79
HEFT 54 NOVEMBER 2012 www.perspektive21.de BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK MATTHIAS PLATZECK: Fortschritt nur mit uns BRANDENBURG 2030: Wir gestalten die Zukunft! ULRIKE HÄFNER: Ein steiniger Weg GÜNTER BAASKE, RALF HOLZSCHUHER UND MARTINA MÜNCH: Von Pippi Langstrumpf lernen? HELMUTH MARKOV: Den Wandel sozial gestalten OLIVIER HÖBEL: Ein neues Wachstumsmodell MARTINA GREGOR-NESS: Mit Technologie, Aufklärung und Toleranz BRANDENBURGS WEG IN DEN KOMMENDEN ZWEI JAHRZEHNTEN Quo vadis Brandenburg? Jetzt auch bei facebook www.facebook.com/ perspektive21

perspektive 21 - Heft 54

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Quo vadis Brandenburg?

Citation preview

Page 1: perspektive 21 - Heft 54

HEFT 54 NOVEMBER 2012 www.perspektive21.de

BRANDENBURGISCHE HEFTE FÜR WISSENSCHAFT UND POLITIK

MATTHIAS PLATZECK: Fortschritt nur mit uns

BRANDENBURG 2030: Wir gestalten die Zukunft!

ULRIKE HÄFNER: Ein steiniger Weg

GÜNTER BAASKE, RALF HOLZSCHUHER UND MARTINA MÜNCH: Von Pippi Langstrumpf lernen?

HELMUTH MARKOV: Den Wandel sozial gestalten

OLIVIER HÖBEL: Ein neues Wachstumsmodell

MARTINA GREGOR-NESS: Mit Techno lo gie, Aufklärung und Toleranz

BRANDENBURGS WEG IN DEN KOMMENDEN ZWEI JAHRZEHNTEN

Quo vadisBrandenburg?

Jetzt auch

bei

facebook

www.faceb

ook.com/

perspektive

21

Page 2: perspektive 21 - Heft 54

| Hoffmann und Campe | Das will ich lesen

20 Jahre nach der friedlichen Revolution von 1989:

Wie viel Einheit haben wir erreicht? Welchen Aufbruch braucht Deutsch-land jetzt?

224 Seiten,gebunden

Eine persönliche Bestandsaufnahme

Page 3: perspektive 21 - Heft 54

Quo vadis Brandenburg?

Zukunft kommt von alleine. Fortschritt nur mit uns.“ Dieser aus den achtzigerJahren des vorigen Jahrhunderts stammende Slogan der SPD stand Pate, als die

Brandenburger Sozialdemokraten sich auf den Weg machten, die Zukunfts de batte„Brandenburg 2030“ zu starten. Knapp zwei Jahre dauerte der Diskus sions prozess, bei dem bewusst auch Sachverstand außerhalb der Partei einbezogen wurde. In mehrals 150 Veranstaltungen im ganzen Land Brandenburg wurden Thesenpapiere disku-tiert, Ideen entwickelt und auch wieder verworfen, wie wir Brandenburg zukunftsfestmachen können. Zukunftsfest heißt für uns, Antworten auf den absehbaren demogra-fischen Wandel zu finden und zu gewährleisten, dass in Brandenburg in allen Landes -teilen für alle Menschen gleichwertige Lebens chancen gewährleistet werden können.

Brandenburg hat in den vergangenen gut 20 Jahren dramatische Verände run -gen erlebt. Viele Menschen haben deshalb ein Bedürfnis nach Ruhe und Stabi -lität. Das ist verständlich, aber wenn wir angesichts absehbarer Veränderungenauch in Zu kunft ein „Brandenburg für Alle“ wollen, wird es ohne weitere Re for -men nicht ge hen. Willy Brandts Satz „Wer auch Morgen sicher leben will, dermuss heute für Reformen kämpfen“, behält deshalb auch für die brandenburgi-sche Landespolitik Gültigkeit.

In dieser Ausgabe dokumentieren wir den Beschluss des SPD-Landespartei tageszum Leitbild „Brandenburg 2030“. Er wird Grundlage für unser Land tagswahl pro -gramm sein, die Botschaften reichen aber weit darüber hinaus. Die Diskussion über„Brandenburg 2030“ ist damit auch noch nicht beendet. In diesem Heft haben wirdarum Autoren gebeten, einige aufgeworfene Fragestellungen zu vertiefen. OlivierHöbel stellt beispielsweise die Frage, welche Perspektiven Brandenburg als Industrie -land hat und Helmuth Markov stellt seine Sicht auf die künftige Finanzpolitik Bran -denburgs dar. Matthias Platzeck schließlich unternimmt in seinem Beitrag den Ver -such, eine erste Zwischenbilanz der Debatte zu ziehen. In künftigen Ausgaben derPerspektive 21 werden wir die Debatte um „Brandenburg 2030“ fortsetzen.

Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!

IHR KLAUS NESS

P.S. Perspektive 21 ist im Web 2.0 angekommen. Sie finden uns unter www.facebook.com/perspektive21

vorwort

Page 4: perspektive 21 - Heft 54

CCCVCVXCVXCVX

BVCBCXCVXCVXCVB

BVCBVCBCBV

Page 5: perspektive 21 - Heft 54

5perspektive21

inhalt

Quo vadis Brandenburg?BRANDENBURGS WEG IN DEN KOMMENDEN ZWEI JAHRZEHNTEN

MAGAZINMATTHIAS PLATZECK: Fortschritt nur mit uns ...................................................... 7Das neue Leitbild zu Brandenburg im Jahr 2030 enthält vier klare Punkte

BRANDENBURG 2030: Wir gestalten die Zukunft! ................................................ 13Leitbild der SPD Brandenburg

DAS STRASSENSCHILDULRIKE HÄFNER: Ein steiniger Weg .................................................................... 47

THEMAGÜNTER BAASKE, RALF HOLZSCHUHER UND MARTINA MÜNCH:

Von Pippi Langstrumpf lernen? .......................................................................... 49Welche Lehren wir aus schwedischen Erfahrungen mit sozialer und Bildungsinfrastruktur in dünn besiedelten Regionen ziehen können

HELMUTH MARKOV: Den Wandel sozial gestalten ................................................ 55Wie eine Finanzpolitik der Zukunft aussehen kann

OLIVIER HÖBEL: Ein neues Wachstumsmodell .................................................... 67Brandenburg braucht eine erweiterte industriepolitische Strategie

MARTINA GREGOR-NESS: Mit Techno lo gie, Aufklärung und Toleranz ................ 73Über Nachhaltigkeit, Dreiecksbeziehungen und alte Sachsen sprach Thomas Kralinski mit Martina Gregor-Ness

Page 6: perspektive 21 - Heft 54

Fortschritt nur mit unsDAS NEUE LEITBILD ZU BRANDENBURG IM JAHR 2030

ENTHÄLT VIER KLARE PUNKTE

VON MATTHIAS PLATZECK

I.Wir Brandenburger Sozialdemokraten arbeiten seit mittlerweile 22 Jahren mitvielen anderen daran, unser Land aufzubauen, unser Land voranzubringen, un-

ser Land zu einem Land für alle zu machen. Ein modernes Land mit Perspekti venfür alle, ein Land mit guter Bildung und mit guter Arbeit für alle, ein Land, in demGemeinsinn mehr gilt als Egoismus, ein weltoffenes Heimatland für alle, die zu unsgehören wollen.

Das war, ist und bleibt unsere Vision. Viele haben gezweifelt, ob das eine rea -listische Perspektive sei, gerade in den teilweise dramatischen neunziger Jahren.Da mals hat Regine Hildebrandt allen Zweifelnden, allen Resignierenden und allenHof fnungslosen immer wieder zugerufen: „Erzählt mir doch nich, dasset nichjeht!“ Sie und Manfred Stolpe haben immer an Brandenburgs bessere Zu kunft geglaubt und manche haben sie darum für Gesundbeter gehalten. Aber die beidenhaben recht behalten, denn wie sieht es heute aus:

n Die Arbeitslosigkeit in Brandenburg ist halbiert und liegt mittlerweile unter 10 Prozent.

n Viele Tausende neue Jobs sind bei uns im Land entstanden. n Neue Schulen und Universitäten, Straßen und Brücken haben wir gebaut. n Jeder Jugendliche aus Brandenburg mit einem halbwegs ordentlichen Schul ab -

schluss kann heute Ausbildung und Arbeit hier in der eigenen Hei mat finden. n Niemand in Brandenburg ist heute noch dazu gezwungen, Familie und

Freunde zurückzulassen und das Glück in der Fremde zu suchen, ganz imGegenteil – wir brauchen heute jede und jeden.

Auf dieses große Ziel haben wir Brandenburger Sozialdemokraten immer hingear-beitet. Heute haben wir dieses Ziel erreicht: Niemand muss mehr gehen! Auch indiesem Sinn ist Brandenburg ein „Land für alle“ geworden. Brandenbur gerin nenund Brandenburger, die unser Land in den schweren Jahren nach der Wende Rich -tung Westen verlassen haben, kehren inzwischen wieder zurück in ihre Heimat.

7perspektive21

magazin

Page 7: perspektive 21 - Heft 54

Das ist noch keine Massenrückwanderung nach Brandenburg – das wäre übertrie-ben. Aber da hat eine Schubumkehr stattgefunden und für sie gibt es gute Gründe.

So hat die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und das Institut der Deut -schen Wirtschaft wie jedes Jahr ihr wissenschaftliches Ranking aller Bundesländervorgelegt. Darin heißt es: „Das Bundesland Brandenburg avanciert allmählich zumSeriensieger und kann sich bereits zum dritten Mal in Folge das dyna mischstedeutsche Bundesland nennen.“ Daneben wurde Brandenburg als „EuropäischeExzellenzregion“ und als „Europäische Unternehmerregion“ ausgezeichnet. Undwir haben zweimal hintereinander den „Leitstern“ für das beste Bundesland aufdem Gebiet der Erneuerbaren Energien bekommen.

II.Unsere Anstrengungen zahlen sich also aus. Aber wir alle wissen gut: Es wärevöllig verkehrt, gerade jetzt nachzulassen. Soweit, wie wir bis jetzt gekommen

sind, sind wir gekommen, weil wir uns nie mit dem Erreichten zufriedengegebenhaben, weil wir immer wieder über den Status quo hinaus vorankommen wolltenund weil wir immer bessere Lebenschancen und mehr Gerechtigkeit für mehrMenschen in Brandenburg erreichen wollten.

Sozialdemokraten finden sich nicht mit den Verhältnissen, so wie sie sind, ab.Lebenschancen für alle, Gerechtigkeit für alle, ein Land für alle – diese Ziele wer-den wir niemals ganz und gar erreichen. Das wissen wir. Aber verfolgen müssen wirsie. Parteien müssen wissen, wohin sie langfristig wollen. Genau darum haben wirin den vergangenen zwei Jahren eine große neue Anstrengung unternommen undunseren Zukunftsdialog „Brandenburg 2030“ auf den Weg gebracht. Wir haben in strukturierter und systematischer Weise über den Tag hinaus gedacht:

n Was sind die großen Chancen und Risiken, die auf Brandenburg zukommenwerden?

n Was muss geschehen, damit unser Land auch noch in zwei Jahrzehnten und darüber hinaus ein lebenswertes und ein liebenswertes Land sein kann?

n Was müssen wir gemeinsam tun, um aus Brandenburg ein „wetterfestes“ Landzu machen – ein Land, das den Umbrüchen der nächsten Jahrzehnte standhal-ten wird? Ein Land, das allen seinen Bürgern auch in stürmischen Zeiten ein sicheres Zuhause ist.

n Welche Werte sind uns und den Menschen hier in Brandenburg wichtig? Wiewollen wir miteinander leben in Brandenburg? Und was müssen wir verändern,damit wir auch so leben können, wie wir uns das wünschen?

8 november 2012 – heft 54

magazin

Page 8: perspektive 21 - Heft 54

n Welche Fehlentwicklungen wollen wir verhindern, die dann eintreten, wenn wirin Brandenburg nicht auf Miteinander setzen, nicht auf Gemeinsinn und aufZusammenarbeit?

Über alle diese Fragen haben wir intensiv diskutiert, haben wir Ideen überprüftund Ideen neu entwickelt. Unter der Überschrift „Brandenburg 2030: Perspek -tiven gemeinsam entwickeln“ haben wir unsere Zukunftsperspektiven entwickelt,gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern, Experten und Wissenschaftlern,Wirtschaftsleuten, Betriebsräten und Gewerkschaftern, mit Bürgermeistern undKommunalvertretern, mit Lehrern, Erzieherinnen und vielen ehrenamtlich Enga -gierten aus Verbänden, Vereinen und Initiativen.

III. In unserem Zukunftspapier „Brandenburg 2030“ geht es um die langenLinien, um ein Leitbild, einen Orientierungsrahmen. Manche glauben ja,

eine strategische Ausrichtung auf die Zukunft sei gar nicht so wichtig. Irgendwie,sagen sie, werde es so oder so weitergehen.

Von Albert Einstein stammt bekanntlich der Ausspruch: „Ich denke niemals andie Zukunft – sie kommt früh genug.“ Persönlich ist mir diese entspannte Haltungja sogar sympathisch. Aber bei aller Bewunderung für den genialen Denker: DieserMaxime können wir uns dann doch nicht anschließen. Wir Brandenburger Sozial -demokraten müssen an die Zukunft denken. Genau das ist unsere Aufgabe undwird von uns erwartet. Es stimmt ja: Die Zukunft kommt von alleine: Aber: Fort -schritt für Brandenburg, den gibt es nur mit uns! Die Frage ist, wie diese Zukunfthier bei uns im Land aussehen wird: ob sie lebenswert sein wird – oder ob unsProbleme über den Kopf wachsen, die wir hätten voraussehen können.

Klar ist für uns: Nur ein Brandenburg, das zusammenhält, wird die Heraus for -de rungen der kommenden Jahrzehnte intakt und erfolgreich meistern. Unser allesüberwölbendes Zentralthema lautet deshalb: Wie bekommen wir es hin, dass sichdie Menschen überall in Brandenburg auch noch 2030 und darüber hinaus als Bür -ger eines gemeinsamen Landes empfinden? Wie bewahren und erneuern wir den in-neren Zusammenhalt – die innere Einheit – unseres Landes, das sich regional aufhöchst unterschiedliche Weise entwickelt? Dabei geht es sicherlich nicht nur umdas Spannungsverhältnis zwischen berlinnah und berlinfern – aber diese Spannungist es in erster Linie, mit der wir es zu tun haben.

Ich bin ja selbst Potsdamer und lebe in einer Stadt, die 1990 gut 140.000 Ein -wohner hatte. Heute hat Potsdam 157.000 Einwohner, für das Jahr 2030 werden

9perspektive21

matthias platzeck – fortschritt nur mit uns

Page 9: perspektive 21 - Heft 54

nach jüngsten Prognosen knapp 190.000 Einwohner erwartet. Zugleich bin ich Wahl -kreisabgeordneter für die Uckermark. Da läuft es umgekehrt. Die Uckermark hatte1990 knapp 170.000 Einwohner. Heute hat die Uckermark knapp 130.000 Ein woh -ner, und für 2030 wird noch mit knapp 100.000 Einwohnern gerechnet.

50.000 rauf hier, 70.000 runter da: Das sind die unbequemen Fakten. Sie ver an -schaulichen die riesige Bandbreite der Entwicklungsdynamiken in unserem Land.So völlig unterschiedlich sind die Trends, mit denen wir es zu tun haben. So ver-schieden wie die langfristigen Entwicklungstrends, so verschieden sind auch dieLebensgefühle der Menschen in den verschiedenen Regionen: die Selbstwahr neh -mungen unterscheiden sich genauso wie der Blick auf den jeweils anderen.

Wir Brandenburger Sozialdemokraten müssen darauf achten, dass solche Un ter - schiede nicht zu Vorbehalten und Animositäten führen. Es gibt aufmerk same Be -ob achter des Zeitgeschehens, die sagen: Im Gefolge der weltweiten Krise seit 2008setzt sich überall ein „Nullsummendenken“ durch. Nullsum men denken heißt:Was der eine gewinnt, verliert der andere. Nullsummenlogik bedeutet Ge gen ein -ander statt Miteinander.

Wir hier in Brandenburg sind in den vergangenen Jahren gut und erfolgreichdamit gefahren, auf die Logik des gemeinsamen Gewinnens zu setzen – undeben nicht auf Logik der Nullsumme. Auf Miteinander und Kooperation, stattauf Brotneid und Gegeneinander. Für unser Land hängt jetzt viel davon ab, dasswir uns diesen positiven Geist des Miteinanders bewahren, dass sich in Bran -den burg die Nullsummenlogik nicht durchsetzt. Denn die Verlierer wären wiralle gemeinsam.

IV. In unserem Leitbild „Brandenburg 2030“ steht nun klipp und klar, wie unser Bild von Brandenburg in zwei Jahrzehnten aussieht. Es hat vier klare

Bestand teile:

n ERSTENS: BILDUNG, BILDUNG UND NOCHMALS BILDUNG. Wenn Brandenburg einLand für alle sein und immer stärker werden soll, dann müssen wir Teilhabeund sozialen Aufstieg möglich machen. Darum heißt die entscheidende Heraus -for de rung für unser Land: Bildung. Bildung für alle. Bildung von Anfang an.Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Unabhängig davon, ob jemandbehindert ist oder nicht. Unabhängig davon, woher er oder sie kommt. Wir wollen, dass kein Kind ohne Schulabschluss bleibt. Wir wollen, dass alle Kinderüberall die Möglichkeit haben, das Abitur zu machen. Dazu werden wir konti-

10 november 2012 – heft 54

magazin

Page 10: perspektive 21 - Heft 54

nuierlich die Übergänge verbessern: von den Kitas in die Schulen, von den Schu -len in die Hochschulen, von den Schulen und Hochschulen in die Betriebe.

n ZWEITENS: SO VIEL VORSORGE WIE NUR IRGEND MÖGLICH – damit BrandenburgsKinder gar nicht erst in den Brunnen fallen. Darum stehen wir für eine Politik,die Familien mit Kindern vom Tag der Geburt an unter die Arme greift. EinePolitik, die es Frauen und Männern leicht macht, den Beruf zu verbinden mitKindern, Familie oder der Pflege von Angehörigen. Dazu brauchen wir vieleneue Formen der Kooperation zwischen Kommunen und Land, zwischen staat-lichen und privaten Einrichtungen. Dazu brauchen wir „Neues Denken“ nichtzuletzt in den Unternehmen. Dazu müssen wir ehrenamtlich Engagierte und eh-renamtliches Engagement fördern, wo immer es nur geht.

n DRITTENS: BRANDENBURG SOLL EIN LAND DER GUTEN ARBEIT SEIN – in den berlin-fernen Regionen genauso wie im Berliner Umland. Dazu brauchen wir leis-tungsstarke und innovative Unternehmen. Dazu brauchen wir aber vor allemaber auch eine faire Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmen und Arbeit -nehmern, Verbänden, Kammern, starken Gewerkschaften und Betriebsräten.

n UND VIERTENS: BRANDENBURG SOLL AUCH IN ZUKUNFT EIN LAND DES SOLIDARI-

SCHEN MITEINANDER SEIN. Nicht nur zwischen den Generationen. Sondern auchzwischen den Regionen. Wir Sozialdemokraten sind die Partei des EINEN Bran -denburg für alle. Unser Brandenburg ist ein Land, das sich nicht auseinander -dividieren lässt. Ein Land, in dem die starken Regionen solidarisch helfen, damitauch in schwächeren Regionen ein lebens- und liebenswertes Leben möglichbleibt. Wir in Brandenburg halten zusammen und wir arbeiten zusammen, weilwir davon alle miteinander viel mehr haben als von engherzigem Egoismus.

Bildung, Vorsorge, gute Arbeit und ein Brandenburg für alle in allen Regionen!Das sind unsere klaren Antworten auf die Frage: „Was wollt Ihr überhaupt?“Dafür steht die Brandenburger Sozialdemokratie. Das ist unsere Leitidee fürunsere Heimat im Jahr 2030.

MATTHIAS PLATZECK

ist Ministerpräsident des Landes Brandenburg und Landesvorsitzender der SPD.

11perspektive21

matthias platzeck – fortschritt nur mit uns

Page 11: perspektive 21 - Heft 54

12 november 2012 – heft 54

magazin

Page 12: perspektive 21 - Heft 54

Wir gestalten die Zukunft!BRANDENBURG 2030 – LEITBILD DER SPD BRANDENBURG

W ie wollen wir leben?“ Mit dieser grundlegenden Frage hat die Branden bur -ger SPD im vergangenen Jahr eine intensive gesellschaftliche Debatte zur

weiteren Entwicklung unseres Landes auf den Weg gebracht. Welche Weichenmüssen wir bereits heute und in den kommenden Jahren stellen, damit Branden -burg auch noch in zwei Jahrzehnten ein lebenswertes und ökonomisch erfolgrei-ches Land sein kann – ein Land, in dem die Einheimischen gerne zu Hause sindund das zugleich attraktiv ist für neu hinzukommende Bürgerinnen und Bürger?Darum geht es uns.

Gelegen im Zentrum des neuen Europas und zugleich in unmittelbarer Nach -barschaft zu einer der großen europäischen Metropolen besitzt unsere HeimatBrandenburg alle Chancen, ihre Zukunft tatkräftig und erfolgreich zu gestalten.Aber: Selbstverständlich ist es nicht, dass dies gelingt. Alle Chancen und Mög -lich keiten, alle Perspektiven und Potenziale sind immer nur so gut wie unsereigenes Vermögen, etwas aus ihnen zu machen. Darum ist es zwar notwendig,aber nicht hinreichend, wünschenswerte Zukunftsszenarien zu beschreiben; diesesind wenig wert ohne die realistische Bestandsaufnahme gegenwärtiger Stärkenund Schwächen. Und Zukunftsvisionen sind auch nur dann vorwärtsweisend,wenn sie verbunden werden mit strategisch klaren Vorstellungen darüber, wiesich angestrebte Ziele erreichen lassen.

Welche Ziele sind es, die wir gemeinsam in Brandenburg und für Branden -burg verfolgen wollen? In welcher Ausgangslage befinden wir uns? Und wasmüssen wir ganz praktisch tun, um aus dieser Lage heraus unseren Zielen näherzu kommen? Dieser Dreiklang von Fragen hat deshalb die Diskussionen ange -leitet, die wir im Laufe des vergangenen Jahres im Zuge unserer Zukunftsdebatte„Brandenburg 2030“ geführt haben. Dazu gehören: Soziale Gerechtigkeit, guteArbeit für alle zu fairen Löhnen, solidarischer Zusammenhalt zwischen den Men -schen und den Regionen, Organisation von Schrumpfprozessen ohne gesellschaft-liche Verwerfungen, Schutz von Natur und Umwelt, zukunftsweisende Energie -politik, „Willkommenskultur“ und Zuwanderung, Bildung für alle überall – trotzweniger Geburten – und vieles mehr.

Im intensiven Austausch mit vielen Bürgerinnen und Bürgern, mit Vereinen,Verbänden und Initiativen, mit Fachkennern aus Kommunen, Wirtschaft, Bil -

13perspektive21

Page 13: perspektive 21 - Heft 54

dung, Wissenschaft und Kultur – also der gesamten Bandbreite der demokrati-schen Zivilgesellschaft Brandenburgs – haben wir dabei zunehmende Klarheitgewonnen und für „Brandenburg 2030“ berücksichtigt. Schriftliche und münd -liche Stellungnahmen der verschiedensten Akteure haben uns angeregt und vo -rangebracht, darunter auch von vielen Gliederungen der märkischen SPD. Fürdiese starke Beteiligung auch weit über die Brandenburg-Partei hinaus gebührtallergrößter Dank. Die vielfältigen Diskussionen über unsere Thesen habengezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger mitgestalten wollen. Das wollen wirermöglichen. Dafür stehen wir.

„Brandenburg 2030“ hat das Land mit sich selbst ins Gespräch gebracht. DieMedien haben darüber lokal, aber auch überregional berichtet. Viel Lob gab esfür unseren nach vorne gerichteten Prozess, aber auch Kritik im Detail. Die zahl-reichen produktiven Wortmeldungen und Debatten aus Anlass der von uns ver-anstalteten Foren und Konferenzen haben größere Klarheit geschaffen und beiallen Beteiligten das Verständnis der Herausforderungen geschärft, vor denenBrandenburg in den kommenden Jahrzehnten stehen wird.

Unser Handeln ist aber immer auch eingebettet in bundesweite und europä -ische Rahmenbedingungen. Deshalb bedarf es auch einer märkischen „Außen - po litik“, um gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen; zum Beispiel:

n gerechter finanzieller Ausgleich zwischen den Ländern,n allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn, n weniger (Bildungs-)Föderalismus – mehr Gemeinsinn, n Steuerpolitik, die Kinder und Familien fördern,n solidarische medizinische Versorgung und zukunftssichere Pflege.

Das vorläufige Endergebnis der im Laufe eines guten Jahres geführten Diskus -sionen mit den Bürgerinnen und Bürgern Brandenburgs ist dieses Thesenpapier.Ein „End ergebnis“ ist unser Bericht deshalb, weil wir in ihm unsere zentralenEinsichten zur weiteren Entwicklung bündeln, die wir im Zuge unseres „Bran -denburg 2030“-Pro zesses gewonnen haben. „Vorläufig“ ist dieses Papier zugleichaber, weil es zweifellos – und hoffentlich – seinerseits Anlass und Ausgangspunktfür ertragreiche neue Diskussionen bieten wird. Genau das haben wir angestrebt,genau diese Dynamik bringt unser Land voran. Nur Gesellschaften, die im per-manenten Dialog mit sich selbst auf die ständige Suche nach besseren Lösungengehen, kommen langfristig voran. Eine solche Gesellschaft der besseren Lösungenwollen wir in Brandenburg sein.

14 november 2012 – heft 54

magazin

Page 14: perspektive 21 - Heft 54

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Brandenburger SPD bei den Bür ger -in nen und Bürgern unseres Landes den Ruf erworben und gefestigt, die Branden -burg-Partei schlechthin zu sein. Auf diese Zuschreibung können wir stolz sein –sie bedeutet aber vor allem enorme Verpflichtungen: die Verpflichtung, uns nie-mals auf erreichten Erfolgen auszuruhen; die Verpflichtung, jederzeit die Näheder Menschen überall im Land zu suchen; die Verpflichtung, immer wieder aufsNeue wirklichkeitstaugliche Lösungen für die Zukunft unseres Landes in allenseinen Regionen zu finden.

Und es bleibt dabei: „Zukunft braucht Herkunft“. Deshalb ist es völlig klar,dass die kontinuierliche und kritische Aufarbeitung der – bei aller Unterschied -lich keit – doppelten diktatorischen Vorgeschichte unseres Landes im 20. Jahr -hun dert auch weiterhin eine Grundbedingung der freiheitlichen Entwicklungunserer Gesellschaft sein wird. Zugleich wissen wir: Von uns BrandenburgerSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erwarten die Bürgerinnen und Bür -ger zu Recht den klaren Blick nach vorn. Von uns – und vor allem von uns –wollen sie wissen, wie es weitergehen kann mit Brandenburg. In diesem Thesen -papier haben wir deshalb unsere Vorschläge und Leitideen für die kommendenJahrzehnte zusammengefasst. Lassen Sie uns gemeinsam darüber diskutieren. WirBrandenburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hören zu.

I. BRANDENBURG 2030: EINLEITUNG

Auf der Grundlage der Prinzipien „Stärken stärken“ und „Erneuerung aus eigenerKraft“ ist Brandenburg in den vergangenen Jahren eine dynamische Aufwärts be -wegung gelungen. Diese Entwicklung ist allerdings aufgrund stark voneinanderabweichender Rahmenbedingungen in den berlinnahen und berlinfernen Regio -nen sehr unterschiedlich verlaufen.

Auf vielen Feldern ist es der Landespolitik in den letzten 22 Jahren gelungen,Lösungen zu finden, die den aus der strukturellen Vielfalt unseres Landes resul-tierenden unterschiedlichen Problemlagen gerecht werden. Diese Konzepte müs-sen entschlossen fortentwickelt werden. Denn eine vorsorgende Politik muss pra-xistaugliche Antworten auf die Vielfalt im Land finden, sie kann Unterschiedenicht wegreden oder wegbeschließen.

Auf anderen Feldern stehen Entscheidungen zu zukunftsfesten und für alleRegionen des Landes passgenauen Lösungen noch aus. So wissen wir heute, dassetwa die Gemeindereform am Anfang des vergangenen Jahrzehnts „zu kurz ge -sprungen“ ist: Ausgeklammert blieb die Frage der Aufgabenverteilung zwischen

15perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 15: perspektive 21 - Heft 54

den kommunalen Ebenen; die angelegten Maßstäbe über Gemeindemindest grö -ßen blendeten den weiteren Bevölkerungsrückgang aus; zunehmend haben kom-munale Verwaltungen Schwierigkeiten, alle Dienstleistungen qualifiziert aus eige-ner Hand zu finanzieren. Hier besteht der dringende Handlungsbedarf, einezu kunftsfeste Gesamtlösung für alle kommunalen Ebenen, also für Landkreisesowie für große und kleine Städte und Gemeinden gleichermaßen zu finden.

Unser Modell einer zukunftsfesten Kreis- und Gemeindestruktur und unsereVorschläge einer bürgernahen kommunalen Verwaltung werden wir aus der nochlaufenden breiten Diskussion bei vielen kommunalen Verantwortungsträgernwei terentwickeln. Auch die im Jahr 2013 zu erwartenden Handlungs empfehlun -gen der Enquete-Kommission des Landtages müssen noch in die in der kommen-den Legislaturperiode anstehenden Entscheidungen einfließen können. Klar istjedoch, dass wir in der kommenden Legislaturperiode Beschlüsse zu einer Funk -tional-, Kreis- und Gemeindegebietsreform treffen werden.

Dynamische Entwicklungen zu fördern und zu nutzen, um zugleich solidari-schen Ausgleich zu ermöglichen, darin besteht die Herausforderung jeder Zu kunfts -politik für das gesamte Brandenburg. Diese Aussagen liegen unseren Thesen fürBrandenburg 2030 zu Grunde.

a) Kultur, Gesellschaft, Soziales und Demografie

Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist unabdingbare Voraussetzung für die Zu -kunftsfähigkeit Brandenburgs. Unter den Bedingungen des demografischen undökonomischen Wandels bedarf es starker Anstrengungen, diesen Zusammenhaltweiterhin zu gewährleisten und auszubauen. Jede und jeder Einzelne muss mehrVerantwortung für die Allgemeinheit übernehmen. Unsere Gesellschaft brauchteine überwölbende Kultur des Miteinanders.

Unser Konzept des menschlichen Zusammenlebens hat eine klare Zielsetzung:es geht darum, jeder und jedem Einzelnen die Teilhabe an der Gesellschaft zuermöglichen, vorhandene Barrieren zu erkennen und aktiv zu beseitigen. Wirwissen, dass von der Unterschiedlichkeit und Vielfalt jedes Menschen die Ge mein -schaft sowie jede und jeder Einzelne gleichermaßen profitieren. Diese erkennenwir an und schätzen jeden Menschen prinzipiell wert.

Seit 1990 ist es – auch gegen rechtsextremistische Einstellungen – gelungen, inBrandenburg eine starke demokratische Bürgergesellschaft zu entwickeln und einstabiles soziales System aufzubauen. An diesem Aufbauprozess haben viele zivilge-sellschaftliche Akteure beharrlich und engagiert mitgewirkt: die Gewerkschaften,

16 november 2012 – heft 54

magazin

Page 16: perspektive 21 - Heft 54

die Arbeitgeber und Kammern, die Wohlfahrtsverbände, die Kirchen, vielfältigeVereine und Initiativen.

Dieser Prozess ging einher mit erheblichen gesellschaftlichen Veränderungenund individuell teilweise dramatischen Brüchen. Die Leistungen der Branden -bur gerinnen und Brandenburger in diesem Umbruch verdienen große Aner -kennung. Zum Aufbau haben auch viele Menschen beigetragen, die in Bran -denburg ihre neue Heimat gefunden und das Land durch ihr Engagement mitgeprägt haben.

Viele halfen und helfen mit im Ehrenamt: Heute engagiert sich etwa einDrittel der Brandenburgerinnen und Brandenburger ehrenamtlich – darunterimmer mehr junge Menschen. Es gibt in allen Regionen und in allen gesellschaft-lichen Bereichen – egal ob Sport, Kultur, Natur, Bildung, Soziales, Kirchen,Brand- und Katastrophenschutz oder Traditionspflege – Vereine oder Gruppen,die sich für das Gemeinwesen einsetzen.

Diese innere Verbundenheit der Gesellschaft ist – besonders in Anbetracht derGeschichte vor 1990 und beträchtlicher Zäsuren in zahlreichen Lebensläufen –eine wichtige Voraussetzung dafür, dass wir die Herausforderungen der demogra-fischen und regionalstrukturellen Umbrüche bestehen können: Zum einen ist dieBrandenburger Bevölkerung seit 1990 von knapp 2,6 auf etwa 2,5 Millionenzurückgegangen und wird bis 2030 noch um etwa zwölf Prozent sinken – deut-lich mehr als in den vergangenen 22 Jahren.

Noch entscheidender aber ist zum anderen, dass sich die Alterszusam men -setzung der Bevölkerung drastisch ändert: Die Jüngeren werden immer wenigerund die Älteren immer älter. Dass Menschen – in historischer Perspektive – beiimmer besserer Gesundheit ein immer höheres Lebensalter erreichen können, isteine großartige Entwicklung. Heute geborene Kinder haben eine beträchtlicheChance, das 100. Lebensjahr zu erreichen. Zugleich jedoch wird die absoluteZahl der Geburten in Brandenburg von heute noch 18.000 pro Jahr auf voraus-sichtlich 10.000 im Jahr 2030 sinken. Das ist das „demografische Echo“ auf diegeburtenschwachen Jahrgänge nach 1990.

Die Auswirkungen auf die Alterszusammensetzung unserer Gesellschaft sind be -trächtlich. Während noch im Jahr 1990 auf 100 Frauen und Männer im er werbs -fähigen Alter nur 20 im Rentenalter kamen, standen 2009 bereits 34 Rent nerinnenund Rentner 100 Erwerbstätigen gegenüber, und im Jahr 2030 werden es – so dieSchätzungen – 78 sein.

Die Zu- und Wegzüge nach und aus Brandenburg halten sich zwar bezogenauf das gesamte Land insgesamt die Waage, aber hinter diesem Saldo verbergen

17perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 17: perspektive 21 - Heft 54

sich extrem divergierende regionale Trends. Noch immer verliert Brandenburgvor allem junge, gut ausgebildete Frauen.

In den Orten um Berlin wird die Bevölkerung noch weiter anwachsen, aber inden berlinfernen Räumen teilweise drastisch abnehmen und zugleich stark altern.Frankfurt (Oder) beispielsweise wird 2030 voraussichtlich deutlich weniger Ein -wohnerinnen und Einwohner haben als 1990 – erwartet wird ein Rückgang von88.000 auf 48.000; das an Berlin angrenzende Falkensee hingegen wird sich indiesem Zeitraum mehr als verdoppelt haben – von 23.000 auf 48.000.

Die Regionen des Landes werden sich weiterhin unterschiedlich entwickeln: Es besteht die Gefahr, dass manche Menschen den Anschluss verlieren und sichUngleichheiten bei Bildung, Arbeit, Einkommen und Gesundheit gegenseitigbedingen und verfestigen. Dem muss entgegengewirkt werden.

Städte müssen dabei den Spagat schaffen zwischen schrumpfender und altern-der Bevölkerung einerseits und wachsenden Versorgungsaufgaben für ihr Umlandandererseits. Trotz Bevölkerungsrückgang wächst damit ihre Bedeutung im Land.Im ganzen Land, ganz besonders aber in den ländlich strukturierten Regionen,müssen professionelle und zivilgesellschaftliche Strukturen noch stärker kooperie-ren, um die Versorgung gewährleisten zu können. Die besonderen Verhältnissedes ländlichen Raumes verlangen einen Mix zentraler Angebote und kleinteiligerStrukturen. Ihr Kennzeichen ist die Verknüpfung von Selbsthilfe mit formeller,und informeller auch öffentlicher Unterstützung. Zugleich bedarf es aber auchbesonderer Entwicklungskonzepte für den berlinnahen Raum.

b) Starke Kommunen, gute Verwaltung, solide Finanzen

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten vom Land und seinen Kommunen zuRecht öffentliche Daseinsvorsorge für viele Lebenslagen. Eine gute und bezahl-bare Infrastruktur, öffentliche Sicherheit und der Schutz vor Unrecht und Gewaltsowie gute Bildung von der Krippe bis zur Berufsausbildung und Hochschulesind Wesensmerkmerkmale eines freiheitlichen, demokratischen und solidari-schen Gemeinwesens.

Solide öffentliche Finanzen und handlungsfähige Kommunen, bürgerschaft -liche kommunale Selbstverwaltung und eine leistungsfähige Verwaltung sind deshalb Eckpfeiler vorsorgender Politik in Brandenburg. Es gilt, vorausschauendzu agieren um den demographischen Wandel, die veränderten finanziellen Rah -men bedingungen und die technischen Veränderungen so früh wie möglich inpolitische Entscheidungen einbeziehen zu können.

18 november 2012 – heft 54

magazin

Page 18: perspektive 21 - Heft 54

Innerhalb des ersten Jahrzehnts nach der Neugründung des Landes Brandenburgwurde die Anzahl der Landkreise und kreisfreien Städte von 44 auf 18 reduziert.Und vor etwa zehn Jahren wurden aus vielen kleinen märkischen Dörfern größe-re oder amtsangehörige Gemeinden. Auch staatliche Behörden von Bildung überForst bis Polizei wurden und werden erneuert.

Diese Veränderungen riefen auch Widerstand hervor. Aber sie wurden immerim offenen Dialog über den besten Weg der weiteren Landesentwicklung geplantund verwirklicht. Deshalb konnte der Anstieg der Personalkosten in der Landes -verwaltung sowie in den Gemeinden und Kreisen – trotz Angleichung der Ein -kommen an das Westniveau – erheblich verringert werden, ohne dass die Leis tungs -kraft für die Bürgerinnen und Bürger verlorenging.

Die Finanzpolitik der vergangenen Jahre hat erste Erfolge gezeigt. In denJahren 2007, 2008 und 2011 hat das Land keine Kredite aufgenommen, die zueiner höheren Verschuldung des Landes geführt hätten. Doch noch summierensich die in den Aufbaujahren aufgenommen Schulden allein des Landes auf mehrals 18 Milliarden Euro. Hierfür zahlt das Land jährlich hunderte Millionen EuroZinsen – Geld, das damit für wichtige Aufgaben des Landes fehlt. Hinzu kommt,dass wir uns schon heute auf sinkende Einnahmen des Landes und der Kommu -nen einstellen müssen, weil der Solidarpakt bis 2019 ausläuft, die EU-Förderungvorhersehbar zurückgehen wird und der Bevölkerungsrückgang geringere Zuwei -sungen aus dem Länderfinanzausgleich erwarten lässt. Diese Entwick lungenmachen es umso notwendiger, die Erforderlichkeit von Aufgaben zu hinterfragen,bei den Ausgaben strategische Schwerpunkte zu setzen und Aufwendungen zureduzieren.

Auch die Verwaltungsstrukturen im Land, in den Kreisen und Gemeindenkönnen deshalb nicht starr bleiben. Sie müssen nochmals an die verändertenfinanziellen und demografischen Rahmenbedingungen und vor allem an die ver-änderten Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürgern im Land angepasst werden,damit auch in kommenden Jahrzehnten in allen Teilen des Landes qualitativhochwertige Verwaltungsleistungen zur Verfügung stehen.

c) Wirtschaft, Arbeit, Infrastruktur, ländlicher Raum, Regionen

Erwerbsarbeit und privatwirtschaftliche Leistungsfähigkeit bilden die Basis fürstaatliche Leistungen. Das Leitbild für eine gute wirtschaftliche Entwicklung inBrandenburg ist eine kooperative, qualitätsorientierte Wirtschaft, deren Wett be -werbsfähigkeit auf technischem, ökologischem und sozialem Fortschritt beruht.

19perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 19: perspektive 21 - Heft 54

Erwerbsarbeit ist in diesem Denken nicht nur Gelderwerb, sondern auch einMittel zu erfülltem Leben. Der angestrebte wirtschaftliche Fortschritt ist dieVoraussetzung für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Entwicklung. Eine zen-trale Aufgabe unserer Politik besteht darin, die Rahmenbedingungen für guteArbeit, nachhaltiges Wachstum und Umweltverträglichkeit zu fördern. „GuteArbeit“ bedeutet gerechte Entlohnung, die ein selbstbestimmtes und aktives Le -ben ermöglicht, bei humanen Arbeitsbedingungen und Mitbestimmungs rechtenfür die Beschäftigten.

Brandenburgs Wirtschaft hat sich in den vergangenen 20 Jahren positiv ent -wickelt. Nach dem ökonomischen Schock und „Abbruch“ der ersten Jahre nach1990 hat sich eine breit aufgefächerte Industrie- und Dienstleistungswirtschaftaber auch Handwerkerschaft mit einem leistungsfähigen Mittelstand herausge -bildet, deren Exportfähigkeit stark gewachsen ist. Das Land erhielt in jüngsterVergangenheit – auch als Ergebnis der Neustrukturierung der Wirtschaftspolitik(„Stärken stärken“) – Auszeichnungen als „dynamischste Wirtschaftsregion“, als„europäische Unternehmerregion“ und als Spitzenreiter bei regenerativen Ener -gien („Leitstern“). Zusätzliche Impulse für Brandenburgs wirtschaftliche Entwick -lung gehen von vertiefter Kooperation mit den benachbarten Bundesländern, insbesondere Berlin, sowie zu unserem sich besonders dynamisch entwickelndenNachbarland Polen aus.

Mit diesen Veränderungen und Erfolgen ist Brandenburg gut darauf vorberei-tet, die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können: In den nächsten20 Jahren werden sich die Wirtschaftskreisläufe noch stärker globalisieren mitWachstumschancen vor allem für wissensbasierte Produkte und Dienstleistungen,die nicht zuletzt die Bedarfe einer älter werdenden Gesellschaft in den Blick neh-men. Dabei werden in Brandenburg voraussichtlich der Energiesektor, Auto mo -bil- sowie Luft- und Raumfahrtindustrie, Chemie- und Petroindustrie, Papier-und Holzverarbeitung, Metallindustrie und Optik, Logistik, Biotechnologie,Gesundheitswirtschaft, Medien sowie die Informations- und Kommunikations -technologien eine starke Rolle spielen.

Die Verkehrsinfrastruktur von Bahn und Straße ist für diese Wirtschafts pro -zesse gut ausgebaut, die Breitband-Versorgung teilweise noch nicht. Brandenburgsetzt sich für den weiteren Ausbau der Wasserstraßen unter Berücksichtigungökologischer Aspekte ein.

Für die wirtschaftliche Entwicklung hat sich die flankierende und förderndePolitik des Staates als wichtige Voraussetzung erwiesen. Obwohl sich die auf Re -gio nale Wachstumskerne mit Branchenkompetenzfeldern konzentrierte Förde -

20 november 2012 – heft 54

magazin

Page 20: perspektive 21 - Heft 54

rung gut bewährt hat, kann die künftige Förderung von Unternehmen angesichtsknapper werdender Finanzmittel dabei nicht stehen bleiben, sondern muss weiterentwickelt werden.

Brandenburg soll im Jahr 2030 ein Land mit leistungsfähiger Industrie- undDienstleistungswirtschaft, aber auch starker Land-, Forst- und Fischereiwirtschaftsein. Voraussetzung dafür ist eine aufeinander abgestimmte Industrie- und Dienst -leistungspolitik, die sowohl auf die Unterstützung bestehender industrieller Struk -turen als auch auf die Förderung neuer Potenziale etwa im Bereich erneuerbarerEnergien sowie der Bio- und der Verkehrstechnologie setzt. Eine besondere Bedeu -tung kommt dabei der wissenswirtschaftlichen Untersetzung zu. Gemeint ist nichtnur die Innovationsfähigkeit und -bereitschaft der Beschäftigten, sondern auch diezentrale Rolle von Hochschulen, Forschungsinstituten und forschungsorientiertenPolitiken in den Unternehmen als Impulsgeber für nachhaltiges Wachstum.

Damit sich die industrielle Basis Brandenburgs weiter entwickeln kann, istauch in Zukunft ein vernünftiger Energiemix unabdingbar, der Versorgungs -sicherheit, Preisstabilität und wachsende ökologische Verträglichkeit gewähr-leistet. Die Energieerzeugung ist zugleich wichtiger Wirtschaftsfaktor undArbeit geber. Eine nach haltige Energiezukunft kann nur da entstehen, wo dasgesell schaftliche Verständnis in die Notwendigkeit von Energieeinrichtungenwächst. Ohne An lagen für die Erzeugung, den Transport und die Speicherungist kein sinnvoller Energiemix zu gewährleisten.

Brandenburg wird auch zukünftig in der Verantwortung stehen, zur sicherenEnergieversorgung der Bundeshauptstadt Berlin und Deutschlands insgesamtbeizutragen. Das Land wird deshalb den Ausbau regenerativer Energien weiterin tensiv vorantreiben und daran arbeiten, dass Brandenburg im deutschen wieim europäischen Maßstab seine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet beibehält. Ge -gen wärtig ist noch nicht absehbar, wann regenerative Energien die notwendigeGrundlast absichern können. Solange dies nicht gewährleistet ist, muss die Lau -sitzer Braunkohle einen notwendigen Beitrag im Brandenburger Energiemixerbringen. Dazu kann auch der Ersatzneubau eines hochmodernen Braun kohle -kraftwerkes gehören.

Die Situation auf dem Arbeitsmarkt hat sich seit 2005 stetig verbessert. Seitherist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse bis auf 764.000(2011) angestiegen. Zugleich sank die Arbeitslosenquote von etwa 18 Prozent(2005) auf etwa 10,5 Prozent (2012). Bisher ist es jedoch noch nicht gelungen,durch geeignete Maßnahmen dafür zu sorgen, dass die Anzahl der Langzeit ar -beits losen zurückgeht. Zudem bestehen große Unterschiede zwischen den starken

21perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 21: perspektive 21 - Heft 54

Regionen im Berliner Umland und den äußeren Kreisen mit teilweise nach wievor hoher Arbeitslosigkeit.

Das Lohnniveau liegt im Vergleich zu Westdeutschland noch immer bei nurknapp 80 Prozent. Ein Viertel der Menschen arbeitet im Niedriglohnsektor. Knapp70.000 Frauen und Männer erhalten – obwohl sie arbeiten – „aufstockende“ Leis -tungen vom Staat. Das Erwerbspersonenpotenzial wird bis zum Jahr 2030 um etwa30 Prozent (von 1,7 auf 1,2 Millionen) sinken. Aufgrund von Abwanderung unddemografischem Wandel besteht die Gefahr eines Mangels an Arbeitskräften – nichtnur Fachkräften –, der zur existentiellen Gefahr für Unternehmen werden kann.

Der Brandenburger Arbeitsmarkt ist damit einer dreifachen Polarisierung aus-gesetzt: Zum einen zwischen berlinnahen und -fernen Gebieten, zum anderenzwischen weiterhin verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit und deutlicher werden-dem Fachkräftemangel und drittens zwischen dem normalen und dem atypischenBeschäftigungssektor.

Diese Situation positiv zu verändern stellt jede Arbeitspolitik mit dem Ziel der„Guten Arbeit“ in Zeiten sinkender öffentlicher Mittel vor große Herausforde -rungen. Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es der engagierten Mitarbeit allerarbeitsmarktpolitischen Akteure. Hierzu zählen im Besonderen die Gewerk schaf -ten und Arbeitgeberverbände, also die Sozialpartner. Deren Verankerung imgesamten Wirtschaftsprozess muss stärker werden, damit sie einen bedeutenderenEinfluss auf die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse nehmen können. EinGradmesser dafür ist der Umfang der Tarifbindung: Im Land Brandenburgwaren 2011 nur rund 25 Prozent der Betriebe beziehungsweise 55 Prozent derBeschäftigten tarifgebunden. Diese Werte müssen künftig steigen.

Natur- und Umweltschutz sowie Nachhaltigkeit sind von großer Bedeutungim gewässerreichen Flächenland Brandenburg. Die Umweltbelastungen durchStoffeinträge haben sich seit 1990 radikal verringert. Die Entsorgung von Ab -fällen und Abwasser erfolgt auf technisch hohem Niveau. Zugleich ist es gelun-gen – ein Brandenburger Gütezeichen – große Schutzräume für Flora und Faunazu schaffen und die Naturräume für den Tourismus attraktiv zu machen. DieLand-, Forst- und Fischereiwirtschaft ist im ländlichen Raum – neben den loka-len Gewerbe- und Handwerksbetrieben – weiterhin maßgeblicher Arbeitgeber.Der Produktivitätsfortschritt und die europäisch geprägten Rahmenbedingungenhaben jedoch zu einem erheblichen Arbeitsplatzabbau geführt.

Ökologisch und konventionell wirtschaftende Betriebe erzeugen nachhaltigRohstoffe und Lebensmittel. Sie tragen zur Energieerzeugung und zum Erhalt der wertvollen brandenburgischen Kulturlandschaft bei. Der Ökolandbau hat

22 november 2012 – heft 54

magazin

Page 22: perspektive 21 - Heft 54

sich zu einem starken Brandenburger Markenzeichen entwickelt und sichertebenfalls Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

d) Bildung, Kultur und Sport

Bei der Bildung kommt es auf den Anfang an. Bildung ist ein Emanzipations -prozess und eine Chance für sozialen Aufstieg. Sie ist Kern einer vorsorgendenGesellschaftspolitik, die Spaltung und Ausgrenzung verhindern will.

Seit 1990 ist es gelungen, in Brandenburg flächendeckend ein gutes und viel-fältiges Schulsystem aufzubauen. Dafür waren zahlreiche Reformen notwendig,die aber nur langfristig wirken. Weitere Schritte, besonders zur Stärkung derSelbständigkeit der einzelnen Schulen und zum Abbau von Bürokratie, sind not-wendig. Das päda go gische Personal wird systematisch verjüngt, inklusionspäda-gogisch qualifiziert und die Betreuungsquote verbessert. Bewährt haben sich daszweigliedrige Schulsystem, das Festhalten an der sechsjährigen Grundschule undder Aufbau von Ganztagsschulen.

Die demografische Entwicklung und der Anspruch einer gemeinsamen undgleichberechtigten Teilhabe aller Kinder am Bildungsprozess sind eine großeHerausforderung. Von den heute insgesamt rund 120.000 Brandenburger Kin -dern im Alter von null bis sechs Jahren besuchen mehr als 75 Prozent Kinder -tagesstätten. Im Jahr 2030 werden nur noch etwa 80.000 Kinder in diesem Alterin Brandenburg leben. Derzeit lernen etwa 269.000 Schülerinnen und Schüler an929 Schulen, davon sind 167 private Einrichtungen. 2030 werden es voraussicht-lich nur noch etwa 240.000 Schülerinnen und Schüler sein, denn die Zahl derEinschulungen nimmt sukzessive ab. Zugleich wird sich die Schere zwischen ber-linnahen und berlinfernen Regionen Jahr für Jahr immer stärker öffnen.

Bisher erreichen etwa zehn Prozent der Jugendlichen eines Jahrgangs keinerleiSchulabschluss. Bis zu 20 Prozent eines Jahrgangs gelingt kein Berufsabschluss ineiner Erstprüfung. Damit besteht die Gefahr, dass Zehntausende junger Men schenkaum in der Lage sein werden, ihr Leben selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.Nur so werden diese Menschen Perspektiven und Lebenschancen haben; sie wer-den in Brandenburg Arbeitsplätze finden, weil die Arbeitgeber in Brandenburgqualifiziertes Personal suchen. Niemand darf zurückgelassen werden.

Mit ihrer vielfältigen Hochschul- und Forschungslandschaft ist die Metropol -region Brandenburg-Berlin ein vorzüglicher Wissenschaftsstandort. An den neunBranden burger Hochschulen sind derzeit rund 50.000 Studierende eingeschrie-ben – mit deutlich steigender Tendenz.

23perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 23: perspektive 21 - Heft 54

Die Hochschulen tragen nicht nur entscheidend dazu bei, junge Menschen im Land zu halten, sondern sie ziehen auch junge Menschen von außerhalb insLand, die Brandenburg als Fachkräfte dringend braucht. Die Hochschulen unddie außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Land sind Motoren der wirt-schaftlichen Entwicklung.

Brandenburg hat eine vielfältige Kulturlandschaft, die nicht nur von großenstaatlichen oder kommunalen Einrichtungen getragen wird, sondern auch starkvon lokalen und regionalen Aktivitäten geprägt ist. Ebenso wie der Sport ist dieKultur ein wichtiger Identitätsanker für das Land Brandenburg und bedeutet fürviele Menschen Lebensglück. Sport fördert soziale Kompetenzen wie Teamfä hig -keit und faires Verhalten. Allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern wirdermöglicht, ihr kreatives Potenzial zu entwickeln und zu entfalten, um im Rah meneiner toleranten und solidarischen Gesellschaft die eigenen Lebensbedin gungen zugestalten. Kultur schafft sozialen Zusammenhalt und stärkt die Be ziehungen derMenschen untereinander. Der breitestmögliche Zugang zur Vielfalt künstlerischenLebens wird in Brandenburg umgesetzt. Es müssen Rahmenbedingungen geschaf-fen werden, unter denen die Künste sich frei entfalten können. Aber auch Sportund Kultur stehen unter erheblichem Anpas sungs druck. Geringer werdende finan-zielle Mittel und absehbar sinkende Mitglieder zahlen in vielen Sportvereinen erfor-dern Ideenreichtum und Kooperationen.

II. BRANDENBURG 2030: THESEN

a) Demografischen Wandel gestalten: Gesellschaft und Soziales im Jahr 2030

Der demografische Wandel wird die Gesellschaft und die sozialen Sicherungs -systeme in den nächsten 20 Jahren stark verändern. Die Zahl der Menschen imerwerbsfähigen Alter, die auch in die solidarischen Sicherungssysteme einzahlen,nimmt ab, die Zahl der Alten und Hochaltrigen deutlich zu. Es ist notwendig,sich darauf einzustellen und Veränderungen positiv zu nutzen. Die Weichenmüssen so gestellt werden, dass die Lebensqualität, der gesellschaftliche Zusam -menhalt, die soziale Sicherheit in Brandenburg nicht nur gehalten werden, sonderninsgesamt sogar zunehmen. Zwei besonders große Herausforderungen sind dieVermeidung von Altersarmut aufgrund zum Beispiel unterbrochener Erwerbs -biographien oder nur geringer Bezahlung und die personelle Gewähr leistungeiner fachlich qualifizierten und menschlich fürsorglichen Pflege.

24 november 2012 – heft 54

magazin

Page 24: perspektive 21 - Heft 54

SOZIALE SICHERHEIT UND GESUNDHEIT

n Der vorsorgende Sozialstaat setzt sich immer stärker durch. Wer Hilfe benötigterhält sie. Aber aktivierende Strukturen befähigen immer mehr Menschen, über-haupt keine Hilfe mehr in Anspruch nehmen zu müssen.

n Grundbedingung für soziale Sicherheit – auch im Alter – ist ein auskömmlichesEinkommen auf der Grundlage guter sowie bedarfsgerechter Ausbildung. Eswerden Löhne und Renten gezahlt, die armutsfest sind und einen Lebens stan -dard in existenzieller Sicherheit gewährleisten.

n Es gibt einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn. Dies kommt der Gesell -schaft insgesamt zu Gute, denn bei geringeren öffentlichen Kosten für Grund -sicherung entstehen aufgrund der Erwerbstätigkeit der Menschen zugleich hö-here Steuereinnahmen.

n Wohnen ist eine Grundvoraussetzung für die freie Entfaltung jedes Einzelnen.Wohnungen sind angemessen, bezahlbar und familienfreundlich; sie werdenden sich ändernden Lebenslagen angepasst und erlauben neue und generatio-nenübergreifende Wohnformen.

n Die Grundversorgung wird in ländlichen Regionen auf der Grundlage einer flächendeckend vorhandenen Breitbandversorgung mittels gebündelter und mobiler Leistungs- und Nahversorgungsangebote gewährleistet. Mobilitäts an -gebote, die freiwilliges Engagement und finanzielle öffentliche Unterstützungverknüpfen, werden bedarfsorientiert eingesetzt.

n Präventions- und Interventionsangebote für von häuslicher Gewalt bedrohteoder betroffene Frauen und deren Kinder sind bedarfsgerecht vorhanden. AuchTäter und Täterinnen finden Hilfe und Unterstützung.

n Basis der ärztlichen Versorgung besonders im ländlichen Raum sind medizini-sche Ärzte- und Gesundheitszentren, die den mobilen Einsatz von Gemeinde -schwestern und -pflegern, Hebammen und Entbindungspflegern und Ärztinnenund Ärzten koordinieren und die fachärztliche Versorgung gewährleisten.

n Das Niederlassungsrecht für Ärztinnen und Ärzte ist reformiert; die Kranken -häuser sind für ambulante Versorgung geöffnet. Das Gesundheitssystem ist nachdem Prinzip des Vorsorgenden Sozialstaats auf Prävention ausgerichtet.Gesundheitsförderung ist Bestandteil der Unternehmensphilosophie und Teilder Sozialpartnerschaft von Unternehmen und Gewerkschaften.

n Die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum ist z. B. durch Patenschafts über -nahmen von Medizinstudenten durch Gemeinden und Krankenhäuser oder at-traktive Werbemaßnahmen zur Umsiedelung von Ärzten in ländliche Regionenverbessert worden.

25perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 25: perspektive 21 - Heft 54

n Schnelle und – beispielsweise für Menschen mit Behinderung – barrierefreieKommunikationsmittel sind landesweit unerlässliche Voraussetzung für dieGrundversorgung der Menschen.

n Es entstehen vermehrt „Nachbarschaftsläden“ auch auf genossenschaftlicherBasis. Waren des täglichen Bedarfs und andere Konsumgüter können im länd -lichen Raum vielfach auch über Bestell- und Lieferservice bezogen werden.

FAMILIE UND ALTER

n Kinder- und Familienfreundlichkeit ist weiter Leitziel der Landespolitik. DasLand stellt auch im Jahr 2030 wohnortnahe Kinderbetreuungs- und Bildungs -einrichtungen bereit, um Familien auch in den dünner besiedelten Räumen zustärken. Zusammen mit Erwerbsmöglichkeiten schafft dies Voraussetzungen für Familien, die sich in den Regionen wohl fühlen und dort bleiben.

n Partnerschaftlichkeit ist in der Familie eine wesentliche Ressource für die Le -bens bewältigung und die Solidargemeinschaft. Eine gerechte Lastenverteilungschafft die notwendige Zeit für Kinder. Sie dient als Modell für wechselseitigeUnterstützung und gleichberechtigte Mitwirkung, sowohl innerhalb von Fami -lien als auch mit und zwischen den Institutionen.

n Viele Mütter und Väter arbeiten ganztags, da es immer besser gelingt, Familie undBeruf zu vereinbaren; diese Vereinbarkeit ist eine Grundlage für die Deckung desArbeitskräftebedarfs. Die Unternehmen setzen deshalb mit Unterstützung desStaates Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Beruf undPflege um. Flexible Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit und Familien- und Alters teil -zeitkonten tragen dazu bei.

n Die Netzwerke „Gesunde Kinder“ sind landesweit fester Bestandteil der Kinder-und Familienbegleitung, die auch auf Familien mit älteren Kindern ausgeweitetsind. Auch die „Bündnisse für Familien“ und Eltern-Kind-Gruppen bestehenlandesweit. Ebenfalls sind Netzwerke für Ältere entstanden.

n Auf die Erfahrung älterer Menschen wird großer Wert gelegt. Sie werden dabeiunterstützt, sich beruflich und ehrenamtlich zu engagieren und aktiv zu bleiben.

n Für hilfsbedürftige Menschen hat das Prinzip ambulant vor stationär Vorrang,weil dies einerseits das Leben in der gewohnten Umgebung ermöglicht und an-dererseits ökonomische Vorteile haben kann. Dieses Modell setzt voraus, dassambulante Pflegekräfte in ausreichender Anzahl und Qualifikation zur Verfü -gung stehen; dieser Herausforderung stellt sich das Land.

n Die Menschen leben so lange wie möglich selbstbestimmt. Um dies möglichstumfassend zu gewährleisten, sind baurechtliche Vorschriften und die Rege lungs -

26 november 2012 – heft 54

magazin

Page 26: perspektive 21 - Heft 54

dichte vereinfacht. Das Zusammenleben Älterer in alternativen Wohn- undBetreuungsformen, wie z. B. Wohngruppen, wird deshalb (auch rechtlich) un-terstützt. An Demenz Erkrankte finden hier eine menschenwürdige Betreuung.

n Vielfältige Maßnahmen haben es ermöglicht, quantitativ und qualitativ denBetreuungsbedarf in der Pflege zu decken. Dazu gehört insbesondere die bun-desweit verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, aber auch die Qualifi -zierung und Aktivierung von Langzeitarbeitslosen für die Pflegebranche.

EHRENAMT

n Das Ehrenamt spielt eine immer stärkere Rolle. Es entwickelt sich eine starke lokale Verantwortungsgemeinschaft; sie aktiviert die Bevölkerung. Die öffent -lichen Verwaltungen fördern ehrenamtliche Betätigung.

n Neben den bürgernahen Verwaltungsstrukturen und dem Sozialraummana -gement sind ehrenamtliche „Soziallotsen“ aktiv, die als örtliche Ansprech part -nerinnen und -partner für die Einwohnerinnen und Einwohner wirken. Sie be-sitzen bei den Bürgerinnen und Bürgern das Vertrauen, um in vielen Belangendes sozialen und gesellschaftlichen Miteinanders, bei einzelnen Problemstel lun -gen oder bei strukturellen Fragen unterstützend agieren zu können. Sie bietenHilfe zur Selbsthilfe.

n Ehrenamtliche Tätigkeiten dienen dem Gemeinwohl und müssen auch zukünf-tig angemessen unterstützt werden. Vor allem im ländlichen Raum wäre ohneEhrenamt vieles nicht möglich: ob in der Feuerwehr, im Sportverein, lokalenKulturinitiativen oder Kirchengemeinden. Die Notwendigkeit dafür führt dieGesellschaft jedoch zugleich zusammen.

n Es bestehen viele immaterielle (z. B. Auszeichnungen) und materielle (z. B. Ehren -amtspass mit lokalen und regionalen Vergünstigungen) Formen der Anerkennungfür das Ehrenamt.

n Die vielfältigen Möglichkeiten des Freiwilligen Jahres nutzen Jugendliche, umeinen Einblick in die sozialen, kulturellen oder ökologischen Tätigkeitsfelder zubekommen. Sie werden damit für das Ehrenamt gewonnen.

OFFENE GESELLSCHAFT

n In Brandenburg wird Offenheit und Respekt gelebt gegenüber der Vielfalt mög-licher Interessen und unterschiedlicher Bedürfnisse, für eine selbstbestimmteLebensführung. Neue intergenerative und interkulturelle Lebensentwürfe undLebensmodelle repräsentieren die Vielfalt in den Regionen.

n Eine offene Gesellschaft ist auch eine inklusive Gesellschaft.

27perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 27: perspektive 21 - Heft 54

n Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften sind fester Bestandteil der offenenGesellschaft, rechtlich gleichgestellt und im ganzen Land akzeptiert.

n Im Jahr 2030 haben deutlich mehr Frauen Führungspositionen inne. Arbeit ge -ber und Gesellschaft anerkennen die familienbezogenen Tätigkeiten der Männerals aktive Väter. Die Gehälter von Frauen entsprechen denen der Männer ingleicher Beschäftigung.

n Brandenburg ist ein Zuwanderungsland. Menschen aus anderen Teilen Deutsch -lands, aus dem Ausland bzw. aus anderen Kulturen sind hier willkommen. Sie be -rei chern das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben und sind wichtig für denArbeitsmarkt. Brandenburg lebt eine Willkommens- und Anerken nungs kultur.

n Asylbewerberinnen und -bewerber sowie Geduldete erhalten erleichterte Bedin -gungen zur Arbeitsaufnahme. Jugendliche erhalten die Möglichkeit zur Aus -bildung. Aufgenommene werden bei der Integration unterstützt. Wohnbedin -gungen werden verbessert. Sie leisten hierzu auch einen entscheidenden eigenenBeitrag im Interesse der Gesellschaft.

b)Aus weniger mehr machen: Staat, Kommune und Verwaltung im Jahr 2030

Brandenburg wird auch 2030 ein freiheitliches, demokratisches, rechtsstaatlichesund sicheres Land mit starken Kommunen und einer leistungsfähigen Verwal -tung sein. Staat und Kommunen gewährleisten allen Bürgerinnen und BürgernSicher heit, eine gute öffentliche Infrastruktur und leistungsfähige Daseins vor -sorge im Rah men solider öffentlicher Finanzen. Brandenburg pflegt mit allenangrenzenden Bun desländern sowie dem Nachbarland Polen eine enge politischeund administrative Zusammenarbeit.

Aber auch darüber hinaus arbeitet Brandenburg am Aufbau und der Vertie -fung der internationalen Zusammenarbeit in allen politischen, wirtschaftlichenund kulturellen Bereichen. Brandenburg ist – auch traditionell – die Brücke fürWesteuropa zu den Staaten Osteuropas, aber auch zu den Staaten des Ostsee -raums. Internationa lität ist Teil der Binnenkultur. Brandenburg bekennt sich klarzur gefestigten Europäischen Union.

Zu Berlin besteht eine besondere kooperative Partnerschaft. Dies zeigt sichauch in der Angleichung von Rechtsvorschriften in allen Lebensbereichen. VieleInstitutionen und Verwaltungen arbeiten gemeinsam. Brandenburg ist offen füreine Neuordnung der föderativen Strukturen der Bundesrepublik. Eine Fusionmit der Bundeshauptstadt Berlin bleibt ein langfristiges Ziel.

28 november 2012 – heft 54

magazin

Page 28: perspektive 21 - Heft 54

Bis 2030 haben drei der vier größten Städte Brandenburgs nochmals insgesamtrund 30.000 Einwohnerinnen und Einwohner verloren; die Bevölkerung in sechsder derzeit 14 Landkreise verringerte sich auf unter 100.000. Daran haben sichder Aufgabenbestand und die Arbeitsweise der Verwaltung sowie die Strukturender Landkreise angepasst. Dies gilt auch für viele Ämter und Gemeinden, weildort bis zu einem Drittel weniger Einwohner – weit weniger junge und mehrältere – leben.

Das Ziel, eine leistungsfähige Selbstverwaltung in allen Regionen des Landeszu erhalten, sowie umfassende Verwaltungsdienstleistungen auch in Städten undGemeinden mit Bevölkerungsrückgang zu gewährleisten, erforderte eine umfas-sende Verwaltungsstruktur- und Kommunalreform mit einer wesentlichen Ver -minderung der Verwaltungseinheiten und auch des Verwaltungspersonals.

Die Dienstleistungen der Verwaltungen werden auch 2030 bürgernah er bracht,ohne dass weitere Wege zu den Behörden oder Servicestellen entstehen. Deshalbwerden, gestartet lange vor dem Jahr 2030, die Leistungen der Verwal tung nichtnur am Behördensitz angeboten, sondern auch in Servicestellen, über mobile An -gebote und nicht zuletzt auch jederzeit über elektronische Dienste.

BÜRGERBETEILIGUNG, TRANSPARENZ, DEMOKRATIE

Brandenburg 2030 ist ein Land der Transparenz. Jede Bürgerin und jeder Bürgerhat grundsätzlich gegenüber den Behörden einen Anspruch auf Zugang zu amt -lichen Informationen. Die Verwaltungen informieren von sich aus aktiv überwesentliche Angelegenheiten und stellen dazu Informationen barrierefrei in dasInternet. Das Land bietet eine einheitliche Onlineverwaltungsplattform an.

n Brandenburg 2030 ist ein Land der aktiven Bürgerbeteiligung. Bürgerinnen undBürger können und sollen sich in das gesellschaftliche und politische Leben ein-bringen und ihr Recht auf politische Mitgestaltung wahrnehmen.

n Entscheidungen zu Strukturveränderungen, die für die Entwicklung des Landeswichtig und nötig sind, werden gemeinsam mit den Menschen getroffen. Sowerden schon vor fertigen Beschlussvorlagen alle Betroffenen aktiv in die Ent -scheidungsfindung einbezogen. Die Weiterentwicklung des Landes wird mitden Menschen gestaltet.

n Bei Planungen von lokalen Infrastrukturvorhaben initiieren die Kommunen, ergänzend zu den Entscheidungen der gewählten Kommunalvertreterinnen und -vertreter, bei Bedarf auch direkte Entscheidungen durch die wahlberech-tigten Einwohnerinnen und Einwohner.

29perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 29: perspektive 21 - Heft 54

n Bei Planungen von überregionaler Bedeutung werden die Bürger frühzeitig inVorerörterungen einbezogen. Die Vorhabenträger erarbeiten und veröffentli-chen Akzeptanzanalysen für ihre Projekte. Die zuständigen Verwaltungs mit -arbeiter sind in Fragen von Bürgerbeteiligung und Mediation fachlich besondersqualifiziert.

n Das Recht, an kommunalen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, wirdnicht aufgrund der Staatsangehörigkeit eingeschränkt.

n Wie in anderen Bundesländern nutzen Vertreter von Interessen großer Bevöl -kerungsgruppen als sachkundige Einwohner/berufene Bürger in Ausschüssender Gemeindevertretungen und Stadtverordnetenversammlungen ihr Recht,Anträge zu stellen und zu verteidigen.

n Kinder und Jugendliche sind bei allen Planungen, die sie betreffen zu beteili-gen. Jugendbeteiligung erfolgt auch durch Jugendparlamente und Jugend bei -räte. Die Jugendlichen werden in den Kommunen aktiv in für sie relevanteEntschei dungs prozesse einbezogen und auf diese Weise für Demokratie undgesellschaftliches Engagement gewonnen. Die kontinuierliche Beteiligung jun-ger Men schen trägt zur Nachhaltigkeit politischen Gestaltens für zukünftigeGene ra tio nen bei.

n Die in Kommunen berücksichtigten Bürgerhaushalte stärken ebenfalls das demokratische Bewusstsein.

n Der Landtag ist der zentrale Ort politischer Entscheidungen; ergänzend könnendie Bürgerinnen und Bürger jederzeit eine direkte Abstimmung des Volkes initiie-ren und ein Volksbegehren auch per Briefabstimmung oder Internet unterstützen.

n Das Konzept „Tolerantes Brandenburg“ ist gelebte Realität, die Zivilgesellschaftgestärkt. Menschenverachtende Ideologien und politischer Extremismus spielenkeine Rolle mehr in der Gesellschaft.

BÜRGERNAHE UND EFFIZIENTE VERWALTUNG, STARKE KOMMUNEN

n Bei Kommunalwahlen kandidieren viele Bürgerinnen und Bürger für ehrenamt-liche Funktionen in Gemeinden und Ortsteilen oder als haupt- oder ehrenamt -liche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, um die örtliche Gemeinschaft zustärken und zu gestalten.

n Die bürgerschaftliche Selbstverwaltung und kommunale Daseinsvorsorge istauch in dünn besiedelten Gebieten langfristig gesichert. Bis 2019 haben fastalle Städte und Gemeinden ihre Selbstverwaltungskraft infolge freiwilligerund vom Land geförderter oder gesetzlicher Fusionen gestärkt und habenselbstbewusste Ortsteile mit Entscheidungskompetenz. Sie können deshalb

30 november 2012 – heft 54

magazin

Page 30: perspektive 21 - Heft 54

und auf der Grund lage eines solidarischen kommunalen Finanzausgleichs alleAufgaben der örtlichen Gemeinschaft selbstständig und in eigener Verant -wortung erfüllen. In den dichter und in den dünner besiedelten Teilen desLandes ist die Mindestzahl der Einwohnerinnen und Einwohner der Ge -meinden unterschiedlich.

n Gemeinden können sich für ihre Verwaltungsaufgaben auch eines noch leis-tungsfähigeren Amtes bedienen oder ihre Verwaltungsaufgaben dauerhaft voneiner anderen Gemeindeverwaltung erfüllen lassen.

n Kreisfreie Städte können in Landkreise integriert sein, nachdem das LandEntschuldungshilfen leistete und ihre umfassende Funktion als Oberzentrenstärkte.

n Aus den Landesbehörden wurden weitere Aufgaben auf eine – inzwischen – klei-nere Zahl von Landkreisen übertragen, um sie auf einer Ebene koordiniert undwirtschaftlicher zu erfüllen. Die Kreise haben ihrerseits Aufgaben an die gestärk-te Städte- und Gemeindeebene abgegeben, die sie ortsnäher erfüllen.

n Die öffentlichen Aufgaben des Landes, der Landkreise und der Städte und Ge -mein den werden so weit wie möglich unabhängig vom Behördensitz vor Orterbracht. Die Behörden nutzen hierzu Servicestellen als Anlaufstellen für dieverschiedenen Verwaltungsebenen von der Gemeinde über den Kreis bis zumLand in den Gemeinden und Ortsteilen für den persönlichen Kontakt mit denBür gerinnen und Bürgern und setzen mobile Angebote ein (Front office undBack office-Modell). Anwendungsfreundliche elektronische Verfahren, z. B.Online-Ange bote, vermitteln den Bürgerinnen und Bürgern jederzeit Zugangzu wich tigen und häufig benötigten Verwaltungsdiensten und Verwaltungs -verfahren.

n Die Gebietskörperschaften werden bei der Förderung und Durchsetzung vonChancengerechtigkeit durch hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte wir-kungsvoll unterstützt.

BÜRGERRECHTE, SICHERHEIT UND SCHUTZ DER BEVÖLKERUNG

n In Brandenburg gilt die Maxime einer grundrechtsorientierten Innen- undRechtspolitik, die den Freiheitsrechten Geltung verschafft und die richtigeBalance zwischen Freiheit und Eingriffsrechten des Staates hält.

n Die Polizei und die Strafvollzugsbehörden wägen in jedem Einzelfall die für eine wirksame Prävention und Strafverfolgung notwendigen Eingriffe mit denFreiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger ab. Dies gilt auch für den Einsatzneuester Techniken und Methoden zur Datensammlung und -beschaffung.

31perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 31: perspektive 21 - Heft 54

n Die Polizei ist in allen Teilen des Landes präsent und trägt mit der Arbeit derRevierpolizei als lokaler Ansprechpartner dazu bei, das Vertrauen der Bevölke -rung in die Polizei zu erhalten. Sie ist mit modernen Einsatzmitteln ausgestattetund verfolgt mit Hilfe gut aus- und fortgebildeter Spezialisten Straftaten inBerei chen der Kriminalität, die sich aufgrund des Internets und neuer mobilerKom munikationsformen entwickelt haben.

n Brandenburg und Berlin sind zur Gewährleistung der inneren Sicherheit engvernetzt und haben gemeinsame Institutionen.

n Brand- und Katastrophenschutz sind in gemeinsamen Strukturen organisiert.Eine länderübergreifende Zusammenarbeit ist dabei selbstverständlich. Moder -ne technische Geräte und sich regional ergänzende Einsatzeinheiten sind dieVoraussetzung für eine wirksame Bekämpfung von Bränden und Katastrophen.

n Die ehrenamtlichen örtlichen Strukturen werden dabei von hauptamtlichen re-gionalen Strukturen unterstützt, um zu jeder Zeit die Einsatzfähigkeit zu erhalten.Dies wird aufgrund des demographischen Wandels, zumeist größerer Entfernun -gen zwischen Wohn- und Arbeitsort und der Aussetzung von Wehrpflicht undErsatzdiensten nötig, da dadurch die Zahl der Mitglieder der Freiwilligen Feuer -wehren und der Hilfsorganisationen verringert wurde.

UNABHÄNGIGE, BÜRGERNAHE UND EFFEKTIVE JUSTIZ

n Gerechtigkeit braucht eine starke Justiz. Die unabhängige Justiz sichert durcheffektiven und zeitnahen Rechtsschutz den Rechtsfrieden und dass die Bür -gerin nen und Bürger ihre Rechte durchsetzen können. Im Einklang mit euro-päischen Entwicklungen verwalten die Justiz und die einzelnen Gerichte undStaatsanwaltschaften des Landes Brandenburg 2030 ihre Angelegenheiten weit-gehend autonom.

n Die Justiz in Brandenburg 2030 versteht sich als Dienstleister für die Menschen.Eine gut und zügig arbeitende Justiz hat sich als ein wichtiger Standortfaktor fürdie Wirtschaftsregion Brandenburg erwiesen. Ihre Bürgernähe wird durch einhinreichend dicht geknüpftes Netz von Gerichtsstandorten gesichert.

n Brandenburg 2030 verfügt über ausreichende Kapazitäten von Haft- und Siche -rungsunterbringungsplätzen. Der Vollzug ist resozialisierungsfördernd und bür-gerschützend ausgerichtet. Effizienzreserven wurden durch eine gemeinsameJVA-Strukturplanung besonders mit Berlin genutzt.

n Brandenburg und Berlin kooperieren in der Rechts- und Justizpolitik vertrau-ensvoll und gewährleisten soweit wie möglich eine Angleichung landesrechtli-cher Regelungen in der Metropolregion Berlin-Brandenburg.

32 november 2012 – heft 54

magazin

Page 32: perspektive 21 - Heft 54

FINANZEN

n Das Land ist weitgehend auf eigene Einnahmen angewiesen. Es nimmt keineneuen Kredite mehr auf.

n Trotz Schuldentilgung in den letzten Jahren liegt der Schuldenstand noch überden jährlichen Gesamtausgaben des Landes. Es besteht ein rechtsverbindlicherSchul den abbauplan, so dass jedes Jahr der finanzielle Gestaltungsspielraum fürdie Landespolitik wieder wächst. Bis zum vollständigen Schuldenabbau werdenweitestgehend alle Einnahmen, die über den planmäßigen Ausgaben liegen, fürdie Schuldentilgung verwendet.

n Berlinferne Regionen werden mittels eines horizontalen Finanzausgleichs ausWachstumsgewinnen im Berliner Umland stabilisiert. Der Finanzausgleichschafft die Voraussetzungen dafür, dass auch die geographisch benachteiligtenKommunen über das eigene Steueraufkommen hinaus Mittel zur Verfügung haben, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.

c) Arbeit mit Energie: Wirtschaft, Arbeit und Energie im Jahr 2030

Brandenburg ist ein modernes, nachhaltig wirtschaftendes und forschungsorien-tiertes Industrie-, Handwerks-, und Dienstleistungsland, dessen Unternehmen gutauf den Zukunftsmärkten vertreten sind. Kooperationen und Qualitäts orien tie -rung sind wesentliche Parameter einer gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit. „GuteArbeit“, Produktivität und Innovationskraft der Unternehmen bilden die Basis fürmateriellen Wohlstand, soziale Beteiligung und einen handlungsfähigen Staat.

Zusätzliche Investitionen, technische Innovationen, aber auch eine gezielteindustrielle Strukturpolitik steigern die Leistungsfähigkeit der BrandenburgerWirt schaft. Verbesserte Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sowie intelligenteVerbindungen von Arbeit und Lebenswelt fördern gezielt die Attrakti vität desArbeitsmarktes. Die Förderpolitiken der Länder Brandenburg und Berlin sind zurEntwicklung der Metropolregion weiter verzahnt und zu einem organischenMiteinander verflochten. Die Region ist sich der Zukunfts chan cen des immerstärker zusammenwachsenden Europas und des gemeinsamen europäischenBinnenmarktes bewusst und richtet sich durch Kooperationen und Koordinie -rung mit ihren Nachbarregionen entsprechend europäisch aus.

Es ist erreicht, dass sich die Menschen in Brandenburg und Berlin mit dergemeinsamen Metropolregion identifizieren. Sie strahlt mit ihren positiven wirt-schaftlichen Auswirkungen auf das gesamte Land Brandenburg aus. Branden -burg-Berlin hat sich zu einer starken Region entwickelt, die nicht nur im Wett -

33perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 33: perspektive 21 - Heft 54

bewerb mit den Hauptstadtregionen in Europa besteht, sondern sich auch gegen-über den Ballungszentren in ihrer unmittelbaren Nähe, wie den deutschen undpolnischen Metropolregionen, behauptet.

In Deutschland sind alle Kernkraftwerke abgeschaltet. Die Energiefrage istdamit ein zentrales weltweites Thema. Brandenburg ist bei Wegen zur Energie -einsparung und der regenerativen Energiegewinnung Vorreiter.

WIRTSCHAFT

n Starkes Handwerk, ein leistungsfähiger Mittelstand und angesiedelte in- undausländische Unternehmen, die hochwertige Produkte und Dienstleistungenweltweit exportieren, haben Brandenburgs Platz im Wirtschaftsgefüge Deutsch -lands und Europas gefestigt. Dazu sind regionale Wertschöpfungsketten kom-plettiert und stabile Zuliefer- und Abnehmer-Be ziehungen etabliert. Branden -burg ist ein gefragter Wirtschaftsstandort für langfristige Investitionen. ImUmfeld des Flughafens „Willy Brandt“ (BER) hat sich ein Netz internationalagierender Unternehmen angesiedelt.

n Herausragende Brandenburger Wirtschaftsbereiche sind in erster Linie Luft- undRaumfahrt, Automobilindustrie, Verkehrs- und Energiewirtschaft, Bio technologie unddarauf zugeschnittene Dienstleistungen, des Weiteren der Tourismus,Gesundheitswirtschaft, das Handwerk, Optik, moderne Medien-, Informations-,Kommunikationstechnologien sowie nachhaltige Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.

n In den herausragenden Wirtschaftsbereichen fördert das Land Brandenburg ins-besondere die private Forschungs- und Entwicklungsinitiative von Unterneh -men sowie die Gründung und Ansiedlung junger Unternehmen mit innovati-ven Ideen, Produkten und Dienstleistungen. Dies stärkt bestehende regionaleWachstums kerne.

n Es ist gelungen, die Wissenswirtschaft zu stärken: Technologieorientierte Unter -nehmen engagieren sich verstärkt in Brandenburg. Unternehmen investierenüberproportional in Forschung und Entwicklung, auch in Kooperation mit denbrandenburgischen Hochschulen.

n Brandenburg wirtschaftet in weitgehend geschlossen Stoffkreisläufen, vermeidetdie Entstehung neuer und forciert die Auflösung bzw. den Rückbau vorhande-ner Mülldeponien u. a. zur Gewinnung von (Alt-)Rohstoffen. Biomasse wirdnicht nur energetisch, sondern auch stofflich genutzt.

n Brandenburg ist als logistische Drehscheibe führend in der Entwicklung undUmsetzung umweltschonender Transportsysteme. Das schafft zusätzliche Wert -schöpfung und leistet einen Dienst für unsere Umwelt.

34 november 2012 – heft 54

magazin

n Herausragende Brandenburger Wirtschaftsbereiche sind in erster Linie Luft- undRaumfahrt, Automobilindustrie, Verkehrs- und Energiewirtschaft, Bio techno lo gieund darauf zugeschnittene Dienstleistungen, des Weiteren der Tourismus, Gesund -heitswirtschaft, das Handwerk, Optik, moderne Medien-, Informations-, Kommu -nikationstechnologien sowie nachhaltige Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft.

Page 34: perspektive 21 - Heft 54

n Der Flughafen „Willy-Brandt“ dient der Internationalisierung und guten Erreich -barkeit der Wirtschaft in Brandenburg, Berlin und im westlichen Polen. So trägter nicht nur zur weiteren Etablierung der Luft- und Raumfahrtbranche bei, son-dern unterstützt auch die peripheren Regionen. Zudem sichert er den Zugang zuden internationalen Zuliefer- und Absatzmärkten und sorgt für vielfältige wirt-schaftliche Kooperationen.

n Kleine und mittlere Unternehmen, darunter das Handwerk und Dienst leistun gen,sind zuverlässige Arbeitgeber und Stabilitätsfaktoren auch im ländlichen Raum.Sie sind Garanten für „Gute Arbeit“. Flankiert von leistungsfähigen Landesinsti -tutionen und engen Verbindungen zu den Fachhochschulen und Hochschulentragen die kleinen und mittleren Betriebe einen wesentlichen Anteil an der He -raus bildung leistungsfähiger wirtschaftlicher Kompetenz felder/Cluster.

n Eine auch in der Fläche des Landes hochleistungsfähige Infrastruktur trägt nichtnur zur Mobilität bei sondern auch zur Entwicklung gleichwertiger Lebens- undWirtschaftsbedingungen. Die flächendeckende Versorgung mit schneller Daten - übertragung ist Standard und dient landesweit einer guten wirtschaftlichenEntwicklung.

n Ein Hauptaugenmerk im ländlichen Raum liegt, neben der Stärkung vorhande-ner Handwerks-, Gewerbe- und Dienstleistungsstrukturen, auf der Produktionvon qualitativ hochwertigen Produkten der Land-, Forst- und Fischerei wirt -schaft. Dabei spielen Bioprodukte – auch über Brandenburg und Berlin hinaus –eine stärker werdende Rolle. Arbeitsintensive und wertschöpfende Produzentenwerden vorrangig gefördert. Die brandenburgische Landwirtschaftsgesetz ge -bung und der Förderkatalog sind darauf ausgerichtet. Dazu diente insbesonderedie landesspezifische Umsetzung der europäischen Agrarreform. Die Land wirt -schaft ist flächendeckend vertreten.

ENERGIE

n Aufgrund gezielter Förderung, Produktion und Nutzung moderner und nach-haltiger Technologien in den Wachstumskernen ist Brandenburg eine Modell -region alternativer Energien. Die entwickelten nachhaltigen sowie Ressourcenschonenden Technologien und das dazugehörende Knowhow werden in andereRegionen exportiert und leisten einen erheblichen Beitrag zur regionalen Wert -schöpfung sowie zur weltweiten Reduzierung von Emissionen.

n Jede nicht verbrauchte Kilowattstunde ist ein Gewinn: Technologien zur Ener -gieeinsparung, aber auch Bewusstseinsstärkung hierfür, sind dafür von zentralerBedeutung.

35perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 35: perspektive 21 - Heft 54

n Brandenburg hat seine Stellung als wichtiger Energielieferant für Europa unddie Bundesrepublik weiterentwickelt. Bereits vor dem Ausstieg aus der Atom -kraft hatte Brandenburg die Weichen für den notwendigen Energiemix gestellt.Die hochtechnologieorientierte Weiterentwicklung von Braunkohle verstro -mung als „Brückentechnologie“ und der Status als führende Region in der Er -zeugung und Speicherung regenerativer Energien sind zwei Seiten einer Medail -le; die Braunkohle ist zum Partner der erneuerbaren Energien geworden.Brandenburg ist führend in Forschung, Entwicklung und Produktion auf denGebieten bei der Energieerzeugung, der Energieweiterleitung und der Energie -speicherung.

n Kommunen und Einwohner, die als Folge von Energiegewinnung Lasten tra-gen, werden am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt und für Vermögensschäden an-gemessen entschädigt. Die Stromnetze sind teilweise kommunalisiert. Dies er-möglicht kommunale Einnahmen.

n Die Kosten erneuerbarer Energien müssen im Interesse des sozialen Ausgleichsauf breite Schultern verteilt werden. Alle müssen ihre Beiträge leisten.

ARBEIT

n Eine positive ökonomische Entwicklung, erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik undder demografische Wandel schaffen in Brandenburg weitgehende Vollbe schäf -tigung. Menschen, die nur schwer Zugang zum Arbeitsmarkt finden, werdenauf diesem Weg unterstützt, denn statt Arbeitslosigkeit wird Arbeit finanziert.Dazu gehört öffentliche Beschäftigung ebenso wie passgenaue Qualifizierung.

n Die Strategie von Landesregierung und Sozialpartnern des Bildens, Haltens undGewinnens hat bewirkt, Fachkräftemangel zu vermeiden. Das bezieht sich aufdie stark nachgefragte Beschäftigung in der Sozial- und Gesundheits wirt schaftebenso wie auf technische Berufe.

n Neben der verbesserten dualen Ausbildung, erheblich ausgeweiteter Fort- undWeiterbildung ist es aufgrund höherer Löhne, einer positiven Verzahnung vonArbeits- und Lebenswelt und eines hervorragenden Gründungsklimas gelungen,einen attraktiven Arbeitsmarkt zu errichten, der auch über die Landesgrenzenhinaus anziehend wirkt. Viele ausländische Arbeitskräfte verhindern Arbeits -kräftemangel. Sie sind in Brandenburg willkommen.

n Passgenaue Informationssysteme gewährleisten bis auf die lokale Ebene, dassAngebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zueinanderfinden. Diese Infor -mationssysteme bieten auch detaillierte Angaben zu „weichen“ Stand ort faktorenwie Wohnen, Schule und Freizeit.

36 november 2012 – heft 54

magazin

Page 36: perspektive 21 - Heft 54

n Ein attraktives Schul- und Hochschulsystem sowie ein modernes Aus- undWeiterbildungssystem erschließen die Kompetenzen, Fähigkeiten und Interes -sen aller Brandenburger Jugendlichen und Erwachsenen. Arbeitgeber unterstüt-zen das lebenslange Lernen aktiv, u. a. durch die Ermöglichung tätigkeitsbeglei-tender Qualifizierungen.

n Brandenburg bietet qualitativ hochwertige und damit attraktive Arbeitsplätze,die sich nicht nur durch eine leistungsorientierte und faire Entlohnung aus -zeichnen, sondern auch die Voraussetzung für die Balance von Erwerbs- undPrivatleben, Flexibilität, sowie Selbst- und Mitbestimmung in einem Normal -arbeitsverhältnis bieten. Positive Standortfaktoren sind unter anderem: funktio-nierende soziale Strukturen, einschließlich Betreuungsangebote für Kinder undpflegebedürftige Angehörige, Freizeitangebote, eine leistungsfähige Infra struk -tur, attraktive Städte sowie die ländlichen Räume mit ihren natürlich erhaltenenLandschaften.

n Der Arbeitskräftebedarf wird gedeckt; gelegentliche Engpässe können schnellausgeglichen werden. Zahlreiche zuvor unfreiwillige Teilzeit-Arbeits verhält -nisse sind zu Vollzeitstellen aufgewertet worden; mehr Ältere nehmen aktivam Erwerbsleben teil. Frauen und Männer sind gleichermaßen erwerbstätig.Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Gleichberechtigung in Bezug auf Ausbil -dungs- und Arbeitsplatzzugang und Bezahlung. Brandenburg ist attraktiv alsRegion zum Leben und Arbeiten für qualifizierte Menschen aus Deutschlandund der Welt.

n Leistungsgerechte Entlohnung und hohe Tarifbindung stärken die Binnen -nachfrage und verhindern Abwanderung sowie Fachkräftemangel. Ein bundes-weiter gesetzlicher Mindestlohn ist längst eingeführt.

n Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sind attraktive und gestaltungsfähigeAkteure, die in der Lage sind, eigenverantwortlich überbetriebliche Lösungen zuschaffen. Die erreichte Verzahnung der Aktivitäten zwischen den Sozial part -nern, den Kammern und der Landesregierung stärkt Arbeitgeber und Arbeit -nehmerinnen und Arbeitnehmer im gemeinsamen Bemühen um attraktiveArbeitsplätze und eine innovative wirtschaftliche Entwicklung.

n Die Unternehmen haben die Qualität der dualen Ausbildung als eine wesentli-che Quelle ihrer Zukunftssicherung weiterentwickelt. Damit werden einerseitsdie betrieblichen Bedarfe abgedeckt und andererseits die individuellen Karrierenin Brandenburg gesichert.

37perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 37: perspektive 21 - Heft 54

d) Stadt, Land, Fluss mit Zukunft: Infrastruktur, Landesplanung,Regionen, Ländlicher und Städtischer Raum im Jahr 2030

Eine leistungsfähige, sozial- und umweltverträgliche Infrastruktur ist die Grund -lage für die wirtschaftliche Wertschöpfung, den materiellen Wohlstand und diesoziale Basis der Gesellschaft. Sie muss bis 2030 der demografischen Entwicklungmit neuen Modellen angepasst werden. Alle Regionen Brandenburgs entwickelnihre Stärken und prägen das Land unabhängig von Verwaltungsgrenzen. DieUm weltsituation ist auf hohem Niveau stabil. Die Landwirtschaft ist im ländli-chen Raum weiterhin maßgeblicher Arbeitgeber.

INFRASTRUKTUR

n Die beitrags- und gebührenfinanzierte Infrastruktur – insbesondere kommunaleStraßen, Wasser- und Abwasseranlagen – sind in allen Teilen des Landes sozialverträglich, ökologisch und wirtschaftlich ausgestaltet.

n Die Infrastruktur ist flexibler geworden: Rückbau- und Erweiterungs möglich -keiten von Anlagen machen eine Anpassung an wirtschaftliche oder demografi-sche Veränderungen finanzierbar.

n Brandenburg hat angesichts des demografischen Wandels dezentrale und flexi-ble Lösungen erprobt, Angebote kombiniert und Standards in bestimmtenRegionen gelockert.

n Das Verkehrssystem bietet der Wirtschaft und den Menschen gute Bedin gun genin allen Teilen des Landes. Alle Verkehrsträger haben gleiche Chancen. DieStandortvorteile Brandenburgs werden genutzt, um ein hochwertiges ausgebau-tes Verkehrsnetz – Schiene, Straße, Wasser – zu erhalten. Die Elektromobilitätund die Teilhabe an Verkehrsträgern (u. a. Carsharing, Bürgerbusse) spielen eineimmer größere Rolle.

n Der öffentliche Verkehr kommt den unterschiedlichen Bedürfnissen und Er for -dernissen von Frauen, Männern, Kindern und Jugendlichen sowie Älteren naheund ist sozial verträglich ausgestaltet. Er verbindet alle Regionen des Landes –trotz der teilweise geringeren Bevölkerungsdichte – untereinander, mit derMetropolregion Berlin, anderen Metropolregionen Europas und mit unseremNachbarland Polen. Öffentliche Verkehrsmittel binden touristische Ziele gut anund leisten damit einen wichtigen Beitrag zum umweltfreundlichen Tourismus.Sein Anteil hat sich gegenüber dem Individualverkehr deutlich erhöht. In allenTeilen des Landes ist eine Grundversorgung sichergestellt, die sich nicht alleinnach der Nachfrage richtet.

38 november 2012 – heft 54

magazin

Page 38: perspektive 21 - Heft 54

n Die individuelle und öffentliche Mobilität ist gewährleistet. Es besteht weiterhinein leistungsfähiger, umfangreicher und weitgehend barrierefreier öffentlicherNahverkehr. In besonders dünn besiedelten Gebieten sind Bürgerbusse, Kombi -busse und Ruftaxis Teil des öffentlichen Verkehrssystems. Sie übernehmen –nach erfolgten Änderungen bundesgesetzlicher Regelungen – zugleich Linien -verkehr, Postfahrten sowie Kurier- und Fahrdienste.

LANDESPLANUNG, REGIONEN, LÄNDLICHER UND STÄDTISCHER RAUM

n Die Landesplanung unterstützt die Landesentwicklung und Standortplanung;sie ist Grundlage für den kommunalen Finanzausgleich: Berlinfernere Regionenwerden mit der Finanzkraft aus dem engeren Verflechtungsraum gestärkt.

n Die Ober- und Mittelzentren sind die zentralen, gut erreichbaren Orte undBasis der Entwicklung und Versorgung.

n Starke Regionen mit eigenem Profil treiben mittels Kooperationen und Netz -werken unabhängig von Verwaltungsgrenzen nachhaltige Entwicklungen undInnovationen voran. Die Menschen sind stolz auf ihre Region, bodenständigund weltoffen. Es herrscht ein Klima, in dem nicht nur „Zugezogene“ schnell zu„Einheimischen“ werden und damit dem Arbeitskräftemangel und der Abwan -derung entgegenwirken, sondern in dem auch neue Ideen reifen und regionaleProfile entwickelt und grenzüberschreitende wirtschaftliche Kooperationennach Nord-, Mittel- und Osteuropa aufgebaut werden.

n Die Regionen nutzen die einzigartigen Chancen, die in den Verflechtungs -räumen jenseits der brandenburgischen Landesgrenzen liegen: die Energie-Re gion Lausitz-Spreewald; die Uckermark im Szczeciner Einzugsbereich; diePrignitz im weiten Einzugsbereich der Metropolregion Hamburg; die Seen -land schaft in der Niederlausitz in der Nähe zu erfolgreichen Industrie unter -nehmen in Senftenberg und Spremberg, zur Universitätsstadt Cottbus, zursächsischen Landeshauptstadt Dresden, bis hin zur schlesischen MetropoleWroclaw und die Millionenstadt Berlin.

n Auch soziale Netzwerke, kulturelle Einrichtungen, gemeinsame Erholungs -räume, ökonomische Verflechtungen haben alle Partner gestärkt und Bran -denburg-Berlin zu einem Bindeglied des regen Austauschs von Gütern undDienstleistungen, von Wissen und Kultur zwischen den Regionen in Nord-,Mittel- und Osteuropa gemacht.

n Die Landwirtschaft ist entscheidender Faktor zur Stabilisierung ländlicherRäume und zum Erhalt und zur Entwicklung der Kulturlandschaft. Sie produ-ziert vielfach nach biologischen und ökologischen Kriterien und fügt sich so in

39perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 39: perspektive 21 - Heft 54

das Profil Brandenburgs als nachhaltiges Wirtschaftsland ein. Der Ökolandbauist ein wichtiger Arbeitgeber im ländlichen Raum. Regionale Vermarktungs -strukturen sind, auch zur Vermeidung langer Transportwege ausgebaut. Rest-,Neben- und Abfallstoffe werden konsequent für die energetische Verwertunggenutzt.

n Ländlicher Raum und Energiegewinnung, insbesondere erneuerbare Energien,sind untrennbar miteinander verbunden. Für die Gemeinden im ländlichenRaum bedeutet die örtlich erfolgende Energiegewinnung eine „kommunaleDividende“. Es wird darauf geachtet, dass die Nutzung landwirtschaftlicherFlächen für erneuerbare Energiegewinnung nicht die Grundlagen der Land -wirtschaft bedroht.

n Die ländlichen Räume sind für viele Menschen attraktive Wohnorte. SchnelleDatenverbindungen ermöglichen „Arbeit und Leben im Grünen“.

n Natur- und Umweltschutz und damit verbunden der Umwelt-Tourismus spie-len eine zentrale Rolle im ländlichen Raum. Sie binden die im Land lebendenMenschen angemessen ein und sichern eine grundlegende Teilhabe, um regio-nal spezifische Freizeitaktivitäten zu ermöglichen. Natur- und Umweltschutzsind als wesentliches brandenburgisches Merkmal entwickelt, akzeptiert und imLeben der Menschen verwurzelt.

n Die Urbanisierung wird sozial gestaltet. Von attraktiven Innenstädten gehen diewichtigen Impulse für die Entwicklung der Städte aus; aus dem Prozess desStadtumbaus sind die Städte gestärkt hervorgegangen. Der kommunale sozialeWohnungsbau sichert mit seiner dauerhaften Mietpreisvorgabe sozial und kul-turell ausgewogene Stadtquartiere im Berliner Umland.

e) Wissen ist Zukunft: Bildung, Wissenschaft, Kultur und Sport im Jahr 2030

Der demografische Prozess erfordert Veränderungen in allen Bildungsbereichenvon der Kita bis zur Hochschule – bei gleichzeitiger Verbesserung der Bil dungs -qualität. Deshalb müssen alle Potentiale genutzt werden, denn die Gesell schaftkann es sich nicht leisten, jungen Menschen Lebenschancen zu verbauen. Bil -dung muss immer stärker lebensbegleitend und länderübergreifend sein. Es gibtim Jahr 2030 ein landesweites Medienbildungskonzept. Bran denburg und Berlinmüssen sich in der schulischen und hochschulischen Ausbildung noch engerabstimmen. Aktive Hochschulpolitik ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und einInstrument zur Verjüngung des Landes, wenn junge Menschen auch aus anderen

40 november 2012 – heft 54

magazin

Page 40: perspektive 21 - Heft 54

Regionen für Brandenburg gewonnen werden. Kultur und Sport sind wichtigeIdentitätsanker für das Land Brandenburg und bedeuten für viele MenschenLebensglück. Mit diesem Verständnis von Bildung, Wissenschaft, Kultur undSport wird niemand ausgegrenzt.

FRÜHKINDLICHE BILDUNG, ERZIEHUNG UND BETREUUNG

n Im Jahr 2030 soll jeder junge Mensch einen Schul- und Berufsabschluss erreichen. Die Voraussetzungen dafür werden früh geschaffen: Der Anteil der Kita-Kinder (insbesondere bis zum vollenden zweiten Lebensjahr) ist – vom Elternwunsch abhängig – erhöht und die Gruppengrößen sind verkleinert.

n Eine wohnortnahe Betreuung im ländlichen Raum ist durch kleine Kinder -tagesstätten oder Tagesmütter und -väter möglich. Für diese gelten neueQualifizierungsstandards. Eine leistungsgerechte Bezahlung ist gewährleistet.

n Die Fachschulausbildung der Erzieherinnen und Erzieher ist reformiert.Pädagogische Fachkräfte sind gendersensibel qualifiziert. Im Jahr 2030 gibt eseine gute Mischung von an der Fachhochschule und an der Fachschule ausge -bildeten Erzieherinnen und Erziehern an den Kindertagesstätten, etwa imVerhältnis von 30 zu 70.

n Inklusion beginnt bereits in der Kita. Die Kinder lernen menschliche Vielfaltund soziales Miteinander kennen. Die Kitas und Horte sind räumlich und personell darauf ausgerichtet, Kinder mit unterschiedlichen Begabungen und Einschränkungen zu betreuen, zu erziehen und zu bilden. Partner schaf -ten zwischen Kitas und Schulen verbessern den Übergang von der einen indie andere Institution. Zwei Jahre vor der Einschulung erfolgt eine verbindli-che Sprach stands- und Kompetenzanalyse. Kinder können mit Blick auf ihreStärken und Defizite frühzeitig und angemessen gefördert werden. Die Über-gänge sind fließend. Zwischen Kitas und Grundschulen bestehen Bil dungs -verbünde.

n Der Anteil der männlichen Erzieher und Grundschullehrer ist deutlich erhöht;Kinder haben damit in der öffentlichen Bildungs- und Betreuungsstruktur auchmännliche Bezugspersonen.

n Die Kitas verfügen über eine ausreichende interkulturelle Kompetenz, um fürKinder von zugewanderten Eltern eine adäquate Betreuung zu sichern (u. a.Beachtung der Speisevorschriften, religiöse Feste etc.).

n Die Zusammenarbeit zwischen Kita, Kinderärzten, Jugendamt und sozialemDienst ist ausgebaut.

41perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 41: perspektive 21 - Heft 54

SCHULE

n Bildungsangebote sind im ganzen Land vorhanden und bleiben wohnortnah erhalten. Das Schulsystem ist durchlässig. Private Einrichtungen ergänzen dasumfangreiche landesweite öffentliche Bildungssystem.

n Im Flächenland Brandenburg wird auf die regionalen Besonderheiten mit unterschiedlichen Schulorganisationen reagiert: vom jahrgangsübergreifendenUnterricht bis hin zu mehrzügigen Bildungseinrichtungen, auch mit ange-schlossenen Kitas. Darin sind Schulen in freier Trägerschaft eingeschlossen.Alle Schülerinnen und Schüler haben sowohl auf dem gymnasialen (12 Jahre)wie auch nichtgymnasialen Weg (13 Jahre) Gelegenheit, die Hochschulreife zu erlangen.

n Schule für Alle: Inklusion ist als Handlungskonzept – auch entsprechend den lokalen Gegebenheiten – verwirklicht. Schülerinnen und Schüler mitDefiziten in den Bereichen Lernen und Soziales, mit geistigen oder körper -lichen Einschränkungen, besuchen eine Regelschule, sofern dies im Interesseihrer geistigen oder körperlichen Entwicklung ist und sie den Besuch einerRegelschule leisten können. Dies verringert auch die Zahl der Jugendlichenohne Schulabschluss. An diesen Schulen ist dafür die technische und perso -nelle Infrastruktur geschaffen. An der Universität Potsdam wird ein beson -derer Schwerpunkt auf Inklusionspädagogik gelegt. Die Lehrkräfte sind aufdie Herausforderungen des inklusiven Unterrichts durch eine flächendecken-de Qualifizierung vorbereitet worden. Bildungsgerechtigkeit kann mit derSchulform einer Gemeinschaftsschule mit allen Chancen eines Abschlusses erreicht werden.

n Alle öffentlichen Schulen sind Ganztagsschulen: Für gemeinsames Lernen undLeben. Sie sind von großer Bedeutung – und insbesondere für den ländlichenRaum auch im Interesse der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unerlässlich.Die Ganztagsschulen arbeiten mit Lehrbeauftragten aus Kultur, Sport, Hand -werk oder Wirtschaft zusammen. Jugendsozialarbeit ist weiter ausgebaut. Bil -dung und Teilhabe sind dadurch tatsächlich möglich sowie ohne bürokratischenAufwand finanzierbar.

n In Orten mit Schulen ab der 7. Klasse werden an gefährdeten Standorten Schul -verbünde oder die Zusammenlegung von Gymnasium und Oberschule zurGesamtschule mit gymnasialer Oberstufe geprüft. Mancherorts sind Internats -angebote sinnvoll.

n Im Interesse kurzer (Schul-)Wege sind Grundschulen im ländlichen Raum –auch als Kleinschulen – erhalten oder Bildungsverbünde von Kitas, Grund -

42 november 2012 – heft 54

magazin

Page 42: perspektive 21 - Heft 54

schulen und weiterführenden Schulen geschaffen; dies macht den optimalenEinsatz des Personals möglich. Angebote zum E-Lernen gewährleisten ein viel-fältiges Fächerangebot im ganzen Land.

n Die Schulen erhalten mit größerem eigenen Budget mehr Verantwortung; sie ha-ben ein stärkeres Mitspracherecht bei der Auswahl des Personals. Zudem gewähr-leisten Angebote zum E-Lernen ein vielfältiges Fächerangebot in der Sekundar -stufe II im ganzen Land. Die Schulleitungen tragen größere Eigen verantwortung.Durch geeignete Maßnahmen ist Unterricht auch im Ver tre tungsfall gewährleis-tet. Das Schulklima ist von Wertschätzung geprägt.

n Der unverminderte bundesweite Wettbewerb um gut ausgebildete Lehrkräfteerfordert, ihnen gute Arbeitsbedingungen mit größtmöglicher Eigenständigkeitzu bieten.

n Im Interesse der Chancengleichheit in allen Regionen Brandenburgs werden alleAnstrengungen unternommen, um auch für berlinferne Regionen qualifizierte(Fach-)Lehrkräfte zu gewinnen.

n Alle Schülergremien auf Kommunal- und Landesebene sind selbstbestimmt undautonom. Es gibt eine verfasste Schülerselbstverwaltung.

BERUFLICHE BILDUNG UND WEITERBILDUNG

n Schrittweise Berufsorientierung und Praxislernen leiten bereits in der sechstenKlasse die berufliche Qualifikation ein. Notwendig ist ein Übergang von derSchule in die Berufsausbildung ohne Reibungsverluste. Die Betriebe setzen inZusammenarbeit mit den Oberstufenzentren und den Kammern Bildungs pro -zesse fort.

n Jeder Jugendliche erhält ein Ausbildungsangebot – auch Jugendliche mitschlechten Startchancen.

n Zweite Chance: Jede und jeder hat die Möglichkeit einen Schulabschluss odereinen Berufsabschluss nachzuholen. Die Angebote sind vielfältig und auf dieindividuellen Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten.

n Weiterbildung in und aus der Arbeitslosigkeit sowie beständige beruflicheQualifikation sind gesellschaftliche Standards, um die Parallelität von Arbeits -losigkeit und Fachkräftemangel zu vermeiden und berufliche Weiterent wick -lung zu ermöglichen.

n Mit den Volkshochschulen, den Oberstufenzentren, der Agentur für Arbeit undden Hochschulen ist ein enges Netz an allgemeinen und beruflichen Weiter -bildungsangeboten geknüpft. Es gibt auf diesem Feld eine enge Kooperationzwischen dem Land und den Sozialpartnern.

43perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 43: perspektive 21 - Heft 54

HOCHSCHULEN UND WISSENSCHAFT

n Die Brandenburger Hochschulen bieten ein vielfältiges und ausfinanziertesFächerangebot, das sich an der Nachfrage aber auch an den Anforderungen derWirtschaft im Metropolenraum Berlin-Brandenburg orientiert.

n Sie präzisieren ihre Profile laufend weiter und sind damit für Lehrende undLernende auch aus anderen Bundesländern und dem Ausland attraktiv, z. B. inden Bereichen (frühkindliche) Bildung, Pflege, Gesundheitsberufe, Energie -systemtechnik, Bioökonomie oder technischer Umweltschutz.

n Allen jungen Menschen in Brandenburg mit der Berechtigung zum Hoch -schulzugang wird die Chance geboten, studiengebührenfrei in Brandenburg zustudieren. Die Bildungsangebote tragen sowohl den Ausbildungswünschen alsauch den Bedarfen Rechnung. Das gilt auch für Masterstudienplätze.

n Entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrates bestehen auch in Bran -denburg Universitäten und Fachhochschulen als weiterentwickelte Typenan ge -bote. Durch ihre unterschiedlich ausgebauten Profile und die dadurch gegebeneVielfalt sprechen die Hochschulen erfolgreich spezifische Zielgruppen an. In die-sem Sinne bestehen auch an unterschiedlichen Hoch schulen vergleichbareFächerangebote, die aber jeweils verschiedene Ausrich tungen haben und damit derNachfrage entsprechen. Die unterschiedlichen Hochschulabschlüsse dienen auchdazu, den Fachkräftebedarf zu sichern.

n Die Hochschulen öffnen sich weiter. Immer mehr Menschen studieren auch ohne Abitur und aus dem Berufsleben heraus. Die Hochschulen entwickeln soihre Rolle als Träger des sozialen Aufstiegs fort und bieten mehr Studienplätzean. Gleichzeitig wird die deutschlandweit führende Position der Fachhoch schu -len in der angewandten Forschung durch Verbesserung der Randbedin gungen(leistungsbezogenes Promotionsrecht, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fürForschung) gesichert und ausgebaut.

n Die Zusammenarbeit zwischen den Hochschulen, mit den außeruniversitärenForschungseinrichtungen und den Unternehmen in der Region Berlin-Bran den -burg ist ausgebaut. Der Technologie- und Innovationstransfer zwischen Hoch -schulen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen ist ein ständiger Prozess, der die Wettbewerbsfähigkeit der Brandenburger Unternehmen, aber auch dieHochschulen und Forschungseinrichtungen stärkt. Praktika und Stipendien bin-den Studierende langfristig an Unternehmen und damit an Brandenburg.

n Ein dauerhafter Bund-Länder-Pakt stellt die Finanzierung der Hochschulen aufeine sichere Grundlage. Eine Vereinbarung mit dem Land verschafft den Hoch -schulen Planungssicherheit.

44 november 2012 – heft 54

magazin

Page 44: perspektive 21 - Heft 54

n Die Hälfte eines Altersjahrgangs nimmt ein Studium auf. Die Möglichkeitendes Studienbeginns mit einem qualifizierten Berufsabschluss sind erweitert undwerden gut genutzt. Das Angebot an dualen Studiengängen ist ausgeweitet.

n Die Hochschulen haben sich mit speziellen Master-Angeboten, Möglichkeitendes berufsbegleitenden Studiums und Modul-Angeboten für die tätigkeitsbe-gleitende Weiterbildung weit geöffnet.

n Der gleichmäßige Geschlechteranteil spiegelt sich auf allen Karrierestufen bishin zu den Professuren wider. Die Vereinbarkeit von Studium bzw. wissen-schaftlicher Arbeit und Familie ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Dazudienen auch mehr Möglichkeiten zum Teilzeitstudium, um eine flexiblereLebensplanung zu ermöglichen.

n Fast alle Studierenden absolvieren ein Auslandssemester oder Auslandsprakti -kum, um sich sprachlich, kulturell und fachlich zu bilden und bestmöglich zurinternationalen Zusammenarbeit beitragen zu können.

n Wissenschaft ist zentraler Standortfaktor und entscheidender Motor für die lang-fristige und nachhaltige Entwicklung Brandenburgs. Der Anteil des Wissens chafts - sektors an den Arbeitsplätzen wird sich kontinuierlich erhöhen. Die Hoch schulensichern den Bedarf des Landes an Fachkräften. Die Bildungs einrichtungen haltenjunge Menschen im Land und fördern zugleich die Mobilität.

n Bildungseinrichtungen halten Jugendliche und junge Familien in den Regionen.Nach der Ausbildung wird der Weg in die Selbstständigkeit genauso gesucht wiein Anstellungsverhältnisse. Unternehmensgründungen schaffen Arbeitsplätzeund wirken so dem demografischen Wandel entgegen.

n Die weitere Internationalisierung ermöglicht es den brandenburgischen Hoch -schulen, ihre Angebote in Forschung und Lehre fortzuentwickeln.

n Die Hochschulselbstverwaltung in Brandenburg orientiert sich am Grundsatzder gleichberechtigten Mitbestimmung.

KULTUR

n Allen Brandenburgerinnen und Brandenburgern wird kulturelle Teilhabe ermög-licht. Das schließt die Hochkultur ebenso ein wie die Soziokultur und populäreKultur. Kultur kann so ihre Integrations- und soziale Bindungskraft entfalten.Kulturelle Bildung richtet sich an alle Generationen.

n Dafür sind jedoch verstärkt privates finanzielles Engagement, ehrenamtlicherEinsatz und die Nutzung öffentlicher Beschäftigung notwendig.

n Eine kommunale Gebiets- und Verwaltungsreform bietet die Chance für eineVerbreiterung der finanziellen Basis von Kultureinrichtungen. Ensembles und

45perspektive21

brandenburg 2030 – wir gestalten die zukunft!

Page 45: perspektive 21 - Heft 54

Einrichtungen suchen dabei auch „auf dem Land“ ihre Verankerung, um ihreAufgaben der kulturellen Bildung und beim Kulturtourismus wahrzunehmen.

n Kultur für alle setzt bei den Jüngsten an. Voraussetzung für die kulturelle Bil -dung ist die enge Vernetzung von Musikschulen, Künstlerinnen und Künstlern,Orchestern und Theatern mit den Kindertagesstätten und den Schulen. Dafürsind Ganztagsschulen der geeignete Ort.

n Natur, Kultur und brandenburgisch-preußische Geschichte stiften Identität nachinnen und schaffen Attraktion nach außen. Kulturtourismus setzt auf Qualitätaber auch auf Erlebnis und Atmosphäre. Musikfestivals, Open-Air-Konzerte,Sommertheater und Seefestspiele sind Angebote in der Mitte der Bran denburgerKultur- und Naturlandschaft. Kulturmarketing muss angesichts der Konkurrenzinnovativ und professionell sein.

SPORT

n Gesundheit und Fitness sind für die Menschen im Jahr 2030 sehr wichtig. Derenge Zusammenhang von körperlicher und geistiger Fitness wird an den Kin -der tagesstätten, Schulen und Hochschulen intensiv vermittelt.

n Sport leistet im Sportland Brandenburg 2030 einen wichtigen Beitrag zur Identi -fikation. Brandenburg bietet beste Voraussetzungen für den Spitzensport, z. B. anden Sportschulen und an den Olympiastützpunkten.

n Seniorensport wird immer stärker nachgefragt. Kommunen und Vereine bietendafür attraktive Angebote an.

n Aufgrund der teilweise stark abnehmenden Bevölkerungszahlen, insbesondereder Zahl junger Menschen, wird der Konkurrenzkampf der Vereine im Brei ten -sport um aktive Mitglieder härter. Um zu vermeiden, dass regional oder lokalAngebote gestrichen werden müssen, spezialisieren sich die Vereine teilweisenoch stärker und unterbreiten Verbundangebote. Die Kooperation mit denSchulen sowie den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe wird weiter verstärkt.

VEREINSLEBEN

n Das Vereinsleben stellt nicht nur im ländlichen Raum eine wesentliche Basis fürgesellschaftliches Zusammenleben dar. Zum Erhalt und der Steigerung derAttraktivität, effizienter Nachwuchsarbeit und Werbung in allen Altersgruppenentwickeln wir fachübergreifende Entwicklungsstrategien mit allen Vereinen zu-sammen in dafür eigens geschaffenen Netzwerken.

46 november 2012 – heft 54

magazin

Page 46: perspektive 21 - Heft 54

D a nun die Sozialdemokratie die Notwendigkeit einsieht, dass die Frauen in gewerkschaftlicher und politischer Beziehung mitarbeiten, und da die Gesetze

uns keine politischen Rechte geben, die Partei aber in ihrem Programm ausgespro-chen hat, dass die Frauen gleichberechtigte Genossen sind, so sind wir der Ansicht,dass die sprachliche Fassung so beschaffen sein muss, dass dem Eintritt und derMitwirkung der Frau kein Hindernis auferlegt wird.“1 Dies stellte Ottilie Baader1894 klar.

Am Aufbau der sozialdemokratischen Frauenbewegung war Ottilie Baader wegweisend beteiligt. Beim Sammeln, Organisieren und der Schulung von Arbei -terin nen übernahm die in Frankfurt (Oder) aufgewachsene Ottilie Baader eine herausragende Rolle. Durch ihr konsequentes Eintreten für die Interessen derProleta rierin nen erwarb sie sich in Berlin und Brandenburg, später deutschland-weit und international, Ansehen und Anerkennung sowie das Vertrauen der Ar -beiterinnen und Arbeiter. Auch mit den Beschlüssen des Brüsseler Kongresses unddes Erfurter Parteitages sah sie sich in ihrer Auffassung im Kampf für soziale undpolitische Gleichberechtigung der Frauen und deren Einbeziehung in den proleta-rischen Klassenkampf bestätigt. Als Delegierte des 2. Internationalen Arbeiterkon -gresses wurde sie noch bekannter und eine begehrte Referentin in den Diskus sio -nen zur Gleichstellung beider Geschlechter, der Organisierung von Frauen sowiezum Arbeiterinnenschutz. Sie galt als mitreißende Rednerin. 1892 unterbreiteteOttilie Baader den Berliner Parteitagsdelegierten einen Antrag zur Änderung desOrganisationsstatuts, mit dem aus „Vertrauensmänner“ „Vertrauenspersonen“wurden. Ottilie Baader setzte ihre Leidenschaft und Zielstrebigkeit für die Mit -wirkung von Arbeiterinnen in den Berufsorganisationen der männlichen Kollegenein. Sie kämpfte um die Einbeziehung von Frauen in die Gewerkschaften, wandtesich gegen Kinderarbeit und forderte den gesetzlichen Arbeiterinnenschutz.

1895 übernahm sie zunächst in ihrem Wahlkreis, 1899 schon als zentrale Ver -trauensperson der SPD die Aufgabe, unter besonderer Beachtung der „Verord nungüber die Verhütung eines, die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdendenMissbrauchs des Versammlungs- und Vereinsrechts“, die Verbindung zu den derSPD nahestehenden Frauen herzustellen. Mit ihnen wurden Forderungs ka taloge

47perspektive21

d a s s t r a ß e n s c h i l d Ottilie Baader

1847-1925

Ein steiniger WegVON ULRIKE HÄFNER

Page 47: perspektive 21 - Heft 54

erarbeitet, die von der SPD-Fraktion in den Reichstag eingebracht werden sollten.Ottilie Baader sah ihre Aufgabe vor allem in der Vernetzung mit weiblichen Vertrau -enspersonen aus anderen Städten und in der Ausbildung von „Agitatorin nen“. Bis1917 leitete sie das „Zentralfrauenbüro“ beim Parteivorstand der SPD. Sie kämpfteenergisch für das Wahlrecht der Frauen. Die Veränderungen der Ar beitsbedin gun genfür Fabrikarbeiterinnen, der Heimarbeiterinnen und der menschenunwürdigen Lageder Dienstbotinnen waren ihre besonderen Anliegen. Ihr Ziel war die Emanzipationder Frauen in einer neuen, von Ausbeutung und Unter drückung freien Gesellschaft.2

Ende des 19. Jahrhunderts wie auch heute ist die Beteiligung von Frauen einestrategische Frage für den gesellschaftlichen Fortschritt. Das Leben und Wirkenvon Ottilie Baader ist beispielgebend dafür, wie politisches Engagement zur Per -sönlichkeitsbildung und zum demokratischen Miteinander beiträgt. n

1 Vgl. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, abgehalten inFrankfurt/Main vom 21. bis 27. Oktober 1894 (Berlin 1894, S. 174 f.); Ottilie Baader, Ein steiniger Weg.

2 Vgl. Gisela Notz, Wegbereiterinnen 2003. Ottilie Baader (Online-Katalog der Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung.

ULRIKE HÄFNER

ist 1. Sprecherin des Frauenpolitischen Rates Land Brandenburg.

Mit dieser Rubrik stellen wir eine Person vor, deren Lebensleistung größere Beachtung verdient. Zum Beispiel in Gestalt von Straßen- oder Schulnamen.

48 november 2012 – heft 54

d a s s t r a ß e n s c h i l d Ottilie Baader

1847-1925

Page 48: perspektive 21 - Heft 54

R eisen bildet bekanntlich. Nichtsgeht über den eigenen Anschau -

ungsunterricht und Gespräche vor Ort.Dabei kann man auf dreierlei Weisevon den Erfahrungen Anderer profi -tieren. Zum einen durch Vorbild, zumanderen durch Bestätigung für eigenesTun und zum anderen, indem manFehler Anderer vermeidet.

Schweden ist bekannt für seinengut ausgebauten Sozialstaat und einehohe Lebensqualität. Daneben stehtes für Elche, weites Land, klare Seenund unberührte Natur. Gut neunMillio nen Einwohner teilen sich450.000 Quadratkilometer – odermit anderen Worten: 27 Einwohnerleben im Schnitt auf einem Quadrat -kilometer. In Brandenburg sind esderzeit etwa 85. Wie also gelingt es,Schulen, Ge sundheits- und Pflege -einrichtungen auch in dünn besiedel-ten Regionen zu organisieren? Undwie können wir von den schwedi-schen Erfahrungen profitieren? Dazudrei Beispiele.

ERSTENS. Das Haus sieht aus, als kämees aus „Bilderbuch-Schweden“. VielHolz, weiß und rot gestrichen, imGarten sind Spielgeräte verstreut, einbunter Kachelofen in einem Spiel zim -mer, der Wald beginnt unmittelbarhinterm Haus. Alles sieht so aus, alswürde Pippi Langstrumpf wirklichgleich um die Ecke kommen, so gemüt-lich wirkt die Einrichtung. Es ist dieVor schule Grönvallska in Dyltabruk.

Gute Kitas überall

In dieses Haus gehen gut 30 Kinder,geleitet wird sie von Ewa Fritze, diegleichzeitig für eine weitere Einrich -tung in der Gegend zuständig ist. „Wiröffnen morgens um 6:30 Uhr undschließen gegen 18 Uhr. Wenn dieEltern länger arbeiten müssen, machenwir auch später zu“, erklärt sie. „DasMittagessen organisieren wir zusam-men mit der Altenpflegestation gegen-über. Das ist einfacher für uns. An -sonsten gelten für uns die Regeln, die

49perspektive21

thema – quo vadis brandenburg?

Von Pippi Langstrumpflernen?WELCHE LEHREN WIR AUS SCHWEDISCHEN ERFAHRUNGEN

MIT SOZIALER UND BILDUNGSINFRASTRUKTUR IN DÜNN BESIEDELTEN

REGIONEN ZIEHEN KÖNNEN

VON GÜNTER BAASKE,RALF HOLZSCHUHER UNDMARTINA MÜNCH

Page 49: perspektive 21 - Heft 54

für alle Vorschulen in Schweden gel-ten.“ Am Ende des Besuchs reift dieerste Lektion: Quali tativ gute Kita- Be treuung lässt sich im Verbund besserorganisieren. Das heißt, man kann mitAußenstellen arbeiten, Verwaltungminimieren und am besten im Ver -bund mit anderen Einrich tun gen vor Ort arbeiten.

ZWEITENS. Im Erdgeschoss der Alten -pflegestation von Dyltabruk sitzt auchdie Bezirkskrankenschwester. Die ersteÜberraschung: Die Schwester ist einMann. Er kümmert sich nicht nur umdie Älteren vor Ort, er fährt auch jedenTag dutzende – manchmal hunderte –Kilometer und kümmert sich um alle,die Krankenpflege brauchen. DieKom mune ist sein Arbeitgeber, Strei -tereien mit Krankenkassen über Fahrt -abrechnungen – in Deutschlanddurchaus üblich – gibt es deshalbnicht. „Jeder wird von uns versorgt,egal wo er wohnt und wann er Hilfebraucht.“

So lange wie möglich zu Hause

Das gilt auch für Pflege dienste. RasmusPersson, Sozialstadtrat im mittelschwe-dischen Örebro, sagt dazu: „Wir wol-len, dass ältere Men schen so lange wiemöglich zu Hause wohnen können.Das ist das wichtigste. Deshalb ist dergrößte Ausgaben block in unseremkommunalen Haus halt auch der für

Pflege.“ Um sie auch in den entfern -testen Winkeln der Stadt abzudecken,wurde die Kommune in „Torten -stücke“ aufgeteilt, für die je weils nurein Pflegedienst verantwortlich ist.„Das ist effizienter, als wenn verschie-dene Pflegedienste gleichzeitig in ent-fernt liegende Ortsteile fahren wür-den“, erklärt Persson. Am Ende schältsich eine Erkenntnis heraus: Es ist klü-ger, wenn man bestimmte Dienstekoordiniert. Und durch die Planungs -zuständigkeit der Kommune gibt eskeinen albernen Wettbewerb der Trä -ger in dünnbesiedelten Regio nen. Dasspart Kosten und ermöglicht am Ende,dass alle, die Unterstützung brauchen,sie auch bekommen.

Mehr Zeit für Altenpflege

Überhaupt beeindruckt die Zusam -men arbeit unterschiedlicher Behördenund Einrichtungen in Schweden.Alten treffpunkte und Pflegestationengehen Hand in Hand mit Gesund -heits zen tren, Seniorenwohnungen,Pflege diens ten und Essen auf Rädern.Gerade beim Bau von Seniorenwoh -nungen geht es der Kommune darum,die Schwelle für Wohngemeinschaftenso niedrig wie möglich einzurichten.Im Ergebnis gibt Schweden mehr alsdreimal so viel seines Bruttoinlands -pro dukts für die Altenpflege aus. Dasäußert sich vor allem in mehr Perso -nal, das sich um die Älteren kümmern

50 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 50: perspektive 21 - Heft 54

kann. Für Deutschland und Branden -burg heißt das: Wir brauchen einegesellschaftliche Debatte um die Fra -ge, wie viel uns die menschenwürdigeBetreuung unserer älteren Mitbürgerwert ist, zumal wir zur Zeit die Alten -pflege eher verwalten als gestalten.

DRITTENS. In einem hellen Beratungs -raum der zentralen schwedischenBildungsverwaltung geht GunnarIselau selbstkritisch mit manchenEntwicklungen in seinem Land um.„In den vergangenen Jahren haben wirdie Verantwortung für die Schulenkomplett an die Kommunen übertra-gen. Gerade in dünn besiedelten Re -gionen hatte dies negative Effekte“,sagt er. In einigen Orten seien Schulenmit gerade mal gut 20 Schülern ent-standen, für die anderthalb Lehrerzuständig sind. „Die nötige Qualitätder Bildung lässt sich so jedoch nichtmehr sicherstellen“, ist er sich sicher.„Man muss sich nur vorstellen was pas-siert, wenn ein Lehrer mal krank ist.“

Arme Kommunen im Nachteil

Auch hätten ärmere Kommunen immergrößere Schwierigkeiten, ausreichendgute Lehrer zu gewinnen. Das führedazu, dass ein Viertel der Lehrer inFächern unterrichte, in denen sie nichtausgebildet sind. Zum Schulalltaggehören in Schweden aber auch, dassSchüler bis zu 60 Kilometer zu ihrer

Schule fahren müssen, genauso wie einTag in der Woche, wo sie zu Hausebleiben und online unterrichtet wer-den. In den besonders dünn besiedel-ten Regionen übernachten Gymnasial -schüler auch schon mal in Internaten.

Schwedens Bildungspolitik hat dieLehrer und Direktoren als die zentra-len Faktoren für den Erfolg von Schu -len ausgemacht. Deshalb wird in jüngs -ter Zeit die Lehrerausbildung deutlichverbessert, die Verantwortung derSchul leiter vergrößert. Kommunenarbeiten bei der Lehrerrekrutierungzusammen. Das führt dazu, dass eherdie Lehrer reisen anstelle der Schüler.

Auf die Lehrer kommt es an

Geübte Praxis in Schweden seit vielenJahren ist es, dass lern- und körperbe-hinderte Schüler in die „ganz norma-len“ Schulen gehen. Davon profitierenalle Kinder. Damit dies funktioniert,wird die individuelle Förderung derSchüler groß geschrieben. „Wir Päda -gogen müssen unseren Unterricht haltanpassen“, versucht Lena Persson, dieLeiterin der Grundschule Hammar -lund das Prinzip zu erklären. Dabeiwerden sie von Sozialpädagogen unter-stützt. Damit sich alle Kinder entfaltenkönnen, wie es das schwedische Schul -gesetz seit langem vorschreibt, sind vorallem die Lehrer gefordert.

Fazit Nummer drei: Für den Bil -dungs erfolg bei Schulen gibt es Unter -

51perspektive21

günter baaske, ralf holzschuher, martina münch – von pippi langstrumpf lernen?

Page 51: perspektive 21 - Heft 54

grenzen bei Schulgrößen. Vor allembrauchen wir eine Schulstruktur, dieindividuelle Lösungen für verschieden-artige Lan des teile bieten kann, denn zuunterschiedlich sind in Brandenburgdie Voraussetzungen zwischen demBerliner Umland und den äußerenRegionen. Um jedoch das Ziel gleicherBildungs chancen im ganzen Landerhalten zu können, haben die Lehrereine sehr große Verantwortung. Dazugehört auch, dass der Stellenwert desLehrer berufs in unserer Gesellschaftwieder höher sein muss und die Lehrerbesser unterstützt werden müssen.Außer dem muss in allen Schulformen,seien sie öffentlich oder privat orga -nisiert, eine hohe Bildungsqualitätsichergestellt sein, über die eine starkeSchulaufsicht wacht.

Selbstbewusst und kreativ

„Hier ist genug Platz für mehr Schwe -den“, beschreibt der Bürgermeister vonÖrebro den demografischen Wandel inseiner Stadt. Örebro ist eine typischeschwedische Stadt, 250 Kilometerwestlich von Stockholm, mit vieleneingemeindeten Ortsteilen, auf einemAreal von 1.400 Quadratkilometern –das entspricht fast der Größe des Land -kreises Barnim. Unkomplizierter Rea -lis mus, gewürzt mit etwas Optimis -mus, scheint die Handlungsmaximedort zu sein. „Die Entfernungen sindeben größer. Man kann den demogra-

fischen Wandel nun mal nicht überlis-ten“, sagt der Bürgermeister. Schwedenwar, abseits einiger weniger großerStädte, immer ein dünn besiedeltesLand. Sicher ist nicht jedes und alleseins-zu-eins auf Brandenburg oderDeutschland übertragbar, aber einigePrinzipien werden sichtbar, die eslohnt zu befolgen.

Höchsten Stellenwert müssen wir inZukunft auf qualitativ gute Bildung füralle setzen. Die beginnt in Kitas undVorschulen und setzt sich in den Schu -len fort. Die Lehrer spielen dabei einewichtige Rolle, denn sie sind es, die dieseQualität sicherstellen müssen. Bei derKrankenversorgung und Alten pflegewerden wir neue Wege gehen müssen.Wir brauchen viel mehr am bu lanteDienste, mehr Zusammen arbeit zwi-schen Krankenhäusern, Ge mein de -schwestern, Ärzten und Pfle gediensten.Hier stehen wir in Deutsch land nochganz am Anfang.

Unkompliziert kooperieren

Überhaupt scheint das unkomplizierteKooperieren das zentrale Merkmal zusein, wie man demografischen Wandelgestalten kann. Das verlangt manchkreative Lösung, vor allem mehr Ver -trauen in das eigene Handeln und dasvon Staat und Kommunen. Und genaudeshalb wird man auf der einen Seiteauch manche Vorschrift, die es zu unse-rem Zusammenleben gibt, fallen lassen

52 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 52: perspektive 21 - Heft 54

müssen. Unser Lebensstandard istdurch weniger Bevölkerung oder eineälter werdende Gesellschaft nicht be -droht, er sieht nur ein wenig andersaus. Selbst be wusst, selbstständig undkreativ – das ist es wohl, was Kinder

(und Erwachsene) von Pippi Lang -strumpf lernen können. Und so ähn-lich könnte auch die Lektion heißen,die man in Pippis Heimatland beimUm gang mit dem demografischenWandel lernen kann. n

53perspektive21

günter baaske, ralf holzschuher, martina münch – von pippi langstrumpf lernen?

GÜNTER BAASKE

ist Minister für Arbeit, Soziales, Familie und Frauen des Landes Brandenburg.

RALF HOLZSCHUHER

ist Fraktionsvorsitzender der SPD im Brandenburger Landtag.

DR. MARTINA MÜNCH

ist Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg.

Page 53: perspektive 21 - Heft 54

54 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 54: perspektive 21 - Heft 54

S eit 2009 stellt die BrandenburgerLINKE den Finanzminister und

betrat damit deutschlandweit politi-sches Neuland. Um unter Beweis zustellen, dass sie in der Lage ist, eine kon-solidierende Haushalts- und Finanz -politik zu betreiben ohne dabei sozialeBelange aus dem Auge zu verlieren,lohnt sich ein genauerer Blick auf dieneuen finanzpolitischen Ansätze.

Linke Finanzpolitik setzt nicht aufneue Schulden. Sie beugt sich auchnicht ausschließlich den täglichenSachzwängen. Linke Finanzpolitik istkeine Kapitulation vor den buchhalte-rischen Notwendigkeiten. Sie erhebttrotz geringer werdender Mittel denAnspruch, gestaltend einzugreifen undeinen sozialen Wandel zu ermöglichen.Die rot-rote Landesregierung hat mitder vorherigen Politik des Schulden -machens gebrochen. Wir haben einenPolitikwechsel eingeleitet, der geprägtist von einer Haushaltspolitik mitCourage und Augenmaß.

Diesen Weg muss Brandenburgauch in den kommenden Jahren fort-setzen. So positiv sich die Steuer ein -

nahmen der letzten Jahre auch entwi-ckelt haben, klar ist, dass das Land inden kommenden Jahren mit wenigerGeld auskommen muss.

Sinkende Einnahmen

Im öffentlichen Fokus steht in diesemZusammenhang vor allem die Befris -tung des derzeit geltenden Länder fi -nanzausgleiches bis Ende 2019. Abdem Jahr 2020 könnte es zu einerniedrigeren Ausstattung des Aus -gleichs topfes kommen. Brandenburgmüsste mit deutlich weniger Einnah -men rechnen. Dieses Szenario stündezudem nicht nur dann, wenn derFreistaat Bayern mit seiner angedroh-ten Klage Erfolg hätte. Gerade weil dieöffentlichen Haushalte unter ungenü-genden Einnahmen leiden, wird dieBereitschaft zu einem solidarischenAusgleich geringer. Mit einer völligenAbschaffung des Länderfinanzaus -gleichs wird zwar nicht zu rechnensein, schließlich handelt es sich umeinen der Grundpfeiler des Föderalis -mus und unseres Sozialstaates. Ent -

55perspektive21

Den Wandel sozial gestaltenWIE EINE FINANZPOLITIK DER ZUKUNFT AUSSEHEN KANN

VON HELMUTH MARKOV

Page 55: perspektive 21 - Heft 54

sprechend dem Grundgesetz soll da -durch möglich sein, dass überall inDeutschland „gleichwertige Lebens ver -hältnisse“ geschaffen werden können.Trotzdem ist schon jetzt vorhersehbar,dass die Debatte um die zu künftigeAusgestaltung des Finanz ausgleichsschwierig werden wird.

Harte Verhandlungen

Die föderalen Finanzbeziehungen wer-den nach den Wahlen 2013 grundsätz-lich auf die bundespolitische Agendakommen. Dann wird die Debatte da -rüber beginnen, wie künftig ein neuerfinanzpolitischer Konsens zwischendem Bund und den Ländern herzustel-len ist. Das wird ein Weg harter Aus -handlungs- und Entscheidungs pro -zesse. Linke Finanzpolitik wird dabeiimmer das Recht auf die Gleichwertig -keit der Lebensverhältnisse einfordern,aber auch die Solidarität der Regionenuntereinander in der Diskussion hal-ten. Ich sehe es dabei als größte He -rausforderung an, sich nicht auf Dauerals Nehmerland einzurichten, sonderndie eigene Finanzkraft zu stärken.

Die Handlungsfähigkeit des Landeswird aber auch ab 2020 durch die imGrundgesetz verankerte Schulden -bremse eingeschränkt. Eine strukturelleNeuverschuldung ist dann nicht mehrmöglich, Kredite dürfen nur noch beiNaturkatastrophen und zur Bewälti -gung besonderer Notsituationen aufge-

nommen werden. Damit wird denLändern nicht nur ein eigenständigesfinanzpolitisches Steu erungs instrumententzogen, sondern es wird mit diesemEingriff in die verfassungsrechtlicheSouveränität der Bun desländer aucherschwert, sinnvolle Zukunftsin vesti -tionen zu tätigen. Die Schuldenbremsestellt damit Weichen in Richtung Pri -vatisierung öffentlicher Investitio nen,für die Umverteilung von Steuermit -teln direkt in die Kassen privater In -vestoren. Die Schulden bremse istnicht, was sie vermeintlich vorgibt: Sieweist nicht den Weg hin zu einemspar samen Umgang mit den öffent -lichen Finanzen, sondern wird der He bel für eine gigantische Um ver -teilung sein. Genau deshalb habenlinke Fi nanzpolitiker die Schulden -bremse stets zu Recht kritisiert.

Weniger Geld von der EU

Wir müssen uns zudem darauf einrich-ten, dass für die neue EU-Struktur -fonds-Förderperiode ab 2014 absehbarist, dass Brandenburg kein EU-Höchst -fördergebiet mehr sein wird. Die Re -gion hat von den bisherigen Förder -geldern profitiert und sich positivent wickelt. Andere Länder, vor allemdie neuen ost- und südeuropäischenEU-Länder, haben noch wesentlichmehr Aufholbedarf. Das wird zur Folgehaben, dass Brandenburg mit deutlichweniger EU-Mitteln auskommen muss.

56 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 56: perspektive 21 - Heft 54

Deshalb richten wir unsere Anstren -gungen unter anderem darauf, Über-gangsregelungen zu erreichen.

Auch durch das Auslaufen des Soli -dar paktes II im Jahr 2019 muss Bran -den burg mit Mindereinnahmen rech-nen, die durchaus zu Buche schlagen.Der Osten erhält durch den Soli dar -pakt II von 2005 bis 2019 insgesamt156,5 Milliarden Euro. Bezahlt werdendie Hilfen von Bund, Ländern undKom munen. Brandenburg erhält ausdiesem Topf in diesem Jahr 1,04 Mil -liarden Euro. 2019 werden es letztma-lig nur noch 300 Millionen Euro sein.

Doch unser Land hat auch mithausgemachten Problemen zu kämp-fen, die die politischen Spielräume ein-

schränken. Brandenburg trägt jetzt dieFolgen hoher Kreditaufnahmen insbe-sondere in der Zeit von 1990 bis 2005.Die bis dato angehäuften Schuldenbetragen inzwischen 18,66 MilliardenEuro und verursachen dauerhaft Zins -zahlungen in Millionenhöhe. Täglichzahlt das Land rund 1,6 MillionenEuro nur für Zinsen. Die Verschul -dung hatte Gründe und war in großenTeilen nötig, um die Entwicklung desLandes voranzutreiben. Dennoch istein weiteres Anwachsen dieser Zins be -lastung nicht hinnehmbar.

Nicht zuletzt deshalb arbeitet dierot-rote Landesregierung darauf hin,die jährliche Neuverschuldung konti-nuierlich abzubauen. Für das Jahr

57perspektive21

helmuth markov – den wandel sozial gestalten

Schuldenstand, Neuverschuldung und Zinsentwicklung

Quelle: MdF

25.000 –

20.000 –

15.000 –

10.000 –

5.000 –

0 –

– 2.500

– 2.000

– 1.500

– 1.000

– 500

– 0

in Mio. Euro SchuldenstandNeuverschuldungZinsen

* Plan

Schulden

Zinsen und Neuverschuldung

Page 57: perspektive 21 - Heft 54

2014 wurde erstmals ein Haus halts -plan ohne Nettokredit ermächti gungvorgelegt.

Politik darf nicht kapitulieren

Brandenburg muss sich also darauf ein-stellen, mit deutlich weniger Geld aus-kommen zu müssen. Das wird Ver än -de rungen nötig machen. Aber welche?Die altbekannte Antwort darauf lautetallzu oft: Wir müssen die Ausgabenreduzieren, staatliche Leis tungen weitereinschränken und aufhören „über unse-re Verhältnisse zu le ben“. Aber ist daswirklich die Lösung? Verbirgt sichdahinter letztlich nicht die politischeKapitulation, die Auf gabe des Gestal -tungswillens von Politik?

Rot-Rot hat in den vergangen Jahrenmit einer couragierten Haus haltspolitikbewiesen, dass es Ant wor ten jenseits despolitischen Main streams gibt. Branden -burg hat in der Haushalts gestaltungdeutlich andere Prioritäten gesetzt. Wirhaben uns von Anfang an darauf kon-zentriert, Menschen hier im Land Zu -kunftschancen zu eröffnen. Dazu ge -hört für uns vor allem gute Bildung füralle von Anfang an. Deshalb wurden inBrandenburgs Schulen junge Lehrerin -nen und Lehrer, in den Kitas weitereErzieherin nen und Erzieher eingestellt.Abitu rien ten aus einkommensschwa-chen Familien erhalten eine fi nan zielleUnterstützung – das Schü ler-Bafög.Das Land bildet wieder aus und stellt

ein. Brandenburg vergibt öffentlicheAuf träge nur noch zu Mindestlohn be -dingungen. Die Förderpolitik wurde ansoziale Kriterien wie die Begrenzungder Leiharbeiterquote gebunden. Auchdamit gehen wir gegen ein Billiglohn -image vor. Die Ausgaben für Kulturwurden nicht gekürzt. Und im Gegen -satz zu anderen Bundesländern hat sichBrandenburg in den letzten Jahrenauch keine Erleichterungen auf Lan des -ebene zu Lasten der Kommunen ver-schafft. Im Gegenteil: Die Zuwei sun -gen des Landes an die Kommunen sindunter Rot-Rot stetig gestiegen.

Neuanfang nötig

Und dennoch ist eine dauerhafteHaus haltskonsolidierung nicht alleinmit einer anderen Prioritätensetzungauf der Ausgabenseite zu erreichen.Vielmehr ist es an der Zeit, einenfinanzpolitischen Neuanfang einzulei-ten. Letztlich ist es nicht Aufgabe derPolitik, Zahlen zu verwalten. Haus -halte sind in Stein gemeißelter politi-scher Wille. Linke Politik soll und willein solidarisches Zusammenleben allergestalten und Belange der öffentlichenDaseinsvorsorge sichern. Haushalts po -litik muss sich einer solchen Prioritä -ten setzung unterordnen. Die Heraus -forderungen der Zeit verlangen nichtin erster Linie Ausgabenkürzungen.Nachhaltigkeit in Zeiten der Schulden -bremse erfordert eine ausreichende

58 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 58: perspektive 21 - Heft 54

Bereitstellung staatlicher Einnahmen.Wir können uns perspektivisch dieArmut der öffentlichen Hand nichtmehr leisten. Das ist die Wahrheit, vorder die Bundespolitik noch immer dieAugen verschließt.

Nachhaltige linke Finanzpolitiksucht nach Lösungen, um öffentlicheHaus halte nicht auf Kosten von Kul -tur, Bildung und sozialen Leistungenzu sanieren. Dies nützt weder denKom munen noch den Menschen.Öffentliche Armut ist bildungsfeind-lich und unsozial.

Natürlich ist es richtig, dass jedereingenommene Euro nur einmal ausge-geben werden kann. Aber er muss ebenauch erst einmal eingenommen werden.Statt mit immer neuen Steuer senkun -gen Lobbyinteressen zu bedienen,braucht es eine deutliche Stei gerung derEinnahmebasis von Bund, Ländern undKommunen. Ohne solche Mehr ein nah -men der öffentlichen Hand sind diefinanzpolitischen Herausforde rungennicht zu bewältigen. Sparanstren gungenallein reichen nicht mehr aus, wennsoziale Gerechtigkeit Maßstab für dasHandeln des Staates bleiben soll.

Einnahmen erhöhen

So gesehen liegt es im Interesse Bran -denburgs, auf der Bundesebene zueiner neuen Einnahmepolitik für dieöffentlichen Hände zu werben. Bran -denburg hat unter Rot-Rot bereits deut-

liche Forderungen nach mehr Steu -ergerechtigkeit erhoben. Wir haltendaran fest und sind der Überzeugung,dass es hierzulande durchaus einenSpielraum für Steuererhöhungen gibt.

Kein Naturgesetz

Die Möglichkeiten der Landespolitikzur Verbesserung der Einnahmen deröffentlichen Hand sind gering. Erstebrandenburgische Veränderungenhaben jedoch bundesweit Maßstäbegesetzt. So brachte die Erhöhung derGrunderwerbsteuer auf 5 Prozent imersten Jahr zusätzliche Einnahmen vonknapp 62 Millionen Euro. Rot-Rot hatzudem bisherige Vergünstigungen fürden Braunkohletagebau beim Wasser -nutzungsentgelt reduziert. Das führt zuZusatzeinnahmen von rund 2,5 Millio -nen Euro im Jahr. Sie können nunzweckgebunden für wasserwirtschaft -liche Aufgaben wie Gewässer- undHochwasserschutz verwendet werden.Gemessen am gesamten Haushalts vo -lumen und den erkennbaren De ckungs -lücken sind diese Bemühungen jedochnoch nicht die Lösung des Pro blems.Vielmehr richten sich die For derungendes Landes an den Bundes gesetzgeber.

Das Schrumpfen öffentlicher Haus -halte ist kein Naturgesetz. Die öffent -liche Armut ist durch die neoliberalePolitik der vergangenen Jahre gezieltverursacht worden. So hat allein dieSenkung des Körperschaftsteuersatzes

59perspektive21

helmuth markov – den wandel sozial gestalten

Page 59: perspektive 21 - Heft 54

von 25 Prozent auf 15 Prozent Min -dereinnahmen von 10 Milliarden Euroim Jahr bewirkt. Diese Steuerpolitiklässt Fragen der Gerechtigkeit undvolkswirtschaftlicher Vernunft zuneh-mend außen vor.

Auf den Bund kommt es an

Um die Situation der öffentlichenHaushalte zu entlasten und damitauch wieder Spielräume für einegestaltende und zukunftsweisendePolitik zu eröffnen, braucht es eineandere Steuerpo litik auf Bundes -ebene. Im Verlauf der letzten Jahr -zehnte sind hohe Einkom men undVermögen steuerlich entlastet wor-den. Unternehmens- und Vermö -genseinkommen sind deutlich gestie-gen, während die Lohneinkommenweit weniger starke Zuwächse aufwie-sen. Gleichzeitig hat die Konzentra -tion der Vermögensverteilung starkzugenommen. Hier will linke Finanz -politik ansetzen und fordert konkret:

n EINE DEUTLICHE ANHEBUNG DES

SPIT ZEN STEUERSATZES BEI DER

EIN KOMMENSBESTEUERUNG. DerSteuersatz liegt aktuell bei 42 Prozentab 52.000 Euro und bei 45 Prozentab 250.000 Euro. Dass dies weiterhinter den tatsächlichen Möglich -keiten in Deutschland zurückbleibt,zeigt die Tatsache, dass der Satz nochim Jahr 1998 bei 53 Prozent lag und

erst unter der rot-grünen Bundesre -gie rung massiv abgesenkt wurde.Angesichts der verschlechtertenEinnahmesituation und der massivsteuerfinanzierten Stützungsmaß -nahmen für Banken ist auch in derSPD die Einsicht gereift, dass die da-mit verbundenen Ein nahmeausfällenicht länger vertretbar sind. Selbstein deutlich höherer Spit zensteuer -satz wäre im internationalen Ver -gleich nicht ungewöhnlich.

n DIE WIEDEREINFÜHRUNG DER VER MÖ -

GENSTEUER. Im internationalenVergleich werden auch Vermögen inDeutschland niedrig besteuert. EinDIW-Gut achten zu den Aufkom -mens- und Verteilungswirkungen ei-ner wiederbelebten Vermögensteuerhat ein gangbares Modell aufgezeigt,das unter anderem eine verkehrs-wertnahe – und damit verfassungs-konforme – Bewertung aller Vermö -gensarten bei einem einheitlichenSteuersatz von einem Prozent vor-sieht. Grundlage der Berechnung istein persönlicher Freibetrag in Höhevon zwei Millio nen Euro für Ledigebzw. vier Millio nen Euro für Verhei -ratete. Mit diesem Freibetrag wirdzugleich der Verwaltungs- und Bü -rokratie auf wand für Bürgerinnenund Bürger, Unternehmen und Ver -waltung in Grenzen gehalten. DieBerechnun gen zeigen, dass eine sol-che Vermö gensteuer ein Aufkom -men von rund 11,5 Milliarden Euro

60 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 60: perspektive 21 - Heft 54

erzielen würde. Der Steuer unterlä-gen dem DIW zufolge bundesweitrund 300.000 Per sonen (143.000natürliche Personen, 164.000 juris -tische Personen). Die Einführung einer zielgenauen Ver mögensteuer istalso möglich und würde lediglich dietatsächlich sehr reichen Personen inDeutschland treffen. Brandenburgwürde aufgrund der wirtschaftlichenGegeben heiten im Land in erster Li -nie über den Länderfinanz aus gleichdavon profitieren.

n SOZIAL GERECHTE ANPASSUNGEN

DER ERBSCHAFTSTEUER. Das derzeiti-ge Aufkommen durch die Erbschaft -steuer beträgt bundesweit rund 4,5Mil liarden Euro. Hier ist es an derZeit insbesondere höhere Erbschaf -ten stärker zur Finanzierung der Ge -sellschaft heranzuziehen. Es kannnicht länger sein, dass die täglicheErwerbsarbeit ganz selbstverständlichhöher besteuert wird als ein Erbe.Erbschaften im Steuerrecht stärkerzu berücksichtigen, würde erheblichezusätzliche Einnahmen bringen.Dabei müssen größere Erbschafteneine stärkere Belastung erfahren.

n DIE ZÜGIGE INTERNATIONALE EIN FÜH -

RUNG EINER FINANZTRANSAKTIONS -

STEUER. Maßlose Spekulationen, diezunehmende Komplexität der Fi -nanz ins tru mente und die Geschwin -digkeit, mit der Finanztransaktionenheutzutage abgewickelt werden, sindzu einer massiven Bedrohung der

ökonomischen Stabilität geworden.Ein Instrument zur Zurückdrängungund teilweisen Umkehr dieser Fehl -ent wick lung ist die Einführung einerSteuer auf alle börslichen und au-ßerbörslichen Wertpapierumsätze,De ri vate- und Devisenumsätze – zu-sammenfassend kurz Finanz trans ak -tions steuer genannt. Inzwischen ha-ben elf Euro-Staaten signalisiert, eineFinanztransaktions steuer einführenzu wollen. Ein älterer Entwurf derEU-Kommission aus dem Jahr 2011sah eine Abgabe von 0,1 Prozent aufden Handel mit Aktien und An lei -hen vor. Der Handel mit spekulati-ven Finanz produkten wie Derivatensollte mit 0,01 Prozent pro Trans -aktion besteuert werden. DieseAnsätze sind zu unterstützen undauszubauen. Schließlich ist es nichtver ständlich, warum in der Real wirt -schaft für jede Transaktion Umsatz -steuer zu zahlen ist, die spekulativeFinanzwirtschaft davon aber ausge-nommen werden soll.

Auch wenn es zumindest für die Ein -führung der Finanztransaktionsteuererste positive Signale gibt, macht dieallgemeine Entwicklung auf nationalerund europäischer Ebene nicht vielHoffnung auf ein finanzpolitischesUmdenken, das die Einnahmeseiteöffentlicher Haushalte stärker in denFokus nimmt. Vielmehr wird denöffentlichen Haushalten mit Ret -

61perspektive21

helmuth markov – den wandel sozial gestalten

Page 61: perspektive 21 - Heft 54

tungspaketen im dreistelligen Mil liar -den-Bereich noch mehr Boden entzo-gen und Staatshaushalte werden garselbst zur Quelle von Instabilität iminternationalen Währungssystem undder Euro-Krise. Mit dem sogenannten„Fiskalvertrag“ und dem EuropäischenStabilitätsmechanismus (ESM) hat dieBundesregierung ihre Forderungendurchgedrückt, die einseitig auf eineweitere Verschärfung der „Haushalts -disziplin“ – das heißt auf vertraglichverankerte Sparrunden – in den euro-päischen Nachbarländern setzen.

Weniger Schulden

Mit dem Fiskalpakt verpflichten sichdie Mitgliedstaaten zu nahezu ausge -glichenen Haushalten, zu einem Abbauder Verschuldung und zu nationalenSchuldenregeln, die die Neuver schul -dung in allen staatlichen Haushaltenbegrenzen sollen. Hinzu kommt einautomatischer Sanktionsmechanismusfür den Fall, dass ein Unterzeichner -staat gegen den Fiskalpakt verstößt.Das Ziel, durch Begrenzung derStaatsverschuldung die finanzpolitischeStabilität in Europa zu stärken, istgrundsätzlich zu unterstützen. Einedauerhafte Stabilisierung setzt jedochvoraus, dass Maßnahmen zur nachhal-tigen Beseitigung der Ursachen derFinanzkrise und zur wirkungsvollenEindämmung der destabilisierendenSpekulation auf den Finanzmärkten

getroffen werden. Allein durch Ein spa -rungen in den öffentlichen Haus haltenkann jedoch kein – für die Kon soli die -rung der öffentlichen Haushalte unab-dingbares – Wirt schafts wachstum er -zeugt werden.

Die bisherigen Konsolidierungs an -strengungen in den von der Krise amstärksten betroffenen Mitgliedstaatenwurden von den Finanzmärkten nichtmit einer geringeren Zinsbelastunghonoriert. Stattdessen haben die drasti-schen Sparprogramme einen massivenWachs tumseinbruch verursacht unddamit die Schuldenlast der betroffenenStaaten weiter erhöht. Es ist unzweifel-haft, dass so der Ausweg aus der Euro -krise nicht gelingen kann.

Lehren aus der Vergangenheit

Gerade die jüngsten Erfahrungen inDeutschland mit dem Konjunktur pa ketII haben verdeutlicht, dass ein flexibler,politisch gesteuerter und ausreichenddimensionierter Einsatz konjunktur-stützender und arbeitsmarktstabilisie-render Maßnahmen die Aus wir kungender globalen Finanz- und Wirtschafts -krise zumindest dämpfen kann. Die imFiskalpakt angelegten starren Reak -tions muster ordnen dagegen gesamt-wirtschaftlich notwendige und kon-junkturell sinnvolle Maßnahmen demAbbau übermäßiger Defizite unter. Soaber bleibt offen, wie sich die weitereEntwicklung der Euro-Krise auf die

62 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 62: perspektive 21 - Heft 54

Situation Bran denburgs auswirken wird.Klar scheint aber schon jetzt, dass auchdie EU einen grundlegenden fi nanz po li -tischen Neuanfang braucht.

Mittel gerechter verteilen

Doch zurück nach Brandenburg.Natürlich gehört zu einem nachhal -tigen finanzpolitischen Handeln desLandes auch strikte Sparsamkeit undein sinnvoller Einsatz der verbleiben-den Mittel. Rot-Rot lässt sich dabeivom Grundsatz der Solidarität leiten.

So setzt Brandenburg stärker aufeine gerechtere Verteilung der unglei-chen Steuereinnahmen im Land. Ge -meinden mit einer deutlich überdurch-schnittlichen Steuerkraft sollen indiesem Jahr erstmals eine Finanzaus -gleichsumlage zahlen. Das heißt, siesollen Kommunen mit weniger eigenenEinnahmen helfen. Denn wir glauben,die Solidarität der kommunalen Ge -meinschaft darf sich nicht nur daraufbeschränken, gemeinsam vom Landhöhere Leistungen zu fordern. Dannwird sie unglaubwürdig. Leis tungs -starke Kommunen müssen ihren mo -deraten Beitrag zur Unter stützung derschwächeren Mitglieder der kommuna-len Familie leisten. Das ist gelebte Soli -darität, wie sie Rot-Rot versteht.

Wir sind davon überzeugt, dass esfür die Sicherung der Daseinsvorsorgein allen Teilen des Landes starke undleistungsfähige Kommunen braucht.

Schließlich sind es die Kommunen, diedas Land lebenswert für seine Bürge -rinnen und Bürger machen. Trotz derschwierigen finanziellen Situation vie-ler Kommunen kann das Land keinenvollständigen Ausgleich des bundespo-litisch bedingten Einnahme-Rückgangsleisten. Dem Land sind im Rahmenseiner Leistungsfähigkeit und unterBerücksichtigung seiner eigenen Kon -solidierungsverpflichtungen nur be -grenzte Spielräume gegeben. Und den-noch gewährt Brandenburg laut eineraktuellen PwC-Studie den Kom munenim Rahmen des kommunalen Finanz -ausgleichs mit durchschnittlich 961 Eu -ro je Einwohner so viele allgemeine Mit -tel wie kein anderes Bundes land. DassRot-Rot damit eine deutlich anderePolitik macht, als beispielsweise das rot-schwarz geführte Thüringen ist gewollt.Brandenburger Kommunen müssen beisteigenden eigenen Steuer ein nahmennicht mit sinkenden Zu wei sungen imRahmen des Finanz aus gleichs im drei-stelligen Millionen bereich rechnen.

Nicht auf Kosten der Zukunft

Unter einem gerechten und sparsamenMitteleinsatz verstehen wir aber aucheinen sich vielfach auszahlenden Ein -satz von Fördergeldern. Rot-Rot setztdaher auch auf einen Umbau der In -stru mente der Wirtschaftsförderung.Unser Anspruch ist es, das vorhandeneGeld effizienter einzusetzen. Wir sind

63perspektive21

helmuth markov – den wandel sozial gestalten

Page 63: perspektive 21 - Heft 54

dazu übergangen Investitionen nichtmehr nur allein durch verlorene Zu -schüsse zu fördern, sondern verstärktrückzahlbare Darlehen auszureichen.Auf diese Weise kann ein Euro mehr-fach Impulse geben.

Klar bleibt auch: Wir sparen nichtauf Kosten der Zukunft. Substanz-bzw. Werterhaltung werden gewähr-leistet. Brandenburgs mittlerweilemoderne Infrastruktur erlaubt es, dieverminderten Investitionsmittel zielge-richtet zu konzentrieren und die ver-gleichsweise hohe InvestitionsquoteBrandenburgs moderat abzusenken.Bei der Kofinan zierung von Bundes-und EU-Mitteln haben für uns zudemjene Programme Priorität, die die

höchste Hebelwir kung und Effizienzhaben. Je mehr Mittel wir mit einemEuro Landesgeld mobilisieren können,desto sinnvoller ist es daran festzuhal-ten.

Gesellschaftliche Debatte anstoßen

Die gerechtere Verteilung von Mittelnund ein Interessensausgleich bedeutenaber auch, bisherige Ausgaben zu hin-terfragen. Sie müssen auf ihre langfris-tige Tragfähigkeit, ihren Mehrwert,ihre Effekte und ihre zukünftigen Kos -ten für das Land kritisch und soweitmessbar an Hand von belastbarenKennzahlen überprüft und evaluiertwerden. Dazu braucht es eine gesell-

64 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Priorität Bildung 2009-2014

Quelle: MdF

352,4 385,9

436,1 446,5 464,1 469,3

2009 2010 2011 2012 Plan 2013 Plan 2014

in Mio. Euro (ohne Lehrer-Personalkosten)

Page 64: perspektive 21 - Heft 54

schaftliche Debatte, in der Vorstel -lungen der zukünftigen Entwicklungdiskutiert und die verschiedenen Inte -ressen auf der Einnahme- und Aus -gabeseite der öffentlichen Haushaltebenannt werden. Eine solche Diskus -sion über die zukünftigen Schwer -punkte von Politik wird in Branden -burg derzeit an vielen Stellen geführt.Die Koalitionsparteien entwickelnLeitbilder für das Land, die Landes -regierung erarbeitet eine Nachhal tig -keitsstrategie, eine Enquetekommissiondes Landtages diskutiert Vorstellungenfür eine bürgernahe, effektive und zu -kunftsfeste Kommunal- und Landes -verwaltung. Daraus gilt es Schluss fol -gerungen für die brandenburgischeHaushaltspolitik ab 2015 zu ziehen.

So ist es an der Zeit, dass Kommu -nen und das Land gemeinsam nacheiner Lösung suchen, den hochver-schuldeten Kommunen Brandenburgseine Zu kunfts perspektive aufzuzeigen.Neben den Ideen einer Entschuldungs -initia tive muss auch hier die Frage dis-kutiert werden, wie die Einnahmebasisder Kommunen gesichert und Sozial -lasten neu verteilt werden können.

In die Debatte gehört zudem dieFrage, wie das Bildungssystem in Bran -den burg zukunftsfest gestaltet werdenkann. Die demografische Ent wicklungwird ab 2017 zu einem erneuten Rück -gang der Schülerzahlen in den ländli-chen Regionen des Landes führen. Daswirft grundsätzliche Fra gen zur schuli-

schen und regional-räum lichen Orga -nisation von Grund schulen auf underöffnet zugleich die Möglich keit einergenerellen Debatte über die Form unse-res Bildungs systems.

Obwohl Rot-Rot in den vergange-nen Jahren immer mehr Millionen inden Bildungsbereich investiert hat,kommt das Bildungssystem nicht ausden Schlag zeilen. Massive Kritik wirdnach wie vor an der Bildungsqualitätan öffentlichen Schulen geübt.

Soziale Frage im Mittelpunkt

Und nicht zuletzt sind all diese Fra -gen mit Blick auf den demografischenWan del zu diskutieren, der auch anBran den burg nicht spurlos vorbei-zieht. Er zeigt sich in einer rückläufi-gen Be völke rungs zahl und steigenderLebens erwartung. Dieser Prozess hatganz konkrete Aus wir kungen auf dasLeben vor Ort.

Es ist zu entscheiden, was leistbarbleibt und was verzichtbar ist. DieHerausforderung besteht darin, einesolche Debatte gemeinsam mit denBrandenburgern zu führen. Politikmuss die Bereitschaft entwickeln, eineechte Bürgerbeteiligung zu wagen.Verbände und Interessengruppen hin-gegen müssen bereit sein, partikulareMaximalforderungen im Sinne des All -gemeinwohls zurückzustellen. So kannein breiter, gesellschaftlicher Kon sensdarüber erzielt werden, welche finanz-

65perspektive21

helmuth markov – den wandel sozial gestalten

Page 65: perspektive 21 - Heft 54

politischen Schwerpunkte das Landkünftig setzen wird.

Gerecht, solidarisch, nachhaltig – sosieht linke Haushalts- und Finanz po -litik aus. Die soziale Frage stand Jahr -zehnte lang nicht derart im Fokus poli-tischen Handelns wie heute in Zeitender Eurokrise und des drohenden Zu -

sammenbruchs ganzer Gesell schaften.Wie eng die soziale und gesellschaftli-che Entwicklung eines Landes mit derFinanzpolitik verknüpft ist, ist derzeitin ganz Europa zu besichtigen. Deshalbbleibt die soziale Frage auch angesichtsknapper Kassen im Zentrum unserespolitischen Denkens und Handelns. n

66 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

DR. HELMUTH MARKOV

ist Finanzminister des Landes Brandenburg.

Page 66: perspektive 21 - Heft 54

B randenburgs Industrie hat sich seitder Krise 2009 bemerkenswert

kraftvoll und dynamisch entwickelt.Arbeitnehmer haben vor allem dortprofitiert, wo sie unter Geltung vonTarif verträgen und Mitbestimmung andieser Entwicklung beteiligt wurden.Der weitere Auf- und Ausbau der in-dustriellen Basis in Brandenburg sowiedie gleichberechtigte Teilhabe der Ar -beit nehmer durch gute Arbeit, Ausbil -dung und soziale Sicherheit und dieStärkung der Regionen sind wichtigeAufgaben und Ziele, denen sich Lan -despolitik, aber auch die Sozial partnerstellen müssen. Beim Blick in die Zu -kunft dürfen sich die veränderndenBedingungen und Herausforde rungen,denen sich industrielle Produk tion inBrandenburg aktuell und in den kom-menden Jahren zu stellen hat, nicht un-terschätzt werden. Dies gilt für denBlick in die globale Wirt schaft wie fürdie Situation im Land Brandenburg.

Ressourcenknappheit und derAnspruch einer wachsenden Welt -bevölkerung auf gleichberechtigten

Ressourcenzugang führt zu einer dra-matischen Veränderung der internatio-nalen Arbeitsteilung. So ist der Anteilder EU-Länder an der weltweiten ge -werblichen Produktion im Zeitraumvon 1990 bis 2010 von 36 Prozent auf24 Prozent gesunken. 2011 überholteChina die USA bei den Produktions -zahlen des verarbeitenden Gewerbesund wird weltweit führender Patent an -melder.

Eine Strategie fehlt

Der internationale Währungs fondsgeht in einer Analyse der BRIC-Staaten(Brasilien, Russland, Indien, China)für 2015 von einem Bevölke rungsanteilan der Weltbevölkerung von 42 Pro -zent aus (Euro-Zone 5 Pro zent, USA4,5 Prozent). Im Ver gleich von 1991zu 2015 verändert sich der Anteil amWelt-Bruttoinlands produkt bei denBRIC-Staaten von 6 Prozent auf 21,5 Prozent. In der Euro-Zone fälltim gleichen Zeitraum der Anteil von 25 Prozent auf 16,5 Pro zent.

67perspektive21

Ein neuesWachstumsmodellBRANDENBURG BRAUCHT EINE ERWEITERTE

INDUSTRIEPOLITISCHE STRATEGIE

VON OLIVIER HÖBEL

Page 67: perspektive 21 - Heft 54

Diese Veränderungen sind vor allemauch der Tatsache geschuldet, dass ins-besondere die BRIC-Staaten, aber auchdie USA eine aktive und starke Indus -trie politik verfolgen. Sowohl in Europaals auch in Deutschland fehlt dagegennach wie vor eine konsistente indus-triepolitische Strategie. Die Konjunk -tur der abwertenden Begrifflichkeitender vergangenen Jahre wie Old-Eco -nomy und Basar-Ökonomie aber auchdie Liberalisierung und Deregulierungder Finanzmärkte haben eines gemein-sam: Den hohen Ideologiegehalt sowiedie massive Unterschätzung und zumTeil Missachtung der Bedeutung indus -trieller materieller Güterpro duk tion für Wertschöpfung, Innovation, Arbeit,Ein kommen und Entwicklung derRegionen.

Arbeit und Wertschöpfung

Erst die Finanzkrise brachte eine Rück -besinnung auf die Bedeutung derindus triellen Wertschöpfung. Dabei ist es kein Zufall, dass ausgehend vongewerkschaftlicher Programmatik Kri -senbekämpfungsinstrumente mehr-heitsfähig werden, die Vorrang fürBeschäftigungssicherung durch Arbeits -zeitverkürzung und Kurzarbeit mitfinanziellen Erleichterungen für Pro -duktionsunternehmen in der Krise verknüpfen. Wichtige industrielleSekto ren wie die Automobilindustriewur den durch Nachfragestimulierung

stabilisiert. Konjunkturprogrammesicherten und schufen Arbeit durch dieModernisierung der Infrastruktur.Wenn sie umwelt- und ressourcen -schonend angelegt werden, können sieeinen Beitrag zum sozial-ökologischenUmbau der Industriegesellschaft leis-ten. Die im Nachgang der Krise insLeben gerufene nationale PlattformElektromobilität ist ein gutes Beispielfür den Ansatz einer langfristig strate-gisch ausgerichteten Industriepolitik,die den absehbaren Strukturwandeleines industriellen Kernsektors auf-nimmt und in einem beteiligungsori-entierten Prozess Gestaltungslösungenerarbeitet. Dass die veränderten Mobi -litätskonzepte kommen, ist weitge-hend unstrittig. Mögliche Optionender Aus gestaltung werden im Projekt„Schaufenster Elektromobilität“ fürBerlin und Brandenburg derzeit ent-wickelt.

Energiewende ist zentral

Wesentlich für die Zukunftsfähigkeitvon Industrie und Gesellschaft ist dieaktive Gestaltung der Energiewende.Für die Industrie des Landes Bran den -burg eröffnen sich damit Chancen zurEntwicklung neuer Produkte und Ver -fahren im Wachstumsmarkt GreenTech. Die industriepolitische Diskus -sion und Schlussfolgerungen für denAusbau von industriellem Know Howund von Arbeitsplätzen in diesem

68 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 68: perspektive 21 - Heft 54

Bereich (zum Beispiel mit neuerSpeichertechnologie und Recycling)sind Herausforderungen, die nochangenommen werden müssen.

Neues industrielles Wachstum

Angesichts der Erkenntnis, dass inBrandenburg die Industriedichte, derindustrielle Besatz und die industrielleFertigungstiefe nach wie vor zu geringsind, ist ein neues industrielles Wachs -tumsmodell notwendig, das auf derGrundlage vorhandener Stärken undKompetenzen auf den Auf- und Aus bauleistungsfähiger Wertschöpfungs kettensetzt, wie es der neue Aktions plan„ProIndustrie“ des Landes Bran denburgvorsieht. Diesen Aktionsplan gilt es nunweiter zu konkretisieren und in die Tatumzusetzen.

Dazu kann aus unserer Sicht dieWei terentwicklung der Netzwerk- undClusterstrategie einen wichtigen Bei -trag leisten. Die Stärkung des Eigen - potenzials der Unternehmen zur Er -schlie ßung neuer Märkte, Produkteund Verfahren ist die Kernaufgabe derNetzwerkarbeit. Zusätzlich sollten alsweitere Schwerpunkte die Fachkräfte -sicherung mit vielfältigen Maßnahmender Berufsorientierung an den Stand -orten der Metallindustrie, die Akti vie -rung von Kreativität und Mitgestal tungder Beschäftigten und die Internatio -nalisierung unserer Netzwerkarbeit ein-bezogen werden. Auf Basis regionaler

Kompetenzprofile kann ein industriel-ler Netzwerkansatz unter Nutzung derInnovationskraft der Unternehmen anden Schnittstellen der Metallindustriezu anderen Branchen (Chemie, Energieetc.) entwickelt werden.

Dabei kommt den Arbeitnehmernund ihrer Qualifikation und Moti -vation eine Schlüsselrolle zu. GuteArbeits- und Einkommens bedingun -gen, Tarifbindung, Vereinbarkeit vonBeruf- und Privatleben und angesichtsälter werdender Belegschaften die Ver -fügbarkeit von alters- und alternsge-rechten Arbeitsplätzen sind wichtigeVoraussetzungen für wirtschaftlichesWachstum. Ein hohes Qualifikations -niveau durch Ausbildung, Übernahme,Aufstiegsmöglichkeiten durch Weiter -bildung und die Integration von leis-tungsschwächeren Schulabgängerndurch Förderangebote sind nicht min-der wichtige Faktoren. Die Tarifver -trags parteien im Metallsektor habenzum Thema Förderung und Integra -tion aktuell einen richtungsweisendenTarifvertrag vereinbart. Es wird jetztdarauf ankommen, diesen tarifpoliti-schen Akzent gemeinsam mit Landes -regierung und Bundesagentur für Ar -beit in die Breite zu tragen.

Industriepolitik hat aufgrund derbeschriebenen internationalen europä -ischen und nationalstaatlichen Verän -derungen einen neuen Stellenwertbekommen. Daraus erwächst insbeson-dere auf Landesebene die Aufgabe, in

69perspektive21

olivier höbel – ein neues wachstumsmodell

Page 69: perspektive 21 - Heft 54

einem dialogorientierten Prozess ausder Leitbilddiskussion heraus konkreteLösungsansätze zu erarbeiten und Un -ternehmen ebenso wie Arbeit nehmerund ihre Gewerkschaften an diesemProzess zu beteiligen.

Ein neuer Innovationsbegriff

Die IG Metall folgt dabei dem Ge dan -ken einer arbeitsorientierten Indus trie -politik. Das Augenmerk richtet sichdabei vor allem auf die Erweiterung desInnovationsbegriffs von der Pro dukt -innovation über die Prozess inno vationbis hin zur sozialen Innovation. Ziel istdie Erhaltung und Weiterent wicklungindustrieller Standorte und Arbeitsplätzemit guter Arbeit und nachhaltigerEntwicklung im Interesse der Arbeit -nehmerinnen und Arbeit nehmer. Eineso verstandene arbeits orientierte Indus -triepolitik versteht Strukturwandel alsHerausforderung, die zu gestalten undin Richtung eines sozialökologischenUmbaus zu be schleunigen ist.

Insbesondere die Erfahrungen ausder Solar- und Windkraftbranche ver-pflichten eine arbeitsorientierte Indus -triepolitik zur Vermeidung von Situ -ationen, in denen zukunftsfähigePro dukte unter den Bedingungen pre-kärer Beschäftigung hergestellt werden.Die Verbindung von Standort siche -rung, Innovation und guter Arbeitmacht den Kern arbeitsorientierterIndustriepolitik aus.

Im Rahmen der horizontalen Indus -trie politik geht es insbesondere um diegezielte Verbesserung der Wettbe -werbs- und Ansiedlungsbedingungenvon Branchen, Sektoren und Produkt -linien, die den Weg zum sozialökologi-schen Umbau öffnen (zum Beispielregenerative Energien, schadstoffloseAntriebe, Leichtbautechnologien etc.).Erforderlich ist die Einbindung vonIndustriepolitik in die Regional- undStrukturpolitik, die dem Ausgleichszielverpflichtet ist und die gesellschaftlicheEntwicklungsrichtungen definiert, andenen sich auch die Industriepolitikorientiert.

Mehr Mitbestimmung

Die Entwicklung von regionalen Leit -bildern beinhaltet den Gedanken vonPartizipation und Mitbestimmung,nicht nur auf betrieblicher, sondernauch regionaler Ebene. Betriebsrats -netzwerke, regionale Arbeitgeber undGewerkschaften werden mit den öf -fentlichen Gebietskörperschaften zuwichtigen Akteuren bei der gemeinsa-men Erarbeitung von Leitbildern zurEntwicklung der Regionen. Damitwird der Landes- und der Regional po -litik eine wichtige Rolle bei der parti -zipativen Entwicklung und Umsetzungarbeitsorientierter Industriepolitik bei-gemessen.

Die sektorale Industriepolitik solltesich auf die Schwerpunkte des sozial-

70 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 70: perspektive 21 - Heft 54

ökologischen Umbaus der Industrie -gesellschaft (Umwelt, Energie undVerkehrstechnologien) in Verbindungmit den Kompetenzen der Metall- undElektroindustrie zur Steigerung vonMaterial-, Energie-, Ressourcen- undProzesseffizienz konzentrieren.

Gute Beispiele

Arbeitsorientierte Industriepolitik wirdauch über diverse Formen der Finan zie -rung umgesetzt. Prioritär ist insbeson-dere angesichts abnehmender Wachs -tumsraten die Liquiditäts siche rung derUnternehmen durch die Versorgungmit Krediten. Hier ist vor allem dasBankensystem gefordert. Wenn dieEigenkapitalbasis von Unter nehmendurch den Staat gestärkt wird, solltenInvestitionszuschüsse stärker an Krite -rien wie Tarifbindung und Existenzvon Betriebsräten gebunden werden. InZeiten knapper Staatsfi nanzen stehensowohl die Frage nach dem Einsatz vonrevolvierenden Fonds als auch die Fragenach Beteiligungs fonds erneut auf derTagesordnung. Darüber hinaus sindZuschüsse, Bei hilfen und Bürgschaftenzu binden an bessere Informationen undTranspa renz sowie die Einrichtung tri -partistischer Beiräte für Wirtschaft undArbeit auf Länderebene, in denen wich-tige Entwicklungsprogramme wie derGA- oder der EU-Strukturfonds, aberauch die Vergabe und Einhaltung vonFör derkriterien zu bearbeiten wären.

Neuen Formen von Kooperation imRahmen einer arbeitsorientierten Indus -triepolitik sind beispielhaft erarbeitet imProjekt „profil.metall“, einem Netzwerkfür Stahl- und Metallver arbeitung inBrandenburg und Berlin, an dem sichUnternehmen, wie ArcelorMittal Eisen -hüttenstadt, regionale Weiterbildungs -träger, die Tech nische UniversitätCottbus, die Technische HochschuleWildau, Partner aus der angrenzendenpolnischen Region sowie die Sozialpart -ner beteiligen. Anspruch des Netzwerksist vor allem die Zukunftsfähigkeit derUnternehmen und damit der Arbeits -plätze zu sichern. Erarbeitet werden im Leitmarkt der Effizienztechnologievor allem Themen wie neue Verfahrenmoderner Energiewirtschaft, Innova -tionen im Leichtbau sowie neue Werk -stoffe und moderne Bearbeitungs tech -nologien.

Kooperation mit Sozialpartnern

Industrielle Kerne wie ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt bieten nicht nurdurch ihre technologische Kompetenzund wirtschaftliche Stärke, sondernauch durch die gelebte Sozialpart ner -schaft und Mitbestimmung die Vo raus -setzung um neue Unternehmen undArbeitsplätze entlang der Wert schöp -fungskette Stahl anzusiedeln und zurEntwicklung der Region beizutragen. Es ist Aufgabe der Landespolitik in Ko -ope ration mit den Sozialpartnern diesen

71perspektive21

olivier höbel – ein neues wachstumsmodell

Page 71: perspektive 21 - Heft 54

Ansatz aufzugreifen und zu verbrei tern.Die IG Metall hat hierzu Vorschlägeentwickelt und wird sich konstruktiv

aber auch fordernd in die Entwicklungeiner arbeitsorientierten Industriepolitikfür Brandenburg einbringen. n

72 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

OLIVIER HÖBEL

ist Bezirksleiter des IG Metall-Bezirks Berlin-Brandenburg-Sachsen.

Page 72: perspektive 21 - Heft 54

73perspektive21

PERSPEKTIVE 21: Ist Nachhaltigkeit eineModeerscheinung, die wieder vergeht?MARTINA GREGOR-NESS: Nein. NächstesJahr feiern wir 300 Jahre Nachhaltig -keit. Zum ersten Mal ist der Begriffnämlich in der Sächsischen Forstver -ord nung von 1713 aufgetaucht. Darinhieß es, dass nur so viel Holz im Waldgeschlagen werden dürfe, dass eineblei bende Nutzung weiterhin möglichist. Hintergrund war die zunehmendeIndus trialisierung und ihr Bedarf nachFeuerholz. Die Grundlage für denmodernen Nachhaltigkeitsbegriff legteder Brundlandt-Report der UN-Kom -mission für Umwelt und Entwicklungvon 1987. Dessen Ideen haben zuerstdie Grünen aufgenommen, später alleanderen Parteien.

Aber dennoch hat man manchmal denEindruck, Nachhaltigkeit ist eine ArtSchlagwort, das für alles und nichts steht. GREGOR-NESS: Nachhaltigkeit ist keinmoderner Begriff, auch wenn manmanchmal das Gefühl hat, dass er vonjedem gern in den Mund genommenwird, ohne dass wirklich Inhalt da -

hin ter steckt. Für Handelsketten, dieeinfach nur ihre Produkte vermarktenwol len, gehört Nachhaltigkeit irgend-wie zum Image.

Ein dynamisches System

Was also bedeutet Nachhaltigkeit? GREGOR-NESS: Nachhaltigkeit verbin-det wirtschaftliche Leistungsfähigkeitmit ökologischer Verantwortung undsozialer Gerechtigkeit. Für mich istdas ein dynamisches System, dessenGrund form ein gleichseitiges Dreieckist – das Drei eck der Nachhaltigkeit.Dieses Dreieck ist beweglich undlagert auf den „Säulen“ der Gesell -schaft. Diese Säulen sind wir alle – alsAkteure im Wirt schafts-, Umwelt- odersozialen Bereich. Und auf diesem Dre i -eck ruht eine Kugel.

Und was macht die Kugel dort? GREGOR-NESS: Die Kugel steht für dieAkzeptanz von Nachhaltigkeit. DieKugel ruht nur solange in der Mitteder dreieckigen Platte, solange diesesich in der Waage befindet. Sobald es

Mit Techno lo gie, Aufklärung und ToleranzÜBER NACHHALTIGKEIT, DREIECKSBEZIEHUNGEN UND ALTE SACHSEN

SPRACH THOMAS KRALINSKI MIT MARTINA GREGOR-NESS

Page 73: perspektive 21 - Heft 54

zu einer Überbetonung einer Seite imSystem der Nachhaltigkeit kommt,wird das Gleichgewicht gestört und dieKugel beginnt zu rollen. Um zu ver-hindern, dass sie von der Platte runter-rollt, müssen die anderen Akteure –also wir alle – gegensteuern. Keinervon uns ist also passiv. Das System alsGanzes ist dynamisch und immer inBewegung. So ist auch Entwicklungmöglich. Nachhaltigkeit ist nichtsStarres.

Nun haben Sie zu DDR-Zeiten imKohlebergbau gearbeitet. Da muss dochdie Kugel ständig runtergefallen sein. GREGOR-NESS: Als Begriff gab esNachhaltigkeit in der DDR nicht. Diekatastrophale Umweltsituation war auchein Auslöser der friedlichen Re volution.Das Umweltbewusstsein wuchs amEnde der DDR sehr stark, auch in denBergbauregionen wie der Lausitz. Wirnannten es Rekultivie rung. Aber die„Produktion“ hatte immer Priorität.Mit der Wende be gannen wir alle unse-re „Altlasten“ zu kartieren. Das warennicht gesicherte Deponien, Industrie -standorte, „illegale“ Verkippungen, ein-fach alles. Diese Erfassung war die Vo -raussetzung, um die Altlasten überhauptsanieren zu können.

Man könnte aber auch sagen: Mit derUmweltsanierung gingen die Arbeits plätze.GREGOR-NESS: Könnte man. Und alsdie Arbeitsplätze gingen, kamen die

Sozialprogramme. Und Anfang der2000er Jahre war dann kein Geld mehrin den Sozialkassen. Und dann hieß es:Wir müssen jetzt wieder was für dieWirtschaft tun. Wir haben jeweils aneiner Ecke des Dreiecks herumge-schraubt – aber nicht auf das Gleich -gewicht geachtet. Darunter hat dannauch das Vertrauen in demokratischeEntscheidungen unserer Gesellschaftgelitten.

Bei der Energiewende laufen wir jetzt in eine ähnliche Falle. GREGOR-NESS: Ja, das ist so. Wir woll-ten unbedingt die erneuerbaren En er -gien fördern und geraten jetzt anGrenzen, weil die Menschen anfangen,das nicht mehr zu akzeptieren. Zumeinen, weil es bei ihnen unmittelbarvor der Haustür stattfindet. Zum ande-ren, weil sie sagen, ich kann es nichtmehr bezahlen. Was nützt den Men -schen der Hinweis auf einen neuensparsamen Kühlschrank, wenn sie ihnsich nicht leisten können?

Zieht BMW nach Brandenburg?

Nachhaltigkeit ist also eher etwas fürReiche, etwas, was man sich leisten kön-nen muss? GREGOR-NESS: Wenn man es falschangeht, ja. Die Sachsen im 18. Jahr -hundert haben es richtig verstanden.Sachsen lief damals Gefahr, dass ganzeRegionen wegen des Holzbedarfs im

74 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 74: perspektive 21 - Heft 54

Bergbau entforstet wurden. Und des-halb wurden die Waldeigentümer ver-pflichtet, Holz nicht einfach nur zuverkaufen, sondern in den Wald auchzu investieren – damit zukünftige Ge -nerationen auch noch von ihm lebenkönnen.

Ist es nachhaltig, in DeutschlandsNorden massenhaft die Windkraft aus-zubauen, deren Strom aber im SüdenDeutschlands gebraucht wird? GREGOR-NESS: Eigentlich müsste mansagen, wir fördern die Erneuerbarennur noch dort, wo der Strom auchgebraucht wird. Oder aber Mercedes,BASF und BMW ziehen nach Bran den -burg oder Mecklenburg-Vorpom mern.Das wäre eine spannende poli tischeDebatte. Solange wir jedoch das Pro -blem der Ver teilung und Spei che rungdes Stroms nicht gelöst haben, wäre esnachhaltiger, den Ausbau der erneuer-baren Ener gien in Norddeutsch land zuverlangsamen. Es hat doch keinen Sinn,wenn im Oderbruch eine riesige Solar -anlage installiert wird, zu der es keinKabel gibt, das den Strom ableitet.

Gleichzeitig sehen wir, dass Solarfir- men abwandern und die Löhne in dem Bereich auch nicht gerade die besten sind. GREGOR-NESS: Das ist richtig. UnserFördersystem ist auch nicht mehr klug.Zwar haben über 30 Länder unsererErneuerbare-Energien-Gesetz abge-

schrieben. Aber in Deutschland gelangtes jetzt an seine Grenzen. Eine Subven -tionierung muss zu tragfähigen Struk -turen führen. Es ist nicht nachhaltig,wenn der Markt zusammenbricht,sobald die Subventionen wegfallen –das erleben wir gerade bei der Solar -wirt schaft.

Mehr kleinteilige Förderung

Was ist die Antwort? GREGOR-NESS: Unser Anreizsystem istzu „großartig“. Wir brauchen es klein-teiliger. In Österreich ist man da wei-ter. Dort macht man mit weniger Geldund kleinteiligerer Förderung eine ver-nünftigere Politik, so dass gerade diekleinen Unternehmen von neuemKnow how profitieren. Auch mit Gut -scheinen für Beratungen hat man dortgute Erfahrungen gemacht. Bei unskönnen die Projekte immer nicht großgenug sein, um Förderung zu erhalten.Wenn allerdings ein Mittelständler mal10.000 Euro Unterstützung braucht,um eine Nische zu entwickeln, geht erhäufig leer aus. Auch die Befreiung fürUnternehmen von der Ökostromum -lage müsste genau andersrum laufen,damit sie ressourcenschonend verläuft.

Warum?GREGOR-NESS: Derzeit werden dieje ni -gen befreit, die mehr als 1 Megawatt anStrom verbrauchen. Da ist kein Anreizzum Stromsparen. Ein Patent rezept gibt

75perspektive21

martina gregor-ness – mit techno lo gie, aufklärung und toleranz

Page 75: perspektive 21 - Heft 54

es sicher nicht. Besser wäre es aber, einespezifische Grundmenge an Stromver -brauch von der Steuer zu be frei en – undalles was darüber hinaus geht, wirddann teurer. Denn jede Kilo wattstundeStrom, die weniger verbraucht wird, isteine gute Kilo watt stunde.

Die Romantik ist vorbei

Wenn man es auf die Spitze treibt,wäre ein Selbstversorgungsmodell ineinem kleinen Dorf, aus dem sich niemand wegbewegt, das ultimative Ziel von Nachhaltigkeit. GREGOR-NESS: Die Zeit der Romantikist vorbei. Niemand will sich vorschrei-ben lassen, von wem er seine Kartof -feln kauft. Mit Umerziehung kommtman nicht weiter, das ist auch derGrundfehler der Grünen. Besser istAufklärung. Denn im Kern würde esdie Erde nicht aushalten, wenn sichunser westlicher Lebensstil auf derganzen Welt verbreitet. Wir brauchenalso eine neue Qualität unseres Wohl -stands. Dazu gehört, dass wir imWin ter auf chinesische Erdbeeren undim Frühjahr auf südamerikanischeWeintrauben verzichten sollten undlieber ein paar Cent mehr ausgebenfür qualitativ besseres Essen für unsereKinder. Ein Mittagessen für 1,70 Eurogeht nicht – das reicht auch nicht fürordentliche Löhne für diejenigen, diedas Essen kochen. Auch das ist Nach -haltigkeit.

Und das heißt auch weniger in denUrlaub zu fahren? GREGOR-NESS: Gegenfrage: Muss manim Sommer Ski fahren und im Winterim Meer baden? Bewusster urlaubenwürde schon viel verändern. Man kannden Menschen sicher nicht alles verbie-ten. Aber mit einem Auto, das wenigerBenzin verbraucht und weniger Schad -stoffe ausstößt, geht es schon. NeueTechnologien sind eine Antwort aufdie Frage nach Nachhaltigkeit. Wirbrauchen auch in Zukunft Autos, siemüssen weiterhin für jeden erschwing-lich sein. Carsharing-Modelle sind eineweitere Möglichkeit. Man nimmt einAuto, wann man es braucht und stelltes wieder ab. Auch in ländlichenRegionen.

Am Ende ist es aber so, dass wir inDeutschland massiv CO2 einsparen,Europa das auch will, die Amerikanerund China das eigentlich aber nichtinteressiert. GREGOR-NESS: Wenn man ehrlich ist,besteht der große EinsparbeitragDeutschlands hauptsächlich darin, dassim Osten fast die komplette Industrieeinfach abgeschaltet wurde. Die Kostendafür waren gewaltig, die Verwerfun -gen haben wir mit riesigen Sozial trans -fers bezahlt. Letztendlich kann Deutsch -land aber ein Vorbild werden, wenn wires schaffen, Industrieland zu bleibenund gleichzeitig eine nachhaltige Wirt -schaft aufzubauen. Auf uns wird sehr

76 november 2012 – heft 54

thema – quo vadis brandenburg?

Page 76: perspektive 21 - Heft 54

genau geschaut. Wenn es funktioniert,wird das „deutsche Modell“ große An -ziehungskraft auswirken.

Und wie nachhaltig wird Brandenburgin zwei Jahrzehnten sein? GREGOR-NESS: Eine knifflige Frage.Zum einen: Unser System aus Schutz -gebieten ist die Basis für die Vielfaltunserer Natur- und Landschaftsräume.Schutz und Nutzung unserer Land -schaftsräume sind keine Gegensätzemehr. Zweitens: Wir brauchen weiterhochmoderne industrielle Kerne, aberauch innovative Mittelständler, die inNischen ihre Produkte entwickeln. Und

wir brauchen ein gelasseneres Ver stän d -nis zum Leben. Man kann nicht den S-Bahn-Anschluss oder einen Flughafenvor der Tür wollen und sich gleichzeitigüber Lärm mokieren. Und auf demLand werden wir Mobilität nicht nurüber Busse und Züge hinkriegen – dasist auch nicht nachhaltig, wenn kaumeiner drin sitzt. Nach haltig keit kriegtman nur hin mit mehr Aufklärung,neuen Technologien und hoher Akzep -tanz. Und genau dafür muss man dieUmweltaspekte, soziale und wirtschaft -liche Fragen in einer Balance halten.

Vielen Dank für das Gespräch.

77perspektive21

martina gregor-ness – mit techno lo gie, aufklärung und toleranz

MARTINA GREGOR-NESS

ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPDim Brandenburger Landtag und umweltpolitische Sprecherin.

Page 77: perspektive 21 - Heft 54

78 november 2012 – heft 54

impressum

HERAUSGEBER

n SPD-Landesverband Brandenburgn Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie

in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern e.V.

REDAKTION

Klaus Ness (V.i.S.d.P.), Thomas Kralinski (Chefredakteur), Ingo Decker, Dr. Tobias Dürr, Klaus Faber,Tina Fischer, Klara Gey witz, Lars Krumrey, Christian Maaß, Till Meyer, Dr. Manja Orlowski, John Siegel

ANSCHRIFT

Alleestraße 914469 PotsdamTelefon 0331 / 730 980 00Telefax 0331 / 730 980 60

[email protected]

INTERNET

http://www.perspektive21.de

HERSTELLUNG

Layout, Satz: www.statementdesign.deKantstr. 117A, 10627 BerlinDruck: LEWERENZ Medien+Druck GmbH,Coswig (Anhalt)

BEZUG

Bestellen Sie Ihr kostenloses Abonnement direkt beim Herausgeber. Senden Sie uns eine E-Mail.

Page 78: perspektive 21 - Heft 54

Wie werden wir im 21. Jahrhundert leben? Die alten Lösungen taugen nicht mehr, die neuen

kommen nicht von selbst. Die Berliner Republik ist der Ort für die wichtigen Debatten unserer

Zeit: progressiv, neugierig, undogmatisch. Weil jede Zeit ihre eigenen Antworten braucht.

Die Berliner Republik erscheint 5 mal jährlich. Das Einzelheft kostet 8,00 € zuzüglich 1,53 € Versandkosten. Die Berliner Republik gibt es auch im Jahresabo für 40,00 € frei Haus. Studierende zahlen 25,00 € frei Haus.Bezug der bereits erschienenen Hefte möglich.Jetzt Probeheft bestellen: Telefon (030) 255 94-130, Telefax (030) 255 94-199, E-Mail: [email protected]

DAS DEBATTENMAGAZIN

www.b-republik.de

Page 79: perspektive 21 - Heft 54

SPD-LandesverbandBrandenburg, Alleestraße

Seit 1997 erscheint „perspektive 21 – Brandenburgische Hefte für Wissenschaft & Politik“.

Wenn Sie Interesse an bisher erschienenen Ausgaben haben, können Sie ältereExemplare auf unserer Homepage www.perspektive21.de als pdf herunterladen.

Einzelne Exemplare von bisher erschienenen Ausgaben schicken wir Ihnen gerne auchauf Wunsch kostenlos zu. Senden sie uns bitte eine E-Mail an [email protected].

Zur Zeit sind folgende Titel lieferbar:

Heft 17 Ende der Nachwendezeit. PDS am Ende?

Heft 18 Der Osten und die Berliner Republik

Heft 19 Trampolin oder Hängematte? Heft 20 Der Letzte macht das Licht aus?Heft 21/22Entscheidung im Osten:

Innovation oder Niedriglohn?Heft 23 Kinder? Kinder!Heft 24 Von Finnland lernen?!Heft 25 Erneuerung aus eigner KraftHeft 26 Ohne Moos nix los?Heft 27 Was nun Deutschland?Heft 28 Die neue SPDHeft 29 Zukunft: WissenHeft 30 Chancen für RegionenHeft 31 Investitionen in KöpfeHeft 32 Auf dem Weg ins 21.JahrhundertHeft 33 Der Vorsorgende SozialstaatHeft 34 Brandenburg in Bewegung

Heft 35 10 Jahre Perspektive 21Heft 36 Den Rechten keine ChanceHeft 37 Energie und KlimaHeft 38 Das rote PreußenHeft 39 Osteuropa und wirHeft 40 Bildung für alleHeft 41 Eine neue Wirtschaftsordnung?Heft 42 1989 - 2009Heft 43 20 Jahre SDPHeft 44 Gemeinsinn und ErneuerungHeft 45 Neue ChancenHeft 46 Zwanzig Jahre BrandenburgHeft 47 It’s the economy, stupid?Heft 48 Wie wollen wir leben?Heft 49 Geschichte, die nicht vergehtHeft 50 Engagement wagenHeft 51 Die Zukunft der KommunenHeft 52 Die Zukunft der MedienHeft 53 Welche Hochschulen

braucht das Land?