Juristischer Leitfaden für Verfahrenspfleger
im Verfahren zur Genehmigung
freiheitsentziehender Maßnahmen gem. § 1906 BGB
Agnes Niehues-Pröbsting
Richterin am Amtsgericht Witten
September 2011
INHALTSVERZEICHNIS
I. MATERIELLRECHTLICHE VORAUSSETZUNGEN DES § 1906 A BS. 4 BGB ..... 3
1. GENEHMIGUNGSPFLICHT.................................................................................................. 3
a) Freiheitsentziehung ohne oder gegen den Willen des Betroffenen ............................ 3
b) In einem Heim o.ä. .................................................................................................... 5
c) Mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf sonstige Weise......................... 5
d) Längerer Zeitraum oder regelmäßig .......................................................................... 6
2. GENEHMIGUNGSFÄHIGKEIT .............................................................................................. 6
a) Erforderlichkeit........................................................................................................... 7
b) Geeignetheit der Maßnahme ..................................................................................... 7
c) Verhältnismäßigkeit ................................................................................................... 8
II. VERFAHRENSRECHTLICHE VORAUSSETZUNGEN........... ............................. 10
1. ANTRAG DES BETREUERS / VORSORGEBEVOLLMÄCHTIGTEN; GRUNDGESETZLICHER
RICHTERVORBEHALT BEI FREIHEITSBESCHRÄNKUNGEN ........................................................10
2. ÄRZTLICHE STELLUNGNAHME ..........................................................................................11
a) Gutachten.................................................................................................................11
b) Ärztliches Attest........................................................................................................12
3. BESTELLUNG EINES VERFAHRENSPFLEGERS ....................................................................13
a) Bestellungserfordernis ..............................................................................................13
b) Aufgabe und Funktion des Verfahrenspflegers .........................................................14
4. ANHÖRUNGSTERMIN .......................................................................................................14
5. RECHTSMITTEL...............................................................................................................15
6. BEENDIGUNG DER MAßNAHME.........................................................................................15
III. NOTSITUATIONEN, § 34 STGB..................... .................................................... 16
IV. RECHTSGRUNDLAGEN............................... ..................................................... 17
A) MATERIELLE VORAUSSETZUNGEN DER GENEHMIGUNG .....................................................17
B) VERFAHRENSRECHTLICHE VORSCHRIFTEN.......................................................................17
C) HAFTUNGSNORMEN ........................................................................................................19
D) STRAFRECHTLICHE NORMEN...........................................................................................20
E) GRUNDGESETZLICHE REGELUNGEN.................................................................................21
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I. Materiellrechtliche Voraussetzungen des § 1906 A bs. 4 BGB 1
In dem Verfahren über die betreuungsgerichtliche Genehmigung des Einsatzes einer
freiheitsentziehenden Maßnahme (FEM) ist zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine
genehmigungspflichtige Maßnahme vorliegt (Genehmigungspflicht ), in einem
weiteren Schritt dann, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten
Genehmigung auch vorliegen (Genehmigungsfähigkeit ).
1. Genehmigungspflicht
Eine genehmigungspflichtige FEM liegt immer dann vor, wenn jemand, der sich in
einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung befindet, durch
mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen
längeren Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen wird (§ 1906 Abs. 4 BGB).
a) Freiheitsentziehung ohne oder gegen den Willen d es Betroffenen
Eine Freiheitsentziehung gem. § 1906 BGB ist anzunehmen, wenn eine Person in
ihrer Bewegungsfreiheit so behindert wird, dass sie diese Behinderung nicht mit
zumutbaren Mitteln überwinden kann.2
aa) Natürlicher Wille zur Fortbewegung
Grundsätzlich ist Voraussetzung für eine Freiheitsentziehung zunächst, dass der
Betroffene den natürlichen Willen zur Bewegung besitzt und körperlich auch, ggf. mit
Hilfsmitteln, in der Lage ist, den Willen umzusetzen – denn wo kein Wille bzw. keine
Möglichkeit zur Bewegung ist, kann diese auch nicht eingeschränkt werden. Für die
Annahme einer genehmigungspflichtigen Freiheitsentziehung gem. § 1906 Abs. 4
BGB reicht es jedoch bereits aus, dass der Betroffene trotz objektiv fehlender
Fortbewegungsmöglichkeit den Willen zur Bewegung hat und diesen umzusetzen
versucht.3 1 Abzugrenzen von den genehmigungspflichtigen FeM gem. § 1906 Abs. 4 BGB, welche ausschließlich zum Wohl des Betroffenen eingesetzt werden dürfen, sind diejenigen Fixierungen, welche der Abwehr von Gefahren für Dritte dienen. Solche sind lediglich unter den strengen Anforderungen der entsprechenden Landesgesetzte (hier: PsychKG NW) zulässig und nicht Gegenstand dieses Leitfadens. 2 Münchener Kommentar zum BGB/Schwab, 5. Aufl., § 1906 Rn. 38. 3 Firsching/Dodegge, Familienrecht 2. Halbband, 7. Auflage, Rn. 539.
4
Zu beachten ist hierbei der Sonderfall, in dem der Betroffene krankheitsbedingt
weder durch Worte noch durch Gestik oder Mimik zu erkennen geben kann, ob er
einen Bewegungswillen hat oder nicht. Hier ist in Ermangelung anderer
widersprechender Tatsachen grundsätzlich zu unterstellen, dass ein Bewegungswille
gegeben ist, sodass auch bei Kommunikationsunfähigen regelmäßig davon
auszugehen ist, dass der Einsatz von Bettgittern o.ä. eine genehmigungspflichtige
Freiheitsentziehung im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB darstellt.4
Z.T. bei Gerichten übliche „General-Genehmigungsanschreiben“ an Heime ohne
Ansehen des einzelnen Betroffenen („Bettgitter unter 28 cm stellen keine
genehmigungspflichtige FEM dar“, „Fixierungen bei nicht geh- bzw. nicht stehfähigen
Betroffenen sind nicht genehmigungspflichtig“, „Das Abschließen von Türen bedarf
keiner Genehmigung, wenn der Betroffene nicht regelmäßig an der Tür rüttelt“) sind
daher m.E. rechtlich bedenklich.
bb) Einwilligung des Betroffenen
Eine genehmigungspflichtige Freiheitsentziehung liegt hingegen nicht vor, wenn der
Betroffene selbst in die unterbringungsähnliche Maßnahme einwilligt. Voraussetzung
für eine tragfähige Einwilligungserklärung des Betroffenen ist allerdings die natürliche
Einsichtsfähigkeit des Betroffenen, d.h. er muss kognitiv Art, Tragweite (Vor- und
Nachteile) sowie Bedeutung der Maßnahme erfassen, abwägen und bewerten
können.5
Die Einwilligung muss konkret bei jedem Einsatz der gewünschten Maßnahme
vorliegen, eine vorab erteilte Einwilligung, z.B. bei dem Einzug in das Heim, verliert
die Gültigkeit, wenn die Einwilligungsfähigkeit z.B. wegen fortschreitender
Demenzerkrankung verloren geht.
Die Einwilligung in die Maßnahme unterliegt keinem Formerfordernis, kann daher
auch mündlich erfolgen, und ist natürlich jederzeit frei widerruflich.
4 Ders., a.a.O.; OLG Hamm, OLGZ 1994, 188. 5 Firsching/Dodegge, Familienrecht 2. Halbband, 7. Auflage, Rn. 540 m.w.N.
5
b) In einem Heim o.ä.
Der Einsatz unterbringungsähnlicher Maßnahmen bedarf lediglich in einer Anstalt,
einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung der betreuungsgerichtlichen
Genehmigung (§ 1906 Abs. 4 BGB). Hierunter fallen Krankenhäuser, Sanatorien,
Alten- und Pflegeheime, aber auch nach ständiger Rechtsprechung des Amtsgerichts
(AG) Witten Einrichtungen des betreuten Wohnens. So ist ausgenommen von der
Genehmigungspflicht nach herrschender Meinung6 lediglich die Versorgung in der
eigenen häuslichen Umgebung bei innerfamiliärer Pflege: bereits der Einsatz einer
FEM in der Wohnung einer anderen Familie ist genehmigungspflichtig, ebenso der
Einsatz einer solchen Maßnahme, wenn der Betroffene in der eigenen Wohnung
umfassend durch professionelle Pflegedienste versorgt wird.7
c) Mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf sonstige Weise
Neben den „klassischen“ unterbringungsähnlichen Maßnahmen (Bettgitter,
Bauchgurt, Vorstecktisch, sedierende Medikamente, 3- bzw. 5-Punkt-Fixierungen,
Feststellen von Rollstuhlbremsen, etc.) stellt sich mit fortschreitender Technik immer
mehr die Frage der Genehmigungspflicht von Signalsendern („Transpondern“),
Signalmatten, u.ä., durch welche dem Pflegepersonal signalisiert wird, dass der
Betroffene das Bett oder die Station verlässt. Da § 1906 BGB seiner Zielsetzung
nach dem Schutz der räumlichen Bewegungsfreiheit, nicht aber dem Schutz der
persönlichen Willensfreiheit dient8, wurde seitens des AG Witten zumindest der
Einsatz eines sog. Transponders für nicht genehmigungspflichtig erachtet, solange
der Betroffene nicht unter dem Einsatz von Gewalt, Drohung oder List zur Rückkehr
in die Einrichtung bewegt bzw. am Verlassen der Einrichtung gehindert wird.
Eine grundsätzlich genehmigungspflichtige unterbringungsähnliche Maßnahme ist
jedoch nur dann auch tatsächlich genehmigungspflichtig, wenn sie dem Zweck der
Freiheitsentziehung dient. So ist ein sedierendes Medikament nicht
genehmigungspflichtig, wenn es in erster Linie der Heilbehandlung dient und lediglich
6 aA AG Garmisch-Partenkirchen BtPrax 1999, 2017, wonach auch FEM im häuslichen Bereich genehmigungspflichtig sind. 7 Palandt/Diederichsen, BGB, 68. Aufl., § 1906 Rn. 32 m.w.N. 8 Firsching/Dodegge, Familienrecht 2. Halbband, 7. Auflage, Rn. 538 m.w.N.
6
die Nebenwirkung der Ruhigstellung hat. Auch ein Vorstecktisch im Rollstuhl bedarf
daher z.B. keiner Genehmigung, wenn er lediglich zur Erleichterung der
selbständigen Nahrungsaufnahme (körpernahes Aufstellen von Teller und Besteck)
eingesetzt wird.
d) Längerer Zeitraum oder regelmäßig
Eine unterbringungsähnliche Maßnahme wird erst genehmigungspflichtig, wenn sie
für einen längeren Zeitraum oder regelmäßig angewendet wird (§ 1906 Abs. 4 BGB).
Eine gesetzliche Definition für den Begriff „längerer Zeitraum“ gibt es nicht, die
Beantwortung dieser Frage obliegt der Würdigung des Einzelfalls, insbesondere
unter Berücksichtigung der Schwere des Eingriffs. Für die Bewertung einer „längeren
Dauer“ könnte auf § 128 StPO zurückgegriffen werden (Beendigung der Maßnahme
am Tag nach dem ersten Einsatz) oder auf Art. 104 GG (Beendigung der Maßnahme
bis zum Ende des Tages nach dem ersten Einsatz). Aus Literatur und
Rechtsprechung sind aber auch deutlich längere Zeiträume noch als
genehmigungsfrei bekannt (z.B. Genehmigungspflicht erst nach 14 Tagen des
Einsatzes9). In der Praxis empfiehlt sich zur Vermeidung negativ er
Konsequenzen die Beantragung der Genehmigung bereit s dann, wenn die
Maßnahme nicht bereits am nächsten Tag beendet werd en kann.
Die Regelmäßigkeit einer Maßnahme ist zu bejahen, wenn sie entweder stets zur
gleichen Zeit oder aus wiederkehrendem Anlass eingesetzt wird.
2. Genehmigungsfähigkeit
Genehmigungsfähig ist die von dem Betreuer oder Bevollmächtigten angeordnete,
genehmigungspflichtige Maßnahme gem. § 1906 BGB lediglich dann, wenn sie zum
Wohl des Betroffenen erforderlich ist,
• weil auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen
Behinderung die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen
gesundheitlichen Schaden zufügt (§§ 1906 Abs. 4 i.V.m. 1906 Abs. 1 Nr. 1
BGB)
9 Erwähnt bei Firsching/Dodegge, Familienrecht 2. Halbband, 7. Auflage, Rn. 542.
7
• oder weil eine Untersuchung des Gesundheitszustand, eine Heilbehandlung
oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist und ohne FEM nicht durchgeführt
werden kann und der Betroffene auf Grund einer psychischen Krankheit oder
geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Fixierung nicht
erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann (§§ 1906 Abs. 4 i.V.m
1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
a) Erforderlichkeit
Der Einsatz einer FEM ist gem. § 1906 BGB nur zulässig, wenn sie dem Wohl des
Betroffenen dient. So sind Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Dritte, die von
dem Betroffenen ausgehen, nicht gem. § 1906 BGB genehmigungsfähig. Eine
Beschränkung der räumlichen Freiheit des Betroffenen ist hiernach lediglich dann
genehmigungsfähig, wenn die Gefahr besteht, dass sich der Betroffene ohne die
Maßnahme selbst tötet oder sich der Betroffene in einer gegenwärtigen, konkreten
Gefahr einer erheblichen Gesundheitsgefährdung befindet.10 Um einen Menschen
seiner Bewegungsfreiheit zu berauben, ist es daher weder ausreichend, dass
lediglich eine Sturzgefahr besteht (es müsste darüber hinaus wahrscheinlich sein,
dass sich dieser Mensch bei einem Sturz auch erheblich verletzen würde), noch kann
eine unterbringungsähnliche Maßnahme mit einer bloßen Vermutung einer künftigen
Verletzung gerechtfertigt werden (vielmehr sind konkrete Anhaltspunkte zu fordern,
aufgrund derer sich die Gefahr der erheblichen Verletzung des Betroffenen ergibt).
b) Geeignetheit der Maßnahme
Die beabsichtigte unterbringungsähnliche Maßnahme muss darüber hinaus geeignet
sein, die festgestellte Gefährdung zu minimieren. So ist z.B. das Anbringen eines
Bettgitters ungeeignet, wenn konkret zu befürchten ist, dass der Betroffene in der
Lage ist, das Bettgitter gesteuert oder ungesteuert zu übersteigen und dann ggf.
noch tiefer zu fallen, als er es ohne den Einsatz des Bettgitters täte. Auch ist
beispielsweise der Einsatz eines Bettgitters des Nachts zur Vermeidung von
Sturzverletzungen ungeeignet, wenn sich Unruhe und sturzbedingte
10 Die Notwendigkeit der Fixierung zur Durchsetzung einer zum Wohl des Betroffenen zwingend erforderlichen Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB soll vorliegend außen vor bleiben, da sie für die Arbeit des Verfahrenspflegers bei Genehmigungsverfahren betreffend Heimbewohner eine äußerst untergeordneter Rolle spielt.
8
Verletzungsgefahren des Betroffenen bisher nur tagsüber bei Aufstehversuchen aus
dem Rollstuhl gezeigt haben.
c) Verhältnismäßigkeit
Die kritischste Frage im Genehmigungsverfahren bezüglich des Einsatzes
unterbringungsähnlicher Maßnahmen ist die Frage der Verhältnismäßigkeit der
avisierten Maßnahme. So ist einerseits gründlich zu prüfen, ob mildere Mittel zur
Gefahrenbegrenzung zur Verfügung stehen, die keine Freiheitsbeschränkung für den
Betroffenen bedeuten; andererseits muss sorgfältig auch unter Beachtung möglicher
„Nebenwirkungen“ einer FEM sowie der Freiheitsrechte des Betroffenen und dem
Schutz der menschlichen Würde abgewogen werden, ob der Schutz der körperlichen
Unversehrtheit des Betroffenen diesen Eingriff in seine Rechte rechtfertigt.
aa) Übermaßverbot
Das Übermaßverbot gebietet es, stets das mildeste Mittel zur Gefahrenabwehr zu
wählen. Ob mildere Mittel als eine unterbringungsähnliche Maßnahme angewendet
werden können, ist stets eine Frage des Einzelfalls und kann nicht pauschal
beantwortet werden. Jedenfalls bedarf es einer sorgfältigen, oft auch
interdisziplinaren, Prüfung, ob tatsächlich die FEM als letztes mögliches Mittel
zwingend erforderlich ist.
So ist vor dem Einsatz der Maßnahme z.B. zu erkunden, woher die Unruhe, der
Bewegungsdrang, die Selbstgefährdung des Betroffenen kommt: ergibt sich z.B. aus
der Biographie des Bewohners, warum er immer zu einer bestimmten Zeit das Bett
trotz Gangunsicherheit verlassen will? Wohin will er gehen? Kann man evtl. die
Einrichtung des Zimmers so verändern, dass ein sicheres Gehen („Entlanghangeln
von Möbelstück zu Möbelstück“) ermöglicht wird? Bringt z.B. ein Toilettenstuhl neben
dem Bett Erleichterung und enthebt den Betroffenen der Notwendigkeit des weiteren
Weges zur Toilette? Würde er sich vielleicht in einem Mehrbettzimmer/Doppelzimmer
wohler fühlen, sodass Lauftendenzen aus dem Zimmer heraus minimiert werden
könnten? Kann vielleicht eine Veränderung der Lichtverhältnisse zu sichererem
Gehen führen? Stehen vielleicht Hilfsmittel zum Schutz vor Verletzungen durch
Herausrollen aus dem Bett zur Verfügung (z.B. Erhöhung des Randes der Matratze
durch Unterlegen einer gerollten Decke, Einsatz eines höhenverstellbaren
Niedrigbettes mit vorgelegter Matratze, Einsatz eines Bettnests in Bodenhöhe,
Einsatz von Hüftprotektoren, etc.?). Können Unruhe und/oder Gangunsicherheit
9
durch Behebung internistischer Probleme (z.B. Schilddrüsenüberfunktion), neue
medikamentöse Einstellung oder Physiotherapie bewältigt werden? Stellt sich
vielleicht durch verstärkte körperliche Beanspruchung tagsüber eine den Nachtschlaf
fördernde Müdigkeit abends ein? Ist eventuell ein geteiltes Bettgitter nur am Kopfteil
des Bettes ausreichend?
Eine abschließende Liste alternativer Maßnahmen gibt es nicht, zwingend ist
jedenfalls im Genehmigungsverfahren das genaue Beobachten des Betroffenen und
eine exakte Analyse seiner Gefahren- und Lebenslage unter Hinzuziehung des
Pflegepersonals und ggf. der Angehörigen sowie – nicht weniger wichtig – eine
gehörige Portion Kreativität und Bereitschaft zur Erkundung neuer Wege.
Häufig diskutiert wird an dieser Stelle, welche milderen Mittel auch in finanzieller
Hinsicht (der Einsatz des Vermögens des Betroffenen zur Vermeidung von FEM
kann durchaus vorrangig gefordert werden11) und unter Berücksichtigung der
Personalsituation des Heimes (diese wird wohl dergestalt zu berücksichtigen sein,
dass nichts „Unmögliches“ verlangt werden darf12) gefordert werden können. Es hat
sich jedoch in der hiesigen Praxis in Witten gezeigt, dass in der Regel bei gründlicher
Situationsanalyse unterbringungsähnliche Maßnahmen ohne erhöhten
Personalschlüssel und ohne großen finanziellen Aufwand vermieden werden können,
und dies ohne eine erhöhte Sturz- oder Verletzungszahl bei den Heimbewohnern.
bb) Abwägungsgebot
Das Abwägungsgebot beinhaltet, dass unter Abwägung aller betroffenen
Rechtsgüter des Betroffenen die Freiheitsentziehung geboten erscheint. Hier ist
einerseits die Schwere der zu befürchtenden Verletzung sowie die damit
verbundenen Nachteile für den Betroffen (und der damit verbundene Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit des Betroffenen) zu berücksichtigen. Andererseits ist dies
abzuwägen gegen die Folgen, die sich gerade aus dem Einsatz der Maßnahme
ergeben. Besondere Berücksichtigung hat hierbei nicht nur der Eingriff in das
11 Jürgens/Marschner, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1906 Rn. 44. 12 Palandt/Diederischsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 1906 Rn. 40; a.A. m.w.N. Jürgens/Marschner, Betreuungsrecht, 4. Aufl., § 1906 Rn. 44: „Die unzureichende organisatorische und personelle Ausstattung und damit verbundene fiskalische Gesichtspunkte rechtfertigen keine
Eingriffe in Grundrechte und damit auch nicht die Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen.“.
10
grundgesetzlich geschützte Freiheitsrecht des Betroffenen zu finden, sondern
insbesondere auch die „Nebenwirkungen“ des Freiheitsentzuges (ergeben sich
psychische Beeinträchtigungen durch Angstzustände durch die
Bewegungseinschränkung? Besteht die Gefahr des Übersteigens des Bettgitters
oder der Verletzung von Gliedmaßen an dem Bettgitter, z.B. durch Einklemmen oder
Schläge auf die Holzstäbe? Etc.). Letztlich wird an dieser Stelle aber auch der
(mutmaßliche) Wille des Betroffenen des Betroffenen besonders zu berücksichtigen
sein. So muss, sofern dies möglich ist, sicherlich in die Abwägung einbezogen
werden, welchen Lebensweg der Betroffene gewählt hat und welcher Charakter
prägend war: wer z.B. Zeit seines Lebens Risiken eingegangen ist und Freiheiten
genutzt hat (z.B. Motorradfahren, viele Reisen, Betreiben von Risikosportarten, ...)
würde sich eventuell – wäre er hierzu noch in der Lage – dazu entscheiden, lieber
das Risiko von Verletzungen in Kauf zu nehmen und ggf. sogar an ihnen zu
versterben, dafür aber bis zu der möglichen Verletzung noch ohne
Bewegungseinschränkungen sein Leben „frei“ zu leben und daher auf die Fixierung
trotz der gegebenen Risiken zu verzichten. Ein stets auf Sicherheit bedachter,
ängstlicherer Mensch könnte sich dagegen vielleicht weniger durch eine
unterbringungsähnliche Maßnahme eingeschränkt, sondern vielmehr beschützt
fühlen. Auch hier gilt es also wieder, einen genauen Blick auf den betroffenen
Heimbewohner, sein Leben, seine Einstellungen und seine derzeitige Situation zu
werfen um zu beurteilen, ob die beabsichtigte Maßnahme unter Abwägung
sämtlicher relevanter Belange dem Wohl des Betroffenen dient.
II. Verfahrensrechtliche Voraussetzungen
Die maßgeblichen Regelungen für das einzuhaltende Verfahren bei einem Antrag auf
Genehmigung des Einsatzes freiheitseinschränkender Maßnahmen ergeben sich aus
den §§ 312 FamFG ff.
1. Antrag des Betreuers / Vorsorgebevollmächtigten; grundgesetzlicher
Richtervorbehalt bei Freiheitsbeschränkungen
Die betreuungsgerichtliche Genehmigung des Einsatzes unterbringungsähnlicher
Maßnahmen setzt zunächst einen entsprechenden Antrag des Betreuers bzw. des
Bevollmächtigten voraus.
11
So können Heimpersonal, Arzt oder nicht vertretungsberechtigte Angehörige lediglich
die Anregung zur Überprüfung der Notwendigkeit einer FEM geben,
entscheidungsbefugt im Hinblick auf den Einsatz der Maßnahme bzw. antragsbefugt
im Genehmigungsverfahren sind sie jedoch nicht.
Der Betreuer ist berechtigt, gegenüber der Einrichtung die Einwilligung in die
unterbringungsähnliche Maßnahme zu erteilen, sofern ihm im Rahmen der
Betreuungseinrichtung die Aufgabenkreise „Aufenthaltsbestimmung“ und
„Gesundheitsfürsorge“ oder der Aufgabenkreis „Entscheidung über den Einsatz
freiheitsentziehender Maßnahmen“ übertragen wurde.
Der von dem Betroffenen Bevollmächtigte hingegen ist zu Einwilligung und
Antragsstellung lediglich dann befugt, wenn ihm die entsprechende Berechtigung
hierzu ausdrücklich und schriftlich im Rahmen der Vollmacht von dem Betroffenen
wirksam (d.h. im Zustand der Vollmachtsfähigkeit des Vollmachtgebers) eingeräumt
wurde, § 1906 Abs. 5 BGB.
Selbst wenn jedoch die Befugnis zur Entscheidung über den Einsatz von FEM
entweder durch das Betreuungsgericht oder durch den Betroffenen selbst per
Vollmacht übertragen wurde, so wird – quasi in Doppelverantwortung zum
verstärkten Schutz des Betroffenen – eine Einwilligung des Betreuers bzw. des
Bevollmächtigten gegenüber dem Heim erst dann wirksam, wenn diese Einwilligung
durch das Betreuungsgericht genehmigt wird (§ 1906 Abs. 4 iVm § 1906 Abs. 2 BGB,
vgl. auch Art. 104 Abs. 2 GG).13
2. Ärztliche Stellungnahme
Für die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung gem. § 1906 Abs. 1 BGB
ist ein ärztliches Gutachten einzuholen, während u.U. für die Genehmigung von FEM
ein ärztliches Attest ausreichend sein kann (§ 321 Abs. 2 FamFG).
a) Gutachten
Ein ärztliches Gutachten ist von einem Arzt für Psychiatrie oder zumindest einem
Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie im Wege der förmlichen
Beweiserhebung einzuholen. Zwingend erforderlich zur Erstellung eines Gutachtens
13 Palandt/Diederischsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 1906 Rn. 23, 26.
12
ist die persönliche Untersuchung und Befragung des Betroffenen durch den
Sachverständigen. In dem Gutachten muss sich der Sachverständige mit den
Beweisfragen der unterbringungsähnlichen Maßnahme – mithin mit den für die
Genehmigung entscheidungsrelevanten Tatsachen – auseinandersetzen:14
- Der Zeitpunkt der persönlichen Untersuchung des Betroffenen;
- Die Feststellung und Einordnung des Krankheitsbildes bzw. der Behinderung
des Betroffenen;
- Die Feststellung (unter Darlegung der Erkenntnisschritte, wie und warum man
zu der Feststellung kommt), ob aufgrund der Erkrankung oder Behinderung
des Betroffenen die konkrete Gefahr besteht, dass er sich einen erheblichen
gesundheitlichen Schaden zufügt;
- Die Erforderlichkeit und Geeignetheit der beabsichtigten Maßnahme (vgl. I. 2.
a) + b) dieser Unterlagen);
- Gefährdungen, die sich erst aus dem Einsatz der beabsichtigten Maßnahme
ergeben;
- Die Auseinandersetzung mit der Problematik, welche milderen Maßnahmen
zur Vermeidung der Freiheitsentziehung in Betracht kommen bzw. warum
mildere Mittel nicht einsetzbar sind;
- Die Feststellung, ob der Betroffene zu einer natürlichen, freien Willensbildung,
gerichtet auf die Frage der Notwendigkeit des Einsatzes freiheitsentziehender
Maßnahmen, in der Lage ist;
- Die Feststellung, für welchen Zeitraum die für geeignet und erforderlich
gehaltende Maßnahme unter Berücksichtigung der Gesamtumstände
voraussichtlich vonnöten sein wird.
b) Ärztliches Attest
Gem. § 321 Abs. 2 FamFG genügt grundsätzlich für das Genehmigungsverfahren
von FEM auch ein ärztliches Attest, wobei es als Ausfluss des
Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 26 FamFG) durchaus geboten sein kann, dennoch
ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn dies die hinreichende
Sachaufklärung zur Entscheidungsfindung gebietet.
14 Vgl. hierzu auch Keidel/Budde, FamFG, 16. Auflage, Rn. 2, 4 mwN.
13
Inhaltlich muss dieses Attest den gleichen Anforderungen genügen wie ein
Sachverständigengutachten15 (s.o. II. 2 a). Im Unterschied zu einem Gutachten muss
das Attest jedoch nicht zwingend von einem Arzt der Psychiatrie oder einem auf
diesem Gebiet erfahrenen Arzt erstellt werden, sondern es kann auch ausreichend
sein, dass im Freibeweisverfahren (d.h. ohne förmlichen Beweisbeschluss, das Attest
kann auch ohne gerichtliche Anforderung von Verfahrensbeteiligten, dem Heim oder
dem Arzt selbst eingereicht werden) z.B. die Stellungnahme des behandelnden
Allgemeinmediziners zugrunde gelegt wird.16 Des Weiteren ist zumindest gem. §
321 Abs. 2 FamFG eine persönliche Untersuchung des Betroffenen für die
Attesterstattung nicht zwingend nötig. Allerdings fordert das ärztliche Standesrecht
eine solche persönliche Untersuchung oder Befragung vor Attesterstattung17 und
auch der Arzt selbst müsste sicherlich ein Interesse an einer persönlichen
Befunderhebung haben, um nicht in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (§ 278
StGB: Strafbarkeit der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse) zu geraten.
3. Bestellung eines Verfahrenspflegers
a) Bestellungserfordernis
Das Gericht hat dem Betroffenen in dem Verfahren über die Genehmigung des
Einsatzes von FEM einen Verfahrenspfleger zu bestellen, sofern dies zur
Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist (§ 317 Abs. 1 S. 1
FamFG). Da in dem Genehmigungsverfahren ganz überwiegend Personen
betroffenen sind, die krankheitsbedingt schon nicht in der Lage sind, die
Notwendigkeit von unterbringungsähnlichen Maßnahmen zu überblicken, ist in aller
Regel davon auszugehen, dass sie aus dem gleichen Grund auch nicht in der Lage
sind, das Genehmigungsverfahren zu verstehen oder gar zu beurteilen, ob mögliche
Entscheidungen rechtmäßig sind, sodass wohl nur in Ausnahmefällen auf die
Bestellung eines Verfahrenspflegers verzichtet werden kann. So ist dann auch der
Verzicht auf die Bestellung in dem Genehmigungsbeschluss durch den
Betreuungsrichter zu begründen (§ 317 Abs. 2 FamFG).
15 Ders., a.a.O Rn. 5. 16 Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung/Schmidt-Recla, 3. Aufl., § 321 Rn. 16. 17 Ders., a.a.O.
14
b) Aufgabe und Funktion des Verfahrenspflegers
Der Verfahrenspfleger hat die objektiven Interessen des Betroffenen im
Genehmigungsverfahren zu vertreten, er ist hierbei an keinerlei Weisungen – auch
nicht die des Betroffenen selbst – gebunden. Er soll den Betroffenen unterstützen,
seine Rechte wahrzunehmen und dafür Sorge tragen, dass die Belange des
Betroffenen hinreichend Gehör finden. Er ist gesetzlicher Verfahrensvertreter des
Betroffenen (unberührt bleibt hierbei die Position des Betreuers bzw.
Bevollmächtigten, diese behalten alle Rechte und Pflichten auch bei der Bestellung
eines Verfahrenspflegers). Der Verfahrenspfleger ist an allen Verfahrenshandlungen
des Gerichts zu beteiligen: ihm ist rechtliches Gehör zu gewähren, er hat das Recht
auf Akteneinsicht, er ist über den Verfahrensablauf zu unterrichten und muss von
dem Betreuungsgericht so frühzeitig bestellt werden, dass er noch Einfluss auf die
Entscheidung nehmen kann, d.h. es muss auch sichergestellt sein, dass er bei dem
Anhörungstermin anwesend sein kann.18
Schließlich ist es Aufgabe des Betreuers, zu überprüfen, ob er im Falle der
Genehmigung des Einsatzes unterbringungsähnlicher Maßnahmen von seinem
Beschwerderecht gegen diese Genehmigung (§ 335 Abs. 2 FamFG) Gebrauch
macht, d.h. er muss bewerten, ob die materiellrechtlichen (s.o., I.) sowie
verfahrensrechtlichen Vorschriften (s.o. II.) eingehalten worden sind.
Die Vergütung des Verfahrenspfleger richtet sich gem. § 318 FamFG nach der
Vorschrift des § 277 FamFG (unten unter „Rechtsgrundlagen“ aufgeführt).
4. Anhörungstermin
Das Gericht hat dem Betroffenen im Rahmen eines Anhörungstermins rechtliches
Gehör zu gewähren (§ 319 FamFG). Hierbei hat sich das Gericht (grundsätzlich in
der häuslichen Umgebung des Betroffenen) einen persönlichen, unmittelbaren
Eindruck zu verschaffen. Dem Betroffenen ist der Grund der Anhörung mitzuteilen
und er ist – immer angemessen unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes –
von dem Verfahrensstand, insbesondere dem Inhalt des Gutachtens bzw. Attest und
dem Ergebnis der Anhörung – zu unterrichten. 18 Vgl. zum Unterbringungsverfahren gem. § 1906 Abs. 1 BGB: BGH FamRZ 2011, 805 ff. Für das Verfahren über unterbringungsähnliche Maßnahmen gem. § 1906 Abs. 2 BGB dürften diesbezüglich keine anderen Anforderungen zu stellen sein, da es im Wesentlichen den gleichen gesetzlichen Regelungen unterliegt.
15
Wie im gesamten Verfahren sind auch bei dem Anhörungstermin die Beteiligten des
Verfahrens (§ 315 FamFG) zu einzubeziehen. Zwingende Beteiligte des Verfahrens
sind der Betroffene, der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte sowie der
Verfahrenspfleger. Die Betreuungsstelle ist auf ihren Antrag hin zu beteiligen.
Zusätzlich können im Interesse des Betroffenen (dies obliegt richterlicher Würdigung)
auch Ehegatte bzw. Lebenspartner des Betroffenen, seine Eltern und Kinder,
Vertrauenspersonen oder der Einrichtungsleiter des Heimes (ggf. vertreten durch
examiniertes Pflegepersonal) hinzugezogen werden.
5. Rechtsmittel
Gegen den Beschluss, mit welchem der Einsatz von FEM genehmigt wird, ist das
Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde ist innerhalb einer Frist von
einem Monat bei dem Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, durch Einreichung
einer Beschwerdeschrift in deutscher Sprache oder zur Niederschrift der
Geschäftsstelle einzulegen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe der
Entscheidung an den jeweiligen Beschwerdeführer. Wenn an ihn eine schriftliche
Bekanntgabe nicht erfolgen konnte, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf
Monaten nach Erlass des Beschlusses.
Die Beschwerdeschrift muss die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen
diesen Beschluss eingelegt wird und sie muss den angefochtenen Beschluss
bezeichnen. Auch ist sie vom Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu
unterzeichnen.
6. Beendigung der Maßnahme
Keine freiheitsentziehende Maßnahme darf länger andauern als unbedingt
erforderlich. Daher ist der Betreuer auch gem. § 1906 Abs. 3 BGB zur sofortigen
Beendigung der Maßnahme verpflichtet, wenn die Voraussetzungen, die zu dem
Einsatz der FEM führten, nicht mehr vorliegen. Wichtig zu beachten ist hierbei, dass
das Betreuungsgericht per Beschluss lediglich den Einsatz der Maßnahme
genehmigt. Hiermit ist keine Pflicht zur Fixierung, lediglich eine Erlaubnis hierzu
gegeben. Auf entsprechenden Hinweis des Betreuers hat das Gericht dann auch die
Genehmigung gem. § 330 FamFG aufzuheben.
16
III. Notsituationen, § 34 StGB
In Notsituation, gerade nachts oder am Wochenende, kann das Betreuungsgericht,
oft nicht einmal der Betreuer, nicht von dem Heim erreicht werden. Grundsätzlich
sind jedoch FEM nur mit vorheriger (bei Gefahr in Verzug: mit unverzüglich
nachträglich eingeholter) Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig, § 1906
Abs. 2 BGB. Darüber hinaus kann in Eilfällen eine einstweilige Genehmigung des
Betreuungsgerichts erfolgen, wenn ein Betreuer oder Bevollmächtigter nicht
vorhanden oder nicht erreichbar ist, sogar eine vorläufige Anordnung der Maßnahme
durch das Gericht selbst (§ 1846 BGB). Doch z.T. ist die Gefahrenlage so
pressierend, dass nicht einmal diese Schritte abgewartet werden können. Dann ist
unter den engen Voraussetzungen des § 34 StGB ein sofortiges Eingreifen des
Pflegepersonals zur Abwehr von Gefahren notwendig und geboten, selbst wenn
hierdurch in die Rechtsgüter des Betroffenen (insbesondere in sein Recht auf
Freiheit) eingegriffen wird. Vorrausetzung für eine gem. § 34 StGB gerechtfertigte
Freiheitsentziehung ist die Feststellung (und zu Beweiszwecken: Dokumentierung)
einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit,
Ehre, Eigentum oder anderes Rechtsgut des Betroffenen. Darüber hinaus muss nach
sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen werden, dass das geschützte
Rechtsgut (z.B. die körperliche Unversehrtheit) das durch die Maßnahme
beeinträchtigte Rechtsgut (z.B. die Freiheit des Betroffenen) wesentlich überwiegt.
Immer berücksichtigt werden muss auch bei der Notmaßnahme, dass lediglich
angemessene Mittel eingesetzt werden dürfen und dass die Maßnahme nicht länger
angewendet werden darf, als sie zur Gefahrenabwehr zwingend erforderlich ist.
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IV. Rechtsgrundlagen
Es folgt die Auflistung einiger gesetzlicher Vorschriften, die für die Arbeit des
Verfahrenspflegers von Relevanz sind und z.T. auch bereits in den obigen
Ausführungen zitiert wurden:
a) Materielle Voraussetzungen der Genehmigung
§ 1906 BGB Genehmigung des Betreuungsgerichts bei d er Unterbringung
(1) Eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, ist nur zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil
• 1.auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt, oder
• 2.eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
(2) 1Die Unterbringung ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. 2Ohne die Genehmigung ist die Unterbringung nur zulässig, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist; die Genehmigung ist unverzüglich nachzuholen.
(3) 1Der Betreuer hat die Unterbringung zu beenden, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. 2Er hat die Beendigung der Unterbringung dem Betreuungsgericht anzuzeigen.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn dem B etreuten, der sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält, ohne unte rgebracht zu sein, durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf andere Weise über einen länger en Zeitraum oder regelmäßig die Freiheit entzogen werden soll.
(5) 1Die Unterbringung durch einen Bevollmächtigten und die Einwilligung eines Bevollmächtigten in Maßnahmen nach Absatz 4 setzt voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und die in den Absätzen 1 und 4 genannten Maßnahmen ausdrücklich umfasst . 2Im Übrigen gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
b) Verfahrensrechtliche Vorschriften
§ 26 FamFG Ermittlung von Amts wegen
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
§ 312 FamFG Unterbringungssachen
Unterbringungssachen sind Verfahren, die
• 1.die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Unterbringung eines Betreuten (§ 1906 Abs. 1 bis 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder einer Person, die einen Dritten zu ihrer freiheitsentziehenden Unterbringung bevollmächtigt hat (§ 1906 Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs),
• 2.die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßna hme nach § 1906 Abs. 4 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
• 3.eine freiheitsentziehende Unterbringung eines Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
betreffen.
§ 315 FamFG Beteiligte
(1) Zu beteiligen sind
• 1.der Betroffene, • 2.der Betreuer,
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• 3.der Bevollmächtigte im Sinne des § 1896 Abs. 2 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(2) Der Verfahrenspfleger wird durch seine Bestellung als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen.
(3) Die zuständige Behörde ist auf ihren Antrag als Beteiligte hinzuzuziehen.
(4) 1Beteiligt werden können im Interesse des Betroffenen
• 1.dessen Ehegatte oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie dessen Eltern und Kinder, wenn der Betroffene bei diesen lebt oder bei Einleitung des Verfahrens gelebt hat, sowie die Pflegeeltern,
• 2.eine von ihm benannte Person seines Vertrauens, • 3.der Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene lebt.
2Das Landesrecht kann vorsehen, dass weitere Personen und Stellen beteiligt werden können.
§ 317 FamFG Verfahrenspfleger
(1) 1Das Gericht hat dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger zu bestellen, wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist . 2Die Bestellung ist insbesondere erforderlich, wenn von einer Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll.
(2) Bestellt das Gericht dem Betroffenen keinen Verfahrenspfleger, ist dies in der Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme genehmigt oder angeordnet wird, zu begründen .
(3) Wer Verfahrenspflegschaften im Rahmen seiner Berufsausübung führt, soll nur dann zum Verfahrenspfleger bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen Führung der Verfahrenspflegschaft bereit ist.
(4) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers soll unterbleiben oder aufgehoben werden, wenn die Interessen des Betroffenen von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden.
(5) Die Bestellung endet, sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens.
(6) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers oder deren Aufhebung sowie die Ablehnung einer derartigen Maßnahme sind nicht selbständig anfechtbar.
(7) Dem Verfahrenspfleger sind keine Kosten aufzuerlegen.
§ 319 FamFG Anhörung des Betroffenen
(1) 1Das Gericht hat den Betroffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. 2Den persönlichen Eindruck verschafft sich das Gericht, soweit dies erforderlich ist, in der üblichen Umgebung des Betroffenen.
(2) Das Gericht unterrichtet den Betroffenen über den möglichen Verlauf des Verfahrens.
(3) Soll eine persönliche Anhörung nach § 34 Abs. 2 unterbleiben, weil hiervon erhebliche Nachteile für die Gesundheit des Betroffenen zu besorgen sind, darf diese Entscheidung nur auf Grundlage eines ärztlichen Gutachtens getroffen werden.
(4) Verfahrenshandlungen nach Absatz 1 sollen nicht im Wege der Rechtshilfe erfolgen.
(5) Das Gericht kann den Betroffenen durch die zuständige Behörde vorführen lassen, wenn er sich weigert, an Verfahrenshandlungen nach Absatz 1 mitzuwirken.
§ 321 FamFG Einholung eines Gutachtens
(1) 1Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. 2Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. 3Das Gutachten soll sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringung erstrecken. 4Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.
(2) Für eine Maßnahme nach § 312 Nr. 2 genügt ein ärztl iches Zeugnis .
§ 330 Aufhebung der Unterbringung
1Die Genehmigung oder Anordnung der Unterbringungsmaßnahme ist aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen wegfallen. 2Vor der Aufhebung einer Unterbringungsmaßnahme nach § 312 Nr. 3 soll das Gericht die zuständige Behörde anhören, es sei denn, dass dies zu einer nicht nur geringen Verzögerung des Verfahrens führen würde.
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§ 335 FamFG Ergänzende Vorschriften über die Beschw erde
(1) Das Recht der Beschwerde steht im Interesse des Betroffenen
• 1.dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie dessen Eltern und Kindern, wenn der Betroffene bei diesen lebt oder bei Einleitung des Verfahrens gelebt hat, den Pflegeeltern,
• 2.einer von dem Betroffenen benannten Person seines Vertrauens sowie • 3.dem Leiter der Einrichtung, in der der Betroffene lebt,
zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.
(2) Das Recht der Beschwerde steht dem Verfahrenspf leger zu .
(3) Der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen.
(4) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde zu.
§ 277 FamFG Vergütung und Aufwendungsersatz des Ver fahrenspflegers
(1) 1Der Verfahrenspfleger erhält Ersatz seiner Aufwendungen nach § 1835 Abs. 1 bis 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. 2Vorschuss kann nicht verlangt werden. 3Eine Behörde oder ein Verein erhält als Verfahrenspfleger keinen Aufwendungsersatz.
(2) 1§ 1836 Abs. 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt entsprechend. 2Wird die Verfahrenspflegschaft ausnahmsweise berufsmäßig geführt, erhält der Verfahrenspfleger neben den Aufwendungen nach Absatz 1 eine Vergütung in entsprechender Anwendung der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 und 2 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes.
(3) 1Anstelle des Aufwendungsersatzes und der Vergütung nach den Absätzen 1 und 2 kann das Gericht dem Verfahrenspfleger einen festen Geldbetrag zubilligen, wenn die für die Führung der Pflegschaftsgeschäfte erforderliche Zeit vorhersehbar und ihre Ausschöpfung durch den Verfahrenspfleger gewährleistet ist. 2Bei der Bemessung des Geldbetrags ist die voraussichtlich erforderliche Zeit mit den in § 3 Abs. 1 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes bestimmten Stundensätzen zuzüglich einer Aufwandspauschale von drei Euro je veranschlagter Stunde zu vergüten. 3In diesem Fall braucht der Verfahrenspfleger die von ihm aufgewandte Zeit und eingesetzten Mittel nicht nachzuweisen; weitergehende Aufwendungsersatz- und Vergütungsansprüche stehen ihm nicht zu.
(4) 1Ist ein Mitarbeiter eines anerkannten Betreuungsvereins als Verfahrenspfleger bestellt, stehen der Aufwendungsersatz und die Vergütung nach den Absätzen 1 bis 3 dem Verein zu. 2§ 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes sowie § 1835 Abs. 5 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gelten entsprechend. 3Ist ein Bediensteter der Betreuungsbehörde als Verfahrenspfleger für das Verfahren bestellt, erhält die Betreuungsbehörde keinen Aufwendungsersatz und keine Vergütung.
(5) 1Der Aufwendungsersatz und die Vergütung des Verfahrenspflegers sind stets aus der Staatskasse zu zahlen. 2Im Übrigen gilt § 168 Abs. 1 entsprechend.
c) Haftungsnormen
§ 823 BGB Schadensersatzpflicht
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) 1Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. 2Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.[3]
§ 253 BGB Immaterieller Schaden
(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.
(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden .
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d) Strafrechtliche Normen
§ 239 StGB Freiheitsberaubung
(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt , wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
• 1.das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder • 2.durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung
des Opfers verursacht.
(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
§ 240 StGB Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) 1In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
• 1.eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt, • 2.eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder • 3.seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.
§ 223 StGB Körperverletzung
(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
§ 229 StGB Fahrlässige Körperverletzung
Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 225 StGB Misshandlung von Schutzbefohlenen
(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person , die
• 1.seiner Fürsorge oder Obhut untersteht , • 2.seinem Hausstand angehört, • 3.von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder • 4.ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh misshandelt , oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr
• 1.des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder • 2.einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.
(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
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§ 278 StGB Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugni sse
Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
§ 34 StGB Rechtfertigender Notstand
1Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwende n, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. 2Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
§ 128 StPO [Vorführung vor den Richter bei dem Amts gericht]
(1) 1Der Festgenommene ist, sofern er nicht wieder in Freiheit gesetzt wird, unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme, dem Richter bei dem Amtsgericht, in dessen Bezirk er festgenommen worden ist, vorzuführen. 2Der Richter vernimmt den Vorgeführten gemäß § 115 Abs. 3.
(2) 1Hält der Richter die Festnahme nicht für gerechtfertigt oder ihre Gründe für beseitigt, so ordnet er die Freilassung an. 2Andernfalls erläßt er auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder, wenn ein Staatsanwalt nicht erreichbar ist, von Amts wegen einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl. 3§ 115 Abs. 4 gilt entsprechend.
e) Grundgesetzliche Regelungen
Art. 1 GG [Schutz der Menschenwürde, Menschenrechte , Grundrechtsbindung]
(1) 1Die Würde des Menschen ist unantastbar. 2Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 2 GG [Freie Entfaltung der Persönlichkeit, Rec ht auf Leben, körperliche Unversehrtheit,
Freiheit der Person]
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) 1Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 2Die Freiheit der Person ist unverletzlich . 3In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 104 GG [Rechtsgarantien bei Freiheitsentziehun g]
(1) 1Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines för mlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. 2Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden .
(2) 1Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. 2Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. 3Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. 4Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.
(3) 1Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. 2Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.
(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.