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40 think.forward | sharing economy „Wir sind das Airbnb für unsere Branche.“ Wenn Thomas Dönnebrink Sätze wie diesen hört, schaltet er ab. „Dann spiele ich in Gedanken Bullshit-Bingo und mach‘ ein Kreuzchen aufs Papier.“, erzählt er genervt. Kaum noch ein Pitch, in dem ein Start-up für eine neue Online- Plattform nicht diesen Vergleich bemühe, beschwert sich der 48-Jährige. „Oder gerne auch: Wir sind so was wie Uber für XY.“ Dönnebrink winkt gelangweilt ab. Wie kaum ein anderer Experte in Deutschland beschäftigt sich der Berliner mit dem Phänomen der Sharing Economy, jener Ausprägung der Internet-Wirtschaft also, wo User sich mit Usern auf Plattformen treffen und dort Waren und Dienstleistungen direkt untereinander tauschen oder teilen. Kostenfrei, meist aber gegen Geld. Ein explodierender Milliardenmarkt: Laut den Consultants von PwC werden die weltweiten Umsätze von derzeit rund 15 Milliarden auf mehr als 330 Milliarden in knapp zehn Jahren steigen. Viele der heutigen Schwergewichte auf dem Markt haben binnen kürzester Zeit ein schwindelerregendes Wachs- tum hingelegt. Beispiel Airbnb: Weil sie sich die Miete für ihre WG in San Francisco nicht mehr leisten konnten, vermieteten Joe Gebbia und Brian Chesky 2007 ein leer- Wie viel hat die Sharing Economy eigentlich mit Teilen zu tun? Nichts, sagen Kritiker, und halten ihr das Modell genossenschaftlicher Platt- formen entgegen. „airbnb war gestern, geno ist morgen“

Was kommt nach UBER & Co.? PlatformCoops und andere Formen der Kollaborativen Ökonomie 3.0

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40 think.forward | sharing economy

„Wir sind das Airbnb für unsere Branche.“ Wenn Thomas Dönnebrink Sätze wie diesen hört, schaltet er ab. „Dann spiele ich in Gedanken Bullshit-Bingo und mach‘ ein Kreuzchen aufs Papier.“, erzählt er genervt. Kaum noch ein Pitch, in dem ein Start-up für eine neue Online- Plattform nicht diesen Vergleich bemühe, beschwert sich der 48-Jährige. „Oder gerne auch: Wir sind so was wie Uber für XY.“ Dönnebrink winkt gelangweilt ab.

Wie kaum ein anderer Experte in Deutschland beschäftigt sich der Berliner mit dem Phänomen der Sharing Economy, jener Ausprägung der Internet-Wirtschaft also, wo User

sich mit Usern auf Plattformen treffen und dort Waren und Dienstleistungen direkt untereinander tauschen oder teilen. Kostenfrei, meist aber gegen Geld. Ein explodierender Milliardenmarkt: Laut den Consultants von PwC werden die weltweiten Umsätze von derzeit rund 15 Milliarden auf mehr als 330 Milliarden in knapp zehn Jahren steigen.

Viele der heutigen Schwergewichte auf dem Markt haben binnen kürzester Zeit ein schwindelerregendes Wachs-tum hingelegt. Beispiel Airbnb: Weil sie sich die Miete für ihre WG in San Francisco nicht mehr leisten konnten, vermieteten Joe Gebbia und Brian Chesky 2007 ein leer-

Wie viel hat die Sharing Economy

eigent lich mit Teilen zu tun? Nichts,

sagen Kritiker, und halten ihr das

Modell genossen schaftlicher Platt -

formen entgegen.

„airbnb war gestern, geno ist morgen“

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stehendes Zimmer mit Matratzen an die

Besucher einer Designer-messe. Und waren einen Tag

später um 1.000 US-Dollar reicher. Eine Geschäftsidee war geboren.

Heute ist Airbnb ein weltweites Netzwerk, das mit 1,5 Millionen Einträgen in 34.000 Städten präsent ist. In acht Finanzierungsrunden ist es den Kaliforniern gelungen, 2,4 Milliarden US-Dollar an Risikokapital in ihre Kriegskasse zu spülen. Kriegskasse, weil das Geld auch dazu diente, schnell mal zehn Konkurrenten vom Markt wegzukaufen. Beispiel Uber, 2009 gegründet, ebenfalls in San Francisco. Die Idee: Autobesitzer bieten Reisenden

ihre Dienste als Fahrer an, ohne Taxiunternehmer zu sein. 12,5 Milliarden

US-Dollar war das Modell den mehr als 50 Investoren bis

heute wert und Basis für einen aggressiven Expansionskurs in

nahezu 70 Ländern weltweit.

Mit dem Erfolg wächst zugleich der Wider-stand gegen diese Sharing-Plattformen. Hotels wehren

sich gegen Airbnb, das mehr Betten vermittelt als Gigan-ten wie Best Western. Taxigesellschaften bangen um ihre Existenz und überziehen Uber mit Klagen, um dem Dienst den Garaus zu machen.

Kritiker sprechen bereits von der Uberisation der Sharing Economy. Denn das „Sharing“ in dem Begriff erweist sich als trügerisch. Jeremiah Owyang, Gründer des Beratungsunternehmens Crowd Companies und ehemals Analyst bei Forrester, rechnete auf einer Fachtagung im vergangenen Jahr vor, dass die Start-ups, die mit der Idee vom Teilen Furore machen, tatsächlich in der Hand der berühmten ein Prozent seien – also der Investoren.

Die Konsequenz: „Sie können gar nicht anders, als rendite-getrieben zu handeln“, bringt es Thomas Dönnebrink auf den Punkt. Schneller Börsengang, möglichst Monopolstel-lung, maximaler ROI – darum gehe es. Die Leidtragenden seien in der Regel die tatsächlichen Dienstleister. „Men-schen wie Du und ich, die für ihre Services manchmal nicht mehr als ein Taschengeld bekommen, während die Betreiber Millionen für Provisionen einstreichen.“

„capitalism on steroids“Andere Beobachter drücken sich noch schärfer aus. Douglas Rushkoff, Medienwissenschaftler und Bestseller-autor aus New York, geißelt die Entwicklung als „capitalism on steroids“. Ähnlich Sascha Lobo, Deutschlands Vorzei-ge-Digitalexperte: Er sieht in der neuen Ökonomie des Tei-les schlichtweg nicht anderes als „Plattform-Kapitalismus“.War es das also? Ist damit eine gute Idee unwiderruflich in den Sog der Profitmaximierung geraten und somit ge-

scheitert? Nein, sagen die Gegner dieses Trends, und halten

mit einem eigenen

„Was oft als Sharing Economy bezeichnet wird, ist

in Wirklichkeit ein euphemistisch be-nannter Aspekt einer neuen digitalen Wirt-

schaftsordnung: des Plattform-Kapitalismus. (Er) verändert den Arbeitsbegriff, die Grauzone zwischen privater Hilfe und Schwarzarbeit, das Verständnis und die Regelung von Monopolen.“

Sascha Lobo, Blogger, Buchautor und Journalist

(Quelle: „Spiegel Online“)

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Modell dagegen. So zum Beispiel Neal Gorenflo, Heraus-geber des „Shareable Magazin“: Für ihn gibt es nur einen Weg, um die „Todesstern-Plattformen“, wie er sie nennt, in die Knie zu zwingen – „Plattform-Kooperativen“, die sich als digitale Ökosysteme organisieren und den Profit nicht konzentrieren, sondern verteilen.

Und in der Tat: Längst hat das Modell die Schreibstuben der Redaktionen verlassen und als neue Bewegung seinen Siegeszug rund um den Globus angetreten. Angefangen bei der Platform Cooperativism Conference im November 2015, schließen sich weltweit immer mehr Programmie-rer, Forscher und Unternehmer zu sogenannten Platform Coops zusammen, auch in Deutschland wie etwa in Berlin. Ihr gemeinsames Credo: Besitzen ist das neue Teilen, wie es einer der geistigen Väter formuliert hat, der US-Journalist Nathan Schneider.

Kein Wunder, dass die Start-ups, die aus dieser Bewe-gung hervorgehen, sich in erster Linie einer bestimmten Organisationsform verschreiben: der Genossenschaft. „Wenn Betreiber, Dienstleister und Nutzer gemeinsam an einer Plattform verdienen – das macht aus der Sharing Economy echte kollaborative Ökonomie“, stellt Thomas Dönnebrink wie aus dem Lehrbuch fest. Und fügt gleich plakativ hinzu: „Oder anders gesagt: Airbnb war gestern, Geno-Plattformen sind morgen.“

„joker im ärmel“

Für Thomas Dönnebrink, 48, liegt die Zukunft der

Sharing Economy bei genossenschaftlichen Plattformen.

Wir wollten wissen, welche Rolle für ihn dabei die

Volksbanken Raiffeisenbanken spielen werden.

think.bank: Herr Dönnebrink, was prädestiniert die Genossenschaftsbanken für die Plattform-Ökonomie?Thomas Dönnebrink: Sie haben zwei Joker im Ärmel: Millionen von Mitgliedern und Milliarden an Kapital. Was vielfach noch fehlt, ist das Bewusstsein für dieses Poten-zial und der Wille einzusteigen.

„Für mich sind die Volksbanken Raif-

feisenbanken mehr als nur Geldinstitute. Sie können und sollten Gemeinschaft

schaffen und Sinn stiften.“

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think.bank: Aber Masse allein macht es doch nicht aus, oder?Thomas Dönnebrink: Richtig, es gibt noch zwei wesentli-che Aspekte, die den Genossenschaften Vorteile verschaf-fen: Das ist zum einen die gute Reputation dieses Modells in der Gesellschaft, nicht nur auf die Banken bezogen. Zum anderen stehen Genossenschaften neben ihren

ökonomischen Zielen für Werte, die den Menschen wieder wichtig sind – allen voran das Vertrauen,

aber auch Nähe zu den Menschen und Tradition. Dafür steht schon allein das Mitgliedermodell.

Heute sagt man: Owning is the new Sharing – das ist klassisches Genossenschaftsdenken.

Für mich sind die Volksbanken Raiffeisen-banken deshalb mehr als nur Geldinstitute. Sie können und sollten Gemeinschaft

schaffen und Sinn stiften.

think.bank: Werden diese Werte bei den Banken noch ausreichend gelebt?Thomas Dönnebrink: Gelebt werden sie mit Sicherheit, aber die Banken sollten sich noch stärker auf ihre Ursprungsidee besinnen, dass viele mehr schaffen als einzelne. Hier sehe ich die beste Chance, sich von den Groß- und Direktbanken deutlich abzugrenzen.

think.bank: In welche Richtung müssten sich die Geschäftsmodelle der Banken ändern?Thomas Dönnebrink: In Zeiten der Transformation, nicht nur der digitalen, muss man radikal denken und experimentieren. Disruption ist ein vielfach verwende-tes Schlagwort hierbei. Auch wenn der Tanker vielleicht zunächst weiterfährt und das bestehende Kerngeschäft noch läuft, müssen kleine Versuchs-Schnellboote ausschwärmen, die umliegenden Gewässer erkunden und Infos zu nötigen Kursänderungen an den Tanker zurückfunken.

think.bank: Davor schrecken viele Unternehmen auch in anderen Branchen zurück …Thomas Dönnebrink: Transformation kann ja auch eine behutsame Weiterentwicklung sein – diese Vorstellung macht vielen vielleicht weniger Angst. Ehe ich sehenden Auges gegen die Wand fahre, reiße ich doch lieber das Lenkrad herum, oder? Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.“ Heute gilt eher der Satz: „Wer keine Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Oder gleich zum Konkursverwalter.

think.bank: Harte Worte!Thomas Dönnebrink: Im Ernst: Zu radikalem Umdenken gehört nicht nur, Gefahren zu sehen und abzuschätzen, sondern auch die vielen Möglichkeiten, sich seiner Assets

bewusst zu werden und eine neue Perspektive einzuneh-men. Da kann es schnell zu überraschenden Erkenntnis-sen und Ideen kommen, die echte Chancen zeigen.

think.bank: In Plattform-Kooperativen müssten die Banken zumindest teilweise Kontrolle über den Geldmarkt abgeben – halten Sie das für realistisch?Thomas Dönnebrink: Die Frage ist doch, was ich ge-winne, wenn ich die Zügel auf der Basis auslaufender Geschäftsmodelle in der Hand behalte, anstatt mich neu zu erfinden. Meines Wissens befand sich nicht ein einziger Kutschenbauer unter den ersten Herstellern des Automobils. Dabei hätten sie ihr Kerngeschäft – den Transport von Menschen – einfach der neuen Technologie anpassen müssen. Und wer spricht bei digitaler Fotografie von Kodak?

think.bank: Wo sehen Sie bei den Genossenschaftsban-ken heute schon sinnvolle Ansätze?Thomas Dönnebrink: Es gibt ja beispielsweise bereits rund 100 Volksbanken Raiffeisenbanken mit eigenen Crowdfun-ding-Portalen. Da zeigt sich für mich die Rückkehr zur ge-meinschaftliche Finanzierung von sozialen oder wirtschaft-lichen Aktivitäten vor Ort. Oder nehmen Sie die Volksbank Kitzingen eG: Die hat unter dem Motto „Meine Volksbank gehört mir“ ihr Geschäftsmodell komplett umgepolt und arbeitet ab 2017 nur noch mit Mitgliedern zusammen.

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bnbn oder Uber setzten, die ihre Macht durch vertikale Vernetzung ausbauen.

think.bank: Und was wird aus der guten alten stationä-ren Geschäftsstelle?Thomas Dönnebrink: Das kommt darauf an, was dort dem Kunden in Zukunft geboten wird. Die Vernetzung in einem digitalen Ökosystem ist ja nur ein Teilaspekt für die Rolle der Banken in den kommenden Jahren. Wichtig ist, dass sie sich in ihrer Region als „neuronale Knotenpunkte“ in einem Kreislauf des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens sehen. Die Filiale ist dann sicher mehr als Geldautomat und Schalter – sie ist ein Stützpunkt, eine Anlaufstelle für ganz unterschiedliche Lebensbedürfnisse der Menschen. Ob diese Anlaufstelle dann allerdings noch Filiale heißt, ist die Frage.

Thomas Dönnebrink, 48, lebt in Ber-lin und gehört zu den Pionieren beim Thema Plattform-Kooperativen. Er berät Unternehmen und hält Vor träge sowie Workshops zur kollaborativen Ökonomie. Darüber hinaus gehört Dönnebrink dem Think Tank OuiShare sowie der Initiative Platform Coop an, zwei internationalen Netzwerken aus Vordenkern und Gleichgesinnten, die Modelle und Szenarien für die digitalen Ökosysteme von morgen entwerfen.

ouishare.net

platformcoop.net

think.bank: Wie real ist die Gefahr, dass die Kunden der Genossenschaftsban-

ken auf andere Plattformen abwandern?Thomas Dönnebrink: Wenn die einzigen Unterscheidungskriterien Preise und Zinsen

oder ausschließlich finanzielle Anreize sind, dann kann das sehr schnell gehen. In einem digitalen Ökosystem zählen auch nicht- finanzielle und nicht-kommerzielle Aspekte

wie Verbundenheit, Gemeinschaft oder Sinnhaftigkeit. Die spielen für die Menschen heutzutage ja auch eine immer wichtigere Rolle.

think.bank: Wie sähe ein Masterplan für Plattform- Kooperativen von Genossenschaftsbanken aus?Thomas Dönnebrink: Dafür ist es fast noch ein wenig früh, aber je eher sich Banken hierzu Gedanken machen desto besser. Interessant scheint mir folgender Ansatz: Kooperationsplattformen, die von den Banken als „Facility Manager“ gefördert oder betrieben werden und lokale Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft zusammenbringen. Gerade die regionale Nähe zu ihren Partnern können die Banken hier als Mehrwert aus-spielen – ihre Plattformen müssten horizontal vernetzt sein, das heißt, eine breite Basis von Teilnehmern in ihrem Ort oder ihrer Region haben. Dies würde ein echtes Gegengewicht zu den großen Playern wie Air-