Landeskunde und neue Medien
Dr. Zeuner
Lehrstuhl DaF
am Institut fĂŒr Germanistik der TU Dresden
Gliederung
Was ist Landeskunde?
Was sind âneueâ Medien?
Was heiĂt Lernen mit neuen Medien?
Was folgt daraus fĂŒr Landeskunde?
Was ist Landeskunde?Ansatz von Claus Altmayer (2002, 2004, 2007) - Landeskunde als Kulturwissenschaft:
Landeskunde hat es nicht mit Fakten und Zahlen, sondern vor allem mit âkulturellen Deutungsmusternâ zu tun.
Kulturelles Lernen in Gang setzen und unterstĂŒtzen mit dem Ziel des Fremdverstehens
Kultur als geteiltes Wissen
Clifford Geerts: Kultur ist das âselbstgesponnene Bedeutungsgewebeâ in das Menschen als Mitglieder sozialer Gruppen âverstricktâ sind.
âMit âKulturâ wĂ€ren demnach vor allem diejenigen BestĂ€nde eines ... von uns als ânormalâ, âselbstverstĂ€ndlichâ und allgemein bekannt angenommenen Wissens gemeint, das wir in unseren alltĂ€glichen LebensvollzĂŒgen immer schon verwenden ...â (Altmayer 2002)
Kulturelle Deutungsmuster
âWir deuten die gemeinsame Welt und Wirklichkeit und orientieren uns handelnd in dieser Wirklichkeit auf der Basis von Mustern, die wir im Verlauf unserer Sozialisation erlernt haben âŠ
So weit es sich bei diesen Mustern um ĂŒberlieferte, im kulturellen GedĂ€chtnis einer Gruppe gespeicherte und abrufbare Muster von einer gewissen StabilitĂ€t handelt, spreche ich von âkulturellen Deutungsmusternâ, und den Bestand an âkulturellen Deutungsmusternâ, der einer Gruppe als gemeinsamer Wissensvorrat fĂŒr die diskursive Wirklichkeitsdeutung zur VerfĂŒgung steht, nenne ich die âKulturâ dieser Gruppeâ (Altmayer, 2007, S. 13).
Beispiel Kulturelles Deutungsmuster
Sicherheit versus Freiheit
Kulturelles LernenKulturelles Lernen heiĂt - veranlasst durch die Auseinandersetzung mit deutschsprachigen âTextenâ oder in Begegnungssituationen - ĂŒber die eigenen Deutungsmuster reflektieren und diese so anpassen, umstrukturieren, verĂ€ndern oder weiterentwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern der Zielkultur weitgehend entsprechen
und die Lernenden in die Lage versetzen, diesen Texten oder Situationen einen kulturell angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen Stellung nehmen zu können (Altmayer 2007, S. 17 â 18).
Ziel: Fremdverstehen
Fremdverstehen als Prozess in vier Schritten
â âFremdverstehenâ heiĂt âŠ, dass Fremdsprachenlerner bereit und in der Lage sind,
die eigenen individuellen und/oder kulturellen kognitiven Schemata der Welt- und Wirklichkeitsdeutung zu relativieren und in Frage zu stellen;
die eventuelle âFremdheitâ und UnverstĂ€ndlichkeit von fremdsprachlichen Texten und ĂuĂerungen prinzipiell auf diesen Texten/ ĂuĂerungen möglicher Weise zu Grunde liegende andere und unbekannte kognitive Schemata zurĂŒckfĂŒhren können;
Fremdverstehen als Prozess in vier Schritten
die âfremdenâ Schemata als potenzielle GrĂŒnde rekonstruieren können, die fĂŒr die mit fremdsprachlichen Texten und ĂuĂerungen erhobenen GeltungsansprĂŒche sprechen könnten;
auf der Basis dieser Rekonstruktion der rationalen GrĂŒnde von GeltungsansprĂŒchen dazu begrĂŒndet Stellung nehmen, d.h. die GrĂŒnde als hinreichend akzeptieren oder als inakzeptabel zurĂŒckweisen können.â (Altmayer 2004, S. 70/71)
Beispiel Fremdverstehen
HongiMaj. Bill Eberhardt touches noses (Hongi) with a Maori warrior during a Powhiri, or welcoming ceremony, at Christchurch, New Zealand.
Als ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten ist diese Datei gemeinfrei. Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3APowhiri%2C_USAF.jpg
Video: What a Hongi means -
http://youtu.be/uwN3TcsLXsU
Video: What a Hongi means -
http://youtu.be/uwN3TcsLXsU
ZugĂ€nge fĂŒr kulturelles Lernen
Kultur in Sprache
Kultur im Verhalten/ Handeln von Menschen
Kultur in Manifestationen, d.h. diejenigen institutionellen, historischen und kulturellen Gegebenheiten, die das BeziehungsgefĂŒge fĂŒr unsere Alltagskultur herstellen (vgl. Krumm 1998)
Mögliche Themenbereiche fĂŒr
LandeskundeIdentitÀt
Raum
Zeit
Werte als universale Daseinserfahrungen (vgl. Altmayer 2007)
Beispiel: Kultur in Sprache - IdentitÀt
Muddeln ist Widerstand (Tom Pauls)
Auf der Webseite des Tom-Pauls-Theaters Pirna heiĂt es im Text âDie sĂ€chsischen Wörter des Jahres 2008â zum Wort âMuddlnâ:
âWir muddeln rum. Nicht, dass wir nichts tĂ€ten. Wir machen schon was; bloĂ â es wird nischt. Wir haben uns gleichsam von der Zeit abgekoppelt, wir sind ausgestiegen aus dem Weltengetriebe, wir sind nicht weg, aber wir sind auch nicht hier. Wir sind bei uns. ⊠Muddeln ist eine groĂartige
Sache, die gesund erhĂ€lt. Es ist die sĂ€chsische Art zu meditieren.â
Auf der Webseite des Tom-Pauls-Theaters Pirna heiĂt es im Text âDie sĂ€chsischen Wörter des Jahres 2008â zum Wort âMuddlnâ:
âWir muddeln rum. Nicht, dass wir nichts tĂ€ten. Wir machen schon was; bloĂ â es wird nischt. Wir haben uns gleichsam von der Zeit abgekoppelt, wir sind ausgestiegen aus dem Weltengetriebe, wir sind nicht weg, aber wir sind auch nicht hier. Wir sind bei uns. ⊠Muddeln ist eine groĂartige
Sache, die gesund erhĂ€lt. Es ist die sĂ€chsische Art zu meditieren.â
Beispiel: Raum/Proxemik - Verhalten bei
BegrĂŒĂung
Zwei Bilder aus einem studentischen Projekt (2003): Ein brasilianischer Student begrĂŒĂt eine deutsche Studentin/ Zwei Deutsche begrĂŒĂen sich.
Beispiel: Werte - Manifestationen
Autowerbung: Sorry - Sicherheit als Wert - http://youtu.be/joG8s_BAisA
Beispiel: Zeit - Sonntag
Sonntag: Beispiel fĂŒr Zeitkompartimentierung
Was sind âneueâ Medien?Heute und fĂŒr unser Thema interessant: Web 2.0:
âWeb 2.0 ist ein Schlagwort, das fĂŒr eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets, speziell des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur VerfĂŒgung. Der Begriff postuliert in Anlehnung an die Versionsnummern von Softwareprodukten eine neue Generation des Webs und grenzt diese von frĂŒheren Nutzungsarten ab. Die Verwendung des Begriffs nimmt jedoch zugunsten des Begriffs Social Media ab.â (http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0)
Web 2.0
Quelle: http://www.dadalos-d.org/web20/images/web_10_20.png
Potential fĂŒr Kulturlernen 1
Material sammeln und zusammenstellen:
RSS Feeds; E-Portfolios; social bookmarking; Evernote; âŠ. Blog-Archiv als E-Portfolio â
Informationen sammeln als Grundlage fĂŒr eine Rekonstruktion der fremden kognitiven Schemata
Potential fĂŒr Kulturlernen 2
Material mit anderen diskutieren â zusammenarbeiten:
Kollaborative Online-Tools wie z.B. Google Docs ; Wikis; Etherpad; TitanPad; Mindmeister; Skype; Soziale Netzwerke (Twitter, Facebook, Google+; Google+-Hangout)
Rekonstruktion der fremden kognitiven Schemata im Austausch auch mit den Fremden
Potential fĂŒr Kulturlernen 3
Eigene Texte/Materialien erstellen bzw. veröffentlichen:
Blogs; Medien teilen (YouTube; Flickr); E-Book erstellen; Slideshare; Prezi; Wikis; ⊠â
Veröffentlichen/Teilen von Erkenntnissen zu fremden kognitiven Schemata; begrĂŒndet dazu Stellung nehmen.
ODER: Zum AnstoĂ von Lernprozessen: Fremde Handlungen, Texte, ĂuĂerungen sehen/hören/erfassen.
PLE/PLN fĂŒr Kulturlernen
Quelle: Lisa Rosa: Lernen Lernen lernen mit dem persönlichen Lernnetzwerk
Was heiĂt Lernen in diesem Zusammenhang?
Quelle: http://www.dadalos-d.org/web20/images/lernen_20.png
Was heiĂt Lernen in diesem Zusammenhang?
traditionelle Vorstellung
konstruktivistische Vorstellung
konnektivistische konnektivistische VorstellungVorstellung
Wissen kann vermittelt werden
Wissen wird konstruiert
Wissen ist verteilt und vernetzt
Instruktionselbstbestimmtes
LernenLernen als
lebenslanger Prozess
unterrichten begleitenTeilnehmende lernen
voneinander/ miteinander
Lehrer als âMeisterâLehrer als
Moderator/ Coach
Lehrer als Teilnehmender des
Lernnetzwerkes
Lerner als âLehrlingâ
Lerner als aktives Subjekt
Lerner aktiv als Teil eines Netzwerkes
Lehrsystem LernumgebungPersönliches
Lernnetzwerk (PLN)
... ... ...
Lernen heiĂt ...
... nicht, Informationen zu erwerben.
Lernen heiĂt, Informationen zu diskutieren, Informationen zu bezweifeln, Informationen zu kritisieren, Informationen zu teilen, Informationen zu schaffen.
Lernen heiĂt, bedeutungsvolle Verbindungen zwischen Informationen zu erzeugen. Lernen heiĂt Bedeutung fĂŒr sich zu erschaffen (vgl. Michael Wesch: âA Portal to Media Literacyâ).
Lernen im konnektivistischen Ansatz (George Siemens)
Daten: originale Sachverhalte, Symbole
Informationen: Daten, die gegliedert, interpretiert, aufbereitet und verwendbar fĂŒr den Zweck gemacht wurden, fĂŒr den die Daten ursprĂŒnglich gesammelt wurden
Wissen: Informationen im Kontext (d.h. die Bedeutung von Informationen verstehen) oder Information mit semantischer Bedeutung
Lernen: Zur Handlung gebrachtes oder in Handlung ĂŒberfĂŒhrbares Wissen, etwas mit dem Wissen tun.
Quelle: George Siemens (2005): What is Learning: http://www.connectivism.ca/?p=14
Frage?
Wie können Internet und Social Media Lernprozesse des Fremdverstehens unterstĂŒtzen, d.h.
fremde Schemata der Weltdeutung zu finden und zu erkennen, deren Bedeutung zu rekonstruieren und begrĂŒndet dazu Stellung zu nehmen,
d.h. fĂŒr sich Bedeutung zu schaffen und mit diesem Wissen etwas zu tun?
Beispiel: Projekt 1968
Rainald Grebes Lied als Ausgangspunkt - Daten
Daten gegliedert - gemeinsam erstellte Mindmap als Grundlage fĂŒr Gruppenarbeit zum Sammeln von Informationen
Gruppenarbeit - Deutungsmuster/ kulturelle SchlĂŒsselwörter mit Inhalt fĂŒllen - Bedeutung schaffen - Wissen - fĂŒr Gruppenarbeit social media nutzen
Lernen/etwas mit dem Wissen tun: Ergebnisse prÀsentieren und diskutieren: Gruppenblogs/ PrÀsentationen
Reinald Grebe: 1968 - Daten
Liedtext: http://lyrics.wikia.com/Rainald_Grebe:1968
Videoquelle: http://youtu.be/p1iw2c9CS14
Daten gegliedert/ Informationen - Mindmap
Bedeutung schaffen - Wissen
Gruppenarbeit: Zu jeweils einem Teil des Bedeutungsnetzes Hintergrundinformationen sammeln und verarbeiten (Suchmaschine der Wahl; Evernote; Dropbox; Delicious).
FĂŒr Austausch in der Gruppenarbeit: Blog oder Wiki oder ein Soziales Netzwerk oder kollaborative Onlinetools nutzen
Evtl. Deutungsmuster â1968â in anderen Kulturen diskutieren
Etwas mit dem Wissen tunErgebnisse der Gruppenarbeit online
und/oder offline prÀsentieren und diskutieren:
Blogs, YouTube, Flickr, Slideshare, Prezi; E-Book erstellen ...
Evtl. Diskussion:
â... Recourcenschonung, Klimawandel - wenn heute Janis Joplin davon reden wĂŒrde! Oder nehmen Sie "Nachhaltigkeit": Damals hieĂ es "die young" und: "Man kann schlafen, wenn man tot ist." 20-JĂ€hrige von heute reden ganz anders, die sind schon so straight drauf ...â (Rainald Grebe ĂŒber 68 im taz-Interview).
Jennis Joplin 1969 - Live Fast, Love Hard, Die Young
Textfassung des Vortrags
Textfassung in meinem Blog unter http://uzeuner.wordpress.com/2013/07/31/landeskunde-und-neue-medien/
Literatur
Altmayer, Claus. (2002). Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaftlichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift fĂŒr Interkulturellen Fremdsprachenunterricht [Online], 6(3), Available: http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-06-3/beitrag/deutungsmuster.htm
Altmayer, Claus: Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. Iudicium Verlag MĂŒnchen 2004
Altmayer, Claus (2008): Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft. Innovation oder Modetrend? â In: Germanistische Mitteilungen 65/2007. â Online am 03.11.2008: http://www.bgdv.be/gm65/GM65_altmayer.pdf
Aufenanger, Stefan: Keynote von Prof. Dr. Stefan Aufenanger (UniversitĂ€t Mainz, Erziehungswissenschaft und MedienpĂ€dagogik): ââGefĂ€llt mir!â â Besser Lernen mit digitalen Medienâ http://youtu.be/v78gOFnUoLA (Veröffentlicht am 06.02.2013)
Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: E-Learning 2.0 im Einsatz â Online am 26.07.2013. URL: http://elearning2null.de/learnmedia/Bernhardt-Kirchner_E-Learning-2.0-im-Einsatz.pdf
Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: Lerntheoretischer Hintergrund. In: E-Learning 2.0. Gemeinschaftlich gefĂŒhrte Weblog der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Promotionsstudenten Thomas Bernhardt (Uni Bremen) & Marcel Kirchner (TU Ilmenau) zum Thema âE-Learning 2.0âł.Online am 26.07.2013. URL: http://www.elearning2null.de/publikationen/expose/2-lerntheoretischer-hintergrund/ .
D@dalos â Internationaler UNESCO Bildungsserver fĂŒr Demokratie-, Friedens- und Menschenrechtserziehung: Online-Lehrbuch Web 2.0. Online: http://www.dadalos-d.org/web20/inhalt.htm
Geertz, Clifford. (1995). Dichte Beschreibung. BeitrÀge zum Verstehen kultureller Systeme. 4. Aufl. Frankfurt a.M.
Krumm, H.-J.: Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Ăber den Umgang mit Verschiedenheit im DaF-Unterricht. â In: Info DaF. Informationen Deutsch als Fremdsprache 25, 5 (1998), S. 523-544.
Penning, D.: Landeskunde als Thema des Deutschunterrichts â fĂ€cherĂŒbergreifend und/oder fachspezifisch? â In: Info DaF 22, 6 (1995), 626 â 640.
Podcasting im Fremdsprachenlernen & Interkulturellen Lernen Testwiki der Duisburg-Essener Anglistik. â Online am 14.07.2013: http://wiki.uni-due.de/ang/index.php/Podcasting_im_Fremdsprachenlernen_%26_Interkulturellen_Lernen
Rosa, Lisa: Lernen Lernen lernen mit dem persönlichen Lernnetzwerk. Wie im digitalen Zeitalter eigensinnig und gemeinsam gelernt wird. â Vortrag auf der #relearn der re:publica 13 2013. Online: http://shiftingschool.wordpress.com/2013/05/10/lernen-lernen-lernen-mit-dem-personlichen-lernnetzwerk-wie-im-digitalen-zeitalter-eigensinnig-und-gemeinsam-gelernt-wird/
Siemens, George: Connectivism: http://www.connectivism.ca/
Tushar Chaudhuri und Csilla PuskĂĄs: Interkulturelle LernaktivitĂ€ten im Zeitalter des Web 2.0. Erkenntnisse eines telekollaborativen Projektes zwischen der Hong Kong Baptist University und der Justus-Liebig-UniversitĂ€t GieĂen â In: Informationen Deutsch als Fremdsprache âą 38. Jahrgang âą Heft 1 âą Februar 2011. â Online am 14.07.2013: http://www.iudicium.de/InfoDaF/contents/InfoDaF_2011_Heft_1.htm
Wesch, Michael: Vortrage âA Portal to Media Literacyâ, (17. Juni 2008 an der University of Manitoba). â Online: http://youtu.be/J4yApagnr0s