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Nr. 2 | 34. Jahrgang 2004 | Biol. Unserer Zeit | 67

| E D I TO R I A L

Das Jahr 2004 scheint eine Wende im deutschen Bildungs-

system einzuleiten. Politiker nehmen wieder, ohne von

der Öffentlichkeit und den Medien abgestraft zu werden, das

Wort „Elite“ in den Mund. In Deutschland hat man sich an die

Sprunghaftigkeit der Politik in Bezug auf Kindergärten, Schu-

len und Hochschulen gewöhnt. Besonders die Schulen treffen

die ständigen Richtungswechsel zwischen Kuschelschule und

Zentralabitur hart. Wer aber Eliten an Hochschulen will, muss

bereits im Kindergarten die Leistungsbereitschaft fördern und

sie in der Schule kontinuierlich weiterentwickeln.

Die Universitäten sollen unter anderem das wirtschaftliche

und technische Führungspersonal ausbilden, soziale Un-

terschiede der Elternhäuser ausglei-

chen und durch patentierbare Erfin-

dungen zur deutschen Spitzenstellung

im internationalen Wettbewerb beitra-

gen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben

fehlt es vielen Forschungseinrichtun-

gen jedoch an Re-Investitionsmitteln,

viele in den 1970er Jahren errichtete

Zementkästen sind marode und die

Betriebsstrukturen stammen oft aus

dem 18. Jahrhundert. Aber trotz des Verdachts auf einen poli-

tischen Schnellschuss: Die öffentliche Diskussion um Eliten an

Universitäten tut den gebeutelten Bildungsinstituten gut. Leis-

tung wird wieder gelobt und Faulheit darf geahndet werden.

Als Modell für künftige deutsche Eliteuniversitäten dienen

die acht amerikanischen so genannten Ivy-League-Uni-

versitäten wie Harvard, Yale, das MIT oder Stanford. Als Privat-

universitäten finanzieren sie sich aus Stiftungsvermögen, Stu-

diengebühren, Lizenzeinnahmen und Forschungsaufträgen. Sie

können sich Studenten und Professoren unter den klügsten

Köpfen weltweit aussuchen. Nicht der Geldbeutel der Eltern

entscheidet über Aufnahme, sondern Intelligenz, Fleiß, Dis-

ziplin und soziales Engagement des Bewerbers. Wer diese

Kriterien erfüllt, aber armer Leute Kind ist, erhält ein Stipen-

dium und braucht keine Studiengebühren zu bezahlen. Die

Abgänger sind stolz auf ihre Alma Mater und unterstützen

diese deshalb später mit Geld und Rat.

In Deutschland findet man keine in allen Disziplinen exzel-

lenten Universitäten. Aber es gibt an fast jeder Hochschule

international renommierte Gruppen, wie man anhand von Pu-

blikationen, Vortragseinladungen und Wissenschaftspreisen do-

kumentieren kann. Oft ist auch nicht die Leistung an sich zu

bemängeln, sondern deren Dokumentation nach außen mit

Blick auf Fachleute und Laien. So ist es das bessere Konzept,

Eliteuniversitäten: ein Paradigmenwechsel

Hans-Günter Gassen istProfessor am Institutfür Biochemie der Technischen UniversitätDarmstadt und Kurator von Biologie in unserer Zeit

vorhandene Spitzenforschung zu verbreitern, als per „Order

Mufti“ Eliteuniversitäten zu definieren.

Die Kernfrage von Seiten der Forschungseinrichtungen ist:

Wer kommt und wer geht? Hier ist der deutsche Saldo

negativ, wir verlieren hervorragende Köpfe in die USA und nur

wenige kommen oder kehren zurück. Jede Elitediskussion muss

deshalb die Frage beantworten, wie man aus aller Welt führen-

de Wissenschaftler an deutsche Universitäten holt. Zwei Grund-

voraussetzungen dazu sind: Englisch als Umgangssprache an

Universitäten und gute Lebensbedingungen für ausländische

Wissenschaftler, wie beispielsweise internationale Schulen für

deren Kinder.

Nur nach mehr öffentlichen Mit-

teln zu schreien, ist schlicht

dumm. Vorerst gilt es zu entrümpeln.

In den laufenden Etats können circa

30 Prozent eingespart werden, falls die

Universitäten von sachfremden Aufga-

ben entlastet werden. Auch die tradi-

tionellen Berufungsverfahren, die sich

zwischen zwei und vier Jahre lang hin-

ziehen können, sind ein Hemmnis für den Wettbewerb. Die Ent-

scheidung, wer und unter welchen Konditionen als Spitzen-

forscher oder exzellenter akademischer Lehrer eingestellt wird,

sollte nicht paritätisch besetzten Gremien oder der Kultus-

bürokratie überlassen bleiben, sondern ist Aufgabe des Präsi-

diums.

Deutschland verfügt über ein abgestuftes Bildungssystem,

in dem jeder junge Mensch nach Begabung und Fleiß

seinen Platz finden kann. Aber Universitäten sind Schulen für

die Besten in Bezug auf Intelligenz und Leistungsbereitschaft.

Studieren zu dürfen, ist ein Recht und eine Verpflichtung zu-

gleich. Die Universitäten brauchen nicht mehr Kontrolle durch

den Staat, sondern mehr Unterstützung durch den Bürger in

Form von Anerkennung und Stiftungen. Eliten an Universitäten

sind unverzichtbar, denn „ohne“ haben wir im internationalen

Wettbewerb langfristig keine Chance. Eliten entstehen jedoch

nicht per Anordnung, sondern wachsen durch langfristige, ge-

duldige und zähe Arbeit auf das Ziel hin.

Ihr

HANS-GÜNTER GASSEN

„DIE UNIVERSITÄTEN BRAUCHEN

NICHT MEHR KONTROLLE

DURCH DEN STA AT, SONDERN

MEHR UNTERSTÜTZUNG DURCH

DEN BÜRGER.“

067_editorial 18.03.2004 9:27 Uhr Seite 67

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