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© Mentus GmbH, 2014 1 Weisheit und Mentoring Der Erwerb von Weisheit als Fokus des Mentoring geht zurück bis auf die Originalgeschichte der Mentoringbeziehung zwischen Athene, der griechischen Göttin der Weisheit, Odysseus, dem König von Ithaka und seinem Sohn Telemachos. In der Gestalt des Mentor oder ihrer eigenen, hilft die Göt- tin den beiden Männern, aus ihren Erfahrungen zu lernen, Einsichten zu gewinnen und ihre Moral zu stärken. Mehr als zwei Jahrtausende später hat der französische Kleriker Fenelon diese Dialoge als eine Form von Essays fortgeführt, um den französischen König zu mehr Weisheit zu verhelfen. In fast derselben Weise hat Machiavelli versucht, die moralische Entwicklung seiner Florentiner Herrscher zu leiten, auch wenn er mehr für seine Einsichten zur politischen Intrige bekannt wurde. Keine dieser Versuche wurden besonders willkommen geheißen! Beim Mentoring geht es zumindest teilweise darum, eigene Weisheit zu nutzen, Weisheit in einer anderen Person zu stimulieren. In allen großen Geschichten über Mentoren, von Thomas More is Yoda in Star Wars, nutzt der Mentor seine innere Gelassenheit und seine Erkenntnisse, um dem Mentee dabei zu helfen, dass sie: wahrnehmen und in Frage stellen welchen Werten sie selber und andere folgen größere Einsicht in die Art des eigenen Denkens und Handelns gewinnen lernen, die eigenen Instinkte zu kontrollieren, indem sie geduldiger mit anderen und sich selbst sind es zur Gewohnheit werden lassen, zu reflektieren und aus Erfahrung zu lernen ein umfassenderes Bild davon zu gewinnen, was die eigene Identität, Wünsche und Ängste aus- macht und so zu weiseren Entscheidungen zu kommen Die Geschichte des Odysseus ist eine der besten Beispiele für Robert Kegan´s Theorie der Entwick- lung von Erwachsenen. Kegan beschreibt drei Stufen der Entwicklung bei Erwachsenen, die sich auf unsere Denken (unsere kognitive Entwicklung) und die Art, wie wir uns in Relation zu unserem Um- feld wahrnehmen (unsere sozio-emotionale Entwicklung) beziehen. Als Teenager versuchen wir un- sere Vorstellung der eigenen Identität über soziale Gruppen auszudrücken, mit denen wir verbunden sind und nehmen deren Werte und die Art, die Welt zu interpretieren, an. Einige Menschen kommen über dieses Stadium ihr Leben lang nicht hinaus aber viele erreichen die Stufe der „Selbst- Beschreibung“. In dieser Stufe versuchen wir, eine eigene Identität zu kreieren, indem wir eigenen Werten und weniger denen von anderen folgen. Ein Teil der Menschen, die so weit gekommen sind, entwickeln sich weiter, indem ihnen bewusst wird, dass sie und die Welt um sie herum sich perma- nent entwickeln und ihre Identität und die Art der Interaktion mit dem Umfeld sich ebenfalls weiter- entwickeln müssen.

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Weisheit und Mentoring

Der Erwerb von Weisheit als Fokus des Mentoring geht zurück bis auf die Originalgeschichte der

Mentoringbeziehung zwischen Athene, der griechischen Göttin der Weisheit, Odysseus, dem König

von Ithaka und seinem Sohn Telemachos. In der Gestalt des Mentor oder ihrer eigenen, hilft die Göt-

tin den beiden Männern, aus ihren Erfahrungen zu lernen, Einsichten zu gewinnen und ihre Moral zu

stärken.

Mehr als zwei Jahrtausende später hat der französische Kleriker Fenelon diese Dialoge als eine Form

von Essays fortgeführt, um den französischen König zu mehr Weisheit zu verhelfen. In fast derselben

Weise hat Machiavelli versucht, die moralische Entwicklung seiner Florentiner Herrscher zu leiten,

auch wenn er mehr für seine Einsichten zur politischen Intrige bekannt wurde. Keine dieser Versuche

wurden besonders willkommen geheißen!

Beim Mentoring geht es zumindest teilweise darum, eigene Weisheit zu nutzen, Weisheit in einer

anderen Person zu stimulieren. In allen großen Geschichten über Mentoren, von Thomas More is

Yoda in Star Wars, nutzt der Mentor seine innere Gelassenheit und seine Erkenntnisse, um dem

Mentee dabei zu helfen, dass sie:

wahrnehmen und in Frage stellen welchen Werten sie selber und andere folgen

größere Einsicht in die Art des eigenen Denkens und Handelns gewinnen

lernen, die eigenen Instinkte zu kontrollieren, indem sie geduldiger mit anderen und sich selbst

sind

es zur Gewohnheit werden lassen, zu reflektieren und aus Erfahrung zu lernen

ein umfassenderes Bild davon zu gewinnen, was die eigene Identität, Wünsche und Ängste aus-

macht und so zu weiseren Entscheidungen zu kommen

Die Geschichte des Odysseus ist eine der besten Beispiele für Robert Kegan´s Theorie der Entwick-

lung von Erwachsenen. Kegan beschreibt drei Stufen der Entwicklung bei Erwachsenen, die sich auf

unsere Denken (unsere kognitive Entwicklung) und die Art, wie wir uns in Relation zu unserem Um-

feld wahrnehmen (unsere sozio-emotionale Entwicklung) beziehen. Als Teenager versuchen wir un-

sere Vorstellung der eigenen Identität über soziale Gruppen auszudrücken, mit denen wir verbunden

sind und nehmen deren Werte und die Art, die Welt zu interpretieren, an. Einige Menschen kommen

über dieses Stadium ihr Leben lang nicht hinaus aber viele erreichen die Stufe der „Selbst-

Beschreibung“. In dieser Stufe versuchen wir, eine eigene Identität zu kreieren, indem wir eigenen

Werten und weniger denen von anderen folgen. Ein Teil der Menschen, die so weit gekommen sind,

entwickeln sich weiter, indem ihnen bewusst wird, dass sie und die Welt um sie herum sich perma-

nent entwickeln und ihre Identität und die Art der Interaktion mit dem Umfeld sich ebenfalls weiter-

entwickeln müssen.

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In dieser letzten Phase wird sich echte Weisheit entwickeln. Dies soll nicht bedeuten, dass ein Men-

tor nicht bereits in einer früheren Phase helfen kann, weiser zu werden aber in einem anderen Um-

fang.

Wie kann ein Mentor dem Mentee nun helfen, weiser zu werden? Hier sind ein paar praktische In-

strumente und Ansätze:

Selbst wenn der Mentee eine Frage mitbringt, zu der es eine einfache Lösung gibt, sollten Sie

einige Zeit darin investieren, ihm zu helfen, die Komplexität darum zu erkennen. Zum Beispiel mit

der Frage danach, was uns eine Situation über die Tendenz von Menschen zu spontanem Verhal-

ten und Gedankenprozessen sagen kann.

Helfen sie ihm, die eigenen Werte und deren Veränderung mit der Zeit zu reflektieren. Anschlie-

ßend folgt die Reflektion, wie sich die Werte möglicherweise zukünftig verändern. Wo könnten

Annahmen und Werte den Mentee davon abhalten, die eigenen Träume zu verwirklichen?

Hören Sie zu, wie sich der Mentee die Welt erklärt und versuchen Sie daraus abzuleiten, wo er

auf den drei Stufen der Entwicklung Erwachsener steht. Formulieren Sie Ihre Fragen so, dass er

die eignen Denkprozesse und mögliche Alternativen dazu versteht. Zum Beispiel:

o Was könnte der Vorteil sein, jetzt eine alternative Perspektive einzunehmen?

o Was hat Deine Werte und Annahmen zu diesem Thema beeinflusst?

o Wie kannst Du noch umfassender auf Deine innere Stimme hören?

o Wie kannst Du eine Balance zwischen den Dingen, die Dir wichtig sind und den Dingen,

die anderen Menschen wichtig sind, finden?

o Was würde Dein „bestes Ich“ jetzt dazu denken, sagen und wie handeln?

Sprechen Sie mit dem Mentee über die Stufen der Entwicklung von Erwachsenen und wie wir alle

diese drei Stufen durchlaufen. Wenn (was öfter der Fall sein wird) ein Übergang zwischen Phasen

erfolgt, dann laden Sie ihn ab und zu ein zu überlegen, aus welcher Stufe heraus eine Aussage

oder Meinung geäußert wurde. Alleine das Wissen, das andere Arten zu Denken und zu Leben

existieren, erlaubt vielen Menschen, einen Fortschritt zu machen und reifer zu werden.

Arbeiten Sie an Ihrer eigenen Weisheit und Reife, so dass Ihnen die Übergänge zwischen den

Phasen bewusster werden. Die Reflexion eigener Erfahrung und der eigene Lernprozess ist wert-

volle Zeit, insbesondere wenn Sie Ansichten und Perspektiven nutzen, die nicht mit Ihren eigenen

übereinstimmen. Versuchen Sie, sich aus den Beschränkungen eigener Expertise zu befreien, die

oft verhindert, die Originalität anderer Ideen erkennen zu können. Versuchen Sie eine gute Ba-

lance zwischen Ihrem Handeln, Ihrem Mentoring und Coaching, Ihrem Arbeitsumfeld und Ihrem

Leben generell herzustellen.

Als Supervisor von Coaches und Mentoren bin ich sehr dankbar für die Möglichkeit, über diese Rolle

meine eigene Weisheit auszubauen, indem ich mit anderen Menschen deren Erfahrung und die Er-

fahrungen ihrer Coachees und Mentees reflektiere. Jede Zusammenarbeit liefert Erkenntnisse, die

mich dazu bringen, eigene Erkenntnisse zu hinterfragen und mein Verständnis von mir und meinem

Umfeld zu modifizieren. Als ich mit der Supervision begann, hatte ich Befürchtungen, dass sich eine

Art Hierarchie der Weisheit ausbilden würde. In der Realität führt es eher zu mehr Demut und dafür

bin ich dankbar.

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Es ist sehr leicht, die Bedeutung des Mentoring (oder des transformationalen oder transpersonellen

Coaching) in der Notwendigkeit kurzfristiger Fragen und Probleme aus dem Auge zu verlieren. Wenn

wir den Erfolg einer Mentoringbeziehung hinterfragen, wird meist danach geschaut, wie sich die

(Karriere)Entwicklung oder die beruflichen Fähigkeiten des Mentee verändert haben. In einer wirk-

lich wirksamen Mentoringbeziehung ist die entscheidende Frage: „Wie viel weiser ist diese Person

heute?“

Das englische Original dieses Beitrages wurde von David Clutterbuck veröffentlicht. Der Autor David

Clutterbuck ist einer der profiliertesten und bekanntesten Managementdenker und Autor mit mehr

als 60 publizierten Büchern. Er gehört zu den internationalen Pionieren in der Entwicklung professio-

nellen Mentoring und Mitbegründer des European Mentoring & Coaching Council.

Die Mentus GmbH ist Kooperationspartner von David Clutterbuck für den deutschen Sprachraum und

arbeitet aktiv an der internationalen Weiterentwicklung des Mentoring in der Wirtschaft mit.

Kontakt:

Dr. Frank Edelkraut

Mail: [email protected]

Web: www.mentus.de

Tel.: 0171 / 6806893

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