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Tel.: 030 300 65-0 Fax: 030 300 65-390 www.familienunternehmer.eu E-Mail: [email protected] KOMMENTAR AUS BERLIN Berlin, 23. Februar 2011 DIE FAMILIENUNTERNEHMER – ASU e.V. Prof. Dr. Gerd Habermann Charlottenstraße 24 10117 Berlin Was von der Vertragsfreiheit übrig blieb ... Das Wesen einer freien Gesellschaft besteht darin, dass jeder sein Leben gemäß dem Prinzip der Vertragsfreiheit entsprechend seinen Interessen und Meinungen gestalten kann. Er wird so zum schöpferischen Architekten seines Lebens, zum Schmied seines Glücks oder Unglücks. Dagegen steht das Zwangs- oder Gewaltprinzip, das Jedermann „von oben“ einen bestimmten Status zuweist. Unser fortschreitender sozialer Bevormundungsstaat ersetzt die Vertragsfrei- heit des selbstbestimmten Individuums durch autoritäre Zwangsregelungen. Einige Beispiele: Im Kernbereich der persönlichen Lebensvorsorge (gegen die normalen Ein- kommensrisiken durch Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter etc.) ist die Vertragsfreiheit für über 90 Prozent der Bürger ausgeschaltet. Reste davon genießen noch die „Selbständigen“ (dies ist, nebenbei, ein Verstoß gegen die Rechtsgleichheit!). Fast jeder Deutsche muss sich heute solcher staatlicher Zwangsvorsorgeschemata bedienen. Ferner: Der freie Arbeitsvertrag ist für die meisten seit langem perdu: das deutsche Sonder-Arbeitsrecht gehört zu den ausge- feiltesten der Welt (Tarifzwänge, Mindestlöhne, Zwangsbestimmungen bei Beginn und Auflö- sung eines Arbeitsverhältnisses, gruppenbezogene Sonderrechte, „Antidiskriminierungsge- setze“ u. a.). Ähnlich ist es im regulierten Mietrecht. Dann das expandierende Verbraucher- schutzrecht. Der angeblich souveräne Konsument wird hier umfassend gegen sich selber ge- schützt (z. B. unabdingbare einseitige Rücktrittsrechte auch nach freiem Vertragsabschluss ...). Hinzu kommen die gewerberechtlichen Zwänge, von der Handwerksordnung bis zu den La- denschlussgesetzen. Der zunehmende Staatsfeminismus arbeitet mit gesetzlichen Zwangs- quoten bei der Einstellung von Frauen (Abschaffung auch des Grundsatzes der Rechtsgleich- heit). Dann der Schulzwang: eine weitgehende Einschränkung der Elterninitiative, im Unter- schied zum Ausland ein Verbot des alternativen privaten Hausunterrichts. Selbst der freie Ehe- vertrag ist weitgehend durch Richterrecht fremdbestimmt. Bemerkenswert ist der geringe Widerstand gegen diese reaktionäre Entwicklung – geht es hier doch von der freien Vertragsgesellschaft zurück zur zuweisenden Statusgesellschaft des Abso- lutismus! Kann man wohl, fragt der Passauer Rechtsprofessor Johann Braun zu Recht, eigent- lich noch von einem politisch mündigen Bürger ausgehen, wenn er sich als Träger der Ver- tragsfreiheit dermaßen entmündigen lässt? Es könnte dahin kommen, dass die Demokratie die mündigen Akteure, die sie voraussetzt, nicht mehr vorfindet. Was ist von einem Bürger zu er- warten, der in den großen politischen Angelegenheiten (noch) mitbestimmen kann, aber seine eigenen, ihn unmittelbar betreffenden Angelegenheiten nicht mehr autonom regeln darf? Der berühmte Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering bemerkte um 1900, als diese Entwicklung begann: „Privatrecht, nicht das Staatsrecht ist die wahre Schule der politischen Erziehung der Völker. Und will man wissen, wie ein Volk erforderlichenfalls seine politischen Rechte und seine völkerrechtliche Stellung verteidigen wird, so sehe man, wie das einzelne Mitglied im Privatle- ben sein eigenes Recht behauptet“. Es lohnt sich, über dieses Zitat nachzudenken – oder erst einmal überhaupt diese demokratie- und freiheitsfeindliche Entwicklung und ihre langfristigen Konsequenzen für den Geist der Initiative, den Bürgersinn und das bürgerliche Selbstbewusst- sein zu bemerken. 2/2011

Vertragsfreiheit (2)

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KOMMENTAR AUS BERLIN

Berlin, 23. Februar 2011

DIE FAMILIENUNTERNEHMER – ASU e.V. Prof. Dr. Gerd Habermann Charlottenstraße 24 10117 Berlin

Was von der Vertragsfreiheit übrig blieb ... Das Wesen einer freien Gesellschaft besteht darin, dass jeder sein Leben gemäß dem Prinzip der Vertragsfreiheit entsprechend seinen Interessen und Meinungen gestalten kann. Er wird so zum schöpferischen Architekten seines Lebens, zum Schmied seines Glücks oder Unglücks. Dagegen steht das Zwangs- oder Gewaltprinzip, das Jedermann „von oben“ einen bestimmten Status zuweist. Unser fortschreitender sozialer Bevormundungsstaat ersetzt die Vertragsfrei-heit des selbstbestimmten Individuums durch autoritäre Zwangsregelungen. Einige Beispiele: Im Kernbereich der persönlichen Lebensvorsorge (gegen die normalen Ein-kommensrisiken durch Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter etc.) ist die Vertragsfreiheit für über 90 Prozent der Bürger ausgeschaltet. Reste davon genießen noch die „Selbständigen“ (dies ist, nebenbei, ein Verstoß gegen die Rechtsgleichheit!). Fast jeder Deutsche muss sich heute solcher staatlicher Zwangsvorsorgeschemata bedienen. Ferner: Der freie Arbeitsvertrag ist für die meisten seit langem perdu: das deutsche Sonder-Arbeitsrecht gehört zu den ausge-feiltesten der Welt (Tarifzwänge, Mindestlöhne, Zwangsbestimmungen bei Beginn und Auflö-sung eines Arbeitsverhältnisses, gruppenbezogene Sonderrechte, „Antidiskriminierungsge-setze“ u. a.). Ähnlich ist es im regulierten Mietrecht. Dann das expandierende Verbraucher-schutzrecht. Der angeblich souveräne Konsument wird hier umfassend gegen sich selber ge-schützt (z. B. unabdingbare einseitige Rücktrittsrechte auch nach freiem Vertragsabschluss ...). Hinzu kommen die gewerberechtlichen Zwänge, von der Handwerksordnung bis zu den La-denschlussgesetzen. Der zunehmende Staatsfeminismus arbeitet mit gesetzlichen Zwangs-quoten bei der Einstellung von Frauen (Abschaffung auch des Grundsatzes der Rechtsgleich-heit). Dann der Schulzwang: eine weitgehende Einschränkung der Elterninitiative, im Unter-schied zum Ausland ein Verbot des alternativen privaten Hausunterrichts. Selbst der freie Ehe-vertrag ist weitgehend durch Richterrecht fremdbestimmt. Bemerkenswert ist der geringe Widerstand gegen diese reaktionäre Entwicklung – geht es hier doch von der freien Vertragsgesellschaft zurück zur zuweisenden Statusgesellschaft des Abso-lutismus! Kann man wohl, fragt der Passauer Rechtsprofessor Johann Braun zu Recht, eigent-lich noch von einem politisch mündigen Bürger ausgehen, wenn er sich als Träger der Ver-tragsfreiheit dermaßen entmündigen lässt? Es könnte dahin kommen, dass die Demokratie die mündigen Akteure, die sie voraussetzt, nicht mehr vorfindet. Was ist von einem Bürger zu er-warten, der in den großen politischen Angelegenheiten (noch) mitbestimmen kann, aber seine eigenen, ihn unmittelbar betreffenden Angelegenheiten nicht mehr autonom regeln darf? Der berühmte Rechtswissenschaftler Rudolf von Jhering bemerkte um 1900, als diese Entwicklung begann: „Privatrecht, nicht das Staatsrecht ist die wahre Schule der politischen Erziehung der Völker. Und will man wissen, wie ein Volk erforderlichenfalls seine politischen Rechte und seine völkerrechtliche Stellung verteidigen wird, so sehe man, wie das einzelne Mitglied im Privatle-ben sein eigenes Recht behauptet“. Es lohnt sich, über dieses Zitat nachzudenken – oder erst einmal überhaupt diese demokratie- und freiheitsfeindliche Entwicklung und ihre langfristigen Konsequenzen für den Geist der Initiative, den Bürgersinn und das bürgerliche Selbstbewusst-sein zu bemerken.

2/2011