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Page 1: Rezensionen: leicht weit – Light Structures. Jörg Schlaich – Rudolf Bergermann. Von A. Bögle, P. C. Schmal, I. Flagge (Hrsg.)

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Stahlbau 73 (2004), Heft 2

Bögle, A., Schmal, P. C., Flagge, I. (Hrsg.):leicht weit – Light Structures. JörgSchlaich – Rudolf Bergermann. Mün-chen/Berlin/London/New York: PrestelVerlag und Deutsches Architektur Mu-seum Frankfurt/Main 2003. 320 S., dt./engl., 1012 Abb. Ln., 30 × 23 cm. ISBN3-7913-2918-9. 2 65,– (Buchhandelsaus-gabe), ISBN 3-7913-6011-6. 2 35,– (Ka-talogsausgabe)

Vorliegendes Buch ist als Katalog zurgleichnamigen Ausstellung des DeutschenArchitektur Museums (DAM) in Frank-furt/Main vom 22. 11. 2003 bis 8. 2. 2004entstanden. Wer den Ausstellungsbesuchbislang versäumte, hat etwas versäumt:das Faszinosum sinnlicher Erkenntnis mo-derner Ingenieurbaukunst aus der „Trag-werkstatt“ des Stuttgarter Büros SchlaichBergermann und Partner. Damit nahmsich das DAM erstmals in seiner Ge-schichte dieser Seite des Bauschaffens an.Der Leser kann sich von der Welt ingeniö-ser Baugestaltungen Jörg Schlaichs, seinerPartner und Mitstreiter ein Bild formen:Der von den Herausgebern inhaltlich klugkomponierte Katalog, buchkünstlerischadäquat und damit attraktiv umgesetztvon Sybille Schlaich und Torsten Köchlin(moniteurs, Berlin), lädt ein zu einer Reisein das Leichte des Konstruktiven Ingenieur-baus, das schwer zu machen ist.

Im von der Direktorin des DAM Inge-borg Flagge geführten Gespräch mit JörgSchlaich wird das Verhältnis zwischenBaukunst und Architektur, Technik undÄsthetik, Bauingenieur und Architekt,technischer und sozialer Kompetenz desBauingenieurs sowie technischer Mög-lichkeit und konstruktiver Disziplin aus-gelotet. David P. Billington und MarcMimram portraitieren auf ihre Weise JörgSchlaich als gestaltenden Ingenieur undEntwerfer. Aus der Sicht einer Schülerinschildert Annette Bögle die weit über denHochschulsektor wirkenden universitärenLeistungen Schlaichs und seiner Mitstrei-ter; als Beispiel sei hier die wirklichkeits-nahe Erfassung des Kraftflusses im Kon-tinuum durch die Methode der Stabwerks-modelle genannt, in der die speziellenStabwerksmodelle eines Wilhelm Ritter,Emil Mörsch, Fritz Leonhardt u. a. imHegelschen Sinne historisch-logisch auf-gehoben sind. Volkwin Marg tariert inseinem Beitrag „Formfinden und Form-setzen“ den Dialog zwischen Bauinge-nieur und Architekt feinsinnig aus. DenSchlußstein des allgemeinen Katalogteilssetzen die Büropartner von Jörg Schlaichund Rudolf Bergermann durch ihr präg-nantes Büroportrait (Verfasser: Knut Göp-pert, Andreas Keil, Sven Plieninger undMike Schlaich).

Kern des Kataloges bildet die Dar-stellung der Tragstrukturtypen, welche bisauf das von Peter Cachola Schmal ver-faßte Kapitel „hoch breit“ (Häuser) derFeder Annette Bögles entstammen: Be-tontürme, seilverspannte Türme und Stahl-

gittertürme, Betonschalen, Seilnetze fürDächer und Fassaden, Netzschalen, tex-tile Membranen, Pneus, Ringseildächer,Hänge- und seilverspannte Dächer, Bo-gen- und Fachwerkkonstruktionen, Stra-ßenbrücken, Überführungen, Eisenbahn-brücken, Fußgängerbrücken, solare Klein-kraftwerke und große Solarkraftwerke.Manche dieser innovativen Bauwerke sindin STAHLBAU ausführlich veröffentlichtworden – einige sind mit dem Ingenieur-bau-Preis des Verlages Ernst & Sohn aus-gezeichnet worden. In ihren Kurzportraitsgelingt es Annette Bögle, den Witz der je-weiligen Tragsysteme sinnlich er-fahrbarzu machen.

Der Katalog wird durch Jörg Schlaichsengagierte Reflektionen über das Wiesound Wie des Leichtbaus abgeschlossen:„Ingenieure und Architekten genießen ei-nen Abglanz des Elitären, der im krassenGegensatz steht zum Geist der Pionieredes Leichtbaus: Richard Buckminster Ful-ler, Konrad Wachsmann, Vladimir Suchov,Max Mengeringhausen und Frei Otto.Heutige Ingenieure und Architekten dage-gen treiben den konstruktiven Exhibitio-nismus exklusiver Projekte immer weiterund merken nicht, daß um sie herum98 Prozent des Gebauten viel eher ihrerZuwendung bedürfte und deshalb ihr Tunzutiefst asoziale Züge erhält – der Ver-fasser weiß wovon er redet, und klagt sichauch selbst an. Gefragt ist ein vernünfti-ger, bescheidener, effizienter aber zugleichbezahlbarer Leichtbau“ (S. 300).

Werk und Wirkung Jörg Schlaichsgeht nicht im Ingeniösen auf, sondern ver-bindet sich mit einer tieferen Einsicht indie sozialethischen Grundlagen des Inge-nieurhandelns. So antizipiert er die tra-gende Stütze des konstruktiven Ingeni-eurbaus der Zukunft. Jene Aura der Per-sönlichkeit Jörg Schlaichs ist es, welchein letzter Instanz die Liebe zum Bauin-genieurberuf mitschuf, mitschafft und mit-schaffen wird.

Vorliegendes Buch zu empfehlen,hieße Eulen nach Athen tragen.

Karl-Eugen Kurrer, Berlin

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