichsweise breit gestreuten Kostenbelastung der Stadtstaaten betreffen die Effekte der Bevölkerungszahl ausschließlich eine Ausgabenkom-ponente, die Kosten „politischer Führung und zentraler Verwaltung“, welche allerdings nur einen kleinen Haushaltsanteil ausmachen. Obendrein erhalten Länder mit einer niedrigen Einwohnerzahl Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen „wegen überdurchschnitt-lich hoher Kosten politischer Führung“ (§11(4) des Finanzausgleichsgesetzes), sogenannten ‚Kosten der Kleinheit’. Schaubild 3-4 stellt die Höhe dieser Zuweisungen pro Einwohner der Einwohnerzahl der Länder gegenüber. Die funktionale Form der Verteilung entspricht der theoretisch postulierten Kostenbelastung: Sehr kleine Länder erhalten hohe Zuweisun-gen, die bei steigender Bevölkerungszahl überproportional absinken. Hessen erhält keine Zuweisungen mehr – ebenso wie die vier Bundesländer, die mehr Einwohner haben als Hessen68. Auf ihre Darstellung wurde in dem Schaubild aus Platzgründen verzichtet. Eine Ausnahme bildet Hamburg, das trotz einer vergleichsweise geringen Einwohnerzahl keine Zuweisungen erhält, da es Geberland im horizontalen Länderfinanzausgleich ist.69 Die Zuweisungen kompensieren die überdurchschnittliche Kostenbelastung kleiner Länder zum größten Teil, es bleibt aber ein von Land zu Land variierender Selbstbehalt bestehen. Dieser Selbstbehalt soll Anreize zu Einsparungen setzen (Experteninterview mit Wolfgang Förster, 30.1.2006).

68 Es sind dies Niedersachsen, Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. 69 Voraussetzung für die Gewährung von BEZ ist das Vorliegen von Leistungsschwäche, für die wiederum auch das Vorliegen von Finanzschwäche im Länderfinanzausgleich Voraussetzung ist – und die ist bei Hamburg als Zahlerland nicht gegeben“ (Antwort von Bernd-Michael Bühler auf eine Anfrage des Verfassers, 19.4.2006).

Einwohnerzahl Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Seitz 2002: 19.

Ausgaben pro Einwohner

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66 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Schaubild 3-4: Bundesergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung pro Einwohner in Euro und Einwohnerzahl der Bundesländer im Jahr 2005

BrandenburgSachsen-Anhalt

Thüringen

Schleswig-Holstein

Berlin Rheinland-Pfalz

SachsenHessenHamburg

Mecklenburg-Vorpommern

Saarland

Bremen

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000Einwohner in 1000

Zuw

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pro

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ro

Quelle: Finanzausgleichsgesetz und Statistisches Bundesamt Da die zusätzlichen Verwaltungskosten der einwohnerschwachen Länder nur einen kleinen Teil des Gesamthaushalts ausmachen und ein Großteil dieser vergleichsweise geringen zu-sätzlichen Belastungen durch die Zuweisungen kompensiert wird, können die zusätzlichen Verwaltungskosten nicht zur Erklärung potenziell höherer Defizite in einwohnerschwachen Ländern herangezogen werden.

In der Forschung wird jedoch noch ein weiterer Effekt diskutiert: Einwohnerschwa-chen Ländern wird eine geringere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unterstellt. Seitz (2001a) und Färber (2005) argumentieren, dass kleine Länder häufig monoindustriell struk-turiert, und somit anfälliger für den wirtschaftlichen Strukturwandel seien: Daher „war beispielsweise das Saarland viel stärker von dem Niedergang des Kohle- und Stahlbereichs betroffen als Nordrhein-Westfalen“ (Seitz 2001a: 6).70 Das generelle Argument über den Zusammenhang von Einwohnerzahl und industrieller Struktur kann im Hinblick auf die deutsche Institutionenordnung näher spezifiziert werden: Die stärkere Betroffenheit durch den Strukturwandel hat besonders negative Auswirkungen für die kleinen Bundesländer, da sie angesichts der geringen Gesetzgebungskompetenzen der Länder nur beschränkt in der Lage sind, den Strukturwandel aktiv zu gestalten und die Entstehung von Ersatzarbeitsplät-

70 Wie stark das monoindustriell strukturierte Saarland von dem Strukturwandel betroffen war, lässt sich anhand der Arbeitsplatzverluste dokumentieren: Die Zahl der im Bergbau Beschäftigten verringerte sich von 65.000 (1957) auf 9.600 (2001). In der Eisen- und Stahlerzeugung sank die Zahl der Beschäftigten von 42.000 (1970) auf 11.100 (2000) (Renzsch 2005: 19). Diese Zahlen sind enorm angesichts der geringen Größe des Saarlands (ca. 1 Million Einwohner).

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 67

zen anzuregen. Förster (Finanzministerium Saarland) verweist zur Illustration dieses Ar-guments auf die Entwicklung im Saarland und im benachbarten Luxemburg: Luxemburg (470.000 Einwohner) ist noch einmal deutlich kleiner als das Saarland (1.050.000 Einwoh-ner) und war in vergleichbarer Weise von dem Niedergang der Stahlindustrie betroffen. Luxemburg konnte den Strukturwandel jedoch wesentlich erfolgreicher gestalten, da es aufgrund seiner nationalstaatlichen Gesetzgebungskompetenzen in der Lage war, mit ver-besserten Standortbedingungen Banken und Versicherungen zur Niederlassung in Luxem-burg zu bewegen (Experteninterview mit Wolfgang Förster 30.1.2006).

Sollten einwohnerschwache Bundesländer tatsächlich wirtschaftlich weniger leistungs-fähig sein, so wird dieser Effekt mit dem Indikator der Arbeitslosenquote erfasst. Es gibt somit keinen Grund, die Einwohnerzahl als Prädiktor in das Modell aufzunehmen. Somit wird allein eine Hypothese zu dem Unterschied zwischen Stadtstaaten und Flächenländern formuliert, nicht aber zur Bevölkerungsdichte innerhalb der Flächenländer oder zur Ein-wohnerzahl aller Länder. 3.5.1 Strukturelle Besonderheiten der Stadtstaaten Im Folgenden werden die zuvor erarbeiteten Analysekategorien auf die Stadtstaaten ange-wendet. Dazu werden auf der Ausgabenseite die agglomerationsbedingten Lasten (1) und die Ausgaben für die Bereitstellung zentralörtlicher Leistungen (2) analysiert. Daran an-schließend wird die Einnahmenseite der Stadtstaaten untersucht (3). (1) Agglomerationsbedingte Lasten Unter den agglomerationsbedingten Lasten sind vor allem erhöhte Sozialausgaben und erhöhte Kosten für die Bekämpfung der Kriminalität zu nennen, daneben fallen auch Mehr-belastungen für Straßen und für den öffentlichen Nahverkehr an (Vesper 2001). Die drei Stadtstaaten leiden als Großstädte unter einer hohen Kriminalität. Besonders in großen Großstädten ab 500.000 Einwohnern, zu denen alle drei Stadtstaaten zählen, werden stark überdurchschnittlich viele Straftaten begangen (vgl. Tabelle 3-2). Tabelle 3-2: Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner nach Gemeindegrößenklassen im

Jahr 2004

Gemeindegrößenklassen (Einwohner) Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner Großstädte ab 500.000 14303 Großstädte von 100.000 bis unter 500.000 10613 Städte von 20.000 bis unter 100.000 8225 Gemeinden unter 20.000 4705 Gesamt 8307

Quelle: Bundeskriminalamt (2005): 52. Auf den erhöhten Problemdruck reagieren die Stadtstaaten mit einer erhöhten Polizeidichte, wie Schaubild 3-5 belegt. Das Schaubild weist die erfassten Straftaten pro 100.000 Ein-wohner und die Anzahl der Einwohner je Polizist (Polizeidichte) im Jahr 1997 aus. Im Jahr 1997 wurde die Polizeidichte zum letzten Mal für alle Länder erfasst.

Page 68: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

68 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Schaubild 3-5: Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner und Einwohner je Polizist in den Ländern im Jahr 1997

BER

HAMBRE

MVPBRB

BAW RPF

BAY

SAARTHÜ

SN

SHOHES

NRWNSA

SNA

150

200

250

300

350

400

450

5000 6000 7000 8000 9000 10000 11000 12000 13000 14000 15000 16000 17000 18000Erfasste Straftaten pro 100.000 Einwohner

Einw

ohne

r je

Poliz

ist

Quelle: Bundeskriminalamt 1998: 47, Deutscher Bundestag 2000: 8 Die drei Stadtstaaten weisen wie erwartet die höchste Kriminalität auf, wobei die beiden Millionenstädte noch einmal deutlich vor Bremen liegen. In Hamburg und Berlin werden dreimal so viele Straftaten pro Einwohner erfasst wie in Bayern und Baden-Württemberg. Zugleich haben die drei Stadtstaaten die höchste Polizeidichte aller Bundesländer, im Durchschnitt der Stadtstaaten kommt ein Polizist auf 205, in den Flächenländern ein Poli-zist auf 380 Einwohner.

Die erhöhte Kriminalität in den Stadtstaaten führt somit zu einer erhöhten Polizeidich-te, die wiederum höhere Personalausgaben zur Folge hat. Was sind aber die Ursachen der höheren Kriminalität in Großstädten? Die Forschung liefert unterschiedliche Begründungen für Gewaltkriminalität und Eigentumskriminalität. Die höhere Eigentumskriminalität in Städten erklärt die ökonomische Kriminalitätstheorie durch die Gelegenheitsstrukturen – aufgrund des höheren Wohlstandes in Städten gibt es mehr Anreize für Eigentumsdelikte – und die Anonymität städtischen Lebens, die zu einer geringeren Entdeckungs- und damit Bestrafungswahrscheinlichkeit führt (Glaeser/Sacerdote 1999).

Die höhere Gewaltkriminalität erklärt die soziologische Forschung überwiegend mit Veränderungen der Sozialstruktur und der räumlichen Struktur in den Städten: Die Dein-dustrialisierung habe zu wachsender sozialer Ungleichheit in der Städten geführt. Hinzu komme das Anwachsen von ethnischen Minoritäten. Beide Entwicklungen führten zur Auflösung der traditionellen Arbeiterviertel und zum verstärkten Entstehen von Stadtvier-teln, in denen sich benachteiligte Bevölkerungsgruppen sammeln (‚Ghettoisierung’). Die höhere Kriminalitätsbelastung in diesen Vierteln wird im Anschluss an die Theorie der

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 69

sozialen Desorganisation mit fehlenden informellen Kontrollen und der Schwäche der So-zialisationsinstitutionen erklärt (Eisner 1997, Heitmeyer/Anhut 1999).

Das Anwachsen innerstädtischer Problemviertel geht einher mit der Zunahme der An-zahl von Stadtbewohnern, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Da zugleich mittlere und höhere Einkommensschichten tendenziell in das Umland abwandern (Suburbanisie-rung), spricht Renzsch (2001: 22) „von einem andauernden Prozess der Verschlechterung der sozialen Struktur“, der die Haushalte der Stadtstaaten belaste. Hier gilt es allerdings zwischen den Stadtstaaten zu differenzieren: Hamburg zieht als prosperierende Stadt junge Erwachsene aus Ostdeutschland, speziell aus Mecklenburg-Vorpommern, an, die in Ham-burg ihre Ausbildung abschließen und zum Teil bleiben. Bei dieser Zuwanderergruppe kann nicht von einer Verschlechterung der sozialen Struktur gesprochen werden (Experten-interview mit Bernd-Michael Bühler, 20.3.2006).

Dementsprechend lag die Sozialhilfequote im Jahr 2004 in Hamburg mit 7,1 % niedri-ger als in Berlin (8,0 %) und Bremen (9,0 %). Gleichwohl lag sie in allen drei Stadtstaaten mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt der westlichen (3,3 %) und östlichen Flä-chenländer (3,3 %).71 2. Zentralörtliche Leistungen Unter die zentralörtlichen Leistungen, die die Großstädte auch für die Bewohner der Um-landgemeinden zur Verfügung stellen, werden zumeist Hochschulen, kulturelle Einrichtun-gen (Theater, Opern, Museen) und spezialisierte Krankenhäuser subsumiert (Scharpf/Benz 1991). Die Bereitstellung zentralörtlicher Leistungen durch die Stadtstaaten wird im Fol-genden anhand der Studierenden pro 1000 Einwohner illustriert. Dieser Indikator wurde aus Gründen der Datenverfügbarkeit gewählt. Er ist obendrein inhaltlich zu rechtfertigen, da die Hochschulausgaben quantitativ relativ bedeutsam sind. Die Anzahl von Studierenden in den Stadtstaaten wird zweifach verglichen, zum einen mit den Bundesländern, zum anderen mit vergleichbaren Großstädten. Als Vergleichsbasis werden Großstädte oberhalb von 500.000 Einwohnern herangezogen, wie in dem Gutachten des ifo-Instituts für Wirtschafts-forschung (Hummel/Leibfritz 1987), das die Höhe der Einwohnerwertung im Länderfi-nanzausgleich finanzwissenschaftlich bestimmen sollte.72

Wie in dem ifo-Gutachten werden die folgenden Vergleichsstädte gewählt: München (1260 Tsd. Einw.) Köln (983), Frankfurt/Main (652), Stuttgart (593), Dortmund (588), Essen (585), Düsseldorf (575), Hannover (516) und Duisburg (502). Hinzu kommen Leip-zig (503) sowie zwei Städte, die knapp unterhalb von 500.000 Einwohnern liegen, aber weit vor der nächst kleineren Stadt Bochum (386): Nürnberg (499) und Dresden (495).73

Aus Gründen der Datenverfügbarkeit muss sich der Großstadtvergleich auf die Studie-renden an Universitäten beschränken, für die Bundesländer wird zudem die Gesamtzahl der Studierenden an allen Hochschulen ausgewiesen.74

71 Quelle: Statistisches Bundesamt 72 In dem ifo-Gutachten werden diese Vergleichsstädte jedoch nicht mit den Stadtstaaten verglichen. Stattdessen wird der Durchschnitt der Vergleichsstädte mit dem Durchschnitt der Flächenländer verglichen, um stadtspezifi-sche Besonderheiten zu erfassen (Hummel/Leibfritz 1987: VII). 73 Quelle: Statistisches Bundesamt, alle Angaben beziehen sich auf den 31.12.2005. 74 Neben den Universitäten sind dies Kunst-, Fach-, und Verwaltungsfachhochschulen sowie die Pädagogischen und Theologischen Hochschulen (Statistisches Bundesamt 2005: 139).

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70 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Tabelle 3-3: Studierende pro 1000 Einwohner im Bundesländervergleich im Jahr 2004 Länder Universitätsstudierende

pro 1000 Einwohner Hochschulstudierende pro 1000 Einwohner

Bremen 34 52

Berlin 31 41

Hamburg 28 41

Nordrhein-Westfalen 19 26

Hessen 18 26

Sachsen 18 24

Rheinland-Pfalz 17 24

Thüringen 15 21

Bayern 14 20

Mecklenburg-Vorpommern 14 20

Saarland 14 18

Baden-Württemberg 13 22

Niedersachsen 13 19

Sachsen-Anhalt 12 21

Brandenburg 11 16

Schleswig-Holstein 10 16

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt (2005). Wie erwartet stellen die Stadtstaaten deutlich mehr Studienplätze zur Verfügung als die Flächenländer (vgl. Tabelle 3-3). Auch zwischen den drei Stadtstaaten zeigen sich Unter-schiede, vor allem wenn man die Quote der Hochschulstudenten betrachtet, zeigt sich ein deutlicher Vorsprung von Bremen vor Hamburg und Berlin. Das ist ein erster Hinweis auf eine auch im Stadtstaatenvergleich expansive Ausgabenpolitik Bremens. Sie wird im weite-ren Verlauf der Studie näher untersucht. Diskrepanzen weisen auch die elf Flächenländer auf, diese Unterschiede können partiell auf das variierende Ausmaß der Urbanisierung zurückgeführt werden. Hochschulen befinden sich überwiegend in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern, stärker urbanisierte Bundesländer weisen daher tendenziell mehr Studienplätze auf.75

Im Großstadtvergleich hingegen belegen die Stadtstaaten die hinteren Plätze (vgl. Ta-belle 3-4). Mit zwei Ausnahmen – Erlangen-Nürnberg und Stuttgart – sind alle Universi-tätsstädte mit unterdurchschnittlichen Kapazitäten76 entweder Stadtstaaten oder sie liegen in

75 Unter den 13 Flächenländern beträgt der Zusammenhang zwischen dem Urbanisierungsgrad (gemessen als prozentualer Anteil der Einwohner von Städten, die mehr als 100.000 Einwohner haben, an der Gesamtbevölke-rung) und der Quote der Universitätsstudierenden r = 0,66**, und der Quote der Hochschulstudierenden r = 0,65** (** p < 0,05; eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt 2005). 76 Der Durchschnitt wurde in Tabelle 3-4 mit der gestrichelten Linie gekennzeichnet.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 71

Ballungsräumen. Zu den Universitäten in Ballungsräumen gehören Dortmund, Düsseldorf und Duisburg-Essen. Städte in Ballungsräumen sehen sich in geringerem Ausmaß mit der Aufgabe konfrontiert, zentralörtliche Leistungen für das Umland bereitzustellen, da ihr Umland überwiegend nicht aus kleineren Gemeinden, sondern aus anderen Großstädten besteht. Tabelle 3-4: Studierende pro 1000 Einwohner im Großstadtvergleich im Jahr 2004

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Statistisches Bundesamt (2005: 140f.). Bei den Universi-täten Erlangen-Nürnberg und Duisburg-Essen wurden die Einwohner der beiden Städte jeweils ad-diert.

Aus den Tabellen 3-3 und 3-4 lässt sich schließen, dass Stadtstaaten in stärkerem Ausmaß Studienplätze bereitstellen als Flächenländer, jedoch in schwächerem Ausmaß als ver-gleichbare Großstädte in Flächenländern. Diese geringere Bereitstellung zentralörtlicher Leistungen durch die Stadtstaaten kann aber nicht als Zeichen einer defizitären finanziellen Ausstattung im Vergleich zu den Großstädten in Flächenländern gewertet werden. Das würde nämlich unterstellen, dass die Großstädte in den Flächenländern auch als Stadtstaa-ten ohne eigenes Umland eine genauso so hohe Anzahl von Studienplätzen bereitstellen würden. Dem wurde im Zuge der Erstellung des ifo-Gutachtens von Seiten der Flächenlän-der widersprochen: Ihnen zufolge ist die vergleichsweise hohe Anzahl von Studienplätzen in den Großstädten innerhalb der Flächenländer auf die Notwendigkeit der Versorgung in der Fläche des gesamten Landes zurückzuführen (Hummel/Leibfritz 1987: 73ff.).

Es stellt sich somit die Frage, warum die Stadtstaaten überhaupt in beträchtlichem Umfang Studienplätze für die Bewohner umliegender Flächenländer bereitstellen – wenn sie für diese Kosten nicht entschädigt werden und zudem generell unter einer angespannten Haushaltslage leiden. Im Gegensatz zu den agglomerationsbedingten Lasten, bei denen die Stadtstaaten entweder durch Bundesgesetz (Sozialausgaben) oder durch objektiven Prob-lemdruck (Kriminalität) zu Mehrausgaben im Vergleich zu den Flächenländern gezwungen

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72 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

sind, ist das Ausmaß, in dem die Stadtstaaten zentralörtliche Leistungen bereitstellen, von diesen frei gewählt. Die Stadtstaaten sind nicht gesetzlich verpflichtet, eine bestimmte An-zahl von Studienplätzen, Opern oder Theatern anzubieten. 3. Die Einnahmen der Stadtstaaten Im Folgenden wird zunächst untersucht, ob in den Stadtstaaten, wie theoretisch postuliert, die höhere Ausgabenbelastung mit einer höheren Wirtschaftskraft einhergeht, aus der höhere Steuereinnahmen resultieren (a). Sodann wird die Einwohnerwertung im Länderfinanzaus-gleich untersucht, bei der die Einwohner der Stadtstaaten mit dem Faktor 135 % gewichtet werden, um den strukturellen Besonderheiten der Stadtstaaten gerecht zu werden (b). (a) Wie Tabelle 3-5 zeigt, weisen Hamburg und Bremen im Vergleich zu den Flächenlän-dern eine höhere Wirtschaftskraft auf, nicht aber Berlin. Das Bruttoinlandsprodukt Berlins ist niedriger als das aller acht westlichen Flächenländer. Im Vergleich der Großstädte wie-derum relativiert sich die herausgehobene Position Hamburgs und Bremens (vgl. Spalten drei und vier von Tabelle 3-5): Hamburg belegt unter den fünfzehn Städten den fünften Platz, Bremen den neunten Platz. Auch im Großstadtvergleich zeigen sich die besonderen Schwierigkeiten Berlins, es liegt am Ende der Tabelle – noch hinter den ebenfalls unter wirtschaftlichen Problemen leidenden Städten des Ruhrgebiets und Ostdeutschlands. Tabelle 3-5: Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Euro der Stadtstaaten im Vergleich

der Bundesländer und der Großstädte im Jahr 2004 Bundesländer BIP Großstadt BIP

Hamburg 46558 Frankfurt/Main 74708

Bremen 36360 Düsseldorf 62977

Hessen 32577 Stuttgart 55335

Bayern 31633 München 53250

Baden-Württemberg 29731 Hamburg 46558

Nordrhein-Westfalen 26529 Nürnberg 43226

Saarland 24924 Hannover 41333

Schleswig-Holstein 23996 Köln 41066

Rheinland-Pfalz 23774 Bremen 36360

Niedersachsen 23319 Essen 33206

Berlin 23114 Dresden 30618

Sachsen 19831 Dortmund 28634

Sachsen-Anhalt 18905 Duisburg 26181

Thüringen 18811 Leipzig 23857

Brandenburg 18810 Berlin 23114

Mecklenburg-Vorpommern 18437

Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen pro Einwohner in Euro. Quelle: Arbeitskreis Volkswirt-schaftliche Gesamtrechnungen der Länder

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 73

Im nächsten Schritt gilt es zu überprüfen, ob die im Vergleich zu dem Durchschnitt der Bundesländer höhere Wirtschaftskraft Hamburgs und Bremens sich auch in höheren Steu-ereinnahmen niederschlägt. Dazu wird in Schaubild 3-6 die Position der einzelnen Länder relativ zum Durchschnitt aller Länder für drei Messgrößen abgetragen: Wirtschaftskraft (Bruttoinlandsprodukt in jeweiligen Preisen pro Einwohner), Einnahmen vor dem horizon-talen Länderfinanzausgleich (Finanzkraftmesszahl pro Einwohner vor dem horizontalen Länderfinanzausgleich),77 Einnahmen nach dem horizontalen Länderfinanzausgleich (Fi-nanzkraftmesszahl verrechnet mit dem Saldo des horizontalen Länderfinanzausgleichs pro Einwohner).

Der erste Balken in Schaubild 3-6 zeigt die bereits bekannten Unterschiede in der Wirtschaftskraft der Stadtstaaten, Hamburg liegt bei 179 % des Länderdurchschnitts, Bre-men bei 139 % und Berlin bei nur 89 %. Der zweite Balken bildet die Einnahmen der Län-der nach Abschluss der Steuerverteilung einschließlich des Umsatzsteuervorwegausgleichs, aber vor dem horizontalen Länderfinanzausgleich ab: Wiederum zeigen sich frappierende Differenzen zwischen den Ländern: Berlin verbessert sich bei der Steuerkraft leicht im Vergleich zur Wirtschaftskraft, Bremen und Hamburg hingegen haben massive Verluste zu verzeichnen.

Für diese Verluste Bremens und Hamburgs in der originären Steuerverteilung ist pri-mär die Verteilung des Lohnsteueraufkommens und in sekundärer Hinsicht auch die Vertei-lung des Umsatzsteueraufkommens verantwortlich. Die Lohnsteuer ist eine Gemeinschafts-steuer, ihr Aufkommen wird zwischen Bund, Ländern und Gemeinden aufgeteilt (vgl. Ab-schnitt 2.2.). Der Anteil der Länder und Gemeinden am Lohnsteueraufkommen wird nicht nach dem Ort der Einkommensentstehung sondern nach dem Wohnort des Arbeitnehmers verteilt. Diese Zerlegungsregel wurde 1969 eingeführt, sie reagierte „auf die zunehmende Zentralisierung der Lohn- und Steuerabrechnung in Großunternehmen, die nach dem bis dahin geltenden Prinzip des örtlichen Aufkommens einseitig die Großstädte begünstigte, in denen Konzernzentralen ihren Sitz hatten“ (Scharpf/Benz 1991: 39f.). Die Verluste Bre-mens und Hamburgs infolge dieser Zerlegungsregel resultieren nicht nur aus einer großen Zahl von Konzernzentralen in den beiden Städten, sondern auch aus der hohen Anzahl von Pendlern, die in den Stadtstaaten arbeiten und in den umliegenden Flächenländern wohnen. Die Erträge aus der Lohnsteuer fließen somit in die umliegenden Flächenländer ab, in der die Arbeitnehmer ihren Wohnsitz haben.

Durch die Anwendung des Wohnortprinzips anstelle des Prinzips des örtlichen Auf-kommens gehen Hamburg jährlich ca. 750 Euro pro Einwohner verloren, Bremen immer noch ca. 300 Euro pro Einwohner (Vesper 2001: 4). In beiden Stadtstaaten pendeln nach Abzug der Auspendler ca. 25 % aller Erwerbstätigen ein. Die höheren Verluste Hamburgs in der Steuerzerlegung haben ihre Ursache darin, dass in Hamburg überdurchschnittlich viele Konzerne mit zentraler Lohnabrechnung ihren Stammsitz haben (Vesper 2001: 4). Vollkommen unterschiedlich ist die Situation hingegen in Berlin; aufgrund der jahrzehnte-langen Teilung ist die Verflechtung mit dem Umland vergleichsweise schwach ausgeprägt und nur wenige Menschen pendeln nach Berlin ein. Zudem haben im wirtschaftlich maro- 77 Die Finanzkraftmesszahl umfasst die Einnahmen eines Landes aus Landes- und Gemeindesteuern, den Anteilen an den Verbundsteuern sowie aus der Förderabgabe nach § 31 des Bundesberggesetzes, sie ist die Berechnungs-grundlage für die Transfers im Länderfinanzausgleich. Vgl. zur Berechnung der Finanzkraftmesszahl §§ 6, 7 und 8 des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichgesetz – FAG), zuletzt geändert durch den Artikel 29 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2954).

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74 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

den Berlin nur wenige Konzerne mit zentraler Lohnabrechnung ihren Sitz. Daher ist die Lohnsteuerzerlegung nicht nur kein Problem für Berlin, Berlin verbucht sogar einen kleinen Gewinn von circa 30 Euro pro Einwohner aus dem Wohnortprinzip (Experteninterview mit Klaus-Martin Boese 17.3.2006)!

Bei der Verteilung des Länderanteils am Umsatzsteueraufkommen auf die einzelnen Länder wird, wie in Abschnitt 2.2. ausgeführt, bis zu einem Viertel des Aufkommens dazu verwendet, Länder, die unter dem Durchschnitt der Finanzkraft liegen, an den Durchschnitt heranzuführen (Umsatzsteuervorwegausgleich). Der übrige Teil des Aufkommens wird nach der Einwohnerzahl verteilt, dabei wird auf eine Einwohnerwertung zugunsten der Stadtstaaten verzichtet. Gegenüber einer vollständigen Verteilung nach der Einwohnerzahl verlieren Hamburg und Bremen bei dem praktizierten Verfahren im Jahr jeweils 113 Euro pro Einwohner, auch Berlin verliert ein wenig, nämlich 28 Euro.78

Der dritte Balken in Schaubild 3-6 schließlich zeigt die Verteilungswirkungen des ho-rizontalen Länderfinanzausgleichs an – jener Stufe des Ausgleichssystems, auf der die besonderen Belastungen der Stadtstaaten Berücksichtigung finden. Es zeigen sich die er-wartbaren Differenzen zwischen dem Geberland Hamburg und den Empfängerländern Berlin und Bremen: Hamburg verliert weiter, wobei die Verluste durch die Einwohnerwer-tung begrenzt werden. Bremen gewinnt hinzu, erreicht aber nicht die Position im Vergleich zu den anderen Ländern, die es bei der Wirtschaftskraft innehat. Berlin profitiert deutlich von dem Länderfinanzausgleich und verbessert sich von 91 % auf 121 % des Länderdurch-schnitts.79

Es kann somit resümiert werden, dass die theoretische Annahme höherer Finanzkraft aufgrund höherer Wirtschaftskraft in dieser Form für die Stadtstaaten nicht zutreffend ist. Eine höhere Wirtschaftskraft weisen Hamburg und Bremen auf, die sich aber keineswegs proportional (Hamburg) beziehungsweise nur annähernd proportional (Bremen) in einer höheren Finanzkraft niederschlägt. Berlin hingegen hat eine unterdurchschnittliche Wirt-schaftskraft, aber eine überdurchschnittliche Finanzkraft.

(b) Die Höhe der Einwohnerwertung im horizontalen Länderfinanzausgleich war im Ver-lauf der letzten Jahrzehnte ein Gegenstand fortlaufender politischer Auseinandersetzungen. Der Betrag von 135 % resultierte aus Verteilungsverhandlungen der 1950er und 1960er Jahre (Hummel/Leibfritz 1987: 34f.). In dem ersten Verfahren über das Ausgleichssystem vor dem Bundesverfassungsgericht forderte Bremen die Erhöhung der Einwohnerwertung auf 150 %. Baden-Württemberg verlangte hingegen ihre Abschaffung, da kompensations-bedürftige Spill-Over-Effekte durch die Bereitstellung zentralörtlicher Leistungen nur die Nachbarländer der Stadtstaaten beträfen. Daher dürften Länder ohne gemeinsame Grenzen mit den Stadtstaaten nicht zu ihrer Finanzierung herangezogen werden.

78 Quelle: Bundesfinanzministerium 79 Aus Platzgründen wurde auf die Darstellung der Einnahmen nach den Bundesergänzungszuweisungen (BEZ) verzichtet. Die Verteilungswirkung soll hier nur angedeutet werden: Hamburg erhält keine BEZ und fällt daher im Ländervergleich weiter zurück, während Bremen und vor allem Berlin sich verbessern können.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 75

Schaubild 3-6: Wirtschaftskraft und Finanzkraft der Bundesländer in Prozent des Länderdurchschnitts im Jahr 2004

134

123

101

100

100

98

91

93

93

92

121

91

91

91

91

91

155

106

117

113

114

103

91

96

95

94

91

86

86

85

86

85

179

139

125

121

114

102

96

92

91

89

89

76

72

72

72

71

60 80 100 120 140 160 180

Hamburg

Bremen

Hessen

Bayern

Baden-Württemberg

Nordrhein-Westfalen

Saarland

Schleswig-Holstein

Rheinland-Pfalz

Niedersachsen

Berlin

Sachsen

Sachsen-Anhalt

Thüringen

Brandenburg

Mecklenburg-Vorpommern

Erster Balken: BIP in jeweiligen Preisen pro Kopf in Prozent des Landesdurchschnitts (Quelle: Ar-beitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung der Länder); Zweiter Balken: Finanzkraftmesszahl pro Einwohner in Prozent des Landesdurchschnitts (Quelle: Bundesfinanzministerium); Dritter Bal-ken: Finanzkraftmesszahl verrechnet mit dem Saldo des Länderfinanzausgleichs (Quelle: Bundesfi-nanzministerium).

Page 76: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

76 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Das Bundesverfassungsgericht erklärte die Einwohnerwertung für prinzipiell verfassungs-konform, forderte allerdings eine Überprüfung und Begründung ihrer Höhe:

„Das Bestehen von Stadtstaaten gehört zum historischen Bestand der deutschen Staatsentwick-lung, insbesondere auch seit der Entstehung des deutschen Bundesstaates im 19. Jahrhundert. Es ist sachgerecht, die Andersartigkeit der Stadtstaaten gegenüber den Flächenländern im Länderfi-nanzausgleich zu berücksichtigen. Dies kann in Form einer Einwohnerveredelung geschehen, die Auswirkungen auf alle Flächenländer hat. Die Andersartigkeit der Stadtstaaten betrifft näm-lich nicht etwa nur deren Nachbarländer, sondern alle Glieder des Bundes. Umfang und Höhe dieser Berücksichtigung dürfen allerdings vom Gesetzgeber nicht frei gegriffen werden. Sie müssen sich – nach Maßgabe verlässlicher objektivierbarer Indikatoren – als angemessen erwei-sen […]“ (Bundesverfassungsgericht 1986: Absatz-Nr. 246f.).

Die Bundesregierung reichte diesen Prüfungsauftrag an das ifo-Institut für Wirtschaftsfor-schung weiter. Das Institut erstellte unter Beteiligung von Vertretern von Bund und Län-dern ein Gutachten, das auf dem bereits erwähnten Großstädtevergleich beruhte, wobei es zu Auseinandersetzungen zwischen den Flächenländern und Stadtstaaten kam über die Auswahl der Vergleichsstädte und die Berücksichtigung einzelner Ausgabenkomponenten (Hummel/Leibfritz 1987: 50ff.). Das ifo-Gutachten errechnete unter Verwendung zweier unterschiedlicher Indikatoren eine Bandbreite der Einwohnerwertung von 119 bis 135 für beide Stadtstaaten (Indikator 1) beziehungsweise von 125 bis 141 für Hamburg und von 127 bis 143 für Bremen (Indikator 2) (Hummel/Leibfritz 1987: X).80

Der Gesetzgeber zog für die Einwohnerwertung im revidierten Finanzausgleichsgesetz ausschließlich Indikator 2 heran und behielt den bisherigen Wert von 135 als mittleren Wert in den Bandbreiten beider Städte bei. Hamburg und Bremen klagten erneut vor dem Bun-desverfassungsgericht und forderten unter anderem aufgrund methodischer Einwände ge-gen das Gutachten wiederum eine Erhöhung der Einwohnerwertung. Bremen akzeptierte in seinem Normenkontrollantrag allein die vier Landeshauptstädte Düsseldorf, Hannover, München und Stuttgart als Vergleichbasis und errechnete daraus eine Einwohnerwertung von 163 % (Bundesverfassungsgericht 1992: 180ff.). Das Bundesverfassungsgericht ent-schied, dass die Entscheidung des Gesetzgebers, die Einwohnerwertung bei 135 zu belas-sen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei:

„Die Gewichtung der Einwohnerzahl der Stadtstaaten erforderte normative Wertungen, die über die rein technische Umsetzung objektiver, finanzwissenschaftlich ermittelbarer Größen hinaus-geht, sie lässt nicht auf eine bloße Rechenoperation reduzieren. Diese Wertungen hat der Ge-setzgeber vorzunehmen. […] Auch bei der Einwohnerwertung ist daher die richtige Mitte in der dem Bundesstaatsprinzip innewohnenden Spannungslage zu finden zwischen Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und solidar-gemeinschaftlicher Mitverantwortung auf der anderen Seite“ (Bundesverfassungsgericht 1992: 240f.).

Die nächste Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wurde nicht von Empfängerländern, sondern von den Geberländern Baden-Württemberg, Bayern und Hessen angestrengt. Die Kläger wollten die Einwohnerwertung sowie weitere Regelungen des Ausgleichssystems für verfassungswidrig erklären lassen. Neben altbekannten Argumenten verwiesen die Klä-

80 Zur Konstruktion der Indikatoren vgl. Hummel/Leibfritz 1987: 50ff.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 77

ger auch darauf, dass 1995 mit Berlin ein weiterer Stadtstaat in den Länderfinanzausgleich aufgenommen wurde und sich die Zahl der veredelten Einwohner dadurch mehr als ver-doppelt habe. Zudem sei die Anwendung der Einwohnerwertung von 135 % auf Berlin nie wissenschaftlich überprüft worden (Bundesverfassungsgericht 1999: Randnummer 205ff.)

Das Bundesverfassungsgericht beauftragte in seiner Entscheidung vom 11. November 1999 den Bundesgesetzgeber, „das verfassungsrechtlich nur in unbestimmten Begriffen festgelegte Steuerverteilungs- und Ausgleichssystem durch anwendbare, allgemeine, ihn selbst bindende Maßstäbe gesetzlich zu konkretisieren und zu ergänzen“ (Bundesverfas-sungsgericht 1999: Absatz Nr. 1). Vor der Maßstabsbildung durch den Gesetzgeber sah sich das Gericht nicht in der Lage, das System des Länderfinanzausgleichs auf seine Verfas-sungsmäßigkeit zu beurteilen.81 Auch wenn das Gericht gemäß der Logik seiner Entschei-dung nicht die Verfassungsmäßigkeit einzelner Regelungen beurteilte, verteilte es jedoch explizite Prüf- und Begründungsaufträge bezüglich solcher Detailregelungen an den Ge-setzgeber. Diese Prüfaufträge können als Markierung problematischer Regelungen seitens des Gerichtes interpretiert werden. Ein solcher Prüfauftrag erging auch für die Einwohner-wertung (Bundesverfassungsgericht 1999: 320).

In dem geforderten Maßstäbegesetz und dem neuen Finanzausgleichsgesetz blieb die Einwohnerwertung der Stadtstaaten wiederum unangetastet. Gleichwohl ist auffällig, dass sich die Bewertung der Einwohnergewichtung in der juristischen und in der politischen Auseinandersetzung geändert hat: Für die Stadtstaaten ging es nicht mehr um die Erhöhung der Einwohnerwertung, sondern um die Verteidigung des Status quo.82

Bei der Bewertung der Einwohnerwertung sind sich auch die für diese Studie inter-viewten Experten aus den Stadtstaaten nicht einig. Der ehemalige Staatsrat in der Senats-verwaltung für Finanzen des Landes Bremen Günther Dannemann plädiert für eine massive Erhöhung der Einwohnerwertung (Experteninterview mit Günther Dannemann, 5.12.2005). Berlin taxiert seine Mehrausgaben gegenüber den Flächenländern auf 2,4 Milliarden Eu-ro83, so Klaus-Martin Boese von der Senatsverwaltung für Finanzen in Berlin. Dieser Summe stehen etwa 2,4 Milliarden Euro entgegen, die Berlin aus der Einwohnerwertung des Länderfinanzausgleichs erhält. Eine Erhöhung der Einwohnerwertung ist aus dieser Sicht nicht notwendig (Experteninterview mit Klaus-Martin Boese, 17.3.2006). Die fiskali-schen Probleme Berlins resultieren in dieser Sichtweise nicht aus dem Status als Stadtstaat, sondern aus Altlasten der deutschen Teilung (vgl. Abschnitt 5.3.). Bernd-Michael Bühler von der Finanzbehörde Hamburg schließlich bezeichnet die bestehende Einwohnerwertung als „grundsätzlich in Ordnung“ (Experteninterview mit Bernd-Michael Bühler, 20.3.2006).84

81 Das Gericht setzte dem Gesetzgeber enge Fristen: Das notwendige Maßstäbegesetz musste bis Ende 2002 erlas-sen werden, auf dessen Basis musste ein neues Finanzausgleichsgesetz bis Ende 2004 erarbeitet werden. 82 Die veränderte Position des Gerichtes wurde auch darauf zurückgeführt, dass das Urteil maßgeblich von dem Berichterstatter Paul Kirchhof mitformuliert wurde. Kirchhof war in dem Verfahren des Jahre 1986 Prozessvertre-ter und Gutachter Baden-Württembergs (Dannemann 2002: 19). 83 Von diesen 2,4 Milliarden Euro entfallen 1 Milliarde auf Sozialausgaben und jeweils 500 Millionen auf die beiden Bereiche Polizei und Rechtspflege, sowie Hochschulen und Kultur. 400 Millionen entstehen schließlich in den Bereichen Wissenschaft und Forschung, Jugend und Jugendhilfe (Experteninterview mit Klaus-Martin Boese, 17.3.2006). 84 Diese divergierenden Positionen können einerseits als Ausdruck unterschiedlicher finanzpolitischer Konzepte interpretiert werden. Andererseits sind sie auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen beruflichen Positionen der Interviewpartner zu bewerten. Boese und Bühler stehen im Dienst ihrer jeweiligen Landesregierungen, Dan-nemann ist mittlerweile als Honorarprofessor an der Universität Bremen tätig: Da keine Mehrheiten für eine

Page 78: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

78 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Die bisherige Diskussion lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass alle drei Stadt-staaten (1) unabweisbare agglomerationsbedingte Mehrausgaben in den Bereichen innere Sicherheit und Soziales haben. (2) Die Stadtstaaten weisen auch Mehrausgaben für zentral-örtliche Leistungen auf, zu denen sie allerdings weder durch bundesgesetzliche Vorgaben noch durch faktischen Problemdruck gezwungen sind. (3) Hinsichtlich der Einnahmensitua-tion ist zu konstatieren, dass jenseits der Unterschiede zwischen den wirtschaftsstarken Hamburg und Bremen und dem wirtschaftsschwachen Berlin alle drei Stadtstaaten von der Einwohnerwertung profitieren: Ohne die Einwohnerwertung würde Berlin niedrigere Zu-weisungen erhalten, Bremen würde vom Empfängerland zum Geberland mutieren und Hamburg müsste noch höhere Zahlungen entrichten. Ob die Einwohnerwertung ausreicht, um die Mehrausgaben der Stadtstaaten aufzufangen, lässt sich nicht exakt beziffern. Eine Erhöhung der Stadtstaatenwertung scheint auf absehbare Zeit kaum möglich, vielmehr verteidigen die Stadtstaaten den Status quo. Wenn die Mehrausgaben der Stadtstaaten nicht vollständig kompensiert werden, ist mit höheren Defiziten in den Stadtstaaten zu rechnen:

H8: Stadtstaaten weisen eine negativere Haushaltsbilanz auf als Flächenländer. Diese Hypothese muss auf Basis der bisherigen Diskussion dahingehend qualifiziert wer-den, dass Unterschiede zwischen den Stadtstaaten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit zu erwarten sind. Insbesondere sollte das Defizit Berlins höher liegen als das des prosperierenden Hamburgs. 3.6 Situationsspezifischer Faktor: Die finanzielle Situation der ostdeutschen Länder Zum Abschluss des Theorieteils gilt es zu überprüfen, ob die transitionsbedingten Belas-tungen der ostdeutschen Länder so stark und dauerhaft sind, dass von einer Verzerrung der gemeinsamen Analyse aller sechzehn Länder ausgegangen werden muss. Dabei muss be-rücksichtigt werden, dass der Untersuchungszeitraum erst 1995 einsetzt, zu einem Zeit-punkt also, als die Unterfinanzierung der ersten Jahre nach der Vereinigung beendet war und die neuen Länder zusätzlich zu den regulären Mitteln des bundesstaatlichen Finanzaus-gleichs erhebliche Mittel aus dem Solidarpakt erhielten (vgl. Abschnitt 2.3.). Probleme für die Analyse träten somit nur dann auf, wenn die transitionsbedingten Mehrausgaben in einem Ausmaß anfielen, das nicht von den Mehreinnahmen der ostdeutschen Länder ge-deckt wäre.

Unbestritten sind die ökonomischen Probleme der ostdeutschen Länder, die aus der Transition der ostdeutschen Planwirtschaft resultierten. Die Probleme der DDR-Ökonomie fasst Bräuer zusammen. Es waren dies

„der vollkommen zerschlissene Kapitalstock samt technisch rückständiger Industrieausstattung, die ineffizienten Strukturen in der Arbeitsorganisation und Produktion, die Verschwendung knapper Ressourcen, das fehlende Fachwissen sowie die zu hohe Beschäftigtenzahl bzw. die Vergeudung von Arbeitskräften“ (Bräuer 2005: 100).

Erhöhung der Einwohnerwertung in Sicht sind, kann es für die offiziellen Vertreter von Stadtstaaten kaum oppor-tun sein, dieses Thema anzuschneiden.

Page 79: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 79

1990 erreichte das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den neuen Ländern nicht einmal ein Drittel des Niveaus der alten Länder (Bräuer 2005: 100). Die solchermaßen geschwächte ostdeutsche Wirtschaft brach unter westlicher Konkurrenz sowie dem Einfluss der Wäh-rungsaufwertung und der steigenden Lohnkosten zusammen.

Die ökonomischen Probleme der ostdeutschen Länder werden zumindest mittelfristig weiter andauern. In den ersten Jahren wuchs das Bruttoinlandsprodukt in Ostdeutschland deutlich stärker als in Westdeutschland, diese Entwicklung wurde 1996 gestoppt. Seitdem wächst die ostdeutsche Wirtschaft in einem vergleichbaren Tempo wie die westdeutsche. Das Wachstum der ostdeutschen Wirtschaft wurde und wird stark von dem Niedergang der dortigen Bauwirtschaft beeinflusst, Überkapazitäten aus dem Vereinigungsboom werden in der ostdeutschen Bauwirtschaft sukzessive abgebaut. Ohne Berücksichtigung der Bauwirt-schaft liegt das Wirtschaftswachstum in Ostdeutschland oberhalb des westdeutschen. „Die-ses Wachstumsdifferential wäre aber nicht ausreichend, um nach der Anpassung der Bau-wirtschaft in Ostdeutschland ‚kraftvolle’ Konvergenzprozesse in Gang zu setzen“ (Seitz 2003: 1f.).

Die ökonomischen Probleme der ostdeutschen Länder werden allerdings bereits durch die Variablen Arbeitslosigkeit und Wirtschaftswachstum im Kausalmodell erfasst, so dass sie kein Hindernis für die gemeinsame Analyse der alten und neuen Länder darstellen. Der Literatur zufolge entstanden Mehrausgaben der ostdeutschen Länder auch durch die Repara-tur und den Ausbau der maroden Infrastruktur, einschließlich der Beseitigung von Umwelt-schäden und der Renovierung des baufälligen öffentlichen Wohnungsbestandes (Hillenbrand 1994, Seitz 2000). Das heutige Ausmaß dieses infrastrukturellen Nachholbedarfs ist jedoch umstritten. Bereits 2003 bestand Seitz zufolge ein Nachholbedarf nur noch im Straßenbau: „Bei den typischen ‚Vor-Ort’-Infrastrukturen außerhalb des Straßenwesens sind die Defizite hingegen recht gering bzw. überhaupt nicht mehr vorhanden oder es zeigen sich sogar ‚Überausstattungen’ (Kulturhäuser, Hochschulkliniken usw.)“ (Seitz 2003: 10).

Zudem erhalten die ostdeutschen Länder Zuweisungen des Bundes in Milliardenhöhe zur Schließung des infrastrukturellen Nachholbedarfs und zum Ausgleich unterproportiona-ler kommunaler Finanzkraft. Diese Zuweisungen werden von den ostdeutschen Ländern in Teilen zur Finanzierung laufender Ausgaben zweckentfremdet.85 Seitz zufolge nutzen die ostdeutschen Länder mit Ausnahme Sachsens die Transfers, um ein erhöhtes Ausstattungs-niveau in nahezu allen Politikbereichen zu finanzieren (Seitz 2006). Selbst dort, wo inves-tiert wurde, dienten die Investitionen vielfach nicht dem wirtschaftlichen Aufholprozess. Seitz nennt die „flächendeckende Versorgung mit Kultureinrichtungen und Spaßbädern“ (Seitz 2006: 78) und resümiert: „Regionalpolitische Appeasementprojekte (Lausitzring, Cargo-Lifter, Chip-Fabrik in Frankfurt/Oder) oder Sportarenen für 7klassige [sic!] Fußball-vereine (Sachsen-Anhalt) sind unzweifelhaft nicht wachstumsrelevant.“ (Seitz 2006: 78).

Angesichts dieser Studien ist nicht davon auszugehen, dass die ostdeutschen Länder im Untersuchungszeitraum unter transitionsbedingten Lasten leiden, die nicht von den ih-nen zur Verfügung gestellten Mitteln aufgefangen werden. Die ostdeutschen Länder können daher bedenkenlos gemeinsam mit den übrigen Ländern analysiert werden. Zur Kontrolle der Unterschiede zwischen Ost und West und zum empirischen Nachweis der Unbedenk-lichkeit der gemeinsamen Analyse aller sechzehn Länder wird gleichwohl eine Dummyva-

85 Angesichts sprudelnder Steuereinnahmen sank die Quote der Fehlverwendungen im Jahr 2006. Trotzdem ver-wendeten nur Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern die Mittel vollständig korrekt, Brandenburg hingegen nur zu 92 %, Thüringen zu 83 % und Sachsen-Anhalt gar nur zu 56 % (Seitz 2007: 3).

Page 80: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

80 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

riable in die Untersuchung eingefügt, die zwischen Ost und West separiert. Auf eine Hypo-these zu dieser Dummyvariable wird mangels Hinweisen auf systematische Unterschiede verzichtet.

Angesichts der derzeitigen Haushaltslage in den ostdeutschen Ländern mit Ausnahme Sachsens ist allerdings davon auszugehen, dass massiver Anpassungsbedarf besteht, wenn die Solidarpaktmittel in den nächsten Jahren reduziert werden (vgl. Abschnitt 2.3.). Das Ausmaß dieses Anpassungsbedarfs soll abschließend skizziert werden. Die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen „zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten aus dem bestehenden infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft“ (§11(3) Finanzausgleichsgesetz) sind degressiv gestaltet und werden im Jahr 2019 letztmalig gezahlt. In Schaubild 3-7 wird deutlich, dass die Zahlungen in den Jahren 2005 bis 2008 zunächst langsam sanken und ab 2009 dann jährlich um über 700 Millionen Euro abgesenkt werden. Schaubild 3-7: Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen zur Deckung

teilungsbedingter Sonderlasten an die ostdeutschen Länder und Berlin in Milliarden Euro

10,53 10,48 10,38 10,239,51

8,748,03

7,266,54

5,785,06

4,293,58

2,812,10

0

2

4

6

8

10

12

2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019

Quelle: §11(3) des Finanzausgleichsgesetzes. 2020 werden dreißig Jahre seit der Vereinigung vergangen sein. Es kann nicht davon aus-gegangen werden, dass der Bund dann noch bereit sein wird, an die ostdeutschen Länder Transferzahlungen in bedeutsamer Höhe zur Überwindung von Transitionsproblemen zu zahlen. Daher gilt es für die ostdeutschen Länder, bis dahin ihr Ausgabenniveau an das der westlichen Flächenländer anzupassen. Eine einfache Simulationsrechnung des Finanzminis-teriums von Mecklenburg-Vorpommern (2005a) verdeutlicht, wie tiefgreifend die notwen-digen Anpassungen sind. In der Simulation wird der reale Haushalt des Landes im Jahr

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 81

2005 einem fiktiven Haushalt gegenübergestellt, den Mecklenburg-Vorpommern hätte, wenn es ein durchschnittliches westliches Flächenland wäre. Alle Angaben beziehen sich dabei ausschließlich auf die Landesebene, und nicht wie bei den übrigen Analysen in dieser Studie auf das Aggregat von Ländern und Gemeinden. Für den fiktiven Haushalt wurden die durchschnittlichen Einnahmen und Ausgaben der westlichen Flächenländer pro Kopf berechnet und anschließend mit der Einwohnerzahl Mecklenburg-Vorpommerns multipli-ziert. Der fiktive Haushalt stellt somit das Endziel der fiskalischen Anpassungsprozesse des Landes dar. Tabelle 3-6 enthält die Einnahmenseite der Simulationsrechnung. Tabelle 3-6: Einnahmen im realen Haushalt und einem Modellhaushalt Mecklenburg-

Vorpommerns in Millionen Euro im Jahr 2005 Einnahmearten Realer Haushalt Modellhaushalt Modellhaushalt = 100

Steuern, horizontaler Länderfinanzausgleich

3170 3404 93

Bundesergänzungszuweisungen 1456 25 5824

Sonstige laufende Einnahmen 1218 925 132

Investive Einnahmen 696 134 519

Kredite 583 368 158

Summe 7123 4856 147

Quelle: Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern 2005a: 9 Einen ersten Überblick über die notwendigen Anpassungen liefert das Haushaltsvolumen (die Summe der einzelnen Einnahmearten), es lag in Mecklenburg-Vorpommern bei 147 % des Modellhaushalts. Die stärksten Veränderungen wird es im Bereich der Bundesergän-zungszuweisungen geben, dank der SoBEZ-Mittel lagen die Einnahmen des Landes aus diesen Zuweisungen bei 5824 % des Durchschnitts der Westländer. Deutliche Anpassungen sind auch bei den investiven Einnahmen erforderlich, sie umfassen den Anteil des Bundes und der Europäischen Union an kofinanzierten Investitionsprogrammen. Wie dramatisch diese Veränderungen ausfallen werden, zeigt sich auch daran, dass Mecklenburg-Vorpom-mern trotz der hohen SoBEZ-Mittel zu diesem Zeitpunkt eine höhere Kreditfinanzierung aufwies als der Durchschnitt der Westländer.86

Auf der Ausgabenseite (vgl. Tabelle 3-7) zeigt sich, dass, wie vom Bundesgesetzgeber intendiert, die Investitionsausgaben deutlich über dem Schnitt der Westländer liegen.87 Deutlich erhöht sind auch die sonstigen laufenden Ausgaben. Dieser Unterschied lässt sich dominant, aber nicht ausschließlich auf die vom Bundesgesetzgeber intendierten höheren Zuweisungen an die finanzschwachen Kommunen zurückführen. Daneben zeigt sich auch das Problem der ostdeutschen Länder mit Ausnahme Sachsens, die laufende Ausgaben mit

86 Die sonstigen laufenden Einnahmen werden hier nicht separat betrachtet. Sie umfassen unter anderem den Bundesanteil an den Geldleistungsgesetzen Wohngeld und BAFöG. 87 Es ist einschränkend darauf hinzuweisen, dass die Investitionsausgaben der öffentlichen Haushalte zumeist überhöht ausgewiesen werden, um selbst bei hohen Defiziten noch einen verfassungskonformen Haushalt vorzule-gen (vgl. Abschnitt 6.1.). Es ist somit davon auszugehen, dass Teile der Investitionsausgaben korrekterweise unter sonstigen laufenden Ausgaben verbucht werden müssten.

Page 82: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

82 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

temporären und obendrein degressiv ausgestalteten Einnahmen finanzieren (Seitz 2003: 12).88 Tabelle 3-7: Ausgaben im realen Haushalt und einem Modellhaushalt Mecklenburg-

Vorpommerns in Millionen Euro im Jahr 2005 Ausgabenarten Realer Haushalt Modellhaushalt Modellhaushalt = 100

Investitionen 1335 524 255

Sonstige laufende Ausgaben 3456 1971 175

Zinsen 498 388 128

Personalausgaben 1833 1973 93

Summe 7123 4856 147

Quelle: Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern 2005a: 9 Überraschenderweise sind die Personalausgaben niedriger als im Durchschnitt der West-länder, obwohl Mecklenburg-Vorpommern deutlich mehr Personal pro Einwohner beschäf-tigt. Das liegt zum größten Teil daran, dass die Tarife immer noch etwas niedriger sind als im Westen und daran, dass immer noch kaum Versorgungslasten anfallen.89 Beides wird sich in den nächsten Jahren ändern und somit ist mit steigenden Personalausgaben zu rech-nen, wenn die Mehrkosten nicht durch einen energischen Personalabbau aufgefangen wer-den. Wenn der weitere Anstieg der Verschuldung nicht gestoppt wird, ist obendrein mit steigenden Zinslasten zu rechnen. Somit müssen die Gesamtausgaben abgesenkt werden, bei tendenziell wachsenden Zins- und Personalausgaben.

Abschließend können zwei Punkte festgehalten werden: Die gemeinsame Analyse von ost- und westdeutschen Ländern ist im Untersuchungszeitraum unproblematisch. In den ostdeutschen Ländern müssen allerdings in den nächsten Jahren die Ausgaben massiv und kontinuierlich gekürzt werden, um das Absinken der Solidarpaktmittel aufzufangen.

3.7 Die Hypothesen im Überblick In Tabelle 3-8 werden die Hypothesen noch einmal zusammengefasst, und zwar geordnet nach den Präferenzen der Regierungsakteure und den Restriktionen, denen die Entschei-dungen der Regierungsakteure unterliegen.

88 Im Jahr 2007 bestand dieses Problem in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr (Seitz 2007: 3). 89 Ein weiterer Grund liegt in der teilweisen Ausgliederung von Landesbetrieben wie den Universitäten und der Bau- und Liegenschaftsverwaltungen aus dem Landeshaushalt. Sie erhalten einen Globalzuschuss, der unter sonstigen laufenden Ausgaben verbucht wird (Experteninterview mit Jörn Witte 21.3.2006).

Page 83: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 83

Tabelle 3-8: Hypothesen zur Erklärung der Unterschiede in den Länderdefiziten

Um die Ergebnisse der Determinantenanalyse für die Bewertung von Reformoptionen nutzbar zu machen, wurde in der Einleitung die Leitdifferenz zwischen strukturell erzwun-gener Verschuldung und wiederwahlorientierter Verschuldung entwickelt. Ordnet man die einzelnen Erklärungsfaktoren diesen beiden Kategorien zu, so können alle drei Hypothesen zu den Präferenzen der Akteure zu der wiederwahlorientierten Kreditaufnahme gerechnet werden: Die Hypothesen zur synchronen und diachronen Machtverteilung stammen aus dem Kontext der Konstitutionellen Politischen Ökonomie. Dieser Ansatz geht explizit da-von aus, dass die Regierenden dominant an ihrer Wiederwahl orientiert sind. Gemäß der Parteienherrschaftstheorie, auf deren Basis die Hypothese H4 entwickelt wurde, vertreten die Regierenden die Interessen ihrer Wählerklientel und erhalten im Gegenzug deren Unter-stützung bei den Wahlen.

Unter den fünf Hypothesen zu den Restriktionen, denen das Akteurshandeln unterliegt, kann die Hypothese zu den Auswirkungen des Transfersystems (H3) der wiederwahlorien-tierten Verschuldung zugeordnet werden: Die Hypothese setzt voraus, dass höhere Einnah-men aus dem Transfersystem bei den Regierenden die Erwartung nähren, im Falle einer übermäßigen Verschuldung ebenfalls bundesstaatliche Hilfe zu bekommen. In diesem Fall müssten sie die Kosten der gegenwärtigen Kreditaufnahme nur begrenzt selbst tragen, was wiederum Anreize setzt, sich höher zu verschulden. Der Nutzen einer höheren Verschul-dung besteht in der zusätzlichen Bereitstellung öffentlicher Güter, um die Wiederwahlaus-sichten einer Regierung zu erhöhen.

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84 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

Die beiden Hypothesen zu der wirtschaftlichen Situation der Länder können tenden-ziell – aber nicht zweifelsfrei – der strukturell erzwungenen Kreditaufnahme zugeordnet werden. Die Kreditaufnahme ist strukturell erzwungen, wenn sie durch höhere Ausgaben für die Unterstützung von Arbeitslosen verursacht wurde oder durch Einnahmenverluste in-folge von Bevölkerungsabwanderung. Sie ist hingegen eindeutig nicht strukturell erzwun-gen, wenn sie durch höhere Ausgaben für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums und die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entsteht. Derartige Ausgaben werden von den Regie-rungen getätigt, weil die Bevölkerung die Arbeitslosigkeit als dringendes Problem wahr-nimmt. Wenn die Regierungen keine Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit ergreifen würden, würden sie daher ihre Wiederwahl gefährden.

Die in dieser Studie untersuchten Restriktionen des finanzpolitischen Handelns können somit sowohl zu strukturell erzwungener Verschuldung als auch zu wiederwahlorientierter Verschuldung führen. Zu einer strukturell erzwungenen Verschuldung führen sie, wenn die Restriktionen zu Ausgaben führen, die außerhalb des Entscheidungsspielraumes der Lan-desregierungen liegen (Beispiel: bundesgesetzlich geregelte Unterstützungsleistungen für Arbeitslose). Eine wiederwahlorientierte Verschuldung ziehen die Restriktionen nach sich, wenn sie Anreize für eine verschuldungsfördernde Ausgabenpolitik der Regierenden setzen (Beispiel: Abhängigkeit von bundesstaatlichen Transfers).

Höhere Defizite in den Stadtstaaten (H8) sind strukturell erzwungen, wenn sie auf ag-glomerationsbedingten Lasten beruhen, nicht aber, wenn sie durch die freiwillige Bereit-stellung zentralörtlicher Leistungen entstehen. Die Zinsausgaben (H7) können prima facie eindeutig der strukturell erzwungenen Kreditaufnahme zugerechnet werden. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Zinsausgaben in der Gegenwart eine Folge der Verschuldung in der Vergangenheit sind, von der nicht mehr nachzuvollziehen ist, ob sie strukturell er-zwungen war oder nicht.

Abschließend kann festgehalten werden, dass es eindeutig einfacher ist, die wieder-wahlorientierte Verschuldung mit einzelnen Kausalfaktoren in Verbindung zu setzen als die strukturell erzwungene Verschuldung. Die Interpretation der empirischen Ergebnisse muss entsprechend vorsichtig erfolgen – im Sinne von Evidenzen für das Vorliegen einer struktu-rell erzwungenen Verschuldung anstelle eines eindeutigen Nachweises.

3.8 Die Operationalisierung der Konstrukte Im folgenden Abschnitt werden den theoretischen Konstrukten Indikatoren zugewiesen, die Diskussion erfolgt dabei getrennt nach abhängigen und unabhängigen Variablen. 3.8.1 Die Messung der abhängigen Variable Saldi und Primärsaldi Wie bereits in Abschnitt 3.4.1. erwähnt, wird in dieser Studie die Haushaltssituation eines Landes nicht nur mit der Haushaltsbilanz (Saldo aus Einnahmen abzüglich der Ausgaben), sondern auch mit der primären Haushaltsbilanz (Primärsaldo) beschrieben. Das Konzept des Primärsaldos findet häufig Verwendung in Analysen zur Nachhaltigkeit öffentlicher

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 85

Finanzen,90 mit seiner Hilfe wird die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Haushalte untersucht (Färber 2005: 238). Um die langfristige Tragfähigkeit der gegenwärtigen Haus-haltspolitik zu untersuchen, werden allein die Ausgaben zur Finanzierung der gegenwärti-gen öffentlichen Leistungen analysiert. Bei der Berechnung der Primärsaldi werden daher die Zinszahlungen herausgerechnet. Auf der Einnahmenseite finden bei der Berechnung der Primärsaldi nur dauerhafte Einnahmen Verwendung, deshalb werden die Einnahmen aus Vermögensveräußerungen ausgeklammert. Die primäre Haushaltsbilanz zeigt somit auf, in welchem Ausmaß die gegenwärtigen öffentlichen Leistungen durch dauerhafte Einnahmen gedeckt sind (Färber 2005: 238).

Bei der Berechnung der primären Haushaltsbilanz bleiben die Einnahmen Bremens und des Saarlandes aus den Sanierungszuweisungen unberücksichtigt, da es sich bei ihnen nicht um allgemeine und dauerhafte Einnahmen handelt, sondern um zweckgebundene Einnahmen zur Schuldentilgung, die obendrein zeitlich begrenzt sind. Aufgrund ihrer Zweckbindung für die Schuldentilgung werden sie auch bei der Berechnung der Haushalts-bilanz, also der Einnahmen abzüglich der Ausgaben, ausgeklammert.91

Die Verwendung der Primärsaldi bringt im Rahmen dieser Studie Vorteile für die De-skription und für die Kausalanalyse. In der Kausalanalyse haben die Primärsaldi den Vor-zug, dass sie durch das Ausklammern der Zinszahlungen die Folgen von fiskalischen Ent-scheidungen in der Vergangenheit ausblenden. Somit gehen in die Kausalanalyse nur die Folgen von fiskalischen Entscheidungen in der Gegenwart ein, die durch Kausalfaktoren erklärt werden sollen, welche ebenfalls in der Gegenwart wirksam werden. In der Deskrip-tion der Länderhaushalte zeigt sich, dass die Primärsaldi sensibler auf Konsolidierungsbe-mühungen einzelner Länder reagieren. Derartige Konsolidierungsbemühungen bestehen in der Beschränkung gegenwärtiger Ausgaben und schlagen sich in einer ausgeglichenen oder positiven Primärbilanz nieder. Aufgrund des schieren Gewichts der akkumulierten Zinsver-pflichtungen spiegeln sich solche Konsolidierungsbemühungen nur mit zeitlicher Verzöge-rung in der Haushaltsbilanz wider.

Bei der Interpretation der Primärsaldi gilt es jedoch zu berücksichtigen, dass bei einem hohen Schuldenstand deutliche Primärüberschüsse erwirtschaftet werden müssen, um ein Anwachsen der Verschuldung aufgrund der Zinslasten zu vermeiden. Für die Beschreibung der Haushaltssituation in den Ländern werden daher in dieser Studie neben den Stromgrö-ßen Saldo und Primärsaldo auch die Bestandsgröße Schuldenstand verwendet.

Nachdem die Berechnung der Haushaltsbilanz und der primären Haushaltsbilanz ge-klärt wurde, gilt es zu entscheiden, auf welcher Basis die Haushaltsdaten standardisiert werden, um sie zwischen den Ländern vergleichbar zu machen. Prinzipiell stehen zwei Möglichkeiten offen: Eine Standardisierung auf die Einwohnerzahl oder auf das Bruttoin-landsprodukt.

Die Standardisierung von Haushaltsindikatoren auf das Bruttoinlandsprodukt wird in der Regel in den Nachhaltigkeitsstudien verwendet. Die Idee hinter dieser Standardisierung besteht darin, dass die Wirtschaftskraft eines Landes durch die Erhebung von Steuern zum Schuldendienst herangezogen wird. Die Nachhaltigkeit eines Haushalts ist demzufolge 90 Eine Haushaltspolitik ist dann nachhaltig, wenn sie langfristig fortgeführt werden kann ohne eine übermäßige Verschuldung (Wissenschaftlicher Beirat 2001: 9). Vgl. zu den technischen Implikationen und Messkonzepten (Blanchard 1990a, Blanchard 1990b, Wissenschaftlicher Beirat 2001: 10ff.). 91 Die primäre Haushaltsbilanz errechnet sich somit als Einnahmen (ohne Einnahmen aus Vermögensveräußerun-gen und Sanierungszuweisungen) abzüglich der Ausgaben (ohne Zinsausgaben). Die Haushaltsbilanz errechnet sich als Einnahmen (ohne Einnahmen aus Sanierungszuweisungen) abzüglich der Ausgaben.

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86 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

dann erreicht, „wenn der Schuldenstand einer Körperschaft mit einer kleineren oder äußers-tenfalls mit der gleichen Rate wächst wie das Bruttoinlandsprodukt. Nur dann ist gewähr-leistet, dass nicht eine laufende Verschlechterung der Schuldenstandsquote einen nicht tragbaren Lastentransfer in zukünftige Perioden bewirkt.“ (Wieland 2004: 25).

Die Standardisierung auf das Bruttoinlandsprodukt ist besonders geeignet für die Be-schreibung der fiskalischen Situation von Nationalstaaten, da Nationalstaaten autonom über die Steuergesetzgebung und die Verteilung des Steueraufkommens entscheiden können. Für die Deskription der Lage in den Bundesländern hingegen ist diese Standardisierung nicht adäquat, da die Bundesländer keine autonomen Steuergesetzgebungskompetenzen besitzen, und das örtliche Steueraufkommen durch das bundesstaatliche Transfersystem umverteilt und weitgehend angeglichen wird (Färber 2005: 249f.). Somit lassen sich aus der Höhe des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes praktisch keine Schlüsse ziehen auf die Fähigkeit ein-zelner Länder zur Refinanzierung ihrer Schulden. Daher werden im Folgenden die Saldi und Primärsaldi auf die Einwohnerzahl und nicht auf das Bruttoinlandsprodukt standardi-siert. Im Gegensatz zum Bruttoinlandsprodukt steht die Einwohnerzahl in einem direkteren Verhältnis zu den Einnahmen der Länder, da die Steuerverteilung und der sekundäre Fi-nanzausgleich von wenigen Ausnahmen abgesehen mit Bezug zur Einwohnerzahl durchge-führt wird (Färber 2005: 250).

Auch der Schuldenstand wird in dieser Studie auf die Einwohnerzahl standardisiert (Pro-Kopf-Verschuldung). Ergänzend wird auch auf die Standardisierung des Schul-denstands auf Basis des Bruttoinlandsprodukts zurückgegriffen, um ein möglichst breites Bild der Haushaltssituation zu erhalten.

Alle Haushaltsindikatoren werden auf aggregierter Ebene von Länder und Gemeinden berechnet. Die Aggregation ist notwendig, um Flächenländer und Stadtstaaten miteinander vergleichbar zu machen, da Stadtstaaten zugleich Bundesland und Gemeinde sind. Sie er-höht zudem die Vergleichbarkeit unter den dreizehn Flächenländern: Die Flächenländer weisen unterschiedliche Kommunalisierungsgrade auf, d.h. sie weisen in unterschiedlichem Ausmaß ihren Kommunen Aufgaben – und damit auch die korrespondierenden Ausgaben – zu (Hennecke 2000: 370). Daher sind die reinen Landesausgaben zwischen den Flächen-ländern nur bedingt vergleichbar. Die Analyse aggregierter Daten von Ländern und Ge-meinden ist gängige Praxis in einschlägigen wissenschaftlichen Studien (Färber 2005: 251), sowie in den Analysen, die in der Landespolitik selbst angefertigt werden (Experteninter-view mit Wolfgang Förster 30.1.2006). Die Haushaltsdaten werden durch die Aggregation nur begrenzt beeinflusst, da die kommunale Kreditaufnahme vergleichsweise gering ist – was auch daran liegt, dass sie durch die Kommunalaufsicht des jeweiligen Landes geneh-migt werden muss (Schemmel 2006: 22). 3.8.2 Die Messung der unabhängigen Variablen Synchrone Machtverteilung Der einfachste Indikator für die synchrone Machtverteilung wäre die Anzahl der Regie-rungsparteien: Je mehr Parteien an der Regierung beteiligt sind, desto breiter ist die Macht verteilt und desto größer ist das Klientel, das von der Regierung vertreten wird. Dagegen kann jedoch eingewendet werden, dass das Wählerklientel der Parteien unterschiedlich groß ist. Daher wird in dieser Studie eine gewichtete Anzahl der Regierungsparteien verwendet: Alleinregierungen bekommen den Wert 1. In Koalitionsregierungen bekommt die größte

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 87

Partei den Wert 1, für jede weitere Partei wird eine Zahl hinzu addiert, die sich an der Grö-ße der weiteren Koalitionsparteien orientiert. Diese Zahl wird durch den Koeffizienten zwischen dem prozentualen Stimmenanteil der kleineren Partei und der größeren Partei berechnet. Die Bildung des Indikators soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: Zwi-schen 1992 und 1996 regierte in Baden-Württemberg eine große Koalition, wobei die CDU bei den Landtagswahlen 39,6 % erreicht hatte und die SPD 29,4 %. Die gewichtete Anzahl der Regierungsparteien errechnet sich in diesem Fall folgendermaßen: gAR = 1 + 29,4/39,6 = 1,74. Zwischen 1991 und 1995 wurde Bremen von einer Ampelkoalition aus SPD (38,8 %), Grünen (11,4 %) und FDP (9,5 %) regiert: gAR = 1 + 11,4/38,8 + 9,5/38,8 = 1,54.

Eine Modifikation ist noch hinsichtlich der parlamentarischen Mehrheitsbasis der Re-gierungen vorzunehmen: Alle Landesregierungen verfügten im Untersuchungszeitraum über eine parlamentarische Mehrheit mit Ausnahme von zwei Minderheitsregierungen in Sachsen-Anhalt: Dort regierte zwischen 1994 und 1997 eine rot-grüne Minderheitsregie-rung sowie zwischen 1998 und 2002 eine SPD-Minderheitsregierung, welche jeweils von der PDS toleriert wurden. Kropp (2001) konnte in einer detaillierten Fallstudie nachweisen, dass die PDS in Sachsen-Anhalt einen einer Regierungspartei vergleichbaren Einfluss auf die Haushaltspolitik genommen hat. Daher wird die PDS in diesen Jahren bei der synchro-nen Machtverteilung und allen weiteren Messungen der Regierungszusammensetzung als Regierungspartei erfasst. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass in jedem Jahr die Re-gierung erfasst wurde, die am 31.12. im Amt war. Diese Praxis wird bei allen Variablen angewendet, welche die Regierungszusammensetzung erfassen. Diachrone Machtverteilung Hinter den Annahmen zur diachronen Machtverteilung steht die Idee, dass unsichere Wie-derwahlaussichten aufgrund häufiger Machtwechsel in der Vergangenheit Regierungen zu höheren Ausgaben stimulieren. Folgt man diesem Gedanken, so erscheint es plausibel, dass nicht nur die Machtwechsel innerhalb der Untersuchungsperiode Einfluss auf die finanzpo-litischen Entscheidungen in der Untersuchungsperiode nehmen können, sondern auch Machtwechsel, die unmittelbar vor Beginn der Untersuchungsperiode stattfanden. Daher wird die diachrone Machtverteilung in den 16 Jahren von 1991 bis 2006 erfasst – ein frühe-rer Beginn der Messung ist aufgrund der ostdeutschen Länder unmöglich. Bei diesem Indi-kator werden für jedes Land die Jahre gezählt, in denen die CDU/CSU und die SPD den Ministerpräsidenten stellten. Auf Basis dieser Daten wird ein Herfindahl-Konzentrations-index konstruiert, welcher von der Zahl 1 abgezogen wird (vgl. Skilling/Zeckhauser 2002):

Diachrone Machtverteilung (DM) = 1 – [(CDU/16)2 + (SPD/16)2] mit CDU bzw. SPD: Jahre, in denen die CDU bzw. die SPD den Ministerpräsi-denten stellen.

Die Funktionsweise dieses Indikators lässt sich anhand von Beispielen verdeutlichen: In Bayern stellte die CSU in allen 16 Jahren den Ministerpräsidenten, der Index für die dia-chrone Machtverteilung ergibt daher DM = 1 – [(16/16)2 + (0/16)2] = 0. Das gleiche Ergeb-nis erhält beispielsweise auch Bremen: Hier stellte die SPD in allen 16 Jahren den Regie-rungschef – seit 1995 (also in zwölf der für diesen Indikator untersuchten sechzehn Jahre) in einer großen Koalition. Am Beispiel Bremens kann man den Unterschied zwischen dia-chroner und synchroner Machtverteilung verdeutlichen: Eine langjährige große Koalition

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88 3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung

wie die in Bremen weist eine breite synchrone Machtverteilung auf – in jedem Jahr teilen sich zwei Parteien mit einer breiten Wählerbasis92 die Macht – und eine diachrone Macht-konzentration – im Zeitverlauf bleibt die Machtverteilung konstant.93

Im Saarland hingegen stellten CDU und SPD jeweils acht Jahre den Ministerpräsiden-ten – im Jahr 1999 löste eine CDU-Alleinregierung eine SPD-Alleinregierung ab. Der Indi-kator für die diachrone Machtverteilung errechnet sich daher folgendermaßen: DM = 1 – [(8/16)2 + (8/16)2] = 0,5. Bei einer Gleichverteilung der Regierungsspitze zwischen CDU und SPD im Zeitverlauf erreicht der Indikator somit den Wert 0,5. Je breiter die Macht im Zeitverlauf verteilt ist, desto höher ist der Wert für die diachrone Machtverteilung. Ideologische Orientierung Die ideologische Orientierung wird in Anlehnung an Schmidt (1992) mit einem fünfstufi-gen Indikator erfasst:

(1) Bürgerliche Hegemonie (eine oder mehrere bürgerliche Parteien) (2) Bürgerliche Dominanz (CDU/CSU mit mindestens einer kleinen linken Partei) (3) Große Koalition (4) Linke Dominanz (SPD mit mindestens einer kleinen bürgerlichen Partei) (5) Linke Hegemonie (eine oder mehrere linke Parteien)

Als linke Parteien werden SPD, Grüne und PDS bezeichnet, als bürgerliche bzw. rechte Parteien CDU/CSU; FDP, Schill- und Statt-Partei. Die schwarz-grüne Koalition, welche im April 2008 in Hamburg gegründet wurde, ist die erste Koalition zwischen CDU/CSU und einer kleinen linken Partei. Die Merkmalsausprägung „Bürgerliche Dominanz“ bleibt daher in dem Untersuchungszeitraum dieser Studie unbesetzt. Transfersaldo Für das Transfersaldo werden die Einnahmen bzw. die Zahlungen auf allen drei Stufen des Finanzausgleichssystems (Umsatzsteuervorwegausgleich, horizontaler Länderfinanzaus-gleich und Bundesergänzungszuweisungen) aggregiert und auf die Einwohnerzahl standar-disiert.94 Spiegelbildlich zu den Saldi und Primärsaldi bleiben die Sanierungszuweisungen an Bremen und das Saarland auch bei der Berechnung der Transfersaldi unberücksichtigt – sie werden also bei abhängiger und unabhängiger Variable gleichermaßen herausgerechnet. Die Transfersaldi erfassen somit allein eine potenziell defizitsteigernde Wirkung der regu-lären Transfers, die Wirkungen der Sanierungszuweisungen auf das Ausgabeverhalten von Bremen und dem Saarland werden separat untersucht.

Für die Arbeitslosenquote und das Wirtschaftswachstum wurde auf die entsprechenden Zahlen von der Bundesagentur für Arbeit beziehungsweise des Arbeitskreises Volkswirt- 92 Ein krasser Ausreißer ist in dieser Hinsicht die große Koalition in Sachsen, welche seit 2004 regiert. Die CDU erreichte bei den Landtagswahlen 41,1 %, die SPD nur 9,8 %, was einer gewichteten Anzahl der Regierungspar-teien von gAR = 1,24 entspricht! Das ist beispielsweise ein geringerer Wert als bei der rot-grünen Koalition, die Hessen von 1995 bis 1998 regierte (gAR = 1,29; SPD = 38,2 %, Grüne = 11,2 %). 93 In einer früheren Arbeit (Hildebrandt 2008) wurde bei der Berechnung der diachronen Machtverteilung in jedem Jahr einer großen Koalition CDU/CSU und SPD jeweils der Wert 0,5 zugerechnet. Zugunsten der Trennschärfe von diachroner und synchroner Machtverteilung wurde diese Praxis geändert. 94 Der Umsatzsteuervorwegausgleich und der horizontale Länderfinanzausgleich werden zwischen den Ländern durchgeführt, so dass die Länder einen positiven oder negativen Saldo auf diesen beiden Stufen aufweisen können. Die Bundesergänzungszuweisungen sind hingegen – wie der Name sagt – Transfers des Bundes an die Länder. Finanzschwache Länder erhalten diese Transfers, finanzstarke Länder gehen leer aus. Ein negativer Saldo eines Landes ist auf dieser Stufe ausgeschlossen.

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3. Sozialwissenschaftliche Erklärungsansätze für die Länderverschuldung 89

schaftliche Gesamtrechnung der Länder zurückgegriffen, die Zinsausgaben wurden wie die übrigen finanzwirtschaftlichen Indikatoren auch auf die Einwohnerzahl standardisiert. Während der Stadtstaaten-Dummy selbsterklärend ist, bedarf der Ost-West-Dummy einiger Erläuterungen hinsichtlich der Stellung des Landes Berlins, das zu einem Teil Bestandteil der DDR war: Berlin wurde gemäß des relativen Bevölkerungsanteils Ost- und West-Ber-lins zwischen Ost- und Westdeutschland verortet: Berlin erhält den Wert 0,63, die ostdeut-schen Länder den Wert null, die westdeutschen Länder den Wert eins. Die theoretische Konstrukte, ihre Operationalisierung und die Datenquellen werden in Tabelle 3-9 noch einmal zusammengefasst.

Tabelle 3-9: Übersicht über die Operationalisierung der theoretischen Konstrukte und die

verwendeten Datenquellen

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90 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

4 Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

Zu Beginn dieses Abschnittes soll die längerfristige Entwicklung der Länderhaushalte un-tersucht werden als historischer Vorlauf dieser Studie. Hierzu wird auf die Pro-Kopf-Verschuldung zurückgegriffen, zu der Daten über mehrere Jahrzehnte vorliegen. Daran schließt sich eine Untersuchung des Schuldenstands am Ende der Untersuchungsperiode an, gefolgt von einer ausführlichen Analyse der Saldi und Primärsaldi.

Schaubild 4-1 zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Pro-Kopf-Verschuldung der westlichen Flächenländer und der Stadtstaaten von 1960 bis 2006, sowie der östlichen Länder von 1991 bis 2006. Das Ausgangsjahr 1960 wurde gewählt, da in diesem Jahr das Saarland vollständig in die Bundesrepublik aufgenommen wurde. Von da an bis 1990 blie-ben Anzahl und Zuschnitt der Bundesländer unverändert. Schaubild 4-1: Durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung in Euro nach Ländergruppen

1960-2006

0

2000

4000

6000

8000

10000

12000

14000

16000

18000

1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005

Jahre

Pro-

Kop

f-V

ersc

huld

ung

in €

STADTSTAATEN

WESTLÄNDER

OSTLÄNDER

Quelle: Statistisches Bundesamt

Von einem niedrigen und in den beiden Durchschnitten nahezu identischen Ausgangsni-veau steigt die Verschuldung in den Westländern und Stadtstaaten zunächst langsam an. Erst zu Beginn der siebziger Jahre zeigt sich eine höhere Durchschnittsverschuldung der Stadtstaaten. Ab Mitte der siebziger Jahre steigt die Verschuldung in Stadtstaaten und Westländern deutlich stärker an. In den Westländern zeigt sich von mäßigen Schwankun-

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4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 91

gen abgesehen ein nahezu einheitlicher Trend, in den Stadtstaaten hingegen nimmt das Wachstum der Verschuldung im Jahr 1992 und im Jahr 2000 merklich zu. Der Trendbruch zu Beginn der neunziger Jahre ist auf das Absenken der Bundeshilfe an Berlin zurückzufüh-ren, was zu einer rasch ansteigenden Verschuldung in Berlin führte (vgl. Abschnitt 3.5.1.).95 Der neuerliche Anstieg bei den Stadtstaaten um die Jahrtausendwende wurde durch das Absenken bzw. Auslaufen der Sanierungszuweisungen an Bremen verursacht: Im Jahr 2000 betrug die Pro-Kopf-Verschuldung Bremens 12881 Euro, die Milliardentransfers des Bundes hatten somit nicht zu einer Absenkung der Verschuldung geführt, sondern al-lein die Verschuldung über acht Jahre hinweg stabil gehalten (1993 betrug die Pro-Kopf-Verschuldung 12849). Nach dem Abbau der Sanierungszuweisungen stieg die Verschul-dung auf 20149 pro Einwohner im Jahr 2006 an.

Die ostdeutschen Länder waren bei ihrer Gründung im Jahr 1990 nahezu schuldenfrei, ihre Verschuldung stieg aufgrund ihrer nicht ausreichenden Finanzierung in den Jahren vor 1995 steil an (vgl. Abschnitt 3.6.). Obwohl der Anstieg der Verschuldung gebremst werden konnte, übertrifft die durchschnittliche Pro-Kopf-Verschuldung der ostdeutschen Flächen-länder seit 1999 die der westdeutschen.96 Diese Schuldenlast wurde nicht in fünfzig Jahren, sondern in nicht einmal zehn Jahren angehäuft! Angesichts dieser dramatischen Entwick-lung in Ostdeutschland gilt es zu klären, ob es im Verlauf des Untersuchungszeitraums Anzeichen einer deutlichen Konsolidierung in den ostdeutschen Ländern gibt, andernfalls muss ihre fiskalische Zukunft als äußerst negativ eingeschätzt werden – vor allem vor dem Hintergrund der sinkenden Solidarpaktmittel (vgl. Abschnitt 3.6.).

Betrachtet man die Pro-Kopf-Verschuldung in den einzelnen Ländern, die bis zum 31.12.2006 akkumuliert wurde (vgl. Tabelle 4-1), zeigt sich, dass nicht pauschalierend von der fiskalischen Situation Ostdeutschlands gesprochen werden sollte: Sachsen unterscheidet sich von den übrigen vier Ländern, welche deutlich höher verschuldet sind. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erreichen 195 % der sächsischen Pro-Kopf-Verschuldung, Thüringen 211 %, Sachsen-Anhalt gar 242 %. Unterschiede weisen auch die drei Stadtstaa-ten auf: Dem relativ moderat verschuldeten Hamburg stehen die beiden Ausreißer Berlin und Bremen gegenüber, die 1,91 beziehungsweise 2,52 Standardabweichungen vom Mit-telwert aller Länder entfernt sind. Betrachtet man alle sechzehn Länder gemeinsam, so weisen Bayern, Sachsen, Baden-Württemberg und mit einigem Abstand Hessen die nied-rigste Pro-Kopf-Verschuldung auf.

95 Trotz der hohen Zuweisungen verschuldete sich West-Berlin vor der Wiedervereinigung – allerdings weitaus geringer als die beiden übrigen Stadtstaaten und auch niedriger als der Durchschnitt der westlichen Flächenländer: 1989 betrug die Pro-Kopf-Verschuldung Berlins 2706 € (Bremen: 10298 €, Hamburg: 5570 €, Durchschnittswert der übrigen Länder: 3862 €). 96 Allerdings sank die Pro-Kopf-Verschuldung im Durchschnitt der ostdeutschen Länder von 1999 auf 2000. Dabei handelt es sich jedoch um ein Artefakt, welches auf Haushaltsausgliederungen in Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen zurückzuführen ist. So sinkt die aggregierte Pro-Kopf-Verschuldung von Land und Gemeinden in Brandenburg um 295 €, parallel dazu sinkt die Pro-Kopf-Verschuldung der Zweckverbände von 598 € auf 8€. Ohne diesen Effekt würde die Pro-Kopf-Verschuldung Brandenburgs um 295€ ansteigen, anstelle eines Absinkens um 295 €. In Thüringen würde die Pro-Kopf-Verschuldung um 472€ steigen, anstelle eines Absinkens um 75€ und in Sachsen-Anhalt würde sie um 367€ steigen und nicht um 278€ fallen, wenn man die Zweckverbände auch in diesen Ländern ausklammert würde.

Page 92: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

92 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

Tabelle 4-1: Schuldenstand der Länder am 31.12.2006 Pro-Kopf-Verschuldung Verschuldung in % des BIP 1. Bayern 3070 1. Bayern 12,6 2. Sachsen 3778 2. Baden-Württemberg 18,4 3. Baden-Württemberg 4479 3. Sachsen 23,0 4. Hessen 6224 4. Hessen 23,2 5. Niedersachsen 7053 5. NRW 32,7 6. Brandenburg 7357 6. Hamburg 33,3 7. Mecklenburg-Vorpommern 7383 7. Niedersachsen 34,9 8. Rheinland-Pfalz 7443 8. Rheinland-Pfalz 36,4 9. Nordrhein-Westfalen 7583 9. Schleswig-Holstein 41,0 10. Thüringen 7978 10. Saarland 41,6 11. Schleswig-Holstein 8568 11. Mecklenburg-Vorpommern 45,9 12. Sachsen-Anhalt 9154 12. Brandenburg 49,2 13. Saarland 9262 13. Thüringen 53,0 14. Hamburg 12367 14. Sachsen-Anhalt 58,2 15. Berlin 17354 15. Bremen 66,0 16. Bremen 20149 16. Berlin 73,8 West 6710 West 30,1 Ost 7130 Ost 45,9 Stadt 16623 Stadt 57,7 Alle 8700 Alle 40,2

Korrelation der beiden Indikatoren: Pearson’s r =0,81*** (N=16), ohne Berlin und Bremen: r = 0,64**. *** p < 0,01; ** p < 0,05 (zweiseitig). Quelle: Statistische Bundesamt, Arbeitskreis Volkswirtschaftli-che Gesamtrechnung der Länder, eigene Berechnung auf Basis dieser Daten. Standardisiert man die Verschuldung auf das Bruttoinlandsprodukt (vgl. Tabelle 4-1) so verlieren die ostdeutschen Länder aufgrund ihrer geringen Wirtschaftskraft Boden gegen-über den westdeutschen Ländern. Innerhalb der drei Stadtstaaten kommt es zu einer enor-men Spreizung, das prosperierende Hamburg kommt im Ländervergleich auf den sechsten Platz, das wirtschaftlich stagnierende Berlin fällt hinter Bremen zurück. Auch hier zeigen sich die bereits in Abschnitt 3.5.1. diskutierten ökonomischen Unterschiede zwischen den drei Stadtstaaten. An der Spitze stehen wiederum die vier „best-practice“-Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen, wobei Sachsen bei diesem Indikator hinter Baden-Württemberg zurückfällt.97

Führt man die Betrachtung weg vom Schuldenstand hin zu den Stromgrößen Haus-haltssaldi und primäre Haushaltssaldi, so fällt auf, dass die Verteilung der durchschnittli-chen Haushaltssaldi im Untersuchungszeitraum im Großen und Ganzen der Verteilung der Pro-Kopf-Verschuldung im Jahr 2006 gleicht (vgl. Tabelle 4-2). An der Spitze stehen wie-derum Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen, am Ende befinden sich ebenfalls und erneut mit deutlichem Abstand Berlin und Bremen. 97 Hinsichtlich der Standardisierung auf das Bruttoinlandsprodukt ist abschließend festzuhalten, dass der sich aufdrängende Vergleich mit dem zweiten Maastricht-Kriterium, einer zulässigen Verschuldung in Höhe von maximal 60 % des Bruttoinlandsproduktes (vgl. Abschnitt 6.2.), unzulässig ist: Das Maastricht-Kriterium bezieht sich auf die gesamtstaatliche Verschuldung, in Tabelle 4-1 wird allein die Verschuldung der Länder und ihrer Kommunen ausgewiesen. Für das Maastricht-Kriterium werden zusätzlich zu der Verschuldung der Länder und ihrer Kommunen die Verschuldung des Bundes und der Sozialversicherungen berücksichtigt.

Page 93: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 93

Berlin und Bremen weisen auch die deutlich höchsten Primärdefizite auf. Beide Län-der weichen derartig weit vom Mittelwert ab, dass sie eine eingehendere Betrachtung not-wendig erscheinen lassen, welche am Ende des Abschnitts vorgenommen wird.98 Zugleich kann aber schon an dieser Stelle festgehalten werden, dass bei der anschließenden Kausal-analyse der Einfluss extremer Werte überprüft werden muss, da die Gefahr besteht, dass sie die empirischen Ergebnisse über die Länder hinweg überproportional beeinflussen.

Tabelle 4-2: Durchschnittliche Haushaltssaldi und Primärsaldi der Länder 1995-2006

Durchschnittliches Saldo Durchschnittliches Primärsaldo 1. Sachsen -88 1. Sachsen -2 2. Bayern -99 2. Niedersachsen -36 3. Baden-Württemberg -128 3. Hessen -51 4. Hessen -205 4. Schleswig-Holstein -52 5. Niedersachsen -285 5. Bayern -53 6. Schleswig-Holstein -305 6. NRW -62 7. Nordrhein-Westfalen -306 7. Baden-Württemberg -69 8. Rheinland-Pfalz -329 8. Rheinland-Pfalz -101 9. Brandenburg -365 9. Brandenburg -155 10. Thüringen -418 10. Hamburg -157 11. Mecklenburg-Vorpommern -427 11. Thüringen -196 12. Sachsen-Anhalt -500 12. Saarland -234 13. Hamburg -512 13. Sachsen-Anhalt -238 14. Saarland -644 14. Mecklenburg-Vorpommern -240 15. Berlin -1043 15. Berlin -686 16. Bremen -1483 16. Bremen -830 West -288 West -82 Ost -360 Ost -166 Stadt -1013 Stadt -558 Alle -446 Alle -198

Pearson’s r = 0,97*** (N=16); ohne Bremen und Berlin 0,85*** (N=14) *** p < 0,01 (zweiseitig). Quelle: eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statistischen Bundesamtes. Bei den durchschnittlichen Primärsaldi steht wiederum Sachsen an der Spitze, im Unter-schied zu der Verteilung der Saldi konnten Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nord-rhein-Westfalen in die Phalanx der Spitzenländer eindringen. Wie lässt sich dieses überra-schende Ergebnis interpretieren? Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wiesen 2006 im Durchschnitt eine Pro-Kopf-Verschuldung von 7735 auf. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen hingegen haben 2006 im Durchschnitt nur eine Pro-Kopf-Verschuldung von 4388 Euro zu verzeichnen. Die vergleichsweise hohe Kredit-aufnahme Niedersachsens, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holsteins in der Vergan-genheit führte zu wachsenden Zinslasten, die eine Einschränkung der Primärausgaben in der Gegenwart erforderlich machen, um eine uferlos wachsende Verschuldung zu vermei-den. Für diese Länder gilt auch, was der Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern an die Adresse der eigenen Landesregierung formulierte: „Das, was man sich in früheren 98 Der Saldo Berlins ist 1,65 Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt, der Primärsaldo 2,09. In Bremen betragen die Werte gar 2,86 für den Saldo und 2,70 für den Primärsaldo (Quelle: Eigene Berechnung).

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94 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

Jahren mehr geleistet hat als andere Länder, kann man sich zukünftig weniger leisten“ (Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern 2006: 77). Umgekehrt gilt für Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen, dass sie aufgrund einer zurückhaltenden Kre-ditfinanzierung in der Vergangenheit sich geringere Beschränkungen bei den Primärausga-ben in der Gegenwart auferlegen müssen.

Diese Interpretation muss jedoch zwei Einschränkungen unterworfen werden: (1) Hohe Zinslasten führen nicht quasi automatisch zu einer Begrenzung der Primärausgaben, sondern aufgrund einer politischen Entscheidung zur Haushaltskonsolidierung. Das zeigt sich daran, dass eine Reihe von hochverschuldeten Ländern im Untersuchungszeitraum auch hohe Pri-märdefizite aufwiesen, wie etwa Berlin, Bremen und das Saarland. (2) Die obenstehende Interpretation basierte auf leichten Positionsverbesserungen von Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Saarland in der Länderreihenfolge im Vergleich der primären Haushaltsbilanz zur Haushaltsbilanz. Betrachtet man jedoch alle sechzehn Länder gemeinsam, zeigt sich ein extrem starker Zusammenhang zwischen der Haushaltsbilanz und der primären Haushaltsbi-lanz der Länder (r = 0,97***). Nach Ausschluss der beiden Ausreißer Berlin und Bremen schwächt sich dieser Zusammenhang leicht ab, bleibt aber immer noch sehr stark (r = 0,85***).

Da man nicht davon ausgehen kann, dass die finanzielle Situation der Länder im Ver-lauf der Jahre unverändert blieb, wird der Untersuchungszeitraum in vier Subperioden von jeweils drei Jahren unterteilt, um mögliche Veränderungen im Zeitverlauf erfassen zu kön-nen. Wie in Abschnitt 2.3. erläutert, unterscheidet sich die Entwicklung der Steuereinnah-men in den vier Subperioden deutlich. Diese Unterschiede werden auch durch ein variie-rendes Wirtschaftswachstum hervorgerufen, was in Tabelle 4-3 ersichtlich wird. In dieser Tabelle wird die durchschnittliche jährliche Veränderung der kassenmäßigen Steuerein-nahmen in Prozent dem durchschnittlichen jährlichen Wirtschaftswachstum gegenüberge-stellt. Die Veränderung der Steuereinnahmen ist allerdings nicht allein auf das Wirt-schaftswachstum zurückzuführen, wie insbesondere die Subperiode 2001 bis 2003 zeigt. Im Durchschnitt dieser Jahre sanken die Steuereinnahmen, während das Wirtschaftswachstum stagnierte. In diesen Jahren führte die Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung zu massiven Einbußen bei den Steuereinnahmen (Vesper 2006: 13). Tabelle 4-3: Jährliche Veränderung der kassenmäßigen Steuereinnahmen in Prozent und

jährliches Wirtschaftswachstum (Periodendurchschnitte) Ø Veränderung der Steuereinnahmen in % Ø Wirtschaftswachstum 1995-1997 0,5 1,6 1998-2000 4,7 2,4 2001-2003 -1,8 0,3 2004-2006 3,4 1,6 1995-2006 1,7 1,5

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung der Länder sowie auf Basis von Daten aus Finanzbericht 2008: 277ff. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob diese variierenden ökonomischen Rahmenbedin-gungen und die unterschiedliche Einnahmensituation sich in unterschiedlichen Niveaus der Defizite niederschlagen: Ein höheres Wirtschaftswachstum führt in der Regel zu steigenden Steuereinnahmen (siehe oben) und sinkenden Sozialausgaben und resultiert somit ceteris paribus in niedrigeren Haushaltsdefiziten.

Page 95: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 95

In Tabelle 4-4 und 4-5 werden die durchschnittlichen Niveaus der Saldi und Primär-saldi in den vier Untersuchungsperioden angegeben. Unter dem Wert für den Saldo bzw. den Primärsaldo wird der Rangplatz des jeweiligen Landes in Klammern angegeben. Er-gänzend werden in Anlehnung an Roller (2005: 148) zwei Maße für die Entwicklung der Saldi und Primärsaldi angegeben: Die Spalte Diff enthält die absolute Differenz des Saldos bzw. Primärsaldos im Vergleich der ersten zur letzten Subperiode. Die Differenz gibt Aus-kunft darüber, um wie viel Euro pro Einwohner sich die (primäre) Haushaltsbilanz eines Landes im Untersuchungszeitraum verbessert oder verschlechtert hat. Die Spalte b gibt die durchschnittliche jährliche Veränderung auf Basis des unstandardisierten Regressionskoef-fizienten wieder. Der Koeffizient gibt zudem Auskunft darüber, ob es – entgegen des ver-muteten zyklischen Verlaufs im Durchschnitt der Länder – einen linearen Trend in einzel-nen Ländern gibt und ob dieser Trend signifikant ist.

Ausweislich der Tabellen 4-4 und 4-5 variieren die Saldi und Primärsaldi tatsächlich gemeinsam mit dem Wirtschaftswachstum und der Veränderung der Steuereinnahmen. Die höchsten Werte erreichen beide Maße in der Prosperitätsphase zwischen 1998 und 2000 – im Durchschnitt aller Länder beträgt in dieser Zeit der Haushaltssaldo -299 und der primäre Haushaltssaldo -74 Euro pro Einwohner. Die niedrigsten Werte werden in der problemati-schen Zeit der Jahre 2001 und 2003 erzielt mit einem durchschnittlichen Haushaltssaldo von -596 bzw. einem durchschnittlichen primären Haushaltssaldo von -314 Euro pro Ein-wohner. Über die zwölf Jahre hinweg beträgt die Korrelation zwischen Wirtschaftswachs-tum und den durchschnittlichen Saldi r = 0,84***, sowie den Primärsaldi r = 0,75***. Für die kassenmäßigen Steuereinnahmen beträgt die Korrelation mit den durchschnittlichen Saldi r = 0,73** und mit den Primärsaldi r = 0,70**.99

Neben dieser zyklischen Komponente kann in einigen Ländern ein Trend identifiziert werden. So können die ostdeutschen Länder beträchtliche Konsolidierungserfolge vorwei-sen, in allen ostdeutschen Ländern ist der Trend durchgängig positiv und mit Ausnahme der Saldi in Sachsen-Anhalt signifikant. Im Durchschnitt verbessern die neuen Länder jährlich ihren Saldo um 30 Euro pro Einwohner und ihren Primärsaldo sogar um 47 Euro pro Ein-wohner. In den westlichen Flächenländern hingegen ist der Trend außer in Bayern negativ, allerdings nur im Saarland und in Schleswig-Holstein erreicht er zumindest das zehnpro-zentige Signifikanzniveau.100 Infolge dieser Entwicklungen konnten die ostdeutschen Län-der ihren Rückstand mehr als aufholen und weisen in der letzten Periode deutlich positivere Saldi und Primärsaldi auf als die westdeutschen Länder.

99 Die Korrelationen zwischen dem Wirtschaftswachstum, der Veränderung der kassenmäßigen Steuereinnahmen und den Haushaltssalden werden nicht in der Tabelle ausgewiesen. 100 Saldi und Primärsaldi in Baden-Württemberg und Niedersachsen, sowie Saldi in Hessen weisen einen negati-ven Trend (Spalte „B“) aber eine positive Differenz zwischen letzter und erster Untersuchungsperiode (Spalte „Diff“) auf. Dieses unplausible Ergebnis rührt daher, dass die Differenzbildung der beiden Untersuchungsperioden stark von der positiven Haushaltssituation im Jahr 2006 beeinflusst wird, während der Trendwert B in größerem Ausmaß die Entwicklung über alle zwölf Jahre hinweg abbildet. Entfernt man das Jahr 2006 aus der letzten Unter-suchungsperiode weisen diese fünf Fälle eine negative Differenz auf.

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96 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

Tabelle 4-4: Haushaltssaldi nach Untersuchungsphasen Niveau (Periodenmittelwert

und Rang der Länder) Entwicklung

Land 1995-97 98-2000 2001-03 2004-06 Diff b Baden-Württemberg

-177 (1)

61 (1)

-272 (3)

-122 (3)

55 (10)

-2,95 (12,24)

Bayern

-210 (2)

52 (2)

-237 (2)

-2 (2)

208 (8)

11,67 (12,65)

Hessen

-265 (3)

11 (3)

-358 (4)

-207 (6)

58 (9)

-3,25 (16,82)

Niedersachsen

-272 (4)

-106 (5)

-524 (10)

-239 (7)

33 (11)

-6,88 (16,05)

Nordrhein-Westfalen

-274 (5)

-119 (6)

-446 (7)

-387 (12)

-113 (13)

-20,19 (11,28)

Rheinland-Pfalz

-315 (7)

-210 (8)

-450 (8)

-340 (10)

-25 (12)

-8,80 (8,41)

Saarland

-601 (12)

-541 (14)

-674 (13)

-762 (14)

-161 (15)

-19,93** (7,36)

Schleswig-Holstein

-291 (6)

-135 (7)

-363 (5)

-430 (13)

-139 (14)

-21,49* (11,77)

Ø Westländer -301 -123

-416

-311

-10

-8,98 (10,67)

Brandenburg

-514 (9)

-303 (9)

-462 (9)

-180 (4)

334 (4)

29,60** (12,39)

Mecklenburg-Vorpommern

-615 (13)

-359 (11)

-549 (11)

-186 (5)

429 (3)

37,23** (14,25)

Sachsen

-321 (8)

-22 (4)

-133 (1)

124 (1)

445 (2)

41,25*** (11,52)

Sachsen-Anhalt

-622 (14)

-386 (12)

-613 (12)

-381 (11)

241 (7)

17,91 (13,90)

Thüringen

-568 (10)

-354 (10)

-435 (6)

-314 (9)

254 (6)

23,49** (9,68)

Ø Ostländer

-528

-285

-438

-187

341

29,90** (11,48)

Berlin

-1246 (15)

-715 (15)

-1435 (15)

-778 (15)

468 (1)

33,05 (34,85)

Bremen

-1332 (16)

-1258 (16)

-1770 (16)

-1571 (16)

-239 (16)

-36,77 (22,78)

Hamburg

-571 (11)

-400 (13)

-813 (14)

-263 (8)

308 (5)

19,56 (25,10)

Ø Stadtstaaten

-1050

-791 -1339

-871

179

5,28 (24,36)

Ø Alle -512 -299 -596 -377 135

5,84 (12,88)

*** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,1 (zweiseitig). Diff = Differenz zwischen 1995-1997 und 2004-2006. b = unstandardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung), Standardfehlern in Klammern.

Page 97: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 97

Tabelle 4-5: Primäre Haushaltssaldi nach Untersuchungsphasen Niveau (Periodenmittelwert

und Rang der Länder) Entwicklung

Land 1995-97 98-2000 2001-03 2004-06 Diff b Baden-Württemberg

-104 (6)

104 (3)

-233 (9)

-42 (9)

62 (10)

-2,36 (12,43)

Bayern

-158 (8)

82 (6)

-193 (5)

56 (4)

214 (8)

13,08 (12,30)

Hessen

-74 (4)

218 (1)

-203 (6)

-143 (12)

-69 (12)

-16,91 (16,61)

Niedersachsen

-38 (3)

132 (2)

-268 (11)

32 (6)

70 (9)

-3,44 (15,25)

Nordrhein-Westfalen

-31 (1)

95 (5)

-190 (4)

-121 (11)

-90 (13)

-15,82 (10,81)

Rheinland-Pfalz

-95 (5)

20 (8)

-216 (7)

-114 (10)

-19 (11)

-8,26 (8,77)

Saarland

-109 (7)

-108 (10)

-341 (14)

-377 (15)

-268 (16)

-33,69*** (7,78)

Schleswig-Holstein

-34 (2)

98 (4)

-114 (2)

-159 (13)

-125 (14)

-18,79 (10,41)

Ø Westländer -80

80

-220

-109

-29

-10,77 (10,74)

Brandenburg

-373 (10)

-121 (11)

-226 (8)

102 (2)

475 (3)

45,23*** (13,02)

Mecklenburg-Vorpommern

-551 (14)

-182 (14)

-287 (12)

59 (3)

610 (2)

58,49*** (13,48)

Sachsen

-269 (9)

62 (7)

10 (1)

187 (1)

456 (5)

43,63*** (9,01)

Sachsen-Anhalt

-469 (13)

-156 (12)

-311 (13)

-16 (8)

453 (6)

41,03** (13,55)

Thüringen

-455 (12)

-158 (13)

-166 (3)

-3 (7)

452 (7)

45,77*** (9,97)

Ø Ostländer

-423

-111

-196

66

489

46,83*** (10,80)

Berlin

-1117 (16)

-537 (15)

-905 (15)

-185 (14)

932 (1)

88,24*** (23,52)

Bremen

-594 (15)

-747 (16)

-1126 (16)

-855 (16)

-261 (15)

-34,71 (22,71)

Hamburg

-419 (11)

11 (9)

-259 (10)

40 (5)

459 (4)

40,50 (24,58)

Ø Stadtstaaten

-710

-424

-763

-334

376

31,34 (19,92)

Ø Alle -306 -74 -314 -96 210

15,12 (11,87)

*** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,1 (zweiseitig). Diff = Differenz zwischen 1995-1997 und 2004-2006. b = unstandardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung), Standardfehlern in Klammern.

Page 98: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

98 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

Unter den Stadtstaaten verzeichnet neben Hamburg auch Berlin eine positive Entwicklung, besonders stark und zudem hoch signifikant ist diese Entwicklung in der Primärbilanz Ber-lins, wo der Trend eine jährliche Verbesserung von 88 Euro pro Einwohner ausweist! Diese hohe Veränderung muss jedoch vor dem Hintergrund des hohen Ausgangsniveaus betrach-tet werden (1117 Euro Primärdefizit in der ersten Untersuchungsperiode). In Bremen hin-gegen verschlechtert sich sowohl der Saldo als auch der Primärsaldo. Bremen und Berlin weisen somit ein vergleichbar hohes Niveau der Defizite und Primärdefizite im Durch-schnitt des gesamten Untersuchungszeitraums auf. Zugleich vollzieht sich aber eine sehr unterschiedliche Entwicklung in den beiden Ländern. Auf diese bemerkenswerte Diskre-panz soll im Folgenden näher eingegangen werden. Zu Vergleichszwecken wird ergänzend auf das Saarland zurückgegriffen, das wie Bremen auch Sanierungszuweisungen in Milliar-denhöhe erhielt, und deshalb in dieser Hinsicht über vergleichbare Bedingungen verfügte. Für alle drei Länder wird in Schaubild 4-2 die Primärausgabenquote im Zeitraum von 1991 bis 2006 ausgewiesen. Die Primärausgabenquote „drückt aus, um wie viel Prozent ein Land – unabhängig von der in der Vergangenheit aufgehäuften Verschuldung – ‚über seinen Verhältnissen’ lebt, welche von seinen regelmäßigen Einnahmen einschließlich Länderfi-nanzausgleich bestimmt werden“ (Färber 2005: 238). Sie wird als Primärausgaben geteilt durch Primäreinnahmen multipliziert mit hundert berechnet. Ein Wert von hundert signali-siert einen ausgeglichenen Primärhaushalt, jeder Punkt jenseits der hundert kann als ein Prozent primärer Ausgabenüberhang interpretiert werden. Als Ausgangspunkt der Analyse wird wie oben das Jahr 1991 gewählt, um die Auswirkungen der Kürzung der Bundeshilfe (Berlin) beziehungsweise die Folgen der Sanierungszuweisungen (Bremen, Saarland) voll-ständig berücksichtigen zu können. Schaubild 4-2: Primärausgabenquoten von Berlin, Bremen und dem Saarland 1991-

2006

90

95

100

105

110

115

120

125

130

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Jahre

Prim

ärau

sgab

enqu

ote

in %

BERLIN

BREMEN

SAARLAND

Quelle: Eigene Berechnungen

Page 99: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands 99

Berlin startete im Jahr 1991 mit einer Quote von 106,6, die sich in den folgenden Jahren im Zuge des Absinkens der Bundeshilfe sukzessive auf 129,0 (1995) verschlechterte. Danach unternahm das Land deutliche Konsolidierungsbemühungen und führte den primären Aus-gabenüberhang über fünf Jahre hinweg kontinuierlich zurück. Im Zuge der Hilfen an die kriselnde Bankgesellschaft Berlin schnellte die Primärausgabenquote wieder nach oben und erreichte im Jahr 2001 einen Wert von 122,4. Die folgenden fünf Jahre standen erneut im Zeichen der Konsolidierung, im Jahr 2006 erreichte das Land erstmalig seit der Vereini-gung einen Primärüberschuss – die Primärausgaben betrugen 97,9 % der Primäreinnahmen. Die bisherigen Anstrengungen Berlins reichen allerdings noch nicht aus, um die Kürzungen der Solidarpaktmittel aufzufangen – von der Tilgung der beträchtlichen Schulden ganz zu schweigen. Hierzu wären deutliche Überschüsse in der Primärbilanz nötig.

Eine völlig unterschiedliche Entwicklung zeigte sich in Bremen und dem Saarland. Diese Länder wiesen 1991 eine ausgeglichene beziehungsweise positive Primärbilanz auf. Ab 1993 zeigten sich in Bremen, ab 1994 im Saarland primäre Ausgabenüberhänge, die vor allem in Bremen deutlich anstiegen. Ihr Maximum erreichten diese Ausgabenüberhänge im Saarland im Jahr 2003 (115,1) und in Bremen im Jahr 2002 (128,1). Seitdem reduzieren die beiden Länder ihre Ausgabenüberhänge. Aber im Jahr 2006 gaben sie immer noch 9 % mehr für öffentliche Leistungen aus, als sie an regelmäßigen Einnahmen erhielten!

Die Koinzidenz dieser Entwicklung mit der Gewährung von Sanierungszuweisungen ist augenfällig. 1992 sprach das Bundesverfassungsgericht den beiden Ländern einen An-spruch auf finanzielle Hilfen zu. „Bremen und das Saarland zeigten im Vorfeld der Verfas-sungsklage und im Zuge der Verhandlungen um den Staatsvertrag, über den die Gewährung der Haushaltsnotlagendotationen abgesichert wurden, scharfe Haushaltsdisziplin“ (Färber 2005: 237). Danach weiteten sie jedoch ihre Ausgaben massiv aus. Um die Konsolidierung der Haushalte bemühten sie sich erst, als die Sanierungszuweisungen bereits massiv gekürzt wurden und ihr Auslaufen im Jahr 2004 unmittelbar bevorstand.

Diese Ausgabenentwicklung wurde durch die wenig restriktiven Auflagen des Bundes bei der Gewährung der Sanierungshilfen ermöglicht. Die Auflagen sahen nur vor, dass der Anstieg der gesamten Ausgaben unterhalb des Länderdurchschnitts verbleiben sollte. Durch die Schuldentilgung aus Sanierungszahlungen sanken zugleich die Zinsausgaben der Län-der. Die so entstandenen Finanzierungsspielräume mussten den Auflagen zufolge nicht vollständig in die Schuldentilgung fließen, sondern konnten partiell zu Investitionen ge-nutzt werden, um die wirtschaftliche Strukturschwäche zu beseitigen. Auf diesem Wege durften Bremen und das Saarland trotz laufender Haushaltssanierung von ihrem Konsoli-dierungspfad abweichen und wiederum primäre Ausgabenüberhänge anhäufen.

Diese Möglichkeit nutzte vor allem Bremen zu einem massiven Investitionsprogramm (Probst 2006: 633ff.), das entgegen der Intentionen der beteiligten Akteure keinen Beitrag zur Beseitigung der Haushaltsnotlage leisten konnte: Eine Reihe dieser Investitionsausga-ben war nicht dazu geeignet das Wirtschaftswachstum in Bremen anzukurbeln.101 Selbst wenn die Investitionen tatsächlich zu einer Steigerung der Wirtschaftsleistung führen wür-den, würde sich das nur sehr begrenzt in steigenden Steuereinnahmen niederschlagen: „Denn ein Großteil der Steuermehreinnahmen, wenn sie sich denn nach einigen Jahren einstellen und nicht außerdem von Steuerreformen des Bundes wieder aufgezehrt werden,

101 u.a. eine überdimensionierte Gewerbeflächenpolitik, sowie Investitionen in ein Musicaltheater und den Space Park (ein Freizeitzentrum zum Thema Raumfahrt). Das Musicaltheater und der Space Park mussten Insolvenz anmelden (Probst 2006: 636ff.).

Page 100: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

100 4. Niveau und Entwicklung der Haushaltsbilanzen und des Schuldenstands

werden durch Mindereinnahmen im Länderfinanzausgleich neutralisiert“ (Färber 2005: 241).102 Die Sanierungszuweisungen an Bremen und das Saarland setzten somit eindeutig Anreize für höhere Ausgaben in beiden Ländern. Ob auch die gewöhnlichen Transferzah-lungen im deutschen Finanzsystem vergleichbare Anreizwirkungen haben, wird in den Kausalanalysen des nächsten Kapitels untersucht.

Abschließend sollen die wichtigsten Ergebnisse dieses Kapitels kurz zusammengefasst werden: Die Stadtstaaten weisen eine deutlich höhere Pro-Kopf-Verschuldung sowie eine wesentlich negativere Haushaltsbilanz und primäre Haushaltsbilanz auf als die ost- und westdeutschen Flächenländer. Innerhalb der Stadtstaaten zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den hochdefizitären Städten Berlin und Bremen einerseits und Hamburg anderer-seits. Die hohen Defizite in Berlin sind auf eine verzögerte Anpassung an die Kürzungen der Bundeszuweisungen zurückzuführen sowie auf den Einmaleffekt der Krise der Bankge-sellschaft Berlin. Die Bremer Defizite resultieren vor allem aus einer finanzpolitischen Strategie, die auf eine massive Ausdehnung der Investitionsausgaben setzt, um das Wirt-schaftswachstum anzukurbeln.

Obwohl die ostdeutschen Länder bei ihrer Gründung im Jahr 1990 praktisch schulden-frei waren, weisen sie aufgrund hoher Defizite in den neunziger Jahren seit 1999 eine höhe-re Pro-Kopf-Verschuldung auf als die westdeutschen Flächenländer. Innerhalb der ostdeut-schen Länder gibt es eine große Diskrepanz zwischen Sachsen und den vier übrigen Län-dern. Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind je-weils pro Einwohner mehr als doppelt so hoch verschuldet wie Sachsen. Allerdings konn-ten alle ostdeutschen Länder im Untersuchungszeitraum deutliche Fortschritte in der Kon-solidierung ihrer Haushalte erzielen.

102 Im Vergleich zu Bremen vollzog Saarland eine weniger expansive Ausgabenpolitik, wobei sich eine Koinzi-denz mit der ideologischen Orientierung der Landesregierung ergibt, die konträr zur Hypothese H4 steht (vgl. Abschnitt 3.2.1.). Unter der SPD-Regierung betrug der primäre Ausgabenüberhang in den Jahren 1994 bis zum Machtwechsel 1999 im Maximum 4,7 %, danach stieg er unter der CDU-Regierung kontinuierlich auf 15,1 % (2003), Färber spricht in diesem Zusammenhang vom Verschenken bereits erreichter Konsolidierungserfolge (Färber 2005: 245). Dagegen kann eingewendet werden, dass der Anstieg der Primärausgaben unter der CDU-Regierung auf die extrem schwierige Situation aller öffentliche Haushalte zu dieser Zeit zurückzuführen sei und nicht auf die Ausgabenpolitik der Regierung. In den Jahren nach 2003 zeigen sich jedoch erneut vergleichsweise geringe Konsolidierungsanstrengungen des Saarlandes unter der CDU-Regierung: Das Land führte seine Primär-ausgabenquote von 115,1 (2003) auf 109,5 (2006) zurück. Einen vergleichbaren Wert erreichte auch Bremen im Jahr 2006 (108,9), allerdings hatte Bremen 2003 noch bei 127,6 gelegen. Berlin hingegen teilte mit dem Saarland fast den Ausgangswert im Jahr 2003 (115,3) und erreichte 2006 einen Wert von 97,9!

Page 101: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 101

5 Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi werden in diesem Kapi-tel in bivariaten (5.2) und trivariaten (5.3) Analysen untersucht. Die Ergebnisse der Analy-sen werden in einer ausführlichen Zusammenfassung (5.4.) gerafft dargestellt. Zunächst werden jedoch zu Beginn des Abschnittes mögliche Probleme diskutiert, die sich aus der geringen Fallzahl von 16 Ländern ergeben können (5.1.). 5.1 Methodische Vorüberlegungen Bei nur sechzehn Bundesländern zeigt sich das aus der ländervergleichenden Forschung bekannte Problem „weniger Fälle, vieler potenzielle Erklärungsfaktoren“ (Lijphart 1971) in einer verschärften Form. Ein populärer Ausweg aus diesem Dilemma ist die Verwendung einer gepoolen Zeitreihenanalyse (pooled times series cross-section analysis), bei der Beo-bachtungspunkte als Fälle in die Analyse eingehen. Diese Beobachtungspunkte sind als Querschnittseinheiten N multipliziert mit den Zeitpunkten t definiert; in dieser Studie wä-ren es also 192 Beobachtungspunkte (16 Länder multipliziert mit 12 Jahren). Diese künstli-che Erhöhung der Beobachtungseinheiten ermöglicht es zwar mehrere unabhängige Variab-len in einer Analyse zu berücksichtigen, zugleich zieht sie jedoch massive Probleme nach sich.

Zunächst gilt es zu fragen, wie diese Erhöhung der Beobachtungsfälle begründet wer-den kann. Wilson und Butler (2007: 108) zufolge ist sie nur dann legitim, wenn die unter-suchten Variablen innerhalb der Länder über die Zeit in einem Ausmaß variieren, bei dem man von einer wiederholten Beobachtung sprechen kann und nicht von einer Vervielfa-chung identischer Beobachtungen. Bezüglich der letzteren Strategie fragen Wilson und Butler (2007: 108) sarkastisch, warum man sich denn mit jährlichen Beobachtungszeit-punkten zufrieden geben sollte, wenn auch monatliche Daten vorhanden wären (in unserem Fall 16 Länder x 144 Monate = 2304 Beobachtungspunkte) mit der Folge, dass „surely all our estimates would be statistically significant“ (Wilson/Butler 2007: 108).

Unabhängig von dem Ausmaß, in dem die Variablen tatsächlich zeitlich variieren (in-sofern sie nicht vollständig konstant sind), benötigt die mit der pooled-time series einher-gehende Veränderung des statistischen Modells eine Respezifizierung des theoretischen Modells: Neben der Variation im Querschnitt muss auch die Variation im Längsschnitt theoretisch konzeptualisiert werden, da nicht a priori davon ausgegangen werden kann, dass in beiden Dimensionen die gleichen Kausalfaktoren wirksam sind. Eine derartige Verände-rung der Fragestellung würde jedoch dem Erkenntnisinteresse dieser Studie nicht entspre-chen, welches ausschließlich auf die Variation zwischen den Ländern zielt: „As a matter of fact, it should be self-evident that a hypothesis relating to cross-country differences should be analyzed in a cross-country research design […]. This truism seems to have been buried by the fancy of panel designs […]” (Kittel 2004: 6).

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102 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Methodische Probleme ergeben sich des Weiteren daraus, dass die N*T Beobach-tungspunkte nicht unabhängig voneinander sind, weil eine zeitliche Abhängigkeit zwischen aufeinanderfolgenden Beobachtungspunkten innerhalb eines Landes besteht. Diese Abhän-gigkeit verletzt die Annahmen der Regressionsanalyse und führt zu Verzerrungen der Ana-lyseergebnisse (Kittel 2005). Diese Verzerrungen der Regressionsanalyse können prinzi-piell identifiziert und korrigiert werden, die Korrekturverfahren können ihrerseits jedoch wieder Schwierigkeiten bereiten, wie sich am Problem der Nichtstationarität aufzeigen lässt: Zur Interpretation der Koeffizienten und ihrer Standardfehler ist es unerlässlich, dass Mittelwert und Varianz der länderspezifischen Zeitreihen konstant und endlich, und das heißt stationär sind (Kittel 2005: 106). Die Notwendigkeit dieser Voraussetzung wird an-hand des Beispiels trendbehafteter Zeitreihen – d.h. Zeitreihen, die keinen konstanten Mit-telwert aufweisen – deutlich:

„Alle Variablen, die im Zeitverlauf ansteigen, werden allein aus dieser Tatsache heraus positiv korrelieren. Dasselbe gilt für gemeinsames Absinken, während steigende und sinkende Variab-len negativ korrelieren. Das Problem ist also, dass Zusammenhänge geortet werden, die Artefak-te einer ähnlichen Tendenz in den beiden Variablen sind.“ (Kittel 2005: 106).

Daher muss vor der Analyse von gepoolten Daten eine mögliche Nichtstationarität beseitigt werden,103 das gilt auch im Fall dieser Studie, bei der für beide abhängigen Variablen die Nullhypothese der Nichtstationarität mit gängigen Tests durchgängig nicht zurückgewiesen werden konnte.104 Das gängige Korrekturverfahren zur Beseitigung der Nichtstationarität besteht darin, die Niveauwerte xt durch die Differenzen zu ersetzen (xt - xt-1) (Kittel 2005: 106). In diesem Fall würden allerdings nicht mehr die langfristigen Niveauunterschiede zwischen den Ländern analysiert, sondern kurzfristige Anpassungsprozesse im Zeitverlauf. Und das entspricht keinesfalls dem Erkenntnisinteresse dieser Studie!

Abschließend kann somit festgehalten werden, dass für die Fragestellung dieser Studie die versuchten Problemlösungen der gepoolten Zeitreihenanalyse mehr Schwierigkeiten aufwerfen würden als die Verwendung eines konventionelleren Untersuchungsdesigns. Daher besteht keine Alternative zu einer multiplen Regression mit Durchschnittswerten. Die Probleme, die sich aus der geringen Fallzahl ergeben können sowie der Umgang mit diesen Problemen werden im Folgenden skizziert.

Zunächst einmal können aufgrund der geringen Freiheitsgrade nur zwei unabhängige Variablen in ein Erklärungsmodell aufgenommen werden. Es ist also nur ein paarweiser Vergleich der Erklärungsfaktoren möglich. Darüber hinaus kann sich eine Regressionsana-lyse mit einer derartig geringen Fallzahl, (1) Problemen mit Ausreißern gegenüber sehen, die die Schätzung übermäßig beeinflussen, sowie (2) Problemen mit einer hohen Kollinea-rität, einer starken linearen Abhängigkeit zwischen den unabhängigen Variablen (Ur-

103 Auf die Alternativen eines Fehlerkorrektur- oder eine Kointegrationsmodells wird hier nicht näher eingegan-gen, da beide Modelle die Frage nach langfristigen Gleichgewichten im Zeitverlauf stellen. Sie fokussieren somit auf die Zeitdimension, der wie bereits ausgeführt, nicht das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit gilt. Obendrein wären diese Modelle mit gerade einmal zwölf Zeitpunkten nicht anwendbar. 104 Es wurden die gebräuchlichen Panel-Einheitswurzeltest Levin-Lin-Chu (2002), Im-Pesaran-Shin (2003), Brei-tung (2000) und Choi Z-Statistik unter Verwendung des adf-Tests (Choi 2001) verwendet – sowohl in der Spezifi-kation nur mit einer Konstante als auch mit einer Konstante und einem deterministischen Zeittrend in der Testglei-chung.

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 103

ban/Mayerl 2006: 227).105 Das Problem der Kollinearität wird zu Beginn der trivariaten Regressionen näher beleuchtet (Abschnitt 5.3.). Da die Ausreißerproblematik auch die bivariaten Analysen betrifft, wird sie bereits an dieser Stelle behandelt.

Bei der Kontrolle von Ausreißern ist zwischen univariaten Ausreißern sowie (bi- und multivariaten) Regressionsausreißern zu differenzieren (Fox 1991: 21). Ein univariater Ausreißer ist ein Wert einer (abhängigen oder unabhängigen) Variablen, der angesichts der übrigen Verteilung ungewöhnlich ist. Für Saldi und Primärsaldi sind Berlin und Bremen eindeutig univariate Ausreißer. Als Regressionsausreißer hingegen wird ein Wert der ab-hängigen Variable bezeichnet, der angesichts des Wertes der unabhängigen Variable (bzw. der Werte der unabhängigen Variablen) ungewöhnlich ist. Es hängt also von der Verteilung der unabhängigen Variablen ab, ob univariate Ausreißerwerte der abhängigen Variable zugleich auch Regressionsausreißer sind. Für diese Studie bedeutet das, dass Berlin und Bremen keineswegs a priori aus der Analyse ausgeschlossen werden dürfen. In jedem Fall muss aber ein Diagnoseverfahren für Regressionsausreißer verwendet werden. Die Regres-sionsausreißer werden in dieser Studie einer geläufigen Konvention zufolge als Fälle defi-niert, deren standardisierte Residuen um mehr als 2 Standardabweichungen vom Mittelwert abweichen (Urban/Mayerl 2006: 185). In den folgenden Analysen werden diese Ausreißer-fälle dokumentiert. Um das Ausmaß Ihres Einfluss auf die Analysen aufzuzeigen, werden die Regressionen sowohl mit als auch ohne diese Ausreißer durchgeführt.

Ein letztes methodisches Problem schließlich ergibt sich nicht aus der geringen Fall-zahl, sondern aus möglichen Unterschieden zwischen den ost- und westdeutschen Ländern, die sich aus dem fortdauernden Transitionsprozess in Ostdeutschland ergeben könnten. Um diese potenziellen Effekte zu erfassen, wird ergänzend zu der Integration einer Dummy-Variable für die ostdeutschen Ländern in der Regressionsanalyse, eine Partialkorrelation für alle übrigen unabhängigen Variablen unter Kontrolle dieser Dummyvariable ausgewiesen.

Mithilfe dieser Partialkorrelation kann beispielsweise der Effekt des nachholenden Wirtschaftswachstums in den ostdeutschen Bundesländern zu Beginn der Untersuchungspe-riode kontrolliert werden. Der theoretisch postulierte Effekt sinkender Defizite aufgrund steigenden Wirtschaftswachstums könnte andernfalls von der besonderen Situation in Ost-deutschland überlagert werden, in der vorübergehend hohe Defizite mit einem hohen Wirt-schaftswachstums auftraten. Des Weiteren können verzerrende Effekte aufgrund der Haus-haltskonsolidierung in Ostdeutschland während der beiden letzten Subperioden auftreten. Die Effekte könnten vor allem die Wirkung der Arbeitslosigkeit und des Transfersaldos betreffen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in den ostdeutschen Ländern und ihrer ho-hen Transferabhängigkeit sind diese beiden Variablen hoch mit dem Ost-West-Dummy korreliert.106

Somit werden die Effekte der verschiedenen Kausalfaktoren zunächst in drei unter-schiedlichen Modellspezifikationen getestet: Bivariate Regression unter allen Ländern sowie unter Ausschluss von Ausreißern, sowie eine Partialkorrelation unter Kontrolle des Ost-West-Gegensatzes. Durch die Vielfalt der Spezifikationen kann die Stabilität der empi- 105 „Eine Kollinearität zwischen X-Variablen ist dann gegeben, wenn eine X-Variable als lineare Funktion von einer anderen X-Variablen bestimmbar ist. Ist eine unabhängige Variable als lineare Funktion von mehreren anderen X-Variablen bestimmbar, ist eine Multikollinearität zwischen diesen Variablen gegeben“ (Urban/Mayerl 2006: 225). Da in dieser Arbeit nur Modelle mit zwei unabhängigen Variablen analysiert werden, kann allein Kollinearität vorliegen. 106 Die Korrelation des Ost-West-Dummies beträgt mit dem Transfersaldo r = -,76*** und mit der Arbeitslosenquo-te r = -,87*** (vgl. Tabelle 5-4, weiter unten).

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104 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

rischen Ergebnisse vergleichend betrachtet werden, dies ist angesichts der bereits erörterten Probleme bei niedriger Fallzahl ebenso sinnvoll wie notwendig. Durch die Vielfalt der Spezifikationen werden notwendigerweise sehr viele empirische Einzelinformationen gene-riert. Die wichtigsten Ergebnisse werden in der Zusammenfassung dieses Kapitels (vgl. Abschnitt 5.4.) und im Fazit (vgl. Abschnitt 8) gebündelt präsentiert. 5.2 Bivariate Analysen In Tabelle 5-1 werden die Determinanten der Haushaltssaldi mithilfe von bivariaten Reg-ressionen und Partialkorrelationen untersucht. Ergänzend zu den unstandardisierten und standardisierten Koeffizienten werden bei den Regressionen auch die Standardfehler aus-gewiesen (als geklammerter Wert in der zweiten Zeile).

Bei den bivariaten Analysen fällt auf, dass in allen Modellen Ausreißer auftreten (vgl. Spalte „out“ in Tabelle 5.1.): In der Mehrzahl der Fälle nur einer oder zwei, bei der ideolo-gischen Orientierung drei, und bei der Wirkung der Arbeitslosigkeit werden sukzessive gar fünf Ausreißer identifiziert. Im letzteren Fall ist das Ergebnis als Artefakt der Fallreduzie-rung zu betrachten. Umgekehrt gilt, je geringer die Anzahl der identifizierten Ausreißer ist und je ähnlicher die Ergebnisse vor und nach dem Ausschluss von Ausreißern sind, desto allgemeingültiger ist ein Zusammenhang.

Hinsichtlich der Präferenzen der Regierungsakteure ist festzustellen, dass im Einklang mit den theoretischen Erwartungen der Haushaltssaldo eines Landes umso negativer ist, je größer die synchrone und diachrone Machtverteilung ist und je linker eine Landesregierung ist. Mit Abstand am stärksten und auf einprozentigem Niveau signifikant ist der Effekt der synchronen Machtverteilung. Er gewinnt noch etwas an Stärke, wenn das hoch defizitäre Saarland, das in der Untersuchungsperiode durchgängig von Einparteienregierungen ge-führt wurde, aus der Analyse ausgeschlossen wird. Die Wirkung der synchronen Machtver-teilung bleibt auch bei der Partialkorrelation stark und hoch signifikant. Die Effekte der diachronen Machtverteilung und der ideologischen Orientierung hingegen sind schwach und insignifikant bei der Regression mit allen Fällen und der Partialkorrelation. Erst nach Ausschluss von zwei bzw. drei Ausreißern erreichen die Effekte das fünfprozentige Signi-fikanzniveau.

Auch die Effekte der analysierten Restriktionen weisen in die theoretisch postulierte Richtung: Je höher die Transfereinnahmen, die Arbeitslosenquote und die Zinsausgaben in einem Land sind, desto negativer ist der Haushaltssaldo. Ein höheres Wirtschaftswachstum geht mit positiveren Salden einher. Stadtstaaten weisen deutlich höhere Defizite auf als Flächenländer, wie ja im vorangegangenen Abschnitt bereits deutlich wurde. Dieses Ergeb-nis wird allerdings dadurch in seiner Bedeutung massiv eingeschränkt, dass Hamburg als Ausreißer identifiziert wird, da es deutlich niedrige Defizite aufweist als durch die Regres-sion geschätzt: Somit erfasst die Stadtstaatenvariable nicht primär die gemeinsamen Prob-leme aller drei Stadtstaaten, sondern vor allem die Besonderheiten der beiden Ausreißer Berlin und Bremen. Das negative Vorzeichen des situationsspezifischen Faktors zeigt an, dass die Defizite der ostdeutschen Länder unterhalb des Durchschnitts aller Länder lagen. Nach Ausschluss der beiden Ausreißer Berlin und Bremen dreht sich das Vorzeichen.107 107 Im Gegensatz zu den deskriptiven Statistiken, in denen zwischen östlichen und westlichen Flächenländern sowie Stadtstaaten differenziert wurde, wird bei der Konstruktion der Ost-West-Variable auf die Trennung von

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 105

Tabelle 5-1: Determinanten der Pro-Kopf-Saldi 1995-2006 (Bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- N=16 ohne Ausreißer korrelation

B (SE) beta

Sig out B (SE) beta

Sig N

Präferenzen

Synchrone Machtverteilung -1055,90 (251,25)

-,75

*** SL -1246,97 (218,46)

-,84

*** 15 -,80***

Diachrone Machtverteilung1

-233,53 (417,82)

-,15

HB BE

-420,18 (168,34)

-,58

** 14 -,14

Ideologische Orientierung1

-80,12 (77,21)

-,27

HB BE SL

-61,39 (27,19)

-,56

** 13 -,27

Restriktionen

Transfersaldo1

-,23 (,10) -,52

** HB BE

-,07 (,06) -,35

14 -,91***

Arbeitslosenquote1

-27,10 (19,51)

-,35

HB BE SL SN HH

-21,37 (3,74)

-,88

*** 11 -,87***

Wirtschaftswachstum 289,48 (121,23)

,54

** HB 251,51 (67,50)

,72

*** 15 ,54**

Zinszahlungen

-1,99 (,21) -,93

*** HH -2,19 (,16) -,97

*** 15 -,95***

Stadtstaaten-Dummy -697,26 (151,94)

-,77

*** HH -947,64 (135,15)

-,89

*** 15 -,78***

Situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1

-61,70

(204,88) -,08

HB BE

46,92 (94,41)

,14

14 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind).

Stadtstaaten und Flächenländern verzichtet. Somit ergeben sich die Mittelwerte für die fünf ostdeutschen Länder (Wert: null) von -360 €, für die zehn westdeutschen Länder inklusive Bremens und Hamburgs (Wert: eins) von -430 € sowie für den Sonderfall Berlin (Wert: 0,63) von -1043€. Aus dieser Verteilung resultiert ein negatives Vorzeichen in der Regressionsanalyse. Nach Ausschluss der Regressionsausreißer Berlin und Bremen sieht die Verteilung folgendermaßen aus: Die fünf ostdeutschen Länder (Wert: null), weisen weiterhin einen Mittelwert von -360€ auf, die neun westdeutschen Länder – mit Hamburg aber ohne Bremen – erreichen einen Wert von -313€. In der Regressionsanalyse schlägt sich diese Verteilung in einem positivem Vorzeichen nieder.

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106 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Am Ende des vorangegangen Abschnitts wurde die Vermutung aufgestellt, dass die Effekte der Arbeitslosigkeit und des Transfersaldos durch die Haushaltskonsolidierung in Ost-deutschland verdeckt werden könnten. Diese Vermutung wird eindrucksvoll bestätigt: In der Partialkorrelation weisen beide Variablen einen Zusammenhang von etwa 0,9 auf, wäh-rend die Regressionsanalysen weniger eindeutig sind – beziehungsweise im Falle der Ar-beitslosigkeit so instabil sind, dass fünf Ausreißer identifiziert werden.

Die Zinszahlungen hingegen erzielen sowohl in der Regression als auch in der Partial-korrelation einen extrem hohen Effekt auf die Haushaltssaldi. Die Zinszahlungen binden allein 86 % der Varianz der Haushaltssaldi, nach Ausschluss des Ausreißers Hamburg gar 93 %! Inhaltlich bedeutet das, dass die gegenwärtigen Defizite ganz überwiegend von den Folgen der Verschuldung in der Vergangenheit determiniert werden. Für die nachfolgenden Analysen werden daher ausschließlich die Primärsaldi verwendet, die ja schon bei der Vari-ablenkonstruktion um die Zinsausgaben korrigiert wurden. Das ist notwendig, weil die untersuchten Kausalfaktoren auf die gegenwärtige Finanzpolitik wirken, die dominanten Lasten der Vergangenheit würden ohne Ausschluss der Zinsausgaben ihre Wirkung verde-cken. Technisch drückt sich dieser Sachverhalt darin aus, dass nach der Integration der Zinszahlungen in eine multiple Regression so gut keine wie Varianz übrig bleiben würde, die noch von anderen Variablen erklärt werden könnte.

Im nächsten Schritt gilt es zu überprüfen, ob die Effekte der Prädiktoren auf die Pri-märsaldi ähnlich ausfallen (vgl. Tabelle 5-2). Alle Zusammenhänge weisen wiederum in die theoretisch postulierte Richtung. Unter den drei Variablen, von denen postuliert wird, dass sie Einflüsse auf die Präferenzen der Regierungsakteure erfassen, übt wie bei den Haus-haltssaldi auch die synchrone Machtverteilung den stärksten Einfluss auf die abhängige Variable aus. In der Regressionsanalyse muss kein Ausreißer ausgeschlossen werden: Ihr Ergebnis ist wie das der Partialkorrelation auch signifikant auf dem einprozentigen Niveau. Schwach bis relativ schwach und durchgängig insignifikant sind hingegen die Effekte der diachronen Machtverteilung und der ideologischen Orientierung.

Bei den Restriktionen fällt auf, dass die Ergebnisse von Regression und Partialkorrela-tion für das Transfersaldo weniger stark auseinanderklaffen, als dass das zuvor bei den Haushaltssaldi der Fall war. Für die Arbeitslosenquote ergibt sich ein eindeutiges Ergebnis bei der Partialkorrelation, die Regressionsschätzung bleibt hingegen so instabil, dass suk-zessive immerhin noch vier Ausreißer ausgeschlossen werden. Die Effekte des Wirt-schaftswachstums und der Stadtstaaten-Variable auf die Primärsaldi ähneln weitgehend denen ihrer Wirkungen auf die Saldi. Bei der Stadtstaaten-Variable wird wiederum Ham-burg als Ausreißer identifiziert.

Die Irrelevanz der Ost-West-Unterscheidung zeigt das Ergebnis deutlich auf, der stan-dardisierte Regressionskoeffizient beträgt unter allen sechzehn Ländern nahezu null. Das Ergebnis ist allerdings so instabil, dass sukzessive fünf Ausreißer identifiziert werden: Neben Berlin werden drei hochdefizitäre Westländer ausgeschlossen (Bremen, Hamburg, Saarland) sowie Sachsen, ein ostdeutsches Land, das die beste Primärbilanz aller Länder aufweist. In der solchermaßen zurechtgeschnittenen Gruppe von 11 Ländern weisen die neuen Länder eine deutlich negativere Primärbilanz auf, für die Gesamtgruppe ist ein derar-tig erzieltes Ergebnis allerdings bedeutungslos.

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 107

Tabelle 5-2: Determinanten der Pro-Kopf-Primärsaldi 1995-2006 (Bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- N=16 Ohne Ausreißer korrelation

B (SE) beta

Sig out B (SE) beta

Sig N

Präferenzen

Synchrone Machtvertei-lung

-724,72 (147,61)

-,79

*** - -724,72 (147,61)

-,79

*** 16 -,82***

Diachrone Machtverteilung1

-92,81 (271,15)

-,09

HB BE

-155,45 (95,57)

-,42

14 -,09

Ideologische Orientierung1

-36,58 (50,71)

-,19

HB BE

-11,54 (18,74)

-,17

14 -,19

Restriktionen

Transfersaldo1

-,17 (,06) -,58

** HB BE SN

-,09 (,02) -,83

*** 13 -,88***

Arbeitslosenquote1

-20,42 (12,25)

-,41

HB BE SN SL

-13,57 (2,37)

-,88

*** 12 -,81***

Wirtschaftswachstum 184,83 (78,43)

,53

** HB 161,74 (49,63)

,67

*** 15 ,56**

Stadtstaaten-Dummy -443,29 (99,89)

-,76

*** HH -643,69 (66,47)

-,94

*** 15 -,79***

Situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1

8,58 (132,46)

,02

HB BE SN SL HH

146,70 (18,12)

,94

*** 11 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind). Dieses Ergebnis unterstützt die Vermutung, dass im Untersuchungszeitraum die spezifi-schen Belastungen der ostdeutschen Länder durch die umfangreichen Transfers hinreichend kompensiert werden. Neben der Ost-West-Unterscheidung erweisen sich auch die ideologi-

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108 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

sche Orientierung der Regierungen und die diachrone Machtverteilung in diesen Analysen als kaum oder nicht erklärungskräftig. Klammert man den Unterschied zwischen Stadtstaa-ten und Flächenländern aufgrund des Ausreißers Hamburg aus, ergeben sich für alle übri-gen Hypothesen mehr oder minder starke empirische Evidenzen.

Im nächsten Schritt gilt es zu überprüfen, ob die Kausalfaktoren eine konstante Wir-kung im Untersuchungszeitraum entfalten. Dazu werden die bivariaten Analysen in allen vier Subperioden durchgeführt. Aus Platzgründen werden die Detailergebnisse nur im An-hang berichtet (vgl. Tabellen A-5-1, A-5-4, A-5-7, A-5-10). In Tabelle 5-3 werden die Resultate komprimiert dargestellt. In dieser Tabelle werden für die drei Modellspezifikatio-nen in der Gesamtperiode und in den vier Subperioden die Signifikanzniveaus der einzel-nen unabhängigen Variablen wiedergegeben. Sollten die Zusammenhänge in einzelnen Subperioden anders als im Gesamtzeitraum nicht in die theoretisch postulierte Richtung weisen, so wird das im Folgenden berichtet. In der Darstellung fehlt die diachrone Macht-verteilung, da der verwendete Indikator nicht auf die einzelne Subperioden aufgeteilt wer-den kann.108 Schließlich gilt es darauf hinzuweisen, dass in den Analysen, in denen keine Ausreißer identifiziert wurden, die Ergebnisse für R 16 (Regression mit allen 16 Ländern) und RoA (Regression ohne Ausreißer) identisch sind. Tabelle 5-3: Determinanten der Primärdefizite. Zusammenfassung der bivariaten

Regressionen und Partialkorrelationen in den vier Subperioden 1995-2006 1995-1997 1998-2000 2001-2003 2004-2006 R

16 R

oA P

16 R

16 R

oA P

16 R

16 R

oA P

16 R

16 R

oA P

16 R

16 R

oA P

16 SM

IO

TR

AB

WW

ST

OW n n n n n

Synchrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosenquote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. R 16 bivariate Regression mit allen 16 Ländern (OLS-Schätzung); RoA bivariate Regression ohne Ausreißer (OLS-Schätzung); P16 Partialkorrelation unter Kontrolle des Ost-West-Dummies mit allen sechzehn Ländern; n nicht anwendbar; p < 0,01 _____; p < 0,05 _____; p < 0,10 _____ Auf den ersten Blick erkennt man, dass die Regressionsanalysen in den ersten beiden Sub-perioden ähnliche und weitgehend signifikante Ergebnisse erbringen, in den Jahren 2001 bis 2003 schon deutlich an Erklärungskraft verlieren und schließlich in der letzten Subperi-ode kaum noch Determinanten der Primärsaldi benennen können. Parallel dazu klaffen die Resultate der Partialkorrelation und der Regressionen in der vorletzten und vor allem der letzten Subperiode auseinander.

108 Die diachrone Machtverteilung erfasst die Machtverteilung im Zeitverlauf. Drei Jahre – die Länge der Subperi-oden – sind eine zu kurze Spanne, um den Zeitverlauf sinnvoll zu unterteilen.

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 109

Betrachtet man nun die einzelnen Variablen wiederum getrennt nach Präferenzen und Restriktionen, so zeigen sich für die synchrone Machtverteilung in den ersten drei Subperi-oden durchgängig starke und signifikante Ergebnisse, die sich in der letzten Subperiode deutlich reduzieren. Die Abschwächung des Effektes in der letzten Periode liegt auch in der Konsolidierung der neuen Länder sowie Berlins begründet, wie der partielle Korrelations-koeffizient belegt. Die gewichtete Anzahl der Regierungsparteien liegt in den ostdeutschen Ländern im Durchschnitt mit 1,37 Parteien leicht oberhalb des Durchschnitts der elf übri-gen Länder (1,24).

Die ideologische Orientierung weist hingegen in allen vier Subperioden wie im Ge-samtzeitraum durchgängig schwache und insignifikante Zusammenhänge auf. Obendrein wechselt die Richtung des Zusammenhangs im Zeitverlauf, so entstehen entgegen der Hypothese unter bürgerlichen Regierungen in den Jahren 1995 bis 1997 höhere Primärdefi-zite als unter linken Regierungen.109 Insgesamt ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für eine ideologische Beeinflussung der Primärdefizite.

Unter den Restriktionen zeigt sich bei dem Transfersaldo und der Arbeitslosigkeit der bereits erwähnte Effekt einer Überlagerung der Wirkung durch die fiskalische Konsolidie-rung der ostdeutschen Länder. In der dritten und vierten Subperiode erzielen beide Variab-len daher allein in der Partialkorrelation signifikante Ergebnisse. In der vierten Periode ist der Effekt der finanziellen Erholung Ostdeutschlands so stark, dass sich in den Regressio-nen die Vorzeichen verkehren: Höhere Transfereinnahmen und höhere Arbeitslosenquoten gehen mit einer leicht positiveren Primärbilanz einher!110 Dieses Artefakt weist daraufhin, dass die Anwendung der Regressionsanalyse in den Jahren 2004 bis 2006 erhebliche Prob-leme bereitet.

Die fiskalische Erholung Ostdeutschlands spiegelt sich auch im Vorzeichen der Ost-West-Variable: In den ersten beiden Perioden weisen die ostdeutschen Länder eine negati-vere Primärbilanz auf als die westdeutschen Länder, in den Jahren 2001 bis 2003 dreht sich das Vorzeichen, und in der vierten Periode schließlich ist die Primärbilanz in den ostdeut-schen Ländern sogar signifikant positiver als in den westdeutschen Ländern. Ironischerwei-se ist das der stärkste und auch nach Ausschluss von zwei Ausreißern (Bremen und Saar-land) stabilste Zusammenhang in den Regressionsanalysen dieser Periode. Die Ost-West-Variable wurde ja als reine Kontrollvariable aufgenommen, um die finanziellen Probleme Ostdeutschlands zu erfassen. Dieses Ergebnis verdeutlicht nochmals, dass die Regressions-ergebnisse in der letzten Subperiode nur sehr begrenzt aussagekräftig sind.

Eine Beeinflussung der Regressionsanalysen durch die spezifische Situation Ost-deutschlands wurde in Abschnitt 5.1. auch für den Zusammenhang zwischen Wirtschafts-wachstum und den Defiziten vermutet: Gerade in den ersten Jahren des Untersuchungszeit-raums ist transitionsbedingt noch von einem höheren Wachstum in den ostdeutschen Län-dern auszugehen. Zugleich wiesen die ostdeutschen Länder zur selben Zeit hohe Defizite

109 Ein Vorzeichenwechsel ergibt sich auch in der Periode 2001 bis 2003 in der Regression, nachdem die Ausreißer Bremen, Berlin und Sachsen ausgeschlossen wurden. Der Richtungswechsel entstand durch den Ausschluss eines Landes mit hohen Defiziten unter linker Hegemonie (Berlin) und eines Landes mit einer positiven Primärbilanz unter bürgerlicher Hegemonie (Sachsen); Das Ergebnis Bremens übt keinen Einfluss auf die Richtung des Zu-sammenhangs aus, weil es von einer großen Koalition regiert wurde. Die Anfälligkeit der Schätzergebnisse für Ausreißer zeigt erneut den schmalen Effekt der Parteipolitischen Zusammensetzung. 110 Dieser Effekt rührt – wie bereits erläutert daher –, dass die ostdeutschen Länder im Vergleich zum Länder-durchschnitt in der letzten Subperiode sowohl eine positivere Primärbilanz aufweisen, als auch eine höhere Ar-beitslosenquote und höhere Transfereinnahmen.

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110 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

auf. Daher besteht die Gefahr, dass diese besondere Konstellation den theoretisch postulier-ten Zusammenhang von hohen Wachstumsraten und niedrigen Defiziten überlagert. Tabelle 5-4: Mittelwertvergleich des Wirtschaftswachstums nach Ländergruppen

Östliche Länder (N=5)

Westliche Länder (N=8)

Stadtstaaten (N=3)

1992-1994 12,0 0,2 0,9 1995-1997 3,7 1,3 0,6 1998-2000 1,8 2,6 1,2 2001-2003 0,7 0,1 -0,1 2004-2006 1,2 1,7 0,8 Ø 1995-2006 1,8 1,4 0,6

Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Arbeitskreises Volkswirtschaftliche Gesamt-rechnung der Länder Aus Tabelle 5-4 geht hervor, dass das nachholende Wachstum vor allem vor Beginn der Untersuchungsperiode stattfand, in der ersten Subperiode schwächte sich das Wachstum in den neuen Ländern schon stark ab, lag aber noch deutlich über dem der übrigen Länder. Ausweislich dieser Daten ist ein verzerrender Effekt in der ersten Untersuchungsperiode zu erwarten.

In diesen Jahren tritt der Effekt auch tatsächlich auf (vgl. Tabelle A-5-1): Der Regres-sionsanalyse zufolge kann bei einem Prozent zusätzlichen Wirtschaftswachstums eine Ver-besserung der Primärbilanz um 4,21 Euro erwartet werden – ausweislich des standardisier-ten Regressionskoeffizienten (beta = ,02) ist ein Effekt nahezu nicht vorhanden. Schließt man sukzessive die drei Ausreißer Bremen, Berlin und Hamburg aus, schlägt die besondere Situation in Ostdeutschland voll durch. Die Kausalrichtung dreht sich, der Effekt wird sehr stark und hoch signifikant, bei einem Prozent zusätzlichen Wachstums wird nun eine Ver-schlechterung des Primärdefizits um -124,85 Euro pro Einwohner erwartet (beta= -,88***). Kontrolliert man die Differenzen zwischen den ostdeutschen Ländern und den übrigen Ländern mithilfe der Partialkorrelation, zeigt sich ein starker Zusammenhang, der nun wie-der in die theoretisch postulierte positive Richtung weist (rxy.z = ,69***). Diese Anomalie tritt allein in der ersten Subperiode auf, in den drei folgenden Perioden ist der Effekt durch-gängig positiv. Er schwächt sich allerdings ab und wird in der letzten Subperiode nicht mehr signifikant.

Eine enorme Abschwächung in den Jahren 2004 bis 2006 erfährt auch der Effekt des Unterschieds zwischen Stadtstaaten und Flächenländern. In den ersten drei Subperioden ist er durchgängig stark und hoch signifikant. Von besonderem Interesse ist hier, ob wie in der Gesamtperiode einer der Stadtstaaten als Ausreißer erfasst wird. Das würde darauf hindeu-ten, dass die Stadtstaaten-Variable nicht hinreichend einen systematischen Effekt aller drei Stadtstaaten erfasst, sondern nur die besondere Situation einzelner Stadtstaaten. In diesem Sinne kann von einem systematischen Effekt aller drei Stadtstaaten nur für die Jahre von 1995 bis 1997 gesprochen werden, in den beiden folgenden Subperioden wird wie in der Gesamtperiode auch Hamburg als Ausreißer identifiziert, in der letzten Subperiode hinge-gen Bremen! In diesen Jahren ist der Konsolidierungsprozess in Berlin schon so weit vor-geschritten, dass Berlin (-185€ Primärbilanz pro Einwohner) wesentlich mehr Hamburg

Page 111: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 111

ähnelt (+40€) als Bremen (-855€).111 Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass mit einer gewis-sen Ausnahme für die Jahre 1995 bis 1997 nicht von den finanziellen Problemen der Stadt-staaten gesprochen werden kann. Stattdessen ist eine differenzierte Betrachtung der drei Fälle erforderlich.

Insgesamt können in den ersten drei Subperioden eine Reihe von Determinanten der Primärsaldi identifiziert werden, während sich die Erklärungskraft in den Jahren 2004 bis 2006 deutlich abschwächt. Diese Abschwächung ist zu einem großen Teil ein Methodenar-tefakt der Regressionsanalyse aufgrund der Konsolidierung der ostdeutschen Länder. Die-ses Artefakt kann durch die Verwendung von Partialkorrelationen kontrolliert werden, deren Ergebnisse insbesondere für die Jahre 2004 bis 2006 aussagekräftiger sind. Im Ver-gleich der Partialkorrelationen über die vier Subperioden hinweg zeigt sich nur eine geringe Abschwächung der Zusammenhänge in den Jahren 2004 bis 2006. Ob es sich dabei tatsäch-lich um eine nachlassende Erklärungskraft im Zeitverlauf oder um eine vorübergehende Schwankung handelt, kann erst in späteren Analysen über einen längeren Zeitraum nach 2006 beantwortet werden.

Betrachtet man die einzelnen Erklärungsfaktoren, so wird die Hypothese zur synchro-nen Machtverteilung nochmals eindrucksvoll bestätigt. Eine Bestätigung erfährt auch das Nichtergebnis für die ideologische Orientierung und den Ost-West-Unterschied. Starke Evidenzen vor allem auf Basis der Partialkorrelationen liegen für die Wirkung des Trans-fersaldos und der Arbeitslosigkeit vor, während für den Effekt des Wirtschaftswachstums eher uneindeutige Ergebnisse vorliegen. Was den Unterschied zwischen Stadtstaaten und Flächenländern betrifft, ähneln sich die Ergebnisse in der Gesamtperiode und in den Subpe-rioden, es liegen starke Zusammenhänge vor, deren Bedeutung allerdings durch die Identi-fikation einzelner Stadtstaaten als Ausreißer gemindert wird.

In einem nächsten Schritt gilt es in der trivariaten Regression zu überprüfen, welche der identifizierten Zusammenhänge auch nach Kontrolle konkurrierender Erklärungsfakto-ren noch Bestand haben. Da für den Ost-West-Unterschied weder theoretische Überlegun-gen sprechen noch empirische Ergebnisse in den bivariaten Analysen, wird er im nächsten Schritt nicht mehr berücksichtigt.112

5.3 Trivariate Regressionen Bei der trivariaten Regression gilt es über die bereits diskutierten Probleme bei kleinen Fallzahlen hinaus auch die Gefahr einer hohen Kollinearität zwischen den beiden unabhän-gigen Variablen zu beachten, die eine Instabilität der Regressionsschätzungen nach sich ziehen kann.113 Die Gefahr der Kollinearität ist in dieser Untersuchung wie in der Makroso-zialforschung generell aus zwei Gründen recht hoch: Zum einen, wegen der niedrigen Fall-zahl, zum anderen aufgrund möglicher historischer, institutioneller, kultureller oder sozial-

111 Dementsprechend wird in den Jahren 2004 bis 2006 der Effekt des Stadtstaaten-Dummies nach Ausschluss Bremens insignifikant, da Hamburg und Berlin sich nicht mehr signifikant von den übrigen Ländern unterschei-den. 112 Suppressoreffekte (Kühnel/Krebs 2001: 481) wurden ausgeschlossen in zusätzlichen, hier nicht ausgewiesenen Analysen unter Einschluss des Ost-West-Unterschieds. 113 Diese Instabilität kann unter anderem zur Folge haben, dass die geschätzten Einflussrichtungen leicht veränder-lich sind, empirisch bedeutsame Effekte insignifikant bleiben und der standardisierte Regressionskoeffizient größer als +/- 1,0 wird (Urban/Mayerl 2006: 229).

Page 112: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

112 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

ökonomischer Kontextfaktoren, die Einfluss auf mehrere unabhängige Variablen nehmen (Urban/Mayerl 2006: 227).

In der Literatur finden sich unterschiedliche Aussagen darüber, ab welchem Ausmaß die Kollinearität Probleme aufwirft. Urban und Mayerl (2006: 230) zufolge sollten zwei unabhängige Variablen, die untereinander mit mehr als r = 0,5 korrelieren, nicht mehr in einem Regressionsmodell integriert werden. Tabachnik und Fidell (2000: 84) hingegen ziehen diese Grenze bei r = 0,7. Diese Studie orientiert sich an beiden Faustregeln: Bei einer Korrelation der unabhängigen Variablen von mehr als r = 0,7 wird keine Regression mehr berechnet. Liegt die Korrelation zwischen 0,5 zwischen 0,7 wird das Regressionsmo-dell in der Darstellung farblich hervorgehoben, um auf mögliche Probleme durch die Kolli-nearität hinzuweisen. Tabelle 5-5: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1995-2006

DM IO TR AB WW ST OW

SM ,14 ,42 ,58** ,58** -,42 ,63*** -,28

DM 1 ,37 -,04 ,16 -,44* ,16 ,05

IO 1 ,11 ,26 -,62** ,11 -,00

TR 1 ,91*** -,03 ,17 -,76***

AB 1 -,08 ,15 -,87***

WW 1 -,57** -,29

ST 1 ,22

OW 1 SM Synchrone Machtverteilung; DM Diachrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosenquote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. Pearson’s r (N=16). *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Dunkle Grautöne r > ,70; Hellere Grautöne r > 0,50. Tabelle 5-5 zeigt die Interkorrelation der unabhängigen Variablen, Werte über r = 0,5 bzw. r = 0,7 wurden schattiert. Tatsächlich liegen teils starke Zusammenhänge zwischen den Erklärungsfaktoren vor. So weist beispielsweise die synchrone Machtverteilung Korrelatio-nen in diesem Wertebereich mit dem Transfersaldo, der Arbeitslosenquote und der Stadt-staaten-Variable auf. Eine Möglichkeit, die potenziellen Folgen dieser hohen Kollinearität abzuschätzen, besteht darin, die Ergebnisse dieser trivariaten Regressionen zu vergleichen. Sollten die Schätzungen für die synchrone Machtverteilung stark von einander abweichen, wäre das ein Hinweis auf eine kollinearitätsbedingte Instabilität der Schätzungen.

Der paarweise Vergleich der Erklärungsfaktoren beginnt mit den Variablen, von denen postuliert wird, dass sie die Präferenzen der Akteure erfassen. In einem zweiten Schritt werden dann Variablen hinzugefügt, welche Restriktionen des Akteurshandelns abbilden sollen. Dieses Verfahren findet seine Rechtfertigung darin, dass ein adäquates Erklärungs-modell sowohl Präferenzen als auch Restriktionen des Akteurshandelns erfassen sollte.

Als Referenzmodell wird die bivariate Regression mit der größten Erklärungskraft un-ter den Präferenzen gewählt: Die synchrone Machtverteilung erklärt allein 63 % der Vari-anz und generiert keine Ausreißer (Modell 1 in Tabelle 5-5). Die Effekte der diachronen Machtverteilung und der ideologischen Orientierung der Regierung bleiben – wie in der bivariaten Regression auch – schwach und insignifikant und wechseln sogar das Vorzei-

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 113

chen, wenn man sie paarweise mit der synchronen Machtverteilung in ein Modell integriert (Modelle 2 und 3 in Tabelle 5-5). Dieses Ergebnis bestätigt sich auch im vierten Modell, in dem die diachrone Machtverteilung und die ideologische Orientierung als Prädiktoren ver-wendet werden und gerade einmal 4 % der Varianz binden. Unter den Präferenzen leistet somit allein die synchrone Machtverteilung einen signifikanten und hinreichend starken Erklärungsbeitrag! Tabelle 5-6: Determinanten der Primärsaldi 1995-2006 (Trivariate Regression)

(1) (2) (3) (4) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 748,33 (196,14)

*** 746,96 (203,85)

*** 734,75 (196,34)

*** -87,08 (169,84)

Synchrone Macht-verteilung

-724,72 (147,61)

-,79

*** -726,99 (154,58)

-,80

*** -795,27 (162,90)

-,87

***

Diachrone Machtverteilung

18,52 (172,83)

,02

-25,65 (298,05)

-,02

Ideologische Orien-tierung

35,16 (34,54)

,18

-34,80 (56,53)

-,18

R2 ,63 ,63 ,66 ,04

Ausreißer - - - HB, BE1

Fügt man zu der synchronen Machtverteilung nun sukzessive Restriktionen des Akteurs-handelns hinzu, so zeigt sich, dass der Transfersaldo (Modell 5) und das Wirtschaftswachs-tum (Modell 7) nur noch schwache Effekte aufweisen, die aber immerhin noch in die theo-retisch postulierte Richtung weisen. Der Effekt der Arbeitslosigkeit liegt hingegen nicht nur nahe null, sondern hat auch das Vorzeichen gewechselt (Modell 6). Allein der Stadtstaaten-Dummy kann bei gleichzeitiger Berücksichtigung der synchronen Machtverteilung einen signifikanten Erklärungsbeitrag leisten (Modell 8). Dieses Modell bindet 75 % der Varianz, allerdings werden sukzessive der Stadtstaat Hamburg und die beiden Flächenländer Saar-land und Thüringen als Ausreißer identifiziert. Das schränkt die Bedeutung dieses Modells in zweifacher Hinsicht erheblich ein: Das gesamte Modell erfasst die Determinanten der Primärdefizite nicht hinreichend in allen sechzehn Ländern und die Stadtstaaten-Variable bildet wie in der bivariaten Regression auch nicht die Probleme aller drei Stadtstaaten ab.

Page 114: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

114 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Tabelle 5-6: Fortsetzung (5) (6) (7) (8) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 653,22 (222,47)

** 749,64 (202,14)

*** 507,90 (255,41)

* 469,03 (203,37)

**

Synchrone Machtverteilung

-627,97 (181,66)

-,69

*** -771,79 (187,51)

-,85

*** -632,24 (157,17)

-,69

*** -474,29 (162,83)

-,52

**

Transfersaldo -,05 (,06) -,18

Arbeitslosenquote 4,43 (10,33)

,09

Wirtschaftswachstum 84,07 (59,82)

,24

Stadtstaaten-Dummy -253,76 (103,62)

-,44

**

R2 ,65 ,64 ,68 ,75 Ausreißer HH, SL, TH1

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen. Ausreißer sind als Fälle definiert, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoef-fizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Modelle, in den die Korrelation zwischen den unabhängigen Variablen größer als r > 0,5 ist, wurden grau unterlegt. Im Vergleich zu den bivariaten Analysen bestätigt sich ebenfalls der starke und signifikante Effekt der synchronen Machtverteilung, der auch unter den Bedingungen einer moderat hohen Kollinearität in den Modellen 5, 6 und 8 weitgehend stabil bleibt – allein im Modell 8 sinkt der relative Erklärungsbeitrag deutlich ab, was allerdings angesichts der relativ starken Wirkung des Stadtstaaten-Dummies plausibel ist. Mit Ausnahme des Stadtstaaten-Dummies, dessen Bedeutung ja wie bereits ausgeführt, durch die Ausreißer massiv redu-ziert wird, übt keine Variable bei gleichzeitiger Berücksichtigung der synchronen Macht-verteilung einen signifikanten Effekt aus. Vor allem für den Transfersaldo sollte man je-doch nicht vorschnell von einer Falsifikation sprechen, da die Regressionsergebnisse von der Konsolidierung in Ostdeutschland beeinflusst werden, und die Partialkorrelationen hohe Zusammenhänge aufweisen (vgl. Tabelle 5-2 und 5-3).114

114 Auch die Arbeitslosigkeit weist hohe Zusammenhänge in der Partialkorrelation auf, in der Regressionsanalyse schneidet sie jedoch deutlich schlechter ab: In der bivariaten Regression in der Gesamtperiode weist sie inakzep-

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 115

Abschließend gilt es zu betrachten, welche Ergebnisse die trivariaten Regressionen für die einzelnen Subperioden erbringen. Wie bei den bivariaten Analysen auch, werden die Ergebnisse für die Subperioden an dieser Stelle kurz zusammengefasst und im Anhang ausführlich berichtet (vgl. A-5-3, A-5-6, A-5-9 im Anhang).

In der ersten Untersuchungsperiode übt unter den Präferenzen wiederum allein die syn-chrone Machtverteilung einen hinreichend starken und signifikanten Effekt auf die Primär-defizite aus.115 Fügt man zu der synchronen Machtverteilung jeweils die einzelnen Restrikti-onen hinzu, so weisen Arbeitslosigkeit, Transfersaldo und der Stadtstaaten-Dummy jeweils einen signifikanten Erklärungsbeitrag auf (vgl. Modelle 3, 4 und 6 in Tabelle A-5-3).

Auch in der Subperiode 1998 bis 2000 hat die synchrone Machtverteilung einen star-ken und hoch signifikanten Einfluss auf die Primärdefizite, dieser Effekt verstärkt sich, wenn die ideologische Orientierung in das Modell aufgenommen wird (Modell 2 in Tabelle A-5-6). Bei der ideologischen Orientierung dreht sich das Vorzeichen, rechte Regierungen weisen somit nach Kontrolle um die synchrone Machtverteilung höhere Primärdefizite auf als linke Regierungen, dieser Effekt erreicht knapp das 10 %-Signifikanzniveau. Dieser überraschende Effekt ist darauf zurückzuführen, dass linke Regierungen in dieser Subperi-ode nur minimal höhere Primärdefizite zu verzeichnen haben (r = -,01, Korrelation mit den 16 Länderdurchschnitten) als rechte Regierungen aber deutlich mehr Parteien beinhalten: So beträgt die gewichtete Anzahl der Regierungsparteien unter bürgerlicher Hegemonie 1,06 (N=15), unter linker Dominanz 1,22 (N=3) und unter linke Hegemonie 1,30 (N=21).116 Unter Kontrolle der gewichteten Anzahl der Regierungsparteien (als Indikator für die syn-chrone Machtverteilung) weisen die linken Regierungen deshalb niedrigere Defizite auf.

Zusammen mit jeweils einer der Restriktionen bleibt der Effekt der ideologischen Ori-entierung hingegen schwach und durchgängig insignifikant (Ergebnisse nicht ausgewie-sen).117 Der Erklärungsbeitrag der synchronen Machtverteilung bleibt bei gleichzeitiger Berücksichtigung jeweils einer Restriktion durchgängig stark und hoch signifikant (Model-le 3 bis 6 in Tabelle A-5-6). Neben der synchronen Machtverteilung können der Transfer-saldo und der Stadtstaaten-Dummy einen signifikanten Effekt erzielen, wobei bei diesem Modell wiederum Hamburg als Außenseiter identifiziert wird.

In den Jahren 2001 bis 2003 üben wie in Tabelle 5-3 aufgeführt allein die synchrone Machtverteilung und die Stadtstaaten-Variable in den bivariaten Regressionen einen signi-fikanten Effekt auf die Primärsaldi aus. Diese beiden unabhängigen Variablen können lei-der nicht in ein gemeinsames Regressionsmodell aufgenommen werden, da sie sehr stark korrelieren (r = 0,80***, N=16). Dieser hohe Zusammenhang ergibt sich daraus, dass in diesen Jahren in allen drei Stadtstaaten sehr breite Koalitionen regierten.118 Der Verzicht

table vier Ausreißer auf (das sind 25 % aller Fälle!), bei gleichzeitiger Berücksichtigung der synchronen Macht-verteilung ändert sich sogar das Vorzeichen (Modell 6 in Tabelle 5-5). 115 Der Effekt der diachronen Machtverteilung kann nicht in den einzelnen Subperioden analysiert werden, da der entsprechende Indikator wie bereits ausgeführt die Machtverteilung im Zeitverlauf seit 1991 misst und daher nicht sinnvoll in Subperioden unterteilt werden kann. 116 Der Mittelwert wurde aus den 48 Einzelwerten gebildet (3 Jahre x 16 Länder). Für die 9 Beobachtungszeit-punkte mit großer Koalition (Patt) beträgt die gewichtete Anzahl der Regierungsparteien 1,72. 117 Bei Kontrolle um die Arbeitslosenquote bzw. das Wirtschaftswachstum bzw. den Stadtstaaten-Dummy werden für rechte Regierungen höhere Primärdefizite vorhergesagt als für linke Regierungen. Bei Kontrolle um die Trans-ferzahlungen hingegen ergeben sich höhere Schätzwerte für die Linksregierungen. Alle Schätzungen sind wie erwähnt schwach und insignifikant. 118 In Berlin regierte eine rot-rote Koalition (Ø gewichtete Anzahl der Regierungsparteien = 1,76), in Bremen eine große Koalition (1,81), in Hamburg ein Bündnis aus CDU, Schill-Partei und FDP (1,94). In den dreizehn Flächen-

Page 116: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

116 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

auf dieses Modell fällt leicht angesichts der Tatsache, dass der Stadtstaaten-Dummy auch in dieser Subperiode primär die Sondereffekte in den beiden Ausreißern Bremen und Berlin misst und nicht generelle Probleme der Stadtstaaten erfasst.119

Da die Stadtstaaten-Variable aufgrund der hohen Kollinearität nicht in das Regressi-onsmodell aufgenommen werden kann, wird der Effekt der synchronen Machtverteilung in den trivariaten Modellen nur um die Wirkungen der ideologischen Orientierung, des Trans-fersaldos, der Arbeitslosenquote und des Wirtschaftswachstums kontrolliert (Modelle 2 bis 5 in Tabelle A-5-9). Wiederum bestätigt sich durchgängig die Erklärungskraft der synchro-nen Machtverteilung, während alle übrigen Erklärungsfaktoren schwache und insignifikante Ergebnisse erbringen.

Hinsichtlich der Ergebnisse in den Jahren 2001 bis 2003 sind jedoch zwei einschrän-kende Bemerkungen angebracht: (1) Die Regressionen weisen deutlich mehr Ausreißer auf als in den vorangegangenen Subperioden: In allen vier trivariaten Modellen werden Berlin und Bremen als Ausreißer identifiziert, in zwei Modellen zudem noch Sachsen. (2) Die Regressionsergebnisse werden in diesen Jahren bereits durch die Konsolidierung in den ostdeutschen Ländern beeinflusst. Daher ist insbesondere das Nichtergebnis für den Trans-fersaldo und die Arbeitslosigkeit in bivariater und trivariater Regression kritisch zu hinter-fragen, angesichts der hochsignifikanten Zusammenhänge, die diese beiden Variablen in der Partialkorrelation aufweisen (vgl. Tabelle A-5-7).

Aufgrund der starken Verzerrungen durch die Konsolidierung in den ostdeutschen Ländern werden die (durchgängig insignifikanten) Ergebnisse der trivariaten Regressionen in der letzten Subperiode (2004-2006) hier nicht ausgewiesen. Am aussagekräftigsten für diesen Zeitraum sind die Ergebnisse der Partialkorrelation, die auf einen starken Einfluss des Transfersaldos und in zweiter Hinsicht der Arbeitslosigkeit hindeuten. Die Wirkung der synchronen Machtverteilung ist in dieser Periode nur von untergeordneter Bedeutung. 5.4 Zusammenfassung Abschließend werden die empirischen Ergebnisse noch einmal zusammengefasst und expli-zit an die Hypothesen zurückgebunden. Daran anschließend werden aus den empirisch identifizierten Kausalfaktoren Schlussfolgerungen hinsichtlich möglicher Reformoptionen gezogen. Hierzu werden die Kausalfaktoren auf die Kategorien der wiederwahlorientierten Verschuldung und der strukturell erzwungenen Verschuldung bezogen. Präferenzen (H1, H2, H4)

H1: Je breiter die Macht zwischen unterschiedlichen Regierungsparteien zu einem Zeitpunkt in einem Land verteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

ländern hingegen beträgt die durchschnittliche gewichtete Anzahl der Regierungsparteien in dieser Subperiode hingegen nur 1,18. 119 Bremen hat in diesen Jahren ein Primärdefizit von 1126 Euro (pro Einwohner), das Primärdefizit in dem von der Krise der Bankgesellschaft Berlin gezeichneten Berlin liegt bei 905 Euro. Hamburg hingegen hat nur ein Primärdefizit von 259 Euro und der Durchschnitt der dreizehn Flächenländer beträgt 211 Euro.

Page 117: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 117

H2: Je gleichmäßiger die Macht zwischen CDU und SPD im Zeitverlauf in einem Land aufgeteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

H4: Je stärker linke Parteien in einem Land an der Regierung beteiligt sind, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

Unter den drei Hypothesen zu den Präferenzen der Regierungsakteure wurde die synchrone Machtverteilung (H1) eindrucksvoll bestätigt: Je breiter die Macht zwischen Regierungs-parteien gestreut ist, desto negativer ist die Primärbilanz in einem Land. Dieser Effekt lässt sich durchgängig in der Gesamtperiode und in den ersten drei Subperioden in den bivaria-ten Regressionen und Partialkorrelationen nachweisen: Bei den Regressionen werden keine oder vergleichsweise wenige Ausreißer identifiziert, nach deren Ausschluss der Effekt weiterhin signifikant bleibt.120 In den trivariaten Regressionen im Gesamtzeitraum und in den ersten drei Subperioden bleibt die Wirkung der synchronen Machtverteilung unter Kontrolle aller anderen unabhängigen Variablen immer signifikant. Obendrein übt die syn-chrone Machtverteilung in der überwiegenden Mehrzahl der Regressionsanalysen die grö-ßere Effektstärke (im Vergleich zur anderen unabhängigen Variable) aus. Der Effekt der synchronen Machtverteilung auf den Haushaltssaldo ist ebenfalls sehr stark und hoch signi-fikant.

Für ein besseres Verständnis der Relevanz der synchronen Machtverteilung wird in Tabelle 5-7 ein Mittelwertvergleich der Primärsaldi und Saldi durchgeführt, als Indikator für die synchrone Machtverteilung wird dabei eine vierstufige Messung von Regierungsty-pen herangezogen. Neben der Alleinregierung und der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD werden zwei weitere Typen unterschieden: Eine kleine Koalition aus einer großen und einer kleinen Partei (2 Parteien) sowie eine kleine Koalition aus einer großen Partei und zwei kleinen Parteien (3 Parteien) wie das Bündnis aus CDU, Schill-Partei und FDP, wel-ches Hamburg zwischen 2001 und 2003 regierte. Der bislang verwendete Indikator der gewichteten Anzahl der Regierungsparteien wird zu Vergleichszwecken ebenfalls ausge-wiesen.121

Alleinregierungen und kleine Koalitionen unterscheiden sich kaum in ihren Saldi und Primärsaldi, wobei die Alleinregierungen einen leichten Vorsprung haben. Die Drei-Parteien-Koalitionen und die Großen Koalitionen weisen hingegen wesentlich größere Defizite und Primärdefizite auf. Aufgrund ihrer geringen Anzahl dürften die Drei-Parteien-Koalitionen allerdings kaum ins Gewicht fallen.

Auf Basis dieser Ergebnisse kann die von Probst (2006) aufgeworfene Frage „Große Koalitionen als Sanierungsmodell?“ eindeutig verneint werden. Neben der schieren Größe der Wählerklientel könnte eine Ursache hierfür in dem antagonistischen Wettbewerbsklima in großen Koalitionen liegen. Das in der Regel höhere Konfliktniveau in großen Koalitio-nen resultiert zum einen daraus, dass die ideologischen Distanzen für gewöhnlich größer sind als in kleinen Koalitionen. Zum anderen entsteht es, weil in einer großen Koalition beide Regierungsparteien einen Führungsanspruch besitzen, und danach streben, die jeweils andere bei der nächsten Wahl aus der Regierung zu verdrängen. Dies würde für verstärkte Profilierungsbemühungen sprechen, welche sich in höheren Ausgaben niederschlagen

120 Je geringer die Anzahl der Ausreißer ist und je ähnlicher sich die Ergebnisse vor und nach dem Ausschluss von Ausreißern sind, desto allgemeingültiger ist ein Zusammenhang (vgl. Abschnitt 5.2.). 121 Die gepoolte Korrelation zwischen dem vierstufigen Indikator Regierungstyp und der gewichteten Anzahl der Regierungsparteien beträgt r = ,85*** (N=192).

Page 118: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

118 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

könnten. Eine Überprüfung dieser Hypothese sollte daher in detaillierten Fallstudien zur finanzpolitischen Entscheidungsbildung in verschiedenen Koalitionstypen erfolgen. Tabelle 5-7: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der Haushaltsbilanz

nach Regierungstypen Koalitionstyp N Gewichtete Anzahl der

Regierungsparteien Primärsaldo pro

Kopf in Euro Saldo pro Kopf

in Euro

Alleinregierung 62 1,00 -113,72 -320,53

Kleine Koalition (2 Parteien)

83 1,30 -127,62 -368,18

Kleine Koalition (3 Parteien)

6 1,84 -364,34 -717,16

Große Koalition 41 1,71 -441,96 -754,14

Alle 192 1,31 -197,65 -446,12 Quelle: Eigene Berechnungen Die Ergebnisse dieser Studie können einen Befund von Jochimsen und Nuscheler (2007: 19) modifizieren. Jochimsen und Nuscheler berichten einen größeren Anstieg der Defizite von Koalitionsregierungen im Vergleich zu Alleinregierungen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass dieser Effekt mit der Größe der Koalitionen variiert.

Die Wirkung der diachronen Machtverteilung konnte nur in der gesamten Untersu-chungsperiode analysiert werden, da eine Hypothese, die auf Wirkungen im Zeitverlauf zielt, nicht in sinnvoller Weise in dreijährigen Subperioden getestet werden kann. Sowohl für die Saldi als auch für die Primärsaldi weist der Zusammenhang durchgängig in die theo-retisch postulierte Richtung: Je gleichmäßiger die Macht zwischen CDU und SPD im Zeit-verlauf in einem Land aufgeteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbilanz und die primäre Haushaltsbilanz in diesem Land. Der Effekt ist jedoch nur mäßig stark bis schwach und erreicht allein in der bivariaten Regression für die Haushaltssaldi nach Ausschluss der bei-den Ausreißer Berlin und Bremen gängige Signifikanzniveaus. In der trivariaten Regression ist nach Kontrolle um die synchrone Machtverteilung kein Effekt der diachronen Machtver-teilung mehr nachweisbar (abhängige Variable: Primärsaldi). Von einer Bestätigung der Hypothese kann daher nicht gesprochen werde, wohl aber von Hinweisen auf eine geringe, defizitsteigernde Wirkung der diachronen Machtverteilung. Die Schwäche des Effektes mag ihre Ursache auch darin haben, dass die Machtwechsel in der Vergangenheit nur eine sehr indirekte Messung der subjektiv bewerteten Wiederwahlaussichten der Regierenden sind.

Im Einklang mit der Hypothese (H4) weisen linke Regierungen in den bivariaten Ana-lysen in der Gesamtperiode höhere Defizite und Primärdefizite auf als bürgerliche Regie-rungen. Für die Saldi erreicht der Effekt nach Ausschluss der Ausreißer Berlin, Bremen und Saarland das fünfprozentige Signifikanzniveau, ansonsten bleibt er durchgängig relativ schwach und insignifikant. Schwach und insignifikant ist die Wirkung auf die Primärsaldi auch in allen vier Subperioden, zum Teil dreht sich zudem die Richtung des Effektes, so

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 119

dass höhere Primärdefizite unter rechten Regierungen berichtet werden.122 Ein Vorzei-chenwechsel tritt auch auf in der trivariaten Regression nach Kontrolle um die synchrone Machtverteilung – sowohl in der Gesamtperiode als auch in den ersten beiden Subperioden. Auf Basis der Regressionsergebnisse kann die Hypothese daher nicht bestätigt werden.

Führt man ergänzend einen Mittelwertvergleich mit dem fünfstufigen Indikator der ideologischen Orientierung durch (Tabelle 5-8), so zeigen sich die bereits aus den bivaria-ten Regressionen bekannten Zusammenhänge: Regierungen unter bürgerlicher Hegemonie weisen niedrigere Defizite und Primärdefizite auf als Regierungen unter linker Dominanz und linker Hegemonie. Dieser Effekt ist allerdings nicht besonders stark. Viel stärker ist die Wirkung der synchronen Machtverteilung – in dem Mittelwertvergleich erkennt man sie an den deutlich größeren Defiziten und Primärdefiziten der großen Koalitionen (Patt). Tabelle 5-8: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der Haushaltsbilanz

nach ideologischer Orientierung Ideologische Orientierung N Primärsaldo pro Kopf

in Euro Saldo pro Kopf

In Euro

Bürgerliche Hegemonie 72 -104,68 -296,42

Bürgerliche Dominanz - - -

Patt 41 -441,96 -754,14

Linke Dominanz 13 -148,52 -376,31

Linke Hegemonie 66 -156,99 -431,81

Alle 192 -197,65 -446,12 Quelle: Eigene Berechnungen Betrachtet man anstelle der ideologischen Orientierung die konkrete parteipolitische Zu-sammensetzung (Tabelle 5-9), ergibt sich im Großen und Ganzen ein ähnliches Bild. Im Durchschnitt weisen die Koalitionen unter Beteiligung der CDU eine positivere Haushalts-bilanz auf als die unter Beteiligung der SPD. Deutlich stärker als die Wirkung der parteipo-litischen Zusammensetzung der Regierung ist jedoch die Wirkung der synchronen Macht-verteilung, wie die hinteren Plätze für die großen Koalitionen, die Drei-Parteien-Koalitionen und die SPD-PDS-Koalitionen belegen.123

122 Bei den bivariaten Regressionen (mit und ohne Ausreißer) und der Partialkorrelation im Zeitraum 1995 bis 1997, sowie bei der bivariaten Regression nach Ausschluss der Ausreißer in der Periode 2001 bis 2003. 123 Die rot-roten Koalitionen haben eine hohe gewichtete Anzahl der Regierungsparteien aufgrund der relativen Stärke der PDS in Ostdeutschland und Berlin (nur dort gab es bislang rot-rote Koalitionen). Bei der Interpretation der Tabelle 5-9 gilt es zu berücksichtigen, dass die Aussagekraft der Ergebnisse zu den Koalitionen SPD/STATT, SPD/Grüne/PDS und CDU/Schill/FDP aufgrund ihrer kurzen Dauer nur begrenzt ist.

Page 120: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

120 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Tabelle 5-9: Mittelwertvergleich der primären Haushaltsbilanz und der Haushaltsbilanz nach parteipolitischer Zusammensetzung124

Koalitionstyp (Regierungsjahre; Ø gewichtete Anzahl der Regierungsparteien)

Primärsaldo pro Kopf in

Euro

Koalitionstyp (Regierungsjahre; Ø gewichtete Anzahl der

Regierungsparteien)

Saldo pro Kopf in Euro

SPD/Grüne (27; 1,23) -51,25 CDU/FDP (25; 1,21) -246,07

CDU/FDP (25; 1,21) -75,46 CDU (44; 1,00) -289,85

SPD/FDP (11; 1,19) -106,51 SPD/Grüne (27; 1,23) -295,29

CDU (44; 1,00) -110,73 SPD/FDP (11; 1,19) -332,97

SPD (18; 1,00) -121,03 SPD (18; 1,00) -395,52

CDU/Schill/FDP (3; 1,94) -259,39 CDU/SPD (20; 1,63) -536,30

SPD/PDS (18; 1,60) -299,52 SPD/STATT (2; 1,14) -614,73

SPD/STATT (2; 1,14) -379,59 SPD/Grüne/PDS (3; 1,74) -621,78

CDU/SPD (20; 1,63) -396,30 SPD/PDS (18; 1,60) -641,24

SPD/Grüne/PDS (3; 1,74) -469,28 CDU/Schill/FDP (3; 1,94) -812,55

SPD/CDU (21; 1,78) -485,43 SPD/CDU (21; 1,78) 961,61

Alle (192; 1,31) -197,65 Alle (192; 1,31) -446,12 Quelle: Eigene Berechnungen Die weitgehend uneindeutigen Ergebnisse zu ideologischen Einflüssen auf die Haushalts-politik in dieser Studie stehen im Einklang mit einem widersprüchlichen Forschungsstand: Galli/Rossi (2002), Wagschal (1996a, 1996b) und Schneider (2007) berichten parteipoliti-schen Effekte, Seitz (2000) und Jochimsen/Nuscheler (2007) können sie hingegen nicht finden.

Die uneindeutigen Ergebnisse können vor dem Hintergrund der in Abschnitt 3.2.1. diskutierten These einer parteipolitischen Konvergenz interpretiert werden. Diese Thesen gehen von einer sinkenden Ausgabenneigung sozialdemokratischer Regierungen aus, einer-seits aufgrund eines ideologischen Wandels der Sozialdemokratie, andererseits aufgrund wachsender Restriktionen, denen sich eine wohlfahrtsstaatliche Politik gegenübersieht. Diese Entwicklungen haben – so die Annahme – zu einer Annäherung der Haushaltspolitik sozialdemokratischer Regierungen an die Haushaltspolitik der bürgerlichen Regierungen geführt. Auf der Basis der hier vorliegenden Analysen bleibt eine solche Interpretation jedoch spekulativ. Für eine adäquate Überprüfung dieser Konvergenzthese wäre in weiteren Arbeiten eine detaillierte Analyse des Ausgabenverhaltens sozialdemokratisch geführter Landesregierungen in verschiedenen Politikfeldern über mehrere Jahrzehnte hinweg nötig.

124 Die Regierungsjahre der Koalitionstypen verteilen sich folgendermaßen auf die Bundesländer: SPD/Grüne: HE(4) HH(4) NW(10) SH(9); CDU/FDP: BW(11) HE(4) NS(4) NW(2) ST(4), SPD/FDP: RP(11); CDU: BY(12) HH(3) HE(4) SL(8) SN(9) TH(8); SPD: BB(4) NS(8) RP(1) SL(4) SH(1); SPD/PDS: BE(6) MV(8) ST(4); CDU/SPD: BW(1) BE(6) MV(3) SN(3) ST(1) SH(2) TH(4); SPD/CDU: BB(8) HB(12) MV(1); CDU/Schill/FDP: HH(3); SPD/STATT: HH(2); SPD/Grüne/PDS: ST(3).

Page 121: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 121

Restriktionen (H3, H5, H6, H7, H8)

H3: Je höher die Einnahmen eines Landes aus dem bundesstaatlichen Transfer-system sind, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

H5: Je höher die Arbeitslosigkeit in einem Land ist, desto negativer ist die Haus-haltsbilanz in diesem Land.

H6: Je höher das Wirtschaftswachstum in einem Land ist, desto positiver ist die Haushaltsbilanz in diesem Land.

H7: Je höher die Zinsausgaben eines Landes sind, desto negativer ist die Haus-haltsbilanz in diesem Land.

H8: Stadtstaaten weisen eine negativere Haushaltsbilanz auf als Flächenländer. In einem nächsten Schritt gilt es die Ergebnisse für die Erklärungsfaktoren zusammenzufas-sen, die die Restriktionen des Akteurshandelns modellieren. Für die Interpretation der Wir-kungen des Transfersaldos (H3) und der Arbeitslosenquote (H5) sollte primär auf die Parti-alkorrelationen zurückgegriffen werden, da die Regressionsergebnisse für diese beiden Variablen massiv durch den Konsolidierungsprozess der ostdeutschen Länder beeinflusst wurden. Die Ergebnisse der Partialkorrelationen sind für das Transfersaldo und die Arbeits-losigkeit durchgängig sehr stark und hoch signifikant, ergänzende Schlüsse können aus den Regressionsanalysen gezogen werden, auch wenn deren Ergebnisse weniger stabil sind. Die Hypothesen konnten daher eindeutig bestätigt werden: Je höher die Transfereinnahmen eines Landes sind beziehungsweise je höher die Arbeitslosigkeit in einem Land ist, desto höher sind die Primärdefizite und Defizite in diesem Land.

Auch die Hypothese zum Wirtschaftswachstum (H6) konnte tendenziell bestätigt wer-den, wenn auch die Ergebnisse nicht ganz so eindeutig sind: Je höher das Wirtschafts-wachstum in einem Land ist, desto positiver ist die primäre Haushaltsbilanz und die Haus-haltsbilanz in einem Land. In der Gesamtperiode sind die bivariaten Zusammenhänge durchgängig stark und signifikant, in den Subperioden hingegen sind die Ergebnisse weni-ger stabil. In den trivariaten Regressionen unter Kontrolle der synchronen Machtverteilung schwächt sich der Effekt deutlich ab und wird insignifikant. Die Hypothese zu den Zinszah-lungen (H7) wurde hingegen eindrucksvoll bestätigt.

Wie bereits erwähnt, ist es trotz des hohen Zusammenhangs zwischen der Stadtstaa-ten-Variable und den Primärsaldi und Saldi nicht zulässig, von einem generellen fiskali-schen Problem aller drei Stadtstaaten zu sprechen, da die Saldi und Primärsaldi in Hamburg durchgängig deutlich positiver sind als in Berlin und Bremen. Der Stadtstaaten-Dummy erfasst somit nicht ein Stadtstaaten-Problem, sondern die spezifischen Problemlagen in Berlin und Bremen. Die Gründe der hohen Defizite und Primärdefizite Bremens wurden bereits am Ende vierten Kapitels erörtert. Daher wird an dieser Stelle nur die Berliner Fi-nanzpolitik näher beleuchtet.

Wie in Abschnitt 2.3. kurz angeschnitten, beruhen die fiskalischen Probleme Berlins überwiegend auf einer verspäteten Anpassung des überhöhten Ausgabenniveaus an die reduzierten Einnahmen der wiedervereinigten Stadt. Zu Zeiten der deutschen Teilung wur-den beide Teile der Stadt von ihren jeweiligen Regierungen überproportional stark unter-

Page 122: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

122 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

stützt, um sie als ‚Schaufenster’ im Systemwettbewerb auszubauen.125 Dass die finanzielle Unterstützung West-Berlins auch aus repräsentativen Zwecken erfolgte, lässt sich bereits am Wortlaut der gesetzlichen Grundlage nachvollziehen:

„§ 16 Bundeshilfe für das Land Berlin. (1) Solange das Land Berlin am Finanzausgleich unter den Ländern nicht teilnimmt, erhält es zur Deckung eines auf andere Weise nicht auszuglei-chenden Haushaltsfehlbedarfes einen Bundeszuschuß. (2) Die Bundeshilfe (Bundeszuschuß und Bundesdarlehen) soll so bemessen sein, daß das Land Berlin befähigt wird, die durch seine be-sondere Lage bedingten Ausgaben zur wirtschaftlichen und sozialen Sicherung seiner Bevölke-rung zu leisten und seine Aufgaben als Hauptstadt eines geeinten Deutschlands zu erfüllen. […]“126 [Hervorhebung A.H.]

Die Bundeshilfe deckte Ende der 80er Jahre etwa die Hälfte der Ausgaben West-Berlins. Wie in Abschnitt 2.3. beschrieben, wurde sie in den Jahren 1991 bis 1994 zügig auf Null zurückgefahren.127 1995 wurde Berlin in das föderale Finanzsystem integriert, die Einnah-men hieraus deckten jedoch nur ein Fünftel der Berliner Ausgaben: „Von jeder beharrlich weiter ausgegebenen Mark fehlten Berlin nun einnahmeseitig dreißig Pfennig“ (Weinzen 2000: 21). Als besonders belastend erwiesen sich ein überdimensionierter öffentlicher Dienst sowie Altlasten der Westberliner Wohnungsbauförderung.128 Anstelle von dringend notwendigen Ausgabenkürzungen wuchsen die Ausgaben in den ersten Jahren der Vereini-gung noch weiter – auch vor dem Hintergrund zu optimistischer Prognosen über die Dauer des Transitionsprozesses und die Entwicklung Berlins (Seitz 2003: 271).

Konsolidierungsanstrengungen Berlins sind erst seit 1995 nachweisbar, sie wurden al-lerdings zu Beginn des neuen Jahrtausends durch die Ausgaben zur Rettung der Bankge-sellschaft Berlin konterkariert. Bei aller berechtigten Kritik an der Berliner Finanzpolitik der neunziger Jahre ist Seitz zuzustimmen:

„Hier muß auch aus Gründen der Fairness berücksichtigt werden, daß die fast schockartige Rückführung der Berlinzuweisungen des Bundes in Berlin aus politischen, sozialen und gegebe-nenfalls juristischen Gründen (da zum Beispiel in der Vergangenheit abgeschlossene Verträge einzuhalten sind) nicht uno actu vollständig durch Ausgabenkürzungen oder einer Erhöhung von Gebühren-, Beitrags- und Steuereinnahmen kompensierbar waren“ (Seitz 1997: 235).

Zeitgleich mit der Reduktion der Bundeshilfe an den Berliner Haushalt, wurden auch die Subventionen der Berliner Wirtschaft auf Null zurückgeführt. Sie bestanden in Milliarden 125 In West-Berlin betraf dies vor allem die Zahlungen des Bundes an den Landeshaushalt sowie vielfältige Sub-ventionen für Berliner Unternehmen, in Ost-Berlin die Ausstattung mit Infrastruktureinrichtungen und Versor-gungsgütern (Seitz 1997: 206). 126 Drittes Gesetz zur Änderung des Dritten Überleitungsgesetzes vom 11. Mai 1956 (BGBl. I S.420), zitiert nach Weinzen 2000: 13f. 127 Parallel dazu erhielt Berlin für seinen Ostteil Zuweisungen aus dem Fonds Deutsche Einheit, die allerdings die Kürzungen der Bundeshilfe nicht auffangen konnten. 128 Der Personalüberhang resultiert nicht allein aus dem DDR-typisch aufgeblähten Verwaltungsapparat Ost-Berlins: In West-Berlin wurde angesichts der teilungsbedingten Wirtschaftsprobleme und vor dem Hintergrund der hohen Bundeshilfe der öffentliche Dienst als arbeitsmarktpolitisches Instrument genutzt. Die Altlasten der Woh-nungsbauförderung resultierten aus dem Bau von Großsiedlungen wie dem Märkischen Viertel oder der Gropius-stadt. West-Berlin „subventionierte die Zinszahlungen für die Milliardenschulden, um niedrigere Sozialmieten in der eingemauerten Stadthälfte ohne Umland mit Bauflächen zu ermöglichen“ (Weinzen 2000: 21). Die Altlasten der Wohnungsbauförderung machten beispielsweise mehr als 5 % der Berliner Ausgaben im Jahr 1996 aus (Eige-ne Berechnungen auf Basis der Angaben in Weinzen 2000: 21).

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 123

schweren Steuerermäßigungen und Investitionszulagen (Weinzen 2000: 19). Der Verlust der Subventionen machte ein Verbleib der West-Berliner Unternehmen in der Stadt in dem Moment unattraktiver, als im Brandenburger Umland preiswerte, schnell erschließbare und mit geringeren Abgaben belastete Gewerbeflächen in Überfülle zur Verfügung standen (Seitz 1997: 208). Diese nachholende Suburbanisierung Berlins wurde durch die neu ge-währten Subventionen für Unternehmensansiedlungen in den neuen Bundesländern weiter angeheizt. Deshalb ergaben sich nach der Vereinigung auch im Westteil massive Arbeits-platzverluste, im Ostteil der Stadt war die DDR-Wirtschaft wie in allen neuen Ländern zusammengebrochen. Die Kombination aus einer verzögerten Anpassung an einen massi-ven Einnahmeschock und ökonomischen Transitionsproblemen macht die Besonderheit der Berliner Haushaltspolitik im Vergleich zu den beiden anderen Stadtstaaten aus. Wiederwahlorientierte Verschuldung oder strukturell erzwungene Verschuldung? Welche Schlussfolgerungen können aus den empirischen Ergebnissen hinsichtlich mögli-cher Reformoptionen abgeleitet werden? Um diese Frage zu beantworten, werden die iden-tifizierten Kausalfaktoren auf die Kategorien der wiederwahlorientierten Verschuldung und der strukturell erzwungenen Verschuldung bezogen.

Die hohe Erklärungskraft der synchronen Machtverteilung und des Transfersaldos verweisen eindeutig auf das Vorliegen einer wiederwahlorientierten Verschuldung. Beide Kausalfaktoren stammen aus der Konstitutionellen Politischen Ökonomie, die explizit von der dominanten Wiederwahlorientierung der Regierenden ausgeht. Wenn man die Hypothe-sen jeweils einzeln betrachtet, kann bezüglich der synchronen Machtverteilung festgestellt werden: Je breiter die Macht zwischen unterschiedlichen Parteien in einem Land verteilt ist, desto größer ist die Wählerklientel, um deren Stimmen die Regierungsparteien werben und desto größer sind daher auch die Ausgaben, die getätigt werden, um die Wiederwahl der Regierungsparteien zu sichern. Für den Transfersaldo hingegen gilt: Je höher die Einnah-men aus dem Transfersystem in einem Land sind, desto höher ist die Erwartung der Regie-renden auch im Falle einer übermäßigen Verschuldung Hilfen der bundesstaatlichen Ge-meinschaft zu erhalten. Die gemäß der Theorie ohnehin vorhandene Disposition der Regie-renden durch kreditfinanzierte Ausgaben die Wiederwahlaussichten zu erhöhen, wird da-durch verstärkt, dass die Einnahmen aus dem Transfersystem zu der Erwartung führen, die zukünftigen Kosten der Kreditaufnahme in Teilen externalisieren zu können.

Aufgrund der hohen Bedeutung der wiederwahlorientierten Verschuldung gilt es im weiteren Verlauf der Studie, institutionelle Mechanismen für eine effektivere Beschränkung des Zugriff der Regierenden auf die Kreditaufnahme zu identifizieren. Die Fähigkeit der Landesregierungen zur Kreditaufnahme wird bereits durch quantitative Beschränkungen129 in den Landesverfassungen begrenzt. Hinzu kommen seit den neunziger Jahren auch die quantitativen Beschränkungen der europäischen Haushaltsregeln, welche die Länderhaus-halte als Teil des gesamtstaatlichen Haushalts miterfassen. Diese Beschränkungen der Kre-ditaufnahme konnten die übermäßige Verschuldung einiger Bundesländer nicht verhindern. In dieser Studie werden im sechsten Kapitel zunächst die Ursachen der mangelnden Effek-tivität dieser Beschränkungen herausgearbeitet, um auf dieser Basis Empfehlungen für eine effektivere Beschränkung der Kreditaufnahme zu entwickeln (vgl. Kapitel 7).

129 Quantitative Beschränkungen der Haushaltspolitik normieren eine zulässige Grenze für ein Ergebnis des Haus-haltsprozesses, z.B. die Kreditaufnahme (vgl. Abschnitt 1).

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124 5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi

Zuvor jedoch werden die Evidenzen für eine strukturell erzwungene Verschuldung be-trachtet. Dort, wo eine strukturell erzwungene Verschuldung identifiziert werden kann, werden Reformoptionen für die Beseitigung der strukturellen Ursachen diskutiert. Die größte strukturelle Belastung der Länderhaushalte ergibt sich aus den Zinszahlungen. Die Zinszahlungen sind jedoch selbst die Folge der Kreditaufnahme in der Vergangenheit und es ist nicht mehr feststellbar, ob die Verschuldung in der Vergangenheit strukturell erzwun-gen war oder wiederwahlorientiert erfolgte. Unabhängig von der Frage der Ursachen in der Vergangenheit könnten die Haushalte hochverschuldeter Länder in der Gegenwart stark entlastet werden, wenn der Bund oder die bundesstaatliche Gemeinschaft die Zinslasten dieser Länder übernehmen würde. Mit einer solchen Maßnahme wären jedoch extrem prob-lematische Anreize verbunden, wie das Beispiel der Sanierungszuweisungen an Bremen und das Saarland zeigt: In dem Ausmaß, in dem ein Land die Konsequenzen der Verschul-dung in der Vergangenheit nicht selbst tragen muss, bestehen Anreize sich auch in Gegen-wart und Zukunft zu verschulden. Die bundesstaatliche Haftung für die Zinslasten kann daher nicht als sinnvolle Maßnahme zur Reduzierung der Defizite angesehen werden.

Die Wirkung des Wirtschaftswachstums und der Arbeitslosenquote auf die Defizite beinhaltet zwei strukturelle Belastungskomponenten: Einerseits bundesgesetzlich vorgege-bene Sozialleistungen der Länder und ihrer Kommunen, die in wirtschaftsschwachen Län-dern verstärkt anfallen, andererseits Einnahmeverluste infolge der Bevölkerungsabwande-rung in wirtschaftsstärkere Bundesländer (vgl. Abschnitt 3.3.1.). Die Bevölkerungsverluste betreffen in erster Linie die ostdeutschen Länder mit Ausnahme Brandenburgs, das von der Stadt-Umland-Wanderung mit Berlin profitiert. Die vier übrigen ostdeutschen Länder errei-chen im Jahr 2006 durchschnittlich nur noch 89,3 % ihrer Einwohnerzahl des Jahres 1991.130 Die Einwohnerverluste dieser Länder sind Folge ihrer fortdauernder Transiti-onsprobleme. Diese Probleme werden allerdings durch die umfangreichen Transferzahlun-gen an die ostdeutschen Länder kompensiert: Dass sich die Einwohnerverluste nicht zwangsläufig in hohe Defiziten niederschlagen, zeigt ein Vergleich Sachsens mit Mecklen-burg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen:131 Diese drei Länder erreichen 2006 durchschnittlich noch 88,7 % ihrer Einwohnerzahl des Jahres 1991 und weisen im Untersu-chungszeitraum durchschnittlich einen Saldo in Höhe von -448 Euro pro Einwohner auf. Sachsen hat mit einem Wert von 90,9 % nur leicht geringere Bevölkerungsverluste hin-nehmen müssen, erreicht aber mit einem Saldo von -88 Euro pro Einwohner eine deutlich bessere Haushaltsbilanz!

Die Ausgaben, die die Länder und ihre Gemeinden für bundesgesetzlich veranlasste Sozialausgaben tätigen müssen, fallen regional unterschiedlich aus. Besonders hoch sind sie in wirtschaftsschwachen Regionen. Um diese Regionen zu entlasten, bietet es sich an, in dem Bereich dieser Gesetze (vor allem der Sozialhilfe, des Wohngeldes sowie seit der Zu-sammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe der Kosten der Unterkunft und Heizung) dem Bund die Verantwortung für die Finanzierung zuzuweisen. Dabei sollte jedoch ein Selbstbehalt der Länder und ihrer Gemeinden verbleiben, um Anreize für eine sparsame Gesetzesausführung zu setzen (Renzsch 2005: 16f.). Eine Konzentration der Zuständigkeit für Sozialausgaben auf der Bundesebene entspricht auch den Postulaten der normativen

130 Vergleichsweise moderate Einwohnerverluste mussten im gleichen Zeitraum das Saarland (97,0 %), Bremen (97,2 %) und Berlin (98,8 %) hinnehmen. 131 Brandenburg wird nicht in diesen Vergleich einbezogen, da es aufgrund der Suburbanisierung Berlins seine Einwohnerzahl stabil halten konnte (vgl. Abschnitt 3.3.1.).

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5. Die Determinanten der Haushaltssaldi und primären Haushaltssaldi 125

Finanztheorie (Oates 1968: 45ff.). Die bisherige Lösung, bei der ausgerechnet die Kommu-nen für weite Teilung der sozialen Sicherung verantwortlich zeichnen, lässt sich hingegen nur aus der Pfadabhängigkeit der historisch überkommenen „Armenlast der Gemeinden“ (Milbradt 1990: 153) erklären.

Es gibt allerdings noch einen dritten Weg, auf dem ökonomische Strukturprobleme der Länder haushaltswirksam werden können, durch Ausgaben für die Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit und zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Diese Ausgaben sind nicht strukturell erzwungen sondern ergeben sich aus der Logik des Wahl-Wiederwahlmechanis-mus. Da die Arbeitslosigkeit von den Bürgern als wichtiges Problem wahrgenommen wird, würden die Regierungen ihre Wiederwahlaussichten beeinträchtigen, wenn sie keine Maß-nahmen gegen die Arbeitslosigkeit treffen würden. Sollten diese Ausgaben zu einer über-mäßigen Verschuldung führen, können sie durch die Beschränkungen der Kreditaufnahme verhindert werden, die in Kapitel sieben diskutiert werden.

Page 126: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

126 6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

6 Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

6.1 Die Irrelevanz der ‚goldenen Regel’ Als Orientierungsrahmen für die nachfolgende Diskussion sollen die Regelungen aus den Landesverfassungen in einen allgemeinen Kontext quantitativer Beschränkungen gesetzt werden. Der Begriff der quantitativen Beschränkung wird in dieser Studie im Rückgriff auf Kennedy/Robbins (2001) folgendermaßen definiert: „as a statutory or constitutional restric-tion on fiscal policy that sets a specific limit on a fiscal indicator such as budgetary balance, debt, spending or taxation“ (Kennedy/Robbins 2001: 2). Quantitative Beschränkungen dienen der Begrenzung der Verschuldung, der Indienstnahme der Haushaltspolitik für eine makroökonomische Stabilisierungspolitik und seltener der Begrenzung der Steuerlast. Quantitative Beschränkungen, die die Verschuldung begrenzen sollen, beziehen sich auf die Stromgrößen Ausgaben und Haushaltssaldo sowie die Bestandsgröße Schuldenstand. In Tabelle 6-1 sind die häufigsten Referenzgrößen für die Normierung der zulässigen Höhe von Ausgaben, Defizit und Schuldenstand aufgeführt. Diese Haushaltsgrößen werden häu-fig im Bezug zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt, so auch im Vertrag von Maastricht, der die zulässige Höhe des Defizits bei 3 % sowie des Schuldenstands bei 60 % des Bruttoinlands-produkts festlegt (vgl. Abschnitt 6.2.). Das Bruttoinlandsprodukt wird herangezogen, weil es die Ressourcen indiziert, die über die Besteuerung zur Finanzierung der Staatsausgaben beziehungsweise zur Tilgung der Staatsschuld herangezogen werden können (vgl. Ab-schnitt 3.8.1.). Tabelle 6-1: Referenzgrößen quantitativer Beschränkungen für Ausgaben, Haushaltssaldo

und Schuldenstand Ausgaben Haushaltssaldo Schuldenstand

Bruttoinlandsprodukt Bruttoinlandsprodukt Bruttoinlandsprodukt

Ausgaben des Vorjahres Investitionsausgaben

Ausgeglichener Haushalt (Defizitverbot)

Quelle: Eigene Darstellung Einige quantitative Beschränkungen sehen ein Defizitverbot vor, weitaus häufiger ist die Kopplung des Defizits an die Investitionsausgaben, die sogenannte „goldene Regel“ (Ter-Minassian 1997: 20). Auch Bund und Länder in der Bundesrepublik Deutschland folgen dieser Regel.

Die Entstehungsgeschichte der ‚goldenen Regel’ reicht bis in die Mitte des 19. Jahr-hunderts zurück (Dietzel 1855, Stein 1871, Wagner 1883, vgl. Höfling 1993: 106ff.). Die zugrundeliegende Idee kann intuitiv mit Hilfe des verwandten Konzepts der Steuerglättung (tax smoothing) verstanden werden: Starke Kostenbelastungen wie Kriege, Naturkatastro-

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6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 127

phen, aber auch außergewöhnliche Schocks wie die deutsche Einheit würden zu einer sehr hohen Steuerbelastung führen, wenn sie unmittelbar in der Gegenwart finanziert werden müssten. Die Kreditaufnahme bietet eine Möglichkeit, die Finanzierung zeitlich zu strecken und damit die notwendige zusätzliche Steuerbelastung über den Tilgungszeitraum zu vertei-len (Wagschal 1996b: 136). Das Steuerglättungsargument zugunsten der Kreditfinanzie-rung zielt somit auf die Vermeidung von Störungen des Wirtschaftsprozesses. Ergänzend kann daran auch ein Gerechtigkeitsargument angeknüpft werden (Weizsäcker 1997: 131f.): Den Nutzen aus dem Aufbau eines Kriegs zerstörten Landes hat nicht nur die Aufbaugene-ration, sondern auch Ihre Nachkommen, es erscheint daher gerecht auch sie an den Kosten des Wiederaufbaus zu beteiligen, abstrakter formuliert: Die Kosten für die Anschaffung eines Gutes sollen auf den Zeitraum seiner Nutzung verteilt werden – „pay as you use“ (Bajohr 2003: 220). Die Kreditfinanzierung dient somit dazu „vermöge der Verzinsung und langsamen Tilgung solcher Schulden auch die kommenden Generationen an den Lasten derselben mittragen zu lassen, welchen den Vortheil von demjenigen genießen, was vermö-ge der Anleihen hergestellt worden ist“ (Stein 1871: 41f.).132

Die konkrete Formulierung der ‚goldenen Regel’ geht auf Wagner (1883) zurück. Wagner sieht die Kreditfinanzierung bei einem Finanzierungsbedarf als gerechtfertigt an, der folgendermaßen definiert ist: „unperiodischer, in größerem Betrage meist nur von Zeit zu Zeit stattfindender Aufwand an Gütern, dessen Wirkungen über die laufende Finanzpe-riode (nothwendig und regelmäßig) hinüberragen“ (Wagner 1883: 41). Wagner differen-ziert diesen Bedarf in Ausgaben, die „durch abnorme, sich zeitweilig der Verwirklichung der Staatszwecke entgegenstellende Schwierigkeiten verursacht“ (Wagner 1883: 139) wer-den, wie etwa Kriege sowie in Ausgaben, die „zu einer stehenden Kapitalanlage [führen], so dass in den folgenden Finanzperioden eine Minderausgabe und eine gesteigerte staatli-che Productionsfähigkeit eintritt“ (Wagner 1883: 138, vgl. Höfling 1993: 112). Dieser Dua-lismus fand unter den Begriffen „außerordentlicher Bedarf“ und „Ausgaben für werbende Zwecke“ Eingang in das deutsche Verfassungsrecht und hatte in dieser Form Geltung bis zur großen Finanzreform und den damit verbundenen Grundgesetzänderungen im Jahr 1969. Damals wurden die „werbenden Zwecke“ durch den zeitgenössischen Begriff der Investition ersetzt.

Drei Bundesländer (BY, HH, HE) folgen in ihren Landesverfassungen noch der alten Grundgesetzregelung, sechs weitere Länder (BE, BW, HB, RP, SN, NW) haben die 1969 veränderte Fassung des Grundgesetzes übernommen. In den übrigen sieben findet die neue Grundgesetzregelung mit Modifikationen Verwendung. Im Folgenden werden zunächst die alten und neuen Regelungen des Grundgesetzes – und damit die Regelungen der Länder-mehrheit – betrachtet, einschließlich der Probleme bei der Regeldurchsetzung (6.1.1.), ana-log dazu werden anschließend die modifizierten Regelungen diskutiert (6.1.2). Abschlie-ßend werden Probleme der Regeldurchsetzung erörtert, die sich bei allen sechzehn Landes-verfassungen ergeben (6.1.3).

132 Erst von dem Hintergrund dieser Überlegungen wird das vielzitierte Diktum von Lorenz von Stein verständlich: „Ein Staat ohne Staatsschuld thut entweder zu wenig für seine Zukunft oder er fordert zuviel von seiner Gegen-wart“ (Stein 1871: 666).

Page 128: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

128 6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

6.1.1 Die Regelungen im Grundgesetz Art. 115 a.F. – analoge Regelung in Bayern, Hamburg und Hessen

„Im Wege des Kredites dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken und nur auf Grund eines Bundesgesetzes beschafft werden“ (Art. 115a.F.)

Die Effektivität dieser Regelung hängt davon ab, inwiefern es gelingt, die unbestimmten Rechtsbegriffe „außerordentlicher Bedarf“ und „werbende Zwecke“ mit einem präzise ab-gegrenzten Bedeutungsgehalt zu versehen. Andernfalls unterliegt die Begrenzung der Kre-ditaufnahme willkürlichen und beliebigen Entscheidungen beziehungsweise kann von Re-gierungen gezielt umgangen werden, um eine höhere Kreditaufnahme zu ermöglichen. Die Eingrenzung der beiden Begriffe wurde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts versucht und muss als gescheitert betrachtet werden (Höfling 1993: 120ff., Weinzen 2000: 390ff.). Höf-ling und Weinzen belegen dies anhand einschlägiger zeitgenössischer Grundgesetzkom-mentare sowie weiterer juristischer und finanzwissenschaftlicher Forschungsliteratur. Pars pro toto soll hier aus einem Standardwerk, der Einführung in das Haushaltsrecht von Via-lon, zitiert werden. Vialon spricht von der „hoffnungslos unklaren Formulierung des Arti-kel 115“ (Vialon 1959: 127), und führt zu den „werbenden Zwecken“ aus:

„Die ‚werbenden Zwecke’ des Satzes 1 [von Art. 115 GG a.F.] erscheinen durch den Zusatz ‚in der Regel’ von vornherein als eine nicht allzu ernst genommene Voraussetzung. Mehr als ein allgemeiner Hinweis ist die Vorschrift in der Tat nicht, […]. Zu werbenden Zwecken soll hei-ßen, daß der Aufwand, der zunächst aus der Schuldaufnahme bestritten wird, tunlichst im weite-ren Verlauf aus dem Objekt herausgewirtschaftet werden kann. Damit ist nicht gesagt, dass es in sich rentierlich sein soll. Ein werbender Zweck ist nach der heutigen Auffassung ein Park, eine Lesehalle mit freiem Eintritt, ein Freibad. Auch Aufwendungen zur Behebung von Konjunktur-flauten fallen unter die werbenden Zwecke […] Ebenso wie der außerordentliche Bedarf ist auch der werbende Zweck durch das Verfassungsgericht nachprüfbar; die Ungültigkeit der Ermächti-gung wird sich im letzten Fall aber aus dem Spruch selten ergeben […], da der werbende Cha-rakter für den Dritten regelmäßig nicht nachprüfbar sein könnte“ (Vialon 1959: 236f.).

Auffällig ist die Nonchalance, mit der die faktische Nichtigkeit einer Verfassungsregel zur Kenntnis genommen wird. Ein ernsthaftes Bemühen um Begriffspräzision existiert nicht mehr, stattdessen tritt eine beiläufige Aufzählung mehr oder minder beliebiger Sachver-halte.133

Im Zusammenhang mit dem Begriff des außerordentlichen Bedarfs steht die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bei Bund und Ländern gültige Haushaltspraxis, den Etat in einen ordentlichen und einen außerordentlichen Haushalt aufzuteilen, ersterer war mit Steuern zu finanzieren, letzterer konnte auch mit Krediten finanziert werden (Patzig 1985: 294). Die Ausgaben wurden zumeist willkürlich und vielfach manipulativ den beiden Teilen zuge-wiesen (Höfling 1993: 120), wobei häufig eine gegebene Kreditaufnahme ex post legiti-miert wurde, in dem Ausgaben in entsprechender Höhe als außerordentlich etikettiert wor- 133 Bemerkenswert ist darüber hinaus der Rekurs auf eine kreditfinanzierte Konjunkturpolitik in einem Lehrbuch des Haushaltsrechts zehn Jahre bevor die Konjunkturpolitik ihren Niederschlag im Grundgesetz fand. Vialon steht damit im keynesianischen Geist seiner Zeit, während die Grundgesetzänderung den Keynesianismus mit Verzöge-rung aufgriff (siehe unten).

Page 129: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 129

den sind.134 Derartige Praktiken führten „gelegentlich zu der sarkastischen Feststellung, was insoweit geschehe, sei weder ordentlich noch außerordentlich, sondern ‚einfach unor-dentlich’“ (Patzig 1985: 294).

Was immer auch an der im Folgenden zu diskutierenden neuen Fassung des Grundge-setzes kritisiert werden muss, man kann ihr nicht vorwerfen, dass sie an die Stelle einer trennscharfen und manipulationsfesten Haushaltsregel getreten sei!

In Hamburg (Art. 72) und Hessen (Art. 141) lautet die Begrenzungsformel wie im Grundgesetz a.F. „nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken“, in Bayern hingegen heißt sie ausschließlich „nur bei außergewöhnli-chem Bedarf“ (Art. 82). In allen drei Ländern wurde jedoch die Landeshaushaltsordnung an die neue Fassung des Grundgesetzes angepasst (Nawrath 1997: 24) – im Sinne einer zuläs-sigen Kreditaufnahme in Höhe der Investitionsausgaben, die ausnahmsweise zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts überschritten werden darf (siehe unten). Somit ergibt sich eine Inkongruenz zwischen Landeshaushaltsordnung und Landes-verfassung. Daran schließen sich zwei Fragen an: Wie wird in der Haushaltspraxis mit dieser Inkongruenz umgegangen? Und vorgelagert: Warum wurde die alte Regelung in den Landesverfassungen nicht verändert?

In Hamburg wurde an der alten Regel festgehalten, nachdem ein Antrag auf Verfas-sungsänderung im Jahr 1971 nicht die erforderliche Mehrheit im Landesparlament fand (David 1994: 914). In Bayern und Hessen hingegen wurde kein Antrag auf Verfassungsän-derung eingebracht. Nur in diesen beiden Ländern kann das Landesparlament nicht ohne einen zusätzlichen Volksentscheid die Verfassung ändern (Leunig 2007: 285). Diese Bin-dung hat eine verfassungsstabilisierende Wirkung, in keinem anderen Land ist die Verfas-sung so selten geändert worden wie in Bayern und Hessen (J. Fuchs 1994: 40). Daher liegt die Vermutung nahe, dass in diesen beiden Ländern auf einen Volksentscheid mit ungewis-sem Ausgang verzichtet wurde, um die Haushaltsreform nicht zu gefährden (Schemmel 2006: 183).

In allen drei Ländern wird der Wortlaut der Verfassung im Sinne der neuen Regelung in der Haushaltsordnung ausgelegt: In Hamburg und Hessen werden die „Ausgaben zu werbenden Zwecken“ mit dem gegenwärtigen Investitionsbegriff gleichgesetzt. Zudem wird die Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts unter den au-ßerordentlichen Bedarf subsumiert. Allerdings sind die Haushaltsgesetzgeber nach Ent-scheidungen des Hamburgischen Verfassungsgerichts und des Hessischen Staatsgerichtsho-fes befugt, weitere Arten von außerordentlichem Bedarf zur Kreditfinanzierung geltend zu machen135 – hier ergeben sich weitere Spielräume für die Kreditaufnahme. In der bayeri-schen Haushaltspraxis werden auch die Investitionsausgaben unter den außerordentlichen Bedarf subsumiert, da der Begriff des außerordentlichen Bedarfs nicht eng auszulegen sei

134 Auch Vialon trägt wenig zur Bestimmung der Begriffe bei: „Natürlich gehen die Meinungen über das, was ordentlicher und außerordentlicher Bedarf ist, ebenso weit auseinander wie die Haushaltspraxis bei dem oft zum ‚Rangierbahnhof’ abgewerteten außerordentlichen Haushalt. Als Kriterium für den außerordentlichen Bedarf wird man aber verlangen müssen, daß es nicht um einen fortdauernden und für die Verwaltung typischen normalen Gebrauchszweck handelt und daß die Deckung des Aufwands sich nach Art und Umfang der Deckung des allge-meinen Verwaltungsaufwands entzieht. Dieser Begriffsversuch ist, wie ohne weiteres zuzugeben ist, problema-tisch und akademisch, da im Ernstfalle die finanzwirtschaftlichen ‚Tatsachen’ die Behandlung des Bedarfs als außerordentlich stets rechtfertigen werden“ (Vialon 1959: 236). 135 David 1994, Höfling 1993: 406ff., Patzig 1985 sowie die Antworten auf Anfragen des Verfassers an das Hessi-sche Ministerium der Finanzen und die Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg.

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und die Investitionsausgaben im wesentlichen den Ausgaben entsprächen, die früher im außerordentlichen Haushalt aufgeführt werden konnten (Patzig 1985: 297).136 Art. 115 n.F. – analoge Regelungen in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Nordrhein-Westfalen

„Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen ei-ner der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz. Die Ein-nahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für In-vestitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des ge-samtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt“ Art. 115(1) n.F.

Der erste Satz von Artikel 115 n.F. normiert die Gesetzesbindung der Kreditaufnahme, diese Regelung hat eine Tradition, die sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt und Ausdruck des Budgetrechts des Parlaments ist (Höfling 1993: 12ff.). Während sie da-mals noch eine begrenzende Wirkung auf die Defizite ausüben konnte, ist dies im moder-nen Parlamentarismus mit der faktischen Handlungseinheit von Regierung und der sie tra-genden Parlamentsmehrheit nicht mehr der Fall.

Die sprachliche Differenzierung zwischen der „Aufnahme von Krediten“ im ersten Satz und den „Einnahmen aus Krediten“ im zweiten Satz ist folgenreich. Der herrschenden Interpretation zufolge umfasst der erste Satz alle aufgenommenen Kredite (Bruttokreditauf-nahme), der zweite jedoch nur diejenigen Krediteinnahmen, die nicht für die Anschlussfi-nanzierung auslaufender Kredite verwendet werden und daher als Staatseinnahmen zur Verfügung stehen (Nettokreditaufnahme). Somit erfasst die im zweiten Satz normierte ‚goldene Regel’ nur die Nettokreditaufnahme. Dieser Unterscheidung ist alles andere als trivial, wie ein Blick auf die bereits in der Einleitung referierten Zahlen aus dem Jahr 2006 zeigt: In diesem Jahr machte die Nettokreditaufnahme nur 7,5 Prozent der Bruttokreditauf-nahme aus!137 Der Geltungsbereich der Defizitbeschränkung ist somit massiv einge-schränkt!

Ebenfalls nicht unter die Einnahmen aus Krediten werden sogenannte Kassenverstär-kungskredite gezählt (vgl. §10 Abs. 3 Nr.1 HGrG), sie unterliegen somit ebenfalls nicht den Begrenzungsregeln des Art. 115 GG. Kassenverstärkungskredite dienen nicht der Deckung des Haushalts, sondern zum kurzfristigen Ausgleich von Liquiditätsschwankungen, mit anderen Worten, sie ermöglichen es dem Staat, fällige Ausgaben zu tätigen, auch wenn die regulären (Steuer-)Einnahmen unstetig eintreffen. Im Jahr 2005 ermächtigten die Landes-haushaltsgesetze die Finanzminister Kassenverstärkungskredite im Umfang zwischen 6 % (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz) und 13 % (Berlin) des jeweiligen Haushaltsvolu- 136 Seit dem 1. Januar 2006 enthält die Haushaltsordnung Bayerns ein – allerdings nicht bindendes – Gebot des Haushaltsausgleichs: „Art. 18 (1) Der Haushaltsplan soll regelmäßig ohne Einnahmen aus Krediten ausgeglichen werden. (2) Soweit eine Kreditaufnahme notwendig ist, um den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen oder aus einem vergleichbar schwerwiegenden Grund, dürfen Einnahmen aus Krediten bis zur Höhe der Summe der Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden; höhere Einnahmen aus Krediten sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ (Artikel 18 BayHO). 137 6,2 Milliarden Euro von 82,7 Milliarden Euro (Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis von Daten des Statisti-schen Bundesamtes).

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6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 131

mens aufzunehmen (Schemmel 2006: 190). Kassenverstärkungskredite haben eine sehr kurze Laufzeit,138 sobald sie zurückgezahlt worden sind, können im Rahmen der Ermächti-gung durch das Haushaltsgesetz erneut Kassenverstärkungskredite aufgenommen werden (§13(1) HGrG). Hieraus ergibt sich ein nahe liegendes Haushaltsschlupfloch: Die Länder können durch die permanente Inanspruchnahme von Kassenverstärkungskrediten entgegen den gesetzlichen Vorgaben faktisch Ausgaben decken. Dieses Schlupfloch kann eine be-achtliche Größe erreichen: Für das Jahr 1999 errechnete der Landesrechnungshof von Ber-lin (2001: 25) einen Sockel von permanent in Anspruch genommenen Kassenverstärkungs-krediten in der Höhe von 1,1 Milliarden Euro, das sind 5 % des Haushaltsvolumens.

Schließlich ist zu erwähnen, dass sich die ‚goldene Regel’ auf die „im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen“ bezieht. Daraus wird der nicht unumstrittene Schluss gezogen, dass die gesamte Regel sich nur auf den Haushaltsplan und nicht auf den Haushaltsvollzug bezieht (Schemmel 2006: 24). Hier tut sich ein weiteres Schlupfloch auf, in dem die Regeln durch gezielte Abweichungen vom Haushaltsplan umgangen werden. Das gelingt beispielsweise, indem (a) die Investitionsausgaben überhöht veranschlagt wer-den, (b) eine globale Minderausgabe in den Haushalt eingestellt wird und (c) im Haushalts-vollzug diese globale Minderausgabe durch Streichung von Investitionen erwirtschaftet wird (Schemmel 2006: 164).

Der zweite Satz von Artikel 115 differenziert zwischen einem Normalfall, in dem die Einnahmen aus Krediten die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten darf und einem Ausnahmefall bei einer Störung des ge-samtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Im weiteren Verlauf des Abschnittes wird zunächst der Normalfall diskutiert, und danach der Ausnahmefall. Der Normalfall: Die ‚goldene Regel’ Um die Effektivität dieser Regel zu bewerten, ist es wiederum notwendig, die Präzision und Manipulationsfestigkeit des zentralen Begriffes, der (staatlichen) Investition, zu untersu-chen: Staatliche Investitionen können im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Investitionen nicht exakt definiert werden: Wenn unter Investitionen „der Einsatz von Produktionsfakto-ren zur Erhaltung, Erweiterung oder Verbesserung eines Produktionsmittelbestands“ (Brockhaus 1983: 272) verstanden wird, so stellt sich die Frage, was der Staat produziert und welche Produktionsmittel er dazu verwendet. Die Frage kann jenseits der bloßen Meta-pher öffentlicher Güter nicht eindeutig beantwortet werden. Diese begriffliche Unschärfe kann in strategischer Absicht zur Inflationierung der ausgewiesenen Investitionsausgaben genutzt werden.

Die begriffliche Unschärfe der staatlichen Investition schlägt sich in der in Deutsch-land gültigen Definition staatlicher Investitionen deutlich nieder:139

138 „Kassenverstärkungskredite dürfen nicht später als sechs Monate nach Ablauf des Haushaltsjahres, für das sie aufgenommen worden sind, fällig werden“ (§ 13(1) HGrG). 139 Im Grundgesetz selbst wurde der Investitionsbegriff nicht definiert, stattdessen erging ein Regelungsauftrag an den Bundesgesetzgeber: „[…] Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ (Artikel 115(1) GG). Der Bundes-gesetzgeber beließ den Investitionsbegriff über zwei Jahrzehnte lang ohne gesetzliche Normierung. In der Haus-haltspraxis wurde die verwaltungsintern erstellte Haushaltssystematik zur Abgrenzung der Investitionsausgaben verwendet. Das Bundesverfassungsgericht rügte diese Praxis in einem Urteil des Jahres 1989. Es erinnerte den Bundesgesetzgeber an den Gesetzgebungsauftrag des Grundgesetzes und mahnte „vor allem eine nähere Präzisie-rung des Investitionsbegriffs“ (Bundesverfassungsgericht 1989: 352) an. Der Bundesgesetzgeber reagierte auf die Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts, indem er den Investitionsbegriff der Verwaltungspraxis unverändert

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„Ausgaben für Investitionen sind die Ausgaben für a) Baumaßnahmen, soweit sie nicht militärische Anlagen betreffen, b) den Erwerb von beweglichen Sachen, soweit sie nicht als sächliche Verwaltungsausgaben veranschlagt werden oder soweit es sich nicht um Ausgaben für militärische Beschaffungen handelt, c) den Erwerb von unbeweglichen Sachen, d) den Erwerb von Beteiligungen und sonstigem Kapitalvermögen, von Forderungen und An-teilsrechten an Unternehmen, von Wertpapieren sowie für die Heraufsetzung des Kapitals von Unternehmen, e) Darlehen, f) die Inanspruchnahme aus Gewährleistungen, g) Zuweisungen und Zuschüsse zur Finanzierung von Ausgaben für die in den Buchstaben a bis f genannten Zwecke.“ (§10 Abs. 3 Nr. 2 HGrG)

Diese Investitionsdefinition wird in der wissenschaftlichen Diskussion seit Jahrzehnten kritisiert.140 In dieser Studie soll die Definition nicht einer umfassenden Kritik unterzogen werden, stattdessen werden nur einzelne Punkte herausgegriffen, um die Fragwürdigkeit und Manipulationsanfälligkeit dieser Definition zu verdeutlichen.

Zu den Investitionen zählt auch der Erwerb beweglicher Sachen, wenn sie eine Wert-grenze überschreiten, andernfalls gelten sie als sächliche Verwaltungsausgaben (b). Diese Wertgrenzen variieren zwischen den Ländern und erreichen in ihrem Maximum 5000 Euro (Schemmel 2006: 148) – ein geradezu grotesk niedriger Wert, um Ausgaben zu definieren, deren Finanzierung durch Kredite generationenübergreifend organisiert werden soll. So kann bereits die „Anschaffung von Kantinengeschirr“ (Milbradt 2007: 6) als Investition gelten.

Hoch problematisch ist auch die Berücksichtigung von Ausgaben für den Erwerb von Beteiligungen an Unternehmen (Punkt d). Vielfach handelt es sich hierbei um staatliche Subventionen für marode Unternehmen, deren zukunftsbegünstigender Charakter im Sinne des intertemporalen Lastenausgleichs höchst zweifelhaft ist, wie sich anhand eines Bei-spiels illustrieren lässt: Im Jahr 2001 explodierten die ausgewiesenen Investitionsausgaben Berlins förmlich, die Ursache war eine Kapitalzuführung in Höhe von 1,8 Milliarden Euro an die kriselnde Bankgesellschaft Berlin (Kitterer/Groneck 2006: 561). Weil diese Subven-tion als Heraufsetzung des Kapitals abgerechnet wurde, wurde sie nicht als Sachausgabe, sondern als Investition bewertet. Somit kann sie die Kreditaufnahme im gleichen Umfang legitimieren.

Neben derartigen zweifelhaften Additionen zum Investitionsbegriff ist eine Reihe von unterlassenen Abzügen zu kritisieren: Der Investitionsbegriff blendet den Wertverlust kre-ditfinanzierter Investitionen aus und ermöglicht somit die Kreditfinanzierung von Erhal-tungs- und Ersatzinvestitionen (vgl. Gumboldt 2005: 500): „So gilt im Straßenbau schon das Ausbessern von Schlaglöchern als Investition“ (Milbradt 2007: 6). Darüber hinaus werden Desinvestitionen des öffentlichen Kapitalstocks durch Privatisierungen nicht vom Investitionsbegriff abgezogen (Kitterer/Groneck 2006: 561).141 Zudem werden in einigen Ländern Investitionszuweisungen des Bundes neben den eigenfinanzierten Investitionen als im Haushaltsgrundsätzegesetz verankerte und verbindlich für Bund und Länder festschrieb (vgl. §1 HGrG). Mithin goss er jene Definition in Gesetzesform, die vom Bundesverfassungsgericht gerade beanstandet worden war! 140 Unter anderem von: Andel 1998, Bajohr 1999, Bröcker 1997, Färber 2005, Fricke 1990, Gandenberger 1990, Halstenberg 2001, Mußgnug 1996, Patzig 1985, Schemmel 2006, Wissenschaftlicher Beirat 1980. 141 Somit wird nur der Erwerb von Beteiligungen berücksichtigt, nicht aber ihr Verkauf.

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investive Mittel ausgewiesen. Somit legitimieren die Zuweisungen zweimal die Kreditauf-nahme, einmal bei der gebenden Gebietskörperschaft, einmal bei der empfangenden, dem Land (Kitterer/Groneck 2006: 561).

Höchst problematisch im Sinne der intergenerationalen Lastenverteilung ist schließlich die Tatsache, dass die aufgenommenen Kredite seit Jahrzehnten nicht mehr getilgt werden, sondern durch Anschlusskredite umgeschuldet werden: Die gegenwärtigen Investitionsaus-gaben folgen somit dem Modell des kreditfinanzierten Dienstwagens, „der nach vier Jahren ausgemustert wird und dessen beide Nachfolgemodelle gleichermaßen kreditfinanziert werden. Nach zwölf Jahren zahlen die Steuerpflichtigen Zinsen für drei Kredite, obgleich nur ein Fahrzeug genutzt werden kann“ (Bajohr 2003: 221).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Investitionsbegriff des HGrG viel zu breit ist, um der Intention zu entsprechen, die hinter der ‚goldenen Regel’ steht – nämlich die Kreditfinanzierung von Ausgaben zu ermöglichen, die einen eindeutig zukunftsbegüns-tigenden Charakter aufweisen. Die mangelnde Präzision des Investitionsbegriffs ermöglicht es obendrein, durch die Umdeklarierung von Sachausgaben die zulässige Kreditaufnahme zu erhöhen. Der Ausnahmefall: Die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Die Ergänzung der Kreditbegrenzung um den Ausnahmebestand der Störung des gesamt-wirtschaftlichen Gleichgewichts stellt einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik dar. Die Haushaltspolitik sollte nicht mehr allein der Deckung der veranschlagten Ausga-ben dienen, sie wurde funktionalisiert und nun als Instrument der Konjunktursteuerung betrachtet (Höfling 1993: 106). Bei dieser Regelung handelte sich um eine verspätete Re-zeption des Keynesianismus:

„Die am Reformprozess beteiligten Verfassungsorgane feierten die Neuorientierung des Staats-schuldenrechts trotz mindestens 30-jähriger Rezeptionsverspätung noch als modern und über-gingen die zwischenzeitliche ‚monetaristische Gegenrevolution’ mit nachsichtigem Schweigen“ (Höfling 1993: 132).

Der Keynesianismus geht von einer grundlegenden Instabilität der kapitalistischen Ökono-mie aus, welche stabilisierende Staatseingriffe in den Wirtschaftsprozess notwendig macht, um Vollbeschäftigung zu erreichen und erhalten: In Rezessionszeiten soll der Staat die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch kreditfinanzierte Ausgaben stützen (deficit spen-ding). Während der Hochkonjunktur hat der Staat hingegen die Aufgabe, eine zurückhal-tende Ausgabenpolitik zu betreiben und die zuvor aufgenommenen Kredite zu tilgen (surp-lus saving).142

Der Kreditaufnahme wuchs damit eine zuvor ungeahnte Legitimation zu. Die vorkey-nesianische Haushaltspolitik stand der Staatsverschuldung äußerst skeptisch gegenüber. In Analogie zum privaten Haushalt wurde für den Staat postuliert, dass man „nicht mehr aus-geben kann, als man hat“ (Sturm 1993: 47). Das änderte sich mit dem Siegeszug des Key-nesianismus. Defizite waren nun nicht mehr per se beunruhigend, sondern konnten – richtig eingesetzt – ein wirksames Mittel der Bekämpfung wirtschaftlicher Krisen sein. Sturm und Müller zufolge (1999: 10) war der Keynesianismus für viele Politiker eine willkommene

142 In der Haushaltspraxis gelang es in der Regel nicht, hinreichende Überschüsse während der Hochkonjunktur zu erzielen (Kloepfer/Rossi 2003: 330).

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134 6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

Legitimation für Defizite, die sie nutzten, ohne sich um ein Verständnis der theoretischen Komplexität zu bemühen.

Betrachtet man nun die konkrete Regelung für den Ausnahmefall im Grundgesetz, gilt es auch hier zu fragen, wie transparent und trennscharf der zentrale Begriff – die „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ – definiert ist. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht wird im Stabilitäts- und Wachstumsgesetz normiert als gleichzeitiges Ein-treffen der Stabilität des Preisniveaus, eines hohen Beschäftigungsstands, des außenwirt-schaftlichen Gleichgewichts und eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums (§ 1 StabWG). Da das Gleichgewicht als gleichzeitiges Auftreten aller vier Merkmale defi-niert ist, wurde im Umkehrschluss das Verfehlen eines der vier Teilziele als Störung des Gleichgewichts interpretiert (Schemmel 2006: 27). Die Hürde für diesen Ausnahmetat-bestand hängt somit sehr niedrig:

„So since the mid-1960’s German politicians could in practice decide for themselves whether or not they wanted to see the national economy in a ‘crisis’ which called for state intervention and deficit-financed spending (Sturm/Müller 1999: 70).

Das Bundesverfassungsverfassungsgericht bemühte sich, dieser Beliebigkeit Grenzen zu setzen: In dem erwähnten Urteil aus dem Jahr 1989 stellte es fest, dass der Ausnahmetatbe-stand nur dann in Anspruch genommen werden darf, „wenn das – stets labile – gesamtwirt-schaftliche Gleichgewicht ernsthaft und nachhaltig gestört ist oder eine solche Störung unmittelbar droht“ (Bundesverfassungsgericht 1989: 311). Die erhöhte Kreditaufnahme ist darüber hinaus nur dann zulässig, wenn sie nach Umfang und Verwendung dazu geeignet ist, die Störung zu beheben. Das Gericht gesteht dem Haushaltsgesetzgeber einen Einschät-zungs- und Beurteilungsspielraum hinsichtlich dieser Kriterien zu, verpflichtet ihn jedoch im Gegenzug, das Vorliegen dieser Kriterien explizit darzulegen und zu begründen. Im Streitfall obliegt es den Verfassungsgerichten, zu entscheiden, ob die Entscheidungen des Haushaltsgesetzgebers frei von Willkür, nachvollziehbar und vertretbar sind (Bundesver-fassungsgericht 1989: 344, Kloepfer/Rossi 2003: 329).

Doch auch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts konnten den Missbrauch der Regelung kaum eindämmen (vgl. Abschnitt 6.1.3.). Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Milbradt vergleicht daher die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts mit der „’escape’-Taste auf dem Computer – Sie können sich mit dieser Formel praktisch aus jeder Situation herauswinden, ohne sie zu lösen“ (Milbradt 2007: 6).

Unabhängig von der Gefahr des Missbrauchs dieser Formel ist auch aus theoretischer Sicht die Sinnwidrigkeit einer eigenständigen Konjunkturpolitik durch die Bundesländer zu konstatieren: Eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts kann nur auf der Ebene einer gesamten Volkswirtschaft vorliegen, nicht in einem einzelnen Bundesland, das ergibt sich unter anderem aus dem Teilziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Die hohe Arbeitslosigkeit in einigen Ländern ist demzufolge nicht auf eine konjunkturelle Stö-rung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, sondern auf regionale strukturelle Prob-leme zurückzuführen. Wenn aber das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht der gesamten Volkswirtschaft gestört ist, kann die isolierte und unkoordinierte Kreditaufnahme eines Bundeslands nicht dazu geeignet sein, diese Störung zu beheben, somit kann eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts nicht eine zusätzliche Kreditaufnahme der Bundesländer legitimieren (Kloepfer/Rossi 2003: 330ff.).

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6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 135

6.1.2 Modifikationen in einzelnen Ländern Sieben Länder orientieren sich in ihren Verfassungen im Wesentlichen an dem Artikel 115 GG n.F., haben jedoch im Detail Modifikationen vorgenommen. In Brandenburg, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen wurden die Bestimmungen für den Ausnahmefall ver-ändert. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gelten Modifika-tionen für Regel- und Ausnahmefall. Tabelle 6-2: Klassifizierung der quantitativen Beschränkungen in den

Landesverfassungen Artikel 115 GG (neue Fassung)

Artikel 115 GG (alte Fassung)

Entsprechung1 Modifizierter

Regelfall Modifizierter Ausnahmefall

Baden-Württemberg Mecklenburg-Vorpommern

Brandenburg Bayern

Berlin Niedersachsen Mecklenburg-Vorpommern

Hamburg

Bremen Sachsen-Anhalt Niedersachsen Hessen

Rheinland-Pfalz Saarland

Sachsen Sachsen-Anhalt

Nordrhein-Westfalen Schleswig-Holstein

Thüringen 1 In Nordrhein-Westfalen sinngemäße Entsprechung, in den übrigen fünf Ländern wortwörtliche Entsprechung. Nach dem Verständnis des nordrhein-westfälischen Verfassungsgesetzgebers drückte die entsprechende Passage in der Landesverfassung den intendierten Sinngehalt besser aus als der Artikel des Grundgesetzes (Höfling 1993: 153). Quelle: Eigene Darstellung Modifizierter Regelfall Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen verschärfen die Grundgesetzregelung, in-dem die Kreditaufnahme auf die Höhe der eigenfinanzierten Investitionen begrenzt wird. Empfangene Investitionszuweisungen des Bundes und der EU können somit nicht die Kre-ditaufnahme legitimieren. Sachsen-Anhalt hingegen weicht die Bestimmungen des Grund-gesetzes weiter auf, indem zu den Investitionen „auch die Aufwendungen für den Schutz und die Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Artikel 99(2)) gerechnet werden. In der Haushaltspraxis darf diese Modifikation jedoch keine Verwendung finden, da der Investitionsbegriff bereits im Haushaltsgrundsätzegesetz verbindlich für Bund und Länder geregelt wurde und Bundesrecht Landesrecht – auch Landesverfassungsrecht – bricht.

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136 6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

Modifizierter Ausnahmefall Die modifizierten Regelungen für den Ausnahmefall, weichen zumeist die Bestimmungen des Grundgesetzes weiter auf, indem zusätzlich zur Abwehr der Störung des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts weitere Ausnahmetatbestände normiert werden: In Nieder-sachsen die „Abwehr einer akuten Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen“ (Art. 91(3)), im Saarland „das Vorliegen eines außergewöhnlichen Bedarfs“ (Art. 108(2)), in Mecklenburg-Vorpommern (Art. 65(2)), in Schleswig-Holstein (Art. 53) und in Thüringen (Art. 98(2)) die Störung beziehungsweise Bedrohung der „Wirtschafts- und Beschäfti-gungsentwicklung des Landes“. Die drei letztgenannten Länder reagierten mit dieser Rege-lung auf die oben angeführte Kritik, dass die Arbeitsmarktprobleme in einigen Ländern nicht konjunkturell verursacht, sondern Folge von regionalen Strukturproblemen seien. In den drei Ländern können diese wirtschaftsstrukturellen Probleme nun zur Legitimation der Kreditaufnahme verwendet werden.143

Die Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern (Art. 65(2)) und Sachsen-Anhalt (Art. 99(3)) rekurrieren auf das erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts und geben daher vor, dass die Kreditaufnahme nach „Umfang und Verwendung bestimmt und geeig-net sein“ müsse, um die zuvor normierten Ausnahmetatbestände abzuwehren. 6.1.3 Gemeinsame Probleme aller Regelungen Jenseits aller Unterschiede im Detail sehen sich die Kreditbegrenzungsregeln aller sechzehn Bundesländer einer Reihe von gemeinsamen Problemen gegenüber: Die Regeln können umgangen werden, durch Finanzierungsinstrumente, die von den Kreditbegrenzungsregeln nicht erfasst werden (a), sowie durch Kreditfinanzierung außerhalb der Haushalte, infolge von Haushaltsausgliederungen (b). Trotz aller Schlupflöcher hielten viele Länder im Unter-suchungszeitraum die Regelgrenze der Kreditaufnahme nicht ein. Daraufhin nutzen sie in fragwürdiger Weise die Ausnahmetatbestände (c). Dieser nachlässige Umgang mit Verfas-sungsregeln hat seine Ursache auch in den geringen Sanktionsdrohungen (d). (a) Alternative Finanzierungsinstrumente Der Finanzmarkt bietet den Gebietskörperschaften eine Fülle von Finanzierungsinstrumen-ten, deren Fähigkeit zur Umgehung von Haushaltsregeln144 zum Teil explizit beworben wird. Belege hierfür liegen in der Literatur hinsichtlich der europäischen Haushaltsregeln vor. Ottnad erwähnt die von Finanzdienstleistern verwendete Formulierung der „Maast-richt-Unschädlichkeit“ (Ottnad 2002: 23). Heusinger und Pinzler zitieren ein Angebot der Deutschen Bank, sie könne beim „Formulieren der Gründe für diese Art des Risikomana-gements mit Blick auf Eurostat Hilfestellung anbieten“ (Heusinger/Pinzler 2004: 34) – Eurostat, das Statistische Amt der Europäischen Union, überprüft die Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die europäischen Haushaltsregeln (vgl. Abschnitt 6.2).

Diese Finanzierungsinstrumente sind in der Regel komplex strukturiert und meist teu-rer als die gewöhnliche Kreditaufnahme, wie Weinzen am Beispiel der ‚Forfaitierung’ des dritten Bauabschnitts der Berliner Messe erläutert:

143 Die gleiche Absicht steht auch hinter der Formulierung des außergewöhnlichen Bedarfs in der saarländischen Verfassung (Höfling 1993: 406). 144 Für einen Überblick siehe Kaeser 2002.

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6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 137

“Wenn ich mir von einem anderen für eine Milliarde ein Haus bauen lasse, dieser jetzt von ei-nem Dritten dafür bezahlt wird, ich aber den Dritten erst in einigen Jahren bezahle und der sich das Geld auch erst leihen mußte, dann werde ich dem Dritten wohl etwas mehr für seine Mühe und Geduld zahlen müssen, als ich aufwenden muß, wenn ich selbst und ohne Zwischenhändler einen Kredit aufnehme” (Weinzen 2000: 421).

(b) Haushaltsausgliederungen Den Ausgliederungen aus den öffentlichen Haushalten liegen Entscheidungen der Gebiets-körperschaften zugrunde, die Erfüllung öffentlicher Aufgaben aus der Verwaltung aus-zugliedern und sie inklusive der zugehörigen Finanzwirtschaft mehr oder minder selbst-ständigen Einrichtungen zu übertragen (Karl-Bräuer-Institut 2004: 3ff.). Die Haushaltsaus-gliederungen haben im Zuge der Finanzierung der Deutschen Einheit über Sondervermögen des Bundes (Schwinn 1997) an Publizität gewonnen. Derartige Ausgliederungen existieren jedoch auch auf Landesebene und vor allem in den Kommunen, hier haben sie ein Ausmaß angenommen, das in der Literatur bereits als „Skelettierung“ (Faiß et al. 2002: 657) des Haushalts bezeichnet wird.

Diese Ausgliederungen können zur Umgehung der Kreditbegrenzungsregeln genutzt werden, wenn die ausgegliederten Einheiten vom Haushaltsgesetzgeber ermächtigt werden, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Kredite aufzunehmen.145 Diese Kredite unterliegen nicht den Verfassungsregeln, die sich ausschließlich auf den Staatshaushalt beziehen. Eine eindeutig missbräuchliche Verwendung der Haushaltsausgliederungen liegt vor, wenn die ausgeglie-derten Einheiten die Einnahmen aus Krediten nicht für die eigenen Aufgabenerfüllung nutzen, sondern an den öffentlichen Haushalt überweisen: So zahlte die ausgegliederte Berliner Stadtreinigung im Jahr 2003 400 Millionen Euro aus Krediten an das Land Berlin. Das Land verbuchte diese verdeckte Kreditaufnahme „zum Teil als Herabsetzung des Stammkapitals und zum Teil als Vorauszahlung auf die Gewinne der BSR aus dem auf fünfzehn Jahre abgeschlossenen Monopolvertrag mit Berlin“ (Schemmel 2006: 186f.).146

Zudem kann mithilfe von Ausgliederungen das Ausmaß der Verschuldung verschleiert werden, indem den ausgliederten Einheiten bereits existierende Schulden zugewiesen wer-den. Derartige Praktiken sind aufgrund der mangelnden Transparenz der Ausgliederungen schwer nachzuweisen, daher können hier nur exemplarisch die Ergebnisse von intensiven Prüfungen der Rechnungshöfe zitiert werden: Im Jahr 2001 betrug die aggregierte Pro-Kopf-Verschuldung von Land und Kommunen in Sachsen 3686 Euro, der Anteil der Kommunen betrug 1254 Euro. Nicht ausgewiesen ist eine Pro-Kopf-Verschuldung von Eigenbetrieben, Eigengesellschaften, Beteiligungsgesellschaften und Krankenhäusern der Gemeinden in Höhe von 2346 Euro (Rechnungshof des Freistaates Sachsen 2002: 395). Die tatsächliche Verschuldung der öffentlichen Hand betrug somit auf aggregierter Ebene 164 % des ausgewiesenen Wertes, auf der kommunalen Ebene sogar 287 % des ausgewiesenen Wertes.147

145 Die deutsche Bundesbank führt hierfür beispielhaft Bau- und Liegenschaftsbetriebe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz an sowie Sondervermögen für Hafenbaumaßnahmen in Bremen und Hamburg (Deutsche Bundesbank 2006: 37). 146 Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin (2003a) sah in dieser Praxis keinen Verstoß gegen die Landes-verfassung, da sich die Kreditbegrenzungsregel wie bereits erwähnt nur auf die unmittelbare Staatsorganisation beziehe. 147 Vgl. zur Problematik mangelnder Vergleichbarkeit öffentlicher Haushaltsdaten infolge von Haushaltsausgliede-rungen: Karl-Bräuer-Institut 2004, sowie Landesrechnungshof Schleswig-Holstein 2003: 33ff.

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(c) Kreative Interpretationen der Ausnahmetatbestände Angesichts der Fülle von Schlupflöchern erscheint es kaum möglich, dass Länder tatsäch-lich gezwungen sein sollten, offen die Regelgrenze der Kreditaufnahme zu überschreiten. Nach einer Untersuchung von Kitterer und Groneck (2006: 561) lag jedoch in den Jahren 1991 bis 2005 in 28 % aller Länderhaushalte die Kreditaufnahme im Haushaltsvollzug oberhalb der Investitionsausgaben.

Zur Legitimierung des Überschreitens griffen die Regierungen zumeist auf die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zurück. Einen Einschnitt markierte 2003 eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin: Das Gericht erklärte die Kreditaufnahme im Landeshaushalt 2002/2003 für verfassungswidrig, weil der Haushalts-gesetzgeber nicht ausreichend dargelegt habe, dass und auf welche Weise die erhöhte Kre-ditaufnahme zur Abwehr der Störung der gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts geeignet sei (siehe oben). Zugleich wies das Gericht das Land Berlin jedoch auf eine andere Begrün-dung der erhöhten Kreditaufnahme hin:

„Da das Land ohne übermäßige Krediteinnahmen seinen bundesrechtlichen Verpflichtungen und überdies den aus landesverfassungsrechtlichen Vorgaben folgenden unabdingbaren Aufgaben nicht nachkommen könnte, folgt aus Art. 109 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus den fi-nanzverfassungsrechtlichen Normen des Grundgesetzes hergeleiteten Gebot, dass die Länder in die Lage versetzt sein müssen, ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben zu erfüllen, eine Modifi-zierung des landesverfassungsrechtlichen Kreditbegrenzungsgebots. Diese besteht darin, dass die Kreditobergrenze über die […] ausdrücklich geregelte Ausnahme der Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hinaus auch im Fall einer extremen Haushaltsnotla-ge überschritten werden darf. Demgegenüber besteht keine Befugnis des Landesverfassungsge-bers, Kreditbegrenzungsgebote festzulegen, die dem Land die Erfüllung seiner bundesrechtli-chen Verpflichtungen im Falle einer extremen Haushaltsnotlage unmöglich machen“ (Verfas-sungsgerichtshof von Berlin 2003b: D III. 2; Hervorhebung A.H.).

Das Gericht schuf damit eine neue, in keiner Verfassung verankerte Ermächtigungsgrund-lage für die Kreditaufnahme. Darüber hinaus gestattete das Gericht dem Haushaltsgesetz-geber einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens einer Haushaltsnotlage (Verfassungsgerichtshof von Berlin 2003b: D III. 3).

Auf die extreme Haushaltsnotlage als Begründung für das Überschreiten der Regel-grenze beriefen sich im Folgenden neben Berlin auch Bremen und das Saarland (Kitterer/ Groneck 2006: 560). Niedersachsen (Niedersächsisches Finanzministerium 2006: 14) und Nordrhein-Westfalen (Linssen 2006) orientierten sich ebenfalls an dem Berliner Urteil, griffen jedoch nicht auf den Begriff „Haushaltsnotlage“ zurück, sondern verwendeten einen Terminus des Zivilrechts, die „objektive Unmöglichkeit“148. Der nordrhein-westfälische Finanzminister formulierte das folgendermaßen: „Es ist uns nach wie vor objektiv unmög-lich, unsere in der Landesverfassung verankerten Aufgaben zu erfüllen und gleichzeitig die Regelobergrenze der Kreditaufnahme einzuhalten“ (Linssen 2006).

In Ländern, deren Verfassung sich noch an dem alten Grundgesetzartikel orientiert, kann ein Überschreiten der Regelgrenze vergleichsweise einfach legitimiert werden mithil- 148 „Die innerhalb eines Schuldverhältnisses zu erbringende Leistung ist unmöglich, wenn sie vom Schuldner endgültig nicht erbracht werden kann […]. Bei der Unmöglichkeit einer Leistung ist zwischen objektiver U. (die L. ist niemandem möglich, z.B. die Sache ist untergegangen) und subjektiver U. (auch Unvermögen genannt, die L. ist nur dem Schuldner unmöglich, z.B. die Sache gehört einem Dritten) […] zu unterscheiden“ (Creifelds 1997: 1306).

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fe des weiten Begriffs eines „außerordentlichen Bedarfs.“ Der Staatsgerichtshof des Landes Hessen führt dazu aus: „Unter den Begriff des außerordentlichen Bedarfs lässt sich auch Geldbedarf des Staates fassen, der durch eine außerordentlich schlechte Finanzlage bedingt ist“ (Staatsgerichtshof des Landes Hessen 2005: 40).

Schleswig-Holstein hingegen bekennt sich zu dem Ziel, „so bald wie möglich wieder einen verfassungskonformen Haushalt“ vorzulegen (Finanzministerium des Landes Schles-wig-Holstein 2006: 16), ohne jedoch die mangelnde Verfassungskonformität des gegenwär-tigen Haushaltes zu begründen. Das mag von dem Hintergrund der geringen Qualität vieler Begründungsversuche konsequent erscheinen, der Landesrechnungshof sah in soviel Lako-nie jedoch „eine bedenkliche Erosion des Rechtsbewusstseins und der Rechtstreue“ (zitiert nach: Kitterer/Groneck 2006: 560).

Die Landesregierungen interpretieren offensichtlich die Verfassungsregeln als bloße Kann-Bestimmungen, deren Einhaltung wünschenswert, aber leider unter obwaltenden Bedingungen nicht immer möglich ist. (d) Die geringen Sanktionsdrohungen Die Missachtung der Verfassungsregel wurde durch ihre geringe faktische Sanktionsgewalt begünstigt. Die Kreditaufnahme in den Haushaltsgesetzen der Länder kann im Zuge einer abstrakten Normenkontrolle überprüft werden. Die abstrakte Normenkontrolle in den Län-dern erfolgt bei Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung. Die Entscheidung hierüber treffen in fünfzehn Län-dern eigene Landesverfassungsgerichte,149 allein Schleswig-Holstein verzichtet auf ein eigenes Gericht und weist die Kompetenz dem Bundesverfassungsgericht zu (Artikel 44 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein). Die geringe faktische Sanktionsgewalt der abstrakten Normenkontrolle im Haushaltsrecht, resultiert (1) aus dem begrenzten Kreis von Antragstellern und (2) aus den geringen Folgewirkungen der Gerichtsentscheidung. (1) Antragsberechtigt für die abstrakte Normenkontrolle sind die Landesregierungen sowie ein Mindestquorum von Parlamentsabgeordneten, in der Regel ein Drittel oder Viertel der Mitglieder, abweichend davon in Rheinland-Pfalz bereits eine einzelne Fraktion (Leunig 2007: 281). Da die Regierungen und die sie tragenden Parlamentsfraktionen keinerlei Inte-resse haben, die eigene Politik der Verfassungswidrigkeit zu bezichtigen, werden Anträge auf Normenkontrolle in der Regel nur von oppositionellen Abgeordneten gestellt. Aber auch sie könnten zögerlich sein, einen solchen Antrag zu stellen, da die Oppositionsparteien in Zukunft an die Regierung gelangen könnten. Sie mögen zwar an einer publikumswirk-samen Schelte der Regierung durch das Verfassungsgericht interessiert sein, nicht aber an der Beseitigung von Schlupflöchern in der Verfassung, die mit den Gerichtsentscheidungen einhergehen könnte. Andere Akteure, die solche Rücksichten nicht nehmen müssen, wie die Rechnungshöfe (im Zuge der Normenkontrolle) und die Bürger (im Zuge der Verfassungs-beschwerde) besitzen kein Antragsrecht zur Überprüfung der Kreditfinanzierung (Schem-mel 2006: 255ff.) (2) Im Untersuchungszeitraum dieser Studie wurden sechs Gerichtsentscheidungen zu der Verfassungsmäßigkeit von Landeshaushaltsgesetzen getroffen, und zwar in Niedersachsen 149 Die Bezeichnungen der Gerichte variieren zwischen Verfassungsgericht, Landesverfassungsgericht, Verfas-sungsgerichtshof und Staatsgerichtshof (vgl. Pestalozza 1999).

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(1997) Schleswig-Holstein (1998), Berlin (2003), Nordrhein-Westfalen (2003), Hessen (2005) und Mecklenburg-Vorpommern (2005). In fünf Fällen wurden dabei die Haushalts-gesetze als gänzlich oder in Teilen verfassungswidrig erklärt.150 Nur in zwei von diesen Fällen war die Gerichtsentscheidung mit der Auflage verbunden, entsprechende Verände-rungen in dem Haushalt vorzunehmen. In den drei übrigen Fällen beließen es die Gerichte bei der nachträglichen Feststellung der Verfassungswidrigkeit, auch wenn die Möglichkeit bestanden hätte, die Kreditfinanzierungsgrenze in einem späteren Haushalt abzusenken oder einen Haushaltsüberschuss anzuordnen, um die verfassungswidrige Kreditaufnahme der Vergangenheit zu tilgen (Schemmel 2006: 250ff.). Aber auch dann bliebe das Abschreckungspotential eines Gerichtsurteils denkbar gering. Die maximale juristische Drohung besteht darin, dass der Versuch des Verfassungsbruchs scheitert, beziehungsweise, dass die fiskalischen Folgen des Versuches revidiert werden müssen. Die Sanktionsdrohung eines Gerichtsurteils liegt somit vor allem in dem Imagever-lust in der Öffentlichkeit. Aber auch diese Drohung ist nicht sehr groß:

In Deutschland ist „der diesbezügliche Umgang der Politik mit dem Grundgesetz mehr als groß-zügig. Verfassungsverstöße gelten offensichtlich als Kavaliersdelikt und interessieren weder die Mehrheit der Parlamentarier noch die Öffentlichkeit“ (Kitterer/Groneck 2006: 559).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Landesverfassungen die Verschuldung der Länder aus drei Gründen nicht effektiv begrenzen können: (1) Die Regelungen können auf vielfältige Weise faktisch umgangen werden, ohne dass sie offiziell gebrochen werden. (2) Selbst wenn die Regeln nicht verdeckt umgangen, sondern offen gebrochen werden, zieht das kaum Konsequenzen nach sich. (3) Selbst eine Kreditaufnahme, die sich Jahr für Jahr an die Vorgaben der Verfassung hält – und diese nicht durch „creative accounting“ (Ha-gen/Wolff 2004) und „fiscal gimmickry“ (Koen/Noord 2006) unterläuft, geschweige denn offen bricht – kann zu einer kaum tragbaren Schuldenlast führen (Singer 2005: 3). Die Verfassungsregeln zielen nämlich nicht auf eine Begrenzung des Schuldenstands ab, son-dern allein auf die Begrenzung der Geschwindigkeit des Schuldenwachstums. Im nächsten Schritt gilt es nun zu überprüfen, ob die europäischen Haushaltsregeln zu einer effektiveren Begrenzung der Defizite beitragen können.

6.2 Die begrenzte Bindungswirkung der europäischen Haushaltsregeln Die europäischen Haushaltsregeln verfolgen das Ziel, die gesamtstaatlichen Defizite zu begrenzen, zu denen die Zentralregierungen, regionale und lokale Gebietskörperschaften und die Sozialversicherungen beitragen (Protokoll: Artikel 2). Die nationalen Regierungen werden für die gesamtstaatlichen Defizite in die Verantwortung genommen. Zugleich wird den nationalen Regierungen aufgetragen, zu „gewährleisten, dass die innerstaatlichen Ver-fahren im Haushaltsbereich sie in die Lage versetzen, ihre sich aus diesem Vertrag erge-benden Verpflichtungen in diesem Bereich zu erfüllen“ (Protokoll: Artikel 3).151

150 In Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (Schem-mel 2006: 250f.). 151 Neben Deutschland betrifft dies vor allem den österreichischen Bundesstaat (Hausner 2004).

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Im Falle des deutschen Bundesstaates ergibt sich daraus ein Spannungsverhältnis zwi-schen der Verantwortlichkeit der Bundesregierung für das gesamtstaatliche Defizit und der in Artikel 109 Abs. (1) des Grundgesetzes normierten Selbstständigkeit und Unabhängig-keit von Bund und Ländern in der Haushaltswirtschaft:

„Das Auseinanderfallen von Entscheidungsbereich (die Länder entscheiden über ihre Haushalte unabhängig im Rahmen ihrer Haushaltsautonomie) und Verantwortungsbereich (die Länder tra-gen keine Verantwortung für die Folgen ihrer Haushaltspolitik im Verhältnis zur EU) stellt ein gravierendes Problem der deutschen Verfassung im europäischen Kontext dar.“ (Schwar-ze/Snelting 2002: 273).152

Aufgrund dieser Problematik wird im Folgenden zunächst die Grundstruktur der europäi-schen Hausregeln dargelegt (6.2.1), bevor ihre Umsetzung im deutschen Bundesstaat kri-tisch reflektiert wird (6.2.2.) 6.2.1 Die europäischen Haushaltsregeln Die Logik der Regeln Art. 104 des EG-Vertrages regelt:

„(1) Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite. (2) Die Kommission überwacht die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des öffentli-chen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Feststellung schwerwiegender Fehler. Insbesondere prüft sie die Einhaltung der Haushaltsdisziplin anhand von zwei Kriterien, nämlich daran, a) ob das Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlands-produkt einen bestimmten Referenzwert überschreitet, es sei denn, dass entweder das Verhältnis erheblich und laufend zurückgegangen ist und einen Wert in der Nähe des Referenzwerts er-reicht hat oder der Referenzwert nur ausnahmsweise und vorübergehend überschritten wird und das Verhältnis in der Nähe des Referenzwerts bleibt, b) ob das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt einen bestimm-ten Referenzwert überschreitet, es sei denn, daß das Verhältnis hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert. Die Referenzwerte werden in einem diesem Vertrag beigefügten Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit im Einzelnen festge-legt.“

In diesem Protokoll wird ein Referenzwert von 3 % für das Verhältnis des öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt festgelegt, sowie ein Referenzwert von 60 % für das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum Bruttoinlandsprodukt (Protokoll: Artikel 1). Diese beiden „Maastricht-Kriterien“ gehörten zu den Konvergenzkriterien, auf deren Grundlage über die Teilnehmer an der Währungsunion entschieden wurde (Sarrazin 1997).

Das Schuldenstandskriterium wird in der öffentlichen Debatte weitgehend vernachläs-sigt, zugunsten einer sinnwidrigen Fixierung auf die Defizitquote. Um die Problematik dieser Entwicklung aufzuzeigen, ist es notwendig die Logik der beiden Kriterien kurz zu explizieren (vgl. Sarrazin 1997: 140ff.). Zugrunde liegt ihnen die Annahme, dass eine lang-fristige hohe Verschuldung dem Funktionieren der Währungsunion abträglich ist. Daher

152 Das ist nicht nur ein Problem für Deutschland, sondern tendenziell auch für die gesamte EU. Denn die Haushal-te der größeren Bundesländer erreichen die Größe der Haushalte kleinerer EU-Mitgliedsstaaten. So entsprach etwa im Jahr 2004 das niedersächsische Defizit dem gesamtstaatlichen Defizit Portugals (Hausner 2005: 241f.).

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wurde ein Grenzwert für die zu tolerierende Verschuldung gesetzt. In einer politischen Entscheidung wurde dieser Grenzwert als 60 % des Bruttoinlandsproduktes definiert. In einem nächsten Schritt galt es zu entscheiden, welche Defizitquote im Sinne einer langfris-tigen maximalen Verschuldung in Höhe von 60 % des Bruttoinlandsproduktes noch zu tolerieren ist.

Hierfür war eine Prognose über das langfristige nominale Wachstum des Bruttoinlands-produkts notwendig. Diese wurde mit 5 % getroffen, dieser Wert besteht aus einer Prognose für das durchschnittliche Produktionswachstum (2 bis 3 %) und für die zu erwartende Infla-tion (ebenfalls 2 bis 3 %). Nach der Setzung einer zulässigen Schuldenquote und der Prog-nose eines langfristigen Wirtschaftswachstums lässt sich das zulässige Defizit mit einem einfachen Dreisatz berechnen: 0,03/0,05 = 0,6 (vgl. Domar 1944). Wenn ein Staat sich all-jährlich in Höhe von 3 % des BIP verschuldet und das BIP alljährlich um 5 % wächst, nähert sich die Gesamtverschuldung zwangsläufig einem Wert von 60 % des BIP an.

Fraglich bleibt bei dieser Rechnung jedoch, warum gerade eine Verschuldungsquote von 60 % veranschlagt wurde. Sarrazin führt dazu aus:

„Dass gerade das kombinierte Kriterium 3 %/60 % gewählt wurden, hält der Verfasser nicht für Willkür, sondern für einen Ausdruck von pädagogisch-politischer Weisheit: Das Ziel war für ei-ne große Zahl von Mitgliedsländern bei entsprechender Anstrengung realistisch, es spornte also an. Es war weder so hoch, dass schon der Versuch zu seiner Erreichung vergeblich gewesen wä-re, noch so niedrig, dass es eher zu weiterer Verschuldung aufgerufen hätte.“ (Sarrazin 1997: 146).

Mit einem kombinierten Kriterium von 2,5 % und 50 % hätte man die Konvergenzkriterien für alle Länder mit Ausnahme von Luxemburg unerfüllbar gemacht, ein 3,5 % und 70 %-Kriterium hätte hoch verschuldeten Ländern wie Deutschland und Frankreich zusätzliche erhebliche Verschuldungsmöglichkeiten zugebilligt (Sarrazin 1997: 144f.).153

Aus diesen Ausführungen folgt notwendigerweise, dass die Zulässigkeit beziehungs-weise die Problematik eines Defizits konditional in Bezug auf das langfristige Wirtschafts-wachstum zu interpretieren ist: „Ein Land wie Deutschland, das einen realen Wachstums-trend von 1 % hat und einen Inflationstrend von 1 % aufweist, konvergiert [bei einer Defi-zitquote von 3 %] zu einer Schuldenstandsquote von 150 %“ (Sinn 2005: 26).

In den Jahren von 1991 bis 2006 wies der gesamtstaatliche Haushalt Deutschlands in allen Jahren mit Ausnahme des Jahres 2000 ein Defizit auf (vgl. Tabelle 6-3). Die Defizit-quote in den übrigen Jahren schwankte zwischen 1,5 % und 4,0 %. Über alle sechzehn Jahre ergibt ein durchschnittliches jährliches Defizit in Höhe von 2,6 % des Bruttoinlands-produktes. Dass diese Defizitquote zu hoch ist, um die Schuldenstandsquote zu stabilisie-ren, ist aus Tabelle 6-3 leicht ersichtlich: Zwischen 1991 und 2006 stieg die Schul-denstandsquote von 39,5 % auf 67,6 %!

153 Bei einer unveränderten Prognose eines nominalen BIP-Wachstums in Höhe von 5 % gilt: 0,025/0,05 = 0,5 und 0,035/0,05 = 0,7.

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Tabelle 6-3: Defizitquoten und Schuldenstandsquoten Deutschlands in den Jahren 1991 bis 2006

1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Defizitquote -2,9 -2,5 -3,0 -2,3 -3,2 -3,3 -2,6 -2,2

Schuldenstandsquote 39,5 42,2 46,0 48,1 55,6 58,4 59,7 60,3

1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006

Defizitquote -1,5 1,3 -2,8 -3,7 -4,0 -3,8 -3,4 -1,6

Schuldenstandsquote 60,9 59,7 58,8 60,3 63,8 65,6 67,8 67,6 Quelle: Statistisches Bundesamt (Defizitquote) und Deutsche Bundesbank (Schuldenstandsquote). Um sie auf dem derzeitigen Niveau zu stabilisieren, dürfte bei dem von Sinn prognostizier-ten langfristigen nominalen BIP-Wachstum von 2 % die Defizitquote nur 1,3 % betragen.154 Eine buchstabengetreue Erfüllung des Defizitkriteriums ist also im Falle Deutschlands keineswegs ausreichend im Sinne der Nachhaltigkeit öffentlicher Finanzen! Das gilt es zu berücksichtigen, wenn im Folgenden der zu den Maastricht-Kriterien gehörende Sanktions-apparat erörtert wird. Das europäische Sanktionsverfahren Eine Verletzung der beiden Kriterien bewertet die Kommission vor dem Hintergrund der bereits zitierten Ausnahmetatbestände („es sei denn“). Darüber hinaus werden bei der Be-wertung „ferner alle sonstigen einschlägigen Faktoren, einschließlich der mittelfristigen Wirtschafts- und Haushaltslage des Mitgliedsstaates“ (Artikel 104(3)) berücksichtigt. Ge-langt die Kommission vor dem Hintergrund dieses weiten Beurteilungsrahmens zu der Auffassung, dass ein übermäßiges Defizit in einem Land besteht, so legt sie dem Rat eine Stellungnahme vor (Artikel 104(4)). Der Rat entscheidet mit qualifizierter Mehrheit, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt (Art. 104(6) EG-Vertrag) und beschließt Empfehlungen für den Abbau des Defizits (Art. 104(7) EG-Vertrag). Wenn das betreffende Mitgliedsland diese Empfehlungen missachtet, kann der Rat Sanktionen verhängen, unter anderem „von dem Mitgliedsland verlangen, eine unverzinsliche Einlage in angemessener Höhe bei der Gemeinschaft zu hinterlegen, bis das übermäßige Defizit nach Ansicht des Rates korrigiert worden ist, [sowie] Geldbußen in angemessener Höhe verhängen.“ (Art. 104(11) EG-Ver-trag). Die Entscheidung über die Sanktionen „erfolgt auf Empfehlung der Kommission mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der gemäß Artikel 205 Absatz 2 gewogenen Stimmen der Mitgliedsstaaten mit Ausnahme der Stimmen des Vertreters des betroffenen Mitgliedsstaa-tes“ (Art. 104(13) EG-Vertrag).155

Im Jahr 1997 ergänzte und konkretisierte der Rat die unbestimmten Begrifflichkeiten des Maastrichter Vertrags in zwei Verordnungen (Verordnung Nr. 1466/97, Verordnung Nr. 1467/97) und einer nicht bindenden Entschließung (Entschließung). Diese drei Doku-mente werden als Stabilitäts- und Wachstumspakt bezeichnet. Der Pakt kam auf Drängen Deutschlands zustande, um die Einhaltung der Maastricht-Kriterien auch nach Einführung des Euro sicherzustellen. Bei dem Stabilitäts- und Wachstumspakt handelt es sich nicht um

154 0,013/0,02 = 0,65. 155 Gemäß Artikel 205 des EG-Vertrags werden die Stimmen der Mitgliedsstaaten nach ihrer Größe gewogen.

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Veränderung des EG-Vertrags, sondern um seine sekundärrechtliche Präzisierung (Hausner 2005: 238).

Die Verordnung(EG) Nr. 1467/97 vom 7. Juli 1997 über die Beschleunigung und Klä-rung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit präzisiert die Sanktionen und bezieht sich ausschließlich auf das jährliche Defizit, von dem Schuldenstand, dem zweiten ‚Maast-richtkriterium’ ist nicht mehr die Rede. Die unverzinsliche Einlage bei einem übermäßigen Defizit wird auf maximal 0,5 % des Bruttoinlandsprodukts des betroffenen Staates be-grenzt. Die Einlage wird in eine Geldbuße umgewandelt, wenn das übermäßige Defizit zwei Jahre nach Ihrer Verhängung fortbesteht. Für Deutschland ergibt somit derzeit poten-ziell eine maximale Sanktionshöhe von 11 Milliarden Euro.156

Wie sind diese europäischen Regeln nun zu bewerten? Kann davon ausgegangen wer-den, dass sie zu einer effektiveren Begrenzung der öffentlichen Defizite führen – im Ver-gleich zu den weitgehend irrelevanten Regelungen in den Landesverfassungen? Eindeutig positiv zu bewerten ist die explizite Möglichkeit, bei einer Regelverletzung klar definierte Sanktionen zu verhängen. Hoch problematisch ist hingegen das Fehlen eines unabhängigen Akteurs, der die Regeln überwacht und – wenn nötig – Sanktionen verhängt: Die von den nationalstaatlichen Regierungen unabhängige Kommission leitet das Verfahren zwar ein, bei dem Rat der Finanzminister liegt jedoch die Entscheidung, ob ein übermäßige Defizit vorliegt, und wenn ja, welche Maßnahmen getroffen werden. Die Finanzminister der übri-gen Länder verfügen über ähnliche Situationsdeutungen wie der Finanzminister eines Lan-des, das gegen die Haushaltsregeln verstößt. Obendrein verbindet die Finanzminister eine ähnliche Interessenlage: Wer sich in der Gegenwart permissiv gegenüber der Haushaltspoli-tik anderer Länder zeigt, darf in der Zukunft auch auf das Entgegenkommen der anderen rechnen, falls das eigene Budget in Schieflage geraten sollte (Peffekoven 2004: 11).

Diese Mechanismen zeigten sich im Jahr 2003, als der Ministerrat das von der Kom-mission gegen Deutschland und Frankreich angestrengte Verfahren aussetzte (Hagen 2004, Welfens 2004). Im Anschluss daran erhoben mehrere Mitgliedsländer Forderungen nach der Aufweichung der Defizitbegrenzungen – beispielsweise durch die Berücksichtigung der jeweiligen finanzpolitischen Situation eines Landes in einem möglichen Defizitverfahren. Die Länder verwiesen auf verschiedene Ausgabenpositionen, die entweder bei der Bewer-tung des Defizits mildernd zu berücksichtigen seien oder gleich ganz aus den Staatsausga-ben herauszurechnen seien. Letzteres würde die ausgewiesenen Ausgaben senken und da-mit ceteris paribus auch das Defizit.157

156 Die „Verordnung(EG) Nr. 1466/97 vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung der Koordinierung der Wirtschaftspolitik“ verpflichtete die Regierungen zudem, jedes Jahr ein so genanntes Stabilitätsprogramm vorzulegen. In diesem Stabilitätsprogramm müssen die notwendigen finanz-politischen Schritte dargelegt werden, um das mittelfristige Ziel eines nahezu ausgeglichenen Haushalts oder eines Überschusses zu erreichen. Gelangt der Rat zu der Auffassung, „dass die Ziele und Inhalte eines Programms anspruchvoller formuliert werden sollten, so richtet er in seiner Stellungnahme eine Empfehlung an den betreffen-den Mitgliedsstaat, das Programm anzupassen“ (Verordnung 1466/97: Artikel 5(2)). Die Empfehlungen sind nicht sanktionsbewehrt, sondern beziehen ihr Drohpotential allein aus der möglichen öffentlichen Rüge einer Regierung. In ihrer Zielsetzung sind die Stabilitätsprogramme gleichwohl ehrgeiziger als die Regelungen des Maastrichtver-trages, als Ziel wird nicht mehr die Vermeidung übermäßiger Defizite postuliert, sondern ein nahezu ausgegliche-ner Haushalt oder ein Überschuss. 157 Zu diesen Ausgabenpositionen zählten EU-Nettozahlungen (Deutschland), Forschungs- und Verteidigungsaus-gaben (Frankreich), Aufwendungen für die Olympischen Spiele (Griechenland), Investitionen in das Eisenbahn-netz (Großbritannien), Ausgaben für eine kapitalgedeckte Säule der Altersvorsorge (Polen und Slowakei) sowie bestimmte Pensionszahlungen (Portugal) (Belafi/Maruhn/Schmid 2005).

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Weite Teile dieser Forderungen wurden 2005 in einer Verordnung des europäischen Rates aufgegriffen (Verordnung 1056/2005). Als Einfallstor für die Aufweichung der Re-geln diente unter anderem die Berücksichtigung „alle[r] sonstigen einschlägigen Faktoren“ bei der Bewertung des Defizits durch die Kommission gemäß Artikel 104(3) des EG-Vertrages. Diese Faktoren wurden in der Verordnung folgendermaßen präzisiert:

„Zudem schenkt die Kommission allen sonstigen Faktoren gebührende Beachtung, die aus Sicht des betreffenden Mitgliedstaats von Bedeutung sind, um die Überschreitung des Referenzwerts qualitativ in umfassender Weise zu beurteilen, und die der Mitgliedstaat der Kommission und dem Rat vorgelegt hat. In diesem Zusammenhang werden insbesondere haushaltspolitische An-strengungen berücksichtigt, die darauf abzielen, Finanzbeiträge aufzustocken oder auf einem hohen Niveau zu halten, die der Stärkung der internationalen Solidarität und der Verwirklichung von Zielen der europäischen Politik dienen, insbesondere dem Prozess der Einigung Europas, falls er sich nachteilig auf Wachstum und Staatshaushalt in einem Mitgliedstaat auswirkt. Eine ausgewogene Prüfung der Gesamtlage umfasst alle diese Faktoren (Verordnung 1056/2005: Ar-tikel 1).

Der Förderung der internationalen Solidarität werden die Ausgaben für Entwicklungshilfe und Verteidigung (sic!) zugerechnet, unter der Einigung Europas werden sowohl EU-Nettobeiträge als auch die Kosten der deutschen Einheit subsumiert (Hausner 2005: 239). Zudem wurden die Fälle, in denen der Referenzwert „ausnahmsweise und vorübergehend überschritten“ (Art. 104 Abs. 2 EG-Vertrag) werden darf, deutlich ausgeweitet.

Diese Entwicklung verdeutlicht die mangelnde Effektivität der europäischen Haus-haltsregeln: Die betroffenen Akteure entscheiden nicht nur selbst über die Anwendung der Regeln. Sie können die Regeln sogar verändern, indem sie die vagen Formulierungen des EU-Vertrages sekundärrechtlich präzisieren. Diese sekundärrechtlichen Präzisierungen reduzierten die Sanktionswahrscheinlichkeit bei einem ausgewiesenen Defizit oberhalb der 3 %-Grenze.

Um ein Überschreiten der 3 %-Grenze zu vermeiden, können die Mitgliedsstaaten eine Reihe von Haushaltstricks nutzen. Vor allen Dingen zu den Jahren vor Beginn der Europäi-schen Währungsunion liegen zahlreiche Berichte über Haushaltsmanipulationen (Dafflon/ Rossi 1999, Melloan 1997, Zänker 1996) vor. Zu diesem Zeitpunkt bestand ein besonderer Anreiz, die fiskalische Performanz auch mit Hilfe von Tricks zu verbessern, um in die Währungsunion aufgenommen zu werden. Die Haushaltsmanipulationen dauern aber auch nach der Einführung des Euro an: 2004 wurde aufgedeckt, dass Griechenland in den Jahren 1997 bis 2003 falsche Defizitmeldungen angegeben hat, zugleich wurden Zweifel an den von Italien gemeldeten Haushaltszahlen laut, dieser Fall habe jedoch nicht ‚griechische Dimensionen’, so Währungskommissar Almunia (Belafi/Maruhn/Schmid 2005: 29). Jen-seits von Fallstudien zu einzelnen Ländern weisen Hagen/Wolff (2004) in einer verglei-chenden Studie nach, dass die meisten Mitglieder der europäischen Währungsunion zu niedrige jährliche Defizite ausweisen, gemessen an der Veränderung des Schuldenstands. Sie interpretieren diese Differenz vor dem Hintergrund der Konzentration auf das 3 %-Defizitkriterium. Diese Fokussierung macht eine Manipulation der Defizite für die nationa-len Regierungen attraktiv.

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6.2.2 Die Umsetzung der europäischen Regeln im deutschen Bundesstaat Die Umsetzung der europäischen Haushaltsregeln im deutschen Bundesstaat betrifft zwei Fragen: (a) Wie wird das zulässige Defizit zwischen Bund, Sozialversicherungen, Ländern und Gemeinden aufgeteilt? (b) Wie werden möglichen Sanktionszahlungen bei einem übermäßigen Defizit aufgeteilt? (a) In einem ersten Anlauf wollte die Kohl-Regierung Mitte der neunziger Jahre dem Bun-desgesetzgeber die Kompetenz zuweisen, verbindliche Obergrenzen für die Defizite des Bundes und der einzelnen Länder vorzuschreiben. Dieser Gesetzentwurf scheiterte an dem Widerstand der Länder, die diesen Eingriff in ihre haushaltsrechtliche Unabhängigkeit ablehnten (Schemmel 2006: 19). Nach einem mehrjährigen Stillstand gewann die Debatte um einen nationalen Stabilitätspakt wieder an Fahrt, als Deutschland mit einer Defizitquote von 2,8 % im Jahr 2001 nur knapp unterhalb des Referenzwertes blieb, und eine Frühwar-nung des Rates wegen des zu erwartenden Defizits im Jahr 2002 drohte. Die Bundesregie-rung konnte die Frühwarnung – in der deutschen Öffentlichkeit als ‚blauer Brief’ diskutiert – nur abwenden, in dem sie sich zur Haushaltskonsolidierung verpflichtete,158 und zusagte, einen nationalen Stabilitätspakt mit den Ländern zu vereinbaren (Singer 2005: 12).

Die Schröder-Regierung konnte die Zustimmung der Länder für eine weitaus unver-bindlichere Regelung als den ursprünglichen Plan gewinnen: Dem Finanzplanungsrat wur-de die Aufgabe zugewiesen, eine gemeinsame Ausgabenlinie für alle Gebietskörperschaften vorzugeben, um die Vorgaben des Maastricht-Vertrages und des Stabilitäts- und Wachs-tumspakts zu erfüllen (§ 4 Abs. 3 MaßstG, § 51a HGrG).159 Wenn diese Empfehlungen verletzt werden, „erörtert der Finanzplanungsrat die Gründe und gibt Empfehlungen zur Wiederherstellung der Haushaltsdisziplin“ (§ 51a Abs. 3 HGrG). Eine Sanktionsmöglich-keit ist nicht vorgesehen. Dem Finanzplanungsrat gehören der Bundesfinanz- und der Bun-deswirtschaftsminister und die sechzehn Länderfinanzminister an, sowie vier Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände, die vom Bundesrat auf Vorschlag der kommunalen Spitzenverbände bestimmt werden.

Von dieser Regelung geht nahezu keine Bindungswirkung auf die Haushaltspolitik der Länder aus: Es fehlt ein unabhängiger Akteur, der die Einhaltung der Regeln überwacht, die Überwachung wird stattdessen den Vertretern der betroffenen Gebietskörperschaften selbst überlassen. Die Regeln sind nicht auf Dauer gestellt. Das Brechen der Regeln zieht keine Sanktionen nach sich. Daher kann summarisch festgestellt werden: „Dass die Länder schließlich doch noch einem nationalen Stabilitätspakt zugestimmt haben, ist mit dessen Unwirksamkeit erkauft worden“ (Schemmel 2006: 20).160 (b) Die Aufteilung möglicher Sanktionszahlungen blieb noch länger umstritten und wurde erst im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2006 durch Art. 109(5) GG und ein zustim-mungspflichtiges Bundesgesetz geregelt (SZAG). Demnach würde der Bund 65 Prozent der 158 Die Bundesregierung verpflichtete sich unter anderem im Jahr 2004 einen nahezu ausgeglichenen gesamtstaat-lichen Haushalt anzustreben. Tatsächlich verfehlte Deutschland den Referenzwert in den Jahren 2002, 2003, 2004 und 2005 (vgl. Tabelle 6-4). 159 Eine Ausgabenlinie trifft eine Vorgabe über die maximale Höhe der Staatsausgaben. Diese Vorgabe wird in der Regel als prozentuale Veränderung gegenüber den Ausgaben des Vorjahres formuliert. 160 Vgl. zur Kritik an dem nationalen Stabilitätspakt auch: Hausner 2005, Kitterer/Groneck 2006, Singer 2005, Wissenschaftlicher Beirat 2003.

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6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen 147

Sanktionszahlungen tragen, die Länder 35 Prozent. Der Länderteil wiederum wird zu 35 % gemäß der Einwohnerzahl auf die einzelnen Länder aufgeteilt und zu 65 % gemäß des An-teils des Finanzierungsdefizits des jeweiligen Landes an dem Finanzierungsdefizit aller Länder. „Länder, die einen ausgeglichenen oder positiven Finanzierungssaldo aufweisen, bleiben bei der Ermittlung der Summe der Finanzierungsdefizite unberücksichtigt und wer-den an dem Teil der Sanktionslasten, der sich nach dem Verursachungsbeitrag bemisst, nicht beteiligt“ (SZAG, § 2). Der Bund stundet die Zahlungsverpflichtungen von Ländern, die sich in einer vom Bundesverfassungsgericht festgestellten extremen Haushaltsnotlage befinden und erhält nach Ende der Haushaltsnotlage die Beträge von diesen Ländern zu-rück. Im Gegensatz zur unterlassenen Aufteilung des zulässigen Defizits (a) werden mögli-che Sanktionszahlungen nach eindeutigen und klaren Regeln zugewiesen (b). Deutlich relevanter wäre jedoch eine eindeutige Lösung des ersten, vorgelagerten Problems, um ein übermäßiges Defizit gar nicht erst entstehen zu lassen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass auch die europäischen Haushaltsregeln die Verschuldung der Bundesländer nicht effektiv begrenzen können: (1) Der Bezugspunkt der europäischen Regeln ist das gesamtstaatliche Defizit, nicht das Defizit einzelner Bun-desländer. Weil die Länder eine verbindliche Aufteilung des zulässigen Defizits auf die einzelnen Haushalte verweigerten, können einzelne Länder sich ein Defizit von mehr als 3 % des regionalen Bruttoinlandsprodukts erlauben, in der Hoffnung, dass die Defizite ande-rer Gebietskörperschaften unterhalb dieser Grenze bleiben. Die Länder können sich also als Trittbrettfahrer verhalten. (2) Die europäischen Haushaltsregeln können zudem durch eine Vielzahl von Schlupflöchern umgangen werden. (3) Auch bei einem offenen Bruch der europäischen Haushaltsregeln ist die Wahrscheinlichkeit einer Sanktion nicht sehr hoch. (4) Auch ein dauerhaftes Einhalten der 3 %-Grenze kann angesichts des niedrigen, langfristi-gen Wachstums des nominalen Bruttoinlandsproduktes die Akkumulation einer problemati-schen Verschuldung nicht verhindern. 6.3 Das Versagen der quantitativen Beschränkungen In den letzten beiden Abschnitten wurde analysiert, welche Auswirkungen die Kreditbe-grenzungsregeln in den Landesverfassungen und im europäischen Recht auf das Verhalten der finanzpolitischen Akteure haben. Es konnte gezeigt werden, dass die Akteure diese Regelungen verdeckt umgehen, teilweise offen brechen und zudem – wenn sich ihnen die Möglichkeit bietet – versuchen, diese Regelungen abzuschwächen. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Annahmen der Konstitutionellen Politischen Ökonomie (vgl. Ab-schnitt 3.1.). Diesen Annahmen zufolge sind die Regierungen primär an der Wiederwahl orientiert, um dieses Ziel zu erreichen, stellen sie zusätzliche öffentliche Güter bereit, die sie mit Krediten finanzieren. Eine Begrenzung der Kreditfinanzierung widerspricht daher massiv den Interessen der Regierenden. Daher versuchen die Regierenden sich dieser Be-grenzung zu entziehen. Die bestehenden Regeln erfordern somit eine Selbstbindung des Haushaltsgesetzgebers, die jährlich mit jedem Haushaltsgesetz geübt werden muss, und den Präferenzen der beteiligten Akteure widerspricht. Robert Reischauer, der frühere Leiter des Congressional Budget Office drückt diesen Sachverhalt drastischer aus: „No budget process

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148 6. Institutionelle Defizite: Das Versagen der quantitativen Beschränkungen

can force those engaged in it to commit what they regard to be political suicide” (Reis-chauer 1990: 232).

Welche Schlussfolgerungen sind aus diesem Befund zu ziehen? Man könnte versu-chen, die quantitativen Beschränkungen zu verschärfen und zu präzisieren, um ihre Wir-kung zu erhöhen. Angesichts der Komplexität der Haushalte sind dieser Strategie jedoch Grenzen gesetzt. In diesem Sinne zitieren Heusinger/Pinzler (2004) anonym einen „Insider der Kommission“: „Bei der Berechnung von Defiziten geht es um Millionen von Transakti-onen. Wer da fälschen will, der kann es tun. Das ganze Theater um die Drei ist ökonomisch absurd“ (Heusinger/Pinzler 2004: 34).161 Aufgrund dieser Probleme werden im Folgenden auch die Reformvorschläge für eine Verschärfung der Landesverfassungen und der europä-ischen Regeln nicht weiter betrachtet.162 Stattdessen werden im folgenden Abschnitt proze-durale Beschränkungen diskutiert, die die Zielsetzung verfolgen, externe Akteure zu mobi-lisieren, welche die Haushaltspolitik der Regierungen überwachen und gegebenenfalls sanktionieren.

Die weitestgehende und radikalste Lösung bestände darin, die Entscheidung über die Kreditaufnahme zu entpolitisieren und sie nach dem Vorbild einer unabhängigen Zentral-bank in der Geldpolitik einem autonomen Expertengremium zu übertragen (Weizsäcker 1992: 64). Diese Lösung wird jedoch aus grundlegenden demokratietheoretischen Überle-gungen abgelehnt: Finanzpolitische Entscheidungen wirken sich unmittelbar auf das Aus-maß der Staatstätigkeit aus, derartig weitreichende Entscheidungen dürfen nicht der demo-kratischen Legitimation und Kontrolle entzogen werden. Als Alternative werden im fol-genden Kapitel zwei weniger weitreichende Optionen der Mobilisierung externer Akteure diskutiert.

161 Gemeint ist die Begrenzung des Defizits auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (vgl. Abschnitt 6.2.1.). 162 Die Vorschläge für eine Verschärfung der goldenen Regel im Grundgesetz und in den Landesverfassungen zielen unter anderem darauf, die Begriffe „Investition“ und „Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ zu präzisieren und enger zu fassen (Sachverständigenrat 2007: Ziffer 405, Schemmel 2006: 199ff.). Reformvor-schläge für die europäischen Regeln sehen zumeist vor, dem Rat die Entscheidung über die Verhängung von Sanktionen zu entziehen und sie stattdessen zu automatisieren oder der Kommission zuzuweisen (Welfens 2004: 20; vgl. zur Reformdebatte: Belafi/Maruhn/Schmid 2005).

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 149

7 Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

Zwei Möglichkeiten der Mobilisierung externer Akteure im Haushaltsprozess sollen im Folgenden eingehender analysiert werden: Finanzreferenden, bei denen die Bevölkerung als externer Akteur hinzutritt (7.1) sowie ein Insolvenzverfahren (7.2.), das neben den Interessen der Bevölkerung auch die Interessen der Kapitalmärkte mobilisieren kann. Hierbei werden auf Erfahrungen anderer Länder speziell der USA und der Schweiz zurückgegriffen.

7.1 Finanzreferenden Die Grundstruktur von Finanzreferenden kann folgendermaßen charakterisiert werden:

x>y muss in einem Referendum autorisiert werden.

Wobei x eine finanzpolitische Größe bezeichnet, in der Regel Ausgaben, Steuersätze oder Kreditaufnahme. Y hingegen bezeichnet einen Schwellenwert, der in einem absoluten (bspw. ein Geldbetrag oder Null) oder relativen Wert (z.B. prozentualer Anteil am Bruttoin-landsprodukt) besteht. Für die vorliegende Analyse sind allein Finanzreferenden über die Kreditaufnahme relevant. Die weithin geteilte, scharfe Kritik an Finanzreferenden bezieht sich hingegen in der Regel auf Referenden zu Steuersätzen und Ausgabenentscheidungen und ist daher für die folgende Diskussion irrelevant: Den Kritikern zufolge blockieren Re-ferenden Ausgabenentscheidungen für Minderheiten und beeinträchtigen generell die staat-liche Leistungsfähigkeit aufgrund nicht ausreichender Steuereinnahmen (Schrag 1998).

Hinsichtlich der Eröffnung des Verfahrens kann zwischen obligatorischen und fakulta-tiven Referenden über die Kreditaufnahme unterschieden werden. Ein obligatorisches Refe-rendum findet immer dann statt, wenn die Kreditaufnahme den definierten Schwellenwert y überschreitet, ein fakultatives Referendum hingegen nur dann, wenn der Schwellenwert überschritten wird und eine zu definierende Mindestanzahl von Bürgern das Referendum verlangt: „Neben den Schwellenwerten wird das fakultative Referendum also auch durch die Unterschriftenzahl und die Sammelfrist definiert“ (Stauffer 2001: 199). Im Sinne einer mög-lichst effektiven Restriktion der Defizite ist ein obligatorisches Referendum vorzuziehen.

Finanzreferenden nehmen eine Mittelstellung zwischen quantitativen und prozeduralen Beschränkungen ein – man kann sie zu den prozeduralen Beschränkungen zählen, weil sie den Stellenwert und die Machtbefugnisse der Akteure im Haushaltsprozess regeln. Sie weisen jedoch auch einen Bezug zu den quantitativen Beschränkungen auf, weil sie eine quantitative Grenze definieren, oberhalb der ein Akteur, in diesem Fall die stimmberechtig-te Bevölkerung, in den Haushaltsprozess eingreifen kann. Der Unterschied zu den zuvor diskutierten quantitativen Beschränkungen besteht jedoch darin, dass Regeln über Finanzre-ferenden einen Verfahrensablauf oberhalb einer Grenze in Gang setzen und nicht Defizite oberhalb einer Grenze für unzulässig erklären, wie das bei der ‚goldenen Regel’ der Fall ist.

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150 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

Aus letzterem resultiert die „notorische Steuerungsschwäche des Staatsschuldenrechts“ (Korioth 2007: 67): „Das Faktum der Schuldenlasten rührt sich nicht, auch wenn man es für verfassungswidrig erklärt. Es lässt sich nicht hinwegjudizieren“ (Isensee 2004: 695).

Auch wenn somit deutliche Unterschiede zu den gängigen quantitativen Beschränkun-gen bestehen, teilen die Regeln zu Finanzreferenden ein Problem mit ihnen: Eine defizitbe-grenzende Wirkung der Finanzreferenden setzt voraus, dass die Referenden nicht durch Haushaltstricks der Regierenden künstlich umgangen werden. Solche Tricks (z.B. Haus-haltsausgliederungen, alternative Finanzierungsinstrumente etc., vgl. Abschnitt 6.1.3.) kön-nen dazu führen, dass das offiziell ausgewiesene Defizit unterhalb des Schwellenwertes verbleibt, ab dem ein Referendum erforderlich wäre. Das Finanzreferendum steht somit vor ähnlichen Problemen wie die quantitativen Beschränkungen, auch wenn die Situation nicht vollständig vergleichbar ist: Nach Einführung von Finanzreferenden sind Haushaltsmanipu-lationen für die Regierungen riskanter als zuvor, da sie in stärkerem Ausmaß von den Op-positionsparteien und den Medien skandalisiert werden könnten, in dem Sinne etwa, dass Regierungen in manipulativer Absicht Volksrechte beschneiden. Hilfreich könnte die er-gänzende Einführung einer bundesstaatlichen Insolvenzordnung sein (vgl. Abschnitt 7.2.), da sie massive Anreize für die Finanzmärkte setzen würde, die Haushaltspraxis zu überwa-chen und mangelnde Transparenz der Rechnungslegung mit Kreditentzug zu bestrafen.

Wenn man von einer defizitreduzierenden Wirkung von Finanzreferenden ausgeht, muss notwendigerweise unterstellt werden, dass die Bürger die Kreditfinanzierung nicht prinzipiell befürworten. Wenn man hingegen wie Teile der Konstitutionellen Politischen Ökonomie davon ausgeht, dass die Bürger die mit der Kreditaufnahme verbundene finan-zielle Lastenverschiebung in die Zukunft befürworten, würde von den Finanzreferenden selbstverständlich keine defizitbegrenzende Wirkung ausgehen: Die Bürger würden dann in den Referenden dieser Präferenz Ausdruck verleihen (vgl. Annahme 4b in Abschnitt 3.1.).

Eine andere Richtung innerhalb der Konstitutionellen Politischen Ökonomie geht hin-gegen davon aus, dass die Defizite in modernen parlamentarischen Demokratien nicht pri-mär auf die Präferenzen der Bürger zurückzuführen sind, sondern aufgrund der Entschei-dungsmechanismen entstehen. In der parlamentarischen Demokratie orientieren sich die Bürger in ihrer Wahlentscheidung unter anderem an dem Angebot öffentlicher Güter, das von den konkurrierenden Parteien offeriert wird.163 Aufgrund systematischer Informations-defizite nehmen sie die mit diesen Gütern verbundenen Kosten nicht in vollem Ausmaß wahr. Das betrifft insbesondere die Kreditfinanzierung, die von den Bürgern weniger perzi-piert wird als die Steuerfinanzierung. Daher fragen die Bürger mehr kreditfinanzierte öf-fentliche Güter nach, als sie es täten, wenn sie die damit verbundenen Kosten in der Zu-kunft wahrnehmen würden. Aus Sicht der politischen Akteure bedeutet dies, dass sie auf-grund der Informationsdefizite der Wähler mit zusätzlichen kreditfinanzierten Gütern ihre Wahlaussichten verbessern können (vgl. Annahme 4a) in Abschnitt 3.1.). Die defizitbe-grenzende Wirkung der Finanzreferenden beruht darauf, dass sie Anreize und Rahmenbe-dingungen für eine verbesserte Informationsbasis schaffen. Um dieses Argument auszufüh-ren, wird im Folgenden die Informationsbasis der Bürger bei Wahlen (Downs 1957, Popkin 1991, D. Fuchs/Kühnel 1994) und bei Referenden (Kirchgässner/Feld/Savioz 1999) in stilisierter Form skizziert.

Gängigen Annahmen zufolge entscheiden Wähler in der repräsentativen Demokratie unter Unsicherheit: Unter anderem ist unsicher, 163 Vgl. zu den folgenden Ausführungen: Annahme 4a) in Abschnitt 3.1. und die dort aufgeführte Literatur.

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 151

„(1) wie die konkurrierenden Parteien als Regierungsparteien handeln werden, z.B. in wieweit sie ihre Wahlversprechen auch tatsächlich realisieren; (2) wie die konkurrierenden Parteien als Regierungsparteien handeln können, z.B. wie sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ändern können; (3) welche Auswirkungen das Regierungshandeln überhaupt auf den eigenen Nutzen hat […]“ (D. Fuchs/Kühnel 1994: 313).

Diese Unsicherheit kann nur durch zusätzliche Informationen überwunden werden, deren Beschaffung jedoch Opportunitätskosten bei knappen Ressourcen an Zeit verursacht. Zu-gleich ist der Nutzen zusätzlicher Informationen gering, da nur eine geringe Wahrschein-lichkeit besteht, dass die zusätzlichen Informationen zu einer „besseren“ Entscheidung führen, d.h. zu einer Wahlentscheidung, die stärker im Einklang mit den eigenen Präferen-zen steht. Die Wahlentscheidung wird daher auf Basis einer „low information rationality“ (Downs 1957) getroffen, beziehungsweise auf Basis von Informationen, die nahezu kosten-los als Nebenprodukt des Alltagshandeln erworben werden können: Im alltäglichen Leben können ökonomische Informationen164 beispielsweise einfach über die Arbeitslosenrate (Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes sowie des Arbeitsplatzes von Verwandten, Freunden und Kollegen), die Entwicklung des verfügbaren Einkommens (Lohnzettel) und die Preis-entwicklung (Einkauf) erworben werden. Die Höhe der Staatsverschuldung weist hingegen keinen unmittelbaren Bezug zur Lebenswelt der Bürger auf (Kirchgässner/Feld/Savioz 1999: 52). Daher liegen keine Informationen zur Staatsverschuldung vor und das Problem der Staatsverschuldung wird bei der Wahlentscheidung kaum oder gar nicht berücksichtigt.

Kirchgässner, Feld und Savioz (1999: 53ff.) gehen davon aus, dass die Bürger bei Re-ferenden eine höhere Nachfrage nach Informationen zeigen, da hier einzelne Sachfragen zur Abstimmung stehen, und nicht Parteien, die eine Paketlösung aus einer Vielzahl von Sach-positionen anbieten. Hierdurch verringert sich die Menge an Informationen, die zu einer Entscheidung benötigt wird, welche stärker im Einklang mit den jeweiligen Präferenzen der Abstimmenden steht. Zugleich erhöht sich das Angebot an Informationen, da Befürworter und Gegner des zur Abstimmung stehenden Vorschlags ein starkes Interesse haben, die Bürger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Falle von Finanzreferenden in den deutschen Bundesländern sind als Befürworter und Gegner neben der Regierung und der Opposition auch Interessenverbände zu nennen. Auf die Kritik, das diese Informationen nur selektiv angeboten werden, beziehungsweise, dass gewisse Aspekte ausgeblendet werden, um den Bürgern die jeweilige Position nahezubringen, antworten Kirchgässner, Feld und Savioz klassisch pluralistisch: Wenn alle Interessengruppen und Parteien gleichermaßen das Recht hätten, ihre Position zu vertreten, würden

„sich die Verzerrungen gegenseitig weitgehend ausgleichen. Die Bürgerinnen und Bürger haben daher die Möglichkeit, die Argumente beider Seiten gegeneinander abzuwägen und, soweit sie nicht von vornherein festgelegt sind, danach ihre Entscheidung zu treffen“ (Kirchgässner/Feld/ Savioz 1999: 58).

Um die Bürger möglichst effektiv zu beeinflussen haben die Parteien und Interessengrup-pen ein Interesse daran, das Informationsangebot möglichst kostengünstig für die Bürger zu gestalten, beispielsweise indem sie die Massenmedien verwenden. Die Medien erhalten zudem durch die Thematisierung der Referenden Anreize, weitere Informationen zur Ver- 164 Popkin (1991: 23) führt auch alltägliche Informationen zur Inneren Sicherheit an, Fuchs und Kühnel (1994: 321) darüber hinaus auch Informationen zur sozialen Sicherheit und Umweltschutz.

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152 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

fügung zu stellen, etwa in dem sie Experten zu den jeweiligen Themen Gehör verschaffen. Der skizzierte Informationsprozess im Vorfeld von Referenden hängt allerdings davon ab, dass insgesamt nur eine begrenzte Anzahl von Referenden stattfindet und nur eine Stimm-abgabe zu einem Zeitpunkt terminiert wird.165

Empirische Studien zu den Auswirkungen von Referenden liegen für die Schweizer Gemeinden und Kantone sowie für die US-amerikanischen Bundesstaaten vor. Dort gibt es jeweils rein repräsentativ verfasste Gebietskörperschaften neben solchen, die auch Referen-den vorsehen. Daher können die Auswirkungen direktdemokratischer Instrumente verglei-chend untersucht werden (Kirchgässner/Feld/Savioz 1999: 75). Referenden zu Haushaltsde-fiziten gehen mit signifikant niedrigeren Schuldenständen einher, wie Feld und Kirchgäss-ner (1999) für Schweizer Gemeinden und Kiewiet und Szakaly (1996) für die US-amerika-nischen Bundesstaaten belegen.

In den deutschen Bundesländern sind derzeit zwar direktdemokratische Elemente in variablem Umfang implementiert. In allen Ländern gilt jedoch das Finanztabu, dem zufolge direktdemokratische Verfahren mit erheblichen finanziellen Auswirkungen untersagt sind. Der Erheblichkeitsbegriff ist nicht eindeutig geklärt und wird in der Rechtssprechung der Verfassungsgerichte unterschiedlich ausgelegt (Magin/Eder/Vatter 2008: 358),166 Finanzre-ferenden sind damit jedoch explizit ausgeschlossen.167 Das Finanztabu wird mit der Gefahr einer Störung des labilen Einnahmen-Ausgaben-Gleichgewichts des Staatshaushalts be-gründet, welche die Handlungsfähigkeit des Staates beeinträchtigen könnte. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Bürger in Finanzfragen nicht objektiv seien und sich daher bei der Stimmabgabe allein an persönlichen Vorteilserwägungen und nicht etwa am Gemein-wohl orientieren würden (vgl. Przygode 1995: 392).168

7.2 Bundesstaatliches Insolvenzverfahren Ein bundesstaatliches Insolvenzverfahren würde nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Kreditgeber Anreize setzen, eine übermäßige Verschuldung der Landesregie-rungen zu sanktionieren. Die Notwendigkeit eines solchen Verfahrens zeigt sich daran, dass auch vergleichsweise hoch verschuldete Länder noch in erstaunlichem Umfang Zugang zu weiteren Krediten haben. Im privaten Bereich hingegen „wird ein Schuldner, der die Kre-dittilgungen und die Zinsen immer wieder aus neuen Krediten finanzieren will, keinen Kreditgeber mehr finden, weil er nicht mehr kreditwürdig ist“ (Peffekoven 2006: 556). Wie lässt sich die erstaunliche Kreditwürdigkeit der Länder erklären?

165 Das schließt Praktiken wie in Kalifornien explizit aus. Dort stimmen die Bürger an einem Tag im Jahr über eine Vielzahl von Vorlagen ab, „so musste z.B. am 3. November 1998 nicht nur über zwölf Vorlagen, sondern auch in fünfzehn Wahlen entschieden werden, d.h. die Wählerinnen und Wähler mussten am gleichen Tag 27 Entschei-dungen treffen“ (Kirchgässner/Feld/Savioz 1999: 139). 166 „In einem Urteil des BVerfG aus dem Jahr 2000 wurde beispielsweise eine Obergrenze von 0,5 % des Gesamt-haushaltsvolumens definiert, jedoch unter Berücksichtigung der generellen Haushaltshaltslage. Auch der bayeri-sche Staatsgerichtshof verwies 1976 auf die Umstände im Einzelfall, die zu berücksichtigen seien“ (Ma-gin/Eder/Vatter 2008: 358). 167 Auch in anderen Themengebieten restringiert das Finanztabu die Ausübung von Volksrechten beträchtlich, so scheiterten beispielsweise zwischen 1991 und 2005 in der Bildungspolitik neun von zehn Volksgesetzgebungsver-fahren am Finanztabu (Magin/Eder/Vatter 2008: 358), weil sie Mehrausgaben nach sich ziehen würden. 168 Vgl. für die konkreten Ausformulierungen des Finanztabus in den Länderverfassungen und die einschlägige Rechtssprechung der Verfassungsgerichte: Przygode 1995: 390ff.

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 153

„Unbegrenzte Kreditwürdigkeit hat normalerweise nur der, der • entweder das Geld, mit dem er seine Verbindlichkeiten begleichen muss, selbst herstellt, • nach Belieben Zwangsbeiträge, vor allem Steuern erhebt, oder • einen verlässlichen Bürgen beibringen kann“ (Peffekoven 2006: 556).

Die Bundesländer können zwar weder Geld herstellen noch Steuern erheben, aber Sie ver-fügen mit der bundesstaatlichen Gemeinschaft aus dem Bund und den übrigen Ländern über einen verlässlichen Bürgen. In allen Bundessstaaten stellt sich das Problem, dass eine Schuldenauslösung (Bailout) durch den Zentralstaat kaum ausgeschlossen werden kann – allein deshalb, weil der Zentralstaat hierarchisch übergeordnet ist und in der Regel über die notwendigen Mittel zur Schuldenauslösung verfügt (Blankart/Fasten/Klaiber 2006: 568). Im deutschen Bundesstaat kann ein Bailout erst recht nicht ausgeschlossen werden, da Sa-nierungszuweisungen gemäß des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 2006 nach einer strengen Prüfung „verfassungsrechtlich zulässig und geboten“ (Bundesverfas-sungsgericht 2006: Absatz-Nr. 194) sind (vgl. Abschnitt 3.1.3.). Aufgrund dieses Haftungs-verbundes genießen hoch verschuldete Länder ähnlich günstige Kreditkonditionen wie solidere Länder, wie ein Blick auf die Bewertung der Länder durch Ratingagenturen zeigt.

Nach der Definition der Ratingagentur Standard&Poor’s bedeutet ein Rating „eine Meinung über die zukünftige Fähigkeit und den Willen eines Schuldners (z.B. eines Staa-tes, einer Gebietskörperschaft, eines Unternehmens etc.) seine Kapitalmarktverbindlichkei-ten einschließlich der Zinsen zum festgelegten Zeitpunkt vollständig zurückzuzahlen“ (Strasser 2007: 25). Mit einem besseren Rating werden die Refinanzierungsbedingungen eines Schuldners günstiger (Stadler 2007: 37). Derzeit bewerten drei anerkannte Agenturen die Kreditwürdigkeit der deutschen Bundesländer: Moody’s, Standard&Poor’s und Fitch Ratings. Alle drei Agenturen differenzieren ihre Bewertungen in einen zum Investment empfohlenen Bereich (investment grade ratings) und einen spekulativen Bereich (speculati-ve grade ratings, ‚junk bonds’). Da alle Bundesländer innerhalb des investment grade ra-tings bewertet werden, wird im folgenden allein dieser Bereich betrachtet: Alle drei Agen-turen unterteilen diesen Bereich in zehn Stufen, die für die Darstellung in Tabelle 7-1 in Zahlen von 1 bis 10 transformiert wurden, wobei 10 das höchste Rating angibt. Die Origi-nalbezeichnungen der Ratingskalen finden sich in Tabelle A-7-1 im Anhang.

Fitch Ratings schätzt den Haftungsverbund als so fest ein, dass es alle Bundesländer als hochgradig risikoarm bewertet und ihnen wie dem Bund die Höchstnote erteilt. Von Moody’s und Standard&Poor’s liegen nicht für alle Länder Bewertungen vor. In Tabelle 7-1 wurden daher nur diejenigen Länder aufgenommen, die mindestens von einer dieser bei-den Agenturen ein Rating erhalten haben. Während Moody’s und Standard&Poor’s ebenso wie Fitch dem Bund die Höchstnote 10 erteilen, differenzieren sie bei der Bewertung der Bundesländer moderat in Abhängigkeit von der jeweiligen fiskalischen Situation. Im Mi-nimum erreichen die Bundesländer noch den Wert 7. Stadler vergleicht die Ratings der Bundesländer bei Standard&Poor’s mit denen anderer europäischer Regionen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die deutschen Länder die höchsten Bewertungen erreichen und die geringste Bandbreite an Bewertungen aufweisen. So liegt die schlechteste Bewertung einer Region in Spanien bei 4, in Frankreich bei 3 und in Italien bei 2 (Stadler 2007: 35).

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154 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

Tabelle 7-1: Kreditratings der Bundesländer Land Fitch Moody’s Standard&Poor’s

Baden-Württemberg 10 10 9

Bayern 10 10 10

Berlin 10 7 -

Brandenburg 10 8 7

Hessen 10 - 8

Nordrhein-Westfalen 10 8 7

Sachsen-Anhalt 10 7 7

Bundesrepublik Deutschland 10 10 10

Anmerkungen: Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen sind hier nicht ausgewiesen, da für diese Län-der weder von Moody’s noch von Standard&Poor’s ein Kreditrating vorliegt. Von Fitch erhalten sie ebenfalls den Wert 10. Quelle: Stadler 2007: 34 (Stand: 13. November 2006). Die hohe Rating-Einschätzung der Länder wurde auch durch das Berlin-Urteil des Bundes-verfassungsgerichts im November 2006 nicht verändert. In diesem Urteil wurden Sanie-rungszuweisungen zwar als Ultima Ratio nach strenger Prüfung prinzipiell bestätigt, die Kriterien für die Vergabe der Zuweisungen wurden jedoch massiv verschärft und die Klage Berlins auf die Gewährung von Zuweisungen wurde abgelehnt (vgl. Abschnitt 3.1.3.).

Innerhalb weniger Tage nach dem Urteil bestätigten die drei Agenturen ihre Einschät-zungen und verwiesen darauf, dass das Prinzip der Bundestreue als Ultima Ratio bestätigt wurde.169 Offensichtlich unterscheidet sich die Bewertung der Ratingagenturen deutlich von der der Wissenschaft, denn Juristen und Politikwissenschaftler sehen die Möglichkei-ten zur Vergabe von Sanierungszuweisungen an hoch verschuldete Länder als stark einge-schränkt an (Häde 2007, Scheller 2006, Wieland 2006).

Eine Insolvenzordnung für die Bundesländer würde den bundesstaatlichen Haftungs-verbund aufheben oder erheblich einschränken. Dadurch würde der Zugang zu neuen Kre-diten für hoch verschuldete Länder massiv erschwert werden. Erfahrungen mit Insolvenz-verfahren für Gebietskörperschaften liegen vor allem aus den USA vor.170 Dort ist im Chapter 9 des US Bankruptcy Codes ein Insolvenzverfahren für Gemeinden und kommuna-le Zweckverbände geregelt (Lewis 1994, McConnell/Picker 1993). Die Erfahrungen aus den USA bilden den Hintergrund der folgenden Ausführungen. In Deutschland hingegen ist die Insolvenz eines Landes oder einer Gemeinde bislang rechtlich ausgeschlossen.171

169 Vgl. mit ausführlichen Zitaten der Ratingagenturen zu dem Urteil (Stadler 2007: 43). 170 Bekannt wurden auch die Insolvenzen der Gemeinden Rokytnice (2002) in der tschechischen Republik und Leukerbad (1998) in der Schweiz. In der Schweiz wurde im Fall Leukerbad das No-Bailout-Prinzip eines Kantons gegenüber seinen Kommunen in einem Gerichtsurteil bestätigt. 171 Vgl. §12 Abs. 1 der Insolvenzordnung: „Unzulässig ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen 1. des Bun-des oder eines Landes; 2. einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes unter-steht, wenn das Landesrecht dies bestimmt.“ Die Insolvenz von Gemeinden ist durch Landesgesetzgebung ausge-schlossen (Blankart/Fasten/Klaiber 2006: 570). Die Einführung einer Insolvenzordnung für die Bundesländer wur-de in der Literatur in den letzten Jahren verstärkt diskutiert, unter anderem von Blankart/Fasten/Klaiber (2006),

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 155

Eine Insolvenzordnung für die Bundesländer sollte ein doppeltes Ziel verfolgen: Ei-nerseits soll sie einen schuldenfreien Neustart für das Land ermöglichen, andererseits aber auch eine begrenzte Anspruchserfüllung für die Gläubiger. Um dieses Ziel zu erreichen, sollten über einen begrenzten Zeitraum hinweg Ausgaben gekürzt, Steuern erhöht und Vermögen veräußert werden, um Schulden zu tilgen. Nach Abschluss dieses Zeitraums sollten die verbleibenden Restschulden dem Land erlassen werden.172

Aus zwei Gründen würde eine derartige Insolvenzordnung die Kreditaufnahme prä-ventiv begrenzen. (1) Die Entscheidungsbildung der Kredit gebenden Kapitalmärkte würde massiv transformiert werden. Im Gegensatz zum Status quo des deutschen Föderalismus würde erstmals ein realistisches Risiko bestehen, dass die Kredite eines Landes nicht be-dient werden. Vor allem bereits hoch verschuldete Länder müssten infolgedessen deutlich höhere Zinsen zahlen, um Kredite zu erhalten. Im Extremfall könnte den Ländern ein Kre-dit vollständig verweigert werden. Um weiterhin Zugang zu Krediten zu günstigen Kondi-tionen zu haben, müssten die Regierungen daher die Defizite begrenzen. Die Kapitalmärkte hätten durch das Insolvenzverfahren zudem massive Anreize, die Transparenz von Haushal-ten zu kontrollieren beziehungsweise Haushaltstricks zur Verschleierung von Defiziten durch das Vorenthalten von Krediten zu bestrafen, da diese Haushaltstricks die Risikoein-schätzung durch die Kreditgeber erschweren bzw. verunmöglichen. (2) Aufgrund der Leistungskürzungen und Steuererhöhungen während eines laufenden Insolvenzverfahrens erhielten die Bürger massive Anreize Defizite abzulehnen, und das heißt in der Funktionslogik einer repräsentativen Demokratie Regierungen abzuwählen, die in starkem Ausmaß Kredite aufgenommen haben. Aufgrund des drohenden Machtverlustes würden die Regierungen wiederum auch auf diesem Wege Anreize erhalten, die Kreditfi-nanzierung zu begrenzen. Diese Funktionslogik bliebe unberührt von den Annahmen über die Präferenzen der Bürger: Sollten sie einer Fiskalillusion unterliegen, so erhielten sie durch die potenziell enormen Kosten eines Insolvenzverfahrens massive Anreize, sich über die fiskalische Situation ihres Bundeslandes zu informieren und diese Informationen in ihre Wahlentscheidung einfließen zu lassen. Sollten Sie hingegen aus opportunistischen Grün-den ein Defizit unterstützt haben aufgrund der Annahme einer Lastenverschiebung in die Zukunft, so dürfte diese Kalkulation hinfällig werden, da ein Insolvenzverfahren den Zeit-horizont verkürzt.

Mit der Schuldentilgung durch Steuererhöhungen, Ausgabenkürzungen und Vermö-gensveräußerungen während der Wohlverhaltensphase wären beträchtliche Härten für die Bevölkerung der betreffenden Länder verbunden, die die Bezieher kleinerer Einkommen mutmaßlich besonders hart treffen würden. Die Entscheidung für das skizzierte Verfahren setzt somit eine politische Agenda voraus, auf der das Ziel der Verschuldungsbegrenzung eindeutig Vorrang hat vor konkurrierenden (beispielsweise sozialpolitischen) Zielen. Alter-nativ zu dem skizzierten Verfahren könnte auch eine Insolvenzordnung konzipiert werden, die keine Rücksicht auf die Ansprüche der Gläubiger nimmt und allein das Ziel eines schuldenfreien oder nahezu schuldenfreien Neustarts des Landes verfolgt: Die Disziplinie-rung des Haushaltsgesetzgebers würde dann allein über die Kapitalmärkte erfolgen.

Jochimsen (2007), Konrad (2007), Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (2005). Siehe zur Frage einer Insolvenzordnung für Nationalstaaten auch: Paulus 2002. 172 Dieses Modell ist dem Insolvenzrecht für natürliche Personen entnommen, dort wird die so genannte Wohlver-haltensphase auf sechs Jahre terminiert (§287, Abs. 2 InsO).

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156 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

Im Folgenden sollen die Grundzüge eines Insolvenzverfahrens für die Bundesländer skizziert werden, das im Insolvenzfall Belastungen für die Gläubiger und für die Bürger des betroffenen Bundeslandes vorsieht, um Bürger und Gläubiger für die Kontrolle der Defizite zu mobilisieren. Bei der Entwicklung des Insolvenzverfahrens gilt es zu berücksichtigen, dass die Bundesländer im Gegensatz zu Privatpersonen und Unternehmen demokratisch legitimierte Gebietskörperschaften sind, die öffentliche Aufgaben leisten. Daher benötigen die Bundesländer in dem Insolvenzverfahren besondere Schutzrechte. Die Eröffnung des Verfahrens sollte ausschließlich von dem betroffenen Land selbst, und keinesfalls von den Gläubigern beantragt werden dürfen. Über die Aufnahme des Verfahrens sollte ein unab-hängiges Insolvenzgericht entscheiden, das später auch das Verfahren überwacht, bzw. zur Durchführung des Verfahrens einen Insolvenzverwalter beruft. Ein geeignetes Kriterium für die Aufnahme eines Insolvenzverfahrens stellt die Überschuldung dar, nicht aber wie im amerikanischen Insolvenzrecht die Zahlungsunfähigkeit. Dort wird die Zahlungsunfähigkeit in einem „cash flow insolvency test“ (McConnell/Picker 1993: 456) festgelegt:

„In this context, insolvency means that the municipal debtor either currently cannot pay its debts as they become due – the bills arrive and cannot be paid – or that the debtor will not be able to pay such debts as they become due – bills will arrive in six months and cannot be paid then” (McConnell/Picker 1993: 456).

Dieses Kriterium beschränkt den Zugang zum Insolvenzverfahren deutlich. Damit sollen problematische fiskalische Anreize vermieden werden, die aus einer zu einfachen Entschul-dung resultieren könnten (moral hazard-Problem):173 Wenn eine Entschuldung zu einfach zu erhalten ist, bestehen für die Akteure Anreize, mehr auszugeben und sich mehr zu ver-schulden, da sie nicht im vollen Umfang die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen. Die Anreizproblematik ähnelt der der Sanierungszuweisungen.

Das Kriterium der Zahlungsunfähigkeit verzögert in den USA den Beginn des Insol-venzverfahrens für größere Städte oder macht ihn völlig unmöglich.174 Bevor größere Städ-te am Ende ihrer Kreditwürdigkeit tatsächlich zahlungsunfähig sind, müssen sie immer weitere Kredite zu immer höheren Zinsen aufnehmen. Das Kriterium der Zahlungsunfähig-keit ist daher für eine Insolvenzordnung der Bundesländer ungeeignet. Der alternative Er-öffnungsgrund, die Überschuldung, ist nach §19 Abs 2 InsO folgendermaßen definiert:

„Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkei-ten nicht mehr deckt. Bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners ist jedoch die Fortfüh-rung des Unternehmens zugrunde zu legen, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahr-scheinlich ist.“

173 Ein moral hazard-Problem kann auftreten, wenn ein Akteur nicht in vollem Ausmaß die Konsequenzen seiner Handlungen tragen muss. Wenn Andere die Verantwortung mittragen, besteht eine Tendenz zu weniger vorsichti-gem Verhalten. 174 Zumeist melden dort kleinere Gemeinden Insolvenz an, die nach zivilrechtlichen Forderungen infolge von Unfällen zahlungsunfähig geworden sind, Mc Connell und Picker führen beispielhaft aus: “A youth jumps off of a municipal pier in Bay St. Louis, Mississippi, and breaks his neck. The city suffers a §370,000 judgement and files under Chapter 9 to prevent garnishment of its bank accounts. A South Tucson, Arizona police officer shoots and paralyzes a fellow officer during an incident. The injured officer wins a $3.6 million judgment against the city. Eventually this city too files under Chapter 9” (McConnell/Picker 1993: 470f.).

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 157

Wie aus der Definition zweifelsfrei hervorgeht, ist die Feststellung einer Überschuldung deutlich schwieriger als die einer Zahlungsunfähigkeit, und damit offen für Auseinander-setzungen sowie für strategische Manipulationen. Die einzige Lösung, die hier vorgeschla-gen werden kann, ist die Entscheidung über das Vorliegen einer Überschuldung dem Insol-venzgericht zu übertragen. Das Gericht sollte dann auf Basis von präzisen Ausführungsbe-stimmungen der zugrundeliegenden Definition, unabhängig geprüften Daten und wissen-schaftlicher Expertise entscheiden. Während die Bestimmung einer Überschuldung proble-matisch bleibt, kann das moral hazard-Problem vergleichsweise einfach gelöst werden: Die negativen Anreize der Entschuldung können entweder durch einen schweren Zugang zum Insolvenzverfahren oder durch harte Auflagen innerhalb des Verfahrens begrenzt werden (McConnell/Picker 1993: 477). Das amerikanische Insolvenzrecht sieht hohe Zugangs-schwellen zum Verfahren bei moderaten Auflagen innerhalb des Verfahrens vor. Eine In-solvenzordnung für die Länder sollte hingegen aus Praktikabilitätsgründen niedrigere Zu-gangsschwellen zum Verfahren setzen, die dann mit härteren Auflagen innerhalb des Ver-fahrens kombiniert werden.

Im Verfahren selbst entscheidet das Insolvenzgericht über die Anerkennung von For-derungen und legt nach festgelegten Kriterien eine Rangfolge der Forderungen fest. Das Land ist verpflichtet, einen Sanierungsplan vorzulegen, der die Maßnahmen umfasst, die zur Bedienung der Schulden getroffen werden sollen. Wenn die Gläubiger dem Plan nicht zustimmen und es somit nicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, entscheidet das Insolvenzgericht über die Annahme des Plans. Um die Ansprüche der Bürger des betroffe-nen Landes und der Gläubiger in einen fairen Ausgleich zu bringen, kann das Gericht Ver-änderungen an dem Sanierungsplan erzwingen hinsichtlich aller Einnahmen generierender Maßnahmen (Vermögensveräußerungen, Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen).175 Der veränderte Sanierungsplan muss sich allerdings im Rahmen von Pfändungsgrenzen bewegen, die in der Insolvenzordnung festzulegen sind.

Diese Pfändungsgrenzen müssten ein zu definierendes Minimum an staatlichen Leis-tungen sowie die Löhne der Landesbediensteten umfassen. Die Aufrechterhaltung dieser minimalen Staatstätigkeit genießt Priorität vor den Ansprüchen der Gläubiger. Der indivi-duelle Zugriff von Gläubigern auf das Landesvermögen nach Eröffnung des Verfahrens müsste ebenso ausgeschlossen werden, wie direkte politische Eingriffsrechte der Gläubi-ger.176 Ebenso verboten wäre eine verordnete Auflösung des betroffenen Landes, bezie-hungsweise seine erzwungene Fusion mit einem Nachbarland.177 Hierin bestünde ein ent-scheidender Unterschied zur Firmeninsolvenz, bei der es häufig zur Zerschlagung oder Reorganisation einer betroffenen Firma kommt (McConnell/Picker 1993: 426f.).178

Zugleich müsste die Haftung der übrigen Länder und des Bundes begrenzt werden, wenn ein Land ein Insolvenzverfahren eröffnet. Diese bundesstaatliche Haftung könnte bei-spielsweise in einer eng begrenzten Beteiligung an den nicht-pfändbaren Ausgaben des betroffenen Landes bestehen. Sie sollte sich allerdings nicht auf die Tilgung der Schulden

175 Diese direkten Eingriffsrechte besitzt das Gericht unter Chapter 9 nicht. 176 Gläubiger sollten beispielsweise nicht Einfluss nehmen dürfen auf Entscheidungen über Steuererhöhungen, Leistungskürzungen u.ä.. 177 Dieses Verbot liegt darin begründet, dass die Bundesländer nicht bloße Verwaltungseinheiten sind, sondern demokratisch legitimierte Gliedstaaten mit eigenen Befugnissen zur Selbstregierung. 178 Dieser Vorschlag steht im Einklang mit der US-amerikanischen Praxis unter Chapter nine: „the premise of mu-nicipal bankruptcy law is that the city will emerge from bankruptcy in the same form – with the same boundaries, resources, functions, and governing structures – with which it entered bankruptcy” (McConnell/Picker 1993: 427).

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158 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

beziehen. Wenn die Schulden nicht allein von dem betroffenen Land getilgt werden müs-sen, wird die disziplinierende Wirkung einer Insolvenzordnung auf Wähler und Politiker beeinträchtigt. Ein vollständiger Haftungsausschluss der anderen Länder und des Bundes wäre hingegen kaum mit dem Prinzip der Bundestreue vereinbar.

Konrad (2007: 162) schlägt eine andere Form der Haftungsbegrenzung vor: Die Bund-Länder-Gemeinschaft sollte gemeinsam für alle bestehenden Länderschulden haften, die bis zur Einführung einer Insolvenzordnung aufgenommen worden sind. Ein Ausfallrisiko be-stünde somit allein für alle Kredite, die danach aufgenommen werden, und nur für diese neuen Kredite müssten die Länder deutlich höhere Zinsen zahlen.179 Eine derartige Rege-lung würde die defizitbegrenzende Wirkung einer Insolvenzordnung deutlich herabsetzen, da die Kosten der Kreditfinanzierung nur langsam ansteigen würden. Zugleich würde sie aber die politische Durchsetzbarkeit der Insolvenzordnung erhöhen. 7.3 Die Durchsetzbarkeit dieser Reformoptionen Auch wenn in dieser Studie das Problem der Durchsetzbarkeit nicht im Zentrum der Diskus-sion von Reformoptionen stand, soll es zum Abschluss dieses Kapitels kurz diskutiert wer-den. Gemäß einer Grundannahme der Konstitutionellen Politischen Ökonomie kann ein zu definierendes Politikziel (z.B. ‚Gemeinwohl’) auch bei opportunistischen Motiven der Poli-tiker erreicht werden, wenn deren Verhalten durch geeignete institutionelle Restriktionen gelenkt wird. Weizsäcker fasst diese Annahme folgendermaßen zusammen: „Good games depend on good rules more than they depend on good players“ (Weizsäcker 1997: 147).

In diesem Kapitel wurden institutionelle Restriktionen diskutiert, die das Ziel verfol-gen, die Verschuldung zu begrenzen. Es stellt sich nun die Frage, aus welchen Motiven heraus politische Akteure Verfassungsänderungen anstreben sollten, um Finanzreferenden oder eine Insolvenzordnung für die Bundesländer einzuführen?180 Elster zufolge unter-scheiden sich die Motive des Verfassungsgesetzgebers kaum von denen des einfachen Ge-setzgebers:

„I am simply claiming, that much of constitutional politics is similar to routine politics as far as motives are concerned, and that we cannot in general expect imperfect framers to create perfect constitutions that will check the imperfections of future politicians” (Elster 2000: 173). “The idea that framers are demigods legislating for beasts is a fiction (ebd.: 172).

Wenn das zutrifft, muss Reischauers Diktum (1990: 232) erweitert werden: Keine Haus-haltsregel kann politische Akteure dazu zwingen, etwas zu begehen, was sie für politischen Selbstmord halten und politische Akteure werden keine Haushaltsregeln verabschieden, die sie und andere dazu zwingen, politischen Selbstmord zu begehen. Was das für die Wahr-scheinlichkeit der Implementation solcher Regeln bedeutet, zeigt Reischauer auf:

179 Wenn stattdessen nach Einführung der Insolvenzordnung ein Ausfallrisiko für die gesamten Länderschulden bestünde, würde die Zinsbelastung so enorm steigen, dass hoch verschuldeten Ländern eine Insolvenz drohen könnte, auch wenn sie in der Gegenwart eine solide Haushaltspolitik betrieben, um den Schuldendienst zu finan-zieren. 180 In Abschnitt 3.1. wurde dieses Problem mit einer Nachfrage zu Weizsäckers Diktum verbunden: „Why should bad players adopt good rules?“

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7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite 159

„The nation, therefore, will probably have larger than desired deficits until the political costs of continued large deficits are perceived to exceed those of spending cuts and tax increases” (Reis-chauer 1990: 232).

Auf Basis der modellimmanenten Annahmen der Konstitutionellen Politischen Ökonomie ist somit davon ausgehen, dass effektive institutionelle Reformen zur Begrenzung der Defi-zite erst dann umgesetzt werden, wenn sie dem Ziel der Stimmenmaximierung dienen kön-nen. Das wird aber erst dann der Fall sein, wenn die negativen Folgewirkungen der Ver-schuldung deutlich stärker als bisher für die Bürger spürbar werden. Erst dann wird die Verschuldungsproblematik in einem stärkeren Ausmaß das Wahlverhalten der Bürger prä-gen und damit die entsprechenden Anreize für die politischen Akteure setzen. Das wird allerdings erst auf einem noch deutlich höheren Verschuldungsniveau der Fall sein – es bleibt abzuwarten, ob diese Situation in den nächsten Jahren infolge der internationalen Finanzkrise erreicht wird.

Wenn diese Annahme zutrifft, stellt sich die Frage, ob institutionelle Beschränkungen der Kreditaufnahme überhaupt für eine Begrenzung der Defizite benötigt werden, oder ob sie als endogen anzusehen sind. Im Falle der Endogenität beschränken die Institutionen nicht das Handeln der Akteure, sondern sind allein Ausdruck der Präferenzen der Akteure (Poterba 1996: 10ff.). Dann aber hätten institutionelle Beschränkungen der Kreditaufnahme keinen Einfluss auf die Höhe des Defizits. Wirksame institutionelle Beschränkungen wür-den nur von Regierungen eingeführt, deren Präferenzen ohnehin auf ein niedriges Defizit zielen. Sie müssten dann von diesen Institutionen nicht mehr an einem höheren Defizit gehindert werden. Damit wäre aber die Suche nach einer institutionellen Begrenzung von Defiziten sinnlos.

Gegen dieses Argument kann jedoch eingewendet werden, dass institutionelle Regeln generell und Verfassungsregeln im besonderen nicht allein als Epiphänomen der Präferen-zen der politischen Akteure betrachtet werden können: Verfassungsregeln sind aufgrund des qualifizierten Mehrheitsquorums, das für eine Änderung erforderlich ist, fortlaufenden Anpassungen an die Präferenzen der jeweils aktuell Regierenden enthoben. Selbst einfach-gesetzliche Regelungen können vor Änderungen geschützt sein, wenn Sie im Einklang mit den Präferenzen der Bevölkerung stehen. Ein Beispiel hierfür ist die Unabhängigkeit der Bundesbank, die während der ganzen Geschichte der alten Bundesrepublik nicht im Grund-gesetz verankert war, sondern nur im Bundesbankgesetz.181 Trotz einer Vielzahl von Aus-einandersetzungen mit der Bundesregierung blieb die Unabhängigkeit der Bundesbank unangetastet (Rudzio 1991: 310).

Institutionelle Regelungen sind somit auf Dauer gestellt und können – wenn sie einmal implementiert sind – den Wandel von Präferenzen oder den Konflikt konkurrierender Präfe-renzen überdauern. Bezogen auf die institutionelle Beschränkung der Kreditaufnahme könn-te ein Wandel der Präferenzen vorliegen, wenn die Begrenzung der Verschuldung als weni-ger wichtig wahrgenommen wird. Ein Konflikt konkurrierender Präferenzen wäre denkbar, wenn die Begrenzung der Verschuldung weiterhin als notwendig angesehen wird, aber zugleich zusätzliche Ausgabenprogramme oder Steuersenkungen präferiert werden. Damit

181 Art. 88 GG lautete „Der Bund errichtet eine Währungs- und Notenbank als Bundesbank.“ Erst im Zuge der Europäischen Währungsunion wurde am 21. Dezember 1992 ein zweiter Satz eingefügt: „Ihre Aufgaben und Befugnisse können im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet.“

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160 7. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite

institutionelle Beschränkungen der Kreditaufnahme aber auch trotz wechselnder oder konfli-gierender Präferenzen befolgt werden, ist es notwendig durch die Gestaltung der Regelungen einen externen Akteur wie die Kreditgeber oder die Bevölkerung zu mobilisieren.

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8. Fazit 161

8 Fazit

Gegenstand dieser Studie ist die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer. Unter diesem Begriff wird die Fähigkeit einer Regierung verstanden, Ausgaben zu tätigen, um politische Zielvorstellungen zu realisieren und die hierfür nötigen Einnahmen zu gene-rieren. Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer ist in einem erheblichen Ausmaß institutionell beschränkt und zwar sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Mangels autonomer Steuergesetzgebungskompetenzen können die Länder nicht eigenständig über Art und Umfang der Steuern entscheiden, die auf ihrem Territorium erhoben werden. Das Aufkommen dieser Steuern wird im Rahmen des extensiven Finanz-ausgleichssystems deutlich umverteilt und zwischen den Ländern weitgehend angeglichen. Die Länder müssen daher ihre Einnahmen weitgehend als extern vorgegebene Größe be-trachten.

Auch auf der Ausgabenseite der Länderhaushalte zeigen sich massive Rigiditäten: In-folge der funktionalen Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat, bei der der Bund für den größten Teil der Gesetzgebung Verantwortung trägt, während den Ländern überwie-gend die Gesetzesausführung obliegt, müssen die Länder einen erheblich größeren Anteil ihres Haushalts für Personal verausgaben als der Bund. Personalausgaben sind deutlich weniger flexibel als Sach- und Investitionsausgaben, so dass sich hier langfristige Bindun-gen der Haushalte ergeben. Wichtiger noch für die Länderhaushalte ist eine andere Folge des deutschen Verbundföderalismus, die Vollzugskausalität. Gemäß der Vollzugskausalität trägt die ausführende Staatsebene und nicht die veranlassende Staatsebene die Kosten einer Maßnahme. Infolgedessen werden die Länder durch die Kosten der Bundesgesetze belastet, die sie ausführen.

Aus dieser institutionellen Begrenzung der finanzpolitischen Handlungsfähigkeit re-sultierte in der Vergangenheit eine besondere Attraktivität der Kreditaufnahme. Durch sie konnten zusätzliche Einnahmen generiert werden, die gemäß eigener Präferenzen ausgege-ben werden konnten. Aufgrund der Lasten aus Zins und Tilgung der Kredite schränkt die Verschuldung jedoch längerfristig die ohnehin beschränkte finanzpolitische Handlungsfä-higkeit der Länder weiter ein. Dieser Zustand ist in der Untersuchungsperiode dieser Stu-die, die die zwölf Jahre von 1995 bis 2006 umfasst, bereits erreicht. Die Verschuldung kann daher neben den institutionellen Limitierungen als die wichtigste Einschränkung der fi-nanzpolitischen Handlungsfähigkeit betrachtet werden. So muss das Land mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung, Bremen, beispielsweise bereits ein Sechstel seiner dauerhaften Einnahmen für Zinsen ausgeben. Pro Einwohner ist Bremen mehr als sechsmal so hoch verschuldet wie Bayern. Besorgniserregend ist auch die Verschuldung Berlins und der ostdeutschen Länder: im Durchschnitt liegt die Pro-Kopf-Verschuldung der ostdeutschen Länder bereits über der der westdeutschen Flächenländer, obwohl die ostdeutschen Länder bei ihrer Gründung im Jahr 1990 nahezu schuldenfrei waren. Bei den ostdeutschen Ländern gilt es jedoch zwischen Sachsen und den vier übrigen Ländern zu differenzieren. Branden-burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind alle mindestens doppelt so hoch verschuldet wie Sachsen. In den letzten Jahren zeigten sich deutliche Kon-solidierungserfolge in Berlin und allen ostdeutschen Ländern, im Jahr 2007 wiesen die

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162 8. Fazit

Haushalte dieser Länder durchgehend Überschüsse auf. Bremen und das Saarland hingegen hatten im Untersuchungszeitraum durchgängig hohe Defizite, die erst in den letzten Jahren leicht reduziert werden konnten.

Die erste Fragestellung der Studie zielt auf die Erklärung dieser Unterschiede zwi-schen den Ländern ab: Wie lassen sich die Unterschiede in den Defiziten der Bundesländer erklären? Die Studie beabsichtigt jedoch nicht bei der Kausalanalyse stehenzubleiben, son-dern zusätzlich Reformoptionen für eine effektive Reduzierung der Defizite zu identifizie-ren. Die zweite Fragestellung lautet daher: Welche Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Länderdefizite bieten sich an? Die Studie beabsichtigt damit in zweifacher Weise über den bisherigen Forschungsstand hinauszugehen. (1) Im Gegensatz zum Mainstream der Forschung, in dem die Fragen zu den Ursachen und zu möglichen Reform-optionen weitgehend isoliert voneinander untersucht werden, werden in dieser Studie beide Fragestellungen systematisch miteinander verzahnt: Die Reformoptionen werden auf Basis der Kausalanalyse identifiziert. Ihre Aufgabe besteht darin, die zuvor empirisch festgestell-ten Ursachen zu beseitigen. (2) Zum ersten Mal werden die Ursachen der Defizite aller sechzehn Länder vergleichend analysiert, in den bislang vorliegenden Studien wurde nur eine variierende Teilmenge von Ländern analysiert. Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse bezüglich der beiden Fragestellungen zusammengefasst werden, abschließend wird ein kurzer Ausblick auf die jüngst beschlossene Schuldenbremse geworfen. Die Ursachen der Länderdefizite Den empirischen Ergebnissen liegen die folgenden Hypothesen zugrunde: Die Konstitutio-nelle Politische Ökonomie bzw. verwandte Ansätze der Politischen Ökonomie gehen davon aus, dass bei einer breiteren Machtverteilung sich der politische Wettbewerb intensiviert und der Kampf um Wählerstimmen verstärkt geführt wird. Infolgedessen stellen die Regie-rungen in größerem Ausmaß öffentliche Güter bereit, was ceteris paribus zu höheren Defi-ziten führt. Je breiter die Macht zwischen unterschiedlichen Regierungsparteien zu einem Zeitpunkt in einem Land verteilt ist, desto größer ist die Wählerklientel, in deren Interesse Ausgaben getätigt werden und desto negativer ist die Haushaltsbilanz. Neben dieser syn-chronen Machtverteilung wird auch eine diachrone Machtverteilung im Zeitverlauf postu-liert: Je gleichmäßiger die Macht zwischen CDU und SPD im Zeitverlauf in einem Land aufgeteilt ist, desto intensiver ist der politische Wettbewerb in einem Land und desto unsi-cherer sind daher die Wiederwahlaussichten einer Regierung. Diese Unsicherheit führt zu einem verstärkten Kampf um Wählerstimmen, der wiederum höhere Ausgaben und damit eine negativere Haushaltsbilanz nach sich zieht.

Die Konstitutionelle Politische Ökonomie geht zudem von verschuldungsfördernden Anreizen des bundesstaatlichen Transfersystems aus. Je höher die Einnahmen eines Landes aus dem bundesstaatlichen Transfersystem sind, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land. Der Theorie zufolge führen hohe Transfereinnahmen zu der Erwartung, im Falle einer übermäßigen Verschuldung, Hilfen der bundesstaatlichen Gemeinschaft zu erhalten. Je größer die Erwartung ist, die zukünftigen Kosten der Kreditaufnahme externali-sieren zu können, desto attraktiver ist die Kreditaufnahme in der Gegenwart.

Die Konstitutionelle Politische Ökonomie wurde hinsichtlich zweier Punkte kritisiert: (1) Der Ansatz vertritt eine enge Annahme über die Akteurspräferenzen, nämlich eine aus-schließliche Wiederwahlorientierung. Um die Akteurspräferenzen umfassender zu konzep-tualisieren, wurde in dieser Studie ergänzend auf die Parteienherrschaftstheorie aus der

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8. Fazit 163

vergleichenden Staatstätigkeitsforschung zurückgegriffen. Sie geht davon aus, dass die Präferenzen der Regierenden ideologisch bzw. parteipolitisch determiniert sind. Bezogen auf die Defizite der Länder wurde postuliert, dass linke Regierungen aufgrund einer stärker interventionistisch geprägten Wirtschafts- und Sozialpolitik höhere Ausgaben tätigen, die eine negativere Haushaltsbilanz nach sich ziehen.

(2) Zum anderen kann an dem Ansatz der Konstitutionellen Politischen Ökonomie kri-tisiert werden, dass er nicht-institutionelle Restriktionen, denen die haushaltspolitischen Entscheidungen unterliegen, nicht angemessen berücksichtigt. Daher besteht die Gefahr, dass der Ansatz die Handlungsspielräume der beteiligten Akteure systematisch überschätzt. Um die Restriktionen des Haushaltsprozesses angemessener zu erfassen, wurde abermals auf Theorien der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung zurückgegriffen, und zwar auf die Theorie der sozioökonomischen Determination der Staatstätigkeit und das Politikerb-theorem. Aus diesen Theorien wurden die Hypothesen abgeleitet, dass eine positivere Haushaltsbilanz bei sinkender Arbeitslosigkeit, steigendem Wirtschaftswachstum und nied-rigeren Zinsausgaben zu erwarten ist. Eine letzte Restriktion der Haushaltspolitik in den Ländern ergibt sich schließlich aus den strukturellen Besonderheiten der Stadtstaaten im Vergleich zu den Flächenländern. Um diese Besonderheiten adäquater fassen zu können, wurde auf Ansätze der Finanzwissenschaft (Brecht 1932, Kähler 1982, Seitz 2002) zurück-gegriffen, die in dieser Studie als Theorie der geographischen Determination der Staatstä-tigkeit konzeptualisiert wurden.

Um die Hypothesen aus verschiedenen Theorietraditionen in ein Erklärungsmodell zu integrieren, wurde der haushaltspolitische Entscheidungsprozess aus der Perspektive des zentralen Akteurs, der Regierungen, betrachtet. Die einzelnen Erklärungsfaktoren wurden dann als Präferenzen der Regierenden systematisiert oder als Restriktionen, denen das Re-gierungshandeln unterliegt. Mit der Verwendung von Erklärungsfaktoren aus unterschiedli-chen Theorietraditionen ist in dieser Studie auch die Frage nach ihrem relativen Erklä-rungsbeitrag verbunden. In einer theorievergleichenden Studie zu den Defiziten entwickel-ter westlicher Demokratien stellte Wagschal fest: „Hinsichtlich der Diskussion der einzel-nen politisch-ökonomischen Modelle bleibt nach einer empirischen Überprüfung nicht mehr allzu viel übrig“ (Wagschal 2003: 317). Die Ergebnisse des Bundesländervergleichs in dieser Studie stehen im Kontrast zu dem Befund Wagschals. Die Erklärungsfaktoren aus der Konstitutionellen Politischen Ökonomie bewähren sich in der empirischen Analyse überwiegend gut. Als stärkster und konstantester Erklärungsfaktor über eine Vielzahl von Modellspezifikationen hinweg erweist sich die synchrone Machtverteilung: Je breiter die Macht zwischen unterschiedlichen Regierungsparteien zu einem Zeitpunkt in einem Land verteilt ist, desto negativer ist die Haushaltsbilanz in diesem Land. Die Ergebnisse dieser Studie können einen Befund von Jochimsen und Nuscheler (2007: 19) entscheidend modi-fizieren. Jochimsen und Nuscheler berichten einen größeren Anstieg der Defizite unter Koalitionsregierungen im Vergleich zu Alleinregierungen. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass der Effekt nicht nur zwischen Alleinregierungen und Koalitionsregierungen differenziert, sondern auch mit der Breite der Koalitionen an Stärke gewinnt. Besonders hohe Defizite entstehen unter großen Koalitionen. Damit kann die von Probst (2006) auf-geworfene Frage: „Große Koalitionen als Sanierungsmodell?“ eindeutig verneint werden. Die Ursache für die hohen Defizite unter großen Koalitionen können einerseits in der be-sonderen Größe der Wählerklientel liegen, in deren Interesse Ausgaben getätigt werden. Andererseits aber auch in einem besonderen Konfliktniveau großer Koalitionen im Ver-

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164 8. Fazit

gleich zu kleinen Koalitionen.182 Große Koalitionen sind im Gegensatz zu den kleinen Koa-litionen in der Regel nicht Wunschkoalitionen, sie weisen somit tendenziell eine größere ideologische Distanz zwischen den Parteien auf. Zudem besitzen beide Parteien in einer großen Koalition einen Führungsanspruch und streben danach bei den nächsten Wahlen die jeweils andere aus der Regierung zu verdrängen. Dieses erhöhte Konfliktniveau in großen Koalitionen kann zu verstärkten Profilierungsbemühungen führen, welche sich in höheren Ausgaben niederschlagen.

Auch die zweite politökonomische Hypothese, die verschuldungsfördernde Anreize des Transfersystems postuliert, konnte eindeutig bestätigt werden. Eine Wirkung der dia-chronen Machtverteilung konnte hingegen nicht nachgewiesen werden. Die weitgehende Bestätigung der Konstitutionellen Politischen Ökonomie zeigt sich auch darin, dass die konkurrierende Annahme zu den Akteurspräferenzen, nämlich ideologisch motivierte an-stelle von wiederwahlorientierten Präferenzen, keinerlei Bestätigung findet. Ideologische bzw. parteipolitische Einflüsse auf die Länderdefizite sind im Untersuchungszeitraum nicht nachweisbar. Dieses Ergebnis könnte ein Hinweis auf eine Konvergenz der Ausgabenpoli-tik linker und bürgerlicher Regierungen sein. Die Ursachen einer solchen Konvergenz könnten einerseits in dem ideologischen Wandel der Sozialdemokratie liegen, andererseits in wachsenden Restriktionen, denen sich eine stark interventionistische Wirtschafts- und Sozialpolitik gegenübersieht (u.a. Folgen der Globalisierung und finanzielle Lasten der Wiedervereinigung).

Während die Parteienherrschaftstheorie überhaupt keinen Erklärungsbeitrag leisten kann, werden die Hypothesen zu den Restriktionen des Akteurshandelns, die aus der ver-gleichenden Staatstätigkeitsforschung abgeleitet wurden, im Großen und Ganzen bestätigt. Einen erwartbar starken Effekt üben die Zinsausgaben aus – sie wirken als Ausgabenkom-ponente unmittelbar auf die Haushaltsbilanz. Auch eine defizitsteigernde Wirkung der Ar-beitslosigkeit konnte bestätigt werden, während die Ergebnisse für das Wirtschaftswachs-tum weniger eindeutig sind. Sie weisen aber daraufhin, dass Länder mit einem höheren Wirtschaftswachstum tendenziell ein niedrigeres Defizit aufweisen. Insgesamt bewähren sich somit auch die Erklärungsfaktoren aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung weitgehend.

Im Untersuchungszeitraum lassen sich im Durchschnitt höhere Defizite der Stadtstaa-ten im Vergleich zu den Flächenländern nachweisen. Betrachtet man jedoch die Defizite der drei Stadtstaaten im Einzelnen, zeigen sich erhebliche Unterschiede zwischen Bremen und Berlin und dem deutlich weniger defizitären Hamburg. Diese Unterschiede deuten daraufhin, dass spezifische Probleme Berlins und Bremens vorliegen, und nicht etwa ein generelles Problem aller drei Stadtstaaten. Die finanziellen Probleme Berlins seit der Ver-einigung resultieren dominant aus der verzögerten Anpassung der Berliner Politik an die veränderte finanzielle Situation in den Jahren nach der Einheit. Das alte West-Berlin hatte sehr hohe Zuweisungen des Bundes erhalten, diese Zuweisungen wurden nach der Vereini-gung abrupt gekürzt. Die Berliner Politik reduzierte die Ausgaben nicht komplementär, was zu hohen Defiziten führte. Nach 1995 betrieb Berlin jedoch eine konsequente Konsolidie-rungspolitik, deren Erfolge vorübergehend durch die Krise der Bankgesellschaft Berlin im

182 Der Vergleich der großen Koalitionen wird hier zu den kleinen Koalitionen mit zwei Parteien gezogen, die kleinen Koalitionen mit drei Parteien bleiben an dieser Stelle aufgrund ihrer geringen Zahl ausgeklammert. Kleine Koalitionen mit drei Parteien regierten nur in 3 % der analysierten Regierungsjahre (6 von 192). Die Regierungs-jahre errechnen sich aus den 16 Ländern multipliziert mit den 12 Jahren der Untersuchungsperiode.

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8. Fazit 165

Jahr 2001 verdeckt wurden. 2006 wurde erstmals eine positive Primärbilanz erreicht, 2007 gar eine positive Haushaltsbilanz. Das hohe Niveau des Berliner Defizits im Durchschnitt des Untersuchungszeitraums darf also nicht den Blick auf die positive Entwicklung Berlins verstellen.

Bremen weist im Untersuchungszeitraum ebenfalls hohe Defizite auf, wenn man die zweckgebundenen Sanierungszuweisungen des Bundes aus den Einnahmen herausrechnet. Diese Fehlbeträge resultierten aus einer verfehlten finanzpolitischen Strategie Bremens, das die strukturellen Ursachen seiner Finanzmisere durch eine forcierte Investitionspolitik be-seitigen wollte. Mithilfe dieser Investitionen sollte das Wirtschaftswachstum des Landes gesteigert und damit seine finanzielle Situation verbessert werden. Diese Strategie konnte jedoch nicht aufgehen: Selbst wenn die Investitionen zu einem stärkeren Wirtschaftswachs-tum führen würden, verbliebe nur ein kleiner Teil der zusätzlichen Steuereinnahmen in Bremen, der Großteil würde über die bundesstaatliche Finanzverteilung abfließen. Das Land konnte seine verfehlte Politik ungehindert betreiben, da der Bund die Gewährung von Sanierungszuweisungen nicht an strikte Auflagen für die Finanzpolitik des Empfängerlan-des knüpfte. Als die Sanierungszuweisungen reduziert wurden und ausliefen, begann auch Bremen seinen Haushalt zu konsolidieren. Im Jahr 2002 gab Bremen 28 % mehr für öffent-liche Leistungen aus als es an regelmäßigen Einnahmen erhielt, 2006 waren es immer noch 9 %.183 Abstrahiert man von den besonderen Problemen in Bremen und Berlin und nimmt noch einmal alle drei Stadtstaaten in den Blick, so kann man feststellen, dass alle drei Stadtstaaten unabweisbare Mehrausgaben in den Bereichen Soziales und öffentliche Si-cherheit haben. Diese unabweisbaren Mehrausgaben werden aber durch die Einwohnerwer-tung im Länderfinanzausgleich grosso modo kompensiert. Reformoptionen für eine effektivere Begrenzung der Defizite Was bedeuten die empirischen Ergebnisse für die Identifikation möglicher Reformoptio-nen? Um diese Frage systematisch zu beantworten, wird in dieser Studie zwischen struktu-rell erzwungener und wiederwahlorientierter Verschuldung differenziert. Im Folgenden werden die empirisch erhobenen Kausalfaktoren diesen Kategorien zugeordnet, um geeig-nete Reformoptionen benennen zu können: Eine strukturell erzwungene Verschuldung wird durch die Beseitigung der Verschuldungsursachen bekämpft, eine wiederwahlorientierte Verschuldung hingegen kann eingedämmt werden, indem man den Zugriff der Regierung auf die Kreditaufnahme beschränkt.

Auf den ersten Blick scheint eine strukturell erzwungene Verschuldung von den Zins-ausgaben auszugehen, da die Landesregierungen keinen Entscheidungsspielraum bezüglich dieser Ausgaben haben. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass die Zinsen die Folgen einer Verschuldung in der Vergangenheit sind, die ihrerseits strukturell erzwungen oder wieder-wahlorientiert sein kann. Unabhängig von der Frage nach den Ursachen in der Vergangen-heit, die nur schwierig zu beantworten ist, könnten die Haushalte hochverschuldeter Länder erheblich entlastet werden, wenn der Bund oder die bundesstaatliche Gemeinschaft die Zinsen ganz oder in Teilen übernehmen würde. Mit der Übernahme des Schuldendienstes wären jedoch extrem problematische Anreize verbunden, wie das Beispiel der Sanierungs-zuweisungen an Bremen und das Saarland zeigt: In dem Ausmaß, in dem ein Land die Konsequenzen der Verschuldung in der Vergangenheit nicht selbst tragen muss, bestehen 183 Mit den Ausgaben für öffentliche Leistungen sind die Primärausgaben gemeint, also Gesamtausgaben abzüg-lich der Ausgaben für Zinsen.

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166 8. Fazit

Anreize sich auch in Gegenwart und Zukunft zu verschulden. Die bundesstaatliche Haftung für die Zinslasten kann daher nicht als sinnvolle Maßnahme zur Reduzierung der Defizite angesehen werden. Die strukturell bedingten Mehrausgaben der Stadtstaaten für Soziales und Innere Sicherheit werden wie bereits erwähnt durch die Einwohnerwertung im Länder-finanzausgleich kompensiert. Somit ist nicht von einer strukturell erzwungenen Verschul-dung der Stadtstaaten auszugehen.

Die Wirkung des Wirtschaftswachstums und der Arbeitslosenquote auf die Defizite beinhaltet zwei strukturelle Belastungskomponenten: Zum einen die Belastungen durch bundesgesetzlich vorgegebene Sozialleistungen der Länder und ihrer Kommunen, die in wirtschaftsschwachen Ländern verstärkt anfallen (vor allem Sozialhilfe, Wohngeld sowie seit der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die Kosten der Unterkunft und Heizung). Hier bietet es sich an, die wirtschaftsschwachen Bundesländer zu entlasten und dem Bund die ausschließliche Verantwortung für die Finanzierung dieser Leistungen zu-zuweisen. Die zweite strukturelle Belastungskomponente besteht in den Einnahmenverlus-ten aufgrund der Bevölkerungsabwanderung in wirtschaftsstärkere Bundesländer. Die Wanderungsverluste betreffen vor allem die ostdeutschen Länder. Sie sind Teil der ökono-mischen Anpassungsprobleme in den ostdeutschen Ländern, deren fiskalische Folgen durch die umfangreichen Transfers kompensiert werden. Angesichts der hohen Transfereinnah-men der ostdeutschen Länder kann nicht argumentiert werden, dass von den Kosten der Einwohnerverluste ein strukturell erzwungenes Defizit ausgeht.

Es gibt allerdings noch einen dritten Weg, auf dem ökonomische Strukturprobleme der Länder haushaltswirksam werden können, durch Ausgaben für die Bekämpfung der Ar-beitslosigkeit und zur Ankurbelung des Wirtschaftswachstums. Diese Ausgaben sind nicht strukturell erzwungen, sondern werden von den Regierungen getätigt, um ihre Wiederwahl-aussichten nicht zu gefährden, da die Arbeitslosigkeit von den Wählern als wichtiges Prob-lem wahrgenommen wird.

Die hohe Erklärungskraft der synchronen Machtverteilung und der Transferabhängig-keit liefert eindeutige Indizien für das Vorliegen einer wiederwahlorientierten Verschul-dung, welche eine effektivere Beschränkung der Kreditaufnahme erforderlich macht. Um Anhaltspunkte für die Gestaltung dieser Regeln zu gewinnen, wurden zunächst die beste-henden quantitativen Beschränkungen der Kreditaufnahme in den Landesverfassungen und in den europäischen Haushaltsregeln analysiert. Dabei galt es zu untersuchen, warum diese Beschränkungen die übermäßige Verschuldung einiger Länder nicht verhindern konnten.

Die Befunde zu den europäischen Regeln und den Landesverfassungen lassen in vier Punkten zusammenfassen: (1) Die quantitativen Beschränkungen erfordern eine Selbstbin-dung der Regierungsakteure mit jedem Haushaltsgesetz, die deren Interessen widerspricht. Daher bestehen für die Akteure massive Anreize, sich den Regeln zu entziehen. (2) Auf-grund der Komplexität der Haushalte und der zum Teil nicht sehr präzisen Regeln konnten die Regierungen die Beschränkungen immer wieder umgehen, indem sie sich durch Haus-haltstricks Zugang zu zusätzlichen Krediten verschafften, obwohl das ausgewiesene Defizit innerhalb der zulässigen Grenzen verblieb. (3) Selbst bei einem offenen Bruch der Regeln, wenn also das ausgewiesene Defizit oberhalb der zulässigen Grenze liegt, besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass Sanktionen getroffen werden. (4) Zudem sind die Regeln so ausgestaltet, dass selbst eine jährliche Neuverschuldung der Bundesländer, die innerhalb des Limits bleibt, zu einem problematischen Schuldenstand führen kann.

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8. Fazit 167

Aus diesem Befund wurde die Konsequenz gezogen, dass für eine effektivere Begren-zung der Haushaltsdefizite prozedurale Beschränkungen der Kreditaufnahme notwendig sind. Diese prozeduralen Beschränkungen sollten so ausgestaltet sein, dass sie Akteure mobilisieren, welche die Haushaltspolitik der Regierungen überwachen und gegebenenfalls sanktionieren. In der Studie werden zwei prozedurale Beschränkungen diskutiert, Finanzre-ferenden, in denen die Bürger die Kreditfinanzierung genehmigen müssen, und eine bun-desstaatliche Insolvenzordnung. Finanzreferenden setzen Anreize und Gelegenheitsstruktu-ren für die Bürger, sich über Ausmaß und Folgekosten der Verschuldung zu informieren. Auf Basis dieser zusätzlichen Informationen wird von einer Ablehnung der Kreditfinanzie-rung ausgegangen. In der rein repräsentativen Demokratie ist die Kreditfinanzierung hinge-gen der Aufmerksamkeit der Bürger aufgrund systematischer Informationsdefizite weitge-hend entzogen. Deshalb haben die Folgekosten der Verschuldung für die Wahlentscheidung der Bürger keine oder nur eine sehr untergeordnete Bedeutung.

Eine bundesstaatliche Insolvenzordnung sieht im Falle der Überschuldung eines Bun-deslandes vor, dass über einen begrenzten Zeitraum hinweg Ausgaben gekürzt, Steuern erhöht und Vermögen veräußert werden soll, um einen Teil der Schulden zu tilgen. Die übrigen Schulden werden dem Land erlassen. Aus zwei Gründen würde eine derartige In-solvenzordnung die Defizite begrenzen: (1) Die Kreditgeber müssten befürchten, dass die Kredite eines Landes nicht bedient werden. Vor allem bereits hoch verschuldete Länder müssten infolgedessen deutlich höhere Zinsen zahlen, um Kredite zu erhalten. Im Extrem-fall könnte den Ländern ein Kredit vollständig verweigert werden. Um weiterhin Zugang zu Krediten zu günstigen Konditionen zu haben, müssten die Regierungen daher die Defizite begrenzen. Zudem hätten die Kreditgeber ein starkes Interesse daran, die Transparenz der Haushalte zu überwachen und Haushaltstricks durch das Vorenthalten von Krediten zu bestrafen, da diese Tricks ihre Risikoeinschätzung erschweren. (2) Aufgrund der Leis-tungskürzungen und Steuererhöhungen während eines laufenden Insolvenzverfahrens erhal-ten die Bürger massive Anreize Defizite abzulehnen, und das heißt in der Funktionslogik einer repräsentativen Demokratie, Regierungen abzuwählen, die in starkem Ausmaß Kredi-te aufgenommen haben. Aufgrund des drohenden Machtverlustes erhalten die Regierungen wiederum auch auf diesem Wege Anreize, die Kreditfinanzierung zu begrenzen.

Sowohl Finanzreferenden als auch eine bundesstaatliche Insolvenzordnung sind effek-tive Beschränkungen der Kreditaufnahme. Es ist jedoch davon auszugehen, dass derartig weitreichende institutionelle Reformen nur dann getroffen werden, wenn die Folgen der Verschuldung verstärkt auf der politischen Agenda stehen. Das dürfte erst dann der Fall sein, wenn die Verschuldung noch weiter ansteigt und daher die Folgen des Schulden-diensts noch stärker zu spüren sind. Unter Umständen kann eine solche Situation durch die Folgen der internationalen Finanzkrise erreicht werden.

Keine effektive Begrenzung der Verschuldung ist hingegen von der jüngst beschlosse-nen Schuldenbremse zu erwarten. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Studie ist eine Regel geplant, die den Ländern ab 2020 die Aufnahme von neuen Schulden verbietet, wo-bei allerdings Ausnahmen bei Naturkatastrophen und schweren Konjunkturkrisen möglich bleiben sollen.184 Die Schuldenbremse erfordert wie die bestehenden Haushaltsregeln eine Selbstbindung der Regierenden, die deren Interessen widerspricht, ohne dass externe Ak-teure mobilisiert werden, die das Verhalten der Regierenden überwachen und gegebenen-falls sanktionieren. Auch die Schuldenbremse kann durch vielfältige Haushaltstricks ver- 184 Vgl. http://www.tagesschau.de/inland/foederalismusreform100.html, Zugriff am 6.3.2009.

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168 8. Fazit

deckt umgangen werden. Sollten die Tricks nicht ausreichen, kann sie offen gebrochen werden, als Einfallstor bietet sich der vage formulierte Ausnahmetatbestand einer schweren Konjunkturkrise an, der eine Kreditaufnahme legitimieren kann. Das Ausnutzen dieses Schlupfloches fällt umso leichter, da hierfür allein die Regierungsmehrheit in den Länder-parlamenten benötigt wird. Die Schuldenbremse wird daher die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschen.

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Page 183: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 183

10 Anhang Tabelle A-3-1: Bundesgesetzlich veranlasste Sozialausgaben und Defizite pro

Einwohner im Jahr 2003 in Euro Land Sozialhilfe Wohngeld Sozialausgaben

(aggregiert) Defizit Anteil

in %

Baden-Württemberg 75,75 19,05 94,80 250,26 37,9

Bayern 65,42 17,04 82,46 310,87 26,5

Berlin 296,05 65,64 361,69 1301,36 27,8

Brandenburg 81,92 34,45 116,37 485,05 24,0

Bremen 334,98 75,47 410,45 1937,09 21,2

Hamburg 240,79 64,97 305,76 1063,44 28,8

Hessen 146,82 33,69 180,51 451,47 40,0

Mecklenburg-Vorpommern 110,46 46,08 156,54 602,77 26,0

Niedersachsen 129,18 38,07 167,25 537,22 31,1

Nordrhein-Westfalen 139,04 39,19 178,23 535,51 33,3

Rheinland-Pfalz 80,61 24,15 104,76 474,75 22,1

Saarland 145,85 34,53 180,38 813,18 22,2

Sachsen 82,6 40,47 123,07 143,02 86,1

Sachsen-Anhalt 104,11 38,51 142,62 496,63 28,7

Schleswig-Holstein 159,36 44,48 203,84 496,63 41,0

Thüringen 66,30 30,22 96,52 508,64 19,0

Quelle: Eigene Berechnung auf Basis von Daten aus Renzsch (2005) sowie Daten des Statistischen Bundesamtes.

Page 184: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

184 10. Anhang

Tabelle A-5-1: Determinanten der Primärsaldi 1995-1997 (bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- N=16 ohne Ausreißer korrelation

B (SE) beta

sig out B (SE) beta

sig N

Präferenzen Synchrone Machtverteilung

-576,51 (179,61)

-,65

*** BE -444,53 (118,09)

-,72

*** 15 -,61**

Ideologische Orientie-rung

43,68 51,52

,22

BE 26,04 (36,56)

,19

15 ,17

Restriktionen Transfersaldo1

-,25 (,08) -,65

***

BE HH SL

-,25 (,03)-,94

*** 13 -,53**

Arbeitslosenquote -51,32

(16,34) -,64

*** BE -42,88 (9,36)

-,79

*** 15 -,57**

Wirtschaftswachstum1

4,21 (55,82)

,02

BE HB HH

-124,85 (20,45)

-,88

*** 13 ,69***

Stadtstaaten-Dummy -497,67

(141,72) -,68

*** - -497,67 (141,72)

-,68

*** 16 -,89***

situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1 268,96

(149,80) ,43

*

BE HB HH SN

381,60 (33,45)

,96

*** 12 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind).

Page 185: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 185

Tabelle A-5-2: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1995-1997 IO TR AB WW ST OW

SM -,12 ,56** ,53** ,09 ,42 -,29

IO 1 -,13 ,04 -,16 -,08 ,16

TR 1 ,87*** ,35 ,24 -,65***

AB 1 ,52** ,15 -,84***

WW 1 -,47* -,81***

ST 1 ,22

OW 1 SM Synchrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosen-quote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. Pearson’s r (N=16). *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Dunkle Grautöne r > ,70; Hellere Grautöne r > 0,50.

Page 186: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

186 10. Anhang

Tabelle A-5-3: Determinanten der Primärdefizite 1995-1997 (trivariate Regressionen) (1) (2) (3) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 461,04 (245,72)

* 336,08 (309,69)

277,93 (249,68)

Synchrone Machtverteilung

-576,51 (179,61)

-,65

*** -560,92 (184,50)

-,63

*** -371,14 (201,93)

-,42

*

Ideologische Orientierung

28,26 (41,19)

,14

Transfersaldo -,16 (,09) -,41

*

R2 ,42 ,44 ,54

Ausreißer1 BE BE BE, HH

(4) (5) (6) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 637,76 (244,48)

** 437,44 (261,41)

-282,53 (215,17)

Synchrone Machtverteilung

-382,53 (194,43)

-,43

* -582,65 (186,13)

-,66

*** -391,13 (164,76)

-,44

**

Arbeitslosenquote -33,11 (17,53)

-,41

*

Wirtschaftswachstum 16,38 (43,92)

,08

Stadtstaaten-Dummy -362,88 (135,33)

-,50

**

R2 ,55 ,43 ,63

Ausreißer1 BE, HH BE, HH BE 1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen. Ausreißer sind als Fälle definiert, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoef-fizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Modelle, in den die Korrelation zwischen den unabhängigen Variablen größer als r > 0,5 ist, wurden grau unterlegt.

Page 187: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 187

Tabelle A-5-4: Determinanten der Primärsaldi 1998-2000 (bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- (N=16) ohne Ausreißer korrelation Variablen B

(SE) beta

sig out B (SE) beta

sig N

Präferenzen

Synchrone Machtverteilung

-740,13 (151,64)

-,79

*** - -740,13 (151,64)

-,79

*** 16 -,78***

Ideologische Orientierung1

-1,36 (42,45)

-,01

HB BE

-11,95 (21,28)

-,16

14 -,01

Restriktionen

Transfersaldo

-,23 (,05) -,78

*** - -,23 (,05)-,78

*** 16 -,89***

Arbeitslosenquote1 -29,09 (12,07)

-,54

**

HB BE

-19,41 (5,04)

-,74

*** 14 -,76***

Wirtschaftswachstum

113,18 (63,72)

,43

* HB 101,21 (43,86)

,54

** 15 ,39

Stadtstaaten-Dummy -430,89 (123,44)

-,68

*** HH -648,58 (102,27)

-,87

*** 15 -,76***

situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1 108,00 (141,40)

,20

HB BE

183,51 (52,29)

,71

*** 14 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: *** p < 0,01; ** p < 0,05; p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind).

Page 188: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

188 10. Anhang

Tabelle A-5-5: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 1998-2000 IO TR AB WW ST OW

SM ,33 ,58** ,55** -,49* ,58** -,28

IO 1 -,05 ,19 -,43* ,11 ,03

TR 1 ,85*** -,42 ,22 -,67***

AB 1 -,61** ,14 -,87***

WW 1 -,43* ,34

ST 1 ,22

OW 1

SM Synchrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosen-quote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. Pearson’s r (N=16). *** p < 0,01; ** p < 0,05; p < 0,10. Dunkle Grautöne r > ,70; Hellere Grautöne r > 0,50. Tabelle A-5-6: Determinanten der Primärdefizite 1998-2000 (trivariate Regressionen)

(1) (2) (3) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 888,32 (201,26)

*** 852,86 (188,24)

*** 633,31 (180,06)

***

Synchrone Machtverteilung

-740,13 (151,64)

-,79

*** -828,57 (149,50)

-,89

*** -476,43 (148,03)

-,51

***

Ideologische Orientierung 45,43 (25,46)

,29

*

Transfersaldo -,14 (,05) -,48

***

R2 ,63 ,70 ,78

Ausreißer1 - - -

Page 189: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 189

Tabelle A-5-6: Fortsetzung (4) (5) (6) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 897,23 (204,84)

*** 831,96 (304,32)

** 692,62 (216,65)

***

Synchrone Machtverteilung

-663,66 (184,84)

-,71

*** -717,50 (180,48)

-,77

*** -559,35 (173,38)

-,60

***

Arbeitslosenquote -7,97 (10,65)

-,15

Wirtschaftswachstum 12,98 (51,08)

,05

Stadtstaaten-Dummy -210,26 (117,43)

-,33

*

R2 ,64 ,63 ,70

Ausreißer1 - - HH 1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen. Ausreißer sind als Fälle definiert, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoef-fizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Modelle, in den die Korrelation zwischen den unabhängigen Variablen größer als r > 0,5 ist, wurden grau unterlegt.

Page 190: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

190 10. Anhang

Tabelle A-5-7: Determinanten der Primärdefizite 2001-2003 (bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- N=16 ohne Ausreißer korrelation

B (SE) beta

sig out B (SE) beta

sig N

Präferenzen Synchrone Machtverteilung1

-550,42 (182,78)

-,63

***

HB BE SN SL

-93,05 (50,66)

-,50

* 12 -,66***

Ideologische Orientierung1

-44,68 (43,22)

-,27

HB BE SN

7,33 (10,56)

,20

13 -,27

Restriktionen Transfersaldo1

-,14 (,08)-,40

HB BE SN

-,03 (,02)-,34

13 -,88***

Arbeitslosenquote1 -9,91

(14,14)-,18

HB BE SN

-3,34 (3,32)

-,29

13 -,80***

Wirtschaftswachstum1

109,60 (88,67)

,31

HB BE

75,72 (31,85)

,57

** 14 ,28

Stadtstaaten-Dummy1 -552,62

(121,44)-,77

***

HH SN

-786,15 (58,14)

-,97

*** 14 -,76***

situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1 -110,00

(160,79)-,18

HB BESN

23,36 (38,23)

,18

13 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind).

Page 191: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 191

Tabelle A-5-8: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 2001-2003 IO TR AB WW ST OW

SM ,26 ,32 ,38 -,28 ,80*** -,10

IO 1 ,15 ,22 -,65*** ,09 ,02

TR 1 ,91*** ,10 ,17 -,78***

AB 1 ,03 ,11 -,90***

WW 1 -,22 -,26

ST 1 ,22

OW 1 SM Synchrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosen-quote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. Pearson’s r (N=16). *** p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Dunkle Grautöne r > ,70; Hellere Grautöne r > 0,50.

Tabelle A-5-9: Determinanten der Primärdefizite 2001-2003 (trivariate Regressionen)

(1) (2) (3) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 404,96

(245,80) 421,79

(254,92) 369,35

(248,31)

Synchrone Machtverteilung

-550,42 (182,78)

-,63

*** -525,14 (194,60)

-,60

** -488,21 (192,99)

-,56

**

Ideologische Orientierung -18,55

(37,19) -,11

Transfersaldo -,08

(,07) -,22

R2 ,39 ,40 ,44 Ausreißer1 HB, BE, SN, SL HB, BE, SN HB, BE, SN

Page 192: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

192 10. Anhang

Tabelle A-5-9: Fortsetzung (4) (5) B

(SE) beta

sig B (SE) beta

sig

Konstante 388,16

(262,33) 341,47

(267,21)

Synchrone Machtverteilung

-570,66 (204,28)

-,65

** -513,55 (193,97)

-,58

**

Arbeitslosenquote 3,29

(12,52) ,06

Wirtschafts- wachstum

52,85 (77,20)

,15

R2 ,40 ,41 Ausreißer1 HB, BE HB, BE

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen. Ausreißer sind als Fälle definiert, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoef-fizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Anmerkung: Da der Stadtstaaten-Dummy mit der gewichteten Anzahl der Regierungsparteien mit r = 0,80*** (N=16) korreliert, wurde auf die Integration beider Variablen in ein Regressionsmodell ver-zichtet.

Page 193: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 193

Tabelle A-5-10: Determinanten der Primärdefizite 2004-2006 (bivariate Regressionen und Partialkorrelationen)

Regression Partial- N=16 Ohne Ausreißer korrelation

B (SE) beta

sig out B (SE) beta

sig N

Präferenzen Synchrone Machtverteilung1

-250,35 (223,97)

-,29

HB SL

-50,08 (119,34)

-,12

14 -,49*

Ideologische Orientierung1

-19,34 (44,90)

-,11

HB SL

-18,02 (20,68)

-,24

14 -,25

Restriktionen Transfersaldo1

,02 (,08) (,09)

HB SL

,04 (,03),33

14 -,73***

Arbeitslosenquote1 5,24

(12,95) ,11

HB SL

6,54 (5,75)

,31

14 -,59**

Wirtschaftswachstum1

57,64 (100,13)

,15

HB SL

80,36 (51,65)

,41

14 ,37

Stadtstaaten-Dummy1 -291,99

(141,36) -,48

*

HB SL

-59,15 (85,81)

-,19

14 -,44*

situationsspezifischer Faktor

Ost-West-Dummy1 -232,63

(123,24) -,45

*

HB SL

-122,27 (54,95)

-,54

** 14 -

1 sukzessiver Ausschluss von Ausreißern, immer wenn ein Ausreißer ausgeschlossen wurde, wird ein weiterer identifiziert und wiederum ausgeschlossen; B unstandardisierter Regressionskoeffizient; (SE) Standardfehler; beta standardisierter Regressionskoeffizient (OLS-Schätzung); sig Signifikanz: ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10; out Ausreißer (Fälle, bei denen die standardisierten Residuen mehr als zwei Standardabweichungen vom Mittelwert entfernt sind).

Page 194: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

194 10. Anhang

Tabelle A-5-11: Interkorrelation der unabhängigen Variablen 2004-2006 IO TR AB WW ST OW

SM ,72*** ,53** ,60** -74*** ,30 -,30

IO 1 ,45* ,47* -,69*** ,23 -,23

TR 1 ,94*** -,53** ,06 -,88***

AB 1 -,67*** ,19 -,85***

WW 1 -,45* -,36

ST 1 ,22

OW 1

SM Synchrone Machtverteilung; IO Ideologische Orientierung; TR Transfersaldo; AB Arbeitslosen-quote; WW Wirtschaftswachstum; ST Stadtstaaten-Dummy; OW Ost-West-Dummy. Pearson’s r (N=16). ***p < 0,01; ** p < 0,05; * p < 0,10. Dunkle Grautöne r > ,70; Hellere Grautöne r > 0,50.

Tabelle A-6-1: Quantative Beschränkungen der Kreditaufnahme in den

Landesverfassungen Baden-Württemberg: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“ (Art. 84, Satz 2 und 3). (1953; 1971) Bayern: „Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf beschafft werden“ (Art. 82, Satz 1) (1946; unverändert) Berlin: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“ (Art. 87(2), Satz 2 und 3.) (1995; unverändert) Brandenburg „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts im Sinne von Artikel 101 Absatz 1. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“ (Art 103, (2), Satz 2 und 3; (3)) „Das Land hat bei seiner Haushaltswirtschaft im Rahmen der Erfordernisse des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gegenwärtiger und künftiger Generationen Rechnung zu tragen.“ (Art 101(1)) (1992, unverändert)

Page 195: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 195

Bremen „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.“ (Art.131a, Satz 2). (1947; 1998) Hamburg „Nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Regel nur für Ausgaben zu werbenden Zwe-cken dürfen Geldmittel im Wege des Kredits beschafft werden; hierzu bedarf es eines Be-schlusses der Bürgerschaft.“ (Art. 72 (1)) (1952; unverändert) Hessen „Im Wege des Kredits dürfen Geldmittel nur bei außerordentlichem Bedarf und in der Re-gel nur für Ausgaben zu werbenden Zwecken beschafft werden.“ (Art. 141(1)) (1946; unverändert) Mecklenburg-Vorpommern „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Aus-gaben für eigenfinanzierte Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer ernsthaften und nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleich-gewichts oder zur Überwindung einer schwerwiegenden Störung oder unmittelbaren Bedro-hung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes. Die erhöhte Kreditauf-nahme muß nach Umfang und Verwendung bestimmt und geeignet sein, derartige Störungen oder unmittelbare Bedrohungen abzuwehren. Das Nähere regelt das Gesetz.“ (Artikel 65(2)) (1993; unverändert) Niedersachsen „Kredite dürfen die für eigenfinanzierte Investitionen, Investitionsfördermaßnahmen und zur Umschuldung veranschlagten Ausgaben nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zu-lässig zur Abwehr einer nachhaltigen Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zur Abwehr einer akuten Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen.“ (Art.71(2),(3)) (1993; unverändert) Nordrhein-Westfalen „Die Einnahmen aus Krediten dürfen entsprechend den Erfordernissen des gesamtwirt-schaftlichen Gleichgewichts in der Regel nur bis zur Höhe der Summe der im Haushalts-plan veranschlagten Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden; das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“ (Art.83, Satz 2) (1950; 1971) Rheinland-Pfalz „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Das Nähere wird durch Gesetz geregelt.“ (Art. 117, Satz 2 und 3) (1947, 1971)

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196 10. Anhang

Saarland „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushalt veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten. Eine Ausnahme ist nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder bei Vorliegen eines außerordentli-chen Bedarfs.“ (Art. 108(2)) (1947; 1979) Sachsen „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes. Das Nähere bestimmt ein Ge-setz.“ (Art. 95, Satz 2 und 3) (1992; unverändert) Sachsen-Anhalt „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan für Investitionen veranschlagten Ausgaben, zu denen auch die Aufwendungen für den Schutz und für die Wiederherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen gehören, nicht überschreiten. Aus-nahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichge-wichts. Die erhöhte Kreditaufnahme muß nach Umfang und Verwendung bestimmt und geeignet sein, die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts abzuwenden.“ (Art. 99(2),(3)) (1992; unverändert) Schleswig-Holstein „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zur Überwindung einer schwerwiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Landes. Das Nähere regelt ein Gesetz.“ (Art. 53, Satz 2 und 3) (1990; unverändert) Thüringen Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Aus-gaben für Investitionen nicht überschreiten. Ausnahmen sind nur zulässig zur Überwindung einer schwerwiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung des Frei-staats unter Berücksichtigung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sowie zur Ab-wehr einer Störung dieses Gleichgewichts. Das Nähere regelt das Gesetz. (Art. 98(2), Satz 2 und 3). (1993; unverändert) Anmerkungen: Die erste Zahl in der Klammer gibt das Jahr an, aus dem die Verfassung stammt, die zweite Zahl, in dem die Kreditbegrenzungsregel geändert wurde.

Page 197: Die finanzpolitische Handlungsfähigkeit der Bundesländer: Determinanten, institutionelle Defizite und Reformoptionen

10. Anhang 197

Tabelle A-6-2: Schuldenstandsquoten der EU-Mitgliedsstaaten im Jahr 2005 Innerhalb der Eurozone Außerhalb der Eurozone

Luxemburg 6,0 Estland 4,5

Irland 27,4 Lettland 12,1

Finnland 41,3 Litauen 18,7

Spanien 43,1 Slowenien 28,0

Niederlande 52,7 Tschechien 30,4

Österreich 63,4 Slowakei 34,5

Portugal 64,0 Dänemark 35,9

Frankreich 66,6 Polen 42,0

Deutschland 67,9 Großbritannien 42,4

Belgien 93,2 Schweden 50,4

Italien 106,6 Ungarn 57,7

Griechenland 107,5 Zypern 69,2

Eurozone Durch- 70,8 Malta 74,2 Schnitt (N=12) EU-Durchschnitt 63,2 (N=25)

Tabelle A-7-1: Rating-Skalen von Fitch, Moody’s und Standard&Poor’s (Investment

Grade Ratings) Stufe Fitch Moody’s Standard&Poor’s

10 AAA Aaa AAA

9 AA+ Aa1 AA+

8 AA Aa2 AA

7 AA- Aa3 AA-

6 A+ A1 A+

5 A A2 A

4 A- A3 A-

3 BBB+ Baa1 BBB+

2 BBB Baa2 BBB

1 BBB- Baa3 BBB- Quelle: Stadler 2007: 34.


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