freie Medienforscherin, Referentin und Autorin
Schwerpunkte: Onlinekommunikation und mediale
Teilhabe; digitaler Wandel; Ethik im Netz, Big Data- und
Algorithmen-Ethik
MA-Arbeit „Ethik der Internetforschung“ (qualitative
Interviewstudie, Universität Erfurt, 2011)
empirische (Sozial-)Forschung ist
kommunikationsgebunden, d. h. Forschungsprozesse sind
immer auch Kommunikationsprozesse und stellen
kommunikative Beziehungen her (z. B. zwischen
Forscher*innen und Beforschten)
verschiedene (Erkenntnis-)Interessen und
Rollen(asymmetrien), wechselseitige Erwartungen und
normative Ansprüche (z. B. forschungsethische Prinzipien)
Kommunikatives Handeln –
Gegenstand und Grundlage von
Sozialforschung
Unterdrückung kommunikativer Prozesse (nicht-
reaktive Verfahren) bzw. Problematisierung der
Interaktion („reaktive“ Verfahren)
bewusste Forcierung, Interaktion als Zugang zu
sozialer Wirklichkeit von „innen“ heraus; z. B.
teilnehmende Methoden, ethnografische Ansätze,
Kommunikative oder Partizipative Sozialforschung
Kommunikatives Handeln –
Gegenstand und Grundlage von
Sozialforschung
Feine Unterschiede: Interviewformen
u.a. hinsichtlich Fokus, Offenheit, Grad der Standardisierung, Rolle des Interviewenden
kommunikativer Prozess: dialogisch orientiert; stellt
wechselseitige, auf Vertrauen beruhende Beziehung
zwischen Forscher*in und Teilnehmer*in her
(Interesse/Aufmerksamkeit, Raum und Zeit geben)
Herausforderung: technisch-methodisch, Reflexion
kommunikativer Settings und Strategien
(Kommunikationsstil, Transparenz, Authentizität, ...),
Berücksichtigung ethischer Standards und Prinzipien
Interviewen als …
„Der unerfahrene und von sozialen Ängsten befallene
Interviewer (...) hat kein Gespür für die ‚schwangere
Pause‘. Statt selbst auch mal eine Minute zu
schweigen oder die ursprüngliche Frage
abzuwandeln, bombardiert er den Informanten mit
weiteren Fragen. Dadurch wird der Befragte nur noch
wortkarger und verzichtet auch auf Kommentare, die
ihm vielleicht schon auf der Zunge lagen.“
MERTON & KENDALL [1979: 204]
Ethnographisches Interview
besondere Nähe zu Forschungsteilnehmer*innen
(Zugang zur Lebenswelt, Interaktion, Datenqualität)
Spezifische Rolle der/des Forschenden (Beobachtung,
Teilhabe)
besondere Anforderungen in methodischer wie
forschungsethischer Hinsicht (Offenlegung,
Rollenkonflikte, Dokumentation, Anonymisierung)
Ethik als
Prozess, in dessen Verlauf das
richtige Handeln anhand
allgemeiner Kriterien begründet
werden soll.
https://www.theguardian.com/science/head-quarters/2014/jul/01/facebook-cornell-study-emotional-contagion-ethics-breach
„Bausteine“ von Forschungsethik
“Ethics are guidelines and principles that help us to
uphold our values – to decide which goals of research
are most important and to reconcile values and goals
that are in conflict. Ethical guides are not simply
prohibitions; they also support our positive
responsibilities.”DIENER/CRANDALL [1978: 3]
siehe z. B. DIENER/CRANDALL [1978], STROHM KITCHENER/KITCHENER [2009], FENNER [2010]
Ethische Entscheidungsfindung
(geteilte) Wertbasis
(interne/externe)Verantwortung
„Auch der weniger spektakuläre Forschungsalltag verlangt uns
ethische Entscheidungen ab: (…) Als Sozialwissenschaftler sind wir
Teil der Gesellschaft, deren Werte auch unsere sind. Wir
interagieren in unseren empirischen Untersuchungen mit
Nichtwissenschaftlern und müssen die Rechte und Interessen der
Untersuchten ernst nehmen. Außerdem müssen sowohl unsere
unmittelbare Kooperation mit Fachkollegen als auch unsere
Interaktion mit der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft den
ethischen Grundsätzen der Gesellschaft folgen.“
GLÄSER/LAUDEL [2006: 46f.]
Forschungsethische Richtlinien
Grundsätze „guten“ wissenschaftlichen Arbeitens (DFG)
gegenüber Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen, scientific
community (intern) sowie Teilnehmer*innen, Gesellschaft,
ggf. Auftraggebern (extern)
Erfüllung wissenschaftlicher Qualitätskriterien (z.B.
Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der methodischen
Umsetzung), Anwendung bestmöglicher Standards, v.a. im
Umgang mit Untersuchungsteilnehmern
Abgrenzung von forschungsfremden Tätigkeiten (Auftrags-
/Marktforschung)
Standards im Umgang mit
Forschungsteilnehmer*innen
Freiwilligkeit der Teilnahme und Prinzip der informierten
Einwilligung („informed consent“)
Nicht-Schädigung (Vermeidung möglicher Risiken) und
Schutz (Zusicherung von Anonymität und Wahrung der
Privatsphäre) der Teilnehmer*innen
Rechtlicher Kontext: Persönlichkeitsrechte (Dritter),
Datenschutz (auch Verwahrung/Sicherung), Recht auf
Informationelle Selbstbestimmung, Betreiberrechte (z. B.
AGBs)
»Ethische Reflexionen sollten nicht nachträglich stattfinden und sich nur auf die technologische Anwendung beschränken, sondern die Forschungsprozesse von Beginn an begleiten.«
FENNER [2010: 196]
http://ct.fra.bz/ol/fz/sw/i54/5/10/3/frabz-ONE-DOES-NOT-SIMPLY-START-THE-PROJECT-WITHOUT-CONSIDERING-ETHICS-9e0b60.jpg
Ethische Fragen im Forschungsprozess
Rekrutierung Datenerhebung Auswertung Publikation
Zugang zu Räumen
Zugang zu Personen
Sichtbarkeitsstrategien
Anonymität vs. Autorschaft
Anonymisierungsstrategien
Handlungen vs. Artefakte
Freiwilligkeit / informed consent
Datenschutz / -verwahrung
Nicht-Schädigung
Transparenz | Offenlegung | Reziprozität
Werturteile & Biases
„Wann im Forschungsprozess – und von wem –
ist eine Einwilligung notwendig?“
Erkenntnisinteresse (Handlungsakte vs. Artefakte)
Zugänglichkeit und/oder Sensibilität von Daten
bzw. Informationen
Erwartungen der Nutzer*innen im Kontext des
Handelns (z. B. Grad der Öffentlichkeit/Privatheit
ihres Handelns)
Visuelle Heuristiken als Entscheidungshilfe und Orientierung; in: MCKEE/PORTER [2009: 132/136]
Informierte Einwilligung
Art der Interaktion / Daten
Anspruch: Nicht-Schädigung und Schutz der
Privatsphäre (in allen Publikationen, z. B. auch Vorträgen)
kein Rückschluss auf einzelne Personen, insb. bei
sensiblen Informationen
Probleme u. a. potenzielle De-Anonymisierbarkeit,
Durchsuchbarkeit/Verknüpfung von Informationen
Lösungsansätze: „Data Fabrication“ [MARKHAM 2012],
visuelle Paraphrasen, Wortwolken etc.
Welcher Grad an Anonymisierung der Daten ist
(bei der Veröffentlichung) notwendig?
Fallweises Abwägen …
Analysegegenstand: Text(e), aggregierte
Information(sstücke), Personen, …
Nutzungserwartungen in einer Online-Umgebung
Sensibilität gesammelter Informationen
Eigenschaften, wie Alter, Zugehörigkeit (geographisch-
kulturell-politisch) und/oder technische Expertise der
Teilnehmenden
Form der Sammlung und Weiterverbreitung von Daten
Nutzung von Realnamen, echten Nutzer*innen-/Avatar-
Namen, z. B. im Kontext von Zitaten, Screenshots usw.
Erscheinungsort und Zugänglichkeit von Daten und
Forschungsmaterial
in Anlehnung an MCKEE/PORTER [2009: 7f.]
Guidelines / Richtlinien
Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis (DFG 2013), Ethik-Kodizes
einzelner Fachgemeinschaften (s. HEISE/SCHMIDT 2014)
Marktforschung: Qualitätskriterien des ADM Arbeitskreises dt. Markt- und
Sozialforschungsinstitute e. V. (adm-ev.de), ESOMAR (esomar.org)
Online-Forschung: Association of Internet Researchers (aoir.org), NESH
„Ethical Guidelines for Internet Research” (etikkom.no), Standesregeln der
Dt. Gesellschaft für Online-Forschung (dgof.de)
Literatur
HOPF (2009): „Forschungsethik und qualitative Forschung“
AYAß/BERGMANN (2011): „Qualitative Methoden der Medienforschung“
MCKEE/PORTER (2009): „The Ethics of Internet Research“
HEISE/SCHMIDT (2014): „Ethik der Online-Forschung“
Orientierungspunkte
ADM ARBEITSKREIS DEUTSCHER MARKT- UND SOZIALFORSCHUNGSINSTITUTE E.V. (2011). Positionspapier des ADM zu Kriterien zur Bewertung von Methoden der Markt- und Sozialforschung. http://www.adm-ev.de/fileadmin/user_upload/PDFS/Positionspapier-ADM_Feb-2011.pdf (11. April 2016).
AYAß, R., & J. BERGMANN (Hrsg.) (2011). Qualitative Methoden der Medienforschung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Online verfügbar: http://www.verlag-gespraechsforschung.de/2011/pdf/medienforschung.pdf (10. April 2016).
DEUTSCHE FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT (2013). Vorschläge zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. 2., ergänzte Aufl. Weinheim: Wiley-VCH. http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/reden_stellungnahmen/download/empfehlung_wiss_praxis_1310.pdf (11. April 2016).
DIENER, E., & R. CRANDALL (1978). Ethics in Social and Behavioral Research. Chicago/London: University of Chicago Press.
DÖRING, N. (1999). Sozialpsychologie des Internet: die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. Göttingen u.a.: Hogrefe.
DZEYK, W. (2001). Ethische Dimensionen der Online-Forschung. Kölner Psychologische Studien 6 (1), S. 1-30. Online verfügbar: http://kups.ub.uni-koeln.de/2424/1/ethdimon.pdf (11. April 2016).
EYNON, R., SCHROEDER, R., & J. FRY (2009). New Techniques in Online Research. Challenges for Research Ethics. 21st Century Society 4 (2), S. 187-199.
FENNER, D. (2010). Einführung in die Angewandte Ethik. Tübingen: Francke.
FRAAS, C., MEIER, S., & C. PENTZOLD (2012). Online-Kommunikation. Grundlagen, Praxisfelder und Methoden. Wien: Oldenbourg Verlag.
GLÄSER, J., & G. LAUDEL (2006). Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 2., durchgesehene Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
HAMILTON, R. J., & B. J. BOWERS (2006). Internet Recruitment and E-Mail Interviews in Qualitative Studies. Qualitative Health Research 16 (6), S. 821-835.
HEISE, N. (2013). ‘Doing it for real’. Authentizität als kommunikationsethische Voraussetzung onlinebasierter Forschung. In M. Emmer, A. Filipovic, J.-H. Schmidt & I. Stapf (Hrsg.), Authentizität in der computervermittelten Kommunikation (S. 88-109). Weinheim: Juventa.
HEISE, N., & J.-H. SCHMIDT (2014). Ethik der Onlineforschung. In M. Welker, M. Taddicken, J.-H. Schmidt & N. Jackob (Hrsg.), Handbuch Online-Forschung (S. 519-539). Köln: Herbert von Halem Verlag.
HOPF, C. (2003). Qualitative Interviews - ein Überblick. In U. Flick, E. von Kardoff & I. Steinke (Hrsg.) Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch (S. 349-359). Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.
HOPF, C. (2009). Forschungsethik und qualitative Forschung. In U. Flick, E. von Kardoff & I. Steinke (Hrsg.), Qualitative Sozialforschung. Ein Handbuch (S. 589–599). 7. Aufl. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.
MERTON, R. K., & P. L. KENDALL (1979). Das fokussierte Interview. In: Hopf/Weingarten (Hrsg.) Qualitative Sozialforschung. Stuttgart (Klett); S. 171-204.
MARKHAM, A. (2012). Fabrication as ethical practice: Qualitative inquiry in ambiguous internet contexts. Information, Communication & Society 15 (3), S. 334-353.
MCKEE, H., & J. PORTER (2009). The Ethics of Internet Research. A Rhetorical, Case-Based Process. New York u.a.: Peter Lang.
MARKHAM, A., & E. BUCHANAN (2012). Ethical Decision-Making and Internet Research: Recommendations from the AoIR Ethics Working Committee (version 2.0). http://aoir.org/reports/ethics2.pdf (11. April 2016).
SCHMIDT, J.-H. (2011). Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Folgen des Web 2.0. 2., überarb. Aufl. Konstanz: UVK Verlag.
STROHM KITCHENER, K., & R. F. KITCHENER (2009). Social Research Ethics. Historical and Philosophical Issues. In D. M. Mertens & P. E. Ginsberg (Hrsg.), The handbook of social research ethics (S. 5-22). Thousand Oaks: SAGE Publications.
WOLFF, O. J. (2007). Kommunikationsethik des Internets: eine anthropologisch-theologische Grundlegung. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
ZIEGAUS, S. (2009). Die Abhängigkeit der Sozialwissenschaften von ihren Medien. Grundlagen einer kommunikativen Sozialforschung. Bielefeld: transcript.
Quellen