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Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik Heft 56 | April 2013 | www.perspektive21.de WO ES STINKT UND KRACHT Wo unser Wohlstand herkommt MAGAZIN 150 Jahre SPD Eine kleine Chronik Heinrich August Winkler Die Ehre der deutschen Republik Norbert Frei Die „Volksgemeinschaft“ als Terror und Traum DAS STRASSENSCHILD Christian Neusser über Otto Wels Ehre, wem Ehre gebührt Ralf Holzschuher Zukunft gibt’s nicht von allein Ulrich Freese Zwei Seiten einer Medaille Ulrich Berger Die industrielle Produktion von morgen Philipp Fink Ungeliebt, begehrt und doch nicht verstanden Andrea Wicklein Wohlstand muss erwirtschaftet werden! SCHWERPUNKT

perspektive 21 - Heft 56

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WO ES STINKT UND KRACHT

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Page 1: perspektive 21 - Heft 56

Brandenburgische Hefte für Wissenschaft und Politik

Heft 56 | April 2013 | www.perspektive21.de

WO ESSTINKT UNDKRACHTWo unser Wohlstand herkommt

MAGAZIN

150 Jahre SPDEine kleine Chronik

Heinrich August WinklerDie Ehre der deutschen Republik

Norbert FreiDie „Volksgemein schaft“ als Terror und Traum

DAS STRASSENSCHILD

Christian Neusser über Otto WelsEhre, wem Ehre gebührt

Ralf HolzschuherZukunft gibt’s nicht von allein

Ulrich FreeseZwei Seiten einer Medaille

Ulrich BergerDie industrielle Produktion von morgen

Philipp FinkUngeliebt, begehrt und doch nicht verstanden

Andrea WickleinWohlstand muss erwirtschaftet werden!

SCHWERPUNKT

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| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989:

Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutsch-land jetzt?

224 Seiten,gebunden

Eine persönliche Bestandsaufnahme

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VORWORT

I ndustriepolitik? Ist das nicht ein Thema aus dem 19. und 20. Jahrhundert?Wenn viele Menschen diesen Begriff hören, denken sie an rauchende Schloteund erbarmungswürdige Arbeitsbedingungen, vielleicht noch an Umwelt zer -

stö rung und CO2-Austoß. Jedenfalls löst der Begriff Industriepolitik häufig – zuhäufig! – Assoziationen aus, die eher mit Vergangenheit denn mit Gegenwart undZukunft unseres Landes verbunden werden. Das ist ein großer, ja fast tragischerIrrtum: Die industrielle Produktion ist in Deutschland nach wie vor das Rückgratunseres materiellen Wohlstandes. Der Gewerkschafter Ulrich Freese weist in die-sem Heft zu Recht darauf hin, dass sich 60 Prozent aller Arbeitsplätze in Deutsch -land direkt oder indirekt dem produzierenden Gewerbe und industrienahen Dienst -leistern zuordnen. Welche Bedeutung Industriepolitik in Brandenburg hat, will ichan zwei Beispielen illustrieren: Die Städte Schwedt und Eisenhüttenstadt sind zuDDR-Zeiten als Industriestädte entstanden. Nur mit großen finanziellen Anstren -gungen ist es der Landesregierung gelungen, nach 1989 die industriellen KernePetrolchemie (Schwedt) und Stahlindustrie (Eisenhüttenstadt) zu erhalten. Wäredies nicht gelungen, gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass beideStädte einen dramatischen Verelendungsprozess durchlaufen hätten. Uns allenmuss bewusst sein, dass wir in Brandenburg, ja in ganz Deutschland auch in Zu -kunft industrielle Produktion brauchen, wenn wir unser jetziges Wohlstands niveauhalten wollen. Das hat Voraussetzungen: eine ausreichende Anzahl gut qualifizierterBeschäftigter, eine sichere und bezahlbare Energieversorgung und eine gute For -schungslandschaft gehören dazu. In unserem Schwerpunkt diskutieren wir, wiePolitik diese Voraussetzungen sichern helfen kann.

Dieses Heft hat im Magazinteil noch einen zweiten Schwerpunkt. In diesem Jahrfeiert die SPD am 23. Mai ihren 150.Geburtstag und es jährt sich zum 80. Mal derBeginn der Terrorherrschaft der Nazis. Beide Jahrestage sind uns Anlass genug, miteinigen Beiträgen daran zu erinnern.

Wie die SPD, so gehen auch wir mit der Zeit. Zwar ist die Perspektive 21 sicher lichnicht 150 Jahre alt. Aber nach neun Jahren fanden wir, dass es an der Zeit war, unserLayout ein wenig zu modernisieren. Funktional, konzentriert und frisch – so wollenwir unsere Zeitschrift sehen. Und wir hoffen, dass Sie das als Leserinnen und Lesergenauso empfinden.

Ich wünsche eine erhellende Lektüre!

Ihr Klaus Ness

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IMPRESSUM

4 April 2013 | Heft 56

Herausgeber– SPD-Landesverband Brandenburg– Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

Die perspektive 21 steht für dieGleichberechtigung von Frauen und Männern. Der besseren Lesbarkeit halber wurden an manchen Stellen im Text ausschließlich männliche oder weibliche Bezeichnungen verwendet. Diese Bezeichnungen stehen dann jeweils stellvertretend für beide Geschlechter.

RedaktionKlaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber,Tina Fischer, Klara Gey witz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel

AnschriftAlleestraße 914469 PotsdamTelefon +49 (0) 331 730 980 00Telefax +49 (0) 331 730 980 60

[email protected]

Internetwww.perspektive21.dewww.facebook.com/perspektive21

HerstellungGestaltungskonzept, Layout & Satz: statement Designstudio, Berlinwww.statementdesign.deDruck: LEWERENZ Medien+Druck GmbH, Coswig (Anhalt)

BezugBestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement direkt beim Herausgeber. Senden Sie uns eine E-Mail.

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INHALT

SCHWERPUNKTWO ES STINKT UND KRACHT | WO UNSER WOHLSTAND HERKOMMT

41 Zukunft gibt’s nicht von alleinWie die vierte industrielle Revolution in Brandenburg gelingen kannvon Ralf Holzschuher

49 Zwei Seiten einer MedailleEckpunkte einer nachhaltigen Energie- und Rohstoff politik für denIndustriestandort Deutschlandvon Ulrich Freese

55 Die industrielle Produktion von morgenWie eine Vision für die Haupt -stadtregion aussehen kannvon Ulrich Berger

65 Ungeliebt, begehrt und doch nicht verstandenDie deutsche Industrie ist entscheidend für Wachstum und Beschäftigungvon Philipp Fink

75 Wohlstand muss erwirtschaftet werden!Wie die kleinen und mittlerenUnternehmen weiter für wirt schaftlichen Aufschwung sorgen könnenvon Andrea Wicklein

MAGAZIN

7 150 Jahre SPDEine kleine Chronik, zusammengestelltvon Thomas Kralinski

19 Die Ehre der deutschen RepublikVor achtzig Jahren hielten allein die Sozial demokraten gegen HitlersErmächtigungsgesetz standvon Heinrich August Winkler

29 Die „Volksgemein schaft“ als Terror und TraumWoher die durchaus vorhandeneZustimmung zum Nazi-Regime kamvon Norbert Frei

DAS STRASSENSCHILD

37 Ehre, wem Ehre gebührtChristian Neusser überOtto Wels

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MAGAZIN

6 April 2013 | Heft 56

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150 Jahre SPDEine kleine Chronik, zusammengestellt von Thomas Kralinski

19. Jahrhundert +++ Die rasante Industriealisierung Deutschlands führt zu Woh nungsnot, Hunger, Krankheiten, Kinderarmut und Bildungsarmut und somitzum Aufkommen der „sozialen Frage“ – die sich zunehmend politisch artikuliert.

1863 +++ Die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) durch Ferdinand Lassalle in Leipzig ist die Geburtsstunde der Sozialdemokratie.Ein wichtiges Ziel waren freie und geheime Wahlen sowie Bildung für alle. Ein Jahr später hat der Verein bereits fast 5.000 Mitglieder.

1864 +++ Lassalle gründet mit Unterstützung u. a. von Friedrich Engels und KarlMarx die Zeitschrift „Der Sozial-Demokrat“, die zum offiziellen Organ des ADAV wird.

1866 +++ „Der Sozial-Demokrat“ veröffentlicht ein „Programm der sozialdemo -kratischen Partei Deutschlands“. Zentrale Ziele: ein geeintes Deutschland, freieWahlen und die Lösung der sozialen Frage.

1869 +++ August Bebel und Wilhelm Liebknecht gründen in Eisenach die Sozial -demo kratische Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP).

1875 +++ Der ADAV mit seinen 15.000 Mitgliedern und die SDAP (9.000 Mitglieder) vereinigen sich in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Diezentralen Ziele des „Gothaer Programms“ sind Bildung, gleiches Wahlrecht für alle,Presse- und Versammlungsfreiheit sowie Schutz der Arbeiter.

1876 +++ Die Sozialdemokraten gründen in Leipzig eine Parteizeitung: Der Vorwärts.

1877 +++ Erstmals hält August Bebel eine Rede über die „Stellung der Frau im heu-tigen Staat und im Sozialismus“. Er fordert die Frauen auf, sich an den nächstenReichs tagswahlen zu beteiligen.

MAGAZIN

7perspektive21

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1878 +++ Mit den Sozialistengesetzen wird die SAP verboten. Gleichzeitig ent -wickeln sich die Parteistrukturen in der Verbotszeit besonders intensiv, so in Bil -dungs-, Sport- und Naturvereinen. Auch die Zahl der Wähler steigt trotz Verbot.

1883 +++ Reichskanzler Bismarck versucht mit seiner Sozialgesetzgebung die sozi -ale Frage zu entschärfen. Er schafft die Krankenversicherung, später die Unfall- undRentenversicherung. Die Arbeiterbewegung wird dadurch jedoch nicht gebremst.

1890 +++ Die Sozialistengesetze werden aufgehoben, das Verbot der SAP beendet. Die Partei gibt sich auf einem Parteitag in Halle einen neuen Namen: SPD. +++Mit 19,8 Prozent wird die SPD bei den Reichstagswahlen die wählerstärkste Par tei.Paul Singer bildet mit August Bebel und Wilhelm Liebknecht in den Folge jahren das„Dreigestirn“ der SPD.

1891 +++ Die SPD verabschiedet in Erfurt ihr neues Grundsatzprogramm. Darinwird erstmals das Wahlrecht für Frauen und die Gleichstellung von Männern undFrauen gefordert.

1899 +++ Eduard Bernstein und Karl Kautsky beginnen einen Programmstreit über die Frage, ob die SPD ihre Ziele durch „Revolution“ oder „Reformen“ anstrebt.Dieser Theorie streit wird die SPD viele Jahre beschäftigen.

1900 +++ Unter Clara Zetkin und Ottilie Baader findet die erste Konferenz der sozialdemokratischen Frauen in Mainz statt.

1906 +++ Erstmals gibt es eine genaue Mitgliedszahl der SPD: 384.327. Der Partei -vor stand hat 16 Parteisekretäre angestellt. Der „Vorwärts“ hat 112.000 Abonnenten.+++ Im „Mannheimer Abkommen“ mit den Gewerkschaften entscheidet sich dieSPD gegen politische Massenstreiks, allein die Gewerkschaften sollen über Streiks entscheiden. +++ Die Parteischule der SPD wird gegründet. In ihr werden Sozial -demokraten ein halbes Jahr auf Kosten der Partei geschult und auf das Regierenvorbereitet.

1908 +++ In Preußen, Sachsen und anderen Teilen Deutschlands kommt es – wieauch in den Folgejahren – immer wieder zu von der SPD veranstalteten Massen de -mon s tra tionen gegen das geltende Wahlrecht.

MAGAZIN

8 April 2013 | Heft 56

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1911 +++ Zum ersten Mal wird der sozialdemokratische „Frauentag“ – damals nocham 19. März – durchgeführt. Sein Motto: Volles Bürgerrecht für die Frau. +++ Zumersten Mal gibt es eine sozialdemokratische Mehrheit in einem deutschen Landtag,dem von Schwarzburg-Rudolstadt. Die SPD bekommt neun von 17 Sitzen.

1912 +++ Bei den Wahlen wird die SPD erstmals stärkste Fraktion im Reichstag.Die SPD hat erstmals über eine Million Mitglieder.

1913 +++ Nach dem Tode August Bebels werden Friedrich Ebert und Hugo HaaseParteivorsitzende. +++ Die SPD hat 983.000 Mitglieder, darunter 141.000 Frauen.Es erscheinen 90 Partei zeitungen täglich, deren Gesamtauflage 1,5 Millionenbeträgt. Der „Vorwärts“ hat 157.000 Abonennten, „Der Wahre Jacob“ 371.000.

1914 +++ Die SPD-Reichstagsfraktion stimmt für die Kriegskredite für den erstenWeltkrieg und begründet dies mit der „Verteidigung des Landes“. Die innerpartei -liche Auseinandersetzung darüber führt letztlich zur Gründung der USPD 1917.

150 JAHRE SPD

9perspektive21

Wahlergebnisse der SPD in der Weimarer Republik und der Bundesrepublik Deutschland

in Prozent

1919 1920 1924I

1924II

1928 1930 1932I

1932II

1933

37,9

21,7 20,5

26,0

29,8

24,5

21,6 20,4

18,3

29,2

28,8

31,8

36,2

39,3

42,7

45,8

42,6 42,9

38,2 37,0

21,9

33,5

36,4

40,9 38,5

34,2

23,0

1949 1953 1957 1961 1965 1969 1972 1976 1980 1983 1987 1990(VK)

1990(BT)

1994 1998 2002 2005 2009

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1918 +++ Der erste Weltkrieg ist zu Ende, der Kaiser wird gestürzt. Der Sozialde mo -krat Philip Scheidemann ruft am 9. November die Republik aus. +++ Die (Mehr heits-)SPD bildet mit der USPD einen „Rat der Volksbeauftragten“ als Übergangsregierung.

1919 +++ Die SPD führt das Frauenwahlrecht und den 8-Stunden-Tag ein. +++Die SPD gewinnt die ersten Reichstagswahlen der Weimarer Republik. Mit FriedrichEbert wird ein Sozialdemokrat erster Präsident. Er stirbt 1925 im Amt. +++ In einerKoa lition aus SPD, Zentrum und Liberalen wird die neue Weimarer Reichs verfas -sung verabschiedet. +++ Otto Wels wird Vorsitzender der SPD und bleibt bis zumVerbot der SPD 1933 im Amt. +++ Mit Marie Juchacz redet zum ersten Mal eineFrau in einem deutschen Parlament. Im gleichen Jahr gründet sie die Arbeiter wohl -fahrt, der sie bis 1933 vorsitzt.

1920 +++ Die SPD stellt bis 1932 mit Otto Braun den Ministerpräsidenten in Preu -ßen, dem größten deutschen Teilstaat. Er entwickelt sich zum „Bollwerk der Demo -kra tie“ in der Weimarer Republik. +++ Der Kapp-Putsch gegen die Republik wirdvon SPD, USPD und Gewerkschaften niedergeschlagen. +++ Die SPD hat 1,2 Mil lio -nen Mit glie der, davon über 200.000 Frauen. Sie unterhält 91 Parteizeitungen mit zusammen über 1,2 Millionen Abonnenten.

1921 +++ Die SPD verabschiedet ihr viertes Grundsatzprogramm in Görlitz. Darin bekennt sie sich zur Republik und spricht erstmals auch gesellschaftliche Gruppenjenseits der Arbeiter an. Der 1. Mai und 9. November sollen Feiertage werden.

1922 +++ Die Jugendverbände von SPD und USPD vereinigen sich zur „Sozialis - tischen Arbeiterjugend – Die Falken“. +++ Der größte Teil der USPD kehrt zurSPD zurück.

1925 +++ Nach dem Tod Friedrich Eberts wird die Friedrich-Ebert-Stiftung gegrün-det. +++ Die SPD beschließt ihr neues Grundsatzprogramm in Heidelberg. Darinbekennt sie sich zu den „Vereinigten Staaten von Europa“.

1927 +++ Das erste Agrarprogramm der SPD wird veröffentlicht. Es beinhaltet u. a. eine Bodenreform, ein Kleingartengesetz, den Ausbau des ländlichen Volkschul we -sens und Bildung für Agrararbeiter sowie Unterstützung bei der Verbreitung vonmoderner Technik.

MAGAZIN

10 April 2013 | Heft 56

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1928 +++ Die SPD gewinnt die Reichstagswahlen und bildet eine breite Koalitions -re gie rung unter Reichskanzler Hermann Müller. Die Regierung scheitert 1930 an derBewältigung der Weltwirtschaftskrise.

1931 +++ Die „Eiserne Front“ aus SPD, Gewerkschaften, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und Arbeitersportverbänden wird gegründet – ihr Ziel ist die Abwehr der Fa schisten. Die SPD hat 1,0 Millionen Mitglieder. Die Gewerkschaften haben 4,1 Mil lio nen, davon sind 43 Prozent arbeitslos, 22 Prozent arbeiten kurz.

1932 +++ Um Hitler zu schlagen unterstützt die SPD Paul von Hindenburg bei seiner Wiederwahl zum Reichspräsidenten. +++ In Ländern, in denen die NSDAP die Mehrheit hat, werden sozialdemokratische Zei tungen, wie der Vorwärtsver boten. +++ Die preußische Regierung unter Otto Braun wird per Notverordnungabgesetzt („Preußenschlag“). Braun versucht dies – erfolglos – auf gerichtlichem

150 JAHRE SPD

11perspektive21

Die Vorsitzenden der Deutschen Sozialdemokratie

SPD1890-1911 Paul Singer1890-1892 Alwin Gerisch1892-1913 August Bebel1911-1916 Hugo Haase1913-1919 Friedrich Ebert 1917-1919 Philipp Scheidemann1919-1939 Otto Wels 1919-1928 Hermann Müller1922-1933 Arthur Crispien1931-1945 Hans Vogel 1945-1952 Kurt Schumacher1952-1963 Erich Ollenhauer1964-1987 Willy Brandt1987-1991 Hans-Jochen Vogel1991-1993 Björn Engholm 1993-1995 Rudolf Scharping1995-1999 Oskar Lafontaine1999-2004 Gerhard Schröder

2004-2005 Franz Müntefering2005-2006 Matthias Platzeck2006-2008 Kurt Beck 2008-2009 Franz Münteferingseit 2009 Sigmar Gabriel

SPD in der sowjetischen Besatzungszone 1945-1946 Otto Grotewohl

SDP/SPD in der DDR1989-90 Stephan Hilsberg1990 Ibrahim Böhme1990 Markus Meckel 1990 Wolfgang Thierse

Ehrenvorsitzender1987-1992 Willy Brandt

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Weg zu verhindern. Aus Furcht vor einem Bürgerkrieg verzichtet die SPD auf denAuf ruf zu einem Generalstreik.

1933 +++ Im Januar wird Hitler mit Unterstützung bürgerlicher Parteien Reichs -kanzler. +++ In der letzten freien Rede im Reichstag begründet SPD-Chef Otto Welsam 23. März die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes durch die SPD. Das Gesetzwird nur von den 94 SPD-Abgeordneten abgelehnt. 26 SPD-Abgeordnete sind zu die-sem Zeitpunkt bereits verhaftet oder auf der Flucht. +++ Im Juni wird die SPDdurch die Nazis verboten, worauf es zur Auflösung der Partei kommt. Im Juli wer-den sämtliche Parlamentsmandate im Reichstag, in den Ländern und Kommunenaufgehoben. Viele Sozialdemokraten werden in „Schutzhaft“ ge nom men oder inKonzen trationslager verschleppt. +++ Die Exilorganisation der SPD, die SOPADE,wird in Prag gegründet. Später verlagert sie ihren Sitz nach Paris und London.

1934 +++ Die Exil-SPD (SOPADE) ruft im „Prager Manifest“ zum Sturz Hitlers auf.

1944 +++ Einige Sozialdemokraten, wie Wilhelm Leuschner und Julius Leber, sind an den Vorbereitungen zum Putsch gegen Hitler am 20. Juli beteiligt und gehören dem Kreisauer Kreis an.

1945 +++ In Hannover erfolgt unter Kurt Schumacher die Wiedergründung der SPDfür die Westzonen. +++ In der Ostzone beginnt der Wiederaufbau der SPD mit dem„Zentralausschuss“ unter Otto Grotewohl.

1946 +++ In der amerikanischen Besatzungszone wird die Verschmelzung von SPDund KPD abgelehnt. +++ In der Sowjetischen Besatzungszone hat die SPD 600.000Mitglieder und wird zur Zwangs vereinigung mit der KPD zur SED gedrängt. In Ost-Berlin existiert die SPD noch bis 1961. +++ Nach den ersten Landtagswahlen beteiligtsich die SPD an allen neuen Landes re gie rungen. Ihre Regierungschefs werden zu prägenden Figuren des Wiederaufbaus: so zum Beispiel Ernst Reuter (Berlin), GeorgAugust Zinn (Hessen), Max Brauer (Hamburg), Wilhelm Kaisen (Bremen), WilhelmHoegner (Bayern). +++ Die SPD hat 630.000 Mitglieder in 7.500 Orts ver einen.

1949 +++ Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland entsteht unter großem Einfluss der SPD. +++ Bei den ersten Bundestagswahlen unterliegt die SPDder CDU nur knapp und geht daraufhin in die Opposition. +++ Der Parteivorstand

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12 April 2013 | Heft 56

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erlässt neue Richtlinien für die Arbeit der Jungsozialisten – ihre Altersgrenze wirdbei 30 Jahren festgelegt. +++ Die SPD lehnt die von Bundeskanzler Adenauer vor-geschlagene Wiederbewaffnung Deutschlands kategorisch ab.

1951 +++ Der SPD-Parteivorstand verlegt seinen Sitz von Hannover nach Bonn.

1952 +++ Nach dem Tod von Kurt Schumacher wird Erich Ollenhauer Vorsitzenderder SPD.

1953 +++ Nach der Niederlage bei der 2. Bundestagswahl beginnt mit CarloSchmids „Erklärung zur Lage der Sozialdemokratie“ eine Debatte um die Zukunftder SPD als Volkspartei, die über die Arbeiterschaft hinaus attraktiv werden undsich von einer Weltanschauungspartei wegbewegen will.

1956 +++ Die SPD widersetzt sich der Einführung der Wehrpflicht, da diese diedeutsche Spaltung vertiefe.

1957 +++ Die SPD unterstützt die Römischen Verträge zur Schaffung einer Euro - päischen Wirtschaftsgemeinschaft.

1959 +++ Die SPD verabschiedet das „Godesberger Programm“ und entwickelt sich damit zur Volkspartei. Sie akzeptiert die Westbindung und die soziale Markt wirt -schaft und wird so für breitere Wählerschichten wählbar.

1961 +++ „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“ – mit die-sem visionären Satz führt der SPD-Kanzlerkandidat Willy Brandt ein neues Themain die Bundespolitik ein: den Umweltschutz. +++ Nach dem Mauerbau schließt inOst-Berlin das letzte verbliebene Büro der SPD. +++ Die CDU verliert bei derBundes tagswahl zwar ihre absolute Mehrheit, der SPD gelingt jedoch trotz großerStim men gewinne auch beim vierten Anlauf der Machtwechsel nicht.

1962 +++ In Folge der Spiegel-Affäre kommt es erstmals zwischen CDU und SPD zuGesprächen über die Bildung einer Großen Koalition, die aber nicht zum Erfolg führen.

1963 +++ Egon Bahr hält seine „Tutzinger Rede“, in der er erstmals die Konturen einer neuen Ostpolitik nach dem Prinzip „Wandel durch Annäherung“ umreißt.

150 JAHRE SPD

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Dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Willy Brandt, gelingt der Abschluss eines ersten Passierscheinabkommens mit der DDR-Regierung. Damit sind erstmalsseit dem Mauerbau für West-Berliner Familienbesuche in Ost-Berlin möglich.

1964 +++ Nach dem Tod von Erich Ollenhauer wird Willy Brandt Partei vorsit zen -der, er trat bereits 1961 für die SPD als Kanzlerkandidat an.

1966 +++ Die SPD bildet mit der CDU eine Große Koalition unter BundeskanzlerKurt-Georg Kiesinger. Sie ist damit erstmals nach dem Krieg an einer Bundes re gie -rung beteiligt. Willy Brandt wird Außenminister und Vizekanzler. Der Gro ßen Koa -lition gelingt es, die erste Wirtschaftskrise der Bundesrepublik schnell zu lösen.

1969 +++ Mit Gustav Heinemann wird erstmals ein Sozialdemokrat Bundesprä - sident. Er bleibt bis 1974 im Amt. +++ Erstmals seit 1928 ist ein Sozialdemokratwieder deutscher Regierungschef: Willy Brandt wird Bundeskanzler einer sozial- liberalen Koalition, deren Motto „Mehr Demokratie wagen“ ist.

1970 +++ Der Bundestag beschließt, das Wahlalter von 21 auf 18 Jahre zu senken.+++ Der „Warschauer Vertrag“ wird unterzeichnet, er sieht die Oder-Neiße-Linie alsWestgrenze Polens vor. Vor dem Denkmal des Warschauer Ghettos kniet Bundes -kanzler Willy Brandt für eine Gedenkminute nieder.

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14 April 2013 | Heft 56

Staatsoberhäupter und Regierungschefs der SPD in Deutschland

1919-1925 Reichspräsident Friedrich Ebert 1969-1974 Bundespräsident Gustav Heinemann1999-2004 Bundespräsident Johannes Rau

1918-1919 Reichskanzler Friedrich Ebert 1919 Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann1919-1929 Reichskanzler Gustav Bauer 1920 und 1928-1930 Reichskanzler Hermann Müller1969-1974 Bundeskanzler Willy Brandt1974-1982 Bundeskanzler Helmut Schmidt1998-2005 Bundeskanzler Gerhard Schröder

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1971 +++ Willy Brandt wird mit dem Friedensnobelpreis für seine Ostpolitik ausge-zeichnet. Sie trägt maßgeblich zum Ende des Kalten Krieges bei.

1972 +++ Nach der Neuwahl des Bundestages ist die SPD erstmals stärkste Kraftund fährt mit knapp 46 Prozent den größten Wahlsieg ihrer Geschichte ein. Die neugebildete Koalition mit der FDP setzt ihr Reformprogramm im Bereich der Familien-,Bildungs- und Rechtspolitik fort. +++ Die Sozialdemokratin Annemarie Renger istdie erste Frau weltweit, die Präsidentin eines Parlaments wird.

1974 +++ Nach dem Rücktritt Willy Brandts wird Helmut Schmidt Bundeskanzler.Er setzt die gesellschaftliche Liberalisierung fort.

1976 +++ Die SPD hat erstmals nach dem Krieg über eine Million Mitglieder. Allein1976 wurden 68.000 neue Mitglieder aufgenommen, zwei Drittel von ihnen sind un-ter 35 Jahre alt.

1977 +++ In Deutschland finden erste Großkundgebungen gegen Kernkraftwerke,u. a. in Brokdorf und Grohnde, statt. +++ Die Attentate der RAF finden im „deut-schen Herbst“ ihren Höhepunkt. Bundes kanzler Helmut Schmidt legt Wert auf einerechtsstaatliche Bekämpfung der RAF.

1980 +++ Die SPD gewinnt zum vierten Mal in Folge die Bundestagswahl, HelmutSchmidt bleibt Bundeskanzler.

1982 +++ Helmut Schmidt wird nach dem Koalitionswechsel der FDP durch einMiss trauensvotum als Bundeskanzler gestürzt. Damit endet die 16-jährige Regie -rungs zeit der SPD.

1986 +++ Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl beschließt die SPD den Aus -stieg aus der Atomkraft.

1987 +++ Nach über 23 Jahren legt Willy Brandt den Parteivorsitz nieder. Er wirdEhrenvorsitzender der SPD. Hans-Jochen Vogel wird SPD-Vorsitzender.

1989 +++ 30 mutige Frauen und Männer gründen am 7. Oktober die Sozialdemo - kratische Partei in der DDR (SDP) in Schwante bei Berlin. Damit wird der Macht an -

150 JAHRE SPD

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spruch der SED offen in Frage gestellt. +++ Am 9. November fällt die Mauer. EinenTag später sagt Willy Brandt den berühmten Satz: „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.“ +++ In Berlin beschließt die (West-)SPD ihr neues Grundsatz -pro gramm. Mit ihm will sie ökologische Modernisierung mit wirtschaftlichemWachstum verbinden.

1990 +++ Auf einem Parteitag in Leipzig benennt sich die SDP in SPD um. +++Nach den ersten freien Volkskammerwahlen in der DDR tritt die SPD in die Regie -rung de Maiziere ein. +++ Am 27. September findet der Vereinigungsparteitag von(Ost-) und (West-)SPD statt. Die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen verliertdie SPD deutlich. +++ Bei den ersten Landtagswahlen in Ostdeutschland gewinntdie SPD nur in Brandenburg. Manfred Stolpe wird dort Ministerpräsident.

1991 +++ Nach dem Rücktritt von Hans-Jochen Vogel wird Björn Engholm neuerParteivorsitzender.

1993 +++ Zum ersten Mal findet ein Mitgliederentscheid über den neuen SPD-Vor sitzenden statt, den Rudolf Scharping gewinnt. +++ Mit der SozialdemokratinHeide Simonis wird in Schleswig-Holstein erstmals eine Frau Ministerpräsidentineines Bundeslandes.

1995 +++ Auf dem Mannheimer Parteitag wird Oskar Lafontaine in einer Kampf -abstimmung zum neuen SPD-Vorsitzenden gewählt.

1998 +++ Die SPD gewinnt die Bundestagswahl und stellt nach 16 Jahren mit GerhardSchröder wieder den Bundeskanzler in einer rot-grünen Koalition. Sie verfolgt eine Po -li tik der gesellschaftlichen Modernisierung und setzt den Atomausstieg durch.

1999 +++ Nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine wird Gerhard Schröder Partei -vor sitzender. +++ Die rot-grüne Bundesregierung entscheidet, dass erstmals nachdem Krieg die Bundeswehr an Kampfeinsätzen im Ausland – im Kosovo – beteiligtwird. +++ Mit Johannes Rau wird der zweite Sozialdemokrat Bundespräsident. Erist bis 2004 im Amt.

2003 +++ Nach seiner Wiederwahl stellt Gerhard Schröder die „Agenda 2010“ vor.Mit dem wirtschafts- und sozialpolitischen Reformprogramm wird die Basis für die

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16 April 2013 | Heft 56

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Halbierung der Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Erfolg in Deutschland gelegt.Im Streit um die „Agenda 2010“ verliert die SPD viele Mitglieder.

2004 +++ Gerhard Schröder gibt den Parteivorsitz an Franz Müntefering ab.Münte fering wird das Amt 2008 ein zweites Mal übernehmen.

2005 +++ Nach der Bundestagswahl tritt die SPD in eine Große Koalition unterAngela Merkel ein. Franz Müntefering wird Vizekanzler, Matthias Platzeck SPD-Vor sitzender. Die Große Koalition führt das Elterngeld ein, beschließt den Ausbauder Kleinkinderbetreuung und die Rente mit 67.

2006 +++ Nachdem Matthias Platzeck aus gesundheitlichen Gründen zurückge -treten ist, wird Kurt Beck neuer SPD-Vorsitzender.

2007 +++ In Hamburg beschließt die SPD ihr achtes Grundsatzprogramm, in dessen Kern das Prinzip des „vorsorgenden Sozialstaates“ steht.

2009 +++ Die SPD verliert die Bundestagswahl und geht nach elf Jahren wieder in die Opposition. Sigmar Gabriel wird neuer Parteivorsitzender.

2011 +++ Mit einer umfassenden Parteireform werden die Strukturen der SPD gestrafft und Beteiligungsrechte ausgebaut.

2013 +++ Mit der gewonnenen Niedersachsen-Wahl erobert die SPD erstmals seit1999 wieder die Mehrheit im Bundesrat. Sie stellt neun Ministerpräsidentinnen und -präsidenten.|

150 JAHRE SPD

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MAGAZIN

18 April 2013 | Heft 56

Page 19: perspektive 21 - Heft 56

Die Ehre der deutschen RepublikVor achtzig Jahren hielten allein die Sozial demokraten gegen Hitlers Ermächtigungsgesetzstand — Von Heinrich August Winkler

F reiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“: Kein Satz aus derRede, mit der Otto Wels am 23. März 1933 das Nein der Sozial demo kraten zudem sogenannten Ermächtigungsgesetz begründete, hat sich der Nachwelt

so eingeprägt wie dieser. Was Wels der deutschen Sozialdemo kratie zur Ehre an-rechnete, waren vor allem die Leistungen, die die SPD in der Weimarer Republik erbracht hatte. Der Parteivorsitzende nannte „unsere Leistungen für den Wieder -auf bau von Staat und Wirtschaft, für die Befreiung der besetzten Gebiete“; er ver-wies darauf, dass die Sozialdemokraten an einem Deutschland mitgewirkt hätten,„in dem nicht nur Fürsten und Baronen, sondern auch Männern aus der Arbeiter -klasse der Weg zur Führung des Staates offensteht“. Die Weimarer Verfassung sei keine sozialistische Verfassung, wohl aber eine Verfassung, die auf den Grund -sätzen des Rechtsstaates, der Gleichbe rech tigung und des sozialen Rechts beruhe –Grund sätzen, die einen unabdingbaren Teil des politischen Glaubensbekenntnissesder Sozialdemokraten ausmachten.

Demokratie braucht Arbeiterschaft und Bürgertum

Wels’ Rückblick auf die erste deutsche Republik war eine Antwort auf das Zerr bild,das Hitler von Weimar zeichnete. „Vierzehn Jahre Marxismus haben Deutsch landruiniert“ – so lautete die plakative Formel im Aufruf der Regierung Hitler an dasdeutsche Volk vom 1. Februar 1933. Natürlich war die Weimarer Republik nie einemarxistische gewesen, nicht einmal eine sozialdemokratische Republik. Aber ohnedie Sozialdemo kraten um Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann hätte es dieerste deutsche Demokratie nicht gegeben.

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An ihrem Anfang stand der Entschluss der SPD, die Zusammenarbeit mit denParteien der bürgerlichen Mitte fortzusetzen, zu der sich die Mehrheits sozial de -mokraten während des Ersten Weltkriegs durchgerungen hatten. Es bedurfte dazu der Abkehr von jenem entschiedenen Nein zu Koalitionen mit bürgerlichenPar teien, auf das sich die SPD und unter ihrer Führung die Parteien der ZweitenInternationale im Jahr 1900 festgelegt hatten. Die Unabhängigen Sozialdemo -kraten, die sich 1916/17 auf Grund ihrer Gegnerschaft zur Bewilligung von Kriegs -krediten von der Mutterpartei abgespalten hatten, beharrten hingegen auf derVorkriegsposition. Auf paradoxe Weise war die Spaltung der Sozialdemokraten also beides: eine Vorbelastung und eine Vorbedingung der ersten deutschen Demo -kratie. Eine Vorbelastung, weil Gegensätze innerhalb der Arbeiterbewegung ihrenGegnern höchst gelegen kamen, eine Vorbedingung, weil eine parlamentarischeDemokratie ohne die Zusammenarbeit der gemäßigten Kräfte in Arbeiterschaft und Bürgertum nicht möglich war.

Selbstmord aus Furcht vor dem Tod?

Nach dem Untergang Weimars hielten sich viele führende Sozialdemokraten wirk -liche oder vermeintliche Versäumnisse und Fehlentscheidungen der ersten Stundevor. Die SPD hätte in der revolutionären Übergangszeit zwischen der Ausrufungder Republik am 9. November 1918 und der Wahl der verfassunggebenden National -versammlung am 19. Januar 1919 weniger bewahren müssen und mehr verändernkönnen, und das vor allem im Hinblick auf die Unterordnung des Militärs unter diezivile Staatsgewalt und die Ablösung antirepublikanischer Beamter namentlich inOstelbien. An der Richtigkeit der Grundsatzentscheidung für die rasche Wahl einerKonstituante und für die Zusammenarbeit mit den Parteien der bürgerlichen Mitteaber gab es auch im Rückblick nichts zu deuteln. Ohne diese Selbstfestlegungen wäre nichts von dem zustande gekommen, was Otto Wels am 23. März 1933 zu denhistorischen Leistungen der Weimarer Republik rechnete.

Von den 14 Jahren der ersten deutschen Republik entfielen elf auf die Zeit derparlamentarischen Demokratie. Sie endete am 27. März 1930 mit der Auflösung derletzten parlamentarischen Mehrheitsregierung unter dem sozialdemokratischenReichskanzler Hermann Müller, eines Kabinetts der Großen Koalition, die von derSPD bis hin zur unternehmernahen Deutschen Volkspartei, der Partei des 1929 verstorbenen Gustav Stresemann, reichte. Die SPD hätte durch mehr Kompro miss -bereitschaft bei der Sanierung der Arbeitslosenversicherung das Scheitern der

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Regierung Müller verhindern können. Dass die Mehrheit der Reichstagsfraktionsich anders entschied, trug ihr heftigen Widerspruch seitens der unterlegenen Min derheit ein. Rudolf Hilferding, der zweimalige Reichsfinanzminister und theo-retische Kopf der Partei, kam damals schon zu dem Schluss, die Sozialdemokratenhätten gut daran getan, sich nochmals mit den bürgerlichen Parteien zu verstän -digen, statt „aus Furcht vor dem Tode Selbstmord zu verüben“.

Auf die parlamentarische Demokratie folgte die Zeit der Präsidialkabinette, desRegierens mit Notverordnungen des Reichspräsidenten nach Artikel 48 Absatz 2der Weimarer Verfassung. Nach dem Aufstieg der Nationalsozialisten zur zweit-stärksten Partei in der Reichstagswahl vom 14. September 1930 beschlossen dieSozial demokraten, das Minderheitskabinett des Reichskanzlers Heinrich Brüningaus der katholischen Zentrumspartei zu tolerieren. Dass sie diesen Kurs bis zurEntlassung Brünings Ende Mai 1932 durchhielten, gehört zu den damals und späterleidenschaftlich umstrittenen Entscheidungen der Weimarer SPD.

Für die unpopuläre Tolerierungspolitik gab es zunächst zwei Gründe: Die Sozial -demokraten wollten erstens eine weiter rechts stehende, von den Nationalso zia listenabhängige Reichsregierung verhindern. Zweitens ging es ihnen darum, in Preußen,dem größten deutschen Staat, an der Regierung zu bleiben. An der Spitze eines Kabi -netts der „Weimarer Koalition“ aus SPD, Zentrum und Deutscher Demo kra tischerPartei, die sich seit 1930 Deutsche Staatspartei nannte, stand dort der SozialdemokratOtto Braun. Hätte die SPD Brüning gestürzt, wäre Braun vom Zen trum zu Fall gebrachtworden. Mit der Regierungsmacht in Preußen hätten die Sozialdemokraten die Kon -trolle über die preußische Polizei verloren, das wichtigste staatliche Machtinstrumentim Kampf gegen Umsturzbestrebungen von rechts und links außen.

Mit dem Zentrum sollte Hitler verhindert werden

Zu diesen beiden Gründen der Tolerierungspolitik trat im Lauf der Zeit noch eindritter hinzu: Im Frühjahr 1932 sollte die Volkswahl des Reichspräsidenten stattfin-den. Je stärker die Nationalsozialisten wurden, desto mehr wuchs die Gefahr, dasssie den Mann an der Spitze des Reiches stellen, also ins Machtzentrum vorstoßenkönnten. Nur zusammen mit dem Zentrum und der übrigen bürgerlichen Mitte ließsich verhindern, dass Weimar auf diese Weise zugrunde ging.

Die Kommunisten bekannten sich zum revolutionären Bürgerkrieg und zurErrich tung von „Sowjetdeutschland“. Hätte die SPD auf eine linke Einheitsfront gesetzt, wäre dies das Ende jedweder Art von Machtbeteiligung gewesen. Die SPD

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hätte einen erheblichen Teil ihrer Wähler und Mitglieder verloren und noch mehrverschreckte bürgerliche Wähler in die Arme der Nationalsozialisten getrieben. DieVorstellung, man könne auf diese Weise die Demokratie retten, war angesichts desunüberbrückbaren Gegensatzes zwischen SPD und KPD reines Wunschdenken, janach Einschätzung der sozialdemokratischen Parteiführung um Otto Wels ein Aus -druck von politischem Abenteurertum.

Die „tragische Situation“ der SPD

Die Tolerierung der Regierung Brüning war eine Politik ohne verantwortbare Alter -native, aber auch nicht mehr als eine Politik des kleineren Übels. Ihre Kehrseitewar die Radikalisierung der Massen, die entweder den Kommunisten oder, in sehrviel größerer Zahl, den Nationalsozialisten zuströmten. Hitler zog einen zusätzli-chen Vorteil daraus, dass er seine Partei als Alternative sowohl zu der bolschewis -tischen als auch zu der reformistischen Spielart des „Marxismus“ und als einzigesystemverändernde Massenpartei rechts von den Kommunisten präsentierenkonnte. Er sprach einerseits das verbreitete Ressentiment gegenüber der Demo -kratie an, die aus der Sicht der Rechten mit dem Makel der Niederlage von 1918behaftet war und als Staatsform der Sieger des Westens, mithin als „undeutsch“,galt. Auf der anderen Seite appellierte er pseudodemokratisch an den seit Bis -marcks Zeiten verbrieften Teilhabeanspruch des Volkes in Gestalt des allgemeinengleichen Wahlrechts, das seit dem Übergang zum Präsidialsystem viel von seinerWirkung verloren hatte. Hitler wurde also nach 1930 zum Hauptnutznießer derungleichzeitigen Demokra tisierung Deutschlands: der frühen Einführung einesdemokratischen Reichstags-Wahlrechts und der späten Parlamentarisierung desRegierungssystems im Zeichen der Niederlage von 1918.

Das Dilemma der Sozialdemokratie hat Rudolf Hilferding im Juli-Heft 1931 der von ihm herausgegebenen theoretischen Zeitschrift Die Gesellschaft in einemdenkwürdigen Verdikt zusammengefasst. Er sprach von einer „tragischen Situa -tion“ seiner Partei. Begründet sei diese Tragik in dem Zusammentreffen der schwe-ren Wirtschaftskrise mit dem politischen Ausnahmezustand, den die Wahlen vom14. September 1930 geschaffen hätten. „Der Reichstag ist ein Parlament gegen denParlamentarismus, seine Existenz eine Gefahr für die Demokratie, für die Arbei -terschaft, für die Außenpolitik . . . Die Demokratie zu behaupten gegen eine Mehr -heit, die die Demokratie verwirft, und das mit den politischen Mitteln einer demo-kratischen Verfassung, die das Funktionieren des Parlamentarismus voraussetzt,

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das ist fast die Quadratur des Kreises, die da der Sozialdemokratie als Aufgabegestellt wird – eine wirklich noch nicht dagewesene Situation.“

Noch nicht dagewesen war auch die Zumutung, mit der die SPD im Frühjahr 1932 ihre Anhänger konfrontierte: die Parole „Schlagt Hitler! Darum wählt Hindenburg!“ So weit war es inzwischen mit Weimar gekommen. Der einzige Kandidat, der einenReichs präsidenten Hitler verhindern konnte, war der monarchistische Amts in ha -ber, der einstige kaiserliche Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. Hätte dieser nicht, gestützt auf die Sozialdemokraten, das katholische Zentrum und diebürger lichen Wähler von der Mitte bis zur gemäßigten Rechten, im zweiten Wahl -gang am 10. April 1932 über Hitler obsiegt, wäre das „Dritte Reich“ noch am glei-chen Abend angebrochen.

Zum Wendepunkt der deutschen Staatskrise wurde der 30. Mai 1932: der Tag, an dem Hindenburg den wichtigsten Betreiber seiner Wiederwahl, ReichskanzlerHeinrich Brüning, entließ, um zwei Tage später das „Kabinett der Barone“ unterdem ehemaligen rechten Flügelmann der preußischen Zentrumspartei Franz vonPapen zu berufen. Mit dem vom Reichspräsidenten, von der Reichswehrführungund dem ostelbischen Rittergutsbesitz betriebenen Rechtsruck endete die sozial -demokratische Tolerierungspolitik und mit ihr die erste, die gemäßigte Phase desPräsi dialregimes. Die Kennzeichen der nun beginnenden zweiten Phase waren der offen zur Schau getragene autoritäre Antiparlamentarismus und das Bemühenum ein Arrangement mit den Nationalsozialisten.

In Preußen wurde Otto Braun entmachtet

Zu den Forderungen Hitlers, die die neue Regierung sogleich erfüllte, gehörten die Aufhebung des im April verhängten Verbots von SA und SS und die Auflösungdes im September 1930 gewählten Reichstages. Der Neuwahltermin wurde aufden 31. Juli 1932 festgelegt. Elf Tage vor der Wahl, am 20. Juli 1932, ließ derReichspräsident auf dem Weg einer Reichsexekution nach Artikel 48 Absatz 1 derReichsverfassung die Weimarer Koalition in Preußen, das Kabinett Otto Braun,absetzen, das seit der Landtagswahl vom 24. April über keine parlamentarischeMehrheit mehr verfügte und nur noch geschäftsführend im Amt war. Nur dasReich sei noch in der Lage, die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Preußenwiederherzustellen: So lautete die offizielle Begründung des „Preußenschlags“.

Der Aufruf der Sozialdemokraten, den Gewaltakt des 20. Juli 1932 am 31. Juli mit einer Stimme für die SPD zu beantworten, fand nicht das erhoffte Echo. Bei der

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Reichstagswahl stiegen die Nationalsozialisten mit einem Stimmenanteil von 37,4 Pro zent zur stärksten Partei auf; die SPD kam auf 21,6, die KPD auf 14,3 Pro -zent. Das Ergebnis bedeutete eine Mehrheit gegen die Demokratie – eine negativeMehrheit aus Nationalsozialisten und Kommunisten, der man rechts auch noch die Stimmen der monarchistischen Deutschnationalen hinzurechnen musste. Voneiner Mehr heit im Reichstag aber waren die Rechtsparteien weit entfernt.

Die Wahlniederlage der NSDAP

Eine parlamentarische Krisenlösung wäre eine „braun-schwarze Koalition“ ge - wesen: ein auf die Einhaltung der Weimarer Verfassung festgelegtes Bündnis aus NSDAP, Zentrum und Bayerischer Volkspartei, wie die beiden katholischenParteien es anstrebten. Es scheiterte daran, dass Hitler auf der Bildung einesPräsidial ka binetts mit den Vollmachten des Artikels 48 bestand. Einen mit die-sen Befugnissen ausgestatteten Reichskanzler Hitler aber lehnte Hindenburg zudiesem Zeitpunkt noch kategorisch ab. Hingegen war er bereit, den Reichstagunter Berufung auf einen Verfassungs- oder Staatsnotstand abermals aufzulö sen,ohne gleichzeitig Neuwahlen innerhalb der verfassungsmäßigen Frist anzuord-nen. Da die Regierung von Papen vor diesem Schritt aus Furcht vor einem Bür -gerkrieg zurückschreckte, kam es am 6. November zur zweiten Reichs tags wahldes Jahres 1932.

Das Ergebnis dieser Wahl wirkte sensationell: Erstmals seit 1930 verloren dieNationalsozialisten an Stimmen. Gegenüber der Juli-Wahl büßte die NSDAP mehrals zwei Millionen Stimmen ein, während die Kommunisten fast 700.000 Stimmenhinzugewannen, was ihnen zur magischen Zahl von 100 Sitzen verhalf. Die SPD, so stellte Otto Wels vier Tage später im Parteiausschuss fest, habe im Verlauf desJahres 1932 fünf Schlachten mit dem Ruf „Schlagt Hitler!“ geschlagen, „und nachder fünften war er geschlagen“. Die andere Seite des Wahlergebnisses kommentier-te der Chemnitzer Bezirksvorsitzende Karl Böckel, ein Vertreter des linken Partei -flügels, in der gleichen Sitzung mit den Worten: „Wir sind im Endspurt mit denKommunisten. Wir brauchen nur noch ein Dutzend Mandate zu verlieren, dann sinddie Kommunisten stärker als wir.“ Die kommunistische Sicht brachte am 10. No vem -ber die Prawda zum Ausdruck. Das Zentralorgan der Kommunistischen Partei derSowjetunion sah Deutschland unterwegs „zum politischen Massenstreik und zumGeneralstreik unter der Führung der Kommunistischen Partei, zum Kampf um dieproletarische Diktatur“.

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24 April 2013 | Heft 56

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Mit ihrer Revolutionspropaganda schürten die Kommunisten die Angst vor demBürgerkrieg, und diese Angst wurde zu einer wichtigen Verbündeten Hitlers. Sietrug entscheidend dazu bei, dass die Niederlage der NSDAP vom 6. November 1932um ihren politischen Sinn gebracht wurde und Hitler die Chance erhielt, sich alsRetter vor der roten Revolution zu präsentieren. Im Januar 1933 gelang es Papen,der das Amt des Reichskanzlers inzwischen an den eher vorsichtig agierendenReichswehrminister General Kurt von Schleicher hatte abgeben müssen, den Reichs -präsidenten von seinem bisherigen klaren Nein zu einer Kanzlerschaft Hitlers abzu-bringen. Papen sprach nicht nur für sich, sondern auch für den rechten Flügel derrheinisch-westfälischen Schwerindustrie. Im gleichen Sinn versuchten Vertreter des hochverschuldeten ostelbischen Rittergutbesitzes und der Reichslandbund aufdas Staatsoberhaupt einzuwirken. Ein von einer konservativen Kabinettsmehrheit„eingerahmter“ Reichskanzler Hitler erschien dem Kreis um Hindenburg, der viel -zitierten „Kamarilla“, und schließlich dem Reichspräsidenten selbst als ungefähr-lichste, vielleicht sogar ideale Krisenlösung: Sie sollte den alten Eliten die Herr -schaft und zugleich, in Gestalt der Nationalsozialisten als Juniorpartner, die langeersehnte Massenbasis verschaffen.

Die Grundrechte wurden außer Kraft gesetzt

Einen Zwang, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen, gab es für Hindenburg nicht.Hindenburg hätte Reichskanzler von Schleicher auch nach dem zu erwartendenMisstrauensvotum einer negativen Reichstagsmehrheit geschäftsführend im Amtbelassen oder einen möglichst wenig polarisierenden, „unpolitischen“ Nachfolgerberufen können. Der mehrfach erwogene verfassungswidrige Aufschub einer Neu -wahl war keineswegs die einzige Alternative zur Ernennung Hitlers. Dieser warzwar immer noch der Führer der größten Partei, von einer parlamentarischenMehr heit nach den Wahlen vom 6. November aber weiter entfernt als nach derWahl vom 31. Juli 1932. Dass er trotzdem am 30. Januar 1933 von Hindenburg zumReichskanzler ernannt wurde, verdankte er jenem Teil der Machtelite, der seit lan-gem darauf aus war, mit der verhassten Republik von Weimar radikal zu brechen.

Als am 5. März 1933 ein neuer Reichstag gewählt wurde, war Deutschland schonkein Rechtsstaat mehr. Die Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat, am 28. Februar, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, erlassen, hatte die wichtigstenGrundrechte „bis auf weiteres“ außer Kraft gesetzt. Die Wahlen erbrachten eineklare Mehrheit, nämlich 51,9 Prozent, für die Regierung Hitler: 43,9 Prozent für die

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NSDAP, acht Prozent für ihren Koalitionspartner, die „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“. Eine Zweidrittelmehrheit für das von Hitler erstrebte Ermächtigungsgesetzaber war damit noch längst nicht erreicht. Um diese sicherzustellen, brach diesogenannte „Nationale Regierung“ die Verfassung: Sie behandelte die Mandate der Kommunisten als nicht existent, wodurch sich die „gesetzliche Mitgliederzahl“des Reichstags von 566 um 81 Mandate verminderte. Sodann änderte der Reichstagam 23. März seine Geschäftsordnung: Abgeordnete, die der Reichstagspräsident,der Nationalsozialist Hermann Göring, wegen unentschuldigten Fehlens von denSitzungen ausschließen konnte, galten dennoch als „anwesend“. Selbst wenn dieAbgeordneten der SPD geschlossen der Sitzung ferngeblieben wären, hätten sienach dieser verfassungswidrigen Manipulation die Verfassungsänderungen nichtverhindern können.

Das Nein erforderte großen Mut

Das Ermächtigungsgesetz gab der Reichsregierung pauschal das Recht, für dieDauer von vier Jahren Gesetze zu beschließen, die von der Reichsverfassung ab -wichen. Die einzigen „Schranken“ bestanden darin, dass die Gesetze die „Ein -richtung des Reichstags und des Reichsrats nicht als solche zum Gegenstandhaben“ und nicht die Rechte des Reichspräsidenten berühren durften. Reichstagund Reichsrat waren von der Gesetzgebung fortan ausgeschlossen. Das galt aus-drücklich auch für Verträge mit fremden Staaten.

Die Gründe, die das Zentrum veranlassten, dem Ermächtigungsgesetz zuzustim-men, sind ein Thema für sich: Die Abgeordneten der zweitgrößten demokratischenPartei setzten auf die kirchenpolitischen Zusicherungen, die Hitler dem Partei vor -sitzenden, dem Prälaten Kaas, mündlich gemacht hatte, auf deren schriftliche Be -stätigung das Zentrum aber am 23. März, dem Tag der Abstimmung, vergeblichwartete. Die zu Splittergruppen gewordenen liberalen Parteien gingen ebenso wiedie beiden katholischen Parteien, das Zentrum und die Bayerische Volkspartei, vonder Annahme aus, dass eine „legale“ Diktatur ein kleineres Übel sei als die illegaleDiktatur, die bei Ablehnung des Gesetzes drohte. Das Ja der bürgerlichen Parteienwar das Ergebnis von Täuschung, Selbsttäuschung und Erpressung.

Das Nein der SPD war von der Regierung einkalkuliert, erforderte aber ein hohesMaß an Mut. Vor der Kroll-Oper, dem provisorischen Tagungsort des Reichstags,mussten sich die Abgeordneten, die nicht zum Regierungslager gehörten, ihrenWeg durch grölende Massen von Parteigängern der Nationalsozialisten bahnen,

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26 April 2013 | Heft 56

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aus deren Reihen Rufe wie „Zentrumsschwein“ und „Marxistensau“ ertönten. ImInnern des Gebäudes wimmelte es von Angehörigen der SA und SS, die besondersdort an den Saalausgängen postiert waren, wo die Sozialdemokraten saßen. An derSitzung nahmen 93 von insgesamt 120 Abgeordneten der SPD teil. Als vierundneun-zigster kam vor der Abstimmung noch der kurz zuvor verhaftete, inzwischen aberwieder freigekommene Carl Severing, der langjährige preußische Innenminister,hinzu. Von den Abwesenden waren einige bereits inhaftiert, darunter der LübeckerAbgeordnete Julius Leber, der auf dem Weg in den Reichstag festgenommen wor-den war. Von den Politikern jüdischer Abstammung hatten sich einige, wie zumBeispiel Hilferding, im Einvernehmen mit der Fraktionsführung wegen Krankheitentschuldigt; andere waren bereits emigriert. Ein Abgeordneter, der ehemaligeReichsinnenminister Wilhelm Sollmann, war zwei Wochen zuvor von SA- und SS-Männern in seiner Kölner Wohnung überfallen und zusammengeschlagen wordenund lag seitdem im Krankenhaus. Otto Wels, der an Bluthochdruck litt, hatte siebenWochen zuvor gegen den Rat seiner Ärzte das Sanatorium verlassen.

Die Nationalsozialisten hätten die verfassungsändernde Mehrheit für das Er -mächtigungsgesetz auch ohne ihre verfassungswidrigen Maßnahmen vor der Ab -stimmung erreicht. Mit 444 Ja-Stimmen gegenüber 94 Nein-Stimmen nahm dasGesetz die entsprechende Hürde bequem. Die Macht hätte die NSDAP freilich auchdann nicht wieder aus der Hand gegeben, wenn das Ermächtigungsgesetz an derBarriere der verfassungsändernden Mehrheit gescheitert wäre. Die Verabschie dungdes Gesetzes erleichterte die Errichtung der Diktatur aber außerordentlich. DerSchein der Legalität förderte den Schein der Legitimität und sicherte dem Regimedie Loyalität der Mehrheit, darunter, was besonders wichtig war, der Beamten.

Weimar scheiterte an den bürgerlichen Parteien

Hitlers Legalitätstaktik – sein Versprechen vom September 1930, die Macht nur auf legalem Weg zu übernehmen – war eine wesentliche Vorbedingung der Macht -über tragung vom 30. Januar 1933, hatte an diesem Tag ihren Zweck jedoch nochnicht zur Gänze erfüllt. Sie bewährte sich ein weiteres Mal am 23. März 1933, als siezur faktischen Abschaffung der Weimarer Reichsverfassung herangezogen wurde.Hitler konnte fortan die Ausschaltung des Reichstags als Erfüllung eines Auftragserscheinen lassen, der ihm vom Reichstag selbst erteilt worden war.

Dem massiven Druck der Nationalsozialisten hielten allein die Sozialdemo kra -ten stand. Dass nicht ein einziger Abgeordneter aus den Reihen der katholischen

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und der liberalen Parteien mit ihnen gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte,machte nochmals deutlich, woran Weimar letztlich gescheitert war: Der Staats -gründungs partei von 1918 waren die bürgerlichen Partner abhanden gekommen.Was die Sozialdemokraten, auf sich allein gestellt, noch zu tun vermochten, tatensie. Durch ihr Nein zum Ermächtigungsgesetz retteten sie nicht nur ihre eigeneEhre, sondern auch die Ehre der ersten deutschen Republik. |

PROF. DR. HEINRICH AUGUST WINKLERist emeritierter Professor für Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin.

Dem Text liegt ein Vortrag zugrunde, der am 20. März 2013 vor der SPD-Bundestags fraktion gehalten wurde und am 23. März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist.

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28 April 2013 | Heft 56

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Die „Volksgemein schaft“als Terror und TraumWoher die durchaus vorhandene Zustimmung zum Nazi-Regime kam — Von Norbert Frei

An das Faktum, dass die Nationalsozialisten nicht aus eigener Kraft an dieMacht gelangten, wird in diesen Tagen vielfach erinnert. Und es ist ja rich tig:Es hätte vor 80 Jahren auch anders ausgehen können. Deshalb kann es auch

heute nicht verkehrt sein, sich vor Augen zu führen, wie viel damals von der Entschei -dung eines Einzelnen abhing – nämlich vom Reichspräsidenten und vielleicht nochvon einigen Wenigen, die auf ihn Einfluss hatten. Die Ernennung Hitlers war kein„Betriebs un fall“, wie nach 1945 oft entschuldigend gesagt worden ist, und dennochwar einiges an Zufall im Spiel. Das anzuerkennen scheint uns seit 1989/90 wiederleichter geworden zu sein: Seit wir in anderer Weise als zuvor offen sind für den Ge -dan ken, dass Menschen Geschichte machen, und dass diese nicht nur aus Strukturenerwächst. Hindenburgs Entscheidung vom 30. Januar 1933 war weder Zufall nochZwangs läufigkeit. Sie war bedacht und sie war gewollt, und sie hatte eine benenn-bare Lo gik auf ihrer Seite. In ihr kam eine Koalition von Kräften und Inte ressenzum Tra gen, die trotz mancher Unterschiede ein gemeinsames Ziel verband: dieÜber win dung der parlamentarischen Demokratie.

Hindenburgs Schwäche

Aber Hindenburgs Entschluss war auch ein Zeichen der Schwäche. Er offenbarteden dramatischen Verlust an politischer Integrationsfähigkeit – vor allem an par -tei poli ti scher Bindekraft –, der auf Seiten der Alten Rechten in den letzten Jahrender Weimarer Republik eingetreten war. Und zugleich bestätigte er die im Zeichender ökonomischen Krise so rasant gewachsene soziale Attraktivität der nationalso -zia lis tischen Bewegung. Dass Hitler in dem Moment Kanzler wurde, da es mit derNSDAP eigentlich abwärts und mit der Wirtschaft endlich wieder ein wenig auf-wärts ging, bleibt bittere Ironie.

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Doch wir wissen ja auch, wie rasch es dem neuen Regime gelang, die gegnerischenpolitischen Strukturen zu zerschlagen oder „gleichzuschalten“, und wie letztlichgering der Widerstand war, auf den es dabei traf. Und wir wissen, wie schnell die Zu stimmung wuchs, die es nach der Phase des unverhüllten Terrors schon seit demSommer 1933 fand. Diese Zustimmung war ein Gemisch aus persönlichen Er war - tungen und allgemeinen Hoffnungen, aus Opportunismus und Angst, aus der Bereit -schaft, sich überzeugen zu lassen und zu glauben: nicht zuletzt an den Traum von der „Volks gemeinschaft“.

Die Wahlergebnisse entsprachen der Stimmung

Als Hitler die Deutschen im November 1933 zum zweiten Mal binnen acht Mo na tenan die Wahlurnen rief, entfielen auf die Einheitsliste der NSDAP 92,2 Prozent derStim men. Noch höher, nämlich bei 95,1 Prozent, lag die gleichzeitig abgefragte Zu -stim mung zum Austritt aus dem Völkerbund. Solche Zahlen machten misstrauisch.Sie hätten, so konstatierte die linkssozialistische Widerstandsgruppe Neu Beginnenin einer internen Analyse, „auch kritische Beobachter des Auslandes dazu verleitet,dieses Ergebnis als gefälschtes oder auf unmittelbaren Zwang und Terror zurück -zuführendes anzusehen“.

„Dem liegt aber“, so heißt es weiter, „eine irrtümliche Auffassung über den wirklichen Einbruch faschistischer Ideologien in alle Klassen der deutschen Gesell -schaft zugrunde. (...) Genaue Beobachtungen (...) zeigen, dass die Wahlergebnisseim großen und ganzen der wirklichen Stimmung entsprechen. Mögen auch in derHaupt sache in Landbezirken und kleineren Orten zahlreiche ,Korrekturen‘ vorge-kommen sein. Das Gesamtergebnis zeigt einen ungemein raschen und starkenFaschi sie rungs prozess der Gesellschaft an.“

Aus der Rückschau wissen wir, dass die Stimmung der Deutschen vorderhandgleichwohl labil blieb: Trotz eben demonstrierter Einigkeit, trotz der Geschwin dig -keit, mit der sich das Gesicht des Landes verändert hatte, trotz der Radika li tät, mitder eine politisch freie, in Maßen pluralistische Gesellschaft in eine konsequent alssolche adressierte Gemeinschaft von „Volksgenossinnen und Volks genossen“ um -codiert worden war. Kurz: trotz einer unbestreitbar effektiven Politik der Macht -mono po li sie rung und Machtsicherung.

Im Spätwinter und Frühjahr 1934 zeigte sich allenthalben Unzufriedenheit – in derWirtschaft, bei den Bauern, im Beamtenapparat und nicht zuletzt bei der Reichs wehr,wo man die Machtansprüche der SA-Führung unter Ernst Röhm mit höchstem Miss -

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30 April 2013 | Heft 56

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trauen beäugte. Diese veritable Krise beendete erst Hitlers doppelter Coup vom 30. Juni 1934: ein Blutbad gegen die konservativen Kritiker von rechts genauso wiegegen die Unzufriedenen in den eigenen Reihen, den Deut schen damals aber verkauftals die Vereitelung eines angeblichen Putschversuchs seines Duz-Freundes Röhm.

Das erneute Plebiszit ein paar Wochen später, nach Hindenburgs Tod, bestätigteHitler nicht nur in seiner nunmehr erreichten Omnipotenzstellung als Staats ober -haupt, Regierungschef, Oberster Parteiführer und Oberbefehlshaber. Es bekräftigtedarüber hinaus ein Funktionsprinzip des „Führerstaats“: Parti zi pation per Akkla ma -tion – mit einer Zustimmungsrate von 89,9 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von95,7 Prozent. Die „Volksgemeinschaft“ als soziale Praxis, von der in der For schungneuerdings so gerne gesprochen wird – sie fand nicht zuletzt im Stimm lokal statt.Denn wie sagte doch der „Führer“ über den „Füh rer staat“: „Das ist die schönste Artder Demokratie, die es gibt.“

Der Satz entstammt einer Rede vom April 1937, und man darf ihn als die frappie-rend ehrliche Auskunft eines Mörders lesen, der mit sich und seinen „Volks ge nos -sen“ im Reinen war; der wusste, dass die Hitler-Begeisterung der Deut schen seitdem Sommer 1934 in phantastische Höhen gewachsen war. „Das Volk ist heute inDeutschland glücklicher als irgendwo in der Welt“, erklärte Hitler vor 800 Kreis -leitern, die sich auf der „Ordensburg“ Vogelsang in der Eifel versammelt hatten.

Ein Reich der Chancengleichheit?

Ein Jahr zuvor, nur wenige Wochen nach der vertragswidrigen Besetzung des ent -militarisierten Rheinlands durch die Wehrmacht, hatte Hitler noch einmal eine„Reichs tagswahl“ veranstalten lassen – diesmal mit einer Zustimmungs quote von99 Prozent. Das Kalkül dahinter legte er nun offen: „Ich habe aber erst gehandelt.Erst gehandelt, und dann allerdings habe ich der anderen Welt nur zeigen wollen,dass das deutsche Volk hinter mir steht (...). Wäre ich der Überzeugung gewesen,dass das deutsche Volk vielleicht hier nicht ganz mitgehen könnte, hätte ich trotz-dem gehandelt, aber ich hätte dann keine Abstimmung gemacht.“

Das Protokoll verzeichnet an dieser Stelle lebhaften Beifall, und diesen als Höf -lichkeitsapplaus zu deuten, wäre ein Fehler. Denn was Hitler seinen Unter führernzwei Stunden lang auseinandersetzte, das leuchtete damals den meisten Deut -schen ein: „Man kann nur, glauben Sie, diese Krise der heutigen Zeit behebendurch einen wirklichen Führungs- und damit Führerstaat. Dabei ist es ganz klar,dass der Sinn einer solchen Führung darin liegt zu versuchen, auf allen Gebieten

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des Lebens durch eine natürliche Auslese, immer aus dem Volk heraus, die Men -schen zu gewinnen, die für so eine Führung geeignet sind. Und das ist auch dieschönste und in meinen Augen germanischste Demokratie. Denn was kann esSchö neres für ein Volk geben als das Bewusstsein: Aus unseren Rei hen kann derFä higste ohne Rücksicht auf Herkunft und Geburt oder irgendetwas anderes biszur höchsten Stelle kommen. Er muss nur die Fähigkeit dazu haben. Wir bemühenuns, die fähigen Menschen zu suchen. Was sie gewesen sind, was ihre Eltern wa -ren, was ihre Mütterchen gewesen sind, das ist gänzlich gleichgültig. Wenn siefähig sind, steht ihnen jeder Weg offen.“

Kein Wort zwar über die Volkgemeinschaft – aber jede Menge Gründe dafür, in ihr ein Reich der Chancengleichheit zu erblicken! Die Sympathie, die Hitler undsein Re gime in diesen mittleren Jahren erfuhren, beruhte nicht zuletzt auf solchenParolen. Belege für diese affektive Bindekraft sind naturgemäß nicht ganz leichtzu erschließen. Was dazu in den Lage- und Monatsberichten der Behörden zu fin-den ist – von den Gendarmerieposten über die Landratsämter bis in die Innen -ministerien – unterliegt noch stets dem Verdacht der Schönfärberei. Breit ange -legte Oral-History-Pro jekte, wie sie vor allem in den frühen achtziger Jahren vonder Gruppe um Lutz Niethammer geführt worden sind, kamen dem Gefühls haus -halt der Zeitgenossen schon näher – ohne freilich das Problem lösen zu können,dass es erinnerte Emotio nen waren, die in den lebensgeschichtlichen Inter viewsan die Oberfläche kamen.

Ein neues soziales Bewusstsein wird konstruiert

Ich habe solche großen Befragungen nie gemacht, aber ich werde das Ge spräch nicht vergessen, das ich als Doktorand mit einem eher wehmütigen als auf Selbst -recht fer tigung erpichten Gau-Funktionär in Bayreuth führte. Plötzlich entfuhr es der Ehe frau, die dem Gespräch bis dahin still zugehört hatte: „Aber eines muss man sagen, beim Hitler wurden wir Bauersleut’ überhaupt zum ersten Malestimiert.“

Dass der Traum von der „Volksgemeinschaft“ von seiner ständigen gezieltenAktualisierung lebte, lag in der Natur des Mobilisierungsregimes. Unentwegt wur-den symbolische Loyalitätsbekundungen eingefordert. Darin hatte das of fizielle„Heil Hitler“ seine Funktion, aber auch die Häufung öffentlicher Ver an staltungen,auf denen die Partei den „Volksgenossen“ Anerkennung zollte, sie aber auch stetsaufs Neue zum Bekenntnis ihrer Zugehörigkeit zwang.

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Auf diese Weise wurde in den sogenannten Friedensjahren massenhaft sozialesBewusstsein verändert, wurden Klassen- und Standesdünkel vielleicht nicht besei-tigt, aber delegitimiert und mentale Sperren aus dem Weg geräumt. Die so produ-zierte Regimeloyalität erzeugte ihrerseits eine Dynamik psychosozialer Kraftent -faltung, die sich als äußerst funktional im Sinne der NS-Ideologie erwies. DassLeistung zählen sollte statt Herkommen und Rang, das machte die sozialen Inte - gra tionsangebote des Regimes für viele attraktiv und führte auch tatsächlich zueiner gewissen Egali sierung wenigstens von Aufstiegschancen. Ge ra de jungeArbeiter, die während der langen Wirtschaftskrise die Erfahrung bröckelnderSolidarität gemacht und darauf mit einer Abkehr von den gewerkschaftlichenStrukturen reagiert hatten, fühlten sich von den nationalsozialistischen Parolenangesprochen. Das umso mehr, als die schönen Worte nach Ein setzen der Hoch -konjunktur – dem offiziellen Lohnstopp zum Trotz – durch eine deutlicheLeistungslohn-Politik untermauert wurden.

„Wenn das der Führer wüsste“

Auch und gerade die NSDAP, so ist neuerdings argumentiert worden, habe als„Inte grationsmaschine“ im Sinne der „Volksgemeinschaft“ funktioniert. Nun kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Hunderttausende, für die es Auf ga benund Pöst chen gab in dem aufgeblähten Parteiapparat, ihre Pflichten nicht alsAusgren zung verstanden, sondern im Gegenteil als sinnhaftes Wirken im Diensteeiner großen Sache. Doch aus den geheimen Stimmungsberichten wissen wir, dassdies unter den sogenannten einfachen Volksgenossen häufig anders gesehenwurde: Zumal während des Krieges begegnete man den Reprä sen tanten der Parteivielfach mit Dis tanz, ja mit Geringschätzung angesichts ihrer Privilegien und ihrerNeigung, sich als Verkörperung des „Füh rer willens“ aufzuspielen, und hinter vor-gehaltener Hand gab es nicht selten harsche Kritik. In diesem Sinne war das durchIan Kershaws Hitler-Biographie bekannt gewordene Tugendgebot eines zweitran-gigen NS-Funk tionärs durchaus populär. Aller dings genau andersherum, als esWerner Willikens seinerzeit meinte: Viele Volksgenossen hielten es für ausge-macht, dass die Partei nicht dem Führer entgegen-, sondern gegen den Willen des„Führers“ arbeitete.

Der Satz: „Wenn das der Führer wüsste“ war der gängige Ausdruck der Un zu -frie denheit und der Klage über Missstände, für die man die Schuld bei den Par tei -bon zen suchte. Vor diesem Hintergrund scheint mir die Funktion der Partei orga -

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nisa tion – wohlgemerkt nicht die Hitler-Jugend, deren sozialintegrative und men-talitätsprägende Bedeutung weitaus höher anzusetzen ist – doch zutreffender imBild eines Puffers beschrieben als in dem einer „Integra tions maschine“.

Überhaupt meine ich, wir sollten die Funktionalität der „Volksgemeinschaft“nicht überzeichnen. Denn eines ihrer Merkmale – und letztlich ihre Schwäche –war eine labile Grundstimmung, die zur fortwährenden Erzeugung sozialer Hoch - gefühle und zu deren ständiger Reaktualisierung zwang. Erinnert sei nur an die gekonnt inszenierten Olympischen Spiele von 1936, an das sozialpolitischeRemmidemmi der soge nannten „guten Jahre“ vor dem Krieg – und nicht zuletztan die Wohl stands verheißungen für die Zeit danach, wie sie die Deut sche Ar -beitsfront (DAF) seit 1940/41 ventilierte, etwa mit dem „Sozialwerk des Deut -schen Volkes“.

Das alles waren Bemühungen um positive Integration – Götz Aly würde von „Be stechung“ sprechen –, und das alles war nicht ohne Effekt. Aber es war nichtalles. Wenn die „Volksgemeinschaft“ über weite Strecken klag- und fraglos funk -tionierte, dann auch wegen des verbreiteten Wissens über die repressiven Mög -lichkeiten des Regimes – und wegen deren zu Teilen hoher Akzeptanz, ja Po pu -larität.

Woher kamen Gewalt und Aggressionen?

Dass, wer nichts leistet, auch nichts essen, und im Zweifelsfall im Lager zur Ar beiterzogen werden soll: Darauf konnte sich die „Volksgemeinschaft“ schnell verstän -digen, und wie wir wissen, auf noch vieles mehr. Ins Bild der „Volks ge mein schaft“eingeschrieben war bekanntlich immer auch das Gegenbild der vielen, die nichtdazu gehören durften oder wollten: die weltanschaulichen Feinde, die „Volks schäd -linge“, die „rassisch“, so zial oder sexuell „Anders ar tigen“, die „erblich“ Be lastetenund die psychisch Kranken. In diesem Sinne bedeutete „Volksgemein schaft“ zu -gleich und per Definitionem auch Ausgren zungs gemeinschaft. Die Frage aber bleibt,inwieweit es erst der Gewaltakt der Ausgrenzung war, durch den sich „Volksge mein -schaft“ herstellte.

Um es konkreter zu machen und auf das Kernverbrechen zu kommen: War dieGewalt gegen die Juden, an deren Bedeutung für die NS-Bewegung in der WeimarerRepublik uns Michael Wildt so nachdrücklich erinnert hat, konstitutiv auch für dieHerausbildung der „Volksgemeinschaft“ im Dritten Reich? Oder war, was sich anAggressionen, an Hass und Gemeinheit gegen die Juden vom Mo ment der Macht -

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über nahme an Bahn brach und in der sogenannten „Boykott aktion“ vom 1. April 1933 erstmals quasi-staatlichen Ausdruck fand, eher ein Störfaktor für die von Hitler pro-pagierte „nationale Erhebung“?

Wildt hat überdies das Moment der „Selbstermächtigung“ betont, das in der ge mein schaftlichen Ausübung antisemitischer Gewalt zum Ausdruck komme. Dasist, bezogen auf die Gewalttäter selbst, nicht von der Hand zu weisen. Aber alsErfah rung wichtiger und häufiger war doch wohl das Moment der Fremd er höhung:die den „Volksgenossen“ von ihrem „Führer“ immer wieder zuteil gewordenenGesten der Wertschätzung, verbunden mit einer geradezu religiösen Rhetorik desAuser wähltseins.

Der Weg in den Krieg

Man wird die Frage nach dem „volksgemeinschaftlichen“ Stellenwert der Ge waltgegen die Juden am Ende nicht pauschal beantworten können, und für eine raum-greifende Erörterung der – übrigens lange vernachlässigten – Geschichte des Anti -se mi tismus im Dritten Reich ist hier nicht der Raum. Deshalb nur ein paar skizzen-hafte Bemerkungen, wobei es mir am wichtigsten ist, dass wir das Thema nicht alsein sta tisches missverstehen, sondern prozesshaft und in seinem erfahrungsge-schichtlichen Kontext behandeln. An Quellen dafür ist weniger Mangel, als manmitunter meint.

Dass der „Judenboykott“ vom April 1933, gemessen an der Empörung in denwestlichen Demokratien, ein Fehlschlag war, steht außer Frage. Einigermaßendeutlich ist auch, dass die Aktion der antisemitischen Parteibasis fürs erste einegewisse Genug tuung verschaffte; umgekehrt ebenso, dass sie in den noch halbwegsintakten sozial-moralischen Milieus der Arbeiterbewegung und des Katho lizismusauf Ab lehnung stieß. Am wenigsten klar ist der Befund für das Bürger tum. Hierreichten die Reaktio nen von echter Scham und leise bekundetem Mitgefühl für dieBetrof fenen über ein empathie leeres „So etwas ziemt sich nicht“ bis hin zur Scha -den freude oder gar zum Applaus.

Das Spektrum von Reaktionen und Verhaltensweisen ist damit natürlich nurgrob umrissen, und wichtiger noch: Es ist damit noch nichts über die weitere Ent -wicklung gesagt. Doch in der Rückschau ist völlig klar, dass der staatlich zunächstsanktionierte, dann forcierte Antisemitismus, der seit Frühjahr 1933 vor allerAugen und mit Billigung vieler in Gang gesetzt wurde, eine moralische Erosions -dynamik auslöste, in der am Ende auch eine „Endlösung“ darstellbar wurde. Dieser

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Weg in eine umgedrehte Wertewelt war von den Weltanschau ungs kriegern gewissnicht strategisch geplant, wohl aber gewollt und von ihren Unterstützern immerweniger einzuhegen. Hier wäre dann auch der Punkt, nach dem Entstehen einerspezifischen NS-Moral zu fragen, über die in letzter Zeit, angestoßen vor allemdurch Raphael Gross, wieder intensiver nachgedacht wird, als dies jahrzehntelangder Fall war. |

PROF. DR. NORBERT FREIlehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Der Text ist ein Auszug aus seinem Eröffnungsvortrag bei der „IV. Internationalen Konferenz zur Holocaustforschung“ der Bundeszentrale für Politische Bildung am 27. Januar 2013 in Berlin. Mehr zum Thema in seinem Buch: „Der Führerstaat. National sozialistische Herrschaft 1933-1945“.

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Ehre, wem Ehre gebührtVon Christian Neusser

D ie letzten Worte, die in der Weimarer Republik in Freiheit gesprochen wurden,haben Spuren hinterlassen. „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die

Ehre nicht.“ Diese Worte stammen von Otto Wels, dem Vorsitzenden der sozialdemo-kratischen Partei und Reichstagsfraktion. Er stellte sich damit am 23. März 1933 imNamen seiner sozialdemokratischen Reichstagsfraktion gegen das von den National -sozialisten eingebrachte Ermächtigungsgesetz. Mit einem flammenden Plä doyer botWels der nationalsozialistischen Willkürherrschaft die Stirn – und trotzte der Bedro -hung durch die Nationalsozialisten: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht,Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Gemeint waren Frei heit, De -mo kratie und Gerechtigkeit sowie der Glaube an die Men schen rechte.

Der Ausgang ist bekannt: Die 94 anwesenden Sozialdemokraten lehnten das Gesetzals einzige Fraktion im Reichstag ab. Bei Abwesenheit der verfolgten Kommunistenund Zustimmung auch durch die bürgerlichen Parteien wurde das Ende des Parla men -ta rismus und der freiheitlichen Demokratie besiegelt. Mit dem Ermächtigungs gesetzwurde die Demokratie in Deutschland buchstäblich zu Grabe getragen, der Weg warfrei für die zwölf Jahre andauernde nationalsozialistische Diktatur.

Der 23. März 1933 war ein schwarzer Tag für die Demokratie. Und dennoch bleibtuns mit diesem Tag Denkwürdiges in Erinnerung: der mutige Einsatz für Freiheit undDemokratie, den Otto Wels mit seiner Rede so eindrucksvoll verkörpert. Zum 80. Jah -restag dieses Ereignisses wurde jüngst der Person Otto Wels und dessen Rede gedacht.Ein Blick auf das Leben von Otto Wels macht deutlich, dass sein politisches Wirken füruns heute lehrreich sein kann. Lehrreich vor allem deshalb, weil wir in Wels’ Biographiesehr anschaulich erfahren, was es heißt, für die Demokratie einzutreten.

Otto Wels ist ein Mann der Arbeiterbewegung. Geboren am 15. September 1873 inBerlin, wuchs er als Sohn einer Gastwirtfamilie auf. Die Familie seines Vaters, dersein Lokal im Norden Berlins betrieb, stammte aus Groß Briesen im Kreis Zauch-Belzig in der Provinz Brandenburg. Schon früh kam Wels in Kontakt mit den Idealender Sozialdemokratie. Als Heranwachsender hörte er in der Gastwirtschaft seinerEltern den Gesprächen von Sozialdemokraten zu, die während der Zeit des Sozialis -tengesetzes im Hinterzimmer des Lokals zu vertraulichen Runden zusammenkamen.

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Hierbei lernte Wels auch August Bebel und Wilhelm Liebknecht kennen. SeineLeidenschaft für die Sozialdemokratie war schon als Jugendlicher entfacht.

Nach Volksschule und Lehre als Tapezierer war Otto Wels zunächst als haupt-amtlicher Gewerkschaftsfunktionär im Verband der Tapezierer tätig und wurde1906 zum Vorsitzenden des Verbands gewählt. Zugleich engagierte er sich in derBerliner Kommunalpolitik. Er war Mitglied der Armen- und Schulkommission sowieVorsitzender der Arbeitnehmer in der Handwerkskammer Berlin-Potsdam. Seinepolitische Karriere nahm 1907 Fahrt auf, als Wels zum Bezirkssekretär der SPD fürdie Provinz Brandenburg gewählt wurde. Schon bald galt er in Berlin und der Pro -vinz Brandenburg als einer der profiliertesten Arbeiterführer. Innerparteilich schufer maßgeblich den Grundstein für eine einheitliche und straffe Parteiorganisationin Brandenburg. Wels war ein leidenschaftlicher Wahlkämpfer. Zugute kam ihm da-bei seine Eigenschaft als eindringlicher Redner, der seine kräftige, zuweilen derbeSprache einzusetzen wusste. 1912 gewann er den Wahlkreis Calau-Luckau und wur-de Reichstagsabgeordneter.

Die SPD rettete die Ehre der Weimarer Republik

Otto Wels scheute sich als Politiker nicht davor, Verantwortung zu übernehmen undlernte auch die Schattenseiten politischer Verantwortung kennen. Nach dem Sturz derMonarchie übernahm Wels im November 1918 das Amt des Berliner Stadt kom man dan -ten. In den Wirren der Revolutionszeit kam es im Dezember 1918 zum Zu sam menstoßvon Soldaten und Revolutionären, bei Schießereien gab es 16 Tote und einige Schwer -ver letzte. Obwohl eine konkrete Schuld Wels’ als Stadtkom man dant nicht vorlag,reichte er – auch aufgrund innerparteilicher Kritik – seinen Rück tritt als Stadtkom -man dant ein. Die Erfahrungen der Revolutionszeit bewogen ihn auch zu einer persön-lichen Konsequenz: Wels fasste den Entschluss, sein politisches Wir k en auf die Partei -arbeit in der SPD zu konzentrieren. Den Rückhalt hierfür hatte er. Im Juni 1919 wurdeWels auf dem Parteitag in Weimar zum Vorsitzenden der SPD gewählt.

Bereits in den frühen Jahren der Weimarer Republik trat Otto Wels als entschiede-ner Kämpfer für die Demokratie auf. Beim Kapp-Putsch 1920, dem Ver such rechtsmi -litanter Kreise, die Regierungsgewalt an sich zu reißen, demonstrierte der SPD-Partei -vor stand unter Führung von Wels Entschlossenheit und rief zum Ge neral streik auf.Der Generalstreik von Gewerkschaften und der Arbeiterschaft im Land sorgte dafür,dass der Putsch rasch scheiterte. Wels hatte schon früh verinnerlicht, dass die Demo -kratie wehrhaft gegenüber seinen Feinden sein musste. Er war maßgeblich an der

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Gründung des „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ zum Schutz der Weimarer Republikbeteiligt. Ebenso zählte er zu den Orga nisatoren der „Eisernen Front“, einem Bündnis,das sich gegen den Vormarsch der Rechtsextremisten einsetzte. Dass sich die SPD-Füh -rung unter Wels sowie die Gewerkschaftsspitzen zum Ende der Weimarer Repu bliknicht zum aktiven Wider stand gegen die National so zialisten oder zum General streikdurchringen konnten, war eine schwerwiegende und umstrittene Entschei dung. Wels’Sorge, ein möglicher Bürgerkrieg hätte viele Opfer unter den Arbeitern gekostet undkeine Aussicht auf Erfolg gehabt, ist gewiss Ausdruck von Macht- und Ratlosigkeit,aber wohl auch Zeichen für Ver antwortungs bewusstsein. Letztlich blieb es ein fatalerIrrtum der Weimarer Sozial demokratie, die Republik könnte mit den Mitteln desRechtsstaats gesichert werden.

Nach seiner Flucht aus Deutschland im Frühjahr 1933 baute Wels in Prag die Exil -organisation der SPD auf und setzte den Kampf gegen die Nationalsozialisten fort.Bis zu seinem Tod nach schwerer Krankheit am 16. September 1939 prangerte Welsimmer wieder die Verbrechen Hitlers an. Kurz zuvor bei Kriegs ausbruch hatte sichOtto Wels im Namen der Sozial demokratie an das deutsche Volk gewandt und for-derte alle demokratischen Kräfte in Europa auf, gemeinsam Hitler zu stürzen undden europäischen Völkern zu Recht und Freiheit zu verhelfen.

Otto Wels’ politische Lebensleistung liegt in seinem entschiedenen und unbeug-samen Einsatz für die Demokratie. In das kollektive Gedächtnis der Deutschen hatOtto Wels gleichwohl nur bedingt Eingang gefunden. Dies ist ein Schicksal, das ermit manch anderer verdienter Persönlichkeit teilt. Es mag damit zusammenhängen,dass Wels nie ein herausragendes Staatsamt innehatte, sondern er seine Arbeit vor-wiegend in sozialdemokratischen Parteifunktionen verrichtete. Sein mutiges Ein -treten gegen die Hitler-Diktatur, wie dies in der Rede vom März 1933 eindrucksvollzum Ausdruck kommt, rechtfertigt gleichwohl, Wels einen würdigen Platz in derGeschichte der deutschen Demokratie zuzuweisen. Dem Urteil des Historikers Hein -rich August Winkler zufolge, hat die SPD die Ehre der Weimarer Republik gerettet.Otto Wels hat daran einen wichtigen Anteil.|

CHRISTIAN NEUSSERist Referent der SPD-Landtagsfraktion Brandenburg.

Mit dieser Rubrik stellen wir eine Person vor, deren Lebensleistung größereBeachtung verdient. Zum Beispiel in Gestalt von Straßen- oder Schulnamen.

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DAS STRASSENSCHILD Otto Wels 1873-1939

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Am Anfang war die Dampfmaschine.Mit ihr begann das, was wir heute

die erste industrielle Revolution nen-nen. Die erste nutzbare Dampfmaschinewur de 1712 von Thomas Newcomen ent-wickelt und später von James Watt verfeinert. Alsbald verbreitete sich dieDampf ma schine im späten 18. und frü-hen 19. Jahr hundert von England ausge-hend rasch auf das kontinentale Europaund trug wesentlich zur Mechanisierungder Ar beit und zur Nutzung von Energiebei. Mit ihr kam im übrigen vor 150 Jah -ren die „soziale Frage“ auf und wurdezum Geburtshelfer der Sozialdemo kra -tie – die SPD ist mithin also die „Indus -trie-Partei“ der ersten Stunde.

Die zweite industrielle Revolution begann im späten 19. und frühen 20. Jahr - hundert. Sie ist durch zwei Entwick lungs - stränge gekennzeichnet. Die Nut zung deselektrischen Stroms führte zu vollkom-men neuen Industriezweigen wie derElektrotechnik aber auch des Maschi nen -baus und der chemischen Industrie – vorallem Deutschland stand hier an der

Spitze der technologischen Innovatio nen.Die zweite industrielle Revolution zeich-nete sich aber auch durch die aufkom-mende Massen pro duktion aus. Die Ein -führung des Fließ bandes 1913 in denFord-Werken ist dafür der bekanntesteAusdruck.

Als die Computer und das Internet aufkamen

In der zweiten Hälfte des 20. Jahr hun -derts spielt vor allem der Computer dieHauptrolle. Die Nutzung von Elek tro nikund Informationstechnik führen zurdritten – der digitalen – industriellenRevolution. Die Erfindung des Mikro -chips macht neue automatisierte Pro -duktionsverfahren und neue Kommuni -kationsnetze möglich. Die Raumfahrtwäre ohne Compu ter nicht denkbar;Roboter, Mobiltele fonie oder Internetprägten einen neuen Inno vationszyklus.

Heute, am beginnenden 21. Jahrhun -dert, stehen wir vor der nächsten – dervierten – industriellen Revolution. Sie

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ZUKUNFT GIBT’S NICHT VON ALLEIN Wie die vierte industrielle Revolution in Brandenburg gelingen kann — Von Ralf Holzschuher

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wird durch zwei Tendenzen gekenn-zeichnet sein. Auf der einen Seite stehtdie Notwendigkeit von höherer Energie-und Ressourceneffizienz angesichts sin-kender Rohstoffvorräte und zunehmen-den Klimawandels. Auf der anderenSeite wird die Verknüpfung der Indus -trie produktion mit dem „Internet derDinge“ dazu führen, dass maßgeschnei-derte Produkte in hoher Effizienz herge-stellt werden können und die dafür nö -tigen Informationen auch schnell undeffizient von A nach B gelangen.

Von Niedergang undWiederaufstieg

Am Beginn der Industrialisierung im -portierte Deutschland die dafür nötigenDampfmaschinen noch aus England,mauserte sich aber schnell zu einer In novationskraft mit Weltruf („Made in Germany“). Bahnbrechende Erfin - dungen in der chemischen Industrieoder die Ent wicklung des Computers(Zuse) stehen dafür. Bis heute istDeutschland eines der größten Indus -trieländer der Welt und die Industrieunser wichtigster Wohlstandsmotor.

Wenn wir heute an Brandenburg denken, verbindet man das Land sichernicht auf den ersten Blick mit Industrie.Doch beim genaueren Hinschauen, stelltman fest, dass Brandenburg eine langeindustrielle Geschichte hat. Sie lässt sichim Wesentlichen in drei Phasen einteilen.

Am Ende des 19. Jahrhunderts be -gann auch im heutigen Brandenburg dieIndustrialisierung. So wurde die bis datoeher agrarisch geprägte Lausitz eineBerg bauregion. Die älteste noch erhalte-ne Brikettfabrik Europas ist die Louisein Elbe-Elster, sie ging 1882 in Betriebund wurde 1992 stillgelegt. Eben falls inder Lausitz entwickelte sich ab dem spä-ten 19. Jahrhundert eine umfangreicheTextilindustrie. Auch die Stadt Bran den -burg an der Havel ist eine der traditio-nellen Industriestandorte im Land – dortbegann die Entwicklung mit Textilfa bri -ken und ab 1912 wurde dort Stahl her ge -stel lt. Wittenberge – logistisch gut gele-gen am Kreuzungspunkt von Elbe undwichtiger Straßen zwischen Ham burg,Magdeburg und Berlin – wurde im frü-hen 20. Jahrhundert ein Zentrum derNähmaschinen- und Zell stoffpro duk tion.In der ersten Hälfte des 20. Jahr hun -derts entwickelten sich viele Stand orteder industriellen Pro duk tion – viele vonihnen wurden im Zweiten Weltkrieg ingroße Mitlei den schaft gezogen.

Nach dem Krieg begann die DDR miteiner „planmäßigen Industrialisierung“.Dazu wurden historische industrielleKerne massiv aus- und neue Zentren auf-gebaut. Das Stahl- und Walzwerk in Bran -denburg an der Havel hatte zu DDR-Zei -ten über 10.000 Beschäftigte, in denOptischen Werken in Rathenow arbeite-ten 4.500 Menschen, das IFA-Werk inLudwigsfelde stellte LKWs für den gan-

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zen Ostblock her, die Lausitzer Braun -kohleindustrie wurde zum zentralenEnergieversorger der DDR. Voll kom menneue Industriestandorte entstandenunter anderem in Eisenhüttenstadt undSchwedt. 1958 gab Walter Ulbricht denBau des „Petrolchemischen Kombi nats(PCK)“ bekannt, später arbeiteten dortüber 8.000 Menschen. Bis zu 16.000 Be -schäftigte hatte das „Eisen hütten kom -binat Ost (EKO)“, dass 1950 von der SEDbeschlossen wurde – ebenso wie der Bauder dazugehörigen Retor tenstadt, dieerst den Namen Stalins trug und späterin Eisenhütten stadt umbenannt wurde.

Die dritte Phase in Brandenburgs In -dus triegeschichte begann mit der Wie -der vereinigung. Sie ist sowohl einePhase des Niedergangs und des Wieder -auf stiegs. Zahlreiche Industrieunter -nehmen mussten schließen, vielenUnternehmen gelang mit westlichenPartnern aber auch der Neuanfang. Dieneunziger Jahre standen deshalb zu -nächst vor allem im Zeichen des mas -siven Arbeitsplatzab baus.

Nach einer Phase der Konsolidierungim ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhundertsind die „Regionalen Wachstumskerne“heute Ausdruck einer neuen und zu -kunfts fähigen Industriestruktur. Sie basieren zum einen auf Unternehmenmit langer Tradition: So werden seit1913 in Hennigsdorf Lokomotiven undZüge gebaut, Vattenfall produziertheute in den modernsten Kraftwerken

Europas Strom, BASF hält einen seinerprofitabelsten Standorte in Schwarz -heide. Daneben überlebten einige DDR-Groß betriebe, die auch heute erfolgreicham Markt operieren. Dazu gehören dasPCK in Schwedt genauso wie das ausdem IFA-Werk in Lud wigsfelde hervorge-gangene Daimler-Werk oder Arcelor-Mittal in Eisenhütten stadt. Hinzu ka -men vollkommen neue Industrie zweigewie die Biotechnologie (zum Bei spiel inHen nigs dorf und Luckenwalde) oder dieerneuerbaren Energien mit dem Wind -turbinenher stel ler Vestas. Gleich zeitigzeigt dieser Indus triezweig aber auch,wie schnelllebig industrielle Erfolge seinkönnen: 2010 gab es in unserem Landnoch fünf große Solar fabriken, ein Teilvon ihnen ist heute bereits wieder ge -schlos sen, ein anderer Teil hat großewirtschaftliche Schwie rigkeiten.

Hat Brandenburgs Industrie also noch eine Zukunft?

Nun lässt sich aus den Schwierigkeiteneiner Branche sicherlich nicht das Endeder Industrie in Brandenburg ableiten.Gleichwohl steht die Industrie in unse-rem Land vor vier großen strategischenHerausforderungen, die gleichzeitigChancen als auch Risiken bieten: > Die Zahl der Brandenburger Erwerbs -

fähigen sinkt, gleichzeitig werden sie älter. Das kann zu zunehmendemFachkräftemangel führen.

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> Die Internationalisierung der deut-schen Wirtschaft setzt sich fort,damit steigt auch der Wettbewerbs -druck. Das kann zu neuen Konkur -renzsituationen führen aber auch zu neuen Märkten mit zusätzlichenAbsatzmöglichkeiten.

> Rohstoffe werden überall auf derWelt knapper und führen langfristigzu höheren Rohstoffpreisen. Daskann die Wettbewerbsfähigkeit vielerFirmen bestimmen, steigert gleich-zeitig aber die Nachfrage nach mate-rialschonenderen und ressourcen -sparenden Technologien.

> Die Energiewende in Deutschland ist eine „Operation am offenenHerzen“, denn mit ihr wird eine derwichtigsten materiellen Grundlagender Industrie komplett umgestellt.Die Gestaltung der Energiewende übt großen Druck – unter anderemdurch steigende Energiepreise – auf viele Unternehmen aus. Gleich -zeitig können durch den Zwang zumehr Nachhaltigkeit Absatzchancenfür neue Technologien entstehen.

Neben diesen globalen Rahmen bedin -gun gen zeichnet sich BrandenburgsIndustriestruktur durch drei Beson -derheiten aus: > Durch massive staatliche Inves ti -

tionen seit der Wiedervereinigung verfügt Brandenburg über eine imeuropäischen Vergleich exzellente

Infra struktur. Auch wenn es noch dieeine oder andere Lücke gibt, ist dieseine wichtige Voraussetzung für eineerfolgreiche Industrie.

> Unsere Unternehmenslandschaft istim Bundesvergleich zu klein. Das istauch eine Erklärung für die ver -gleichs weise niedrige Exportquoteder Bran denburger Unternehmen.Das kann zwar in Zeiten externerwirtschaft licher Schocks – wie derWeltfinanz krise – auch positiv wir-ken, langfristig lässt sich neuesWachstum jedoch nur durch Erschlie -ßung neuer Märkte er zielen.

> In Brandenburg fehlen – wie in ganzOstdeutschland – Unternehmens -zentralen. Dadurch sind die Wert -schöpfungs- und Herstellungskettenim Land zu kurz, fehlen vor allemunternehmensnahe und unterneh-menseigene Forschung und Ent wick -lung. Zwar wird dies durch hohestaatliche Forschungsausgaben einStück weit kompensiert, führt aber in der Summe trotzdem zu insgesamtniedrigeren Ausgaben für Forschungund Entwicklung und damit zu gerin-gerer Innovationsfähigkeit in Ost -deutschland.

Eine sozialdemokratische Industrie po -litik muss diese Rahmenbedingungen in den Blick nehmen, wenn sie Erfolghaben will. Ziel muss es sein, den indus-triellen Sektor zu stärken, denn er ist

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die Basis unseres Wohlstandes. Dabeigibt es fließende Übergänge zumDienstleis tungsbereich – es geht des-halb auch nicht darum, das eine gegendas andere auszuspielen. Mit der vor-handenen Industriestruktur, den Erfah -rungen gut ausgebildeter Fachkräfteund einer auf Konsens ausgelegten Kul -tur industrieller Beziehungen kann esjedoch gelingen, den Anteil der Indus -trie und industrienahen Dienstleis tun -gen weiter aus zubauen. Dazu stehen aufder Lan des ebene sechs strategische in -dustriepolitische Handlungsfelder aufder Tagesordnung.

Innovation braucht Investition in Köpfe

Erstens: Fachkräftesicherung. DieFachkräftesicherung wird nur in einergroßen Kraftanstrengung zusammenmit den Unternehmen gelingen. Diedemografische Entwicklung Branden -burgs prognostiziert bis 2030 einenRückgang des Erwerbspersonen po -tentials um 28 Prozent, in einigen Re -gionen sogar von bis zu 50 Prozent.Umso mehr kommt es darauf an, jedeund jeden so gut wie möglich zu qua -lifizieren und auszubilden.

Deshalb muss es unser Ziel sein, dieZahl der Schüler, die die Schule ohneSchulabschluss verlassen, und die Zahlder jungen Menschen, die die Berufs -ausbildung abbrechen, bis 2020 mindes-

tens zu halbieren. Das Bewusstsein fürtechnische Berufe und für industrielleEntwicklung kann bereits bei Schüler in -nen und Schülern geweckt werden. Dazusoll das Unterrichtsfach „Wirt schaft-Ar -beit-Technik“ ausgebaut werden, fernersollen weitere „Mit-Mach-Museen“ nachdem Vorbild des Pots damer Exta viumsentstehen.

Innovation braucht Investition inKöpfe. Deshalb müssen unsere Hoch -schulen noch stärker mit den Unter neh -men in ihrer Umgebung kooperieren. EinBeispiel dafür sind duale Stu dien gängen,die Studium und Be rufsaus bil dung ver-knüpfen. Deren Zahl soll erhöht werden.Mit einem „Bran den burg-Sti pen dium“kann die Bindung von Studie renden anBrandenburger Unternehmen verstärktwerden. Unter nehmen sollen bei derEinstellung von jungen Hoch schul ab sol -venten („Inno vationsas sis ten ten“) unter-stützt werden.

Daneben brauchen wir eine neueWill kommenskultur in unserem Land.Damit wollen wir zum einen viele gutausgebildete junge Menschen, die inden ver gan genen Jahren Brandenburgauf der Suche nach einem Job verlassenmussten, zurückholen. Gleichzeitigmuss unser Land aber auch offen seinfür ta lentierte Fachkräfte aus dem Aus land. Sie sollen mit Hilfe von Sti -pen dien pro grammen und Gutschei nensystematisch angeworben und inte-griert werden.

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Zweitens: Gute Arbeit. Gute Arbeits be -dingungen sind heute die entscheidendeGrundlage, um Fachkräfte zu gewinnenund zu halten. Der „Krieg um Ta lente“findet heute bereits in einem Maßstabstatt, der weit über die Gren zen unseresBundeslandes hinaus geht. Für eine zu -kunfts- und wettbewerbs fähige Indus triesind gute Löhne (einschließlich Mindest -löhne) deshalb eine wich tige Grundbe -din gung. Dazu braucht es eine starkeSozialpartnerschaft. Nur mit Gewerk -schaften und Arbeitgeber ver bän den, diesich durch hohe Orga nisa tionsgrade aus-zeichnen, können eine hohe Tarifbin -dung und ordentliche Ar beitsbedin gun -gen erreicht werden. Das schließt auchein familien- und altersgerechteres Pro -duktionsumfeld ein. Das Know-how derArbeitnehmer für unternehmerischeEntscheidungen zu nutzen, ist eines derErfolgsge heim nisse der deutschen Wirt -schaft. Wenn wir in Zu kunft weiter er -folgreich sein wollen, werden wir diesesRezept stärker anwenden müssen: Ar -beit nehmer vertre tungen sollten mehr als bisher in unternehmerische Prozesseeinbezogen werden und Verantwortungübernehmen können.

Drittens: Forschung und Entwick -lung. Brandenburg hat in den vergange-nen zwei Jahrzehnten ein erfolgreichesHochschulsystem aufgebaut, die mitt-lerweile über 50.000 Studierenden sinddafür ein gutes Zeichen. Wir brauchen

die Hochschulen in Zukunft so deutlichwie nie zuvor als Anker für regionaleWachs tumsdynamiken und als Partnerregionaler Unternehmen. Das Landmuss anwendungsbezogene Forschungund Entwicklung stärker fördern. DerAnteil des Landeshaushaltes für Wis -senschaft und Forschung muss in denkommenden Jahren auf mindestenssechs Prozent steigen. Ein „Institut fürindustrielle Innovation“ soll die ver-schiedenen Akteure vernetzen und denParadig men wechsel zu einer aktivenIndustrie po litik unterstützen. Das Insti -tut soll die Zusammenarbeit mit Berlin,Sachsen und Sachsen-Anhalt sowieImage bil dung, Internationa li sierungund Inno vation befördern.1

Ein Anziehungspunkt in der Mitte Brandenburgs

Viertens: Sichere und bezahlbareEnergieversorgung. Ohne sichereEnergieversorgung und ohne vernünf -tige Energiepreise gibt es keine Indus -trie – so einfach ist das. Deshalb berührtdie Energiewende auch das Herz derBran denburger Industrie. So lange er -neuerbare Energien nicht kontinuierlichund in ausreichendem Umfang zur Ver -fügung stehen können, wird die Grund -last der Energieversorgung weiter auskonventionellen Kraftwerken kommen

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1 Siehe dazu auch den Beitrag von Ulrich Berger in diesem Heft.

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müssen. Dafür wird auch die heimischeBraunkohle noch für längere Zeit ge -braucht. Als Spitzenreiter beim Aus bauder erneuerbaren Energien und Heimatgroßer Kohlekraftwerke trägt Branden -burg heute und in Zukunft eine hoheVerantwortung auf dem europä ischenEnergiemarkt. Unser Land soll Ener gie -exporteur bleiben – das sichert viele gutbezahlte Arbeitskräfte im Land.

Bergbau und Energieproduktion vonKohle über Wind, Sonne, Erdwärme bisBiogas sind wichtige Säulen der Bran - denburger Industrie. Mit dieser umfas-senden Kompetenz – gepaart mit wich -tigen Forschungszentren im Land –kann Brandenburg ein Musterland fürdie Gestaltung der Energiewende sein.Das schließt die Entwicklung neuer Ver - fah ren bei der Energieeffizienz und beimEnergiemanagement ein. Die entspre-chenden Forschungskapazitäten müssengebündelt und besser vernetzt werden.

Fünftens: Intelligente Wirtschafts -förderung. Mit Unternehmens netz -werken und Clusterbildung kann esgelingen, Wertschöpfungsketten zu ver bessern und zu verlängern. Deshalbmuss die Wirtschaftsförderung derenBildung noch stärker unterstützen.Kleinere Partner können sich in In dus -triegenossenschaften besser vernetzenund so voneinander profitieren. Aufdiese Weise können beispielsweiseduale Studiengänge oder Nachfolge -

regelungen bei der Unternehmens füh -rung besser organisiert werden. DieBildung von Indus triegenossenschaftensollte deshalb in Zukunft unterstütztwerden. Insgesamt muss die Branden -burger Wirtschafts förderung stärker an die Kriterien guter Arbeit und Ar -beits bedingungen geknüpft werdensowie Forschung und Entwicklung inden Fokus nehmen.

Brandenburg profitiert in hohemMaß von der Bundeshauptstadt in sei-ner Mitte: Berlin ist Anziehungspunktund Sehnsuchtsort für viele kreativeUnter nehmen und innovative Talente.Indus triepolitisch ergänzen sich Berlinund Brandenburg in ihren Profilen. Zielmuss es sein win-win-Situationen her-beizuführen; dazu müssen gerade dieWirt schaftsförderungen der beidenLänder zum wechselseitigen Nutzenstärker zusammenarbeiten.

Ohne Industrie kein Licht,keine Autos, keine Windräder

Sechstens: Mehr Internationa li sie -rung. Die attraktive Lage Brandenburgsmit dem Magneten Berlin in seiner Mit te müssen wir stärker ausspielen,wenn es darum geht, internationaleFach kräf te und ausländische Investorenanzuziehen. Ganz grundsätzlich gibt esbei den Brandenburger Unternehmennoch großes Potential bei der Export -orien tierung – bisher sind sie häufig

RALF HOLZSCHUHER | ZUKUNFT GIBT’S NICHT VON ALLEIN

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schlicht zu klein, um auf internationa-len Märkten aktiv sein zu können. Siebrauchen deshalb stärkere Unter stüt -zung durch Messe för derung, bei derFinanzierung und Zerti fizierung. Beieinem schrumpfenden BrandenburgerBinnenmarkt ist es entscheidend, unse-re Unternehmen stärker in internatio -nale Wertschöpfungsketten einzubauen.Dazu ist es auch erforderlich, dass derBund die Infrastrukturlücken insbeson-dere nach Osteuropa schließt.

Die Industrie ist in Deutschland undBrandenburg Grundlage für Wohlstandund Beschäftigung. Ohne Industriegehen sprichwörtlich die Lichter aus,fahren keine Autos, werden keine Wind -räder aufgestellt. Und: mit mehr Arbeits -plätzen in der Industrie steigt auch dieNachfrage nach Dienst- und Service leis -tungen. Deutschland – und insbesondereBrandenburg – sind seit 2008 vergleichs-weise gut durch die (andauernde) Wirt -schafts- und Finanz krise gekommen. Ein entscheidender Grund dafür war die wettbewerbsfähige und starke indus-trielle Basis unseres Landes.

Doch die Zukunft kommt nicht vonallein, auch ist Brandenburg nicht alleinauf der Welt. Eine aktive industriepoliti-sche Strategie kann man nicht im Allein -gang durchsetzen, es braucht das engeZusammenspiel von Europa-, Bundes-,Landes- und Kommunalpolitik mit Unter - nehmern, Arbeitnehmer ver tre tungenebenso wie mit Schulen und Hoch schu -

len. Umgekehrt gilt aber auch: Ohne eine strategische Ausrichtung auch derLandespolitik wird es nicht gelingen,Brandenburg als Akteur in mitten der ge -rade stattfindenden vierten industriellenRevolution zu etablieren. Branden burgkann als besonders res sour cen- und ener-gieeffizientes Indus trieland ein ei gen -stän diges Profil innerhalb Deutsch landserlangen. Ents chei dend wird sein, dassInno va tionen von einem Bereich zumanderen übertragen und die bisherigenWertschöpfungsketten verlängert wer-den. Genauso kann Branden burg zueinem Industrieland der vierten Ge ne -ration werden – mit zukunftsfähigen undgut bezahlten Arbeitsplätzen, attraktivfür Fachkräfte und Unter neh men.|

RALF HOLZSCHUHERist Fraktionsvorsitzender der SPD imBrandenburger Landtag.

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

48 April 2013 | Heft 56

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ULRICH FREESE | ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

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Deutschland hat in den letzten zweijahrzehnten weder die Industrie als

Kern der volkswirtschaftlichen Wert -schöpfung noch die industriellen Wert - schöpfungsketten aus den Augen verlo-ren. Das unterscheidet unser Land vonvielen anderen Staaten. Die vergleichs-weise gute volkswirtschaftliche Situa -tion wäre ohne diese Politik aber auchohne die Leistungsfähigkeit der deut-schen Industrie nicht zu erklären. DieFakten: Rund 60 Prozent aller Arbeits -plätze in Deutschland lassen sich direktoder indirekt dem produzierenden Ge -werbe und den industrienahen Dienst -leistungen zuordnen. Zwei Drittel derExporte und 90 Pro zent der Aufwen dun -gen für Forschung und Entwicklung derdeutschen Wirt schaft dokumentiereneindrucksvoll die Bedeutung.

Die Weltfinanzkrise vor wenigenJahren hat unmissverständlich deutlichgemacht, dass solche Staaten, die ein -seitig auf die Finanzindustrie oder über-wiegend auf Dienstleistungen gesetzt

haben, mit erheblichen Proble men nichtnur auf dem Arbeitsmarkt, sondernauch bei der Haushaltskon so lidie rung,einem nachhaltigen Wachs tum undHandels bilanzrisiken zu kämpfen ha -ben. Nicht ohne Grund versucht dernordamerikanische Wirt schaftsraum –allen voran die USA – durch eine ange-botsorientierte Ener giepolitik die Zu -kunftsperspekti ven des industriellenSektors gezielt wieder zu beleben.

Leitplanken für die nächstenJahrzehnte

Neben vielen anderen Facetten bilden eine nachhaltig sichere, wettbewerbs -fähige Energie- und Rohstoffversor gungzentrale Voraussetzungen für den Er -halt und den Ausbau des Indus trie -stand ortes Deutschland. Weder eineplanwirt schaft liche Energie- und Roh -stoffpolitik, noch marktradikalen Träu -mereien, nach denen die Märkte schonalles von alleine regeln, werden den

ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE Eckpunkte einer nachhaltigen Energie- und Rohstoff politik für den Industriestandort Deutschland — Von Ulrich Freese

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Ansprüchen einer nachhaltigen Ener gie-und Rohstoff po litik als Kern elementeiner zukunfts orientierten Indus trie po -litik gerecht.

Anfang 2012 hat die SPD-Bundes tags -fraktion mit ihrem Beschluss „So zial de -mokratische Industriepolitik – Impul sefür den Standort Deutsch land“ wich tigeLeitplanken für die wirt schafts- undsozialpolitische Grund lage der Bundes -re publik Deut sch land für die nächstenJahr zehnte gesetzt. Vergleich bare Kon -zepte sind bei anderen Parteien in dieserForm nicht einmal ansatzweise zu fin-den. In der Querschnitts auf gabe Indus -trie po litik werden in dieser Po sitions - beschrei bung folgende The men felder als entschei dungsrelevante Faktoren he raus gestellt:

> Weiterentwicklungen der Infra - struktur aber auch ihrer ge - sellschaftlichen Akzeptanz als Stand ort voraussetzung für In no va tionen,

> demografische Herausforderung und Fachkräftebedarf (Stichwort:Aus-, Fort- und Weiterbildung),

> Gewerkschaften und Sozialpart -nerschaft,

> Energie- und Rohstoffpolitik,> Technologie- und Innova tions po-

litik mit einer im Kern mittel stän - dischen Industriepolitik sowie

> Europäisierung und Interna tio - nalisierung.

Die besondere Bedeutung einer sta -bilen, sicheren, wettbewerbsfähigenund sozial ausgewogenen Energie- und Rohstoff politik für den StandortDeutsch land erklärt sich schon ange-sichts der Tat sache, dass rund 50 Pro -zent des Strom verbrauchs durch dieIndustrie erfolgt. Die Bundes repu blik ist mit einem Roh stoffbedarf von jähr-lich 1,2 Milliar den Tonnen der EU-weitgrößte Nach frager.

Großer Reformbedarf beierneuerbaren Energien

Zentrale Punkte der nach Fukushima im deutschen Bundestag einmütig be -schlossenen Energiewende bilden dieUm stel lung der Stromerzeugung auf eine hundertprozentige Versorgung auser neu erbaren Energiequellen bis zumJahr 2050 sowie die Beendigung derfried lichen Nutzung der Kern ener gie bis2022. Ein vorrangiges Ziel bildet dabeidie Rückführung der CO2-Emis sio nenum 80 Prozent gegenüber dem Jahr1990. Dieses ambitionierte Ziel bedingt –wenn es denn industriepo litisch ver-träglich für den Standort Deutschlandsein soll – sowohl eine langfristig orien-tierte, wie auch eine auf den technisch-und wirtschaftlich darstellbaren Optio -nen basierende En er giepolitik.

Dem steigenden Anteil der erneuer -baren Energien muss dabei notwen di -gerweise parallel ein entsprechender

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Ausbau der Übertragungs- und Ver tei -lungsstromnetze sowie von Spei cher - potentialen für Strom begleiten. Er kenn -bar ist, dass entgegen dem rück läufigenPrimärenergieverbrauch der Stromver -brauch insgesamt in der Bun desre pu blikDeutschland in den letzten 20 Jah ren inetwa gleich blieb beziehungs wei se leichtansteigt.

Dem heutigen Anteil von rund 12 Pro zent erneuerbarer Energien amPri mär energieverbrauch – das ent-spricht in etwa dem Anteil von Braun -kohle oder Steinkohle – steht aufGrundlage des Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEG) ein Subventions volu -men von rund 20 Milliarden Euro ent -gegen. Unbestritten ist, dass es hierReform- und Hand lungs bedarf gibt.Wenn erneuerbare Ener gien zukunfts -fähig bleiben sollen, muss ihre För de -rung nach der Bundes tags wahl sowohlkostengünstiger wie auch EU-Bin nen -markt konform erfolgen: Die jetzigeForm der Umlage belastet in hohemMaße die privaten Verbrau cher, aberauch – trotz Sonderrege lungen – diestromintensive Industrie und kann sonicht weiter fortgesetzt werden.

Hin zu kommt, dass die Endlichkeitvon Öl und Gas durch neue Förder mög -lich keiten (beispielsweise Fra cking) fürmehrere Jahrzehnte, wenn nicht Gene -rationen, in die Zukunft verschobenwird – mittlerweile ist das ein erheb - licher Wettbewerbsvorteil für die nord-

amerikanische Industrie. Fossile Brenn -stoffe werden aus heutiger Sicht des-halb nicht in dem bislang erwartetenMaß teurer werden, sondern sichvoraussichtlich in etwa auf dem heu -tigen Ni veau stabilisieren, bei einerschwachen Weltkonjunktur unterUmstän den gar preissenkend entwi-ckeln.

Der heutige Strommarkt, in dem dievorgehaltene Leistung der Kraftwerkenicht ausdrücklich honoriert wird, istauch auf Dauer so nicht mehr darstell-bar. Den noch kann für dieses Jahr zehntaus heutiger Sicht insgesamt von ausrei-chender, gesicherter Kraft werks leis tungausgegangen werden. Diese Zeit mussman nutzen, um ein neues Markt modellzu entwickeln und umzusetzen.

Strompreis ist für deutscheIndustrie sehr wichtig

Die Strompreise für die energie in ten - sive Industrie – so zum Beispiel in denBereichen Chemie, Papier, Stahl undAluminium – müssen, um wett be werbs - fähig bleiben zu können, sich auch inden nächsten Jahren an den internatio-nalen Märkten orientieren. Das heißt, esist für die deutsche In dustrie und damitfür einen Großteil der Ar beits plätze inder Bundes re pu blik von existenziellerBedeutung, dass die Preise nicht weiterins Belie bige steigen. Die sem Trendkann mittlerweile nur sehr bedingt mit

ULRICH FREESE | ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

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Ener gieeffizienz maßnah men begegnetwer den. In vielen Fällen ist die Ener -gieproduktivität in den Be trie ben aus -gereizt, erhebliche Effi zienz zuge win nelassen sich auf Basis der vor handenenTechnologien und Wertschöpfungs -ketten nicht mehr heben.

Eine vorausschauende Rohstoffpolitik ist nötig

Bei vielen Rohstoffen, insbesondereErzen, Öl, seltene Erden u. a. ist Deutsch -land auf Importe angewie sen. Damit istdie deutsche Industrie abhän gig vonoffenen, fairen und nicht diskriminie-renden Märkten. Grundsätzlich sindhinreichende Vorräte technisch undauch wirtschaftlich verfügbar. Unge -achtet dessen existieren Risiken durchpo litische Markteingriffe zum Beispieldurch Ausfuhrkartelle oder Export zölleund nicht zuletzt durch die chine sischeMarktmacht.

Solchen Ansätzen kann am ehestendurch eine koordinierte EU-Politik unddie Schaffung zusätzlicher Optio nen –Se kun därrohstoffe, heimische Quellenals Versicherungsprämie, Substitutions -strategien – entgegengewirkt werden.Die im Rahmen der europäischen Roh -stoffinitiative in Deutschland entstan-denen Rohstoff partnerschaften solltendaher weiterentwickelt und auf EU-Ebe -ne gebracht werden. Ergänzt werdenmüs sen sie durch die soziale Dimen sion.

Dieser Ansatz hat bislang weitgehendgefehlt. Hier können Gewerk schaften eine wesentliche Rolle spielen.

Bei vielen Rohstoffen verfügt Deutsch - land über wichtige heimische Quellen.Das ist kaum im öffentlichen Bewusst -sein. Insbesondere die Bedeu tung für dieWertschöpfungs ketten in der hei mischenVolkswirtschaft wird kaum beachtet.Daher ist ein Rohstoff siche rungs gesetznotwendig, um langfristige Planungs - sicherheit für den Abbau heimischerRes sourcen zu gewährleisten.

Wie in der Vergangenheit wird sichauch in der Zukunft die Bergbau tech no - logie weiterentwickeln und damit neueund verbesserte Gewinnungs me thodenStand der Technik werden. Im Bereichder Öl- und Gaswirtschaft ist diesesschon heute durch das sogenan nteFracking der Fall. Diese Tech no lo giensollten nicht nur als Risiko gesehen wer-den, sondern können auch eine Chancefür eine langfristig nachhaltige Roh stoff -option sein. Mittler weile wird beispiels-weise intensiv an der Entwick lung che-miefreier Fracking me thoden gearbeitet.

Grundsätzlich wird einer intelligen-ten Sekundärrohstoffwirtschaft einwesentlicher Anteil an einer langfris -tigen Ver sorgung der Volkswirtschaftzukommen. Die schon heute weltweitfüh rende Posi tion der Bundesrepublikmuss als integraler Bestandteil derWertschöpfungs kette der heimischenIndustrie weiterentwickelt werden.

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Dass eine Rohstoff- wie auch dieEner giepolitik für Brandenburg eine besondere Dimension besitzt, ergibtsich aus folgenden Fakten: Vergleichtman die Bevölkerungszahl Bran den -burgs mit dem Rohstoffverbrauch,er gibt sich eine Kennziffer von unge fähr32 Tonnen pro Kopf. Das ist in etwa dop-pelt so viel wie der Bundes durch schnittund auch deutlich höher als in den ande-ren ostdeutschen Län dern, deren Ver -brauch zwischen 13 und 20 Ton nen liegt.

Sinnhaft, machbar und gerecht

Unter den Rohstoffen spielt die Braun -kohle für das Industrieland Bran den -burg eine herausgehobene Rolle. Sie istderjenige Energieträger, der in Deutsch -land noch über Jahrzehnte sicher, wett-bewerbsfähig und umweltschonendgewonnen werden kann. Er bildet somiteinen unverzichtbaren Eckpfeiler einerlangfristigen Energie- und Industrie -politik. Sowohl mittel fristig im energe -tischen Einsatz in Kraftwerken als auchlangfristig in der Veredlung bietet dieBraunkohle für Brandenburg wie auchfür die produzierende Industrie her -vorragende Optio nen als eine perspek -tivisch sichere, bezahlbare Rohstoff -quel le. Dieses Potential gilt es in derZukunft weiter zu nutzen.

Die Nutzung erneuerbarer Energienist das politische Ziel quer über die

Par teigrenzen hinweg, bezahlbare Prei -se für Verbraucher und Wirtschaft aber zugleich Grundvoraussetzung für einenachhaltige Entwicklung in unseremLand. Das geschieht nicht von alleine.Hier ist eine kluge, konsequente Ener -gie politik gefordert. Sonst ist der Drei -klang aus ökologischer Sinn haf tig keit,wirtschaftlicher Machbarkeit und so -zialer Gerechtigkeit nicht zu erreichen.Es gibt noch viel zu tun. |

ULRICH FREESEist stellvertretender Vorsitzender derIndustriegewerkschaft Bergbau, Chemie,Energie (IG BCE).

ULRICH FREESE | ZWEI SEITEN EINER MEDAILLE

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I.Nach aktuellen Studien des For -schungsinstituts Prognos behauptet

Deutschland in vielen Wirtschafts bran -chen seinen Anteil am Weltmarkt oderbaut ihn sogar aus. Der Anteil Deutsch -lands an der weltweiten Indus triepro -duktion ist demnach in der vergangenenDekade von 7,6 auf 8,1 Prozent gestie-gen, an den weltweiten Exporten von12,1 auf 14,3 Prozent. Mehr als 40 Pro -zent der deutschen Exporte entfallendabei auf die vier Top-Branchen Auto -mo bil, Luft- und Raumfahrt, Maschinen -bau und Metallerzeugnisse.

Innovative Produkte und Verfahren„Made in Germany“ sind auch auf denneuen Wachstumsmärkten außerhalbEuropas sehr gut vertreten und tragenso maßgeblich zum Wohlstand unseresLandes bei. Es ist aber auch eine Ver -lagerung wertschöpfender Anteile inSchwellenländer und Länder Ost euro -pas festzustellen. Nach einer in 2012vom Deutschen Institut für Wirtschafts -for schung (DIW) vorgelegten Studie:„FuE1-intensive Industrien und wissens-

intensive Dienstleistungen im interna-tionalen Wettbewerb“ ist die starkeSpezia lisierung auf forschungsintensiveIndustrien wie die der Elektrotechnik,dem Maschinenbau, der Chemie oderdem Fahrzeugbau ein wesentlicherFaktor der langfristigen strukturellenWettbewerbsstärke der deutschenIndustrie.

Die Schuldenkrise holt eine Erinnerung zurück

Zusätzlich fördern gezielte Inves ti tio -nen in zukunftsweisende Standorte,Herstellverfahren und Anlagen die lang-fristige Wettbewerbsfähigkeit undschaffen zusätzliche Arbeitsplätze wiezum Beispiel in der Warenlogistik.Somit hat sich neben der allgegenwär -tigen Diskussion um die Energiewendeund Euro-Schuldenkrise die produzie-rende Industrie wieder als Fels in derBran dung in Erinnerung gebracht. Nach

ULRICH BERGER | DIE INDUSTRIELLE PRODUKTION VON MORGEN

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DIE INDUSTRIELLEPRODUKTION VON MORGEN Wie eine Vision für die Hauptstadtregion aussehen kann — Von Ulrich Berger

1 FuE: Forschung und Entwicklung

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einem Bericht des Statistischen Bundes -amts hat das verarbeitende Gewerbe imJahr 2012 überproportional zur deut-schen Wirtschaftsleistung (BIP) beige-tragen. Getrieben von der Nachfrage ausdem Ausland, stieg der Anteil am BIPauf rund 26 Prozent an, dies entsprichtim Vergleich zu 2009 einer Steigerungum fast 3 Prozentpunkte.

Trotz des enormen Strukturwandelsin der Europäischen Union und der Zu -nahme des Dienstleistungsanteils inallen Branchen weist Deutschland iminternationalen Vergleich immer nochden höchsten Industrieanteil am BIPauf. Die industrielle Produktion stelltdaher auf Grund ihrer vielfältigenProdukt-, Markt- und Absatzmöglich -keiten eine stabile und zuverlässigeGröße für den Wohlstand unseres Lan -des dar. In jüngster Zeit findet dahereine flächendeckende gesellschaftlicheRückbesinnung auf die industrielleProduktion als elementare Basis desWirtschaftswachstums eines Landesoder einer Region statt.

Dies gilt auch für die Hauptstadt -region Berlin und Brandenburg. So ver-zeichnet das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg für 2011 im verarbeitendenGewerbe einen Zuwachs auf 332 (Berlin)und 436 Betriebe (Brandenburg) bei81.000 (Berlin) und 79.000 (Branden -burg) Beschäftigten und einem Umsatzvon etwa 23,1 (Berlin) und 22,8 (Bran -den burg) Milliarden Euro. Dabei sind

jedoch nur Betriebe mit mehr als 50Mitarbei tern berücksichtigt. Die vielenkleinen Betriebe in der Region tragenjedoch ebenfalls entscheidend zur Wert -schöp fung bei.

Das Interesse wächst bei Besuchern und Investoren

Die geschichtliche Entwicklung inBerlin und Brandenburg kann auf einejahr hundertelange Industrietraditionzu rück blicken. So liefern Elektro- undSchwermaschinenbau, Schienen- undPersonenkraftfahrzeugproduktion,Metallverarbeitung und Tagebau über-all in der Region viele historische Zeug -nisse, die für eine gewachsene Indus -triekultur stehen. Diese Indus trie kulturwird heute noch in der Bevölke rungsehr positiv wahrgenommen und er -weckt ein wachsendes Interesse beiBesuchern und Investoren.

II.Die Hauptstadtregion Berlin-Bran -denburg ist mit Blick auf die

indus triellen Voraussetzungen durchdifferen zierte Alleinstellungsmerkmaleim Ver gleich zu anderen Bundesländerngekennzeichnet. Daher sind die im Bun -desgebiet erprobten und vorgeschlage-nen Mittel zur Sicherung und Steige -rung der industriellen Produktion nichtoder nur in Teilen übertragbar. Einehohe Wissenschaftsdichte und ein gro-ßes Angebot an gut ausgebildeten Fach -

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kräften in der Kernregion schaffen wich-tige Rahmenbedingungen für die not -wen digen industriellen For schungs -grundlagen. Einige große Betriebe mitüber 1.000 Mitarbeitern sind starkexport orientiert und verzeichnen über -proportionale Aufwen dungen in For-schung und Entwicklung.

In Brandenburg haben sich viele kleine und mittlere Unternehmen zuregionalen, industriellen Wertschöp -fungs netzwerken und Zweckverbändenzu sammengeschlossen, um strukturelleDefizite im Technologietransfer, derExportförderung und der Internationa -lisierung auszugleichen. Die so entstan-denen Netzwerke übernehmen vieler-orts durch ehrenamtliches Engagementvon Betrieben und Mitarbeitern vielesoziale und kulturelle Funktionen wiezum Beispiel die personelle und säch -liche Ausstattung von Ortsfeuerwehrenoder den Erhalt kultureller Einrich tun -gen wie Theater und Museen. Dadurchwird ein wichtiger positiver Bezug zwi-schen industrieller Produk tion und ge -sellschaftlichem Engage ment abgeleitet.

Die Zukunft in Berlin und Branden -burg wird, wie auch in ganz Deutsch land,mehr und mehr durch den gesell schaft -lichen Diskurs und das Enga ge mentjedes Einzelnen geprägt. Nutzen- undRisikoüberlegungen aber auch Chancen -abwägungen und Zukunftsperspektivenwerden viel stärker als in der Vergan gen -heit gemeinsam diskutiert und kommu -

niziert. Green oder Clean Techno logieshaben stark an Bedeutung gewonnen.Dabei geht es um Innovationen in res-sourcenschonende und nachhaltigeEnergieerzeugung und Mobilität sowiedie energieeffiziente und emissionsarmeHerstellung und Weiterverarbeitung vonProdukten.

Drei Säulen für die Industrie von morgen

Die Innovationen in diesen Feldern be-nötigen jedoch auf Grund der interdis-ziplinären Anforderungen andere indus-trielle Umsetzungsmechanismen als diebisher bekannten. Vorrangiges Zielmuss daher die Verlängerung und Kom -plettierung von Wertschöpfungs kettenin diesen Zukunftstechnologien inner-halb des regionalen Wirtschafts raumesder Hauptstadtregion sein. Der in 2012durch die Regierungen beider LänderBerlin und Brandenburg initiierteCluster prozess reagiert darauf mit derzunehmend übergreifenden Zusam -menarbeit in Branchen und Kompe -tenzfeldern in Kooperation mit externenForschungs- und Entwick lungs einrich -tun gen. Ziel ist es, die bereits 2007 iden-tifizierten gemeinsamen Zukunftsfelderzu länderübergreifenden Clustern zuentwickeln.

Die im Juni 2012 beschlossene Ge -mein same Strategie (innoBB) führt diebisherige Kohärente Innova tions stra -

ULRICH BERGER | DIE INDUSTRIELLE PRODUKTION VON MORGEN

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tegie des Landes Berlin und das Landes -innovationskonzept (LIK) Brandenburgszusammen und ersetzt diese. BeideLandesregierungen haben dabei auchdie Themen der industriellen Entwick -lung und der Nachhaltigkeit aufgegriffenund durch entsprechende Strategiepa -piere unterlegt (Masterplan Industrie -stadt Berlin 2020, Leitbild und Aktions -plan „ProIndustrie“ Brandenburg). Diepolitischen Rahmen bedingungen undHand lungs felder für den Ausbau der in-dustriellen Basis sind damit vorhanden.Wie kann aber die industrielle Zukunftder Hauptstadt region, die die vorhan -denen Potentiale aufnimmt, weiter entwickelt und in einem gemeinsamenWirt schaftsraum abbildet, konkret ver wirk licht werden?

III.Es wird eine Drei-Säulen -Stra -tegie vorgeschlagen, die in der

ersten Säule die Exportfähigkeit derindustriellen Produktion im weltweitenWettbewerb steigert. Der technologi-sche Vorsprung bei Produkt- und Pro -zessinnovationen in der Investitions -güterindustrie beträgt in der Regel dreiJahre. Nur durch kontinuierliche Neu-und Weiterentwicklung können Kun -den kreis und Marktposition unter densich ständig verschärfenden Wettbe -werbs bedingungen abgesichert werden.

Die zunehmende Verkürzung derProduktlebenszyklen verlangt abergerade kleinen und mittelständischen

Betrieben (KMU) hohe Innovationskraftund einen ständigen Wandlungsprozessab. Wesentlicher Aspekt der Zukunfts -sicherung bleibt gerade für diese Be trie -be die Erhöhung der FuE-Aufwen dungenauf den für eine nachhaltige Ent wick -lung notwendigen Wert von 3 Prozentvom Umsatz. Hier müssen, auch wegendes Fehlens großer, konzerngebundenerIndustriefor schungs zentren, wie sie imSüden Deutschlands existieren, neueWege erschlossen und begangen werden.

Technologietransfer brauchtstärkeren Fokus

Der FuE-Anteil, das heißt sowohl derPersonalstand als auch die internenAufwendungen im verarbeitendenGewerbe, könnte durch zielgerichteteMaßnahmen, zum Beispiel fiskalischeAnreize oder Schaffung von Innovati -ons verbünden deutlich gesteigert wer-den. Die Strukturen des Technologie -transfers zwischen Wissenschaft undWirtschaft müssen stärker auf innova -tive, zukunftsweisende Produkte undTechnologien aber auch auf deren Her -stellung in regionalen Wertschöp fungs -ketten ausgerichtet werden.

Die Technologiezentren in der Re gionbefassen sich mit spezialisierten The -men wie zum Beispiel der Grund lagen -forschung zu Polymeren, metallischemLeichtbau oder Beschich tungs techno -logien, sind aber mit Blick auf die indus-

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triellen Anwendungen der Zukunft nochnicht genügend miteinander verknüpftund können daher vorhandene Poten -tiale nicht vollständig erschließen.Schließlich werden zukunftsweisendeInformations- und Kommuni ka tions -technologien wie selbststeuernde Fabri -ken und Logistiksysteme, virtuelleEntwicklungstechnologien sowie neueFormen der Mensch-Maschine-Koope -ration die industrielle Produktion derZukunft beherrschen. Diese Zusam -menhänge werden auch in der 2012herausgegebenen Studie des BDI/BDAunter dem Titel „Deutschland 2030: Zu kunft der Wertschöpfung“ besondershervorgehoben.

Die zweite Säule bildet eine mit allenAkteuren aus Wirtschaft, Wissenschaftund Politik abgestimmte Internationa -lisierungsstrategie, die Innovationen„Made in Berlin“ oder „Made in Bran -denburg“ durch gezielte Neu gründungoder Beteiligung in Ländern außerhalbEuropas, zur herstellungstechnischenUmsetzung bringt. In diesen Ländernstehen meist hohe Einfuhrzölle oderandere Handelshemmnisse wie zumBeispiel local content-Vorschrifteneinem direkten Export entgegen. VieleKMU aus der Region folgen hier schonseit einiger Zeit global agierenden Un -ternehmen und bilden oft das Rück gratganzer Produktionsstandorte, wie eszum Beispiel in der Kraftfahrzeug in dus -trie bereits die Regel ist.

Durch dabei erworbenes technisches,organisatorisches und interkulturellesKnow-how können die Tochterge sell -schaften in aller Welt zur Standort si -cherung der Stammhäuser in der Haupt -stadtregion beitragen. Auch der rascheund direkte Informations austausch zuharten und weichen Standortfaktorenim jeweiligen Partnerland sowie die di -rekte Rück kopplung zu Verbund- oderSystem partnern im Inland spielt einegroße Rolle. Schließlich kann in derNähe zu den Absatzmärkten die pro-duktnahe Dienstleistung abgesichertund ausgebaut werden. Wer das letzteSegment im Produktlebenszyklus be -herrscht, schafft nicht nur Mehrwerteüber Ersatzteilhandel und Instand hal -tung, Wartung und Reparatur, sondernist auch Kunden und Absatzmarkt stetsso nahe, dass er Trends und Entwick -lungen viel schneller erfassen und auf-greifen kann.

Ausländische Investorensuchen Talente

Die dritte Säule bildet die gezielte Ein -werbung von Direktinvestitionen ausdem Ausland (das so genannte ForeignDirect Investment), die sich in zweiBereiche aufteilt. Zunächst werdenInvestitionen in Produktionsstandortemit hohem Technologie- und Qualitäts -anspruch betrachtet. Dabei wählen aus-ländische Investoren vorwiegend Re gio -

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nen aus, an denen schon ähnliche An -sied lungen realisiert wurden und einehohe Dichte an Forschungs- und Ent -wicklungseinrichtungen existiert.Erfolgreiche Entwicklungen sind inBrandenburg am Beispiel der Ent wick -lung und Produktion von Flug zeug tur -binen zu verzeichnen.

Eine andere Investitionsstrategie verfolgen überwiegend talentgetriebe-ne, nicht langfristig plan- und vorherseh-bare Innovationen. Ein Beispiel hierfürist die rasante Entwicklung bei Smart -phones, die über neue Entwicklungs me -thoden wie Design Thinking entwickeltund mit immer umfangreicheren Funk -tionalitäten angeboten werden. Dazu ist ein großes Reservoir an naturwissen-schaftlichem und insbesondere inge -nieur wissenschaftlichem Humankapitalerforderlich.

Verzahnung von Herstellung und Innovation

Gerade in der Hauptstadtregion mit ihrer international anerkannten hohenWissenschaftsdichte bestehen hierzugroße aber, gerade auf die industrielleInnovation bezogene, unerschlossenePotentiale. Vordringliches Ziel bleibt jedoch bei all diesen Strategien die enge,standortnahe Verzahnung zwischenHerstellung und Innovation. So kann dieProdukt- und Prozessinno vation stetsgekoppelt und der Regel kreis zwischen

Innovator, Produzent, Zulieferer undMarkt durchgehend geschlossen werden.Die positive Wir kung der ausländischenDirekt investi tio nen zur Standort siche -rung in Inland wird auch durch das imFrühjahr 2013 veröffentlichte Gutachtenzur For schung, Innovation und techno -logischen Leis tungsfähigkeit Deutsch -lands durch die ExpertenkommissionFor schung und Innovation (EFI) beson-ders gewürdigt.

IV.Die Umsetzung der Drei-Säu len-Stra tegie verlangt ein sys te -

matisches und koordiniertes Ar beits -programm, das kurz-, mittel- undlang fristige Zielstel lungen verfolgt.Dabei ist es sinnvoll, säulenübergrei-fende Arbeitsstrukturen zu entwickeln,die in allen Bereichen Wirkung entfal tenkönnen. Die beispielhafte Umset zungkann am Vorbild eines neu zu schaffen-den Brandenburger Instituts für Indus -trielle Innovation (B3I) näher erläutertwerden. Das B3I gliedert sich in dreifunktionale Hauptbestand teile, die demAnspruch an Technologie, Infor mation,Kommu nikation sowie Qua li fi zierunggleichermaßen Rechnung tragen.

Die Basis bildet das B3I-Lab, in demindustrielle Zukunftstechnolo gien lauf fähig abgebildet werden. Arbeits -schwer punkte im B3I-Lab beinhaltendie Identifizierung und systematischeVerknüpfung des vorhandenen indus-triellen Leistungsportfolios der Haupt -

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stadtregion mit einer „zerstörerischen“Innovationskraft, die sich insbesonderedurch neue Technologien in der Infor -ma tionsverarbeitung (IKT) herausbildet.

Diese Entwicklung wird in Fach - kreisen auch als nächste industrielle Re volution oder Industrie 4.0 bezeich-net und ist derzeit durch erheblichesFuE-Engagement in Bund und Länderngekennzeichnet. Voraussetzung ist die flächendeckende Etablierung des„Internet der Dinge“ und „Internet derDienste“ im Rahmen bestehender undneuer Wertschöpfungsketten. Der Sys -temgedanke Industrie 4.0 ertüchtigtCyber-Physical Systems zur Anwendungin der produzierenden Industrie. Da -durch wird die modelltechnisch, kom-munikationstechnisch und interaktions-mäßig durchgängige Bearbeitung vonProdukten, Produktionsmitteln undProduktionssystemen erreicht.

Flankiert werden diese Entwicklun gendurch die Entwicklung und Ein füh rungneuer Organisations- und Gestal tungs -modelle sowie neuer Arbeits kulturen(offenes Informa tionsfundament).Dadurch können dynamische Verän -derungen in industriellen Wertschöp -fungs ketten, die durch Markt- undAbsatzvolatilität, ad hoc-Liefer struk -turen und variable Produktions ka pa -zitäten entstehen, weitaus schnellererkannt und kompensiert werden. Un -terschiedliche Infrastruktur platt formenfür Entwurf, Realisierung und Erpro -

bung neuer industrieller Techno logienmit ausgewähltem Regionalbezug (zumBeispiel Leichtbau, energietech nischeAnlagen, Metall-Wertschöp fungs netz -werke, ressourceneffiziente Pro duk -tions ver fahren) können interdiszi plinärintegriert werden. Innovative Ansätzeim B3I-Lab eröffnen neue Zusammen ar -beitsmöglichkeiten für die Beschäf tig -ten in der industriellen Produktion.

Was ein Institut für Industriepolitik tun kann

Der Mensch steht im Mittelpunkt beimEntwurf neuartiger Assistenz systemefür die wandelbare Fabrik der Zukunft.Die Verwirklichung dieser Ziele erfor-dert menschzentrierte und soziotech-nisch ausgewogene Fabrik- und Arbeits -systeme in direkter An bin dung anFuE-Einrichtungen. Arbeiten in einemsich ständig verändernden Arbeits um -feld mit immer komplexeren Werkzeu -gen stellt extrem hohe Anfor de run genan Fähigkeiten und Wis sen der betei lig -ten Mitarbeiter. Diesen Anfor de run genwird durch ein auf ga ben spezi fi schesTraining innerhalb der Tech nologie -platt formen im B3I-Lab Rechnung ge -tragen.

Die Entwicklung und Bereitstellungangepasster IKT-Dienstleistungs mo -delle für die industrielle Produktionerfolgt in einem neu zu organisierendenInnovations- und Servicenetzwerk, dem

ULRICH BERGER | DIE INDUSTRIELLE PRODUKTION VON MORGEN

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B3I-Net. Die Implementierung neuer,rechtlicher und organisatorischerFunktionalitäten für die Beförderungvon unternehmensübergreifendenInnovationsprozessen, insbesondere in KMU-Verbünden, liefert wichtigeVoraus setzungen bei der Standort si -cherung im Innovationsprozess.

Aus- und Weiterbildungsind das A und O

Die Weiterentwicklung des industriellenInnovationsraums in Berlin und Bran -denburg wird durch die Integration undErweiterung der bestehenden Inno va -tions- und Technologienetzwerke inüberregionaler Form und über bestehen-de Technologie- und Cluster struk turenhinweg erreicht. So können beispiels-weise technisch spezialisierte Leis tungs - träger in der Fahrzeugtechnik mit denender Luftfahrt unter der ÜberschriftStoff- und Funktionsleichtbau oder dieder Energietechnik mit denen der Ge -bäudetechnik unter dem Begriff Ther -mo energetische Effizienzstei ge rungverknüpft werden. Das B3I-Net orga -nisiert unter Einbindung von Expertenaus dem In- und Ausland Veranstal - tungen wie Workshops oder Fachkon fe -ren zen zu ausgewählten industriel len The mengebieten.

Eine weitere Aufgabe bildet die Ver -knüpfung des B3I-Net mit existierendensozialen und staatlichen Netzwerken

unter Berücksichtigung des industriel-len Bezugs. So können Fachkräfte be -darfe, Zulieferangebote, Finanzie rungs -anfragen u. v. m. direkt und zeitnahkommuniziert werden.

Das dritte Element beinhaltet einregional abgestimmtes Aus-, Fort- undWeiterbildungsangebot, das in engerVerknüpfung mit den regionalen Unter -nehmen, tertiären Bildungsträgern undForschungseinrichtungen im Rahmen derB3I-Academy umgesetzt wird. Dabei sindindividuelle, bedarfsorientierte Lö sungenfür die stark variierenden Be triebs größenzu entwickeln und neue Wege der Koope -ration zwischen Unter nehmen und For -schungsstellen (Perspektivwechsel) zuerschließen. Die kontinuierliche Aus- undWeiterbildung von industrierelevantenFachkräften für die gesamte Hauptstadt -region bekommt eine hohe Priorität.

Die im globalen Wettbewerb erfor-derlichen industriellen Schlüssel tech -nologien wie zum Beispiel im Stoff-,Form-, und Funktionsleichtbau müssenzeitnah erprobt, bedarfsgerecht adap-tiert und über personellen Transfer indie Unternehmen der Region überführtwerden. In der B3I-Academy wird ein„Bildungsatlas Technik Berlin-Bran -denburg“ erstellt werden können, derdie vorhandenen Aus- und Weiterbil -dungsmöglichkeiten in der Hauptstadt -region beschreibt, aber auch Defiziteaufzeigt und Handlungsempfehlungenfür das lebenslange Lernen formuliert.

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

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V.Die systematische Konzeption undVerwirklichung der Drei-Säulen-

Stra tegie mit Hilfe ausgewählter Me -thoden und Verfahren wie dem B3I bil-det perspektivisch einen „IndustriellenInno vationsraum Berlin-Brandenburg“,der sich auch bei kurzzyklischen Kon -junk turschwankungen anpassungsfähigund robust erweist und neue Markt -chancen zeitnah durch Produkte undProduk tionsverfahren mit hoher Qua -lität aufgreift und umsetzt. Dadurchwird er attraktiv für Investoren undFachkräfte aus dem Ausland.

Durch die vorhandenen und gut ver-netzten Unternehmens- und Zuliefer -strukturen im regionalen Wirtschafts -verkehr entstehen in Verbindung mitFuE-Einrichtungen zukunftsweisendeindustrielle Innovationen, deren Orga -nisation und Finanzierung mit neuenInstrumenten erprobt und kommuni-ziert wird. Eng verzahnte Ent wurfs-,Entwicklungs- und Herstellungs pro -zesse (open innovation) führen Kundenund regionale Produzenten viel schnel-ler und besser als bisher zusammen undschaffen die technologische Basis fürdie zunehmende Individua lisierung von Produkten bei Konsum- und Inves -titions gütern.

Dieser Innovationsraum erzeugt auch soziale Innovationen, die sich inder Etablierung sozialer Netzwerke zuBe rufs- oder Bildungsthemen oder derÜbernahme ehrenamtlicher Verpflich -

tungen ausprägen. Die sekundären undtertiären Bildungsträger (zum BeispielBerufsschulen, Hochschulen und Be -rufs akademien) haben ihr Bildungs an -gebot systematisch aufeinander ab ge -stimmt, erfüllen dadurch regionaleBil dungsaufträge und erzeugen anderer-seits internationale Forschungs exzel -lenz. Dadurch wird der wachsende Be -darf an industrienahen Fachkräften undAbsolventen in naturwissen schaft lich/technischen Studiengängen abge sichert.

Die vielfältigen beruflichen Erfah -rungen älterer Arbeitnehmer bei derSchaffung neuer Arbeitssysteme und -strukturen werden optimal genutzt und unternehmensübergreifende, alters-und qualifikationsgerechte Beschäfti -gungsmodelle erzeugen Freiräume, dieden demographischen Wandel in derGesellschaft abfedern können. Der in -dustrielle Innovationsraum Berlin-Bran -denburg befördert die kulturelle Iden -tität der industriellen Produktion undverbindet diese mit dem Wohlstand inder Region. |

PROF. DR. ULRICH BERGER ist Lehrstuhlinhaber Automatisierungs -technik der BTU Cottbus und Sprecher des Industrieclusters Metall des LandesBrandenburg.

ULRICH BERGER | DIE INDUSTRIELLE PRODUKTION VON MORGEN

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SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

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An der Bedeutung der Industrie alswichtige Quelle für Wachstum und

Wohlstand scheiden sich die Geister.Das eine Lager verweist auf die stabili-sierende Wirkung der Industrie wäh-rend der Finanz- und Wirtschaftskrise.Der im Vergleich zu anderen Staatenhohe Industrieanteil an Beschäftigungund Produktion wird im Zusammenhangmit einer klugen Krisenpolitik und einergut funktionierenden Sozialpart ner -schaft als Grund für die schnelle Erho -lung der deutschen Wirtschaft von derKrise angeführt. Nach Jahren der offi-ziell sanktionierten Deindustriali sie -rung wird nun die ReindustrialisierungEuropas gefordert. Einst als Standort -nach teil und als rückschrittlich kriti-siert, wird eine starke Industrie nun alsWettbewerbsvorteil und Zeichen derModerne gesehen.

Das andere Lager moniert die um-welt- und klimaschädlichen Auswirkun -gen der ressourcen- und energieintensi-

ven Produktionsweise. Diese Kritik gip-felt in einem post-wachstumskritischenDiskurs, der sich in Teilen durch ver-mehrte Bürgerproteste gegen Industrie -projekte ausdrückt und in seinen Extre -men eine De-Growth-Strategie fordert –also weniger Wachstum und damit weni-ger industrielle Produktion. Ein zweiterkritischer Strang verweist auf den lang-anhaltenden Struktur wan del von derIndustrie- zur Dienstleis tungsgesell -schaft. Saturierte Märkte, kostengünsti-gere Produktionsstandorte im Auslandund neue Konsummuster durch verän-derte gesellschaftliche Be darfe (Stich -wort: demografische Ent wicklung) sowieneue Technologien würden, langfristiggesehen, die De in dus tria lisierung be-schleunigen und neue Dienstleis tungs -branchen entstehen lassen.

So weit die Bandbreite der Diskus -sion: Zwar sind die Positionen in Teilenberechtigt und nachvollziehbar, dochsind die Argumente in ihrer Absolutheit

PHILIPP FINK | UNGELIEBT, BEGEHRT UND DOCH NICHT VERSTANDEN

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UNGELIEBT, BEGEHRT UND DOCH NICHT VERSTANDENDie deutsche Industrie ist entscheidend für Wachstum und Beschäftigung — Von Philipp Fink

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zu hinterfragen. Das tatsächliche Bildder Industrie ist jenseits der dargestell-ten Maximalpositionen diffuser und dieSchlussfolgerungen daraus sind diffe-renzierter.

Industrie hat wieder Boden gut gemacht

Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich die deutsche Industrie vom Krisenjahr2008/2009 einigermaßen erholt. Dochvon einem Boom kann keine Rede sein.Denn nach Berechnung von Destatis war 2012 der Anteil des produzierendenGewerbes1 an der Gesamtwirt schafts -leistung mit 26,2 Prozent nur marginalhöher als ihr Anteil von 25,9 Prozent imJahre 2008. Damit hat die Industrie teil-weise Boden wieder gut gemacht. Dennim Krisenjahr 2009 verringerte sich ihrBeitrag auf weniger als 25 Prozent. Den -noch ist ihr heutiger Anteil einer derhöchsten Werte unter den Industrie -ländern. Zum Vergleich lag 2012 derIndustrieanteil an der Brutto wert -schöpfung in Frankreich bei 12,6 Pro -zent, in Großbritannien bei 16,5 Prozentund in Schweden bei 20,5 Prozent. Dasverarbeitende Gewerbe treibt nach wievor den Export. So gingen 2011 knapp 93 Prozent der Ausfuhren auf sein Kon -to. Darüber hinaus ist die Industrie einwichtiger Nachfrager für Waren undGüter aus den anderen Sektoren derWirtschaft. Schätzungen gehen davon

aus, dass die Nachfrage aus der Indus -trie zu ca. einem Drittel der Bruttowert -schöpfung beiträgt.2

In Puncto Beschäftigung ergibt sichein anderes Bild. Zwar blieben die ge-fürchteten Massenentlassungen in derIndustrie wegen der umsichtigen Kri -senpolitik (Regelung zur Kurzarbeit,Investitionsprogramm usw.) aus, dochnach Berechnungen des Sachverstän di -genrates zur Begutachtung der gesamt-wirtschaftlichen Entwicklung lag die industrielle Beschäftigung 2011 immernoch unter dem Niveau von 2008. Damitnahm der Anteil der Industrie an derGesamtbeschäftigung von 19,6 Prozentauf 18,8 Prozent ab – die Erholung derdeutschen Industrie nach der Krise fandalso ohne Beschäftigungsausweitungstatt. Stattdessen wurde die Arbeits pro -duktivität erhöht.

Ein Grund für die unmittelbare Erho -lung war die Exportnachfrage, die durchdiverse staatliche Konjunktur program -me der Haupthandelspartner angeheiztwurde. Die deutschen Unternehmenkonnten wegen voller Lager, freier Pro -duktionskapazitäten und geringer Frei -setzung von Arbeitskräften die gestiege-

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

66 April 2013 | Heft 56

1 Im Zusammenhang mit der Industrie wird zwischen produzie-rendem Gewerbe ohne Baugewerbe (inkl. Bergbau, Ener gie,Wasserversorgung und dem verarbeitenden Gewerbe) undverarbeitendem Gewerbe differenziert. Letzteres entsprichtdem angelsächsischen Begriff des Manufacturing und kommtdem deutschen Verständnis von Industrie am Nächsten.

2 Birgit Gehrke et al., Adäquate quantitative Erfassung wissens -intensiver Dienstleistungen. Schwerpunktstudie zum deut-schen Innovationssystem 13/2009, Hannover 2009, S. 21-22.

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ne Nachfrage schnell bedienen. Damitkonnte der Exporteinbruch vom Kri -senjahr 2009 im folgenden Jahr ausge-glichen werden, und die Exporte desJahres 2011 überstiegen die Vorkrisen -werte von 2007 deutlich. Des Weiterenhat die Zunahme des Exports von Warenaußerhalb der krisengeplagten Euro -zone – vornehmlich nach China, den USAund Indien – geholfen, den Einbruch derNachfrage aus dem Euroraum zu über-winden. Dies betrifft vor allem die wich-tige Sparte der Investitionsgüter – alsoMaschinen- und Automobilbau. EinTrend, der sich nach jüngsten Berech -nungen des DIW weiter verfestigt. Dennwährend 2012 Kunden aus dem Euro -raum fast 18 Prozent weniger Bestel lun -gen aufgaben als im Vorjahr, nahmen die Aufträge außerhalb des Euroraumsum mehr als vier Prozent zu. Der Nicht-Euro raum war für fast 40 Prozent allerEx portaufträge der Investitionsgüter - branche verantwortlich. So gingen bei-spielsweise nach Angaben der Auto mo -bilindustrie fast 75 Prozent der Pkw-Ex porte nicht in den Euroraum.3

So verwundert es nicht, dass der Ma -schinenbau und die Automobilindustrieim letzten Jahr ihre Produktion weiterausbauen konnten. Doch alle anderenZweige des verarbeitenden Gewerbes –darunter die Schlüsselbranchen Chemie

sowie die Elektro- und Metallindustrie –mussten 2012 mit leichten Rückgängenkämpfen. Grund für die unterschiedlicheEntwicklung der einzelnen Branchensind andere Produktmärkte und Nach -fragestrukturen. Diese Industriezweigestellen als nachgelagerte Branchenmehr heitlich keine Endprodukte her. Sieproduzieren Waren, die bei der Produk -tion von Investitions- und Gebräuchs gü -tern verwendet werden – also beispiels-weise chemische Grundstoffe, Stahl,Fahrzeugteile, Halbleiter usw. Deshalborientieren sich die Unternehmen dieserBranchen überwiegend am Binnenmarktund nur ein geringer Teil ihrer Produkte(2012: ca. 33 Prozent) wird exportiert.

Abhängig von wenigenMärkten und Branchen

Erfolg oder Misserfolg dieser Branchenist damit im Großen abhängig von der all-gemeinen konjunkturellen Entwick lung.Laufen, wie geschehen, die staatlichenKonjunkturpakte aus und bauen Kundenwegen schlechter Geschäfts aus sichtenals Folge der Eurokrise eher ihre Lager -bestände ab als neue Waren zu bestellen,dann gehen die Bestellungen an Vorleis -tungen zurück und die Produk tion wirdletztendlich gedrosselt. Doch damit zeigtsich eine Schieflage. Denn zum einen werden die Märkte der Schwel lenländer(vor allem China) und die USA als Absatz -märk te wegen der Eurokrise immer wich-

PHILIPP FINK | UNGELIEBT, BEGEHRT UND DOCH NICHT VERSTANDEN

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3 Dorothea Lucke, Deutsche Industrie stemmt sich gegen die Krise im Euroraum, in: DIW Wochenbericht, 48/2012, S. 18.

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tiger. Die Export industrie wird damit zu-nehmend abhängig von wenigen Märk -ten. Zum anderen wird das Wachstum derIndustrie derzeit von wenigen Branchengetragen. Zusam men mit der Elektro in -dustrie waren der Maschinen- und Fahr -zeugbau für fast 45 Prozent der Wirt -schafts leistung des produzierendenGewerbes 2011 verantwortlich. Letzteredominierten 2012 wiederum den Export.

Ist wirklich alles Hightech?

Ein entscheidender Faktor für den Welt -markterfolg der deutschen Industrie istihre Fähigkeit innovative Produkte her-zustellen. Diese technologische Leis -tungsfähigkeit erklärt die starke inter-nationale Position des Maschinen- undFahrzeugbaus. Denn sie zeichnen sichdurch eine Spezialisierung auf mittel-wertige Technologien aus. Im Gegensatzzur Spitzenforschung, die im Allge mei -nen als Hightech bezeichnet wird, ist derAnteil an Grundlagenforschung gering.Dagegen sind die Forschungs- und Ent -wicklungsausgaben auf Prozess- undProduktinnovationen ausgerichtet.Inno vationen sind eher inkrementellund bauen auf bestehende Technologienkontinuierlich auf. Zwar ist die Höhe der Forschungsausgaben im OECD-Vergleich eher durchschnittlich, doch ist im internationalen Vergleich die Zahl an Patent anmeldungen hoch und

vor allem der Markterfolg der Innova tio -nen sehr bedeutend.4

Das heißt nicht, dass Spitzenfor schungnicht stattfindet. Aber die Bedeu tungdes Technologiebereichs für die Indus -trie ist im Vergleich zu mittelwertigenTechnologien geringer. Die hohe Anzahlan Patentanmeldungen aus der Spitzen -forschung steht im Widerspruch zurwirt schaftlichen Bedeutung des Sektors.Diese Diskrepanz wird damit erklärt,dass deren Forschungserkenntnisse vonFirmen in den niedrigeren Technologie -segmenten genutzt werden. Die geringePräsenz deutscher Firmen im Bereichder Spitzentechnologien wird mit demschwierigen Marktumfeld begründet. Sosind bestimmte Geschäftsfelder wegenihrer strategischen Bedeutung oftmalsstaatlich geschützt. Der Kostenaufwanddes Markteintritts ist wegen der nötigenAusgaben für Forschungsleistungen sehrhoch. Die Produktlebenszyklen bestimm-ter Technologien (z.B. Kommuni ka tions -technik, Halbleiter) werden immer kürzer,was zur Folge hat, dass die Produk tions -kosten als Wettbewerbs faktor wichtigerwerden. Damit kommt es oftmals zurVerlagerung der Produk tion an kosten-günstigere Standorte im Ausland.

Die hohe Innovationsfähigkeit deut-scher Firmen im Bereich mittelwertiger

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

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4 Christian Rammer, Innovationen: Zur technologischenLeistungsfähigkeit der deutschen Industrie, in: MartinAllespach und Astrid Ziegler (Hg.), Zukunft des Indus trie -standortes Deutschland 2020, Marburg 2012, S. 68f.

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Technologien verschafft den Unter neh -men deutliche Wettbewerbsvorteile inMärkten, die durch eine große Konkur -renz und Kostendruck gekennzeichnetsind. Denn ihre technologische Leis -tungs fähigkeit erlaubt es ihnen, lukra -tive Produkt- und Technologienischenzu besetzen. Dieser Zusammenhang erklärt im Übrigen auch den Untergangder So larindustrie in Deutschland, dieeine sehr geringe Innovationsleistungvorwies und von Wettbewerbern mitkostengünstigeren Produkten verdrängtwurde.

Kein Gegensatz zwischen Industrie und Dienstleistungen

Die Zahlen zum Zustand der Industrieund ihre öffentliche Wahrnehmung ver-decken einen unterschwelligen Struk -turwandel. Denn die Bedeutung derIndustrie für die Wirtschaftsleistungund Beschäftigung nimmt über die Zeitgesehen zu Gunsten des Dienstleis -tungs sektors ab. So stiegen zwischen1970 und 2010 seine Anteile an der Wirt -schaftsleistung von 48 Prozent auf über70 Prozent und an der Gesamtbeschäf - tigung von 45 Prozent auf fast 74 Pro -zent.5 Sicherlich ist diese Entwicklungeine Folge des Strukturumbruchs. Markt - verdrängung, neue Technologien und

veränderter Konsum haben in einigenIndustrieregionen zu einer schmerzhaf-ten Deindustrialisierung geführt.

Doch mehren sich die Anzeichen,dass dieser Deindustrialisie rungspro -zess in den letzten zehn Jahren auf -gehalten wurde. Weitere große Struk -turverschiebun gen sind ausgeblieben.Der Struktur wan del ist somit nicht einem saldenmecha nischen Nullsum -menspiel gleich zu setzen – nach demMotto: Des einen Sektors Verlust ist desanderen Gewinn. Vielmehr verwischendie Gren zen zwischen den beiden Wirt -schafts sektoren. Sie sind zunehmendmitein ander verflochten und bedingensich ge genseitig in ihrer jeweiligen Ent -wick lung.

Es sind hochwertige unternehmens-nahe Dienstleistungen als neue Ge -schäfts felder entstanden. Ein wesent -licher Faktor hierfür ist die zunehmendeDigitalisierung, die alle Geschäfts- undProduktionsprozesse sowie Kunden be -ziehungen beeinflusst. Beispielsweisewerden webgestützte Bestellsystemeeingesetzt oder Industriegüter mit Ser -vicepaketen verkauft. Die zunehmendeinternationale Verflechtung der Firmenund die Herausbildung internationalerWertschöpfungsketten erfordern einenhöheren Steuerungs- und Kontrollbedarfüber Ländergrenzen hinaus. Forschungund Entwicklung sowie Werbung, Mar -keting und Design sind entscheidendeWettbewerbsfaktoren für international

PHILIPP FINK | UNGELIEBT, BEGEHRT UND DOCH NICHT VERSTANDEN

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5 Siehe dazu: Alexander Eickelpasch: Industrienahe Dienst -leistungen: Bedeutung und Entwicklungspotenziale, WISODiskurs, Bonn 2012.

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tätige Unternehmen. Entsprechend wer-den diese Funktionen entweder von ex-ternen Dienstleistern übernommen odersie gehören zu den Kernaufgaben in dendeutschen Konzernzentralen.

Industrie zugleich Teil des Problems und der Lösung

Als Folge dieser Entwicklung sind dieunternehmensnahen Dienstleistungs -felder deutlich gewachsen. Ihr Anteil ander gesamtwirtschaftlichen Produktionist zwischen 1970 und 2010 von knapp 14 Prozent auf 32 Prozent gestiegen.Waren sie 1970 für knapp sechs Prozentaller Dienstleistungsjobs verantwort-lich, so war 2010 fast jeder Fünfte ausdiesem Sektor dort beschäftigt. Somitarbeiteten im OECD-Vergleich nur inGroßbritannien und in den USA mehrMenschen in unternehmensnahenDienstleistungen als in Deutschland. Da die Tätigkeiten eng mit denen ihrerAuftraggeber in der Industrie verbundensind, werden unternehmensnahe Dienst -leistungen auch exportiert, wenn ihreGeschäftspartner im Ausland tätig sind.Somit ist Deutschland hinter den USAund vor China der zweitgrößte Expor -teur von unternehmensnahen Dienst -leistungen.

Ohne Zweifel hat die Industrie einetragende Rolle beim hohen Ressourcen-und Energieverbrauch, bei der Emissionvon CO2 und von weiteren Schadstoffen

wie Stickoxiden. Gerade die deutschenSchüsselbranchen der Chemie und derMetallindustrie haben energieintensiveProduktionsverfahren. Nach Schät zun -gen des Umweltbundesamtes für dasJahr 2010 war das verarbeitende Ge -werbe für 20 Prozent der CO2-Emmissio -nen verantwortlich. Dennoch ist vielpassiert. Die Energieproduktivität(BIP/Primärenergieverbrauch) ist seit1990 um ca. 40 Prozent gestiegen. Eswird also weniger Energie verbraucht.Damit stößt das Wirtschaftswachstumweniger CO2 aus.

Doch bei der reduzierten Energie- undKohlenstoffintensität des Wachstumsmüssen diverse Sondereffekte berück-sichtigt werden. Zum einen hat der Nie -dergang der DDR-Industrie als Folge derWiedervereinigung einen wesentlichenund einmaligen Beitrag zur CO2-Emmis -sionsminderung und Erhöhung der Ener -gieeffizienz geleistet. Zum anderen istdie kohlenstoff- und ressourceninten -sive Produktion im Zuge der vergange-nen Restrukturierungsphasen der deut-schen Industrie ins Ausland (z. B. nachChina) verlagert worden. Da mit wurdeder CO2-Ausstoß exportiert. Zum Teilwerden diese Produkte wieder nachDeutschland als Endprodukte oder alsVorleistungen importiert. Aufgrund deshöheren CO2-Ausstoßes bei der Her stel -lung dieser Produkte importieren wirmehr CO2-Emissionen als wir exportie-ren. Schließlich, obwohl es durchaus

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

70 April 2013 | Heft 56

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Fortschritte bei der Ressourcen- undEnergieeffizienz zu verzeichnen gibt, istunser Wachstum immer noch im hohenMaß kohlenstoff- und energieintensiv.Mit der Erholung der Wirtschaft nachdem Krisenjahr 2009 stieg auch derEnergie- und Ressourcenverbrauch unddamit der CO2-Austoß erneut an. Von absoluter Entkopplung kann also keineRede sein. Das absolute Niveau der deut-schen CO2-Emissionen bleibt weiterhinum mehr als das Vierfache über der an-gestrebten Menge.

Green Tech als Wachstumsmotorund Klimaretter

Gleichwohl spielt die Industrie einewichtige Rolle bei der Lösung der Um -welt- und Klimaprobleme. Denn sie kanndie nötigen Technologien und Produkteliefern, die einen wichtigen Beitrag leis-ten, um die Energie-, Ressourcen- undMaterialeffizienz zu erhöhen und denAusstoß an Kohlendioxid zu minimie-ren. Die Entwicklung des „grünen“ Leit -markts, auch bekannt als GreenTech,verdeutlicht dies. Hierunter sind alleBranchen erfasst, die für den BereichUm welttechnik und RessourceneffizienzProdukte anbieten. Dies schließt sowohlAnbieter erneuerbarer Energien ein, alsauch Spezialchemiehersteller, Spezia - listen für Entsorgungstechnik, Anla gen -bauer und Automobilzulieferer. Die serLeitmarkt ist somit eine Quer schnitts -

branche mit Überschneidungen zu denklassischen Industriezweigen und Wirt -schaftssektoren.

Aufgrund der Universalität der Um -welt- und Klimaproblematik sind Pro -dukte aus Umwelttechnik und Ressour -ceneffizienz international nachgefragt.Angetrieben durch den hohen „grünen“Anteil an den Konjunkturpaketen, dieals Folge der Finanz- und Wirtschafts -krise 2008/2009 von vielen Staaten ini -tiiert wurden, ist der GreenTech-Marktrasant gewachsen. Betrug der weltweiteMarkt 2007 noch 1.383 Milliarden Euro,wurde sein Umfang 2010 auf 1.930 Mil -liarden Euro geschätzt. Alleine der deut-sche Markt ist von geschätzten 200 Mil -liar den Euro auf 282 Milliarden Euro imgleichen Zeitraum gewachsen.6

Dieser Markt hat sich somit zu einemwichtigen Geschäftsfeld für deutscheUnternehmen entwickelt, die einenWelt marktanteil von 15 Prozent halten.Bei einer prognostizierten Wachstums -rate des globalen GreenTech-Markts vonmehr als fünf Prozent pro Jahr wird sei-ne Bedeutung als Zukunftsmarkt weiterzunehmen. Bereits 2011 besaß dieserWirtschaftszweig in Deutschland einenAnteil von fast elf Prozent am Bruttoin -landsprodukt und beschäftigte 1,4 Mil -lionen Menschen in Dienstleistungenund Industrie. Sicherlich sind die Wachs -

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6 Siehe dazu: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutzund Reaktorsicherheit: GreenTech made in Gemany 3.0Umwelttechnologie-Atlas für Deutschland, Berlin 2012.

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tumsprognosen angesichts der künfti-gen konjunkturellen Unwägbarkeitenmit Vorsicht zu genießen. Sie machenaber deutlich, dass die Steigerung derEnergie- und Ressourceneffizienz luk -rative Geschäftsfelder eröffnen sowieBe schäftigung sichern und ausbauenkann. Somit findet ein Strukturwandelstatt, der zugleich der traditionellenIndustrie und ihren Arbeitnehmern neueMöglich keiten beim ökologischen Um -bau schafft.

Eine integrierte Industriepolitik wird gesucht

Die kurze Zustandsbeschreibung derdeutschen Industrie unterstreicht diezentrale Bedeutung für Wachstum undBeschäftigung. Allerdings sind Schief -lagen zu erkennen, die behoben werdenmüssen, um fehlerhafte Entwicklungenund spätere schmerzhafte Restruktu rie -rungen zu umgehen. In diesem Fall istdie Politik gefragt, entsprechende An -reize zu schaffen und Unterstützung zuleisten. Denn die geforderte Renaissanceder Industrie setzt eine kluge Industrie -politik voraus. Zwar findet Industrie po -litik in verschiedenem Umfang und durchverschiedene Akteure auf verschiedenenPolitikebenen statt, doch sind diese Maß -nahmen in seltenen Fäl len koordiniertund miteinander abgestimmt.7

Das starke Wachstum des grünenLeitmarkts unterstreicht die wichtige

Rolle des Staats bei der Schaffung vonMärkten, der Gestaltung von Rahmen -bedingungen und dem Setzen von An -reizen, um Markteintrittsbarrieren ab-zuschaffen. Ohne die Konjunktur paketeder vergangenen Jahre wäre der Marktfür Umwelttechnik und Ressourceneffi -zienz nicht in der Form gewachsen.Ebenso ist es undenkbar, dass der Sie -geszug der erneuerbaren Energien ohnedas entsprechende Gesetz stattgefundenhätte. Der Erfolg von GreenTech zeigtauch, dass die Industriepolitik als Quer -schnittsaufgabe stärker in den Dienstgesellschaftlicher Bedürfnisse gestelltwerden muss und sich nicht an einzel-nen Politikfeldern orientiert oder ein -zelne Branchen und Technologien för-dert. Die enger werdende Verzahnungzwischen Dienstleistungen und mate-rieller Produktion erfordert eine inte-grierende Vorgehensweise, die einenbranchen- und sektorübergreifendenAnsatz verfolgt. Damit muss Dienstleis -tungspo litik Teil einer integriertenIndus triepolitik sein.

Ständige Innovationen sind ein we -sent licher Wettbewerbsfaktor für diedeutsche Industrie. Entsprechend solltedie Forschungspolitik auf die Verzah nungvon Unternehmen aus den verschie denen

SCHWERPUNKT | WO ES STINKT UND KRACHT

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7 Jörg Meyer-Stamer, Moderne Industriepolitik oder post mo -derne Industriepolitiken?, Schriftenreihe Moderne Indus trie - politik 1/2009, Berlin.

8 Hans G. Schreck und Uwe Thomas, Nachhaltige Wettbe werbs -fähigkeit durch junge Unternehmen, WISO direkt, Bonn.

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Technologiesparten achten und die Zu -sammenarbeit mit den Hochschulen un-terstützen. Aufgrund des Kostendrucksim internationalen Wettbewerb und derhohen Eintritts barrieren sollte die For -schungspolitik am Einsatz des Personalsansetzen. Somit können beschäftigungs-politische Effekte erzielt werden und jun-ge Unter nehmen unterstützt werden.8

Schließlich muss die beginnende Ab hängigkeit des Exports von wenigenaußereuropäischen Märkten abgewendetund die Dominanz der industriellen Wert -schöpfung durch wenige Branchen gemil-dert werden. Die Stärkung der Binnen -nachfrage in Deutschland kann hierbeieine wichtige Rolle spielen. Denn zum einen werden Konsum und Investi tio nenangeregt. Zum anderen könnte der gebeu-telte Euroraum von einer verstärktendeutschen Importnachfrage profitieren.Doch diese Aufgabe ist nicht nur durchdie Industriepolitik zu lösen, sonderndurch eine europäische Krisen politik, dienicht allein auf Austerität setzt. |

DR. PHILIPP FINK ist Referent für Nachhaltige Strukturpolitikin der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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Wir sind ein reiches Land. Wir bau -en die besten Autos und Flug -

zeuge. Wir haben die besten Ingenieure.Wir forschen, entwickeln und verkaufenunsere Ideen und Produkte weltweit.„Made in Germany“ ist ein Qualitäts merk -mal – weltweit anerkannt und geschätzt.

Gleichzeitig spüren die Menschen inDeutschland, dass die Schere zwischen„arm“ und „reich“ immer weiter ausei-nandergeht. Dies wurde beispielsweisesehr deutlich in der Diskussion über denvon der Bundesregierung zensierten Ar -muts- und Reichtumsbericht.

Wir können unseren Wohlstand heu -te nur dann sichern, wenn wir unserLand zusammenhalten, wenn alle Men -schen gleiche Chancen haben und nie-mand zurückbleiben muss. Deshalbmüssen wir soziale Gerechtigkeit undwirtschaftlichen Erfolg endlich wiedermiteinander verbinden. Dafür brauchenwir den gesetzlichen Mindestlohn, eine

solidarische Bürgerversicherung undBildungs chancen für alle. Jedoch: Wohl -stand muss erwirtschaftet werden. So -ziale Gerechtigkeit und wirtschaft lichesWachstum sind zwei Seiten derselbenMedaille. Einerseits ist der soziale Frie -den in Deutschland ein wesent licherFaktor des wirtschaftlichen Erfolgs.Andererseits wäre unser soziales Sys -tem ohne die Leistungskraft der Unter -nehmen und ihrer Mitarbeiterin nen undMitarbeiter nicht zu halten.

Der Mittelstand stellt 60 Prozentder Arbeitsplätze

Deshalb brauchen wir eine aktive Indus -trie- und Mittelstandspolitik. Unterneh -mergeist ist Voraussetzung für den Fort -bestand der sozialen Markt wirt schaftund den gesellschaftlichen Zu sam men -halt in Deutschland: Mittel stän discheUnternehmen erbringen 40 Pro zent

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ANDREA WICKLEIN | WOHLSTAND MUSS ERWIRTSCHAFTET WERDEN!

WOHLSTAND MUSS ERWIRTSCHAFTETWERDEN! Wie die kleinen und mittleren Unternehmen weiter für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen können — Von Andrea Wicklein

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unse rer Wirtschaftsleistung. Sie be -schäftigen 60 Prozent unserer Arbeit -nehmerinnen und Arbeitnehmer undbiden 80 Prozent der Azubis aus. Derdeutsche Mittelstand und das Hand -werk sind nicht nur das vielgeprieseneRückgrat der deutschen Wirtschaft: Sie sind vielmehr ihr Herz.

Es fehlen großeUnternehmeszentralen …

Die vielen kleinen und mittleren Unter -nehmen stehen für Qualität, Erfinder -geist, Wettbewerbsfähigkeit, ebenso wie für soziale Verantwortung, guteArbeit und Aufstiegschancen. Rund 3,7 Millio nen kleine und mittlere Unter -nehmen sowie Selbständige in Hand -werk, Industrie, Handel, Touris mus,Dienst leistungen und Freien Berufenprägen die Vielfalt und den Erfolg desdeutschen Mittelstandes. Gemeinsammit ihren Arbeitnehmern sorgen sie mitKreativität und Innovationen für dieWettbewerbsfähigkeit der deutschenWirtschaft. Und das tun sie nicht weitweg, sondern direkt vor Ort: in unsererRegion, unserer Stadt, unserer direk -ten Nachbarschaft. In Brandenburg ist die Wirtschaft eindeutig kleinteilig orga nisiert. Im Durchschnitt hat ein mittel ständischer Betrieb bei uns 14 Be schäf tigte. Zum Vergleich: ImBundes durch schnitt sind es 18. Uns fehlen immer noch Unternehmens -

zentra len, aber: diese Kleinteiligkeit istnicht zwangsläufig ein Nachteil.

Kleine und mittlere Unternehmensind sehr flexibel, innovativ und zeich-nen sich häufig durch eine starke regio-nale Verbundenheit aus. In der Finanz-und Wirtschaftskrise war es zuallererstder Mittelstand, der unser Land gutdurch diese Krise geführt hat – mitVernunft und Verantwortung, langfris -tiger Orientierung und Verzicht aufkurzsichtige Zockerei. Auch deshalb war Bran denburg weniger von der Krisebetroffen als andere Bundesländer. De -mo grafischer Wandel, Fachkräfte man -gel, Kreditfinanzierungen, Energie wen -de, Forschung und Entwicklung undBürokratiebelastung – das sind die The -men, die landauf, landab mittelstän -dische Unternehmer beschäftigen. ImVergleich zu großen Konzernen habenmittelständische Unternehmen undHandwerksbetriebe besondere Chancen,aber auch spezifische Herausforde run -gen in diesen Bereichen zu bewältigen.Sie stehen mit den Großunternehmen ineiner harten Konkurrenz um Fachkräfte,haben einen eingeschränkteren finan-ziellen Spielraum und sind vom büro-kratischen Aufwand vergleichsweisehöher betroffen.

Ein starker Mittelstand braucht alsoRahmenbedingungen, die ihn starkmachen. Die SPD setzt weiterhin aufden Erfolg der sozialen Marktwirtschaftin Deutschland. Ein starker und innova-

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tiver Mittelstand ist der Garant dafür.Denn Innovationen in Wirtschaft undGesellschaft sind Schlüsselfaktoren fürWachstum und Beschäftigung. Und esist die Innovationsfähigkeit unsererkleinen und mittleren Unternehmen, die unseren Wohlstand entscheidend mitbegründet. Es ist ihre Risiko- undLeis tungsbereitschaft, die Wachstum,Wohlstand und Innovation sichern. Wir wollen die Rahmenbedingungen zur Entfaltung von Mittelstand, Selb -stän digkeit und Existenzgründungenverbessern. Das Handwerk spielt da bei – auch als „Ausbilder der Nation“ – einezentrale Rolle.

… und es fehlen qualifizierteFachkräfte

„Innovation“ heißt wörtlich „Neue rung“oder auch „Erneuerung“. Inno va tionensind der Schlüsselfaktor, um den tief-greifenden Veränderungen in der Gesell -schaft und den globalen ökonomischenund ökologischen Herausfor de rungenerfolgreich zu begegnen. Es sind dieIdeen der kleinen und mittleren Unter -nehmen für neuartige Produkte und ihreBereitschaft, die Unsicher heiten derEntwicklung in Kauf zu nehmen, die ein Schlüssel zur globalen Wettbewerbs -fä higkeit Deutschlands sind. Mit über30.000 forschenden und 110.000 hochinnovativen Unternehmen gibt der deut sche Mittelstand das Entwick lungs -

tempo vor. Dabei hat die Zahl der for-schenden kleinen und mittleren Unter -nehmen in den vergangenen Jahrendeutlich zugenommen.

Allerdings stellt sich die Situation inBrandenburg ein wenig anders dar: Auf -grund der fehlenden Unterneh mens -zentralen fehlt es letztendlich auch anunternehmensnaher und unterneh-menseigener Forschung und Entwick -lung. Zwar konzentriert sich in derRegion Berlin-Brandenburg 25 Prozentder deutschen Grundlagenforschung,aber die anwendungsbezogene Indus -triefor schung ist in Brandenburg unter-entwickelt. Die Ausgaben für Forschungund Entwicklung von Staat und Hoch -schulen liegen in Ostdeutschland bei300 Euro pro Einwohner und damit 60 Euro höher als die durchschnittlicheInvestitions höhe in den alten Ländern.Aber: Die Ausgaben der Wirtschaft indiesem Bereich belaufen sich in Ost -deutschland auf 220 Euro pro Ein woh -ner – in den alten Ländern sind es imVergleich 640 Euro. Hier besteht fürBrandenburg noch Handlungsbedarf.

Wie Studien belegen, schaffen Mit - telständler in innovationsgetriebenenWirtschaftszweigen deutlich mehrArbeitsplätze als Unternehmen in an -deren Branchen. Davon profitierennatürlich auch die Kommunen undLänder. Gleichwohl haben kleine undmittlere Unternehmen vielfach mitInnova tions hemmnissen zu kämpfen:

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Mangel an Fachkräften, schwierige Fi -nanzie rungs bedingungen und Be las tun -gen durch Bürokratie.

Stichwort „Fachkräftemangel“: AlsHaupthemmnis wird seitens der Unter -nehmen der zunehmende Fachkräfte -mangel, insbesondere in den sogenann-ten MINT (Mathematik, Ingenieurs-,Naturwissenschaften und Technologie)-Berufen genannt. Ohne Arbeitnehmermit dem erforderlichen Fachwissen,sind Unternehmen schlichtweg nicht inder Lage zu Innovation, Wachstum undWohl stand beizutragen. Mittelstandund Handwerk brauchen bei der Siche -rung ihrer Fachkräftebasis besondereUnter stützung. Häufig können kleinereund mittlere Unternehmen nicht mitden Angeboten von großen Unter neh -men an Hochschulabsolventen undFacharbei tern konkurrieren. Es gehörtinzwischen zu ihrer Alltagserfahrung,dass die großen Unternehmen dieFachkräfte direkt von der Universitätoder Fachhoch schu le anwerben. DieFachkräftesicherung ist eine der zen -tralen wirtschaftlichen und sozialenFragen in den kommenden Jahren. Dasbestehende Fachkräfte po tenzial inDeutschland wird bislang nicht an -nähernd ausgeschöpft. Nach Berech - nungen der Bundesagentur für Arbeit könnten bis 2025 zusätzlich bis zu 5,2 Mil lio nen Fachkräfte gewonnen werden – insbesondere unter Jugend -

lichen, Frauen, Älteren, Migrantinnenund Mi granten. Gleiches gilt für die Ge -ringqua li fizierten.

Klar ist: die Fachkräftebasis musssich verbreitern. Dazu muss die Verein -barkeit von Beruf und Familie verbes-sert und ausgebaut werden. Statt einesunsinnigen Betreuungsgeldes bedarf esmehr Investitionen in Kita-Plätze. DasZiel muss es sein, mehr Frauen undMänner in Arbeit zu bringen und nicht,sie mit falschen Anreizen zum Zuhause-bleiben aufzufordern. Um einem Fach -kräftemangel effektiv entgegenwirkenzu können, bedarf es auch mehr Durch -lässigkeit im Bildungssystem. Deshalbist es unerlässlich, das Kooperations -ver bot zwischen Bund und Ländern aufzuheben.

Ohne Zuwanderung wird unsere Wirtschaft ärmer

Ein zentraler Baustein zur Fachkräf te -sicherung ist die Beschäftigung Älterer.Viele Unternehmen haben die Po ten zi -ale älterer Beschäftigter längst erkanntund eigene Initiativen gestartet, umdiese noch stärker zu erschließen. Wei -terbildung und Qualifizierung bleibendaher Voraussetzung für die Berufs tä -tig keit älterer Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer.

Zu einer effektiven breiten Fachkräf -te basis gehören auch ausländischeFachkräfte. Ihnen muss der Anfang in

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Deutschland erleichtert werden. Dazugehört eine wirkliche Willkommens -kultur. Ein erster Anfang wäre beispiels-weise schon gemacht, wenn eine Art„Lotsendienst“ eingerichtet werdenwürde: In einem ersten Schritt könntendie wichtigsten Formulare in englischerSprache zur Verfügung gestellt werden.Darüber hinaus sollte die Betreuung auseiner Hand bei Anmeldung, Suche vonWohnung oder eines Schul- oder Kinder -gartenplatzes erfolgen. Denn: Ohne Zu -wan derung wird unsere Wirtschaft är -mer, ausländische Fachkräfte werden inDeutschland gebraucht.

Stichwort „Schwierige Finanzie -rungs bedingungen“: Während die gro-ßen Unternehmen eigene Forschungs-und Entwicklungsabteilungen in ihrUnter nehmen integriert haben, mussdieser Bereich bei kleinen und mittlerenUnter nehmen eher neben dem normalenTagesgeschäft mitlaufen. Und in derRegel können sie „Forschung und Ent -wicklung“ nicht allein aus Eigenmittelnfinanzieren. Zum einen haben viele mit-telständische Unternehmen immer nochzu wenig Eigenkapital und zum anderentreten häufig Schwierigkeiten bei derBeschaffung externen Kapitals auf. Be gründet liegt dies einerseits in denun sicheren Verwertungsmöglichkeiten:Nicht jede Innovation taugt für einewirt schaftliche Umsetzung. Sie mag einen hohen wissenschaftlichen Er -

kennt nisgewinn haben, aber ein ökono-mischer Gewinn ist deshalb nicht zwin -gend. Andererseits bieten Innovationenan sich keine Sicherheiten, die beispiels-weise für eine Kreditfinanzierung he ran -gezogen werden könnten.

Klassische Förderungengreifen nicht

Aufgrund dieser großen Unsicherheitgreifen klassische Förderinstrumente indiesen Fällen meist nicht. Somit entste-hen große Förderlücken und in derFolge gehen Chancen verloren. DiesenLuxus kann sich Deutschland schlicht-weg nicht leisten. Wie kann man alsodie Innovationsfähigkeit von kleinenund mittleren Unternehmen stärken?

Ein Vorschlag der SPD-Bundestags -fraktion ist die Einrichtung eines Inno -vationsfonds. Dieser hätte die Aufgabedie Lücken zu schließen, die derzeitdurch klassische Förderinstrumenteoder am Kapitalmarkt nicht geschlossenwerden können. Bei der organisatori-schen, inhaltlichen und finanziellenUnterstützung innovativer Projekte,von der Validierungsforschung über dieGründung bis zur Wachstumsfi nan zie -rung könnte der Innovationsfonds einegroße Hilfe sein.

Neben der bewährten Projektförde -rung durch den Bund, wie beispielswei-se im „Zentralen Innovationsprogrammfür den Mittelstand (ZIM)“, muss eine

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Form der steuerlichen Forschungs för -derung etabliert werden. Dabei sindMit nahme effekte zu vermeiden undauch jene Unternehmen zu unterstüt-zen, die mangels Gewinnen keine Steu -er gut schrif ten erhalten können. DieSPD-Bundestags fraktion schlägt dazudie Einführung einer steuerlichen For -schungs förderung in Form der wachs-tumsorientierten Personalkostenzulagevor, das sogenannte „Forschergeld“.1

Innovationen haben ihren Ursprungoftmals in jungen Unternehmen, denenaber zu wenig privates Beteiligungs ka -pital zur Verfügung steht. AlternativeFinanzierungsinstrumente wie privateWagniskapitalfonds oder auch Investi -tio nen durch sogenannte „BusinessAngels“ werden zu selten in Betrachtgezogen. Hier gibt es noch viel zu tun.Die deutsche Wirtschaft braucht einengesicherten Zugang zu Kapital. Gleich -zeitig muss sie ihren Beitrag zur fiskali-schen Stabilität unseres Landes leisten.Dazu gehört eine angemessene Besteu -erung, die die Unternehmen nicht überGebühr belastet und den verschiedenenBedürf nissen des Mittelstands und desHand werks gerecht wird. Denn auch dasmuss klar sein: Um wirtschaftsfördern-de Maßnahmen, wie Investitionen inBil dung und Infrastruktur finanzierenzu können, braucht es einen handlungs-fähigen Staat.

Grundlagen für wirtschaftlichen Er -folg und individuellen Wohlstand sindzwar die persönlichen Leistungen vonUnternehmerinnen und Unternehmernund gleichermaßen der Arbeitnehmerin -nen und Arbeitnehmer. Dennoch ist dieWirtschaftskraft eines Landes immerauch abhängig vom Grad des sozialenFrie dens, der Bildungschancen, der Infra -struktur und vielem mehr. Die Verbin -dung von wirtschaftlicher Leis tung undgesichertem sozialen Fort schritt ist dasPrinzip der sozialen Markt wirtschaft.Dies gilt auch im Hin blick auf die Ausge -staltung des Steuer systems.

Wie kann man Innovationen verwerten?

Zu einer Innovationsstrategie für denMittelstand gehört auch die Stärkungdes Wissens- und Forschungstransfers –von der Idee bis hin zur wirtschaftlichenVerwertung. Es gibt in Brandenburggute Beispiele von gemeinnützigenexternen Industrieforschungseinheiten,sogenannten „Forschungs-GmbH’en“.Wie beispielsweise das Institut fürGetrei deverarbeitung in Nuthetal, dieSchiffs bau-Versuchsanstalt in Potsdamoder auch Biopos in Teltow. Durch siewerden Forschungs- und Entwicklungs -ergeb nisse für die Allgemeinheit diskri-minierungsfrei zur Verfügung gestellt.Warum also nicht von diesen gutenBeispielen lernen und nach dem „best

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1 erstmals von Peer Steinbrück in seinen „Siegener Thesen“

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practice“-Grundsatz eine Förderung fürsolche Forschungs-GmbH’en bundes-weit einrichten?

Das Motto „Gemeinsam sind wir stark“gilt: Innovationen entstehen vor allemdort, wo sich Partner aus Wirt schaft, Wis -senschaft und Bildung in Inno vations -bündnissen zusammenschließen, um dieWertschöpfung und Wettbewerbsfähig -keit ihrer Regionen zu erhöhen. Frei nachdem Satz „Tue Gutes und rede darüber“sollten solche Technologie transfer an ge -bote der Hoch schu len bundesweit, mittel-standsfreund li cher und sichtbarer kom-muniziert wer den. Eine Möglichkeitbe stünde zum Beispiel darin, Informatio -nen über Ko ope rationsangebote vonHoch schulen und deren fachliche An -sprech partner in Form einer öffentlichenDatenbank im Internet gebündelt zurVer fügung zu stellen.

Bürokratieabbau bleibt auf der Tagesordnung

So gibt es in Brandenburg viele guteBeispiele, wo die kleinen und mittlerenUnternehmen eng und erfolgreich mitUniversitäten und Forschungs ein rich -tungen in Clustern, Netzwerken undVerbünden zusammenarbeiten. Insge -samt in neun Clustern, beispielsweisefür den Bereich Energie, Gesundheits -wirtschaft oder auch Verkehr, Mobilitätund Logistik funktioniert diese Zu sam -menarbeit bereits vorbildlich.

Stichwort „Bürokratiebe lastun -gen“: Unternehmergeist braucht Frei -raum. Der wird insbesondere für Grün -derinnen und Gründer und für kleineUnter neh men durch zu viel Bürokratiebedroht. Unnö tige, für den Mittelstandkostenträchtige Regelungen müssenabgeschafft werden, dazu gehört zumBei spiel die Verkürzung der Aufbewah -rungs pflich ten für Rech nungen und Bele -ge. Sie wäre einfach umzusetzen undhätte eine effektive Ent lastung zur Folge.

Die Bewältigung bürokratischerPflichten gehört für kleine und mittlereUnternehmen nach wie vor zu den größ-ten Herausforderungen. Wenngleichkleine und mittelständische Unter neh -men im Rahmen ihrer Informa tions -pflichten in den letzten Jahren entlastetwurden, so sind sie durch den Erfül -lungs aufwand gesetzlicher Vorgaben imVergleich zu Großunternehmen über-proportional belastet. Viele mittelstän-dische Unternehmen holen sich für Auf -gaben dieser Art externe Unterstützung,was aber wiederum Kosten verursacht,die für Investitionen nicht mehr zur Ver -fügung stehen. Schätzungen zufolgemüssen im EU-Raum größere Unterneh -men für eine Regulierungsmaßnahmedurchschnittlich ein Euro pro Mitar bei -ter ausgeben, kleine und mittlere Unter -nehmen dagegen bis zu zehn Euro proMitarbeiter. Deshalb wäre es sinnvoll,wenn die nationale und die europä ischeRechtsetzung von Vornherein auf den

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Mittelstand ausgerichtet werden würde.Die von der EU angekündigten Maß nah -men zur Verringerung der Ver waltungs -lasten für kleine und mittlere Unter neh -men sind in diesem Zusam men hang zubegrüßen. Nach wie vor wäre deshalbein Normenkontrollrat auf europä ischerEbene ein wichtiges Instrument umüber flüssige Bürokratie zu verhindern.

Verlässlichkeit schafft Sicherheit

„Wohlstand muss erwirtschaftet wer-den“ – dazu bedarf es in erster Linieeines starken Mittelstandes. Um dieseStärke behaupten zu können, brauchen –und erwarten – mittelständische Unter -nehmer von der Politik vor allem eines:Verlässlichkeit. Das Gegenteil wirddeut lich, wenn man die Energiepolitikder schwarz-gelben Bundesregierungbetrachtet. In Brandenburg wurden tausende Arbeitsplätze vernichtet, weil die Förderung von Solarstrom von heute auf morgen reduziert wurde.Verlässlichkeit sieht anders aus.

Wir brauchen eine Energiepolitik, die Umwelt- und Klimazielen ebenso ge recht wird wie den Ansprüchen anwirtschaftliches Wachstum und inter -nationale Wettbewerbsfähigkeit derWirt schaft. Die Energiewende bietetdabei vielfältige Chancen für den deut-schen Mittelstand und das Handwerk.Bran denburg ist hier im wahrsten Sinne

des Wortes „Spitze“ – bereits zum drit-ten Mal in Folge bekam das Land den„Leit stern“, den Bundesländerpreis fürEr neuerbare Energien, in der Kategorie„Gesamtsieger“ verliehen. Brandenburgbeweist eindrucksvoll, wie die Energie -wende funktionieren kann: Die rege ne -rativen Energien erweisen sich in unse-rem Land als Motor für wirtschaftli chesWachstum. Dadurch sind in Industrie,Handwerk und begleitenden Dienst leis -tungen inzwischen nahezu 21.000 Ar -beits plätze entstanden. Ver lässlich,bezahlbar, nachhaltig: Diese Attributemuss die Versorgung mit Energie undRohstoffen erfüllen – für die Bürger in -nen und Bürger ebenso wie für die kleinen und mittelständischen Unter -neh men.

Verlässlichkeit schafft Sicherheit,Sicherheit schafft die Grundlagen, umwieder zu investieren, zu wachsen undgute Arbeit und Aufstiegschancen zuschaffen. Und diese Grundlagen sind die Basis für unseren Wohlstand. |

ANDREA WICKLEIN ist Bundestagsabgeordnete und Mittelstandsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion.

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Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 25 Erneuerung aus eigner KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 30 Chancen für RegionenHeft 31 Investitionen in KöpfeHeft 32 Auf dem Weg ins 21.JahrhundertHeft 34 Brandenburg in BewegungHeft 35 10 Jahre Perspektive 21Heft 36 Den Rechten keine ChanceHeft 37 Energie und KlimaHeft 38 Das rote PreußenHeft 39 Osteuropa und wirHeft 40 Bildung für alle

Heft 41 Eine neue Wirtschaftsordnung?Heft 42 1989 - 2009Heft 43 20 Jahre SDPHeft 44 Gemeinsinn und ErneuerungHeft 45 Neue ChancenHeft 46 Zwanzig Jahre BrandenburgHeft 47 It’s the economy, stupid?Heft 48 Wie wollen wir leben?Heft 49 Geschichte, die nicht vergehtHeft 50 Engagement wagenHeft 51 Die Zukunft der KommunenHeft 52 Die Zukunft der MedienHeft 53 Welche Hochschulen braucht das Land?Heft 54 Quo vadis Brandenburg?Heft 55 Sport frei!