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Geschichte Stand: Januar 2006 © 2006 Schroedel, Braunschweig Weit mehr als ein Stück Pergament Schon im 17. Jahrhundert erzählte man sich die Geschich- te von einem Engländer, der eigens zur Besichtigung der Goldenen Bulle nach Frankfurt reiste. Wie enttäuscht aber war er, als er statt des erwarteten goldenen Stiers nur ein Pergamentheft mit goldenem Siegel zu sehen bekam! Doch das eher unscheinbare Büchlein war von grundlegender Bedeutung für Reich und Stadt. Denn auf seinen 44 Blättern war das 1356 erlassene Reichsgesetz über die Königswahl festgeschrieben. Im nächsten Jahr feiert die Goldene Bulle Jubiläum. Es ist dann genau 650 Jahre her, dass Kaiser Karl IV. sie als eines der „Grundgesetze“ des Alten Reiches erschuf. Kurz nach seiner Krönung in Rom am 5. April 1355 hatte der neue Herrscher beschlossen, die Frage der deutschen Königs- wahl prinzipiell zu regeln. Er verhandelte deswegen mit den Kurfürsten auf zwei Hoftagen in Nürnberg und Metz. Die Ergebnisse beider Hoftage wurden in der Goldenen Bulle zusammengefasst. Die Goldene Bulle regelte die Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten nach dem Mehrheitsprinzip. Zum Wahlort wurde Frankfurt, zur Krönungsstätte – noch – Aachen bestimmt, und seinen ersten Reichstag sollte der neue König in Nürnberg abhalten. Die Wichtigkeit des neuen Gesetzes wurde besonders feierlich besiegelt mit einer goldenen Bulle (von lat. „bulla“ = Metallsiegel), die an Stelle des sonst üblichen Wachssiegels verwendet wurde. Um 1400 ging die Siegelbezeichnung auf die gesamte Urkunde über. (nach: http://www.damals.de/sixcms/detail.php?id=169282 vom 18. Dezember 2005) Inhalte, Hintergründe und Folgen A Die Reichsfürsten strebten danach, ihre Macht auf Kosten des Reiches zu vergrößern. B Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert war es immer wieder zu Doppelwahlen oder der Wahl eines Gegenkönigs und in deren Folge zu politischen Auseinandersetzungen gekommen. C Sieben Kurfürsten erhielten das Recht, den König mit Mehrheit zu wählen: die drei geistlichen Fürsten, die Erzbi- schöfe von Mainz, Köln und Trier; und drei weltliche Fürs- ten: der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen. D Die Kurfürsten erklärten bereits 1338, der von ihnen gewählte König bedürfe der päpstlichen Bestätigung nicht mehr. Damit verlor der Papst seinen Einfluss auf die deut- sche Königswahl. E Die Kurlande (Herrschaftsgebiete der weltlichen Kurfürs- ten) werden ungeteilt an die Erstgeborenen vererbt. F Um bei der Königswahl eine Erbmonarchie zu vermei- den, waren die Kurfürsten schon im 13. Jahrhundert vom dynastischen Prinzip – also von der Wahl eines Mitglieds der herrschenden Dynastie – zu so genannten „springen- den Wahlen“ übergegangen. Damit gehörte praktisch jeder Reichsfürst zu den möglichen Thronkandidaten. G Während sich in den französischen und englischen Monarchien das Erbkönigtum durchsetzte, entwickelte sich in Deutschland das Wahlkönigtum. H Gab es mehrere Kandidaten, wählten die Fürsten nicht selten den schwächsten zum König, um ihre eigene Macht so wenig wie möglich zu beschränken. I Die Anwärter auf den Thron mussten sich die Wahl durch umfangreiche Zugeständnisse erkaufen, etwa mit der Ver- leihung von Privilegien an die Kurfürsten. J Den Kurfürsten wurden besondere Vorrechte (unbe- schränkte Gerichtsbarkeit, Berg-, Salz-, Münz- und Zoll- regal, Judenschutz u. a.) zuerkannt. M2 M1 1. Erklären Sie, weshalb die Goldene Bulle als „Grundgesetz des Alten Reiches“ gilt (M1). 2. In M2 sind ungeordnet Informationen rund um die Goldene Bulle zusammengestellt. Klären Sie jeweils, ob es sich um eine Information zu den Hintergründen für das Zustandekommen der Goldenen Bulle, zu ihrem Inhalt oder zu den Folgen handelt. 3. Beurteilen Sie: Wer hatte Vorteile, wer Nachteile von diesem Reichsgesetz? 4. Erörtern Sie langfristige Auswirkungen der Goldenen Bulle für die Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches. Goldene Bulle – „Grundgesetz des Reiches“

Goldene Bulle

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Weit mehr als ein Stück Pergament

Schon im 17. Jahrhundert erzählte man sich die Geschich-te von einem Engländer, der eigens zur Besichtigung der Goldenen Bulle nach Frankfurt reiste. Wie enttäuscht aber war er, als er statt des erwarteten goldenen Stiers nur ein Pergamentheft mit goldenem Siegel zu sehen bekam! Doch das eher unscheinbare Büchlein war von grundlegender Bedeutung für Reich und Stadt. Denn auf seinen 44 Blättern war das 1356 erlassene Reichsgesetz über die Königswahl festgeschrieben.Im nächsten Jahr feiert die Goldene Bulle Jubiläum. Es ist dann genau 650 Jahre her, dass Kaiser Karl IV. sie als eines der „Grundgesetze“ des Alten Reiches erschuf. Kurz nach seiner Krönung in Rom am 5. April 1355 hatte der neue Herrscher beschlossen, die Frage der deutschen Königs-wahl prinzipiell zu regeln. Er verhandelte deswegen mit den Kurfürsten auf zwei Hoftagen in Nürnberg und Metz. Die Ergebnisse beider Hoftage wurden in der Goldenen Bulle zusammengefasst.Die Goldene Bulle regelte die Wahl des deutschen Königs durch die sieben Kurfürsten nach dem Mehrheitsprinzip. Zum Wahlort wurde Frankfurt, zur Krönungsstätte – noch – Aachen bestimmt, und seinen ersten Reichstag sollte der neue König in Nürnberg abhalten. Die Wichtigkeit des neuen Gesetzes wurde besonders feierlich besiegelt mit einer goldenen Bulle (von lat. „bulla“ = Metallsiegel), die an Stelle des sonst üblichen Wachssiegels verwendet wurde. Um 1400 ging die Siegelbezeichnung auf die gesamte Urkunde über.(nach: http://www.damals.de/sixcms/detail.php?id=169282 vom 18. Dezember 2005)

Inhalte, Hintergründe und Folgen

A Die Reichsfürsten strebten danach, ihre Macht auf Kosten des Reiches zu vergrößern.

B Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert war es immer wieder zu Doppelwahlen oder der Wahl eines Gegenkönigs und in deren Folge zu politischen Auseinandersetzungen gekommen.

C Sieben Kurfürsten erhielten das Recht, den König mit Mehrheit zu wählen: die drei geistlichen Fürsten, die Erzbi-schöfe von Mainz, Köln und Trier; und drei weltliche Fürs-ten: der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der König von Böhmen. D Die Kurfürsten erklärten bereits 1338, der von ihnen gewählte König bedürfe der päpstlichen Bestätigung nicht mehr. Damit verlor der Papst seinen Einfluss auf die deut-sche Königswahl.

E Die Kurlande (Herrschaftsgebiete der weltlichen Kurfürs-ten) werden ungeteilt an die Erstgeborenen vererbt.

F Um bei der Königswahl eine Erbmonarchie zu vermei-den, waren die Kurfürsten schon im 13. Jahrhundert vom dynastischen Prinzip – also von der Wahl eines Mitglieds der herrschenden Dynastie – zu so genannten „springen-den Wahlen“ übergegangen. Damit gehörte praktisch jeder Reichsfürst zu den möglichen Thronkandidaten. G Während sich in den französischen und englischen Monarchien das Erbkönigtum durchsetzte, entwickelte sich in Deutschland das Wahlkönigtum.

H Gab es mehrere Kandidaten, wählten die Fürsten nicht selten den schwächsten zum König, um ihre eigene Macht so wenig wie möglich zu beschränken.

I Die Anwärter auf den Thron mussten sich die Wahl durch umfangreiche Zugeständnisse erkaufen, etwa mit der Ver-leihung von Privilegien an die Kurfürsten.

J Den Kurfürsten wurden besondere Vorrechte (unbe-schränkte Gerichtsbarkeit, Berg-, Salz-, Münz- und Zoll-regal, Judenschutz u. a.) zuerkannt.

M2

M1

1. Erklären Sie, weshalb die Goldene Bulle als „Grundgesetz des Alten Reiches“ gilt (M1).2. In M2 sind ungeordnet Informationen rund um die Goldene Bulle zusammengestellt. Klären Sie jeweils,

ob es sich um eine Information zu den Hintergründen für das Zustandekommen der Goldenen Bulle, zu ihrem Inhalt oder zu den Folgen handelt.

3. Beurteilen Sie: Wer hatte Vorteile, wer Nachteile von diesem Reichsgesetz?4. Erörtern Sie langfristige Auswirkungen der Goldenen Bulle für die Entwicklung des Heiligen Römischen

Reiches.

Goldene Bulle – „Grundgesetz des Reiches“

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Lösungsblatt

dene Bulle und welche Bedeutung hatte sie? Beide Fra-gen können mithilfe des Textes M1 beantwortet werden. Die Begriffsklärung wird anschaulich unterstützt durch die Abbildung, auf der das Pergament mit Gesetzestext und dem goldenen Siegel dargestellt ist. Die Bedeutung als „Grundgesetz“ des Alten Reiches lässt sich ebenfalls mithilfe der Angaben zum Inhalt des Geset-zestextes aus M1 kennzeichnen. Um die Rolle des Grund-gesetzes zu klären, sind Parallelen zu unserem Grundgesetz hilfreich, z. B. der Hinweis, dass das Grundgesetz die Regie-rungsbildung von den Bundestagswahlen bis zur Kanzler-wahl regelt.M2 dagegen dient dazu, neben weiteren Inhalten der Gol-denen Bulle vor allem die Hintergründe ihrer Entstehung und die langfristige Folgen zu erarbeiten. Hier sind verschie-denartige Informationen rund um die Goldene Bulle zusam-mengestellt. Die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler ist es, die entsprechende Art der Information zu erkennen. Indem sie ihre Zuordnung zu einer Kategorie (Inhalt, Hinter-grund, Folge) begründen, müssen sie ihre bisherigen Kennt-nisse über die Goldene Bulle verwenden.

Lösungshinweise zum Arbeitsblatt

Aufgabe 1: Die Goldene Bulle legte fest, auf welche Weise der König gewählt werden sollte und regelte die Machtver-teilung zwischen König und Fürsten. Sie schuf somit den rechtlichen Rahmen für die Entwicklung des Alten Reiches bis zu seinem Ende im Jahr 1806. Es kann daher wohl – wie in Text M1 – als „Grundgesetz“ des Alten Reiches bezeich-net werden.Aufgabe 2: Die Aufgabe lässt sich nur mithilfe des Vor-wissens aus M1 und logischem Kombinationsvermögen lösen, idealerweise auch in der Gruppe, wo Vermutungen, Lösungsvorschläge und Thesen freier geäußert und disku-tiert werden können als im Plenum.Die Lösung – ohne jeweilige Begründung – lautet: Informationen zum Inhalt: C, E, JInformationen zu den Hintergründen: A, B, D, FInformationen zu den Folgen: G, H, IAufgabe 3: Abgesehen davon, dass die Wahl des Königs rechtlich gesichert war, weil es aufgrund des Mehrheits-prinzips nicht mehr zu Doppelwahlen kommen konnte, waren die „Gewinner“ der Goldenen Bulle die Kurfürsten: Sie bekamen neben den Vorrechten, die ihnen zugestan-den wurden, durch den Wahlmodus Einfluss auf den König, dem sie für seine Wahl weitere Zugeständnisse abverlangen konnten.Aufgabe 4: Das Erstarken der Fürsten schwächte das Reich als Ganzes und erschwerte langfristig die Nationsbildung.

Weiterführende Links

Informationen zur Goldenen Bulle finden Sie unter:http://de.wikipedia.org/wiki/Goldene_Bulle

Allgemeine Hinweise

Die Goldene Bulle von 1356, benannt nach dem in der königlichen Kanzlei verwendeten goldenen Siegel, gilt als das bedeutendste Reichsgesetz des Heiligen Römischen Reiches. Es regelt erstmals und endgültig die Modalitäten der Königswahl und die Rechtsstellung der Kurfürsten, wobei die Festlegung des Mehrheitsprinzips bei der Wahl des Königs künftige Doppelwahlen verhindern sollte. Um Rechtsunsicherheiten auszuschalten, wurde endgültig ent-schieden, welchen Fürsten die Kurwürde zufallen sollte: Den Erzbischöfen von Mainz, Köln und Trier, dem König von Böhmen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg. Außerdem wurden die Unteilbarkeit der kurfürstlichen Ter-ritorien und das Prinzip der Erstgeburt bei der Nachfolge in den Kurfürstentümern festgelegt. Die territoriale Stabilisie-rung der Kurfürstentümer und der Einfluss der Kurfürsten auf die Königswahl und damit auf den König selbst führten in der Folge ebenso zu einem Machtzuwachs der Fürsten, wie die zahlreichen Vorrechte und Privilegien, die ihnen durch die Goldene Bulle eingeräumt wurden, und wie die unbeschränkte Gerichtsbarkeit, Berg-, Salz-, Münz- und Zollregal, Judenschutz etc. zeigen. Im Sinne der Kurfürsten und der anderen Landesherren war es z. B. auch, dass alle Bündnisse zwischen den Städten untersagt wurden. Inso-fern bildete die Goldene Bulle eine wesentliche Grundlage für das Erstarken der Landesherrschaften gegenüber dem Reich und den Städten. Auf lange Sicht führte dies dazu, dass sich die Staatenbildung in Deutschland – im Gegensatz zu Frankreich und England – in den Territorien vollzog und sich die Nationsbildung Deutschlands verzögerte.Viele Bestimmungen der Goldenen Bulle schufen indes keine neue Rechtslage. Vielmehr wurden Regelungen wie etwa zur Königswahl, die sich bereits seit dem 13. Jahrhun-dert durchgesetzt hatten, für die Folgezeit festgeschrieben. So waren beispielsweise die Ansprüche des Papsttums auf die Zustimmung zur Königswahl schon 1338 von den Fürs-ten zurückgewiesen worden.

Didaktische und methodische Hinweise

Das 650-jährige Jubiläum der Goldenen Bulle ist ein Anlass, das Gesetzeswerk in seiner Bedeutung für die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches zu würdigen. Das Thema kann darüber hinaus gut als Ausgangspunkt dienen, um die politischen Herrschaftsstrukturen des Reiches (Landes-herrschaft und Reich) insgesamt zu thematisieren oder zu wiederholen. In einer weiteren Perspektive kann der mit der Goldenen Bulle verbundene Machtzuwachs der Territori-en gegenüber dem Reich auch im Zusammenhang mit der frühmodernen Staatsbildung angesprochen werden.Das Material zur Goldenen Bulle, dass auf dem Arbeitsblatt zusammengestellt ist, legt folgende Schritte der Erarbeitung nahe: Am Beginn steht die Klärung der Fragen: Was war die Gol-

Goldene Bulle – „Grundgesetz des Reiches“