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Uber die Knallgaskette. 111. Mitteilung.

Von

F. HABEH.

Die Ergehnisse, welche in der I. und 11. Mitteilung berichtet sind, stehen in recht guter Ubereinstimmung mit denen, die bei einer ganz anderen Arbeitsweise erhalten wortlen sind. Vor wenigen Jahren haben namlich HABER und BRUNER in der Zeitschrift fur Elektrochemie ausgefiihrt, dals das JAcQuEssche Kohleiielement

Kohle - geschniolzenes Atzkali - Eisen

eine Knallgaskette darstellt, in welcher das passiv werdende Eisen als Sauerstoffelektrode, die Kohle als Wasserstoffelektrode wirkt. Herr W. H. PATTERSON hat diesen Gegenstand unter meiner Leitung naher verfolgt. Dem Rericht, den er im Begriffe steht in englischer Sprache daruber zu veroffentlichen, entnehme ich folgende Zahleii fur die Kraft der Knallgaskette mit geschmolzenem Atznatron und Atzkali als Elektrolyt und Luft uiid Wasserstoff von Atmospharendruck nls be- teiligten Gasen. Als Luftelektrode diente eiii einfacher Platindraht, als Wasserstoffelektrode konnte nach clem Ergebnis entsprechender Vorversuche ein Eisendraht benutzt werden, der zuvor elektrolytiscli rnit (wasserstoffhaltigem) Eisen iiberzogen war. Reide Di;Lhte tauchten in dieselbe im Silbertiegel bereitete und tunlichst durch Erhitzen entwgsserte Schnielze.

Die Berechilung ist nnter der Voraussetzung erfolgt , d a k die Schuielze mit Wasscrdnnipf von 0.031 Atm. Druck 4m Gleichgewicht steht, wie er in feuchter, warmer Laboratoriunisluft etwa anzunehrnen ist. Die Znhlen beim &znatron stimmen fur niedere und mittlere Temperatnren mit denen uberein, die BRUNER und ich fruher bei

~

10 (1904), 698 und 12 (1906), is.

OC 327 348 369 382 405 410 420 423 427 432 45s 460 480 482 510 527 542 575 600 618 627

- 357

NaOH -

1.20 1.19 1.19

1.18 1.17

-

- -

1.17 1.16 -

- 1.14 1.13

1.12 1.10 1.10 1.09

-

-

Berechnet 1.17

1.15

1.13

1 .11

anderer Arbeitsweise erhalten haben. Fur hohe Temperatur schlieken sie sich der Theorie an, wahrend BRUNER und ich mit unserer Anordnung keine volle Aufladung bei den hohen Tempe- raturen erzielen konnten und deshalb etwas kleinere Werte fanden. Die Atzkaliwerte bestatigen die Atznatronwerte. Bei niedriger Tem- peratur sind die Schmelzen hygroskopisch, wie LE BLANC und BRODE~ gefunden haben, und demgemafs fallen die experimentellen Werte kleiner aus als die ohne Riicksicht auf diese Eigenschaft der Schmelze berechneten Werte.

Die thermodynamische Rechnung und die Messung mit Glas, Porzellan und Atzalkali als Elektrolyt legen den Schluls nahe, dafs die bekannte GRovEsche Kette eine kleinere Kraft hat als der um- kehrbaren Wasserbildung entspricht. Die Messungen von LEWIS bestatigen diesen Schluls. Es kann darnach nicht mehr zweifelhaft sein, dals selbst die hiichsten von WILSMORE~, CZEPINSKI~ und besonders von B O S E ~ ermittelten Werte von 1.14 Volt fur die GROVESChe Kette

2. f. Ekktrocfi. 8 (1902), 697. Zeitschr. phys. Chem. 66 (1906), 465. Zeitsehr. phys. Chem. 35 (1900), 291.

Zeitsohr. phys. Chern. 34 (t900), 738 und 38 (19011, 1 ' Z. anorg. Uhem. 30 (1902), 1.

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bei 25O und je 1 Atni. Uruck der beteiligten Gase um mehrere Zenti- volt zu klein sind. Dafs die Wasserstoffelektrode dieser Kette revel- sihel arbeitet, ist sicher. Denn sowohl der Einflufs des Drnckes auf diese Elektrode, den W U L F ~ studiert hat, als die Messurigen an zahlreichen Ketten, deren eine Elektrode Wasserstoff ist, erfullen die thermodynamischen Forderungen. Die positive Elektrode der GRovESchen Kette triigt mithin die Schuld an der Abweichung. Sie wird zu Unrecht a19 eine reversible Sauerstoffelektrode aufgefafst, den11 sie ist nicht imstande, sioh mit umgebendem Sauerstoff von At- mosphtirendruck ins Gleicligewicht zu setzen und wenn man sie durch anodische Polarisation mit Sauerstoff iiberladet, so fallt sie, wie BOSES Heobachtungen lehren, freiwillig in einer Sauerstoffatmosphare unter den tliermodyriamischen Wert einer Sauerstoffelektrode hinab. Auf der anderen Seite ist geltend zii machen, dafs bei der Betatigung der GRovEschen Kette Arbeit unter Wasserbildung aus den Ele- menten gewonnen wird, und dafs der von SNALE~ gefundene Tempe- raturkoeffizient zusammen mit der von ihm gefundenen Kraft von 1.062 Volt mittels der wohlbekannten thermodynamischen Be- ziehung

auf die thermodynamisch richtige Grofse der Warmetonung fur die Bildung von Wasser aus den Elementen fiihrt.

Diese verschiedenen Tatsachen finden ihre vollstandige Erklarung wohl nur durch die Vorstellung, dafs an der positiven Elektrode der GROVE schen Kette eine Platinverbindung aus Sauerstoff und Platin freiwillig entsteht, die elektromotorisch wirksam ist3. Wir wollen sie symbolisch Pt(OH), schreiben. Diese Verbindung wird einen Disso- ziationsdruck p, in Hinsicht auf gasfijrmigen Sauerstoff besitzen. 1st der Gasdruck P des Sauerstoffs an der Elektrode gleich diesem Drucke p , , so ist die GRovasche Kette eine reversible Knallgas- kette. 1st der Gasdruck P, wie dies praktisch stets zutreffen diirfte, erheblich hoher, so geht die Arbeit

Zeitschr. phys. Chem. 48 (1904), 87. Jahrbuah d. Elaktroch. 1894, 36. Man vergl. GLASER, Z. f. Elelctroch.

Man vergl. uber diese Ansicht HABER und ERUNER, 2. f. Elektrociz. 10 - IIABER, Thermodynamik Technischer Gasreaktionen 1905, 16 1

4 (1898), 358.

(1904), 'i 10. und HABER, 2. f. Elelitroch. 12 (1906), 416.

.-. 359

R * T P E = - - - In -

verloren, indem die Nachbildung der Verbindung Pt(OH), aus Platin nnd Sauerstoff unter Verlust an freier Energie erfolgt.

Formelmiifsig stellt sich dies folgendermafsen dar :

4 p P,

Positive Elektrode .

Negative Elektrode . ~ 1 0 . 5 H, + 0 72 H j .

. a) Pt + 0.5 z 0, + 0.5 2 H,O = Pt(OH), b) Pt(OH)Z; + $0 f-5- P t + %(OH)'.

Der elektrochemische Gesamtvorgang ist :

Pt(OH), + 0.5 2 H, t Pt + 5 H,O . ausdriickt, umkehrbxr.

Der chemische Gesamtvorgang umfalst auch noch den im allgemeinen (sofern P nicht gerade zufallig gleich pn ist) nicht umkehrbaren Vor- gang a) an der positiven Elektrode und lautet demnach:

H, + 'IZOa = H,O.

Dieser Vorgang ist, wie das Zeichen

D d s die Gleichung (1) erfiillt sein mufs, sieht man leicht ein. Denken wir namlich zunachst den Sauerstoff mit dem Dissoziations- drucke 1i2 verwandt, so m u k sie notwendig gelten, da in diesem Falle reversible Wasserbildung stattfindet. Denken wir jetzt den Sauerstoff auf den hoheren Druck P gebracht, so muB die Glei- chung (1) erfullt hleiben, da nach der eben erlauterten Auffassung E durch diese Steigerung des Sauerstoffdruckes nicht beeinflufst wird, wahrend andererseits bekanntlich die WBrmetijnung von Druck- Bnderungen der beteiligten Gase nicht beriihrt wird. Dies gilt so- wohl bei der Temperatur T als bei der Temperatur T + d T. Mithin bleiben die Werte der Gleichung (1) beim Ubergang van p , zu P dieselben. -

' In einer Untersuchung, die lnir erst wahrend des Druckes dieser Mit- teilung, zur Kenntnis kommt (Zeitschr. plays. Chem. 56 (1906), 546) machen die Herren NERNST und v. WARTENBEBO zur Erklarung der Beobachtungen iiber Warmethung und Temperaturkoeffizienten der GROVE schen Kette von der Vor- stellung Gebrauch, d a h das Platinoxyd, welches an Sauerstoffelektrode wirksam ist, nur eine kleine Bildungswarme hat. Es ist vielleicht wichtig ohne diese Vorstcllong auszukommen, da man den Kreis der in betracbt kommenden Sauerstoffverbindungen des Platins sonst erheblich beschrankt. Hat doch z. R. das Platinhydroxydul riach den ubereinstimmenden Ergebnissen von THOBSEN und von MOND, RAMSAY und SHIELDS (Zeitschr. phys. Chem. 25 (1898), 685) eine Bildungswirme, welche mehr als 1/4 von derjenigen des (fliissigen) Wassers betriigt.

360 -

Mit diesen Ausfuhrungen erklart sich mch, dafs das Metal1 dcr positiven Elektrode auf die &aft der (3ROVESCheii Kette von er- heblichem Einfluls ist. Denn wahrend die Versuche von ABEOG und SPENCER^ zeigen, d a h am Platin jedenfalls der BosEsche Wert der GBovEschen Kette richtig sein diirfte, stellt sich am Iridium nach WEST- H A V E R ~ ein kleinerer Wert sich ein. LOEENZ~ hat ahnliche aber weiter- gehende Unterschiede bei einigen Metallen gefunden. Man kann aus dem Werte, bei dem diese Elektroden sich einstellen, im Ver- gleich mit dem thermodynamischen Werte die Dissoziationsdrucke dieser Edelmetallverbindungen leicht berechnen. Die Rechnung ist nur darum unsicher , weil fur die Einstellungen der Sauerstoffelek- troden von verschiedenen Forschern so verschiedene Zahlen gefunden bzw. berechnet worden sind.

Setzt man mit BOSE den Wert ftir die GnovEsche Kette bei t 2 3 O C zu 1.14 Volt, so d a k er urn 90 Millivolt unter dem hochst berechneten, thermodynamischen Wert liegt, so berechnet sich fur p , ein Minimalwert von:

0.059 1 0.090 = ~ - - log10 -

4 l l z

p , = 10-6 Btm.

Wir fassen also die positive Elektrode der C*EovEschen Kette als eine Sauerstoffelektrode zweiter Art auf.

Pt - Pt(OH)= - %(OH)'.

Dieser Vorstellung stehen, soviel ich sehen kann, nur die Mes- sungen von GILBAUT~ iiber den Druckeinflufs auf die Knnllgaskette und von SOKOLOW iiber die Knallgasbildung aus Wasser bei 1.07 Volt entgegen, ron denen die ersteren nach WULFS (1. c.) Beobachtungen uber die Sauerstoffelektrode, die letzteren nach N ~ N S T S Hinweis darauf, daQ die Entstehung der Zersetzungsprodukte, aber keineswegs ihre chemische Natur als Sauerstoff und Wasserstoff erwiesen ist, kaum mehr eine Beweiskraft haben. Die Vorstellung, dafs der Sauerstoff

I Z. anorg. Cham. 44 (1905), 379.

2 2. f. Elektroch. 11 (1905), 844. Soeben ausfiihrlich mitgeteilt von LOXENZ

I Compt. rend. 113 (1891), 465. Tried. Ann. 58 (lags), 209.

" R f. Elrktrochem. 3 (1S9GI, 315.

Zeitsehr. phys. CILem. 51 (1905), 64.

nnd HAUaER, x. anorg. Chem. 61 (1906), 81.

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bei gewijhnlicher Temperatur das Platin oxydiert, ist hinsiehtlich des fein verteilten Metalles durch MOND, RAMSAY und SHIELDS nament- lich aber durch LOTHAR WOHSERS~ Versuche gestutzt. Dak massives Metall an seiner Oberflache dieselbe Veranderung wie fein verteiltes in seiner ganzen Masse erleidet, ist von selbst einleuchtend. Da- gegen scheint zunachst zu sprechen, dak das Platin blank bleibt, wahrend wir gewohnt sind Oxydationen der Metalle durch freien Sauerstoff von Anderungen des Reflexionsvermogens begleitet zu sehen. Ich werde dieses Argument weiterhin durch Mitteilung von Versuchen entkraften.

Die Verschiedenheit des thermodynamischen Wertes der Sauer- stoffelektrode und des Wertes, den die positive Elektrode der Grove- kette besitzt, verandert einen Schluls, den ich friiher gezogen habe s. Hydroperoxyd hat, wie ich abgeleitet habe, zwei Potentiale, das Oxy dationspotential

H,O, + 2 ~ C 3 2rt 2OH’

und das Reduktionspotential

H,O, + 2 ~ ’ @ T?. 0, + 2H’.

Zahlen wir beide Potentiale gegen H, von 1 Atm. Druck in1 gleichen Elektrolyten und bezeichnen wir mit E die thermodyna- mische Kraft der Knallgaskette, so gilt

E + sf E=--. 2

Ich habe E’ fruher zu 0.8 Volt gefunden *. Indem ich fur E den Wert der Grovekette mit 1.1 Volt nahm, erhielt ich fur s’ den Wert 1.4 Volt. Indem man E richtiger zu 1.23 Volt setzt, ergibt sich 8’ praktisch identisch mit dem Werte der Wasserzersetzung zwischen Platin- elektroden zu

1.66 Volt.5

Zeitschr. phys. Chem. 19 (1896), 25 und 26 (1898), 657. Ber. deutsch. chem. Qes. 36 (1903) 111, 3475. 2. fi EZelctroch. 7 (1901), 441. Angsben uber Hydroperoxydpotentiale habe ich mehrhch (Z. unorg.

Chern. 18 (1898), 37); Physik. Zeitschr. 1 (1900), 425; 8. fi Elektroch. 7 (1901), 444 und 1051) gemacht. In ausfuhrlicher Weise rtber sind die Beohachtungen iioch nicht mitgeteilt worden. Sie sollen nunmehr miederholt uud dsnn im Einzelnen geschildert werden.

Es kann eingewandt werden daQ jenes Hydroperoxydpotential von 0.8 Volt iiiir bei erheblichem H,O,-Gehalt des Elektrolyten gefunden wird.

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Ich habe in friiheren Jahren, ehe ich mich von dem oxydierten Zustand des Platins unter Einwirkung des Sauerstoffs iiberzeugen konnte, die Katalyse des Hydroperoxyds aufgefalst als Wirkung im Platin gelosten Sauerstoffs auf Hydroperoxyd, wobei Wasser und freier Sauerstoff entstehen. Ich fasse den Vorgang jetzt so auf, dafs die Verbindung Pt(OH)z durch H,O, unter Bildung von Platin, Wasser und freiem Sauerstoff zerlegt wird. Der freie Sauerstoff regeneriert sie alsbald wieder.

Die neue Einsicht iiber die Lage des Hydroperoxydpotentials veranlalst mich, die Meinung auszusprechen, dals auch der elektro- lytisch am Platin entbundene Sauerstoff indirekt entsteht, indem zu- nachst Hydroperoxyd nach

2 O H + 2 @ = H,O,

gebildet wirdl, das mit der oxydischen Decke des Platins unter Ent- bindung freien Sauerstoffs reagiert. Der grolse Verzug, den die Sauerstoffgasentwickelung an Platinanoden erfahrt und die be- kannten Erscheinungen der Autoxydation, welche durch die Glei- chung :

M + 0, + 2H’ = Me’ + H,O, ( 2 )

ausgedruckt werden, erscheinen dann durch dieselbe Ursache be- stimmt. Diese Gleichung (2) kann niimlich als die Darstellung des Vorganges in einem Primarelement aufgefalst werden, dessen Eiek- trodenvorgange sind :

Anode . , . M + 2 @ r f &I** Kathode . . 0, + 2H’ + 2 0 z? O,H,. (3)

Der Kathodenvorgang liefert mit dem Folgevorgang

H,O, + 2e f- 201-1’ die Gleichung

Aber die allein marsgebliche H,O,-Iionzeutration in der Grenzschicht der Elek- trode gegen die Lasung durfte auch dann klein sein, wenn vie1 H,O, im Elektrolyten ist.

Diese Auffassung des sogen. zmeiten Knickpnnktes habe ich schon vor 8 Jahren im Anschlds an NERNSTS erste Mitteilung (Ber. deutsch. chem. Ges. 1897, 1547) in 2. anorg. Ghem. 18 (1898), 45, als priifenswert bezeichnet. (Siehe auch Physilc. Zeeitschr. 1 (1900), 423). Ich niochte betonen, dafs meine Auffassung mit der NERNsTschen insofern ganz iibereinstimmt, als ich den zweiten Knickpunkt ebenfalls der Entladung der Hydroxylionen zuschreibc.

(Vergl. NERNST, Zeilschr. phys. Chem. 47 (19041, 55).

0, + ~ H , O + de 2z OH'. (5) Wenn das Hydroperoxyd im Make seines Entstehens verbraucht

wird, so dafs das Hydroperoxyd nicht die unwahrnehmbar kleine Konzentration uberschreitet, die mit Sauerstoff von Atmospbaren- druck und Wasser bei gewohnlicher Temperatur im Gleicbgewicht ist, so ist weder der Vorgang (2) noch ein Verzug der Sauerstoff- entwickelung an der anodiscli polarisierten Elektrode zu erwarten. 1st diese Bedingung nicht erfiillt, sondern hinkt der Verbrauch der Zwischenstufe Hydroperoxyd ihrer Entstehung nach, so treten die chemischen Erscheinungen der Autoxydation und die elektrischeii Uberspannungen auf.

Wahrend nach dieser Auffassung das Verhaltnis der drei Sauer- stofformen 0,, H,O,, H,O im Prinzip als zureichend zur Deutung der Erscheinungen angesehen wird, befassen sich andere Arbeiten niit den) Versuch, fiir die vierte Sauerstofform, das Ozon, eine wesentliche Rolle nachzuweisen z. Seine elektrochemische Bildung aus OH-Ionen und sein elektrochemischer Ubergang in OH-Ionen ist ein vergleichsweise noch komplizierterer Vorgang als die Sauer- stoffionisation nach (5). Wenn man bereits Ursache hat (5) als Summe mehrerer Teilvorgange aufzufassen, so gilt dies von der Ozonioni- sation erst recht. Vielleicht ist dieser Prozefs durch das Hydro- peroxyd als Zwischenstufe vermittelt.

Wenn man annimmt, dafs das Hydroperoxyd anodisch nur darum nicht erhalten wird, weil es alsbald mit der Verbindung Pt(OH), unter Entbindung von Sauerstoffgas reagiert , erscheint denkbar, dals es in Form stabiler Derivate erhalten wird, wenn zu deren Bildung Gelegenheit ist. Als solches Derivat konnte die Uber- schwefelsaure betrachtet werden, welche als ein gemischtes Anhydrid

1 Ohne an dieser Stelle des Naheren auf die weiteren Folgerungen aus den entwickclten Vorstellungen einzutreten , will ich doch darauf hinweisen, dars eine sehr grorse Anzehl von Einzelerklarungen anodischer Oxydationsvor- gange der Abannderung bediirftig erscheinen. Intermedizre anondische Hydro- peroxydbildung und Oxydation sogen. unangreif barer Elektroden wie Platin sind Vorstellungen, die man zur Deutung des Mechanismus der Anodenvorglnge in fruheren Jahren nicht herangezogen hat. Wenn gerade diese Vorgange die typisch wichtigen sind, wie ich annehme, so wird das meiste von dem, was man uber den Mechanismus der anodischen Oxydation ermittelt hat, in andere Beleuchtung geriickt.

GRAFENBERO, 2. f. Elektroch. 8 (19021, 297 und Z. anorg. Chem. 3C (1903), 355. - COEHN, 2. f. Elektroch. 9 (1903), 643. - LUTHER, 2. fi Elektroeh. 8 (1902), 645 und 11 (1905), 832.

_ _ _ _ ~

aus zwei Molekiilen Schwefelsaure und einem Molekiil Hydroperoxyd aufgefdst werden kann. Ihre Eritstehung kann aber offenbar auch anders, niimmlich nach

ZHSO,' + Ze = H,S,O,

erklgrt werden. Die neue Auffassung der Verhaltnisse an der positiven Elek-

trode der GRovmchen Kette erklirt, warum eine Erscheinung aus- bleibt, die man im Prinzip wohl erwarten konnte. Wenn namlich tlas Platin durch den elementaren Snuerstoff oxydiert wird, so kiiniite eine vollstandige oxydisclie Decke darauf entstehen, unter deren Schutze das Metall sich zum Sauerstoffpotential aufliide. Vor- aussetzung dabei ware, daB der Sauerstoff iiberhaupt bei gewohn- licher Teniperatur ohne das Buftreten von Verzugserscheinungen sich iiach (5) zu ionisieren vermag, was nach meiner Anschauung riicht der Fall ist.

Was beim Sauerstoff nicht eintritt, ist beim Chlor, dessen Ionisat ion

Dasselbe gilt von der Uberkohlensaure.

c1, + 2 0 +-? 2c1 ,

solchen Verzugserscheinungeri nicht unterworfen ist, nachweisbar. Ich habe mich in Gemeirischaft mit Herrn MAITLAND mit Passivitits- erscheinungen befakt und dabei dem Verlialten des Platins in chlorhaltiger Salzsaure Versuche gewidmet, und will von den bis- herigen Ergebnissen hier einipes mitteilen. Die von RUEE ver- tretene Vorstellung , dak das Platin durch eine oxpdische Declie pnssiv w i d , hat sich dabei als fruchtbnr erwiesen. Ich habe friiher Versuche teils angestellt teils veranlaht, welche die Angreif barkeit des Piatiiis durch Chlor in Salzsaure und Chloriden betrafen2. Sie ergaben, dals je saurer die Losung ist, urn so angreifbarer das Platin sich zeigt. Dafur lielsen sich plausible Grunde angeben. Denken wir uns ein Element

PtjPt.... - CY/Cl,,

so wird Platin nur angegriff'en, wenn es den negativen Pol bildet. also wenn die Platinelektrode unedler als die Chlorelektrode ist. Icb nahm an, dal's das Metall schon bei Gc.genwart von sehr kleinen

365 - -

Mengen Platin im Elektrolyten edler also positiver als Chlor ist, wenn die Losung neutral oder schwach sauer ist und dafs erst der Zusatz von starker Saure, welche die Pt"" - Ionen sehr weitgehend unter Komplexbildung wegnimmt, das Vorzeichen andert, indem er das Platin unedler als Chlor werden lalst. Die Potentialmessung hat bestatigt, dafs das Platin durch den starkeren Saurezusatz in diesem Sinne unedler wird, aber sie hat auch gelehrt, dafs es schon von Hause aus weit unedler als Chlor ist, so dal's eine grofse Angreif- barkeit der Platinanoden bereits bei Abwesenheit von Saure zu ge- wartigen ware. Bekanntlich tritt aber keine Angriff ein. Platin wird also durch Chlor passiv. Fur die Passivitat existieren be- kanntlich eine Reihe Erklkungen. Mit Ausnahme der Oxydtheorie, deren analoge Anwendung auf das Verhalten des Eisens i n Alkali ich unlangst gemeinsam mit F. GOLDSCHMIDT naher auseinander- gesetzt habe, ist aber keine imstande, folgende Tatsachen zu erklaren. Man taucht ein Platinblech (mit in Glas eingeschmolzener Zufiihrnng) in verdunnte chlorgesattigte Salzsaure , lalst es eine kurze Zeit darin, spult es grundlich rnit Wasser ab und behandelt es mit einem Tropfen angesauerter Jodkaliumstarkelosung. Die Lasung wird blau. DieErscheinung konnte von Spuren Chlor herriihren, die amplatin hartnackig haften. MiIan behandelt deshalb das mitH,OgewascheneBlech mit (heilser) Atzkalilauge, wascht wieder und findet mit saurer ?Jod- kaliumstarkelosung dieselbe Erscheinung. Es bleibt der Einwand, dafs durch haftende Spuren Chlor und dtzalkali eine Oxydation des Platins nachtraglich eingetreten sein lronnte. Man bringt des- halb das Blech aus der chlorhaltigen Salzsaure nach dem Abwaschen in platinchloridhaltige Salzsaure. Das gleiche tut man niit einem Blech, welches man in reiner Salzsaure katliodisch zu starker Wasser- stoffentwickelung polarisiert hat. Man mikt die Kraft dieser Bleche gegen eine Hilfselektrode (Decinormalelektrode). Die Krafte nkliern sich rasch, die eine steigend, die andero fallend, demselben Werte. 1st dieser erreicht, so entfernt man die Bleche schnell, spult sie rnit Wasser rasch ab und pruft mit Jodkaliumstarkelosung. Das zuvor mit Chlor behandelte Blech gibt noch immer die Jodreaktion. das andere nicht. Man kann den Versuch ebenso gut rnit plati- niertem wie mit blankem Blech maclen. Bei blankem Blech sind die Erscheinungen erkllirlichermeise schwacher. Bei platiniertem Blech tritt unter der katalytischen Wirkung des Platinmoors auf

z. f. h'lektroch. 12 (1906), 49.

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Luftsauerstoff auch ohne Chlorbehsndlung eine Spur Blauung ein. Der Unterschied dieser Erscheinung von jener, welche das mit Chlor vorbehandelte Blech zeigt, ist aber ganz aukerordentlich stark und unmoglich zu verkennen. Dieselbe Erscheinung, welche durch Vor- behandlung mit Chlor veranlalst wird, zeigt sich nach anodischer Polarisation (in verdiinnter Schwefelsaure) zur Sauerstoffentwickelung bei sonst gleichem Vorgehen. Ware die Passivitat durch Chlor veranlalst durch eine neue Metallmodifikation, so ware die oxydierende Wirkung nach Bbwaschen mit Wasser und Kalilauge unerklarlich. Ware sie im Sinne FRED EN HAG ENS^ durch eine Gasschicht bedingt, so konnte sie nicht andauern, nachdem das passive Potential geschwun- den ist. Ganz einleuchtend aber wird die Erscheinung, wenn sie von Resten einer festen Platinverbindung herriihrt , die sich unter der Wirkung des Chlors bildet, die Eigenschaft hat, in starker Salzsaure loslich zu sein und mit Jodwasserstoffsiiure Jod frei macht. Eine solche Verbindung kann in erster Linie ein Oxyd sein; natiirlich ist aber auch ein Chlorid (PtCl,) oder ahnliches nach dem Befund nicht ausgeschlossen. Bei der anodischen Vorpolarisation (in ver- diinnter Schwefelsaure) kann man an ein Oxyd oder an eiii Sulfat denken. Am einfachsten ist jedenfalls vorerst fur alle Falle ein Oxyd Pt(OH), anzunehmen. Dieses Oxyd iiberzieht die Difetdloberflache, ohne dem Auge erkenribar zu sein, unter der Wirkung chlorhaltiger Salzsaure oder anodischer Polarisation. Es wird durch starke Salzsaure in der Kalte , durch malsig verdiinnte in der Hitze rasch gelost, daher greift Chlor in heilser verdunnter und kalter konzentrierter Salzsaure an. Die gleiche Haut erzeugen andere starks Osydationsmittel, z. B. konz. HNO,. Da starlre Salzsaure sie lost, so wird Platin von Konigswasser gelost. Dals noch Iteste des Oxyds auf dem Metal1 nachweisbar sind, wenn man die zuvor beschriebene Behandlung ausfiihrt, welche das Platin auf das Potential oxydfreien Metalls bringt, findet ein Analogon in dem schon von QOLDSCEIMIDT

und mir (1. c.) beschriebenen Ferhalten des Bleis und Bleisuper- oxyds. Man uberzieht elektrochemisch Blei in Schwefelsaure mit einer braunen Superoxydhaut. Es hat dann gegen eine Schwamm- bleielektrode die Kraft von 2 Volt. &fan gibt nun dieser mit Super- oxy1 bedeckten Platte einen kurzen kraftigeii kathodischen Strom- stofs in Schwefelsaure. Das Superoxyd ist darnach zum Teil, aber nur zum Teil cerscliwunderi. Grofse brauiie Flecken sind noch

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ubrig. Das Potential der Platte ist jetzt annahernd das einer Schwammbleiplatte, erholt sich zwar mit der Zeit soweit, dafs wieder einige Zehntel Volt Potentialdifferenz gegen die Schwamm- bleiplatte auftreten , bleibt aber weit vom Bleisuperoxydpotential, waihrend die Superoxydflecken im Laufe von Stunden schliel'slich verschwinden. Superoxydinseln nuf einer Schwammbleiplatte beim Potential einer negativen Akkuniulatorenplatte sind also voriiber- gehend sehr wohl mijglich. Natiirlich ist ein solcher Zustand z e i t l i c h nur von beschrankter Dauer. Die Elektrode hat inneren Kurzschhk und es mufs entweder das Superoxyd oder das Schwamm- blei allmahlich verschwinden, womit dann stabile Zustande ein- treten.

Die einzelnen Ergebnisse der I\iIAITLANDschen Versuche solleii spater genauer geschildert werden. Das mitgeteilte wird hinreichen, um zu begrunden, dafs die Platinanode der GRovEschen Kette nicht eine reine, sondern eine oxydierte Oberflache hat. Auch wird der Gegensatz im Verhalten des Chlors, welches keinen Ionisations- verzug aufweist und des Sauerstoffs deutlich geworden sein.

Schliel'slich wird man an der Hand der hier auseinandergesetzten Zusammenhange eine im ersten Augenblicke uberraschende Tat- sache wohl nicht mehr verwunderlich finden, namlich, dak Platiri auf Glas und Porzellan eine gute Sauerstoffelektrode bei hoher Tem- peratur abgibt, in der Grovekette aber nicht. Es ist nach LOTHAR WOHLERS Versuchen an der Oxydierbarkeit des Platins bei hoher Temperatur kein Zweifel. d b s r offenbar belad sich das osydierte Metal1 mit Sauerstoff bei hoher Temperatur bis zum thermodyna- mischcn Gleichgewicht, was es bei Zimmertemperatur nicht vermag.

Dazu kommt der Unterschied des Elektrolyten, welcher die fur die eigentiimliche Wirkssmkeit des Platins bei Zimmertemperatur als Elektrode zweiter Art makgebliche Mitwirkung von OH-Ionen kaum moglich macht.

Die Ergebnisse dieser Mitteilung fasse ich in folgende Thesen zusammen:

1. Die positive Platinelektrode der GRovEschen Kette ist eine Sauerstoffelektrode zweiter Art.

2. Die Erscheinungeri der Wasserbildung und Wasserzerlegung bei gewohnlicher Temperatur zeigen darum Besonderheiten, weil die Reaktion

0, + 2H,O + 4 0 +-? 4OH'

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in zwei Stufen verlauft und haufig in deren Aufeinanderfolge ein Verzug stattfindet. Was insbesondere die Sauerstoffentwickelung an Platinanoden anlangt, so findet sie uber das Hydroperoxyd hin- weg statt, dessen Oxydationspotentisl bei den1 Werte liegt, bei den1 Sauerstoffgasentwickelung eintritt.

3. Das Platin wird durch starke Oxydationsmittel und durch anodische Polarisation chemisch an seiner Oberflache verandert. Die dabei auftretende feste Piatinverbindung macht Jod aus saurer Jod- starkelosung frei. Reste von ihr sind noch nachweisbar, wenn das passive Potential in das Potential Platin/Platinionen uber- gegangen ist.

Schliel'slich sind in vorstehender Mitteilung Versuche mit Atz- natron und Atzkali als Elektrolyten angefuhrt, welche mit den in der I. und 11. Mitteilung an Glas- und Porzellan gewonnenen Er- gebnissen iibereinstimmen und es ist das Verhalten der Elektroden in der Grovekette und den Glas- und Porzellanketten verglichen worden.

liarlsrtthe, Chem. Tech%. Laboratorium dcr t e c h . Hoehsclzule.

Bei der Redaktion eingegangen am 14. September 1906.


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