Landwirtschaftliche Familienberatung – neue Herausforderungen aus dem
demographischen Wandel
Hans Goldbrunner
Tel. 02102/51197
Altenkirchen 13. 03. 2007
Situation der Landwirtschaft in den 90-er Jahren
• Landwirtschaft ist in gesamtwirtschaftliche Bezüge eingebunden, national und international ist verschärfter Wettbewerb zu erwarten. In den nächsten zehn Jahren werden wohl noch einmal ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe ausscheiden. Immer häufiger wird das nicht aus freier Wahl geschehen. Da gehen Lebensentwürfe kaputt, Menschliches wird gemindert. Auch in anderen Berufsbereichen geschieht ähnliches. Nur sind bei den bäuerlichen Familien wohl die Bindungen an Hof, Sinnerfahrung und Lebensweise besonders stark, die seelischen Verletzungen besonders tief. Die Familien suchen in aller Regel ihre Lage nach außen zu verschleiern und geraten dadurch in soziale Isolation und Konflikte. Probleme ergeben sich auch in Bezug auf die Realisierung der noch vorhandenen Lösungsmöglichkeiten, besonders dann, wenn sie von den Betroffenen als persönliches Scheitern, als schuldhaftes Versagen erlebt werden. (Albrecht 1993)
Beratung
• wenn Der Felder sind Bauer abgeerntet pflügt, die.
Entwicklung der regionalen Familienberatungsinitiativen
• Landwirtschaftliche Familienberatung entwickelte sich seit 1985, den Ausgangspunkt bildete Baden-Württemberg, weitere Stationen waren Bayern, Hessen, Niedersachsen. Bis zur Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landwirtschaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone e.V. (BAG) 1996 waren fast alle westlichen Bundesländer eingebunden.
• Zielsetzung: Aufgabe ... ist es, Menschen in der Landwirtschaft bei der Bewältigung wirtschaftlicher und familiärer Probleme zu unterstützen. ... Weil in der Landwirtschaft betriebliche und familiäre Belange eng miteinander verknüpft sind, können Zukunftsfragen ohne Berücksichtigung der sozialen und persönlichen Situation auf den Höfen nicht gelöst werden.“ (Satzung der BAG, Präambel, Fassung 26.06.2000)
Landwirtschaftliche Familienberatung als Beratungssystem
• Landwirtschaftliche Familienberatung ist in dem komplexen und widersprüchlichen sozialen System der bäuerlichen Familie verankert, das durch die Verbindung von Betrieb, Person und bedeutsamen sozialen Beziehungsnetzen, insbesondere familiären Bindungen, charakterisiert wird. Sie befasst sich mit Konflikten zwischen den vorhandenen Subsystemen und sucht diese gemeinsam mit den ratsuchenden Mitgliedern in einer integrierenden Weise zu lösen.
Hauptthemen der Beratung• Bedeutsame Entscheidungen in Familie und Betrieb • Finanzielle Probleme, Überschuldung, drohende Insolvenz• Unzureichende Alterssicherung• Schwierigkeiten bei der Übergabe des Betriebes an die nächste
Generation bzw. Lösungen bei fehlender Nachfolge• Kommunikationsprobleme in Familie und Partnerbeziehung,
Konflikte zwischen den Generationen, Trennung und Scheidung • Arbeitsüberlastung, gesundheitliche Probleme, Burnout• Abhängigkeiten (Alkohol, Medikamente u.a.)• Gewalt und Missbrauchserfahrungen innerhalb der Familie• Schicksalsschläge, Todesfälle.
Beratungen 1993-2006
Familie & Betrieb e.V. © 2007
0
50
100
150
200
250
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
insgesamt (205 in 2006)
neu (116)
fortgeführt (89)
205 beratene Familienbetriebeim Jahr 2006
Gartenbau (13; 0 mit Gewerbe)
6%
Handwerk oder Gewerbe (10)
5%
Landwirtschaft (191; 13 mit Gewerbe)
89%
Familie & Betrieb e.V. © 2007
Kontaktaufnahme bei 111 neuenBeratungen im Jahr 2006
Frauen (57)49%
keine Angabe (5)
4%Männer (54)47%
Familie & Betrieb e.V. © 2007
Häufigkeit der 499 benannten Probleme im Detail im Jahr 2006
Familie & Betrieb e.V. © 2007
12%
11%
10%
8%8%8%
7%
6%
4%4%
4%3%
3%2%
1%
Generationskonflikt (61) Schulden (57) Finanzielle Sorgen (48)Ehekonflikt (40) Betriebsentwicklung (39) Familiäre Verstrickungen (38)Hofübergabe (34) Krankheit (28) Arbeitsüberlastung (19)Psychische Probleme (19) Hofaufgabe (18) Trennung/Scheidung (17)Persönliche Probleme (13) Alterssicherung (9) Konflikte mit Dritten (9)Suchtproblem (8) Erbengemeinschaft (7) Todesfall (7)Erbstreit (5) Sonst. Finanz. Probleme (5) Sonst. gesundh. Probleme (4)Suizid (3) Sonst. Betr.Probleme (2) Sonst. familiäre Probleme (2)Unfall (2) Hofsuche (1) Pflegebedürftigkeit (1)Rechtsstreit (1) Single Dasein (1) Sonstige (1)
Als Beratungsanlass stand im Jahr 2006 bei205 Familienbetrieben an erster Stelle
Familie & Betrieb e.V. © 2007
Sonstige (1) 0%
Gesundheit (19) 9%
Familie (82) 41%
Betrieb (41) 20%
Finanzen (62) 30%
Verteilung der 499 benannten Probleme auf die Bereiche Familie-Finanzen-Betrieb-Gesundheit
Familie & Betrieb e.V. © 2007
Finanzen (119)24%
Betrieb (94)19%
Familie (203)41 %
Gesundheit (81)16 %
Sonstige (2)0 %
In der Beratung waren im Jahr 2006 (Datentransfer prüfen)
Familie & Betrieb e.V. © 2007
an Beratung beteiligte
Haushalte; 266Familienbetriebe;
205
vom Problem betroffene
Familienmitglieder940
an Beratung direkt beteiligte Personen;
380
Allgemeine Beratungstechniken• Erzählen lassen, Zuhören (narrative Technik) • Verbalisieren: (Unausgesprochenes) in Worte fassen• Fragetechniken als Reflexionshilfen• Rückmeldungen• Zusammenfassen, Focussieren• Problemlösen• Metakommunikation: Gefühle und Beziehungen ansprechen• Reframing: Bewertungsschemata verschieben• Paradoxe Verschreibungen• Metaphern und Geschichten einsetzen• Skulpturtechniken• Genogramme und Biografiearbeit• Provokation, Humor
Grundlegende Beraterqualifikationen• Empathie, Sensibilität, Neugier, Offenheit• Diagnostischer Blick auf Menschen, Beziehungen und
Betrieb und deren Vernetzung• Erkennen und Umgang mit Defiziten – ohne zu
verharmlosen, einfühlsam konfrontieren!• Erkennen und Aktivieren der Stärken – auch der
verborgenen!• Balance zwischen Engagement und deplaziertem
Überengagement• Balance Nähe – Distanz, sich einlassen und loslassen• Verbindung beraterische Technik – menschliche Beziehung• Allparteilichkeit, Neutralität• Zeitmanagement: Nutzen der begrenzten Zeit, Begrenzung
der Beratung, Erkennen des „rechten Augenblicks“
Zusammenarbeit in der Agrarberatung• Die Vielseitigkeit und Komplexität von Problemlagen in der
gegenwärtigen Landwirtschaft ist nur in interdisziplinärer Teamarbeit zu bewältigen.
• Notwendigkeit der Kooperation ergibt sich aus:Komplexe Entwicklung des Agrarbereiches, rasanter Wandel und Anpassungsdruck,Abhängigkeiten von unvorhersehbaren Entwicklungen und Krisen,Agrarpolitik und Globalisierung,ökonomische und ökologische Veränderungen,Verflechtung mit der gesamten Gesellschaft,Erwartungen an individuelle Lebensführung und familiäre Beziehungen
Voraussetzungen der Zusammenarbeit
• Zusammenarbeit und Weitervermittlung ist an Voraussetzungen gebunden:
• Erkennen und Einsatz der eigenen Kompetenz,Annahme der eigenen Grenzen ohne Versagensgefühle,
• Offenheit, Vertrauen und Bereitschaft zur Zusammenarbeit,• Bürokratiearme Absprachen und Weitervermittlung zu
anderen Einrichtungen,• Übergabe in einem Klima der (begrenzten) Kompetenz und
Wertschätzung anstelle von Versagen und Schuldgefühlen
Internetadressen
• www.landwirtschaftliche-familienberatung.deHP der BAG f. Landw. Familienberatung und Sorgentelefone in Deutschland + Schweiz (Österreich geplant),Institutionen, Beiträge, Termine, Aktuelles...
• www.dajeb.deUmfassendes Verzeichnis psychosozialer Beratungseinrichtungen in Deutschland geordnet nach PLZ
Demografischer Wandel - Indikatoren
• Höhere Lebenserwartung, Alter als Herausforderung• Niedrige Kinderzahl• Berufstätigkeit der Frauen – Vereinbarkeit Familie und
Beruf, geschlechtliche Identität• Neue Familien- und Partnerschaftsleitbilder• Vertikale Großfamilie (Mehrgenerationenfamilie),
Altersprobleme, Intergenerationenbeziehungen • Zunahme der Scheidungszahlen• Familienbetriebe als ökonomische Kraft• Höfe ohne Nachfolger• Landwirtschaftsferne Ehepartner
Familiäre – betriebliche Probleme
• Fast bei allen Beratungsanfragen werden weiterhin familiäre Probleme wie Generations- und Ehekonflikte bis hin zu persönlichen und psychischen Problemen benannt. Das hängt damit zusammen, dass nur in Ausnahmefällen zu einem finanziellen Problem keine familiären Schwierigkeiten hinzukommen. In vielen Beratungen geht es aber auch nur um familiäre Probleme ohne finanziellen und wirtschaftlichen Hintergrund, meist aber verbunden mit Fragen beispielsweise der Hofübergabe bzw. der allgemeinen Betriebsentwicklung oder der Gesundheit. (Rechenschaftsbericht 2006, F&B Freiburg)
Familie und Betrieb - Zugänge
• Als harte Realität: sozioökonomische Lebens- und Arbeitsbedingungen
• Als weiche (Beziehungs-)Realität: soziale Konstrukte und Leitbilder, die objektive Realitäten schaffen: Arbeit, Freizeit, Entlohnung, Erziehungsinstitutionen
• Materialisierung von Beziehungen, symbolische Bedeutung von Betrieb und Handeln (Verstehen)
Intergenerationenbeziehungen als Chance und Herausforderung
• Konfliktperspektive: Verständigungsprobleme, Herrschaft und Kontrolle, Kommunikations- und Streitkultur
• Gegenseitige Unterstützung: Mitarbeit auf dem Hof, Kindererziehung, Krankheit und Pflege, materielle Zuwendung...
• Emotionale und moralische Bindungen, Nähe-Distanz-Problematik zwischen den Generationen, Allianzen, Identitätskonstruktionen, Koalitionsbildungen und Abgrenzungen, Ablösung und Wiederannäherung als fortlaufender Prozess
• Intergenerationenbeziehungen als Aushandeln von Beziehungen