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C H E M I K E R , PH YS I K E R – U N D S C H A L K

„Waren Sie schon bei Beireis?“ Eine der merkwürdigsten Personen des 18. Jahrhunderts war GottfriedChristoph Beireis. Man erzählte über ihn, er sei unvergleichlich reichund besäße eine große Sammlung von Kunstschätzen und Raritäten. Ergalt als universell gebildeter Professor. Seine Wirkungsstätte Helmstedtgehörte zu den bedeutendsten protestantischen Universitäten und Pro-fessor Beireis verschaffte ihr eine besondere Anziehungskraft.

Die Familie Beireis war seit dem16. Jahrhundert in der Freien Reichs-stadt Mühlhausen in Thüringen ansäs-sig. Der Vater war Ratsherr. GottfriedChristoph Beireis wurde am 28. Feb-ruar 1730 geboren. Er besucht ab1738 das Gymnasium in Mühlhausenund wird 1751 an der Universität

Jena als Student der Jurisprudenz immatrikuliert. Um sich einen fausti-schen Nimbus zu geben, hat er späterauch gesagt, er hätte Theologie stu-diert. 1753 verlässt Beireis die Univer-sität. Erst im September 1756 trifft erwieder in Mühlhausen ein und wen-det sich zum Beginn des Winterse-mesters nach Helmstedt, um dort sei-ne Studien fortzusetzen. Bei dem be-

rühmten Chirurgen Lorenz Heistererwirbt er medizinische Kenntnisse.

Nach dem Tod des Ordinarius fürPhysik, J.G.Krüger, 1859, wird er vomHerzog Carl von Braunschweig zudessen Nachfolger berufen, ohnedass er vorher zum Doktor promo-viert worden wäre [3]. Mit der Schrift„De utitlitate et necessitate historiaenaturalis“ [4] trat er im Alter von 29 Jahren sein Lehramt an. Es handeltsich dabei um die Frage, wie das Lei-den in der Welt mit der Allmacht undder Güte Gottes vereinbar sein könn-te.

Beireis begann seine Vorlesungenüber Physik, Mineralogie und Metal-lurgie mit Experimenten. Neu war,dass er ohne die damals übliche Perü-cke auftrat. 1762 wird er auch Profes-sor für Medizin und im folgendenJahr Braunschweigischer Rat und her-zoglicher Leibarzt. Ein Brief an denLeibmedicus Brückmann in Braun-schweig aus dem Jahre 1767 gibt Auf-schluss über seine umfangreichenVorlesungen [5].

Wenn man bedenkt, dass er au-ßerdem als Arzt tätig war, verstehtman, dass er wenig wissenschaftlichveröffentlicht hat, was ihm allerdingsnach seinem Tode von den Kritikernvorgeworfen wurde. Beireis hat, wieAlexander Bessmertny, sein Bio-graph, schreibt: „in einem Umfangwie es einen parallelen Fall wohlnicht gibt, Vorlesungen abgehalten,wobei er gleichzeitig die sieben or-dentlichen Lehrstühle für Medizin,Chemie, Chirurgie, Pharmazie, Phy-sik, Botanik und Naturgeschichteinnehatte.“ [6]

Man kann eine derartige Fülle derVorlesungen bis zum Ende seinerLehrtätigkeit verfolgen [7]. Das er-staunliche Arbeitspensum war wohlnur dadurch zu bewältigen, dass Bei-reis mit 3 bis 4 Stunden Nachtschlafauskam. In einer Beurteilung durcheinen Universitätskollegen heißt es1789: „Viel Beifall, sehr fleißig, täglich10–12 Collegs (!!), dazu starke Arzt-praxis. In allen Zweigen ist der Vor-trag deutlich und angenehm.“

Auch im täglichen Leben war derJunggeselle ein Sonderling. Seit 1761

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In den Jahren seiner Helmstedter Tätigkeit verbreitete sich der Ruf desSonderlings und es gehörte zu denFragen gebildeter Kreise: „Waren Sieschon in Helmstedt bei Beireis?“ FürGoethe muss der Hofrat Beireis wieeine Revitalisierung des historischenDr. Faust gewesen sein. „Nun hoffeich noch vor meiner Rückkehr (vonBad Lauchstädt) einen bedeutendenMann kennen zu lernen; denn ichgedencke, theils um mich an neuenGegenständen zu erheitern, theilsum zu sehen wie eine weitere Fahrtmir zusagt, mich nach Helmstedtzu begeben und daselbst den wun-derlichen Beyreis in seinem Hams-terneste kennen zu lernen. Man hatso viel von ihm und seinen Besit-zungen gehört daß es nicht erlaubtist beyde nicht selbst gesehen, ge-kannt und geprüft zu haben.“ [1] Erbesuchte ihn im Jahre 1805 und be-wunderte seine Sammlungen. Beireiserzählte wie üblich die lustigsten Ge-schichten. „Fünf und siebzig Jahrehaben ihm noch alle Munterkeit ge-lassen, den lebhaftesten Antheil anallen seinen Besitzungen, die eineArt von barockem Zauberkreis umihn her schließen.“ [2]

Wer war dieser eigenartige Professor? Er selbst bezeichnete sich in einerEintragung in das Stammbuch vonAugust Goethe als Professor für Medi-zin, Chirurgie, Chemie, Pharmazie,Physik, Botanik und Naturgeschichte.Die von ihm in Anspruch genomme-ne Vielseitigkeit brachte ihn in denRuf, ein Hansdampf in allen Gassenzu sein. Zahllos sind die Legenden,die über sein Wirken erzählt wurden,doch zunächst zu den Tatsachen.

Abb. 1 Gottfried Christoph Beireis(1730–1809) lehrte von 1759 bis 1809 inHelmstedt. Das Bild zeigt ihn mit einemStar seiner Sammlung, der fressendenund auch das Gefressende wieder aus-scheidenden mechanischen Ente.

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war er nicht mehr krank gewesen. Erführte das auf seine Ernährung zu-rück. Frühmorgens aß er Zwieback,mittags Gemüse, besonders gelbe Rüben und Obst, abends gab es bloßWassersuppe. Dem Kartoffelgenussschrieb er die zunehmende Verdum-mung der Menschen zu. Seine Gästebewirtete er allerdings mit den bes-ten Weinen und den verschiedenstenLeckerbissen.

Beireis als ChemikerDer Legende nach soll sich Beireis inJena mit Alchemie, d.h. mit der Kunstdes Goldmachens beschäftigt haben.Er liebte das Geheimnisvolle und um-gab sich oftmals mit dem Nimbus desDr. Faustus. Die bleiche Gesichtsfarbeund seine durchdringenden Augenförderten den Ruf eines Goldmachersbei Außenstehenden. Gleichzeitigmachte er sich mit spöttischen Äuße-rungen über die goldgierigen Hörerlustig [8]. Im Kolleg zeigte er Gold-barren als Produkte seiner Kunst undkündigte die Enthüllung des Geheim-nisses für eine spätere Kollegstundean [9].

Zettel für eine Vielzahl von Vor-schriften für die Herstellung von Tin-ten, Farben, Glas und Seifen fandensich in einem Buch „Anfangsgründeder Chemie“ von J. C. Erxleben, daser bis ins hohe Alter benutzte [10].Verschiedene Biographen gehen da-von aus, dass er durch die Herstel-lung von Farben zu Geld gekommenist. So hat er seine Farbrezepte strenggeheim gehalten und gegen großeSummen an holländische und öster-reichische Kaufleute verkauft [11].Ein Rezept zur Farbenherstellung istüberliefert: „Wenn man Flußspat zucalciniertem und gestoßenem Kieseltut und in richtigem Verhältnis Ätz-kali sowie feuerbeständigen Kobalthinzusetzt, so erhält man in großerMenge eine als Schmalte genannteFarbe.“ [12] Wahrscheinlich handeltees sich um unechten Ultramarin, später auch unter Thénards Blau bekannt geworden.

Die Ungenauigkeit der Angabenkann auch hier wie häufig bei Beireisdaraufhin deuten, dass Gaukelei im

Spiel war. Schmalte wurden von böh-mischen Glasmachern im 16. Jahr-hundert erfunden und im 19. Jahr-hundert als Blaufarben in Sachsenhergestellt. Gewöhnlich nahm mandazu Kaliumcarbonat und nicht Kali-umhydroxid wie Beireis beschreibt.

Seine Vorlesungen müssen sehrunterhaltsam gewesen sein. Lichten-stein, ein ehemaliger Student inHelmstedt berichtet darüber [13]:„was er von den Natur-wissenschaften besaß,hatte eine durchauspraktische Richtung…,in der Chemie und Phy-sik die Darstellung nütz-licher Erfindungen, diefür Handel und Gewerbeund das bürgerliche Le-ben eine Bedeutung ha-ben mochten.“

Beireis muss jedenfalls ein ge-wandter Redner gewesen sein. Da-raus ergeben sich die vielen Legen-den, die über ihn erzählt werden, unddie er selbst in den Umlauf brachte.

Beireis als ArztEindeutig wohlwollend lauten die Urteile über ihn als Arzt. Lichtensteinschreibt über ihn: „Sein Scharfsinnentdeckte leicht und sicher die Be-schaffenheit des krankhaften Zustan-des, vornehmlich bei krankhaftenPersonen, die er durch langjährigeBehandlung kannte.“ Bezahlen ließer sich vor allem von reichen Bür-gern, Arme behandelte er kostenlos.

Beireis wirkte nach Zeitzeugenvor allem durch seine Persönlichkeitund die durch nichts zu erschüttern-de Zuversicht, die sich leicht auchdem Kranken mitteilte, als durch direktes Eingreifen.

Seine Behandlungsmethoden wi-chen von den akademischen merk-lich ab. Aus allen Berichten erfährtman, dass er mit Vorliebe Kaltwasser-kuren und Diäten verschrieb, wobeier Fleisch für schädlich hielt. Studen-ten und auch Patienten lobten seineärztliche Kunst sogar in Form vonGedichten. So widmete ihm eine Da-me, die er geheilt hatte, ein Gedicht.In einer Strophe heißt es: „Auch mir

hast du aus einer Bürde nun zur Lust gemacht, dass mir’sin seiner ganzen Würde von hundert Seiten lacht.“ [14]

LegendenVon vielen Seiten bekam Beireis Dank und Anerkennung,vielleicht ist es deshalb auch nicht verwunderlich, dassdadurch sein Selbstwertgefühl und seine Eitelkeit beson-ders gestärkt wurden und er zur Überheblichkeit neigte.Er nutzte das oftmals aus, indem er die wunderlichstenGeschichten erzählte. Besonders schön ist die folgende:Beireis dressiert in Italien einen Berberhengst, der sonst

von niemanden zu reiten war, indem er fest-stellt, dass das Pferd nur unter einem Winkelvon 87°35' bestiegen werden kann.

Man erzählte, als Beireis zum ersten Malzur herzoglichen Tafel in Braunschweig gela-den wurde, erschien er im scharlachrotenRock und einer Weste von weißem Atlas.Während des Mahls färbte sich sein roterRock allmählich schwarz und fiel in Stückenherab [15].

Im September 1809 herrschte in Helm-stedt die Gallenruhr (Cholera nostus). Unermüdlich be-suchte er seine Patienten. Er steckte sich mit der Krank-heit an, schrieb am 16. September sein Testament undstarb am 18. September bei vollem Bewusstsein. Noch lan-ge nach seinem Tode erzählte man, Beireis habe an sei-nem Todestage eine Anzahl von Damen und Herren zuTisch geladen. Nach einer Zeit entschuldigte er sich, ermüsse sich jetzt in sein Bett begeben, um zu sterben. Alle lächelten. Vom Nebenzimmer unterhielt er sich nocheine Weile mit den Gästen, plötzlich verstummte er. Als man nachsah, war er tot.

[1] Brief vom 10. August an Herzog Carl August, Goethe WA IV 19, S. 34f.[2] Goethe in „Tage- und Jahresheften“.[3] Nentwig,“Die Physik an der Universität Helmstedt“, Wolfenbüttel

1891, S. 112.[4] Exemplar der Herzog- August-Bibliothek zu Wolfenbüttel[5] Abgedruckt in Wielands „Neuen Teutschen Merkur“, Weimar 1809,

Bd. III, S. 175.[6] Alexander Bessmertny „Gottfried Chrisoph Beireis“, S. 160.[7] „Nachrichten über Christoph Beireis“, Carl von Heister, Berlin 1860,

S. 77.[8] Alexander Bessmertny „Gottfried Chrisoph Beireis“, S. 155.[9] Johann Sybel, „Biographische Nachrichten über den zu Helmstedt

verstorbenen Doktor und Hofrat G.C.Beireis“, 1911, Berlin, S. 25.[10] „Beireis als Chemiker“ in Braunschweigisches Magazin, Nr. 21,

1898, von Fr.Rehkuh.[11] „Nachrichten über Christoph Beireis“, Carl von Heister, Berlin 1860,

S. 55.[12] Heister, S. 180.[13] Raumer, Historisches Taschenbuch, 8. Jahrg. 1847.[14] Robert Schaper, „Beireis wird besungen – seine Verehrer“ in

Helmstedter Kreisblatt, 20.05.1972.[15] Eduard Stemplinger „Sonderlinge“, Piper u. Co., München 1937,

S. 110.

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Abb. 2 Die Innen -ansicht der mechani-schen Ente.

Georg Brandes, Schönebeck


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