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Page 1: Häcksler bekommt Nebenjob

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Chem. Unserer Zeit, 2010, 44, 166 – 171 www.chiuz.de © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 171

RNA-Interferenz (RNAi) ist ein kom-pliziertes System der Genregulationauf der Ebene der Boten-RNA. Esevolvierte wohl ursprünglich als Ab-wehr gegen Viren mit doppelsträngi-gem RNA-Genom.Taucht eine solcheverdächtige RNA in der Zelle auf, zer-teilt Dicer sie in kurze Stückchen,und weitere spezialisierte Kompo-nenten des Systems sorgen danndafür, dass alle genetische Informati-on, die mit diesen Stücken überein-stimmt (also vermutlich von demVirus stammt) unterdrückt wird.

RNAi war zwar bereits in den1990er Jahren in verschiedenen Vari-anten bekannt, wurde aber erst 2001als allgemeingültiges, auch bei Säuge-tieren vertretenes, und im Labor zurStummschaltung von einzelnen Ge-nen nutzbares System erkannt. Eswurde seitdem vielfach genutzt undumfassend erforscht, und dennochgab es jetzt eine dicke Überraschung,als das Schlüsselenzym Dicer in ei-nem völlig anderen Zusammenhangauftauchte.

Die Arbeitsgruppe von Ding Xuean der Universität von Colorado inBoulder befasste sich mit dem pro-grammierten Zelltod (der Apoptose)bei dem Fadenwurm Caenorhabditiselegans, einem Standard-Modell derEntwicklungsforschung. Bei derEmbryonalentwicklung spielt dieApoptose eine Schlüsselrolle, da siees ermöglicht, Zelltypen, die imnächsten Entwicklungsschritt nichtmehr benötigt werden, aus dem Ver-kehr zu ziehen.

Zum Selbstmord der nicht mehrbenötigten Zellen gehört unter ande-rem auch der Abbau der eigenenDNA. Bei Säugetieren kennt man

zwei Gruppen von Enzymen für die-se Aufgabe – die eine initiiert denDNA-Abbau, die andere kann ihn wei-terführen, sobald die Chromosomenin Stücke zerteilt sind.

Bei C. elegans kannte man eben-falls Enzyme, welche die Fragmenteaufarbeiten, doch ein Enzym, welchesdie Fragmentierung einleiten kann,fehlte bisher. Ding Xue und Kollegenbenutzten die RNA-Interferenz alsWerkzeug, um herauszufinden, wel-che Gene an der ersten Fragmentie-rung des Genoms in der Apoptosebeteiligt sind. Sie fanden ein Gen,dessen Abschaltung die Fragmentie-rung unterdrückte, und dieses Genwar, ausgerechnet, das des RNA-Häckslers Dicer [1].

Nun hätte dieser Befund auf indi-rekte Zusammenhänge hindeutenkönnen, etwa dass bestimmte, vonDicer erzeugte RNA-Fragmente dieHerstellung des gesuchten Apoptose-Enzyms unterdrückten. Doch diewirkliche Erklärung, die sich nacheingehenderen Studien herausschäl-te, erwies sich als viel interessanter.

Die Forscher fanden nämlich her-aus, dass bei der Apoptose der Häcks-ler selbst gehackt wird. Eine auf dieApoptose spezialisierte Protease, eineso genannte Caspase, trennt den Be-reich ab, der normalerweise doppel-strängige RNA erkennt, und zerstörtaußerdem eine der zwei Ribonuclea-se-Domänen des Enzyms, das sind dieaktiven Zentren, die RNA spaltenkönnen. Überraschenderweise hatdas entstehende Spaltprodukt aller-dings eine neue enzymatische Akti-vität, es kann DNA mitten im intak-ten Strang spalten. Es ist somit eineEndonuclease, also genau die Art von

Enzym, die bei der Apoptose von C. elegans bisher ver-misst wurde.

Unterm Strich hat also die Caspase aus dem RNA-Häcksler einen Apoptose-spezifischen DNA-Häcksler ge-macht. Für die Fadenwurm-Forschung ist die Welt damitin Ordnung: das fehlende Enzym ist gefunden, und der all-gemeine Mechanismus (erst Fragmentierung, dann Abbauder Fragmente) gilt beim Wurm ebenso wie bei allen an-deren Tieren.

Für die allgemeinere Zellbiologie wirft diese überra-schende Entdeckung jedoch völlig neue Fragen auf. HatDicer womöglich auch bei Wirbeltieren eine Doppelrolle,die nur bisher nicht entdeckt wurde? Denkbar wäre eszwar, dass die Würmer den RNA-Häcksler lediglich alsErsatz für eine verlorengegangene Endonuclease einge-spannt haben.Wichtiger und interessanter wäre der Fundallerdings, falls sich herausstellen sollte, dass Dicer auch inhöheren Organismen als Doppelagent tätig ist.

[1] A. Nakagawa et al., Science 2010, 328, 327.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

B I O C H E M I E

Häcksler bekommt NebenjobEin Enzym namens Dicer (nach einem Küchenwerkzeug zum Gemüse-häckseln) zerschnipselt normalerweise RNA-Moleküle, was sowohl inder Natur als auch im Labor dem zeitweiligen Ausschalten von Genendienen kann. Völlig überraschend kam nun der Befund, dass Würmerden RNA-Häcksler auf DNA umschalten und im programmierten Zelltodeinsetzen können.

WISSENSCHAFTSJAHR „DIE ZUKUNFT DER ENERGIE“ |Klimaveränderungen, begrenzte Ressourcen und ein drastischerEnergiebedarf stellen die Menschheit vor die wohl größte Heraus-forderung der kommenden Jahre: Wie schaffen wir es, Strom undWärme sicher, wirtschaftlich und umweltschonend zu erzeugen?Dieser Frage widmet sich das vom bmbf verlautbarte Wissen-schaftsjahr 2010 mit dem Thema „Die Zukunft der Energie“. Im Mittelpunkt stehen die neuen Ansätze der Energieforschung –quer durch die verschiedenen Fachdisziplinen. Beginnend mitdem Wissenschaftsjahr 2010 greifen die Wissenschaftsjahrekünftig interdisziplinäre Themen auf.

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