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Page 1: Wie die Haare der Bakterien wachsen

T R E F F P U N K T FO R SC H U N G

234 © 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2011, 45, 234 – 237

Pathogene Bakterien wie die gefürchteten Ehec-Kei-me halten sich mit Proteinfasern, den Pili, an Gewe-beoberflächen des Wirts fest. Einblicke in die Struk-turbildung dieser Fasern öffnen den Weg zu mögli-chen neuen antibakteriellen Wirkstoffen.

ständigt jeweils die Immunoglobulin-Domäne des nächsten. Dieses Bau-prinzip gibt den fertigen Fasern eineerstaunliche Stabilität, doch macht esdie noch nicht eingebauten Protein-moleküle auch anfällig für Fehlfaltungund unspezifische Aggregation, solan-ge sie sich noch im Periplasma, alsodem Zwischenraum zwischen äuße-rer und innerer Zellmembran, befin-den. Deshalb gibt es im Periplasmaauch molekulare Chaperone, die aufdie Pili-Synthese spezialisiert sind und die Bausteine vor solchen uner-wünschten Wechselwirkungen schüt-zen.

Waksmann, der inzwischen amInstitute for Structural and MolecularBiology in London arbeitet, hat nunmit seinen Mitarbeitern eine Kristall-struktur vorgelegt, die genau zeigt,wie das Wachstum der Pili anfängt.Der untersuchte Komplex enthält dieMembranpore FimD, durch welchedie Bausteine exportiert werden, unddie gleichzeitig auch die „Haarwur-zel“ darstellt, den äußersten, „klebri-gen“ Baustein FimH, und das moleku-lare Chaperon FimC, das noch an dieempfindliche Bindungsstelle desFimH-Proteins gebunden ist. DasStrukturbild zeigt, dass die zu expor-tierende Untereinheit in der Mitte ei-nes hohlen Zylinders angeordnet ist,der von dem FimH-Protein gebildetwird. Es handelt sich hierbei um dieerste Kristallstruktur einer Protein-Export-Maschine in Anwesenheit deszu exportierenden Proteins [1].

Ein überraschender Befund derStrukturanalyse war, dass die Mem-branpore zusätzlich zu der aus bio-chemischen Untersuchungen be-kannten Bindungsstelle für das Ex-portgut eine weitere aufweist. In derkristallographischen Momentaufnah-me ist die bekannte Bindungsstelle,in der Nähe des C-terminalen Endesder Proteinkette, unbesetzt. Hingegenist FimH in der Nähe des N-Terminusvon FimD gebunden. Das hat auchseine biologische Logik, denn somitkann das wachsende Haar an der ei-nen Bindungsstelle verankert blei-ben, während der nächste Bausteinan der zweiten andockt.

Zu Vergleichszwecken erstelltendie Autoren zusätzlich auch eine Kri-stallstruktur der leeren MembranporeFimD, obwohl bereits die Struktur ei-nes sehr ähnlichen Proteins, PapC,vorlag. Es zeigte sich, dass die Bin-dung des Substratproteins deutlicheUmordnungen in der Ringstrukturder Pore bewirkt. Im freien Zustandist diese eher oval und ein Teil derSequenz dient als Stöpsel, um denKanal nach außen abzudichten. InAnwesenheit des Substratproteinshingegen nimmt die Pore eine per-fekt zylindrische Form an und die„Stöpsel-Domäne“ tritt zur Seite, umden Weg für die zu exportierendenProteinmoleküle freizumachen.

Bakterien ohne HaltDa dieses faszinierende molekularePuzzlespiel ausschließlich bei Bakte-rien vorkommt (und auch dort nurbei der gram-negativen Gruppe, danur diese die doppelte Zellmembranbesitzt), ist es ein interessantes Zielfür neue antibakterielle Wirkstoffe,die Pilicide.

Gerade angesichts der gegenwär-tigen bedrohlichen Ausbreitung vonAntibiotika-Resistenzen bieten Pilici-de eine interessante Alternative. Un-terbindung der Pili-Synthese machtpathogene Bakterien harmlos, da siesich nicht mehr am Wirt festhaltenkönnen, bringt sie aber nicht um. Dasist insofern ein Vorteil, als solcheWirkstoffe außerhalb des Wirtsorga-nismus keinen Selektionsdruck aufdie Bakterien ausüben, also auchnicht die Ausbreitung von Resistenz-genen fördern können. Im Gegensatzdazu können Antibiotika, die durchunbedachte Anwendung in die Um-welt gelangen, jederzeit und überalldie Entwicklung von resistenten Bak-terienstämmen fördern.

Einige Arbeitsgruppen haben be-reits begonnen, synthetische Peptid-mimetika als Wirkstoffe gegen denAufbau der Pili zu entwickeln [2].

[1] G. Phan et al. Nature 2011, 474, 49.[2] E. Chorell et al. J. Med. Chem. 2010, 53,

5690.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

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Bei vielen bakteriellen Krankheiten, von der häufigen Bla-senentzündung bis hin zu dem gefährlichen Ehec-Aus-bruch im Mai, haften die Bakterien mit Hilfe von feinenHaaren, in der Fachsprache Pili genannt (Singular: Pilus),an geeigneten Oberflächen des Wirts, etwa an der Harn-blase oder den Darmwänden. Ebenso wie die menschli-chen Kopf- und Körperhaare bestehen diese sehr vieldünneren bakteriellen Haare aus Proteinen und wachsenvon der Wurzel her nach. Ihre äußerste Spitze ist ein aufdie Anhaftung spezialisiertes Protein, das bestimmte Re-zeptoren des Wirts erkennt und bindet. Bei den E. coli, dieHarnwegsinfektionen auslösen, erkennt die Spitze dieKohlenhydrat-Rezeptoren der Harnwege.

Wenn wir den Verlauf des Haars von der Spitze aus inRichtung Bakterium weiter verfolgen – also in derselbenReihenfolge, in der die Komponenten auch hergestelltund eingebaut werden –, finden wir zunächst zwei Bin-deglieder, die bei E. coli FimG und FimF genannt werden.Dann kommt, in tausenden von Exemplaren, der Haupt-baustein des Haars, FimA.

Um die Jahrtausendwende konnte die Gruppe von Ga-briel Waksmann, damals an der Washington University Me-dical School in St. Louis, USA, die Struktur von FimA-Fa-sern aufklären. Jeder Baustein hat im Prinzip ein wohlbe-kanntes Faltungsmuster, das weitgehend mit der in Anti-körper häufig anzutreffenden Immunoglobulin-Domäneübereinstimmt.Allerdings fehlte von dieser Struktur einTeil, während an der gegenüberliegenden Seite des Pro-teins ein Stück Polypeptidkette übrig war.

Waksmanns Gruppe konnte zeigen, dass diese Baustei-ne wie ein eindimensionales Puzzlespiel zusammenpassen.Der „übrige“ Teil jedes einzelnen FimA-Bausteins vervoll-

B I O C H E M I E

Wie die Haare der

Bakterien wachsen

E.coli mit Pili[Bild: Manu Forero, aus Gross, L. (2006), PLoS Biol. 4(9): e314,doi:10.1371/jounal.pbio.0040314

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