I
n
p
u
t
g
e
s
p
r
o
c
h
e
n
e
s
W
o
r
t
P
h
o
n
e
m
e
I
d
e
n
t
i
f
i
k
a
t
i
o
Universität Bayreuth Sommersemester 2010
Sprach- und Literaturwissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur
Staatsexamenskolloquium
Dozentin: Claudia Wührl
Referenten: Birgit Vogel, Julia Bleier, Florian List, Markus Köstner
Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht
- „Grammatikunterricht ist Reflektion über Sprache mit dem besonderen
Erkenntnisinteresse auf generell geltende Regeln des Sprachgebrauchs und die
Grundstruktur der deutschen Sprache.“ (Wolfgang Eichler)
- Sprachbewusstheit: Verflechtung metasprachlicher und metakommunikativer Anteile
der Diskurse, in die Kinder von klein auf eingebunden sind, mit den Diskursanteilen
auf der Objektebene, die den Gegenstand der Metaebene bilden. (nach Brockmeier)
- Sprachbewusstsein: Fähigkeit Sprache gezielt, willentlich zum Gegenstand der
Aufmerksamkeit zu machen und somit die eigene Bewusstseinstätigkeit bewusst
steuern zu können. (nach Brockmeier)
Lernziele für den Grammatikunterricht (nach Wolfgang Eichler)
- Der Schüler soll Einsicht in den Bau und die Struktur der deutschen Sprache erhalten
(kulturgüterorientiertes Lernziel). Er soll seine kulturelle Identität auch in der Sprache
erfassen.
- Der Schüler soll für die Unterrichtsarbeit in anderen Lernbereichen und Fächern klare
Verständigungsbegriffe erhalten (Grammatikunterricht in Hilfsfunktion für den
Fremdsprachenunterricht, den Rechtschreibunterricht und die
Korrekturbesprechung).
- Der Schüler soll in der Fähigkeit zum analytischen (logischen) Denken gefördert
werden (Transfer in die kognitive Kompetenz)
- Der Schüler soll lernen, Distanz zum Eingebundensein in kommunikative Prozesse zu
nehmen und für Normen aller Art sensibilisiert werden (Transfer: Analytische
Grundeinstellung).
- Der Schüler soll objektive Kriterien für die Analyse von kommunikativen Handlungen
und Sprache auf ihre Wirkung und ihre Bedingungen erarbeiten (Transfer:
Kommunikationsanalyse).
- Der Schüler soll Kriterien für die Textanalyse und –interpretation erhalten (Transfer in
den Lernbereich Umgang mit Texten).
- Der Schüler soll in seiner Sprachfertigkeit, in seinem Konstruktionsbewusstsein, im
Satzbau und in der präzisen Wortwahl sowie in einem allgemein bewussteren
Sprachverhalten gefördert werden (Transfer in die stilistische Kompetenz).
Konzepte des schulischen Grammatikunterrichts
1. Traditioneller (systematischer) Grammatikunterricht
- zugrunde liegt in der Regel eine einfache traditionelle, am Lateinischen orientierte
Grammatik
- Zuordnung von sprachlichen Strukturen / Einheiten zu Bezeichnungen
- SchülerInnen sollen die von der Lehrkraft oder dem Schulbuch definierten Termini
identifizieren und klassifizieren
- Thematisiert das Sprachsystem, ist handlungsentlastet, überwiegend präskriptiv,
deklarativ, autonom und deduktiv
- Ziel: Vermittlung eines vorab festgelegten Wissens über den Bau der Sprache
- Curricularer Aufbau: geht den Weg vom Einfachen zum Zusammengesetzten, also
vom Wort zum Satz und von dort aus teilweise zum Text oder zur Äußerung
2. Situativer Grammatikunterricht
- Sprache wird immer in kommunikativer Einbettung gebraucht und auch die
Spracherfahrung der SchülerInnen ist an Kontexte gebunden, deshalb sollen
grammatische Phänomene in Relation zu ihren situativ relevanten Funktionen
bearbeitet werden
- Folgende Dispositionen sollen bei den SchülerInnen gelegt werden: sensibilisieren,
sichern, operieren, lokalisieren, diagnostizieren, konstruieren, verbalisieren, Diskurs
- Thematisierung von Situationen des (Schul-) Alltags, in denen spezifische sprachliche
Probleme entstanden sind
- Induktiver Erarbeitung des Problemzusammenhangs (SchülerInnen sollen das
Problem selbst erkennen)
- Thematisiert den Sprachgebrauch, überwiegend deskriptiv, handlungspraktisch,
operativ, integriert und induktiv
3. Funktionaler Grammatikunterricht
- 4 Prinzipien: Prinzip der Verfremdung, Prinzip der operativen Produktivität, das
funktionale Prinzip, das integrative Prinzip
- Ziel: schülerseitige Erkenntnisse in Bezug auf sprachliche Funktionen
- Im Gegensatz zum situativen Grammatikunterricht versucht der funktionale eine
systematische Zugriffsweise auf sprachliche Mittel
- Thematisiert das Sprachsystem im Sprachgebrauch, deskriptiv, handlungspraktisch,
operativ, autonom und induktiv
4. Die Grammatik-Werkstatt
- Ziel: SchülerInnen sollen Einsichten gewinnen, wie man zu den Kategorien gelangt,
die die Termini aus dem traditionellen Grammatikunterricht bezeichnen
- Vermittelt grammatische Operationen, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, ob ein
bestimmtes Wort einer bestimmten Kategorie zugeordnet wird
- Dreifache Begründung der Zielausrichtung aus lernpsychologischer, pädagogischer
und erkenntnistheoretischer Sicht
- Thematisiert das Sprachsystem, deskriptiv, handlungsentlastet, operativ, autonom
und induktiv
(Innere und äußere) Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht
Typen von Mehrsprachigkeit:
*äußere Mehrsprachigkeit:
Mehrsprachigkeit in verschiedenen Sprachen
(z.B. Deutsch – Türkisch)
*innere Mehrsprachigkeit:
Mehrsprachigkeit in Sprache und Dialekt
(z.B. Alemannisch – Standarddeutsch)
Schulische Rahmenbedingungen:
-statistisch belegbare Tatsache: Mehrsprachigkeit ist die Regel und Einsprachigkeit die Ausnahme
Gründe, warum Kinder mit zwei Sprachen leben müssen:
1.) Die Eltern sprechen eine andere Sprache als die Landessprache, d.h. die „Muttersprache“ ist eine „Minderheitensprache“
2.) Die Elternteile sprechen verschiedene Sprachen. Solche „Mischehen“ nehmen zu. 3.) Eltern leben mit ihren schulpflichtigen Kindern zeitweilig im Ausland und schicken diese in
„Auslandsschulen“. 4.) Das Land, in dem die Kinder aufwachsen, ist offiziell zweisprachig und bietet Schulen an, in
dem die Kinder beide Landessprachen lernen können (z.B. Kanada mit Englisch und Französisch, Finnland mit Finnisch und Schwedisch)
Problem: Als Sprecher der Mehrheitssprache haben wir das Privileg, uns in allen beruflichen und
privaten Situationen unserer Muttersprache Deutsch bedienen zu können.
Für Minderheiten ist das Leben dagegen in zwei Sprachen eine unausweichliche alltägliche Erfahrung.
Eltern können nicht darüber entscheiden, in welcher Schule ihr Kind lesen uns schreiben lernt und
müssen eine Schule akzeptieren, in der Mehrsprachigkeit nicht vorgesehen ist.
Deshalb braucht es in der Sprachdidaktik Methoden, die den zweisprachigen Kindern den mündlichen
und schriftlichen Gebrauch ihrer beider Sprachen so gut wie möglich vermitteln können.
Modelle zweisprachiger Erziehung
Schulmodelle in den Einwanderungsländern (USA, Kanada, Australien, etc…) gehen von der Tatsache
aus, dass viele Kinder mit zwei Sprachen aufwachsen.
Erfolg bzw. Misserfolg hängt von verschiedenen Faktoren ab (nach dem Mehrsprachigkeitsforscher
Tove Skutnabb-Kangas)
1. Faktor: Unterrichtssprache: In welcher Sprache findet der Unterricht statt, auch in nicht - sprachlichen Fächern wie Mathematik etc.?
2. Faktor: Minderheit oder Mehrheit: Status der beteiligten Sprachen: Wendet sich das Modell an eine sprachliche Minderheit oder an eine sprachliche Mehrheit?
3. Faktor: Ziel: Ist es Ziel, die Kinder zur Einsprachigkeit zu bringen in der Zweitsprache oder in der Erstsprache oder ist es Ziel, die Zweisprachigkeit zu fördern bzw. bei zweisprachigen Kindern zu entwickeln?
Unterscheidung von vier Grundtypen:
1.) Segregation:
-Unterricht in getrennten Klassen nach den Richtlinien des Herkunftslandes für Kinder mit
Minderheitensprache
-Unterrichtssprache ist Erstsprache der Kinder
-Ziel ist Einsprachigkeit in der Erstsprache
-Zweitsprache wird nicht so schnell erworben durch Separierung von den einheimischen Kindern
-keine Konzepte zur Integration der Kinder
-Beispiel: „nationale Klassen“
2.) Sprachschutzprogramm:
-Ziel der Zweisprachigkeit
-Schrifterwerb erfolgt in der Muttersprache
-Zweitsprache wird als Unterrichtsfach angeboten und später als Unterrichtssprache genutzt
-meistens fließender Übergang in Regelklassen der Mehrheitsgesellschaft
-Muttersprache als zusätzliches Fach
-Beispiel: MEMORANDUM zum muttersprachlichen Unterricht
3.) Submersion:
-„Untertauchen“, „sink-or-swim-programs“ = Ertränkungsprogramm
-Ziel ist Mehrheitssprache Kinder vergessen ihre Muttersprache schneller als sie die Zweitsprache
erwerben
-häufigste Schulform für Minderheitenkinder
-Beispiel: „Multinationale Regelklassen“, wie in der BRD seit 1982
4.) Immersion:
- „Sprachbad“, das sehr heilsam ist
-Mehrheitskinder mit einer Muttersprache werden freiwillig in Minoritätssprache unterrichtet
Lehrer sind zweisprachig, Unterrichtssprache ist fremd
-Muttersprache stagniert nicht und wird nicht durch Unterrichtssprache ersetzt
-Beispiel: Kanada mit Englisch und Französisch, Finnland mit Finnisch und Schwedisch, Barcelona mit
Spanisch und Katalanisch)
„Zusammengesetzte Klassen“ als theoretische Möglichkeit: „Zusammengesetzte Klassen“
bestehen zu einer Hälfte aus Schülern einer gemeinsamen Muttersprache und zur anderen Hälfte aus
Kindern, die die jeweilige Landessprache sprechen. Sie werden gemeinsam unterrichtet (z.B. in
Skandinavien seit Ende der 70er Jahre mit Erfolg erprobt).
In Deutschland gibt es bislang nur die deutsch-italienische Schule in Wolfsburg und die Europaschulen
in Berlin, die versuchen, die Förderung der Zweisprachigkeit von Minderheiten mit dem frühen
Fremdsprachenlernen deutscher Kinder zu verknüpfen.
„Interkulturellen Erziehung“ (Kinder mit verschiedenen Muttersprachen werden
gemeinsam unterrichtet)
Die Auseinandersetzung zur „zweisprachigen Entwicklung“ in Deutschland
-Spannungsverhältnis zwischen der pädagogischen Forderung des gemeinsamen Unterrichts und dem
in von Helsinki garantierten „Recht auf Muttersprache“ (nicht nur für Deutsche!)
-Vermischung von „Zweisprachige Erziehung“ = „nationale“ Klassen = „konservativ“ versus
„interkulturelle Erziehung“ = „internationale“ Klassen = „progressiv“
Konsens: Zweisprachige Erziehung ist die Voraussetzung für interkulturelle Erziehung;
wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, die jedoch vom einzelnen
Einwandererkind bilingual und bikulturell erlebt wird. Sobald aber Vorschläge für eine
Schulorganisatorische und unterrichtspraktische Umsetzung gemacht werden (Bildung
bilingualer Klassen mit jeweils sprachhomogenen Lerngruppen) von
Migrationsorganisationen wie MEMORANDUM
alte Fronten kehren zurück
-Argumentationsmuster:
Segregation Integration Assimilation
Pädagogische Zielvorstellung
Getrennter Unterricht = deutsche
Schule bleibt ausländerfrei
Vorrang der Muttersprache =
Segregation
Wahrung bzw. Entwicklung der
Zweisprachigkeit bei ausländischen
und deutschen Schülern.
Wahlfreiheit, Respektierung des
Elternwillens bezüglich dem Grad
ursprünglichen Identität und der des
Gastlandes
Gemeinsamer Unterricht für
deutsche und ausländische Schüler,
„Migrantenidentität“ durch
interkulturelle Erziehung,
„interaktionistische Integration“ =
Assimilation
Schulpolitische Voraussetzung
„Zweisprachige Klassen“; „nationale
Klassen“
Flexible schulorganisatorische
Regelung vor Ort, orientiert an den
Bedürfnissen der Schülerschaft und
dem Elternwunsch: Regelklassen
und/oder bilinguale Klassen mit
sprachhomogenen Lerngruppen;
Einrichtung von
Schwerpunktschulen zur Förderung
bestimmter Herkunftssprachen, in
denen auch deutsche Schüler die
Herkunftssprache ihrer
ausländischen Mitschüler lernen
können
„Multinationale Regelklassen“ mit
Deutsch als einiger
Unterrichtssprache,
muttersprachlicher
Ergänzungsunterricht (am
Nachmittag);
de facto Segregation: 50 – 80%
Ausländer in Haupt- und
Sonderschulen, nach deutschen
Richtlinien unterrichtet;
Gymnasium weitgehend
ausländerfrei
Chancengleichheit
Orientierung an den schulischen
Systemen des Herkunftslandes
Berücksichtigung der spezifischen
Voraussetzungen der Schüler,
Förderung der Kenntnisse in der
Herkunftssprache als Chance für
den späteren beruflichen
Lebendweg
Gleiche Richtlinien für deutsche
und ausländische Schüler,
„interkulturelles Lernen“ auf
Deutsch, muttersprachlicher
Ergänzungsunterricht als
„Belastung“, dort erbrachte
Leistungen nicht
versetzungsrelevant
-In der Bundesrepublik Deutschland ist kurzfristig nicht damit zu rechnen, dass sich Konzepte für eine
zweisprachige Erziehung durchsetzen
So gut wie möglich unter bestehenden Bedingungen arbeiten
Gründe für eine Verbesserung des muttersprachlichen Unterrichts für Einwandererkinder:
-Sprache ist Teil und Mittel der Identitätsbildung
-Schulisches Lernen soll an die (Sprach-)Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler anknüpfen
-Sprachentwicklung ist ein fortlaufender Prozess
-die Förderung der Muttersprache bewahrt die Fähigkeit, sich in der Muttersprache weiterhin zu
verständigen und diese nicht zu vergessen
-die „multikulturelle Gesellschaft“ ist zu einem Schlagwort geworden. Voraussetzung für diese ist
aber, dass Angehörige verschiedener Kulturen sich in der Bundesrepublik heimisch fühlen
Deutsch als Muttersprache, Zweitsprache oder Fremdsprache
-In jedem Sprachunterricht (Muttersprache, Zweitsprache, Fremdsprache) geht es um die
Koordination von Spracherwerb, was sich in den verschiedenen methodischen Ansätzen der
Fremdsprachendidaktik widerspiegelt
* 50-er Jahre: Sprachwissen vor Sprachkönnen (Ziel: bewusste Produktion grammatisch richtiger
Sätze, kommunikative Fähigkeiten gelten eher als Störfaktor)
* 60-er Jahre: Sprachlernen ohne Sprachwissen (im Zentrum stand gesprochene Sprache;
authentische Texte als Gegenstand der Sprachvermittlung, allerdings weisen diese kaum
grammatische Strukturen auf)
* 70-er Jahre: Kommunikation und/oder Grammatik (Lernzielformulierungen erschienen im
„Sprechaktgewand“: How to do things with words)
* 80-er Jahre: adressatenspezifische Kombination verschiedener Ansätze durch Situationen,
Themenblöcke, Sprechakte, etc. kombiniert mit Grammatikvermittlung
* 68-er Jahre. Paradigmenwechsel: Orientierung an der Sprache wurde durch die Orientierung am
Sprecher ersetzt (bis heute dominieren schülerzentrierte, situations- und handlungsbezogene
Ansätze)
bis Ende der 60er Jahre: nach 1968:
Orientierung an der Sprache: Orientierung am Sprecher:
-„richtiges und gutes Deutsch“ -kommunikative Kompetenz
-„Pflege der Muttersprache“ -gesprochene Sprache
-Schriftsprache -Förderung der sprachlichen Handlungsfähigkeit
Problem: Kommunikativer Erfolg ist im Deutschunterricht wichtiger als eine standardsprachlich
korrekte Formulierung.
Aber: Wir können nicht auf Vermittlung der sprachlichen Dudennorm verzichten! (berufliche
Chancen)
Spannung zwischen Ansprüche der Gesellschaft und Recht des Kindes auf individuelle Entwicklung
ästhetische Texte als Lehrbuchtexte, aber: Sprach- und Literaturunterricht wird getrennt von
Sprach- und Lesebuch: kindliches Sprachspiel als Alternative zum Lehrbuchtext, dienen dem
Spracherwerb
Das Sprachspiel als Grundlage eine „integrativen Deutschunterricht“
-„Integration“ der nicht-deutschsprachigen in einen gemeinsamen Deutschunterricht
-„Integration“: Forderung , sprachliche Sachverhalte nicht isoliert zu behandeln, sondern in situativen
Kontext, handlungs- und inhaltsorientiert
-integrativer Sprach- und Literaturunterricht
Spielerisches Lernen im Sprachunterricht wird unter drei Aspekten diskutiert:
1.) Das Ausprobieren von Normabweichungen als Beitrag zur Förderung von Kreativität
2.) Die Nutzung spielerischer Übungsformen für Ausländerkinder und Dialektsprecher zur Einübung
von Mustern des grammatisch korrekte Sprachgebrauchs
3.) Sprachspiele als Möglichkeit des operativen Lernens im Bereich der Sprachreflexion
handlungsorientierter Sprachunterricht sollte von strukturierten Handlungen ausgehen. So lässt
sich die Einübung grammatisch korrekter Sprachmuster mit der Sprachreflexion verknüpfen
Wenn Schüler mit Deutsch als Muttersprache und Deutsch als Zweitsprache im Sinne
einer „Interkulturellen Erziehung“ gemeinsam unterrichtet werden sollen, müssen folgende Probleme
gelöst werden:
*1. Wie integriert man den für viele Schüler erforderlichen systematischen Zweitsprachenunterricht
zur Übung sprachlicher Strukturen in den muttersprachlichen Deutschunterricht ohne, dass sich die
deutschen Schüler, die die zu vermittelnden sprachlichen Strukturen schon beherrschen, sich
langweilen?
*2. Wie müssen Texte, Handlungen beschaffen sein, damit Einwandererkinder die Zweitsprache
Deutsch erwerben?
Das kindliche Sprachspiel (Texte, die die Kinder selbst erfinden, abwandeln, mündlich tradieren,
auswendig lernen: Neck- und Abzählreime, Witze, Rätsel, Fangfragen, Zungenbrecher, rhythmisierte
Verse, Spiele mit Laut- und Buchstabenelementen, mit Wörtern und Bedeutungen, Sätzen, Reimen
und vor allem Lieder als Spielbegleitung
beim Schaukeln, Seilchenspringen, Hüpfkästchen und Klatschspielen) eignet sich aus verschiedenen
Gründen als Grundlage eines integrativen Deutschunterrichts:
- Das Sprachspiel als systematisches Spiel hat eine wichtige Funktion beim natürlichen
Spracherwerb.
- Das Sprachspiel lenkt die Aufmerksamkeit des Kindes auf die Sprache als solche (z.B. auf Laute,
semantische Beziehungen, Morpheme etc.)
- Es bietet sich an, sprachliche Strukturen in Sprachspielen zu üben, die für deutschsprachige
und nicht deutschsprachige Kinder gleichermaßen attraktiv sind
- Beim Sprachspiel ist das ganze Kind beteiligt; Reim, Rhythmus etc. sind wichtiger als der Wortsinn
- Sprachspiele gibt es in allen Kulturen. Die Strukturen des kindlichen Sprachspiels weisen
über Sprachgrenzen hinweg große Ähnlichkeiten auf
- Sprachspiele als Form der elementaren Literatur ermöglichen die Verbindung von Literatur-
und Spracherwerb. Literaturunterricht sollte immer auch Sprachunterricht sein „integrativer DU“
nutzen, um den Kindern den muttersprachlichen Grammatikunterricht einleuchtend zu begründen
und attraktiver zu machen
Rechtschreibdidaktik/
Ausbildung einer Rechtschreibkompetenz
Prozessmodell des fortgeschrittenen Schreibers: (Simon & Simon)
Anforderungen beim Rechrschreiben:
* Kennen der Phonem – Graphem – Korrespondenz
* Beherrschung Rechtschreibregeln
* Vergrößerung Sichtwortschatz
► Vergleiche:
* Modell des Schriftspracherwerbs (Frith) * Modell der Rechtschreibentwicklung
(Scheerer-
Neumann)
- 3 Phasen der Schriftsprachentwicklung - 3 Gedächtnisstrukturen bestimmen die
Entwicklung:
1. logographische Strategie * Wissen über schriftsprachliche Regelmäßigkeiten
2. alphabetische Strategie * gesprochene Sprache 3. orthographische Strategie * inneres orthographisches Lexikon
- 3 Stufen:
1. Stufe des logographischen Schreibens
2. rudimentäre alphabetische Strategie
3. entfaltete alphabetische Strategie
► Notwendigkeit von Regeln im Rechtschreibunterricht:
Regelorientierter Rechtschreibunterricht (Lindauer)
1. Unterteilung in Nachsprech-, Regel- und Lernwörter → Einteilung gibt bei der Rechtschreibung und bei ihren Strategien Hilfestellungen
2. Umgang mit Rechtschreibregeln → Rechtschreibregeln für SchülerInnen:
Wenn SchülerInnen eine Rechtschreibregel beherrschen, müssen sie die Schreibung der
vielen Wörter, welche von der Regel betroffen sind nicht mehr auswendig lernen.
Rechtschreibregeln sollen Erleichterung und keine Belastung schaffen; deshalb:
bei der Vermittlung der Regeln auf eine stufengerechte Auswahl beschränken sich auf Regeln beschränken, welche eine hohe Trefferqute aufweisen und nicht all zu viele
Ausnahmen beinhalten darf regelkonforme Falschschreibung und deren Ausmerzung nicht im Augenmerk des
Unterrichts liegen muss die Terminologie den Bedürfnissen und Verstehensmöglichkeiten der SchülerInnen
angepasst sein müssen die, den Regeln zugrunde liegenden Konzepte kognitiv zugänglich sein muss die Konzentration des Rechtschreibunterrichts auf die Inhalte des Schreibens und nicht
auf die Regeln gerichtet sein
→ Rechtschreibung für Lehrpersonen
sinnvolle und stufengerechte Auswahl treffen Schreibung der SchülerInnen analysieren, um den richtigen Zeitpunkt für eine Regel zu finden Schülertexte korrigieren:
* Aufmerksamkeit auf Fehlertypen lenken
* bei der Korrektur sollten 1 oder 2 auf das Kind zugeschnittene Regeln im Zentrum stehen
(speziell bei schlechten Schülern)
* Rechtschreibkarteien anlegen lassen und diese auch aktiv nutzen
* den SchülernInnen nach dem Schreiben die Möglichkeit geben ihre Texte auf der Basis
unterschiedlicher Regeln selbst „vorkorrigieren“ zu können
→ Formulierung von Rechtschreibregeln:
Regelformulierungen sollten in Bezug auf ihre Struktur und auf die verwendete Begrifflichkeit
gemeinsam mit den SchülernInnen entwickelt werden, um ein sicheres Verstehen zu
gewährleisten.
Die Kinder sollen durch geeignete Aufgabenstellungen selbst den Weg zur Regel finden.
3. Regeln:
Buchstabenregeln: * Wortstammregel * Regel für Konsonanten
* Regel für Vokale
Regeln zur Getrennt- und Zusammenschreibung: * Verbindung mit Verben * Verbindungen mit Adjektiven und
Partizipien
* Zusammensetzung mit Nomen
Regeln für Groß- und Kleinschreibung Regeln zur Schreibung mit Bindestrich: * Bindestrich bei Ziffern, Buchstaben und
Abkürzungen * unübersichtlichen Zusammensetzungen
Regeln zur Zeichensetzung Regeln zur Silbentrennung; * Grundregel der Silbentrennung
* Trennung von ck und ch
* Zusammensetzungen und Wörter mit Präfixen
4. Herausbildung von Kompetenzen als Gegenstand des Rechtschreibunterrichts (Stoffverteilung)
1) Grundkompetenzen zum Erwerb einer Alphabetischrift Abstraktionsvermögen von der Wortbedeutung hin zur inhaltslosen Lautung Verständnis für die Symbolfunktion der Schrift Fähigkeit Wörter lautlich zu segmentieren Wahrnehmung der distinktiven merkmale von Buchstaben motorische Sicherheit der Schreibhand
2) Verschriftungskompetenz angemessene Schreibgeschwindigkeit Kenntnis der Phonem – Graphem – Korrespondenz Kenntnis von Morphemen Schatz an Schreibmustern Wissen um Rechtschreibregeln Beherrschung der rechtschreibrelevanten Grammatikproben
3) Erweiterte Rechtschreibkompetenz Beherrschung von Rechtschreibstrategien Aufmerksamkeit gegenüber Rechtschreibfehlern eigene und fremde Texte auf ihre orthographische Korrektheit hin prüfen können Kenntnis von Korrekturstrategien Wörterbuchbenutzung Wissen um eigene Rechtschreibschwäche
4) Reflexive Rechtschreibkompetenz und Sprachaufmerksamkeit über die Funktion von unterschiedlichen Zeichensystemen nachdenken Wissen um Verhältnis von Schrift und Sprache Rechtschreibregularitäten überprüfen
► das Herausbilden dieser Kompetenzen wird durch sprachsystematische Grundlagen möglich
Sprachsystematische Grundlagen (Gallmann/Sitta):
Prinzipien: Stammprinzip, Lautprinzip, Grammatisches Prinzip, Ästhetisches Prinzip, Pragmatisches Prinzip, Homonymieprinzip
Regeln: konkrete Schreibanweisungen und Ausnahmeschreibungen Einzelfestlegungen: Wörter, deren Schreibung nicht durch allgemeine Regeln festlegbar ist
Rechtschreibkompetenz (Leemann Ambroz):
Der Entwicklungsverlauf beim Erlernen der Rechtschreibkompetenz findet über
Schrifterwerbsprozesse statt.
1. Erwerb der Phonem – Graphem – Korrespondenz synthetischer und analytischer (Marx) Zugang als Lernmethoden
2. orthographische Kompetenz - Silbenmethode (Hochstrasser/Trauffer)
- Morphemmethode (Leemann Ambroz)
3. Schriftsprachkompetenz - Phasenmodell (Frith)
4. Prozess der aktiven Auseinandersetzung Der Lernprozess als Entwicklung des Denkens, bei dem angepasstere Strategien verfügbar
werden. Lerngegenstände werden gemäß dem kognitiven Entwicklungsstand
konstruiert
► aus diesen Entwicklungsprozessen heraus entwickelt Leemann Ambroz ein Gesamtkonzept
zum Erwerb der Rechtschreibkompetenz. Dieses basiert auf dem Entwicklungsmodell von
Günther (hierarchisch gestufte Abfolge) und wird um das Vermittlungskonzept von Leemann
Ambroz (stufengerechte Vermittlungsaufträge) ergänzt.
Entwicklungsmodell Vermittlungskonzept schulische Anwendung
(Günther) (Leemann Ambroz) (Gallmann/Sitta) 1. Präliteral – symbolische Stufe ▼
2. Logographemische Stufe
▼
3. Alphabetische Stufe ◄ Phonologisches ► Lautprinzip Bewusstsein ▼ (Phonologie)
4. Orthographische Stufe ◄ Orthographisches ► Stammprinzip
Bewusstsein Grammatisches P. (Morphologie, Pragmatisches P. ▼ Syntax) Ästhetisches P. Homonymieprinzip 5. Integrativ – automatische Stufe ▲
Vermittlungsauftäge
Zu 1.:
Abstraktionsfähigkeit
Erkennen von Formen
Wahrgenommene graphisch umsetzen
Zu 2. :
Erkennen der Buchstaben als Abbildung der gesprochenen Sprache
Orientierung an Merkmalen von Buchstaben
Übung der Schrift am eigenen Namen
Zu 3. :
Phonem – Graphem – Korrespondenz
Zu 4. :
Kennenlernen von Prinzipien und Regeln
Auseinandersetzung mit Grundeinheiten
Abschluss des Schriftspracherwerbs
Zu 5. :
automatisiertes und sicheres Schreiben als Ziel des Lernprozesses
Im Zentrum des Vermittlungskonzpts steht die Sprachbewusstheit, d.h. das kognitiv erarbeitete Wissen
über Sprache.
Zur Phonologischem Bewusstheit:
Lautanalyse
Zuordnung vobn Graphemen zu Phonemen
Zur Orthographischen Bewusstheit:
Einsicht in die Grundprinzipien der Rechtschreibung und ihrer Regeln
Kenntnis orthographischer Strategien
Konzeptionen des Rechtschreibunterrichts (Steinig/ Huneke)
Wortbildorientierter Ansatz, z.B. Wörter in Wortrahmen schreiben
grunwortschatzorientierter Ansatz, z.B. „Ergänze die Endungen und ordne die Wörter in
Gruppen“
phänomen- und regelorientierter Ansatz, z.B. Mitlautverdopplung als Zeichen für Vokalkürze
Strategieorientierter Ansatz, z.B. zu Wörtern mit Doppelkonsonanten Reime suchen
Rechtschreibtests
Durch Lückentextdiktate soll die Rechtschreibleistung gemessen werden. ABER weitere
Anforderungen des Rechtschreibens im Alltag und die dazugehörigen Kompetenzen werden nicht
gemessen. Z.B. beim Umgang mit Textverarbeitungsprogrammen, Rechtschreibhilfen,
Autokorrekturprogrammen oder Suchmaschinen.
HSP 5-9 Hamburger Schreibprobe
HSP B Basiskompetenzen im Bereich der Sonderpädagogik
HSP EK Erweiterte Kompetenzen im oberen Leistungsbereich
RT Rechtschreibtest mit 3 Lückentextdiktaten für die RS, für das GYM und
Absolventen bis 30
RST – NRR Rechtschreibtest für die Berufsdiagnostik
Literatur:
- Belke, Gerlind (2003): Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. Sprachspiele, Spracherwerb und
Sprachvermittlung. 3. Aufl. Baltmannsweiler 2003.
- Bredel, Ursula: Sprachbetrachtung und Grammatikunterricht. Paderborn 2007.
- Bredel, Ursula et al.(Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache. Band 1. Paderborn 2003.
- Lange, Günter et al. (Hrsg.): Taschenbuch des Deutschunterrichts. Grundfragen und Praxis der Sprach-
und Literaturdidaktik. Band 1. 8. Aufl. Baltmannsweiler 2003.
- Leemann Ambroz,Katharina: Rechtschreibkompetenz. Aneignugsstrategien auf der Basis des morphematischen Prinzips. Haupt. Bern, Stuttgart, Wien, 2006.
- Lindauer, Thomas, Schmellentin, Claudia: Studienbuch Rechtschreibdidaktik. Die wichtigen regeln im Unterricht. Orell Füssli Verlag AG/UTB. Zürich, 2008.
- Marx, Peter: Lese- und Rechtschreiberwerb. Schöningh UTB. Paderborn, 2007. - Neuner, Gerhard / Glienicke Stefan / Schmitt Wolfgang (Hgg.) (1998): Deutsch als Zweisprache in der
Schule. Grundlagen, Rahmenplanung und Arbeitshilfen für den interkulturellen Unterricht. Berlin 1998.
- Steinig, Wolfgang, Honeke, Hans-Werner: Sprachdidaktik Deutsch. Eine Einführung. Grundlagen der Germanistik – 38. Erich Schmidt Verlag. Berlin, 2007.