An der Sinnhaftigkeit und Sicherheit von Übergewichtseingriffen kann es keinen wissenschaftlich begründeten Zweifel mehr geben. Die hochrangig publizierten Langzeitdaten, vor allem aus der schwedischen SOS-Studie, aber auch aus systematischen Über-sichtsarbeiten, verdeutlichen, dass Patienten nach Übergewichtseingrif-fen im Vergleich zu konservativen Programmen mehr und vor allem dauerhaft an Gewicht verlieren. Als Folge kommt es bei einer Vielzahl von Patienten zu einer anhaltenden Ver-besserung der Nebendiagnosen, vor allem des Diabetes mellitus. Zusätz-lich leben diese Patienten länger und wahrscheinlich erkranken vor allem Frauen seltener an bösartigen Er-krankungen [1 – 12].
Die Begriffe „Übergewichtseingriff “ oder „Adipositaschirurgie“ werden zunehÂmend in Frage gestellt. Die postoperaÂ
tiven Effekte von ÃœbergewichtseingrifÂfen vor allem auf den Diabetes mellitus sind so beeindruckend, dass zunehmend von metabolischer Chirurgie gesprochen wird. Die ursprünglichen ÃœbergewichtsÂoperationen werden verstärkt auch bei Patienten mit einem BodyÂMassÂIndex (BMI) von unter 35 kg/m2 und insulinÂpflichtigem Diabetes mellitus mit dem Ziel der Diabetesremission eingesetzt [13 – 15]. Welches der angewendeten OperaÂtionsverfahren für welchen Patienten geÂeignet ist, bleibt unklar. Allerdings haÂben sich die Schlauchmagenresektion (laut OPS [Operationen und ProzeduÂrenschlüssel]ÂStatistik des Statistischen Bundesamtes 2957Âmal in Deutschland im Jahr 2011 durchgeführt) und der MaÂgenbypass (laut OPSÂStatis tik des StatistiÂschen Bundesamtes 2558Âmal in DeutschÂland im Jahr 2011 durchgeführt) aufgrund ihrer günstigen RisikoÂNutzenÂKorrelaÂtion als favorisierte Operationsverfahren herauskristallisiert [16 – 18].
Die Zahl übergewichtiger Patienten in Deutschland ist eindrucksvoll. Es wird geschätzt, dass ca. 15,7% der Frauen und 16,3% der Männer adipös sind [19]. StaÂtistische Erhebungen aus dem Jahre 2012 zeigen, dass 23,9% der Frauen und 23,3% der Männer einen BMI von >30 kg/m2
aufweisen [20, 21]. Gemäß der biomeÂtrischen Erhebung der Nationalen VerÂzehrstudie II liegt der Anteil der ErwachÂsenen mit einem BMI von >40 kg/m2 bei ca. 1,5%.
Im europäischen Vergleich ist die AnÂzahl an Ãœbergewichtsoperationen in Deutschland vergleichsweise gering. Die Daten, die im Rahmen der QualitätsÂsicherungsstudie für operative TheraÂpie der Adipositas im Jahre 2011 erhoben wurden, zeigen, dass an 122 Kliniken insÂgesamt 4510 PrimärÂ, 651 Revisions und 248 RedoÂEingriffe durchgeführt wurÂden (Daten von Frau PD Dr. Stroh, SRH WaldÂKlinikum Gera zur Verfügung geÂstellt). Insgesamt wurden im Jahre 2011 in Deutschland 6195 ÃœbergewichtsoperatioÂnen (OPSÂStatistik des Statistischen BunÂdesamtes) durchgeführt. Damit setzt sich zwar der ansteigende Trend bei ÃœbergeÂwichtsoperation der letzten Jahre weiÂter fort [22], von einer adäquaten opeÂrativen Versorgung übergewichtiger PaÂtienten kann aber weiter nicht die ReÂde sein. Im internationalen Vergleich hat Deutschland mit 11 bariatrischen OperaÂtionen pro 100.000 Einwohner und Jahr eine der niedrigsten Operationsraten [23]. Die Anzahl bariatrischer Operationen pro 100.000 Einwohner und Jahr liegt in ÖsÂ
Chirurg 2014 · 85:334–341DOI 10.1007/s00104-013-2582-0Online publiziert: 18. August 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
L. Fischer1 · Z. El Zein1 · T. Bruckner2 · K. Hünnemeyer3 · G. Rudofsky4 M. Reichenberger5 · K. Schommer6 · C.N. Gutt7 · M.W. Büchler1 · B.P. Müller-Stich1
1  Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg2 Institut für Medizinische Biometrie und Informatik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg3 Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg4 Innere Medizin I und Klinische Chemie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg5 Plastische-Ästhetische Chirurgie, ETHIANUM Klinik Heidelberg6 Innere Medizin VII, Sportmedizin, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg7 Abteilung für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Klinikum Memmingen
Herausforderungen beim Aufbau eines operativen Adipositaszentrums
AbkürzungenÄKAV ärztlich kontrollierter Abnahme-
versuch
Gutachten Kostenübernahmeerklärungen
KK Krankenkasse
334 |  Der Chirurg 4 · 2014
Originalien
terreich bei 28,3, in der Schweiz bei 32,5 und in Schweden bei 89,9 [23].
Ein wesentlicher Grund für diese DisÂkrepanz zwischen Bedarf und tatsächlich durchgeführten Operationen in DeutschÂland ist in der restriktiven GenehmigungsÂpraxis der gesetzlichen Krankenkassen zu sehen [24]. Dies kann nicht nur ökonoÂmischen Zwängen geschuldet sein. Bereits publizierte Daten zeigen, dass die mediÂzinischen Gesamtkosten operierter PatiÂenten im Vergleich zu nichtoperierten PaÂtienten bereits mittelfristig nach der OpeÂration signifikant niedriger sind [25, 26]. Das gilt besonders für Patienten, die an Diabetes mellitus leiden [27 – 30].
In den letzten Jahren wurde deutÂlich, dass nur eine interdisziplinäre ZuÂsammenarbeit eine hochwertige VersorÂgung übergewichtiger Patienten erlaubt. Dies schließt konservative BehandlungsÂpfade, wie z. B. das Optifast®ÂProgramm,
ein [22, 31]. Letztlich muss es Ziel eines jeÂden operativen Adipositaszentrums sein, eine Zertifizierung als KompetenzÂ, ReÂferenz oder Exzellenzzentrum zu erhalÂten. Die Bedingungen für eine ZertifizieÂrung sind vielfältig. Unter anderem wird eine bestimmte Anzahl an Operationen pro Jahr (50/100/350 Eingriffe für KompeÂtenzÂ, Referenz oder Exzellenzzentrum) über zwei aufeinanderfolgende Jahre mit entsprechender Qualitätssicherung geforÂdert. Im Augenblick gibt es in DeutschÂland 2 Exzellenzzentren, 4 ReferenzzenÂtren und 27 Kompetenzzentren (KorresÂpondenz mit Prof. Rudolf Weiner, KranÂkenhaus Sachsenhausen in Frankfurt und Daten der Servicegesellschaft für AllgeÂmein und Viszeralchirurgie). Diese BeÂmühungen werden auch von den KranÂkenkassen anerkannt, die ihre KostenÂzusage für die Operation z. T. an die BeÂdingung knüpfen, dass sich der Patient in
einem entsprechend zertifizierten ZentÂrum operieren lässt.
Das Ziel dieses Artikels ist es, die HerÂausforderungen bei der Entwicklung eines operativen Adipositaszentrums zu zeiÂgen.
Material und Methode
Das interdisziplinäre Diabetes und AdiÂpositaszentrum Heidelberg wurde 2006 gegründet. Es wird von Mitarbeitern der Inneren Medizin (Endokrinologie, PsyÂchosomatik, Sportmedizin, ErnährungsÂberatung) und der Chirurgie (ViszeralchiÂrurgie, plastische Chirurgie) betreut. Seit 2008 existiert eine Selbsthilfegruppe, die sich monatlich trifft.
Alle Patienten mit Operationswunsch durchlaufen den in . Abb. 1 dargestellÂten Patientenpfad. Neben konservativen Therapieversuchen (z. B. Optifast®) werÂ
Erstvorstellung inEndokrinologie
Vorstellung inPsychosomatik,Chirurgie, ggf.Sportmedizin
RegelmäßigeErnährungs-
beratung
Gutachten,ggf.
GegengutachtenOP 1
Monat3
Monate6
Monate12
Monate
Bei OP-Wunsch undAusschluss
Kontraindikation
InterdisziplinäresAdipositaskolloquium
- Fachärztliche Untersuchung- Arztbrief- Information über laufende Studien
Postoperative Kontrolltermine
- Fachärztliche Untersuchung- Arztbrief- Information über laufende Studien
Betreuung mindestens 6 Monate(einschließlich vorheriger Therapien und/oder
externer Betreuung)
Bei Ablehnung:- Umsetzen der Nachforderungen- ggf. anwaltliche Unterstützung ersuchen
ggf. Studieneinschluss
Selbsthilfegruppe
ggf. PlastischeChirurgie
Konservatives Programm
Abb. 1 8 Patientenpfad, den Patienten mit Operations (OP)-Wunsch innerhalb des interdisziplinären Adipositaszentrums Heidelberg durchlaufen
335Der Chirurg 4 · 2014  | 
den alle gängigen Operationsverfahren angeboten. In einem monatlich stattfinÂdenden interdisziplinären Kolloquium mit Fachärzten für Psychosomatik, EnÂdokrinologie und Chirurgie sowie ErÂnährungsberatern wird für jeden PatienÂten geprüft, ob die medizinische IndikaÂtion für eine Operation gegeben ist und ob die formalen Voraussetzungen für eine Kostenübernahmeerklärung (Gutachten) erfüllt sind. Erst wenn dies positiv eingeÂschätzt wird, kann ein individualisiertes Gutachten verfasst werden. Diese GutachÂten werden im Augenblick von 7 chirurÂgischen Assistenz ärzten geschrieben und von den verantwortlichen Oberärzten der Endokrinologie, Psychosomatik und ChiÂrurgie unterschrieben. Alle GegengutachÂten werden vom verantwortlichen chirurÂgischen Oberarzt geschrieben.
Für die Jahre 2006 bis 2012 wurden die Patientenströme innerhalb unseres ZenÂtrums anhand ambulanter NeuvorstellunÂgen, der Gesamtheit ambulant behandelÂter Patienten, geschriebener KostenüberÂnahmeerklärungen (Gutachten) und GeÂgengutachten sowie anhand der durchgeÂführten Operationen analysiert. BesonÂderes Augenmerk haben wir auf die PaÂtienten gelegt, bei denen die KostenüberÂnahmeerklärung initial abschlägig beurÂteilt wurde.
Die Verteilung kontinuierlicher Daten wurde mit Mittelwert und StandardabweiÂchung beschrieben. Die statistische AusÂwertung erfolgte mittels Varianzanalyse. Das Signifikanzniveau wurde auf 5% festÂgelegt. Alle statistischen Berechnungen wurden mit SAS Version 9.1 WIN (SAS inc. Cary NC, USA) durchgeführt.
Ergebnisse
Die Entwicklung der Gesamtzahl ambuÂlanter Vorstellungen wird in . Abb. 2 geÂzeigt. Deutlich wird, dass ein Großteil der Patienten konservativ durch die KolleÂgen der Endokrinologie betreut wird. Die Anzahl von über 1000 PatientenkontakÂten pro Jahr machen zwei wöchentliche Sprechstundentermine notwendig. In der Psychosomatik sind stabil hohe PatientenÂzahlen zu beobachten. Hier werden in ersÂter Linie Patienten betreut, die aufgrund eines Operationswunsches abgeklärt werÂ
Zusammenfassung · Abstract
Chirurg 2014 · 85:334–341   DOI 10.1007/s00104-013-2582-0© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
L. Fischer · Z. El Zein · T. Bruckner · K. Hünnemeyer · G. Rudofsky · M. Reichenberger  K. Schommer · C.N. Gutt · M.W. Büchler · B.P. Müller-StichHerausforderungen beim Aufbau eines operativen Adipositaszentrums
ZusammenfassungHintergrund.  Schätzungsweise 1 Mio. Er-wachsene leiden in Deutschland an Adiposi-tas Grad III. Das Ziel dieses Artikels ist es, die Herausforderungen beim Aufbau eines ope-rativen Adipositaszentrums zu beschreiben.Methoden.  Es wurden Patientenströme so-wie die Personal- und Infrastruktur des inter-disziplinären Diabetes- und Adipositaszen-trums Heidelberg analysiert. Die Verteilung kontinuierlicher Daten wurde mit Mittelwert und Standardabweichung beschrieben und mittels Varianzanalyse analysiert.Ergebnisse.  Das interdisziplinäre Diabe-tes- und Adipositaszentrum Heidelberg wur-de 2006 gegründet. Es werden konservative Therapieverfahren und alle gängigen Opera-tionsverfahren angeboten. Für jeden operativ durchgeführten Eingriff sind durchschnittlich 1,7 Gutachten und 0,3 Gegengutachten not-wendig. Der Zeitraum von der Erstvorstellung des Patienten in der Chirurgie bis zur Ope-ration beträgt im Durchschnitt 12,8 Monate (Standardabweichung ±4,5 Monate). Die 47 Patienten mit initial abgelehnter Kostenüber-nahmeerklärung hatten einen durchschnitt-lichen Body-Mass-Index (BMI) von 49,2 kg/
m2. 39 dieser 47 Patienten hatten mindestens eine therapiebedürftige Nebendiagnose. Von den 45 Patienten, bei denen als Ablehnungs-grund ein fehlendes konservatives Programm bemängelt wurde, hatten 30 einen ärztlich kontrollierten Abnahmeversuch über min-destens 6 Monate durchgeführt. Zusätzlich konnten 19 dieser Patienten eine Kur, eine Xenical- oder Reduktiltherapie nachweisen bzw. haben das Optifast®-Programm durch-laufen. Bei den 20 Patienten, bei denen eine fehlende psychosomatische Abklärung be-anstandet wurde, erfolgte in allen Fällen eine adäquate psychosomatische Abklärung.Schlussfolgerung.  Der Aufbau eines opera-tiven Adipositaszentrums kann mehrere Jah-re in Anspruch nehmen. Eine wesentliche Vo-raussetzung für den Erfolg scheint die kon-struktive und zielgerichtete Zusammenarbeit mit den Krankenkassen zu sein.
SchlüsselwörterAdipositaszentrum · Operationsverfahren · Konservative Therapie · Krankenkassen · Interdisziplinarität
Challenges in building a surgical obesity center
AbstractBackground.  It is estimated that approx-imately 1 million adults in Germany suffer from grade III obesity. The aim of this article is to describe the challenges faced when con-structing an operative obesity center.Methods.  The inflow of patients as well as personnel and infrastructure of the interdis-ciplinary Diabetes and Obesity Center in Hei-delberg were analyzed. The distribution of continuous data was described by mean val-ues and standard deviation and analyzed us-ing variance analysis.Results.  The interdisciplinary Diabetes and Obesity Center in Heidelberg was found-ed in 2006 and offers conservative therapeu-tic treatment and all currently available op-erative procedures. For every operative in-tervention carried out an average of 1.7 ex-pert reports and 0.3 counter expertises were necessary. The time period from the ini-tial presentation of patients in the depart-ment of surgery to an operation was on aver-age 12.8 months (standard deviation SD ±4.5 months). The 47 patients for whom remuner-ation for treatment was initially refused had 
an average body mass index (BMI) of 49.2 kg/m2 and of these 39 had at least the necessity for treatment of a comorbidity. Of the 45 pa-tients for whom the reason for the refusal of treatment costs was given as a lack of conser-vative treatment, 30 had undertaken a med-ically supervised attempt at losing weight over at least 6 months. Additionally, 19 of these patients could document participation in a course at a rehabilitation center, a Xeni-cal® or Reduktil® therapy or had undertak-en the Optifast® program. For the 20 patients who supposedly lacked a psychosomatic evaluation, an adequate psychosomatic eval-uation was carried out in all cases.Conclusions.  The establishment of an oper-ative obesity center can last for several years. A essential prerequisite for success seems to be the constructive and targeted cooperation with the health insurance companies.
KeywordsObesity center · Operative procedures · Conservative therapy · Health insurance · Interdisciplinarity
336 |  Der Chirurg 4 · 2014
den bzw. prä und/oder postoperativ psyÂchologische Betreuung benötigen.
Die in . Abb. 3 gezeigten PatientenÂzahlen aus der Chirurgischen Klinik maÂchen deutlich, dass die Entwicklung eines operativen Adipositaszentrums bis zur ersten Stufe einer möglichen ZertifizieÂrung (50 Eingriffe pro Jahr für KompeÂtenzzentrum) einige Jahre in Anspruch nehmen kann. Die einmal wöchentlich
stattfindende chirurgische AdipositasÂsprechstunde wird von einer EndokrinoÂlogieassistentin (mit Weiterbildung zur Studynurse), 2 Assistenzärzten und einem Oberarzt betreut. Basierend auf den ZahÂlen aus . Abb. 3 wurde in . Tab. 1 beÂrechnet, wie viele ambulante VorstellunÂgen, ambulante Neuvorstellungen bzw. Kostenübernahmeerklärungen (GutachÂten) und Gegengutachten notwendig waÂ
ren, um letztlich eine Operation durchÂführen zu können. Die Anzahl von 4,1 amÂbulanten Neuvorstellungen pro durchgeÂführte Operation zeigt, dass von 4 PatienÂten, die sich mit Operationswunsch in der chirurgischen Adipositasambulanz vorÂstellen, nur ein Patient sowohl die mediÂzinischen als auch die formalen VorausÂsetzungen für einen adipositaschirurgiÂschen Eingriff erfüllt. Bei jedem dritten
6 6 2 0 3
44 41
2 1 5
82
2816
1 8
99
17 215
17
174
54 48
15 11
371
130
59
624
423
206
76
19
54
0
50
100
150
200
250
300
350
400
450
AmbulanteVorstellungen
(gesamt)
OperationenKostenübernahme-erklärungen(Gutachten)
GegengutachtenAmbulanteNeuvorstellunge
Patie
nten
zahl
(n)
2006
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2011
2012
Abb. 3 9 Entwicklung der Patientenzahlen in der chi-rurgischen Adipositasam-bulanz bezüglich Gesamt-zahl ambulanter Vorstellun-gen und Neuvorstellungen, der erstellten Gutachten, Gegengutachten und Ope-rationen
541
63
6
605
148
44
620
132
82
609
130
99
1.10
5
211
174
1.03
6
192
371
1.17
9
209
423
0
200
400
600
800
1.000
1.200
Endokrinologie Psychosomatik Chirurgie
Patie
nten
zahl
(n)
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2011
2012
2006
2007
2008
2009
2010
2011
2012
Abb. 2 9 Entwicklung der Patientenzahlen bezüglich ambulanter Vorstellungen in den Adipositasambu-lanzen der Kliniken für En-dokrinologie, Psychosoma-tik und Chirurgie
337Der Chirurg 4 · 2014  | 
Patienten muss bei initial abgelehntem Gutachten ein Gegengutachten geschrieÂben werden.
In . Abb. 4 ist die Verteilung der PaÂtienten bezüglich der betreuenden KranÂkenkassen dargestellt. Der überwiegenÂde Anteil der Patienten (95,1%) ist geÂsetzlich versichert. Die AOK (AllgemeiÂne Ortskrankenkasse) und die BKK (BeÂtriebskrankenkasse) versichern mit 36 bzw. 16,4% mehr als die Hälfte der PatienÂten. Die TKK (Techniker Krankenkasse) und DAK (Deutsche Angestellten KranÂkenkasse) versichern je 9% der Patienten. Das entspricht in etwa der KrankenkasÂsenverteilung aller im Jahre 2012 stationär behandelten Patienten an unserer Klinik mit 91% gesetzlich versicherter Patienten, davon 26% AOKÂ, 11% TKKÂ, 9% DAK und 10,4% BKKÂPatienten.
In . Tab. 2 ist die durchschnittliche Dauer in Monaten, die zwischen der ErstÂvorstellung in der chirurgischen AdiposiÂtasambulanz, Gutachtenerstellung, EntÂscheidung der Krankenkassen und OpeÂration liegen, dargestellt. Im Durchschnitt wird ein Patient 4,0 Monate (StandardÂabweichung [SD]±5,8 Monate) in der chirurgischen Adipositasambulanz beÂtreut, bevor das Gutachten erstellt wird. Die Entscheidung durch die KrankenÂkasse dauert im Durchschnitt 5,3 MonaÂte (SD ±5,3 Monate). Die OperationsvorÂbereitung, welche bei allen Patienten eine kardiologische und anästhesiologische Abklärung, eine Magenspieglung, eine 24ÂStundenÂSäuremessung und eine ÖsoÂphagusmanometrie einschließt, dauert im Mittel nochmals 3,5 Monate (SD ±2,6 MoÂnate). Der Zeitraum zwischen ErstvorstelÂlung des Patienten und Operation beträgt
im Mittel 12,8 Monate (SD ±4,5 Monate). Die Dauer zwischen Gutachtenerstellung und Entscheidung durch die KrankenkasÂsen variiert stark zwischen 3,6 Monaten (SD ±2,7 Monate) und 7,5 Monaten (SD ±6,5 Monate). Die Unterschiede zwischen den Krankenkassen waren nicht statisÂtisch signifikant (p>0,06; Daten nicht geÂzeigt).
Die 47 Patienten, bei denen die KosÂtenübernahmeerklärungen (GutachÂten) initial abgelehnt wurden, hatten eiÂnen durchschnittlichen BMI von 49,2 kg/m2 (SD ±6,4 kg/m2). Die Analyse der Nebendia gnosen Diabetes mellitus, arÂterielle Hypertonie, Hyperlipidämie und Schlafapnoe hat gezeigt, dass 23 dieser 47 abgelehnten Patienten (48,9%) einen DiaÂbetes mellitus, 14 Patienten (29,8%) eiÂne arterielle Hypertonie und je ein PatiÂent (2,1%) eine Schlafapnoe bzw. eine HyÂperlipidämie aufwiesen. Bei 16 Patienten (34,0%) konnten 2 und bei 10 Patienten (21,3%) 3 dieser 4 Nebendiagnosen nachÂgewiesen werden.
Analysiert man die Gründe der AblehÂnung durch die Krankenkassen, so wird deutlich, dass von den 47 Ablehnungen (100%) in 45 Fällen (95,7%) ein fehlendes/unzureichendes konservatives Programm und in 20 Fällen (42,5%) eine fehlende psychosomatische Abklärung bemängelt wird. In 5 Fällen (10,6%) wurde das OpeÂrationsrisiko als zu hoch eingeschätzt, in 3 Fällen (6,4%) befürchtet, dass eine adÂäquate Nachsorge nicht gewährleistet werÂden kann und in weiteren 3 Fällen (6,4%) wurde eine fehlende internistische AbÂklärung beanstandet. Analysiert man die zwei häufigsten Ablehnungsgründe, zeigt sich, dass von den 45 Patienten, bei denen als Ablehnungsgrund ein fehlendes/unÂzureichendes konservatives Programm bemängelt wurde, 30 Patienten (66,7%) einen ärztlich kontrollierten AbnahmeÂversuch (ÄKAV) über mindestens 6 MoÂnate und 19 Patienten (42,2%) mindesÂtens eine Kur, eine Xenical oder RedukÂtiltherapie nachweisen konnten bzw. das Optifast®ÂProgramm durchlaufen haben. Bei den 20 Patienten, bei denen die fehÂlende psychosomatische Abklärung beanÂstandet wurde, erfolgte in 100% eine adÂäquate psychosomatische Abklärung mit befürwortendem schriftlichem Befund. Folgerichtig konnte bisher für 25 PatienÂ
Tab. 1  Ambulante Vorstellungen und Neuvorstellungen, Gutachten und Gegengutachten pro durchgeführte Übergewichtsoperationa
Jahr Ambulante chirurgi-sche Vorstellungen (gesamt)
Ambulante  chirurgische Neu-vorstellungen
Kostenübernahme-erklärungen  (Gutachten)
Gegen-gutachten
Anzahl pro operiertem Patient
2006 2,0 2,0 0,67 0,0
2007 8,8 8,2 0,4 0,2
2008 10,2 3,5 2,0 0,12
2009 5,8 1,0 1,2 0,29
2010 15,8 4,9 4,3 1,36
2011 15,4 5,4 2,4 0,25
2012 7,8 3,8 1,4 0,35
Mittelwert 9,4 4,1 1,7 0,36Basierend auf den durchgeführten Übergewichtsoperationen ist hier die Gesamtzahl ambulanter Vorstellungen und ambulanter Neuvorstellungen in der chirurgischen Adipositasambulanz, verfasster Kostenübernahmeerklä-rungen (Gutachten) und Gegengutachten pro Jahr und im Durchschnitt über den beobachteten Zeitraum von 6 Jahren gezeigt. So wurden z. B. im Jahre 2012 76 Gutachten bei insgesamt 54 Übergewichtsoperationen ge-schrieben (s. Abb. 3). Das ergibt den hier dargestellten Wert von 1,4 geschriebenen Gutachten pro operiertem Patient.
Tab. 2  Zeitintervall zwischen Erstvorstellung in der chirurgischen Adipositasambulanz, Er-stellung der Gutachten, Entscheidung der Krankenkassen und Operation
  Gesamt (2006–2012) 2006–2008 2009–2010 2011–2012
Mittelwert in Monaten (Standardabweichung)
Dauer der Erstvorstellung bis Kostenübernahme-erklärung (Gutachten)
4,0 (5,8) 6,2 (9,4) 2,3 (2,9) 4,2 (3,6)
Dauer der Kostenüber-nahmeerklärung (Gut-achten) bis Entscheidung durch Krankenkasse
5,3 (5,3) 5,1 (6,8) 6,5 (5,5) 3,9 (2,5)
Dauer der Entscheidung durch Krankenkasse bis Operation
3,5 (2,6) 3,4 (3,0) 3,3 (2,3) 4,0 (2,6)
338 |  Der Chirurg 4 · 2014
Originalien
ten (53,1%) nach entsprechendem GegenÂgutachten bzw. mit anwaltlicher UnterÂstützung eine KostenübernahmeerkläÂrung erwirkt und die Operation durchgeÂführt werden.
Diskussion
Die hier präsentierten Daten zeigen, dass der Aufbau eines operativen AdipositasÂzentrums mehrere Jahre in Anspruch nehÂmen kann. Wir konnten erst im siebten Jahr die Operationszahlen erreichen, die die Zertifizierung als Kompetenzzentrum ermöglichen. Basierend auf den OperatiÂonszahlen im ersten Quartal 2013 werden wir in diesem Jahr die Zertifizierung als Kompetenzzentrum beantragen. Es wird weiterhin deutlich, wie zeitaufwendig der Prozess von der Erstvorstellung des PatiÂenten in der chirurgischen AdipositasamÂbulanz bis hin zur Operation sein kann.
Die aktuellen rechtlichen GrundlaÂgen für eine Ãœbergewichtsoperation beÂziehen sich auf Urteile des BundessozialÂgerichts aus dem Jahre 1993 und sind in den aktuellen S3ÂLeitlinien zusammenÂgefasst [32, 33]. Grob zusammengefasst muss der BMI des Patienten mindestens 35 kg/m2 sein. Unter diesen BedingunÂgen ist für eine KostenübernahmeerkläÂrung das Vorhandensein einer wesentliÂchen Begleiterkrankung, wie z. B. DiabeÂtes mellitus, notwendig. Ein BMI größer als 40 kg/m2 stellt per se eine OperationsÂindikation dar. Für alle Patienten gilt, dass konservative Behandlungsmethoden ausÂ
geschöpft sein müssen; die Operation soÂmit die „Ultima Ratio“ darstellt und enÂdokrinologische bzw. psychosomatische Erkrankungen als Ursache des ÃœbergeÂwichts ausgeschlossen sind. Letztlich ist die Kostenübernahme immer eine EinzelÂfallentscheidung der Krankenkassen, die nur auf Antrag erfolgen kann [32].
Obwohl die gesetzlichen GrundlaÂgen für die Durchführung einer ÃœberÂgewichtsoperation klar scheinen, zeigt die Praxis, dass es hier offensichtlich einen erheblichen InterpretationsspielÂraum gibt. Obwohl in unserem ZentÂrum alle Patienten den in . Abb. 1 darÂgestellten Algorithmus durchliefen, wurÂden 20,9% der initialen Gutachten für die Kostenübernahmeerklärung durch die Krankenkassen abgelehnt. Der häufigsÂte Grund für die Ablehnung war ein fehÂlender bzw. insuffizienter Nachweis eines zeitlich adäquaten konservativen AbnahÂmeversuchs von mindestens 6 bis 12 MoÂnaten. Die Analyse unseres PatientenkolÂlektivs zeigte, dass Patienten von der ErstÂvorstellung in der chirurgischen AdipoÂsitassprechstunde bis zu Erstellung des Gutachtens im Durchschnitt 4 MonaÂte betreut wurden. Dies spiegelt nicht die Gesamtzeit wider, die Patienten und beÂtreuende Ärzte in konservative TheraÂpieversuche investiert haben. Ein GroßÂteil unserer Patienten wird erst nach erÂfolglos durchgeführten ärztlich kontrolÂlierten Abnahmeversuchen in die chirurÂgische Adipositasambulanz überwiesen. In unserem Adipositaszentrum wird die
Indikation für die Operation und den daÂmit notwenigen Antrag auf KostenüberÂnahme in einem interdisziplinären KolÂloquium überprüft. Wir konnten zeigen, dass 66,7% der Patienten mit initial abÂgelehnten Gutachten einen ärztlich konÂtrollierten Abnahmeversuch in unserem Zentrum über mindestens 6 Monate und 19 Patienten (42,2%) mindestens eine Kur, eine Xenical oder Reduktiltherapie nachÂweisen konnten bzw. das Optifast®ÂProÂgramm durchlaufen haben. Bei allen PaÂtienten, bei denen eine fehlende psychoÂsomatische Abklärung beanstandet worÂden war, erfolgte in 100% eine psychosoÂmatische Abklärung mit befürwortendem schriftlichem Befund.
Diese zum Teil willkürlich erscheinenÂden Ablehnungen seitens der KrankenÂkassen führen sowohl auf Seiten der PaÂtienten als auch auf Seiten der betreuenÂden Ärzte zu einer Unsicherheit bezügÂlich der Voraussetzungen für eine KosÂtenübernahmeerklärung der KrankenÂkassen. Es gibt unserer Meinung nach keinen Hinweis darauf, dass die restrikÂtive Genehmigungspraxis der KrankenÂkassen damit zusammenhängt, dass AdiÂpositas als eine Erkrankung wahrgenomÂmen wird, die mit einem eher niedrigen Sozialstatus verknüpft ist [34]. Wenn die Krankenkassen den Antrag auf KostenÂübernahme ablehnen, versuchen wir in erster Linie, die Nachforderungen zu erÂfüllen und schreiben im Verlauf ein entÂsprechendes Gegengutachten. Falls dieÂses wieder abgelehnt wird, empfehlen wir den Patienten, einen Anwalt einzuschalÂten. Mittlerweile gibt es Juristen, die sich auf derartige Fälle spezialisiert haben und mit entsprechendem Nachdruck die notÂwendige Operation für den Patienten erÂkämpfen [24, 32].
Die hier gezeigten Daten erheben nicht den Anspruch, repräsentativ zu sein. AlÂlerdings werden in der mündlichen KomÂmunikation mit Kollegen in anderen KliÂniken ähnliche Herausforderungen beÂschrieben. Wir glauben, dass der Erfolg bei der Entwicklung eines operativen AdiÂpositaszentrums an drei wesentliche FakÂtoren geknüpft ist.F  Erstens muss ein interdisziplinärer
Konsens über das Gesamtkonzept einschließlich konservativer TheraÂpieverfahren gefunden werden.
AOK 36%n=44
BKK 16,4%n=20
Sonstige 16,4%n=20
DAK 9%n=11
TKK 9%n=11
Privat 4,9%n=6
KKH 4%n=5
IKK 4%n=5
Abb. 4 9 Verteilung der operierten Pati-enten bezüglich der Krankenkassen. Bei weniger als 5 Pati-enten wurde die Kran-kenkassenzugehö-rigkeit unter „Sonsti-ge“ zusammengefasst. AOK Allgemeine Orts-krankenkasse, BKK Be-triebskrankenkasse, DAK Deutsche Ange-stellten Krankenkasse, IKK Innungskranken-kasse, KKH Kaufmän-nische Krankenkas-se, TKK Techniker Kran-kenkasse
340 |  Der Chirurg 4 · 2014
Originalien
F  Dieses Konzept muss zweitens z. B. durch regelmäßige Informations und Weiterbildungsveranstaltungen an PaÂtienten und Kollegen aller FachbereiÂche einschließlich der niedergelasseÂnen Zuweiser kommuniziert werden.
F  Drittens scheint es wesentlich zu sein, den Krankenkassen dieses Konzept vorzustellen und darauf basierend die Rahmenbedingungen zu definieren, geeigneten Patienten die Operation nach Antragstellung zu ermöglichen. Nur so kann der zeit und personalinÂtensive Prozess von der Erstellung der Gutachten und ggf. Gegengutachten bis hin zur KostenübernahmeerkläÂrung und Operation sinnvoll verkürzt werden.
Fazit
Die Gründung und Etablierung eines operativen Adipositaszentrums kann mehrere Jahre in Anspruch nehmen und erfordert sowohl personelle als auch zeit-liche Ressourcen. Eine wesentliche Be-dingung für den erfolgreichen Aufbau scheint neben der ärztlichen Experti-se eine offensive und zielgerichtete Zu-sammenarbeit mit den Krankenkassen zu sein.
Korrespondenzadresse
PD Dr. B.P. Müller-StichKlinik für Allgemein-, Viszeral-  und Transplantationschirurgie,  Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg,Im Neuenheimer Feld 110, 69120 [email protected]
Danksagung.  Wir bedanken uns bei Herrn Prof. Dr. Peter Nawroth (Innere Medizin I und Klinische Chemie, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) und Herrn Oli-ver Martini (Senior Manager Health Economics, Out-comes & Reimbursement, Johnson & Johnson) für die Unterstützung bei der Fertigstellung des Manuskripts.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt.  L. Fischer, Z. El Zein, T. Bruck-ner, K. Hünnemeyer, G. Rudofsky, M. Reichenberger, K. Schommer, C.N. Gutt, M.W. Büchler und B.P. Müller-Stich geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
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