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Arbeit im E-Business
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 1
Impressum
Herausgeber
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Referat Publikationen; Internetredaktion
11055 Berlin
Bestellungen
schriftlich an den Herausgeber
Postfach 30 02 35
53182 Bonn
oder per
Tel.: 01805 - 262 302
Fax: 01805 - 262 303 (0,12 Euro/Min.)
E-Mail: books@bmbf.bund.de
Internet: http://www.bmbf.de
Redaktion
Ursula Meyer, Claudius H. Riegler,
Projektträger im DLR, Projektträger für das BMBF,
„Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen“
Autor
Verantwortlich für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren.
Gestaltung
Heimbüchel PR, Köln/Berlin
Druckerei
Buch- und Offset-Druckerei GmbH Richard Thierbach, Mühlheim an der Ruhr
Bonn, Berlin 2004
Gedruckt auf Recyclingpapier
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 2
Arbeit im E-Business
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 3
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3INHALT Arbeit im E-Business
Inhalt
Die Entwicklung des Förderschwerpunkts „Arbeit im E-Business“ 5
Klaus Wegner, Claudius H. Riegler, Pojektträger im DLR, Projektträger für das BMBF, „Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen“, Bonn
Kurzfassungen im Überblick 7
1 Lern- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung und Unternehmensorganisation in KMU
1.1 E-Business - Katalysator der Organisationsentwicklung in (kleinen) Unternehmen 11
Wolfram Risch, Michael Uhlmann, ATB Arbeit, Technik und Bildung GmbH, Chemnitz
1.2 Ein Referenzmodell zur menschengerechten Gestaltung der Arbeit im E-Business 17
Christiane Potzner, Universität Kassel, Institut für Arbeitswissenschaft
1.3 „Den Menschen mitnehmen“. Gestaltung von Geschäftsprozessen, Arbeitsvorgängen und Kommunikation im E-Business 21
Christoph Rövekamp, Nicole Zillien, Stefan Zühlke, Competence Center E-Business der Universität Trier
1.4 Förderung von Akzeptanz und Motivation im Rahmen von E-Business-Projekten 26
Claudia Brasse, Prospektiv GmbH, Dortmund
Jochen Schuchardt, ExperTeam TA Telearbeit GmbH, Köln
1.5 Neue Arbeitsprozesse durch E-Business in Handwerk und Industrie 31
Andreas Rönnau, Lutz Fischer, Zukunftswerkstatt e. V. der Handwerkskammer Hamburg
1.6 Regionalbezug innovativer Dienstleistungen: Mit Change Management zum Erfolg im E-Business 34
Sie Liong Thio, Britta Oertel, IZT gGmbH, Berlin
Thomas Feil, Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut für Fremdenverkehr, Berlin
2 Technische und organisatorische Unterstützung der Personalentwicklung und Kooperation
2.1 E-Business als Anstoß zum Strategieentwurf und zur unternehmensübergreifenden Produktentwicklung in der Gießereiindustrie 39
Jürgen Schultze, Kathrin Manthei, Sozialforschungsstelle Dortmund Landesinstitut
2.2 Entwicklung einer Kommunikationsplattform zur Unterstützung der Auftragsabwicklung 41
Claus Aumund-Kopp, BIBA, Universität Bremen
2.3 Partizipation bei der Einführung von E-Procurement: Wie werden die Interessen und 45
Erfahrungen der Mitarbeiter berücksichtigt?
Markus Hertwig, Gernot Mühge, Hellen Tackenberg, Lehrstuhl für Organisationssoziologie
und Mitbestimmungsforschung der Ruhr-Universität Bochum
2.4 Unterstützung der Personalarbeit beim Change Management in E-Business-Projekten 48
Peter Berger, Andrea Berger-Klein, Detlef Krüger, Heike M. Linhart,
Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg
2.5 Unterstützung des Verkäufers durch menschengerecht gestaltete Informationssysteme 53
Marco Atzberger, First Online-Shopping GmbH, Pulheim
2.6 Internetbasierte Information und Beratung zu Fragen der Arbeitswelt 58
Brigitte Duve, Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn
Berthold Iserloh, Universität Dortmund
2.7 Laufende Bewertung der E-Business-Projektentwicklung mittels einer „Projekt-Aktie“ 63
Jaime Uribe, Giuseppe Strina, Klaus Henning, Stefan Große-Kappenberg,
Institut für Unternehmenskybernetik e. V., Aachen
3 Arbeitsorientierte E-Business-Anwendungen in der Logistikwirtschaft
3.1 Der Socio-Technical Walkthrough (STWT): eine Methode zur Gestaltung sozio-technischer Systeme 69
Gabriele Kunau, Natalja Menold, Lothar Schöpe, Thomas Herrmann, Universität Dortmund
3.2 Unterstützung für Auslieferungsfahrer bei Kurier-, Express- und Paketdiensten 73
André Quadt, Patrick Wader, FIR - Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen
Dirk Rösler, IAW - Institut für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen
3.3 Chancen und Barrieren der elektronischen Vernetzungen in der Binnenschifffahrt 77
Dankwart Danckwerts, Universität Duisburg-Essen
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 3
5DIE ENTWICKLUNG DES FÖRDERSCHWERPUNKTS „ARBEIT IM E-BUSINESS“ Arbeit im E-Business
1. Die Zukunft der Arbeit im E-Business
In den Jahren 1998 bis 2000 konnte ein sprunghafter Anstieg
internetbasierter Geschäftsprozesse in europäischen Unterneh-
men festgestellt werden. In einer Mitteilung der Europäischen
Kommission an das Europaparlament vom November 2001 wird
unter Hinweis auf die Initiative „Helping SMEs Go Digital“1 be-
tont, es sei „wichtig, in europäischen Unternehmen das Wissen
über die Möglichkeiten zu verbreiten, die die IuK-Technologien
bieten“. Notwendig seien dafür eine von allen geteilte Vision und
eine langfristige Strategie zur Umsetzung der Programmatik des
Gipfels von Lissabon, Europa in den nächsten zehn Jahren zum
wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten
Wirtschaftsraum zu machen. Die „E-Dimension“ müsse systema-
tisch in alle europäischen Politikanstrengungen integriert werden.
Im Dokument einer Arbeitsgruppe der Europäischen
Kommission vom November 20022 wird demgegenüber hervor-
gehoben, dass kleine und mittlere Unternehmen nach wie vor
skeptisch gegenüber dem aktiven Gebrauch des Internets und
seiner Möglichkeiten seien. „Aus diesem Grunde besteht bei KMU
ein potenzieller Bedarf an einer besseren Bewusstwerdung der
möglichen Vorteile und Risiken, die sich auf tatsächliche Erfah-
rungen und auf dokumentierte Fälle stützen.“
Auch in dem 1999 veröffentlichten Aktionsprogramm der
Bundesregierung „Innovation und Arbeitsplätze in der Informa-
tionsgesellschaft des 21. Jahrhunderts“ wird betont, dass sich mit
der schnellen Verbreitung des Internets für Unternehmen Chan-
cen eröffnen, im E-Business bisher nicht mögliche Produktivitäts-
zuwächse zu erzielen und neue Märkte zu erschließen. Da E-Busi-
ness Unternehmen und ihren Mitarbeitern Chancen bietet, durch
innovative Gestaltung der Arbeitsorganisation und Geschäfts-
prozesse die Potenziale der Beschäftigten zu nutzen und deren
Leistungsfähigkeit und -bereitschaft zu erhalten, stieg das Inte-
resse an nachhaltigen und humanen E-Business-Lösungen. Hier
setzt der Förderschwerpunkt „Arbeit im E-Business“ an.
2. Der Förderschwerpunkt „Arbeit im E-Business“
Der Förderschwerpunkt innerhalb des Rahmenkonzepts „Inno-
vative Arbeitsgestaltung – Zukunft der Arbeit“ wurde vom Bun-
desministerium für Bildung und Forschung am 07.11.2000 veröf-
fentlicht. Auf die Bekanntmachung gingen bis zum Stichtag
23.01.2001 insgesamt 99 Projektskizzen beim Projektträger im
DLR, Projektträger für das BMBF, „Arbeitsgestaltung und Dienst-
leistungen“, ein. Davon wurden im Rahmen einer Begutachtung
18 Projektideen zur Förderung empfohlen. Die Förderung der
ersten Projekte begann zur Jahresmitte 2001. Die Projekte werden
mit einem Volumen von rd. 16 Mio. € gefördert.
Ziel der Förderung war es, die Auswirkungen unterschiedli-
cher Formen des elektronischen Geschäftsverkehrs – E-Business,
E-Commerce und E-Procurement – auf die Arbeits- und Unterneh-
mensorganisation zu ermitteln. Zugleich sollten Gestaltungs-
alternativen und Konzepte für eine menschengerechte und pro-
duktivitätsfördernde Gestaltung der Arbeit im E-Business entwi-
ckelt sowie Voraussetzungen, Rahmenbedingungen und Maß-
nahmen für die Umsetzung aufgezeigt und genutzt werden.
Das Themenspektrum der Projekte reichte dabei von der für die
Einführung von E-Business erforderlichen Gestaltung von Perso-
nalarbeit einschließlich der Lernprozesse in Unternehmen über
die Entwicklung von Beratungsangeboten für Arbeitnehmer im
Umgang mit E-Business-Strukturen bis zur Entwicklung von Kon-
zepten für KMU zu E-Business-gesteuerten Arbeitsprozessen.
Der Verwertung der erreichten Ergebnisse und einer mög-
lichst frühzeitigen Umsetzung und Verbreitung der Ergebnisse –
auch in Kooperation mit kompetenten Umsetzungsträgern –
wurde in dieser Förderinitiative große Bedeutung beigemessen.
Vorrangig war dabei die Erarbeitung konkreter Handlungsanlei-
tungen, die sich auf Erfahrungen stützen, die soziale, organisato-
rische, wirtschaftliche, arbeitsschutzrelevante und technische
Aspekte berücksichtigen und auch auf andere Unternehmen und
Organisationen übertragbar sind.
Gefördert wurden Forschungsinstitutionen und Hochschulen
sowie eine große Zahl von Unternehmen unterschiedlicher Größe
und verschiedener Wirtschaftsbereiche wie z. B. Binnenschiff-
fahrt, Logistik, Gießerei- und Automobilzulieferindustrie, Call
Center, Groß- und Einzelhandel, Handwerk und Tourismusge-
werbe. Vertreter verschiedener Fachdisziplinen arbeiteten hier
mit Praktikern aus Unternehmen (vornehmlich KMU) und Ex-
perten aus intermediären Organisationen wie Verbänden, Ge-
werkschaften und einer kirchlichen Einrichtung zusammen.
3. Erfahrungstransfer und Öffentlichkeitsarbeit
Um den vorhabenübergreifenden Erfahrungsaustausch zu för-
dern und eine gute Abstimmung der Öffentlichkeitsarbeit und
des Ergebnistransfers zu erzielen, wurden die geförderten
Vorhaben folgenden Clustern zugeordnet:
a) Lern- und gesundheitsförderliche Arbeits- und Organisa-
tionsgestaltung in KMU beim Auf- und Ausbau von E-Busi-
ness
b) Personal- und Organisationsentwicklung in Verbindung mit
der Einführung und Optimierung der IuK-Technik
Die Entwicklung des Förderschwerpunkts „Arbeit im E-Business“
1 The Impact of the E-Economy on European Enterprises: Economic Analysis and PolicyImplications“. COM(2001) 711 final
2 Commission Staff Working Paper on B2B Internet Trading Platforms: Opportunitiesand Barriers for SMEs – a First Assessment. SEC(2002) 1217
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 5
6 Arbeit im E-Business DIE ENTWICKLUNG DES FÖRDERSCHWERPUNKTS „ARBEIT IM E-BUSINESS“
c) Lern- und Kooperationsprozesse bei der Einführung von
E-Business und Entwicklung von Unternehmensnetzwerken
d) Arbeits-, Lern- und Kooperationsprozesse bei B2B-Anwen-
dungen in der Logistikwirtschaft.
Der Erfahrungsaustausch zwischen den Projekten innerhalb die-
ser Cluster reichte von gegenseitigen Besuchen und Vorträgen
auf den Veranstaltungen der jeweiligen Partner, dem Austausch
und der Anpassung von Erhebungsmaterialien bis zur gemeinsa-
men Durchführung von Auftaktveranstaltungen und weiteren
zentralen Projekttreffen.
So haben die Verbundprojekte „Electronic Business-Anwen-
dungen in kleinen und mittelständischen Unternehmen“ (ECA-
MUN) und „Die interaktive Organisation – Methoden und Model-
le für gesunde und produktive Arbeit im E-Business“ (INTERORG)
ihre Fragebögen für die einleitenden Befragungen ihrer For-
schungsvorhaben abgestimmt und gegenseitig auf Workshops
Vorträge über den Projektfortschritt gehalten. Die Verbundpro-
jekte „Arbeit im E-Business in der Gießereiindustrie“ und „E-Busi-
ness in der Automobilzulieferindustrie“ haben gemeinsame Ver-
anstaltungen zur Lage der Zulieferbetriebe, zu denen mittlere
und größere Gießereien gehören, durchgeführt. Die Verbund-
projekte „Mobile Spedition im Web“, „Parcelman – Veränderte
Anforderungen an Mitarbeiter in der Distributionslogistik“ und
„Auswirkungen der elektronischen Vernetzungen auf die Ge-
schäftsbeziehungen der Binnenwassertransporte“ haben im Be-
reich Logistik kooperiert, Erfahrungen über Anforderungen und
Entwicklungen ausgetauscht und Aktivitäten in der Öffentlich-
keitsarbeit gemeinsam vorbereitet.
Ferner ist auch der Transfer zwischen den einzelnen Verbund-
projekten effektiv. Die Tagung „E-Business zwischen Euphorie
und Skepsis“ im Mai 2003 bei der Sozialforschungsstelle in
Dortmund, die auf Initiative der Verbundprojekte ECAMUN,
„Strategien und Potenziale einer intelligenten und richtungwei-
senden Integration neuer Technologien für Organisationen“ (SPI-
RIT) und „Arbeit im E-Business in der Gießereiindustrie“ zustande
kam, hat dies beispielhaft gezeigt.
Die Ergebnisse der Verbundprojekte werden als Handrei-
chungen von der Wirtschaft intensiv genutzt. Sie tragen dazu bei,
die mit elektronischen Geschäftsbeziehungen verbundenen Ver-
änderungsprozesse so zu gestalten, dass sie Impulse für die men-
schengerechte, sichere und gesundheitlich zuträgliche Gestal-
tung der Arbeitswelt geben. Damit verbunden sind die Erweite-
rung der Beschäftigungsfähigkeit, Schaffung zukunftsfähiger
Arbeitsplätze und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Die
Lösungsansätze kommen insbesondere KMU, ihren Beschäftigten
und den Kundenbeziehungen zugute.
Der Fokus in dieser Publikation liegt auf folgenden Themen-
bereichen, denen die Beispiele aus den Projektergebnissen zuge-
ordnet sind:
1. Lern- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung und
Unternehmensorganisation in KMU
2. Technische und organisatorische Unterstützung der
Personalentwicklung und Kooperation
3. Arbeitsorientierte E-Business-Anwendungen in der
Logistikwirtschaft
Klaus Wegner, Claudius H. Riegler
Projektträger im DLR, Projektträger für das BMBF,
„Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen“
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 6
7KURZFASSUNGEN Arbeit im E-Business
Die wichtigsten Ergebnisse der einzelnen Vorhaben werden im
Folgenden kurz zusammengefasst:
1 Lern- und gesundheitsförderliche Arbeitsge-staltung und Unternehmensorganisation inKMU
Beispiele in einem von der ATB Arbeit, Technik und Bildung
GmbH Chemnitz koordinierten Verbundprojekt zeigen, dass die
Gestaltung von E-Business zum Teil erhebliche Eingriffe in kom-
plexe Unternehmensprozesse erfordert, welche jedoch erkennba-
ren Regeln unterworfen sind. Daraus ableitbar ist die Möglichkeit,
Entscheidungen im Prozess der Einführung von E-Business durch
Hilfsmittel zu unterstützen. Zwei Instrumente wurden hierzu ent-
wickelt. Zum einen handelt es sich um das Werkzeug „INTER-
GEORG“ (Interaktives Werkzeug zur Generierung von arbeitsorga-
nisatorischen Handlungsempfehlungen beim Einsatz von E-Busi-
ness), welches eine Orientierungshilfe für die Strategiefindung
bereitstellt, vergleichbar mit dem Blick des Fahrzeugführers durch
die Frontscheibe eines PKW mit der Frage: Wo muss ich hinsteu-
ern? Dabei fließen bisher gesammelte Erfahrungen bei der Gestal-
tung von (elektronischen) Geschäftsprozessen über die Nutzung
eines Expertentools in die Entscheidungsprozesse des Anwenders
ein. Ergänzend dazu unterstützt das „Unternehmenslogbuch“ die
Bewertung bzw. Reflexion von Veränderungsprozessen. Vergleich-
bar mit dem Blick in den Rückspiegel des PKW wird die bereits
zurückgelegte Wegstrecke einsehbar und kann auf Basis des aktu-
ellen Wissensstandes einer Bewertung unterzogen werden.
Ein vom Institut für Arbeitswissenschaft an der Universität
Kassel entwickeltes Referenzmodell soll insbesondere kleinen
und mittelständischen Betrieben konkrete Handlungshilfen zur
Einführung oder Modifizierung von E-Business-basierten Lösun-
gen für die Prozessorganisation bieten. Die wichtigsten Gestal-
tungsdimensionen werden in einem Modell erfasst. Das Refe-
renzmodell integriert die verschiedenen Aspekte:
+ Ganzheitliche Gestaltungsempfehlungen zum Thema
E-Business,
+ Transformationsstrategien zur E-Business-Organisation,
+ Integration der Belange der Mitarbeiter,
+ Integration der Belange von Kunden, Lieferanten und
Partnern,
+ Entwicklung einer lernenden Organisation.
Zudem kann das Modell von Unternehmensberatern oder bera-
tenden Einrichtungen, die Wert auf die Einbeziehung der men-
schengerechten Aspekte des E-Business legen, genutzt werden.
Das Referenzmodell gliedert sich in fünf Phasen, die bei der
Einführung neuer Technologien durchlaufen werden. Für jede
Phase werden zwölf verschiedene Verantwortungsbereiche bzw.
Arbeitspakete mit projektspezifischen Aufgaben vorgeschlagen.
Damit kann die Einführung von E-Business strukturiert, flexibel
und möglichst problemlos vorgenommen werden.
Ziel eines an der Universität Trier durchgeführten Projektes
war es, ein ganzheitliches Transformationskonzept für E-Business
gemeinsam mit den Unternehmenspartnern zu entwickeln.
Berücksichtigt wurden sowohl die Veränderungen der internen
Geschäfts- als auch der internen und externen Kommunikations-,
Arbeits- und Austauschprozesse sowie von Qualifizierung und
Partizipation im Zuge der E-Business-Verbreitung. Basierend hie-
rauf wurden integrative E-Business-Konzepte in der Praxis umge-
setzt, erprobt und optimiert. In den „Sieben Sachen“, sieben di-
daktischen Broschüren aus dem Projektkontext, wird das Mana-
gen von E-Business-Projekten im Überblick vorgestellt und mit
konkreten Hilfestellungen zur Gesprächsführung mit IT-Dienst-
leistern, einer Einschätzung von E-Business-Schwächen, der
Zusammenarbeit in digitalen Teams, der Erstellung von E-Mail-
Regeln, der Partizipation im E-Business und der Durchführung
von Qualifizierungsmaßnahmen verbunden. Die Werkzeuge sol-
len Beschäftigte und ihre Vertretungen sowie Führungskräfte auf
die Einführung und Nutzung von E-Business-Lösungen vorberei-
ten und eine durchdachte und erfolgreiche Technologieintegra-
tion ermöglichen.
Ein von fünf KMU aus verschiedenen Branchen durchgeführ-
tes, von der Prospektiv GmbH Dortmund und der ExperTeam
Telearbeit GmbH Köln wissenschaftlich begleitetes Verbund-
projekt hat gezeigt, dass der Erfolg eines E-Business-Engage-
ments in kleinen und mittleren Unternehmen nicht alleine von
einer praxistauglichen Konzeption und einer reibungslosen tech-
nischen Umsetzung abhängt. Gerade die vermeintlich weichen
Faktoren, wie z. B. die Unternehmenskultur, Deutlichkeit von
Unternehmenszielen und Vision, das Veränderungsmanagement
und auch das Projektmanagement, entscheiden oft über den Er-
folg oder Misserfolg von E-Business-Projekten. Das Projekt hat
Modelllösungen der Umsetzungspartner präsentiert, die zu
Empfehlungen für den Einsatz von E-Business in KMU geführt
haben. Die Ergebnisse zeigen auch, dass sich gerade mit den
pragmatischen und schnell zu realisierenden Ansätzen im Verän-
derungs- und Projektmanagement der größte Erfolg einstellt.
An einem von der Zukunftswerkstatt e.V. der Handwerks-
kammer Hamburg koordinierten Verbundprojekt beteiligten
sich über 20 Handwerksbetriebe aus den Gewerken Maurer,
Maler, Elektro, Metallbau, Sanitär, Klempner und Tischler. Am
Beispiel von Airbus GmbH, Werk Hamburg, als Betreiber eines
E-Procurement-Systems wurde die technische Umgebung so
gestaltet, dass sowohl vonseiten der Handwerksbetriebe als auch
Kurzfassungen im Überblick
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 7
8 Arbeit im E-Business KURZFASSUNGEN
vonseiten des Flugzeugkonzerns alle Auftragsdaten – von der
Bestellung bis zum Ausgleich der Rechnung – medienbruchfrei
verarbeitet werden können. Das System ist trotz individuell
verschiedener Voraussetzungen der Nutzer leicht beherrschbar.
So entstand ein professionelles, auftraggeberneutrales E-Cata-
logue-Managementsystem, das auch Handwerksbetriebe nicht
überfordert. Begleitend sind speziell abgestimmte Qualifizie-
rungsmodule entwickelt und erprobt worden, die die Mitarbeiter
der Handwerksbetriebe befähigen, die Umstellung auf die neue
Technik sowie die veränderten Geschäftsprozesse zu beherr-
schen. Besondere Beachtung fand auch die Erhöhung der strate-
gischen Kompetenz der Branche, E-Business als Möglichkeit der
Sicherung des wirtschaftlichen Erfolges und als Chance zur Er-
schließung neuer Absatzwege zu nutzen.
Durch den Change Management-Prozess ist im Rahmen eines
vom IZT Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung
(Berlin) koordinierten Verbundprojekts ein Unternehmen der
Tourismuswirtschaft dem erklärten Ziel, seine Wettbewerbs-
fähigkeit zu verbessern, näher gerückt. Dem abgestimmten Zu-
sammenspiel von technischen wie organisatorischen Lösungen –
über das Change Management – kommt eine entscheidende
Bedeutung für die erfolgreiche Integrierung von E-Business-
Strukturen zu. Schon in der ersten Phase des Change Manage-
ment-Prozesses wurde von allen Mitarbeitern positiv hervorgeho-
ben, dass der Teamgedanke durch die externe Unterstützung
einen bedeutenden Schub bekommen hat. Unter den Projekt-
partnern herrschte Konsens darüber, dass dieses neuartige Ins-
trument der Organisations- und Strukturberatung in der deut-
schen Tourismuswirtschaft künftig einen höheren Stellenwert
erreichen wird. Berücksichtigt wurde, dass nicht ausschließlich
die harten ökonomischen Eckdaten eines Unternehmens relevant
sind, sondern auch die weichen Faktoren, wie z. B. die Mitarbei-
termotivation und Mitarbeiterzufriedenheit, erheblich zur besse-
ren Wettbewerbsposition einer Organisation beitragen.
2 Technische und organisatorische Unter-stützung der Personalentwicklung undKooperation
In dem von der Sozialforschungsstelle Dortmund Landesinstitut
koordinierten Verbundprojekt „Arbeit im E-Business in der Gie-
ßereiindustrie“ wurden in enger Zusammenarbeit von Unter-
nehmen, Verbänden und Begleitforschung zwei Produkte ent-
wickelt. Ein Instrument unterstützt die Strategieentwicklung im
Unternehmen durch die Nutzung der Potenziale von E-Business.
Das Konzept der Innovationsallianz fördert eine beteiligungsori-
entierte Gestaltung der Arbeit.
Das von der Universität Bremen koordinierte Verbundprojekt
„Arbeits- und Organisationsgestaltung in E-Business-basierten
Prozessen am Beispiel der schnellen Produktentwicklung“ hat
gezeigt, wie kleine und mittelständische Unternehmen, die tech-
nische Dienstleistungen anbieten, und Unternehmen des Modell-
und Werkzeugbaus die Möglichkeiten des E-Business nutzen kön-
nen. Aus der Analyse der Angebotserstellung und der Auftrags-
vorbereitung in Pilotunternehmen wurden organisatorische
Gestaltungsvorschläge abgeleitet. Auf der Basis gemeinsam defi-
nierter Anforderungen wurde Software für eine Kommunika-
tionsplattform entwickelt, die die Interaktion mit Kunden und
Partnern unterstützt. Die Software ermöglicht über das Modul
„Virtuelle Vitrine“ die Demonstration neuartiger Rapid Proto-
typing-Prozesse und die Ausstellung von Mustern und Modellen
sowie über das Modul „Wissenswürfel“ die Verdeutlichung der
Wechselbeziehungen zwischen den Dimensionen Mensch, Orga-
nisation und Technik. Die in Pilotunternehmen implementierte
Software für die Kommunikationsplattform und die entwickelten
Gestaltungskonzepte umfassen organisatorische, personelle und
technische Dimensionen und deren Wechselbeziehungen, unter-
stützen den Aufbau von Kooperationsstrukturen und fördern ein
flexibles, schnelles und kundennahes Handeln.
In einem Projekt der Universität Bochum, das die Automobil-
zulieferindustrie untersuchte, wurden als Ergebnis einer Breiten-
erhebung bei 1.902 Unternehmen der Zulieferindustrie und von
sechs Fallstudien exemplarisch Problemtypen von Betrieben in
Bezug auf die Beteiligung der Mitarbeiter identifiziert und Qua-
lifizierungs- und Partizipationsanforderungen abgeleitet. Eine
heterogene Abteilungsstruktur (Problemtyp 1) erfordert eine
diversifizierte Einbindungs- und Qualifikationsstrategie. Die Mo-
dernisierung des Einkaufs mittels E-Procurement ist nur ein Teil
eines langfristigen Modernisierungsprozesses. E-Business als
Elektronisierung zwischenbetrieblicher Abläufe trifft in der Re-
gel auf Prozesse und Abläufe in den Verwaltungsbereichen von
Unternehmen, die bereits in hohem Maße technologisiert sind.
Problemtyp 2 bezeichnet die mangelnde Akzeptanz verschie-
dener Mitarbeitergruppen und illustriert zugleich deren hohe
Bedeutung für das Funktionieren eines Projektes: Wenn
Mitarbeiter trotz Reorganisation in alten Routinen verharren,
nützt die neueste und ausgefeilteste Technik nichts. Problem-
typ 3 zeigt, wie wichtig es ist, Inhalte und Zielrichtungen eines
Projektes im Vorfeld mit den Betroffenen zu definieren, plausi-
bel zu kommunizieren und Widerstände und Einwände aller
Anwendergruppen zu berücksichtigen (im eigenen Unterneh-
men oder von Lieferanten und Kunden). Selbst bei relativ egali-
tärer Struktur der Mitarbeiter (Typ 0) ergeben sich bestimmte
Anforderungen an die Mitarbeiterbeteiligung, da auch ein ein-
gespieltes, harmonisches Team bei Neuorganisation und -ver-
teilung von Tätigkeiten, Verantwortung, Einfluss und Quali-
fikation schnell aus dem Rhythmus kommen kann. Die Ein-
bindung der nicht direkt involvierten Mitarbeiter sollte über
regelmäßige wechselseitige Kommunikation gewährleistet
werden.
Personalarbeit hat wesentlichen Einfluss auf die Ausgestal-
tung der Arbeitsstrukturen eines Unternehmens. Auf die Füh-
rungskräfte im Unternehmen kommen neue Gestaltungsauf-
gaben, veränderte Steuerungsfunktionen und auch Verände-
rungen ihrer eigenen Tätigkeiten zu. Das in einem Verbundprojekt
an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 8
9KURZFASSUNGEN Arbeit im E-Business
entwickelte Werkzeug Change Adviser stellt eine phasenspezifi-
sche Prozessbegleitung bei der Einführung von E-Business dar
bzw. unterstützt sie. Aus der Personalperspektive betrachtet ging
es darum, das E-Business-Projekt selbst als Veränderungsprozess
zu begreifen und diesen Prozess mit geeigneten Mitteln zu
begleiten.
Im Projekt wurden Bausteine für die Prozessbegleitung an die
Phasen herkömmlichen Projektmanagements angebunden. Wer
also E-Business-Projekte mit den eingeführten Projektmanage-
mentmethoden plant und durchführt, kann die Werkzeuge
direkt in der jeweils aktuellen Phase des Projektmanagements
finden und dort anwenden.
Das von drei Firmen unter Federführung der First Online-
Shopping GmbH (Pulheim) entwickelte E-Beratungssystem hatte
zum Ziel, das Verkaufspersonal in der Bewältigung der Informa-
tionsflut und anspruchsvoller Kundenforderungen zu unterstüt-
zen und so einen Beitrag zur Stärkung der Fachgeschäfte zu leisten.
Sein Ergebnis bestand darin, dass ein betriebsfähiges, mit Echtdaten
operierendes System im Praxiseinsatz getestet werden konnte,
Aussagen über den betriebswirtschaftlichen Nutzen getroffen und
den Interessenten anhand einer konkreten Lösung die abstrakte
Idee eines verkäuferunterstützenden Systems dargestellt wurden.
„mensch-arbeit“ ist ein Beratungsangebot der Katholischen
Kirche im Erzbistum Paderborn für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer mit beruflichen Problemstellungen, in schwieri-
gen Lebenssituationen oder beruflichen Umbruchphasen. Ergebnis
des Projekts ist, dass Betroffene direkt mit einem ehrenamtlichen
Mitarbeiterteam von „mensch-arbeit“ durch E-Mail-Mitteilungen
oder Chatten im Internet Kontakt aufnehmen können. Dabei sind
mehrere Wege für die Ratsuchenden über verschiedene Türen auf
der Homepage (Beratung, Seelsorge, andere Beratungsstellen, Me-
ditation und Selbstbetrachtung) möglich. Neben diesen Beratungs-
angeboten verweist die Homepage wöchentlich neu auf aktuelle
Veröffentlichungen, die in unterschiedlichen Lebens- und Arbeits-
situationen Hilfestellung leisten können. Viele Kooperationspartner
aus Dortmund beraten das Projekt mit ihrer Fachkompetenz und
bildeten von Anfang an ein Netzwerk im Hintergrund.
Ein vom Institut für Unternehmenskybernetik (Aachen)
koordiniertes Verbundprojekt hat eine Methode zur laufenden
Bewertung der E-Business-Projektentwicklung erarbeitet. Die
Methode baut auf dem Börsenprinzip auf und ermöglicht zum
einen der Geschäftsführung bzw. der Projektleitung eine frühzei-
tige, begründete Intervention im Veränderungsprozess. Die für
die Projektbeobachtung und -bewertung emittierte Aktie („Pro-
jekt-Aktie“) wird mit minimalem finanziellen und zeitlichen
Aufwand auf einer dazu geschaffenen innerbetrieblichen Börse
über das Internet oder Intranet gehandelt und kann so direkt und
in Echtzeit als „Stimmungsbarometer“ dienen. Die Methode, als
Ergänzung zum Projekt- und Unternehmenscontrolling gedacht,
setzt bewusst auf die beteiligungsorientierte Ermittlung steue-
rungsrelevanter „Stimmungsinformationen“, die in traditionellen
Verfahren nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Verfügung stehen.
3 Arbeitsorientierte E-Business-Anwendungenin der Logistikwirtschaft
In einem von der Universität Dortmund koordinierten Verbund-
projekt wurde ein Kommunikationssystem entwickelt, dessen
Systemarchitektur aus drei Komponenten besteht: mobile End-
geräte, stationäre Endgeräte und ein Anwendungsserver. In dem
Projekt wurde ein prototypisches System zur Evaluierung der
Benutzungsoberfläche und Benutzerführung realisiert. Dieses
prototypische System wurde in Workshops verschiedenen
Personen, die unterschiedliche Rollen innerhalb eines Speditions-
unternehmens einnehmen, unter Verwendung der Methode
„Socio-Technical Walkthrough“ (STWT) vorgestellt. In allen Pha-
sen des Projektes wurden STWT-Workshops unter Beteiligung
von Disponenten, Fahrern, Managern der Zentrale der Stute
Verkehrs GmbH in Bremen, regionalen Managern sowie Soft-
ware-Experten durchgeführt.
Von der RWTH Aachen wurde ein Verbundvorhaben koordi-
niert, das sich auf die Erbringung von Mehrwert-Dienstleistun-
gen bei der Zustellung von Waren an den Kunden mithilfe von
E-Business konzentrierte. Angestrebt wurde ein Lösungskonzept
für die Speditionsbranche, das in der Praxis breit anwendbar ist.
Zur Unterstützung der Prozessausführung wurden im Projekt
zwei technische Demonstratoren für mobile Endgeräte erstellt.
Mit Hilfe der Internetplattform kann ein konstant hohes Niveau
der vom Speditions-Mitarbeiter beeinflussbaren Dienstleistungs-
qualität sichergestellt werden. Der Prozess der Rekrutierung und
Auswahl von kompetenten Mitarbeitern wird systematisch unter-
stützt. Gleichzeitig ergänzen die im internen Bereich der Platt-
form angebotenen Wissensinhalte die bislang durchgeführten
Präsenzschulungen und helfen den Beschäftigten im Kurier-,
Express- und Paketdienst bei der erfolgreichen Bewältigung der
an sie gerichteten Kundenanforderungen.
In einem an der Universität Duisburg-Essen durchgeführten
Projekt wurden Chancen des Einsatzes der elektronischen Vernet-
zung für alle Aspekte der Geschäftsaktivitäten der Partikuliere in
der Binnenschifffahrt ausgelotet. Des Weiteren wurde herausge-
arbeitet, welche Bedingungen förderlich sind und welche Barrie-
ren einem Erfolg entgegenstehen. Es geht dabei um ungleiche
Voraussetzungen, sich auf dem Markt gegenüber anderen Trans-
porteuren im Straßen- und Schienengüterverkehr behaupten zu
können. Die unternehmerischen Kompetenzen der Partikuliere
entsprechen nicht den verbreiteten Vorstellungen, die mit den
elektronischen Medien verbunden werden. Mangelnde logisti-
sche Kompetenz zur Beteiligung an oder Entwicklung von inte-
grierten Transportketten mit LKW und Bahn, oft von Speditionen
hervorgehoben, kann ein negatives Image bei denen hervorru-
fen, die ihr Leistungsvermögen nicht kennen. Außerdem zeichnet
sich ab, dass eine gezielte Weiterbildung erforderlich ist, um die
Partikuliere und Schiffsführer mit den für sie neuen Arbeitsstruk-
turen zu ‚synchronisieren’.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 9
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 10
11ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
1.1 E-Business – Katalysator der Organisa-tionsentwicklung in (kleinen) Unter-nehmen
Wolfram Risch, Michael Uhlmann
ATB Arbeit, Technik und Bildung GmbH, Chemnitz
1 E-Business-Einführung – Vorgehensweisenund Erfolgsfaktoren
Organisatorische und personelle Veränderungen bei der
Gestaltung von E-Business
Die E-Business-Einführung und -Nutzung stellt einen betrieblichen
Gestaltungsprozess dar, der zu Veränderungen in der Unterneh-
mensorganisation bzw. in den betrieblichen Abläufen sowie den
Arbeits- und Qualifikationsanforderungen führt. Zahlreichen Un-
ternehmen bereitet dieser Prozess mehr oder weniger große Pro-
bleme2. Die notwendige Anpassung der Unternehmensorganisa-
tion und der betrieblichen Abläufe resultiert aus der veränderten
Funktionsteilung zwischen Mensch und Technik, wobei das Gestal-
tungsziel die Herstellung einer technisch-organisatorischen Kon-
vergenz sein sollte, die Wirtschaftlichkeit und Anforderungsge-
rechtheit vereint. Das alleinige „Überstülpen“ einer weitreichenden
E-Business-Lösung über bestehende Strukturen und Abläufe führt
meist nicht zu den anvisierten Effekten, sondern nur zu einer be-
grenzten, aber teuer erkauften Beschleunigung von Abläufen bei
gleichzeitigem Flexibilitätsverlust.
Weiterhin spielen bei der Gestaltung von E-Business notwen-
dige Anpassungen der Arbeits- und Qualifikationsanforderungen
eine bedeutende Rolle, resultierend aus den Veränderungen von
Tätigkeiten, der Tendenz zur Dezentralisierung von Verantwor-
tung sowie der nicht selten damit verbundenen höheren Arbeits-
intensität und -belastung. Dies erfordert eine zielgerichtete Be-
einflussung, um letztlich auch die für das Unternehmen ge-
wünschten Effekte zu erzielen.
Zielgerichtete Beeinflussung von Veränderungen
Der Erfolg von E-Business-Lösungen liegt aus Sicht befragter
Unternehmen3 im Prozess der Planung und Einführung begrün-
det und bestimmt sich über verschiedene Erfolgsfaktoren bzw.
geeignete Vorgehensweisen. Die Entwicklung einer betriebli-
chen Konzeption und ein systematisches Vorgehen gelten als
wesentliche Voraussetzungen für den Erfolg eines E-Business-
Projektes, dazu zählen ferner die Benennung eines Verantwort-
lichen und die Bildung einer Projektgruppe sowie gegebenenfalls
eine abteilungs- bzw. bereichsweise Einführung. Eine konsequen-
te Unterstützung durch die Geschäftsleitung verleiht dem Vor-
haben das notwendige Gewicht, letzterer Aspekt muss als erfolgs-
entscheidende Führungsaufgabe verstanden werden. Eine um-
fassende Information und Einbeziehung der Mitarbeiter begin-
nend mit der Vorbereitung bis hin zur Umsetzung des E-Business-
Projektes bietet Möglichkeiten zum Auflösen von Widerständen
und zur Vermeidung von Überforderungen. Entsprechende Ge-
staltungsansätze haben sich in den betrieblichen Veränderungs-
prozessen bewährt. Schließlich lässt sich mit der Einbeziehung
der Kunden in die Konzeptionsphase eine hohe Akzeptanz der
Gestaltungsmaßnahmen im Umfeld des Unternehmens und
insbesondere hin zum Kunden erzielen. Alle benannten (erfah-
rungsbasierten) Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Gestaltung
des Einführungsprozesses von E-Business legen den Schluss nahe,
dass es sich hierbei einmal mehr um Ansätze zur Reorganisation
handelt, umgesetzt jedoch unter intensiver Nutzung der Mög-
lichkeiten neuester IuK-Technologien. Dies verdeutlichen auch
die nachfolgend skizzierten Erfahrungen der Praxispartner
(Rubersteinwerk GmbH und SMK V-Fabrik GmbH & Co. KG).
2 E-Business-Entwicklung in der Praxis
Lösungen für E-Business-gestützte Informationsprozesse in
Kleinunternehmen
Die 1989 gegründete Rubersteinwerk GmbH mit Sitz in Lichten-
stein ging aus einer Textilfärberei hervor. Heute entwickelt, pro-
duziert und vertreibt das Unternehmen mit 23 Beschäftigten
Baustoffe für die Mauerwerkssanierung und Fassadengestaltung.
Perspektivisch strebt das Unternehmen die Entwicklung zu
einem produzierenden Dienstleister im chemischen und bau-
chemischen Bereich an. Das Unternehmen nutzt bereits seit Jahren
erfolgreich IuK-Technologien zur Unterstützung interner und
externer Prozesse der Auftragsabwicklung und des Controllings.
Zukünftig strebt das Unternehmen die verstärkte Nutzung von
Informations- und Kommunikationstechnologien zum Wissens-
und Informationsmanagement an4. Um einen reibungslosen
Ablauf im Betrieb zu organisieren, war und ist das Unternehmen
bestrebt, sich Werkzeuge zu schaffen, die ein flexibles Handeln
und Entscheiden für seine Kunden ermöglichen. Der Umsatz des
Unternehmens verteilte sich im vergangenen Jahr auf mehrere
tausend Ausgangsrechnungen. Ohne rationell organisierte Pro-
zesse und eine leistungsfähige gesamtbetriebliche EDV-Lösung
1. Lern- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung und Unternehmensorganisation in KMU
2 Im Rahmen des Projektes INTERORG wurde eine Befragung der Unternehmen durch-geführt (vgl. dazu Risch [Hrsg.]: Arbeit im E-Business Teil 2 „Personal und Einführungs-prozess“), in welcher u. a. nach Veränderungsprozessen in den Unternehmen imRahmen der E-Business-Einführung gefragt wurde.
3 Vgl. ebenda.
4 Im INTERORG-Verbund bearbeitete das Unternehmen das Teilvorhaben „Organisa-tionslösungen für E-Business-gestützte Informationsprozesse in Kleinunternehmen“.Dabei steht die Entwicklung und Gestaltung einer personell-organisatorischen Lö-sung zur Beschleunigung von Produkt- bzw. Dienstleistungsinnovationen im Mittel-punkt, welche durch geeignete Informations- und Kommunikationstechnologienunterstützt wird.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 11
12
könnte diese Vielzahl kleiner und größerer Aufträge nicht effi-
zient abgewickelt werden. Die Aufträge erstrecken sich auf eine
große Zahl an unterschiedlichen Produkten und Varianten, die
sich aus einer Vielzahl von Rohstoffen zusammensetzen.
Im Unternehmen befindet sich eine auf die speziellen Bedürf-
nisse abgestimmte Standardlösung im Einsatz, die in das betrieb-
liche Netzwerk eingebunden ist. Alle Bereiche, d. h. Kunden-
dienst, Auftragsbearbeitung, Produktion, Finanzbuchhaltung
und das Labor greifen über einen Server auf einen einheitlichen
Datenbestand zu. Den Kern des Systems bilden die Warenwirt-
schaft und Finanzbuchhaltung, auf die auch die Bereiche Pro-
duktentwicklung, Produktion und Kundendienst zurückgreifen.
Die hergestellten Produkte werden zu ca. 60% auftragsbezogen
produziert und direkt zum Kunden geliefert, ein Großteil davon
innerhalb von 24 Stunden. Dieser vorrangig auftragsbezogenen
Fertigung trägt das System Rechnung, beginnend mit der Auf-
tragsannahme bis hin zur Erstellung von Frachtpapieren und der
Rechnungslegung. Zugleich unterstützt die Lösung Funktionen
des Controllings, was Handlungssicherheit für die Entscheider
schafft (z. B. Bonitätsprüfung über die Auftragsbearbeitung). Ein
elektronisches Dokumentenverwaltungssystem ermöglicht dar-
über hinaus die automatische Ablage von Eingangsfaxen, Produk-
tionsaufträgen und Ausgangsrechnungen und damit die Rück-
verfolgbarkeit von Aufträgen (vgl. Anforderungen der ISO 9001).
Eine Schlüsselrolle im Unternehmen nimmt der Kunden-
dienst ein. Dessen Anstrengungen konzentrieren sich auf die
langfristige Kundenbindung und die Generierung von Produkt-
verbesserungen sowie neuen Produktideen im Dialog mit den
Kunden. Die Herausforderung besteht darin, Neukunden zu
gewinnen und gleichzeitig bestehende Kundenbeziehungen
langfristig aufrechtzuerhalten und auszubauen. Die Verwirk-
lichung einer stärkeren Kundenbindung mit überschaubarem
Aufwand basiert auf dem Aufbau eines permanenten Dialoges
mit den Kunden, der Fähigkeit, sich durch verfügbares Wissen
besser in die Bedürfnisse des Kunden hineinzuversetzen und dar-
aus kundenindividuelle Lösungen entwickeln zu können sowie
der effektiven Gestaltung von Marketingaktivitäten durch ständi-
ge Verfügbarkeit aktueller Kundeninformationen.
Zur erfolgreichen elektronischen Unterstützung des Kunden-
beziehungsmanagements führt das Unternehmen ein CRM (Cus-
tomer-Relationship-Management)-Modul als Erweiterungsfunk-
tion der bestehenden IT-Lösung ein. Mit der Schaffung einer or-
ganisatorisch-technischen Lösung zum Kundenbeziehungsma-
nagement strebt das Unternehmen eine optimale Gestaltung der
internen Informationsprozesse zur Verbesserung der Kundenzu-
friedenheit und Beschleunigung von Innovationsprozessen an.
Dabei konnte das Unternehmen auf wertvolle Erfahrungen
der erfolgreichen Einführung von IT-Systemen zurückgreifen, die
den beteiligungsorientierten Auswahl- und Einführungsprozess
wesentlich beschleunigten. Dazu gehört der zielgerichtete Dia-
log mit den Endanwendern über Mitarbeiterworkshops bzw. die
Arbeit der betrieblichen Projektgruppe zur systematischen Vor-
bereitung und Umsetzung der Lösung, einschließlich der arbeits-
prozessnahen Qualifizierung der Beschäftigten.
Einführungsstrategien für E-Business-Lösungen in
Kleinunternehmen
Der Hauptgeschäftsbereich der 1991 gegründeten SMK V-Fabrik
GmbH & Co. KG mit ca. 50 Beschäftigten ist die Konstruktion und
Fertigung von Formen für Kunststoff-Spritzgießteile sowie die
Serienfertigung von Spritzgießteilen für die Automobilindustrie
in zertifizierter Qualität. Insbesondere den speziellen Anforde-
rungen an Automobilzulieferer tragen die Gestaltungsmaßnah-
men für E-Business-Lösungen5 des Unternehmens Rechnung.
Höchste Priorität für das Unternehmen besitzt dabei die Gestal-
tung einer kundenoffenen Auftragsverfolgung ausgewählter
Komplexleistungen im Bereich Formenbau, verbunden mit trans-
parenten Prozessen nach innen und nach außen. Die hohe Kom-
plexität der Aufträge im Formenbau, verbunden mit individuel-
len Wünschen der Kunden (einschließlich der Notwendigkeit von
Änderungen in Aufträgen, die sich bereits in der Ausführung
befinden), erfordert einen hohen Grad der Transparenz der Infor-
mationsprozesse im Unternehmen. Das beginnt im Angebots-
wesen, setzt sich über die Bereiche Konstruktion und Material-
beschaffung fort und reicht bis in die Fertigung sowohl von
Werkzeugen (Unikate) als auch von Spritzgussteilen (Serienfer-
tigung).
Die Entwicklungsansätze für eine strategisch ausgerichtete
firmenspezifische E-Business-Lösung begannen mit der Bildung
einer bereichsübergreifenden interdisziplinären Projektgruppe,
die aus Bereichsleitern und Mitarbeitern der Abteilungen EDV,
Marketing, Vertrieb, Logistik, Personalwesen, einem Vertreter
der Geschäftsführung und der wissenschaftlichen Begleitfor-
schung bestand. So konnte eine effektive Arbeitsbasis im Unter-
nehmen etabliert werden. Eine Präzisierung der durch die Ge-
schäftsleitung formulierten Zielstellungen erfolgte dabei zu
Beginn der Projektarbeit und führte zur Herausarbeitung von
Schwerpunkten durch die eingesetzte Projektgruppe.
Die gemeinsame Erarbeitung der Schwerpunkte sowie die im
Vorfeld der Realisierung durchgeführten Lehrgänge in den be-
trieblichen Bereichen ermöglichten die frühzeitige Identifikation
der Mitarbeiter mit den angestrebten Zielsetzungen. Ziel der
Gestaltungsmaßnahmen bildeten die Forderungen der Kunden
bezüglich der Nachvollziehbarkeit der Auftragsbearbeitung im
Unternehmen. Mit der Zusammenführung der unterschiedlichen
Kundenanforderungen entstand eine einheitliche Systematik zur
Erfassung, Fortschreibung und Nutzung von Informationen so-
wohl innerhalb des Unternehmens (interne Transparenz als Basis)
als auch in der Folge nach außen (externe Transparenz hin zum
Kunden). Der erarbeitete Lösungsansatz wurde in einer ersten
Stufe über den Einsatz speziell erarbeiteter Formulare und Ver-
fahrensweisen umgesetzt und getestet. Die Vielzahl der zu verar-
beitenden Informationen führte in einem zweiten Schritt zur
5 Im INTERORG-Verbund bearbeitet das Unternehmen das Teilvorhaben „Einführungs-strategien für E-Business-Lösungen in Kleinunternehmen“. Ziel des Vorhabens ist es,modellhafte Lösungen und Wege zur E-Business-Einführung in die Geschäftsprozess-abwicklung von Kleinunternehmen zu entwickeln. Im Mittelpunkt steht dabei diekundentransparente Auftragsverfolgung und Nutzung elektronischer Leistungsange-bote bei gleichzeitig erweiterter Erreichbarkeit des Unternehmens auf virtuellenMarktplätzen.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 12
Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
13
Konzeption einer neuen informationstechnischen Infrastruktur.
Hierfür definierten die beteiligten Bereiche in einem Pflichten-
heft ihre Anforderungen. Die Entwicklung der speziell auf das
Unternehmen zugeschnittenen Lösung zur elektronischen Un-
terstützung des Leistungsprozesses übernahm ein externer regio-
naler Dienstleister. In der Phase der rechentechnischen Umset-
zung des Projektes erwies sich die frühzeitige Einbeziehung der
Mitarbeiter als Vorteil. Aufgrund der bisherigen Mitarbeit waren
wesentliche Funktionalitäten des neuen Systems einer Gruppe
von Beschäftigten bereits bekannt, ja teilweise durch sie selbst
definiert worden. Störungen konnten durch das vorhandene Wis-
sen über die im Pflichtenheft definierte Funktionsweise einzelner
Module schneller erkannt, spezifiziert und behoben werden.
Mit dem Ausbau der kundenoffenen Auftragsverfolgung
strebt das Unternehmen eine optimierte Betreuung der Kunden
über die stufenweise Schaffung interner Transparenz mittels
Unterstützung des Zusammenspiels aller Unternehmensbereiche
und deren Nutzung in der Kommunikation mit dem Kunden an.
Erste Effekte sind bereits erkennbar, beginnend mit der Ange-
botsphase (verbesserte Unterstützung der Kalkulation) über die
Phase der Auftragsbearbeitung (Auftragsverfolgung Nachvoll-
ziehbarkeit einzelner Prozessschritte) bis hin zur Nachbereitung
von Aufträgen (verbesserte Nachkalkulation), mit der sich der
Kreislauf schließt.
Einführungsprozesse erfolgreich gestalten
Aufgrund einer mangelhaften Abstimmung und Konzeption
kommt es häufig zur Beschaffung und Einführung von Systemen,
die nicht zur organisatorischen Gestaltungslösung des Unterneh-
mens passfähig sind. Passfähigkeit bezieht sich hierbei auf die
benötigten Unterstützungsfunktionen sowie die geeignete Ab-
bildung der elektronisch zu unterstützenden organisatorischen
Abläufe im System. Eine Vielzahl der Hard- und Software-An-
schaffungen von Unternehmen erweist sich hier als Fehlinves-
tition.
Die in den Fallbeispielen beschriebenen Unternehmen haben
die zur Organisation und den betrieblichen Aufgaben passenden
Lösungen ausgewählt und erfolgreich eingeführt. Während sich
das Rubersteinwerk zur beschleunigten Abwicklung weitgehend
determinierter Prozesse für eine modulare Standardlösung ent-
schieden hat, setzt die SMK V-Fabrik zur Unterstützung ihrer Pro-
zesse für die Realisierung von prototypischen und komplexen
Lösungen für die Automobilindustrie auf eine maßgeschneiderte
Softwarelösung. Mit diesen unterschiedlichen Wegen einher gin-
gen differenzierte prozessbezogene Einflussmöglichkeiten der
MitarbeiterInnen bei der jeweiligen Einführung der E-Business-
Lösung. Gründe hierfür liegen einerseits in der notwendigen
Mitarbeit der beteiligten Fachbereiche an der Erarbeitung der
individuellen Lösung und andererseits in der notwendigen Ver-
arbeitung von Informationen. Bei aller Unterschiedlichkeit im
Vorgehen war es für beide Unternehmensleitungen entschei-
dend, die betroffenen Mitarbeiter frühzeitig im erforderlichen
Maß in den Prozess der Gestaltung mit einzubeziehen, sei es um
die zukünftigen Nutzer nach alternativen Lösungen zu fragen
und entsprechende Ideen in die Planungsphase einzubeziehen
oder auch, um durch Informationen zum Abbau von Unsicher-
heiten beizutragen bzw. bestehende Vorbehalte auszuräumen.
Außerdem legten beide Unternehmen großen Wert auf die früh-
zeitige bzw. prozessbegleitende Qualifizierung und Weiterbil-
dung der betroffenen Mitarbeiter, um die jeweilige E-Business-
Lösung ggf. in einer veränderten Arbeitsorganisation kompetent
zu beherrschen.
3 Instrumente und Hilfsmittel zur Unterstützungder Organisationsentwicklung im E-Business
Hilfsmittel zur Strategiefindung und Erfolgsbewertung
Die kurz skizzierten Beispiele zeigen, dass die Gestaltung von
E-Business zum Teil erhebliche Eingriffe in komplexe Unterneh-
mensprozesse erfordert, welche jedoch erkennbaren Regeln
unterworfen sind. Daraus ableitbar ist die Möglichkeit, Entschei-
dungen im Prozess der Einführung von E-Business durch Hilfs-
mittel zu unterstützen. Zwei Instrumente werden hierzu nachfol-
gend vorgestellt.
1. Zum einen handelt es sich um das Werkzeug „INTERGE-
ORG“6, welches eine Orientierungshilfe für die Strategie-
findung bereitstellt, vergleichbar mit dem Blick des Fahr-
zeugführers durch die Frontscheibe eines PKW mit der
Frage: Wo muss ich hinsteuern? Dabei fließen bisher ge-
sammelte Erfahrungen bei der Gestaltung von (elektroni-
schen) Geschäftsprozessen7 über die Nutzung eines Exper-
tentools in die Entscheidungsprozesse des Anwenders ein.
2. Ergänzend dazu unterstützt das „Unternehmenslogbuch“
die Bewertung bzw. Reflexion von Veränderungsprozes-
sen. Vergleichbar mit dem Blick in den Rückspiegel des
PKW wird die bereits zurückgelegte Wegstrecke einseh-
bar und kann auf Basis des aktuellen Wissensstandes einer
Bewertung unterzogen werden.
INTERGEORG und LOGBUCH
INTERGEORG gestattet die komplexe Betrachtung von Merkma-
len der Organisationsgestaltung und ermöglicht eine Prüfung
der „Passfähigkeit“ der Organisationsgestaltungslösung und der
E-Business-Lösung. Das Tool setzt über eine orientierende Abbil-
dung der Unternehmenssituation anhand von sieben Merkmals-
dimensionen den erreichten Grad der Organisationsentwicklung
mit empirisch ermittelten Referenzprofilen in Beziehung und
bestimmt die E-Business-Reife des Unternehmens mit Hilfe von
Indikatoren. Über die Zuordnung zu einem Profil lassen sich
anhand der identifizierten Profilabweichungen orientierende
Gestaltungsanforderungen im Sinne des Screenings ableiten
sowie die technisch-organisatorische Konvergenz der eingeführ-
ten bzw. geplanten E-Business-Lösung prüfen. Die dezidierte
6 INTERGEORG: Interaktives Werkzeug zur Generierung von arbeitsorganisatorischenHandlungsempfehlungen beim Einsatz von E-Business
7 Vgl. hierfür auch Risch [Hrsg.]: Arbeit im E-Business Teil 2 „Organisation undTechnikintegration“.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 13
ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
14 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Untersetzung des identifizierten Gestaltungsbedarfes sowie die
Ableitung entsprechender Maßnahmen resultiert aus der Nut-
zung empfohlener standardisierter arbeitswissenschaftlicher
Verfahren. Nach der praktischen Umsetzung abgeleiteter Maß-
nahmen erfolgt ein erneutes Durchlaufen des Screenings zur Eva-
luation der Zielerreichung, um ggf. weitere Gestaltungsbedarfe
zu bestimmen. Das Verfahren beschreibt somit einen geschlos-
senen Regelkreis zur Prozessoptimierung (vgl. Abb. 1 ).
Einen Blick „in den Rückspiegel“ ermöglicht das „Unterneh-
mens-Logbuch“, das der Evaluation und Reflexion von Entwick-
lungen im Unternehmen dient. Das datenbankgestützte Logbuch
versteht sich als ein „Fahrtenschreiber“ des Unternehmens, um
eine Selbstreflexion erfolgten Handelns anzuregen oder zu unter-
stützen bzw. themenbezogene Entscheidungs- und Gestaltungs-
prozesse nachvollziehbar zu dokumentieren und auf dieser
Grundlage zukünftige Planungen zu erleichtern (Fehlervermei-
dung bzw. Alternativenanregung).
Das Logbuch dient dem Unternehmen als Hilfsmittel im
Sinne eines Unternehmensgedächtnisses zur Nachvollzieh-
barkeit von getroffenen Entscheidungen. Weitere Anwen-
dungsfelder liegen in der Unterstützung von betrieblichen
Managementprozessen (z. B. Qualitätsmanagement nach DIN
EN ISO 9001:2000) bzw. in der erweiterten Unternehmens-
bewertung (Rating nach Basel II).
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit des Logbuches
besteht für Externe (z. B. Berater, Arbeitsforscher) mit der
Möglichkeit der systematischen Beschreibung und Bewertung
von begleiteten Unternehmensprozessen. Die datenbankge-
stützte Umsetzung ermöglicht einen Vergleich der Unter-
nehmen in ihrem aktuellen Status, ihrer Entwicklung über
einen größeren Zeitabschnitt sowie der qualitativen Gewin-
nung von Erkenntnissen zu Erfolgsfaktoren der E-Business-
Einführung (best practice oder benchmarking) (vgl. Abb. 2 ).
Abbildung 1: Organisationsentwicklung im E-Business mit INTERGEORG
1.
2.
3.4.
5.Evaluierung
ZielerreichungScreening
TOP-Gestaltungs-
phase
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
EB-O-Kon-vergenzcheck
PartielleFeinanalyse
1.
2.
3.
Toolset
• Screeninginstrument
• Analyse-Gestaltungsbaukasten
• E-Organisations-Cockpit
Referenzprofile (Profile)
• traditionelle Organisation
• flexible Organisation
• innovative Organisation
Revolutionäre Entwicklung(große Delta/Zeiteinheit t2)Sprunghafte Entwicklung
Evolutionäre Entwicklung(kleines Delta/Zeiteinheit t1)Prozesshafte, kleinschrittigeEntwicklung
1.
2.
3.4.
5.
1.
2.
3.
1.
2.
3.4.
EvaluierungZielerreichung
Screening
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
EB-O-Kon-ergenzcheck
PartielleFeinanalyse
=
EvaluierungZielerreichung
Screening
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
PartielleFeinanalyse
=
EvaluierungZielerreichung
Screening
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
PartielleFeinanalyse
=
=
Gra
d de
r Zie
lerr
eich
ung
t1 t2t
∆2
∆1
Merkmale Wichtung Merkmalsausprägungen W x M
M1 0,1 25 50 75 100 7,7
M2 0,5 25 50 75 100 50
Mn 0,4 25 50 75 100 40
Summe 1,0 97,5Merkmale Wichtung Merkmalsausprägungen W x M
M1 0,1 25 50 75 100 7,7
M2 0,5 25 50 75 100 50
Mn 0,4 25 50 75 100 40
Summe 1,0 97,5
1.
2.
3.4.
5.Evaluierung
ZielerreichungScreening
TOP-Gestaltungs-
phase
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
EB-O-Kon-vergenzcheck
PartielleFeinanalyse
=
EvaluierungZielerreichung
Screening
TOP-Gestaltungs-
phase
Konsistenz-Prüfung
Merkmale
EB-O-Kon-vergenzcheck
PartielleFeinanalyse
=
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 14
15ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
4 Zusammenfassung
Bei der Einführung bzw. dem Einsatz von E-Business-Lösungen
handelt es sich um weitreichende Veränderungsprozesse, die
neben beabsichtigten auch häufig zu ungewollten Veränderun-
gen führen. Die Unterschätzung der sich vollziehenden komple-
xen Veränderungen in den Bereichen Organisation, Technik und
Personal bereitet vielen Unternehmen aufgrund der Diskrepanz
zwischen den Zielen und den sich vollziehenden realen Verände-
rungen Probleme. Viele Veränderungen führen z. B. zu neuen
bzw. höheren Anforderungen an die Qualifikation und die Tätig-
keiten, die dann im Rahmen der Personalentwicklung oft ver-
nachlässigt werden.
Als entscheidend für den Erfolg der Einführung innovativer
E-Business-Konzepte in die täglichen Arbeitsprozesse erwies sich
neben einer Reihe anderer Aspekte, frühzeitig eine hohe Trans-
parenz und Akzeptanz gegenüber allen Beteiligten zu schaffen.
Darin sind sich sowohl die Unternehmenslenker als auch die
Beschäftigten einig. Allerdings bestehen in der Praxis zwischen
der Erkenntnis und dem Handeln teilweise immer noch erhebli-
che Diskrepanzen. Hier leistet das INTERORG-Vorhaben Aufklä-
rungsarbeit mit einem vielfältigen unternehmensbezogenen
Ergebnistransfer sowie der Bereitstellung von Mitteln und Metho-
den als Hilfe zur Selbsthilfe.
Der Schlüssel zur erfolgreichen E-Business-Einführung liegt
im Vorgehen, das verdeutlichen auch die kurz skizzierten Fall-
beispiele. In Bezug auf die Erfolgsfaktoren des E-Business-Einsat-
zes, die wesentlich das Vorgehen bestimmen, herrscht zwischen
den Ansichten der Fach- und Führungskräfte sowie den übrigen
Mitarbeitern der Unternehmen überwiegend Konsens.
Ein zielgerichteter E-Business-Einsatz kann unter bestimmten
Voraussetzungen einen Beitrag zur zukunftsfähigen Organisa-
tionsentwicklung leisten und somit zum Katalysator der Organi-
sationsentwicklung in kleinen Unternehmen werden. Allerdings
stellt der E-Business-Einsatz nur eine, wenn auch wichtige, von
vielen Stellschrauben unternehmerischen Erfolgs dar. Der E-Busi-
ness-Einsatz bietet aufgrund seiner Flächenwirkung aber die
Möglichkeit, die Implementierung mit weitreichenden betriebli-
chen Veränderungen zu verknüpfen. Die Voraussetzung dafür
bildet die Herstellung einer technisch-organisatorischen Konver-
genz in der Funktionsteilung zwischen Mensch und Technik, die
den Mensch als „Human-Kapital“ und nicht als „Lückenfüller“ für
die Unzulänglichkeit der Technik betrachtet. In den Fallbeispie-
len zeigt sich, dass durch ein zielgerichtetes und systematisches
Prozess 1Einführung von
KHK-Classic
Prozess 2Einführung eines
CMR-Systems
Zeitpunkt2002
Zeitpunkt 1994
Abbildung 2: Beschreibung der Unternehmensentwicklung mithilfe des Logbuches
Zeitpunkt2004
Ausgangslage
Überlegungen/Ansätze
Entscheidungen/Gestaltung
Ergebnisse/Probleme
Ergebnisse/Probleme
Erkenntnisprozess Zeit
Überlegungen/Ansätze
Entscheidungen/Gestaltung
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 15
16 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Vorgehen bei der Einführung von E-Business-Lösungen durch die
Unternehmensleitung und durch die aktive Einbeziehung, Qua-
lifizierung und Weiterbildung der MitarbeiterInnen die damit
verbundenen Veränderungsprozesse erfolgreich gemeistert und
Lösungen gefunden werden können, die nicht nur dem betriebs-
wirtschaftlichen Interesse dienen, sondern die auch dem Bedürf-
nis der MitarbeiterInnen nach einer interessanten, kooperativen
und belastungsoptimalen Arbeit Rechnung tragen.
Weitere Informationen
„Die interaktive Organisation – Methoden und Modelle für
gesunde und produktive Arbeit im E-Business“
Förderkennzeichen: 01HT0106, 01HT0107, 01HT0108, 01HT0110,
01HT0111, 01HT0112
www.inter-org.de
Ansprechpartner des Projekts:
Michael Uhlmann
ATB Arbeit, Technik und Bildung GmbH
Neefestr. 76
09119 Chemnitz
Tel.: 0371 3695823
E-Mail: uhlmann@atb-chemnitz.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Claudius H. Riegler
Tel.: 0228 3821-320
E-Mail: claudius.riegler@dlr.de
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Klemm, T. (Hg.): INTERORG-NEWS, Ausgabe 5, Arbeiten im
E-Business - Lust oder Frust? 2002
Risch, W. (Hg.): Arbeit im E-Business. Teil 1: Organisation und Technikintegration, Chemnitz 2003
Risch, W. (Hg.): Arbeit im E-Business. Teil 2: Personal und Einführungsprozess, Chemnitz 2003
Scheermesser, M. (Hg.): INTERORG-NEWS, Ausgabe 3, Chancen für Frauen im E-Business, 2002
Uhlmann, M.: E-Business als Katalysator der Unternehmensentwicklung. Ansätze zur E-Business-unterstützten Organisationsentwicklung,
in: Winzer, P. (Hg.): Wissensbasierte Unternehmensorganisation. Inhalte, Instrumente, Szenarien. Aachen 2004, S. 111 - 126
Uhlmann, M. (Hg.): E-Business in den Kinderschuhen? Veränderung von Arbeit und Organisation durch E-Business, In: Wirtschaft in
Südwestsachsen; Industrie- und Handelskammer Südwestsachsen Chemnitz - Plauen - Zwickau, Chemnitz (2002)
Uhlmann, M. (Hg.): Umfrage: Auswirkungen von E-Business in Unternehmen, in: Die BG-Fachzeitschrift für Arbeitssicherheit,
Gesundheitsschutz und Unfallversicherung, Berlin 2002
Uhlmann, M. (Hg.): INTERORG-NEWS, Ausgabe 4, Die Ruberstein GmbH 2002
Uhlmann, M.; Jordan, P. (Hg.): INTERORG-NEWS, Ausgabe 2, Unternehmensanalyse zur E-Business-Integration – Vorabinformationen zu
Ergebnissen (Teilstichprobe), 2002
Uhlmann, M.: INTERORG-NEWS, Ausgabe 1, Vorstellung des Projektes INTERORG, 2001
Uhlmann, M.; Jordan, P. (Hg.): Die interaktive Organisation – Methoden und Modelle für gesunde und produktive Arbeit im E-Business
Uhlmann, M.; Schädlich, B., Zimmermann, U.; Jordan, P. (Hg.): Analysedokumentation Arbeit im E-Business – Veränderungen der Arbeit und
Organisation in Unternehmen durch den Einsatz von E-Business, Chemnitz 2002
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 16
17ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
1.2 Ein Referenzmodell zur menschen-gerechten Gestaltung der Arbeit im E-Business
Christiane Potzner
Universität Kassel, Institut für Arbeitswissenschaft
1 Projektvorstellung
Inhalte und Ziele des Projektes
Das Forschungsprojekt „Analyse und Gestaltung von Modellen
der menschengerechten Arbeit im E-Business“ ('e@rbeit') hat die
Entwicklung eines auf die Prozessorganisation bezogenen Refe-
renzmodells für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) zum Ziel.
Die Forschungsarbeiten konzentrierten sich auf den Bereich
Business-to-Business ('B2B'). Ausgehend von der Erhebung empi-
rischer Daten über bestehende Organisationsstrukturen wurden
detaillierte Erkenntnisse über neue Formen der Arbeitsorganisa-
tion sowie neu entstandene Tätigkeitsbereiche ermittelt. Er-
kenntnisse über Stärken und Schwächen des E-Business, die sich
auf z. B. die Einhaltung sozialer Normen, Möglichkeiten der Per-
sönlichkeitsentfaltung, Belastungs- und Beanspruchungsfakto-
ren der Beschäftigten sowie die wirtschaftliche Rentabilität be-
ziehen, wurden generiert, Qualifikationsanforderungen identifi-
ziert und Qualifizierungsstrategien entwickelt. Insgesamt wur-
den humane, personelle, soziale, ökonomische sowie rechtliche
Gestaltungsdimensionen interdisziplinär für die Entwicklung ei-
nes Referenzmodells zusammengetragen.
Mit dem entwickelten Referenzmodell zur Einführung von
E-Business in KMU wird die Erwartung verbunden, dass Arbeits-
organisationsformen in Unternehmen so gestaltet werden, dass
die Stärken der vernetzten Informations- und Kommunikations-
techniken genutzt und die mit der Einführung neuer Technolo-
gien einhergehenden Risiken, vor allem für die Beschäftigten an
E-Business-Arbeitsplätzen, weitgehend ausgeschlossen werden
(vgl. Freiling 2003).
Methodische Vorgehensweise des Projektes
Empirische Daten zu E-Business-Organisationsstrukturen in
Unternehmen wurden anhand qualitativer Erhebungen ermit-
telt. Good-Practice-Ansätze für die menschengerechte Gestaltung
der Arbeit im E-Business, die personelle, ökonomische, organisa-
torische, rechtliche und ergonomische Aspekte beinhalten, wur-
den in 14 Betrieben untersucht.
Zur empirischen Datenerhebung wurden vier unterschiedliche
Methoden genutzt:
+ Experten-Interviews mit der Geschäftsleitung oder Unter-
nehmensverantwortlichen sowie IT-Experten anhand eines
teilstandardisierten Interviewleitfadens,
+ Mitarbeiter-Befragungen mithilfe eines standardisierten
Fragebogens,
+ Arbeitsplatz-Beobachtungsinterviews mit dem psychologi-
schen Arbeitsanalyse-Instrument RHIA/VERA-Büro-Verfahren
(vgl. Leitner et al. 1993),
+ Untersuchung der Arbeitsplätze auf ergonomische Krite-
rien anhand des Bewertungsinstrumentes 'SAHIB 96' (vgl.
Kurtz et al. 1997) und der Software-Ergonomie mittels des
Beurteilungsinstrumentes 'KABA' (vgl. Dunckel et al. 1993
oder Dunckel 1999).
Die gewonnenen Daten wurden in 14 Fallberichten ausgewertet.
Mit den gebildeten Kategorien wurde sowohl eine vergleichende
als auch eine kontrastive Auswertung zwischen den Fällen selbst
sowie zwischen den Befragtengruppen möglich. Auf der Grund-
lage der Fallberichte wurden Chancen und Risiken sowie Stärken
und Schwächen des E-Business ermittelt.
Im Sinne einer deskriptiven Auswertung sind repräsentative
Schlussfolgerungen der Ergebnisse nicht zulässig. Die Aussagen
beziehen sich auf die untersuchten Unternehmen. Die Ergebnisse
der Fallanalysen und der damit verbundene Erkenntnisgehalt
haben die Basis für die Identifizierung der Gestaltungsdimensio-
nen gebildet und sind in die Entwicklung des Referenzmodells
eingeflossen.
2 Zusammenfassung der Ergebnisse empiri-scher Studien – Trends im E-Business
Prozessorientierung im E-Business
Die untersuchten Unternehmen haben ihre internen Prozesse
weitestgehend elektronisch abgebildet und unterstützt. Eine
Tendenz hin zu einer Prozessorientierung der Unternehmens-
organisation der untersuchten Betriebe ist erkennbar. Der Trans-
formationsprozess vom „Usual Business“ hin zu E-Business gestal-
tete sich ohne große Hemmnisse, da die Mitarbeitenden frühzei-
tig in die Planung der Veränderungen in den untersuchten Un-
ternehmen einbezogen wurden. Die unternehmensübergreifen-
de Gestaltung des E-Business befindet sich im Mittelstand noch in
einer Anfangsphase. Verzögerungen in der Entwicklung sind auf
die rudimentäre Einbindung von Kunden und Lieferanten in die
Planung von elektronischen Lösungen sowie fehlende Standards
bei den Schnittstellen zurückzuführen (vgl. Flacke 2003). Produktion 1 3
Handel 6 0
Dienstleistung 3 1
Branche KMU(max. 250 MA)
Großunternehmen(über 250 MA)
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 17
18 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Menschengerechte Arbeitsgestaltung im E-Business
Untersuchte kleine und mittelständische Unternehmen können
einige Good-Practice-Ansätze der menschengerechten Arbeits-
gestaltung im E-Business vorweisen:
+ Die vorgefundene offene Kooperationsform als Indikator
dafür, dass eher zusammenhängende und ganzheitliche
Aufgaben von Beschäftigten (in der Gruppe) bearbeitet
werden, gemeinsam Verbesserungsmöglichkeiten bei der
Arbeit beraten und Probleme im Team gelöst werden: Ko-
operation als zielgerechter Einsatz, um auf Veränderungen
mitarbeiterorientiert reagieren zu können.
+ ‚Partizipation‘ als Indikator für das Ausmaß, inwiefern
Wissen und Können der Mitarbeiter von den Betrieben ge-
nutzt werden, um gerade im E-Business den wachsenden
Ansprüchen komplexer werdender Prozesse begegnen zu
können. Nicht nur das Mitspracherecht der Belegschaft
bezüglich technischer und organisatorischer Veränderun-
gen im Arbeitsprozess, sondern auch die Möglichkeit, eige-
ne Ideen vorzuschlagen und auszuprobieren, stellen sich im
E-Business als vorteilhaft heraus.
+ Die Tendenz zu autonomen Strukturen als Indikator für De-
zentralisierung und Abbau von Hierarchien durch Verant-
wortungsübertragung auf den einzelnen Mitarbeiter.
Voraussetzung ist eine entsprechende Entscheidungs-
befugnis beim Einzelnen.
Kritische Aspekte bezüglich der menschengerechten Arbeitsge-
staltung im E-Business beinhalten die vorgefundenen Gesund-
heitsrisiken der modernen technologischen Arbeitswelt: Hohes
Arbeitstempo, hoher Zeitdruck, Leistungsverdichtung, hohe Kon-
zentration, widersprüchliche Arbeitsanweisungen, zu enger
Entscheidungsspielraum und z. T. geringe Autonomie. Psycho-
soziale Belastungen wie fehlende Anerkennung und Unterstüt-
zung, Konflikte mit Vorgesetzten und KollegInnen nehmen im
Verhältnis zu. Neue flexible Arbeitsformen verstärken die psychi-
sche Beanspruchung der Beschäftigten. Die modernen Informa-
tions- und Kommunikationstechnologien bewirken eine stetig
wachsende Menge an Informationen und beschleunigen den
Informationsfluss, was zu hoher Konzentration und schnellerer
Reaktion zwingt.
Insgesamt betrachtet zeigen die Fallstudien, dass E-Business
zahlreiche Optionen der Arbeitsgestaltung eröffnet, die Chancen
für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit bieten, aber
auch Risiken beinhalten (vgl. Potzner 2003 sowie Geißler &
Geißler-Gruber 2003).
Kompetenzentwicklung im E-Business
Die Einführung von E-Business erfordert die Qualifizierung der
Mitarbeitenden für die neuen Techniken und deren Anwendung
sowie die Entwicklung entsprechender Kompetenzen. Die Mehr-
zahl der befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhielten im
Zuge der E-Business-Einführung eine Schulung. Der Befund, dass
nur wenige der Unternehmen E-Learning für die Schulungen ein-
setzen, spiegelt den allgemeinen Trend wider, dass nach einer
ersten Phase sehr hoher Erwartungen an die Einsatzmöglichkei-
ten und Vorteile von E-Learning-Produkten nun die Euphorie in
den Unternehmen nachlässt.
Bezüglich der vermittelten Schulungsinhalte kann festgehal-
ten werden, dass eine Einführung in die Bedienung des zur An-
wendung kommenden Software-/Hardware-Systems alleine nicht
ausreicht. Vor allem das Verhalten bei Fehlern sowie die Sicher-
heit des Systems sind für die Mitarbeitenden weitere relevante
Themen (vgl. Lauer & Sonntag 2003).
3 Darstellung des Referenzmodells
Anwendungspotenziale und Adressaten des Referenzmodells
Das entwickelte Referenzmodell berücksichtigt humane, perso-
nelle, soziale, ökonomische, ergonomische und rechtliche Krite-
rien zur menschengerechten Gestaltung von Arbeit im E-Busi-
ness. Es soll branchenübergreifend bei der Einführung und Mo-
difizierung von E-Business in KMU einsetzbar sein und Lösungen
für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit im E-Business
offerieren.
Das zz. noch in der inhaltlichen Überarbeitung befindliche
Modell wurde in zwei Pilotbetrieben, die noch keine E-Business-
Organisationsstrukturen eingeführt haben, erprobt, evaluiert
und modifiziert. Zudem wurde es im April 2004 von Praktikern,
Beratern und Wissenschaftlern, die einen Online-Probezugang
erhielten, getestet und bewertet. Ziel der Evaluation ist die Opti-
mierung des entwickelten Modells und dadurch die Erhöhung
seiner Verbreitungschancen.
Mit dem Referenzmodell sollen interessierten Unternehmen,
insbesondere kleinen und mittelständischen Betrieben, konkrete
Handlungshilfen zur Einführung oder auch Modifizierung von
E-Business-basierten Lösungen für die Prozessorganisation ange-
boten werden. Damit werden die wichtigsten Gestaltungsdimen-
sionen in einem Modell erfasst. Zudem kann das Modell von
Unternehmensberatern oder beratenden Einrichtungen, die
einen fokussierten Blick auf die humanen Aspekte des E-Business
werfen wollen, genutzt werden.
Aspekte der Einführung im Referenzmodell
Das Referenzmodell integriert verschiedene Aspekte der
Einführung:
+ Ganzheitliche Gestaltungsempfehlungen zum Thema
E-Business,
+ Transformationsstrategien zur E-Business-Organisation,
+ Integration der Belange der Mitarbeiter,
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 18
19ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
+ Integration der Belange von Kunden, Lieferanten und
Partnern,
+ Entwicklung einer lernenden Organisation.
Für die Einführung von E-Business empfiehlt es sich, im Unter-
nehmen ein Kernteam aufzustellen, das die Gesamtverantwor-
tung trägt. Mitglieder eines Kernteams sind die Projektleitung/
-steuerung und Vertreter der Unternehmensleitung und der
Mitarbeiter sowie die Verantwortlichen für die Projektkommu-
nikation. Sie erfüllen administrative Aufgaben, berücksichtigen die
Belange der Mitarbeiter und unterstreichen die strategische Be-
deutung des Projektes für das Unternehmen. Einzelne Verantwort-
lichkeiten für die Realisierung definierter Ziele werden auf bestim-
mte Personen bzw. Personengruppen verteilt. Das Projektteam be-
steht insofern aus den Trägern der Arbeitspakete und einem Kern-
team.
Die Struktur des Referenzmodells
Das Referenzmodell gliedert sich in fünf Phasen, die bei der Ein-
führung neuer Technologien durchlaufen werden. Für jede Phase
werden zwölf verschiedene Verantwortungsbereiche bzw. Ar-
beitspakete mit projektspezifischen Aufgaben vorgeschlagen.
Damit kann die Einführung von E-Business strukturiert und mög-
lichst problemlos angegangen werden.
Verantwortungsbereiche des Referenzmodells
Die Aufgabenbereiche, die in einem E-Business-Projekt anfallen,
wurden zwölf Verantwortungsbereichen zugeordnet. Verant-
wortungsbereiche sind inhaltlich abgeschlossene Einheiten, die
von einer Person oder einer Personengruppe als Arbeitspakete
übernommen werden und deren Realisierung verantwortet wird.
Zusätzlich enthält das Referenzmodell Schnellcheckinstrumente,
Checklisten zu den verschiedenen Bereichen, weiterführende
Literaturhinweise, nützliche Links zum Thema sowie Arbeitshil-
fen und Tools. Interne Querbezüge zwischen den einzelnen Ver-
antwortungsbereichen sind ebenfalls integriert, um der Gefahr
einer isolierten Sicht eines Verantwortungsbereiches vorzubeu-
gen und so Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Mensch in
den Mittelpunkt der E-Business-Einführung stellen.
Erfahrungen mit dem Referenzmodell
Die Anwendung des Referenzmodells bei der Einführung von
E-Business ist parallel zu seiner Entwicklung in zwei Pilotbetrie-
ben getestet worden. Dabei konnten einige Erfahrungen gesam-
melt werden, die im Folgenden zusammengefasst werden: Ins-
gesamt ist festzustellen, dass die ersten beiden Phasen, die Strate-
gie- und die Konzeptphase, diejenigen Phasen sind, deren Durch-
lauf am längsten dauert. In der Strategiephase geht es um die
Projektphasen Bedeutung
1 Strategiephase Erarbeitung und Dokumentation stra-
tegischer Ziele
2 Konzeptphase Erstellung eines Konzeptpapiers nach
IST-Analysen
3 Vorbereitung Vom Papier zur Praxis: Beschaffung,
der Umsetzung Modifizierung, Simulation des gewähl-
ten Konzeptes
4 Umsetzungs- Roll-out mit Projektüberwachung
phase
5 Evaluation Evaluation der Projektumsetzung
sowie IST-SOLL-Analyse, Entwicklung
einer lernenden Organisation
GesundheitsförderlicheUnternehmenskultur
Ergonomie
Kompetenzentwicklung
Kommunikation & Kooperation
Arbeitsinhalte
Arbeitsorganisation
VerantwortungsbereicheReferenzmodell e@rbeit
IT
Prozesse
Ökonomische Umwelt
Kunden-,Lieferanten-,Partnerfokus
Finanzen
Recht
Abbildung 3: Verantwortungsbereiche des Referenzmodells e@rbeit
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 19
20 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Formulierung strategischer Ziele für das Unternehmen in Bezug
auf E-Business. Wo will ich hin, welche Kunden will ich erreichen,
welche Ziele will ich mit E-Business verwirklichen? In der Tat war
dies einem Pilotbetrieb nicht klar, was genau die Ziele der E-Busi-
ness-Einführung sind. Gerade hierauf sollte großer Wert gelegt
werden, die unternehmerischen Ziele so genau wie möglich zu
formulieren, um die anschließende Analyse und Umsetzung des
Geplanten einfacher durchführen zu können.
Für die Erstellung des Konzeptheftes in der Konzeptphase
sollte sich ebenfalls ausreichend Zeit genommen werden, um die
Ziele und deren Umsetzung im Konzeptheft so genau wie mög-
lich zu formulieren. Wie erwartet, wurden in einem der Pilot-
unternehmen zunächst die Verantwortungsbereiche, die eine
direkte Wertschöpfung anstreben, wie z. B. „Ökonomische Um-
welt“, „Prozesse“, „IT“, bearbeitet. Verantwortungsbereiche, wie
z. B. „Arbeitsinhalte“ und „Ergonomie“, wurden erst später er-
gänzt. Vermutlich liegt dies daran, dass keine direkte Wertschöp-
fung für den Betrieb in letzteren Bereichen gesehen wird, obwohl
gerade die Arbeitsgestaltung und die Ergonomie einen entschei-
denden Einfluss haben können auf die Arbeitsleistung, die Moti-
vation und die Gesundheit der Mitarbeitenden im Betrieb und
somit auch einen wertschöpfenden Charakter besitzen.
Die Phasen „Vorbereitung der Umsetzung“ und „Umset-
zungsphase“ stellen Phasen dar, in denen anhand des Konzept-
heftes die Ziele realisiert werden, was nach der Erstellung des
Konzeptheftes in den Pilotbetrieben reibungslos und in einem
Betrieb sogar unerwartet schnell erfolgte. Die Evaluation des
Umgesetzten sollte in regelmäßigen Abständen nach der Ein-
führung von E-Business durchgeführt werden.
Zugang zum Referenzmodell
Über eine multimediale Aufbereitung der Inhalte des Modells
steht ein Online-Tool im Internet für eine zügige Erfassung der
Gestaltungsdimensionen zur Verfügung. Das Referenzmodell kann
online unentgeltlich unter www.e-arbeit.biz aufgerufen werden.
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Flacke, A. (2003): Ökonomische Aspekte erfolgreicher E-Business-Organisationen: Prozesse, Strukturen, Vertrauen. In: Freiling, T.; Martin, H.
(Hg.): e@rbeit gestalten. Mensch – Organisation – Technik. S. 17-40. Kassel: Verlag Institut für Arbeitswissenschaft.
Freiling, T. (2003): Menschengerechte Arbeitsgestaltung im E-Business – Das Projekt e@rbeit. In: Freiling, T.; Martin, H. (Hg.): e@rbeit
gestalten. Mensch – Organisation – Technik. S. 7-16. Kassel: Verlag Institut für Arbeitswissenschaft.
Geißler, H. & Geißler-Gruber, B. (2003): Gesundheitliche Belastungen, Anforderungen und Ressourcen der Arbeit im E-Business. In: Freiling,
T.; Martin, H. (Hg.): e@rbeit gestalten. Mensch – Organisation – Technik. S. 141-161. Kassel: Verlag Institut für Arbeitswissenschaft.
Lauer, U. & Sonntag, K. (2003): Personale Aspekte erfolgreicher E-Business-Organisation: Qualifizierung und Zufriedenheit. In: Freiling, T.;
Martin, H. (Hg.): e@rbeit gestalten. Mensch – Organisation – Technik. S. 99-116. Kassel: Verlag Institut für Arbeitswissenschaft.
Potzner, C. (2003): Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation und Arbeitsplatz-Gestaltung im E-Business. In: Freiling, T.; Martin, H. (Hg.): e@rbeit
gestalten. Mensch – Organisation - Technik. S. 65-98. Kassel: Verlag Institut für Arbeitswissenschaft.
Weitere Informationen
„Analyse und Gestaltung von Modellen der menschenge-
rechten Arbeit im E-Business“
Förderkennzeichen: 01HT0127
www.e-arbeit.biz
Ansprechpartner des Projekts:
Prof. Dr. Hans Martin
Institut für Arbeitswissenschaft
Universität Kassel
Heinrich-Plett-Str. 40
34109 Kassel
Tel.: 0561 8044441
E-Mail: martin@ifa.uni-kassel.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 20
21ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
1.3 „Den Menschen mitnehmen“. Gestal-tung von Geschäftsprozessen, Arbeits-vorgängen und Kommunikation im E-Business
Christoph Rövekamp, Nicole Zillien, Stefan Zühlke
Competence Center E-Business der Universität Trier
1 Einführung
Wie können Unternehmen ihre Mitarbeiter dafür gewinnen, die
Integration und Realisierung von E-Business-Konzepten mitzu-
tragen und aktiv mitzugestalten? Die Beantwortung dieser zen-
tralen Frage setzt ein detailliertes Verständnis der Veränderun-
gen voraus, die mit den Arbeitsbedingungen der Leitidee E-Busi-
ness einhergehen. Infolgedessen geht es vor allem um die Siche-
rung der Wettbewerbsfähigkeit und Faktoren wie Qualifikation,
Motivation und Kreativität der Beschäftigten. Eine „Entweder-
Oder-Strategie“, also die ausschließliche Fokussierung auf ein tra-
ditionelles oder ein elektronisches Business-Konzept, wird wohl
langfristig nicht den gewünschten Unternehmenserfolg erzielen.
Vielmehr sind intelligente Integrationskonzepte gefragt, die die
technischen Vorteilspotenziale in Wettbewerbsvorteile der Unter-
nehmen transformieren. An dieser Stelle setzt das Projekt SPIRIT
an. Ziel des Projektes bestand darin, eine umfassende Integrations-
strategie und ein ganzheitliches Transformationskonzept gemein-
sam mit den Unternehmenspartnern zu entwickeln. Diese berück-
sichtigen sowohl die (internen) Geschäftsprozesse als auch die
(internen und externen) Kommunikations-, Arbeits- und Aus-
tauschprozesse. Basierend hierauf wurden integrative E-Business-
Konzepte in der Praxis umgesetzt, erprobt und optimiert.
2 Elektronische Geschäftsprozesse im Business-to-Business-Sektor
Geschäftsprozesse als zentrales Analyse- und Gestaltungs-
objekt
Ein zentrales Objekt der Analyse von E-Business sind die Geschäfts-
prozesse, die sich nicht auf einen eng abgegrenzten Bereich be-
schränken, sondern verschiedene Akteure des Wirtschaftsge-
schehens auf der Leistungserstellungs- und Leistungsnachfrage-
seite miteinander verbinden. Durch die weitreichenden Verän-
derungen in den Geschäftsprozessen werden Umstellungen not-
wendig und Entwicklungen angestoßen, die sich über viele Be-
reiche und Eigenschaften der Unternehmen und Wertschöp-
fungssysteme erstrecken. Wichtig sind vor diesem Hintergrund
zum einen die auf den Erfolg einwirkenden Kräfte und mögli-
chen Problembereiche in der Umsetzung, und zum anderen die-
jenigen Aspekte, die sich mit Änderungen in struktureller Hin-
sicht befassen, also die Integration von internen und externen Or-
ganisationseinheiten, die Dimensionen der Netzwerkfähigkeit (als
Voraussetzungen für kooperative Leistungserstellung), die Ände-
rungen der Unternehmenscharakteristika im Verlauf der E-Trans-
formation und schließlich das organisatorisch-strategische Umfeld.
Vernetzungspotenziale noch nicht ausgeschöpft
Bezeichnend für die momentane Situation der Unternehmen ist die
gleichzeitige Bewertung der Überlegenheit der neuen Lösung als
wichtigster Faktor für den Erfolg und die IT-Investitionsunsicherheit
in Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis als schwerwiegendste
Problematik. Die Unternehmen haben bereits einige Energie in die
interne Integration investiert. Im externen Bereich fallen die Bewer-
tungen dagegen ab, so dass die Potenziale zur Vernetzung und In-
tegration über Unternehmensgrenzen hinweg noch nicht vollstän-
dig ausgeschöpft werden. Dies liegt weniger in den Informations-
systemen selbst oder den Mitarbeitern begründet, vielmehr zeigen
sich die Geschäftsprozesse als am wenigsten netzwerkfähig. In der
gemeinsamen Konzeption der Geschäftsprozesse mit den externen
Partnern lässt sich demnach ein Erfolg versprechendes Handlungs-
feld identifizieren. Die Neukonzeption der Geschäftsprozesse über
Organisationsgrenzen hinweg erfordert indes auch ein Umdenken
in den bisherigen Beziehungssystemen. So werden z. B. Vertrauens-
aspekte relevant, wenn es um die gegenseitige Gewährung von
Zugriffsrechten auf die Systeme des Partners geht.
Zusammenspiel von Prozessen, Struktur, Strategie und Kultur
erforderlich
Der Blick auf die Merkmalsausprägungen der E-Business Trans-
formation bezeugt den hohen Stellenwert der Mitarbeiter für das
Unternehmen. Weniger fortgeschritten zeigen sich die strukturel-
len Rahmenbedingungen der Organisationen: Formale Richtlinien
statt informeller Selbstbestimmung, Bürokratie und abteilungsbe-
zogenes Denken in Kombination mit in vergleichsweise geringerem
Ausmaß verwirklichten Strukturoptimierungen lassen ebenfalls
einen Nachholbedarf erkennen. Obwohl in vielen Fällen womöglich
eine netzwerkfähige Unternehmenskultur und die Mitarbeiter als
Träger dieser Kultur strukturelle Defizite überspielen können, ist im
Einzelfall zu prüfen, ob die Verwirklichung einer möglichen Pro-
zesskonfiguration mit einem höheren Grad an Effektivität und Effi-
zienz nicht durch die bestehende Struktur verhindert wird. Struktu-
rell scheint insbesondere die Projektarbeit eine geeignete und er-
folgversprechende Form zur Durchführung von E-Business-Projek-
ten darzustellen. Gemeinsam mit der Existenz einer übergeordne-
ten E-Business-Strategie, gemäß derer die einzelnen E-Business-Ak-
tivitäten aufeinander abgestimmt werden, kann durch das Etablie-
ren einer Projektinfrastruktur eine günstige Entwicklungsumge-
bung für E-Business im Unternehmen geschaffen werden.
3 „Structure follows process“: Änderung derArbeitsprozesse im E-Business
Technologieintegration: Hohe Erwartungen, unklare
Investitionserfolge
Die im Rahmen des Projekts SPIRIT befragten Führungskräfte
und Betriebsräte betrachten die Integration vernetzter Technolo-
gien vor allem unter dem Gesichtspunkt der Kundenorientie-
rung und Wirtschaftlichkeit. Hierzu zählen: Verbesserung der
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 21
22 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Kommunikationsmöglichkeiten, Erhöhung der Produktivität der
Mitarbeiter, Steigerung der Arbeitsqualität, Erhöhung der Trans-
parenz über Arbeitsvorgänge, Verlängerung der Ansprechzeiten
für Kunden. Demgegenüber nehmen mitarbeiterorientierte Ziel-
setzungen wie die Steigerung der Mitarbeitermotivation oder -zu-
friedenheit mehrheitlich einen geringeren Stellenwert ein. Mit stei-
gender Unternehmensgröße gewinnen qualitative Dimensionen
(z. B. Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten) eine höhere
Bedeutung. Daneben lassen sich auch branchenspezifische Integra-
tionspfade erkennen (z. B. externer Veränderungs- und Wettbe-
werbsdruck als Beweggrund im Zuliefererbereich). Bislang haben
sich die im Vorfeld der Technologieintegration bestehenden Erwar-
tungen aber in der Regel nicht erfüllt. Darüber hinaus fehlen ökono-
mische Bewertungsmaßstäbe zur Messung des finanziellen Erfolgs
der Investitionen in die technologische Infrastruktur.
„Flattening the formal“: Zunahme der Selbststeuerung,
der Verantwortungsspielräume und der Formalisierung im
Arbeitsalltag
Die technologische Vernetzung ruft ein Netz neuer sachlicher
und kommunikativer Verflechtungen für die Nutzer hervor. Die
Mehrheit der Mitarbeiter ist der Auffassung, dass Entscheidungs-
prozesse im Rahmen von Team- und Gruppenarbeit unnötig in
die Länge gezogen werden. Mit zunehmender Teamgröße wird
einerseits deutlich die Notwendigkeit neuer Führungsqualitäten
von Vorgesetzten artikuliert, andererseits begünstigt die Reduk-
tion persönlicher Kontakte (z. B. Face-to-Face) und eine einge-
schränkte soziale Kontrolle egoistische Verhaltensweisen. Das
Arbeiten in elektronischen Arbeitsumgebungen geht insbeson-
dere aus Sicht formal höher Qualifizierter mit neuen Formen der
Verantwortungsdiffusion und so genannten Trittbrettfahrer-
Problemen einher. Daneben nehmen die Befragten auch einen
steigenden Grad an Formalisierung und Informationsdokumen-
tation wahr: Verantwortlichkeiten, Ansprechpartner und Ar-
beitsschritte sind zu definieren oder Meetings, Ergebniskontrol-
len und Fristen zu koordinieren. Prozessoptimierung geht
daher auch mit neuen 'Zeitfressern' im betrieblichen Alltag ein-
her. Jenseits solcher Reibungsflächen deuten die Analysen aber
ebenfalls darauf hin, dass sich mit teambasierten Arbeitsformen
– aus Sicht der Mehrheit der Mitarbeiter, Führungskräfte und
Betriebsräte – alles in allem qualitativ bessere Arbeitsergebnisse
im Vergleich zu 'individualistischen Arbeitskulturen' erzielen
lassen.
Mitarbeiter Führungskräfte Betriebsratsmitglieder
„... werden Entscheidungsprozesseunnötig in die Länge gezogen.“
„... zeigen Führungskräfte oftEntscheidungsschwäche.“
„... fallen leistungsschwacheMitarbeiter nicht auf.“
„... wird die hierarchische Arbeits-teilung zunehmend abgebaut.“
„... sind neue Führungsqualitätenfür Vorgesetzte gefragt.“
„... entsteht mehr Zeitdruck.“
„... steigt der Dokumentations-aufwand.“
„... wird die Leistungsbereitschaftder Mitarbeiter größer.“
„... bekommen Mitarbeiter mehrVerantwortung übertragen.“
„... werden alles in allem bessereArbeitsergebnisse erzielt.“
0 20 40 60 80 100
39,653,1
6658,1
48,5
58,3
46,4
68,853,2
50
79,2
80,493,8
91,681,3
53,1
77,493,8
87,5
78,1
79,2
68
45,8
59,4
54,284,4
75
72,2
18,8
28,1
Im Zuge von Team- und Gruppenarbeit ...
Abbildung 4: Elektronisch gestützte Teamarbeit nach Interessengruppen (Angaben in Prozent)1
1 N(Mitarbeiter) = 105; N(Führungskräfte) = 32; N(Betriebsratsmitglieder) = 49.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 22
23ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
Rationalisierungseffekte auf innerbetrieblichen Arbeits-
märkten: Qualifikatorische Verdrängungseffekte und
Segregationsprozesse erhalten neue Impulse
Im Zuge der Prozessoptimierung kommt es nicht nur zu einer
stärkeren Standardisierung und Strukturierung betrieblicher
Verwaltungsabläufe und Aufgaben, sondern parallel auch zu
einer Automatisierung von Routinetätigkeiten und -arbeitsschrit-
ten. Hiermit korrespondierende Tätigkeiten oder Teilhandlun-
gen entfallen vor allem für Beschäftigte ausführender Ebenen.
Während hier Dequalifikationsprozesse einsetzen, konzentrieren
sich demgegenüber strategisch-planerische oder konzeptionelle
Aufgaben, also kaum oder nicht-routinisierbare Tätigkeiten, ver-
mehrt auf höherqualifizierte Positionen in Unternehmen. Jen-
seits der Aufgabenintegration, insbesondere im mittleren Ma-
nagement, deuten sich weiter steigende Qualifikationsanforde-
rungen für die sich herauskristallisierenden 'Kernbelegschaften'
an. Das erwartete Kompetenz-Portfolio der Beschäftigten geht
dabei aus Sicht von Führungskräften deutlich über Technologie-
oder Computerfertigkeiten hinaus: Vor allem Kommunikations-
fähigkeit, Leistungsbereitschaft, Lernbereitschaft, Selbstorgani-
sation und Eigenverantwortung werden eingefordert. Daneben
kommt immer öfter die Managementfrage der ökonomischen
Effizienz der Prozessoptimierung auf. Theoretisch lassen sich
nunmehr vollständige Arbeitsprozesse betrieblicher Funktions-
bereiche rationalisieren und möglicherweise über externe
Dienstleister bzw. entsprechende Verträge kostengünstiger ab-
wickeln als in der Unternehmensorganisation. 'Make-or-buy'-
Entscheidungen werden immer öfter signifikant (Stichwort:
Outsourcing, Offshoring).
Paradoxien des Flexibilitätsparadigmas: Work-Life-Balance und
'Wohlfühlfaktor' Arbeitsplatz
Die Mehrzahl der Befragten, insbesondere Führungskräfte,
schätzt die neuen Arbeitsbedingungen als positiv ein. Allgemeine
Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden am Arbeitsplatz oder Ver-
einbarkeit von Beruf und Privatleben – in allen Bereichen empfin-
den die Beschäftigten mehrheitlich eine hohe Zufriedenheit.
Gleichwohl fragen die Arbeitnehmer flexible Erwerbs(zeit)model-
le wie Lebensarbeitszeitkonten, (Alters-) Teilzeit, Sabbatical oder
alternierende Telearbeit stärker nach als sie derzeit angeboten
bzw. genutzt werden (können). Das Modell der Vertrauensar-
beitszeit wird demgegenüber zwar von der Mehrheit der Ange-
stellten praktiziert, aber nur von einer Minderheit wirklich ge-
wünscht. Vor allem dort, wo flexible Arbeitszeiten vornehmlich
als strategischer Innovationsfaktor aufgefasst werden, scheint
das von Beschäftigten positiv wahrgenommene Potenzial der
Selbststeuerung sich in einen erhöhten Leistungsdruck zu wen-
den. Trotz einer allgemein hohen Arbeitszufriedenheit bewerten
die Mitarbeiter ihre zeitlichen Freiräume (z. B. für konzeptionelle
Aufgaben), ihre Aufstiegsmöglichkeiten, die Höhe des Gehalts
und die Arbeitsbelastung am wenigsten zufriedenstellend. Da-
neben trifft die Idee einer stärkeren Einbindung externer Wert-
schöpfungspartner in betriebliche Abläufe häufig eine geteilte
Akzeptanz. Maßnahmen und Instrumenten, die den Aufbau von
Vertrauensbeziehungen und eine durch Offenheit geprägte
Arbeits- und Kommunikationskultur fördern, kommt sowohl im
inner- als auch überbetrieblichen Kontext eine Schlüsselrolle zu,
um die zeitliche und organisatorische Flexibilisierung betriebli-
cher Prozesse gestalten zu können.
4 „Bleibt alles anders“ – Veränderungen derKommunikationsprozesse im E-Business
Wichtigstes Ziel des Technologieeinsatzes: Kommunikation
verbessern
Die „Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten“ gehört
nach Aussage der im Rahmen des Projekts befragten Führungs-
kräfte zu den wichtigsten Zielen des Einsatzes neuer Technolo-
gien. Dabei sind die meisten Führungskräfte (84,6%) davon über-
zeugt, dieses Ziel in ihrem Unternehmen schon erreicht zu ha-
ben. Am Beispiel der E-Mail lässt sich jedoch veranschaulichen,
dass eine erfolgreiche Technologieintegration kein Selbstläufer
ist. Die vorhandenen Vorzüge der E-Mail wie Schnelligkeit, Kos-
tengünstigkeit oder Asynchronität sind dem Risiko ausgesetzt,
durch nicht intendierte Begleiterscheinungen wie Informations-
überflutung, Vertrauensverlust oder Nutzungsunsicherheiten
kompensiert zu werden.
Fehlende Nutzungsregeln erschweren den Austausch
In Anlehnung an die Theorie der Strukturierung2 wird angenom-
men, dass Auswirkungen der E-Mail-Nutzung nicht nur durch die
Merkmale der Technologie selbst, sondern zudem durch organi-
satorische Rahmenbedingungen und Merkmale der Nutzer be-
stimmt werden. Vor diesem Hintergrund lässt sich zeigen, dass
die rein technische Implementierung der E-Mail, die in den be-
fragten Unternehmen weder mit der Formulierung einer konkre-
ten Zielsetzung noch mit der Vermittlung von Nutzungsregeln
einherging, zur Ausprägung sehr unterschiedlicher Mediennut-
zungsstile führte. Das in den Unternehmen vorherrschende
E-Business-Leitbild prägt dabei nicht nur die Rhetorik der Füh-
rungskräfte, sondern auch deren alltägliche Technologienut-
zung. So lässt sich für die befragten Unternehmen feststellen,
dass Führungskräfte die E-Mail anders nutzen und bewerten als
ihre Mitarbeiter. So findet im Zuge der Nutzung von Computer-
technologien eine Verbesserung des Informationsaustauschs zwi-
schen Mitarbeitern und Führungskräften eher aus Sicht letzterer
statt (vgl. Abb. 5). Diese Pluralisierung von E-Mail-Kulturen3
macht negative Begleiterscheinungen der elektronischen Kom-
munikation wahrscheinlicher, da die Nutzer unausgesprochen
unterschiedliche Erwartungen und Zielsetzungen mit der E-Mail-
Einführung verbinden.
2 Giddens 1984; Orlikowski 1992; Orlikowski 20003 Höflich 2003
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 23
24 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Vermittlung einer verbindlichen Kommunikationskultur wichtig
Über dreißig Jahre nach ihrer Entwicklung wird die E-Mail-Kom-
munikation immer noch als typisches Frühphasenphänomen
bezeichnet, da allgemeinverbindliche Normen zu formalen, stilis-
tischen, technischen, rechtlichen und sozialen Aspekten fehlen.
Vor dem Hintergrund der schnellen Diffusion der E-Mail und den
dieser technischen Entwicklung nur mit Verzögerung folgenden
rechtlichen, aber auch sozialen Regelungen werden Unsicherhei-
ten und Unklarheiten bezüglich der Nutzung neuer Technolo-
gien verständlich. Verbesserungen der unternehmensinternen
Kommunikationsprozesse durch (teilweise) Technisierung sind
jedoch ohne eine gleichzeitige organisatorische Entwicklung
nicht zu erwarten: Damit im Zuge der elektronischen Kommuni-
kation nicht „alles anders bleibt“, sondern besser wird, gehört die
Zieldefinition der Implementierung ebenso zu einer gewinnbrin-
genden Technologieintegration wie die Vermittlung einer ver-
bindlichen Nutzungskultur.
5 Dann nehm' ich meine sieben Sachen:Werkzeuge zur Technologieintegration
In den „Sieben Sachen“ wird das Managen von E-Business-Projek-
ten im Überblick vorgestellt und mit konkreten Hilfestellungen
zur Gesprächsführung mit IT-Dienstleistern, Einschätzung von
E-Business-Schwächen, Zusammenarbeit in digitalen Teams, Er-
stellung von E-Mail-Regeln, Partizipation im E-Business und
Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen verbunden. Die
folgenden sieben Werkzeuge sollen Mitarbeiter, Betriebsräte und
Führungskräfte auf die Einführung und Nutzung von E-Business-
Lösungen vorbereiten und eine durchdachte und erfolgreiche
Technologieintegration ermöglichen.
+ „Die Sieben Sachen. E-Business-Projekte managen“: In die-
ser einleitenden Broschüre werden die verschiedenen Pha-
sen eines E-Business-Projekts vorgestellt und mit der Cha-
rakterisierung der einzelnen Praxisbroschüren verbunden.
+ „E-Business Selbst-Check – Bereiten Sie sich auf das Ge-
spräch mit Ihrem IT-Dienstleister vor“: Der Selbst-Check
wirft die Fragen auf, die im Vorfeld einer E-Business-Imple-
mentierung durchdacht werden müssen und ermöglicht so
eine umfassende Vorbereitung auf Gespräche mit IT-Dienst-
leistern.
+ „Formtest E-Business – Wie fit ist Ihr Unternehmen?“: Nach
dem Leitwort „Gnothi seauton – erkenne Dich selbst“ wer-
den mit Hilfe der richtigen Fragen Stärken und Schwächen
bezüglich der E-Business-Implementierung ausfindig
gemacht.
+ „Let´s work together – Anleitung zum (Un-)Glücklichsein in
digitalen Teams“: Der Ratgeber für die Planung und Durch-
führung von Teamarbeit im digitalen Zeitalter arbeitet die
Merkmale, Prinzipien und problematischen Dimensionen
dieser Variante der Arbeitsorganisation heraus.
+ „M@ilensteine – Die Regelung der elektronischen Kommu-
nikation“: Eine Bandbreite an Regelungsvorschlägen zu
rechtlichen, sicherheitstechnischen, organisatorischen, sti-
listischen und arbeitsklimatischen Aspekten der elektroni-
schen Kommunikation ist Kernpunkt dieser Broschüre.
+ „Betriebsräte aufgepasst! – Die Beteiligung der Personal-
vertretung im E-Business“: Die in erster Linie für Betriebs-
Durch den zunehmenden Einsatz von Computertechnologien am Arbeitsplatz verbessert sich der Informationsaustauschmit meinen Vorgesetzten bzw. mit meinen Mitarbeitern
Quelle: Eigene Erstellung, [n=155 (Mitarbeiter), n=43 (Führungskräfte), Unternehmen A-E, Angaben in Prozent, Zustimmung (Skalenwerte 5-6) auf Skala von 1=“trifftganz und gar nicht zu“ bis 6=“trifft voll und ganz zu“]
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%A B C D E
Mitarbeiter Führungskräfte
40%
28,89%
12,5%16,67%
40%
71,43%
20,69%
40%
26,87%33,33%
Abbildung 5: Veränderungen des Informationsaustausches nach Interessengruppen (Angaben in Prozent)
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 24
25ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
und Personalräte gedachte Broschüre gibt Hinweise zu Be-
teiligungsansätzen in den einzelnen Phasen eines E-Busi-
ness-Projekts.
+ „Gewusst wie! – Durch Qualifizierung zum E-Business-
Erfolg“: Konkrete Handlungsanweisungen zur Feststellung,
Durchführung und Nachbereitung von in E-Business-Pro-
jekten auftretenden Qualifizierungsanforderungen gibt
diese SPIRIT-Broschüre.
Literatur
Böhm, S.; Herrmann, C.; Trinczek, R. (2002): Löst Vertrauensarbeitszeit das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? In: WSI-
Mitteilungen, 8/2002, S. 435-441.
Castells, M. (2001): Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft, Opladen
Fleisch, E. (2001): Das Netzwerkunternehmen: Theorien, Strategien und Prozesse zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit in der
„Networked economy“, Berlin u. a. 2001.
Fukuyama, F. (2002): Der grosse Aufbruch. Wie unsere Gesellschaft eine neue Ordnung erfindet, München
Giddens, A. (1984): The Constitution of Society: Outline of the Theory of Structuration. Berkeley.
Hartz, P. (2001): Job Revolution. Wie wir neue Arbeitsplätze gewinnen können, 1. Auflage, Frankfurt/Main.
Höflich, J. R. (2003): Einleitung: Mediatisierung des Alltags und der Wandel von Vermittlungskulturen. In: Höflich, J. R./Gebhardt, J. (Hg.):
Vermittlungskulturen im Wandel. Brief, E-Mail, SMS, Frankfurt a. M. u. a., S. 7-20.
Nefiodow, L. A. (1999): Der Sechste Kondratieff. Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information, 3. überarbeite-
te Auflage, Sankt Augustin.
Orlikowski, W. J. (1992): The Duality of Technology: Rethinking the Concept of Technology in Or-ganizations. Organization Science, Vol. 3,
No. 3, S. 398-116.
Orlikowski, W. J. (2000): Using Technology and Constituting Structures: A Practice Lens for Study-ing Technology in Organizations.
Organization Science, Vol. 11, No. 4, S. 404-428.
Weiber, R./Krämer, T. (2002): Paradoxien des Electronic Business und empirische Befunde, in: Weiber, R. (Hg.): Handbuch Electronic
Business: Informationstechnologien – Electronic Commerce – Geschäftsprozesse, 2. Aufl., Wiesbaden 2002, S. 181-209.
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Jäckel, M., Rövekamp, C., Würfel, A. (2004): Beyond the (digital) Connectivity: The Value of Communication and the Communication of
Values. [submitted to press]
Jäckel, M., Rövekamp, C., Würfel, A. (2004): „Structure follows process“: Experiences with new ways of working and communication
processes in organisations. [submitted to press]
Jäckel, M., Rövekamp, C., Würfel, A. (2003): To speak of organisation is to speak of communication: How efficient is the digital way? In:
Zülch, G.; Stowasser, S.; Jagdev, S. Harinder (Hg.): Human Aspects in Production Management. Proceedings of the IFIP WG 5.7. Working
Conference on Human Aspects in Production Management. Aachen, S. 307-313.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 25
26 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
1.4 Förderung von Akzeptanz und Motiva-tion im Rahmen von E-Business-Pro-jekten
Claudia Brasse, Prospektiv GmbH, Dortmund
Jochen Schuchardt, ExperTeam TA Telearbeit GmbH, Köln
1 E-Business in KMU – Potenziale undHindernisse werden erkannt
Die Einführung und Nutzung von E-Business-Anwendungen in
kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) ist heute fast schon
obligatorisch, und die Vorteile der Nutzung des Internet z. B. für
den Dialog mit Partnern und Kunden werden heute von kaum
mehr einem Verantwortlichen bestritten. So wird es zukünftig
den Verantwortlichen insbesondere um den Ausbau der eigenen
Marktposition sowie um die Verbesserung des Kundenservices
durch die Nutzung von E-Business-Anwendungen gehen. Die fol-
gende Abbildung skizziert die erkannten Potenziale1.
Auch wenn die Potenziale von E-Business heute von den Ver-
antwortlichen erkannt werden, sind bei der Umsetzung gerade in
kleinen und mittleren Unternehmen immer wieder folgende Beob-
achtungen zu machen, die die Einführung von E-Business bremsen.
Im Rahmen der oben schon zitierten „eProfit-Studie 2002“
wurden IT- und DV-Verantwortliche aus 260 vorrangig kleinen
und mittleren Unternehmen dazu befragt, welche Faktoren eine
bremsende Wirkung auf die Einführung von E-Business-Anwen-
dungen in den jeweiligen Unternehmen haben:
+ Bei über 30% der Unternehmen sind zu geringe oder gar
keine personellen Ressourcen für die Umsetzung eines
solchen Projektes vorhanden.
+ 50% der Unternehmen geben an, zumindest einen verant-
wortlichen Projektleiter oder Mitarbeiter der IT-Abteilung
für die Umsetzung abstellen zu können, der überwiegende
Teil der Projekte wird aber nach wie vor von der Geschäfts-
führungsebene initiiert und gesteuert.
+ Ein Drittel der Befragten geben an, dass durch bestehende,
streng hierarchische Unternehmensstrukturen Projekte
nicht flüssig realisierbar sind.
+ Berührungsängste sowie mangelndes Fachwissen über die
Nutzungsmöglichkeiten von Anwendungen im Internet
Jäckel, M., Rövekamp, C., Würfel, A. (2003): Beyond Tayloristic Hierarchies: More Flexibility and Autonomy or „electronic Babel of tongues“?
Consequences and Perspectives of Organizational Changes. In: The Third International Conference on Electronic Business (ICEB 2003),
Center for e-Business, National University of Singapore (Hg.): Proceedings of the Third International Conference on Electronic Business
(ICEB 2003). E-Business Paradigms: Strategic Transformation and Partnership. Singapur, S. 253-255.
Jäckel, M., Rövekamp, C. (2002): „Nothing Changes Overnight“: The Diffusion and Accep-tance of E-Business. Experiences with New Ways of
Working and Communication Processes. In: ICEB 2002 (Hg.): Proceedings of The Second International Conference on Electronic Business.
Global E-Business in Knowledge-Based Economy: Management, Practice and Opportunities. Tapei/Taiwan, S. 450-452.
Weitere Informationen
„Strategien und Potenziale einer intelligenten und rich-
tungsweisenden Integration neuer Technologien für
Organisationen (SPIRIT)“Förderkennzeichen: 01HT0147
www.ceb-trier.de/spirit
Dort stehen auch die Werkzeuge zur Technologieintegration
(Die Sieben Sachen) zum Download bereit.
Ansprechpartner des Projekts:
Christel Egner-Duppich
Competence Center E-Business der Universität Trier (ceb)
DM 017/Postfach 38
54286 Trier
Tel.: 0651 2013126
E-Mail: egnerdup@uni-trier.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Claudius H. Riegler
Tel.: 0228 3821-320
E-Mail: claudius.riegler@dlr.de
1 „eProfit-Studie 2002“, Marktforschungsagentur DKN
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 26
27ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
durch Mitentscheider bemängeln über die Hälfte der
Befragten.
+ Bei über 30% der Unternehmen müssen bestehende ge-
wachsene Arbeitsabläufe im Unternehmen zwangsläufig
neu strukturiert werden (bei den größeren Unternehmen
sogar 65%).
2 Erfahrungen aus der Praxis
Diese Ergebnisse können durch die Erfahrungen von fünf kleinen
und mittleren Unternehmen im Rahmen des Projekts ECAMUN
bestätigt werden. In der zweijährigen Zusammenarbeit, inner-
halb derer die Unternehmen unterschiedlichste E-Business-An-
wendungen entwickelt und implementiert haben, stellte sich das
Thema Akzeptanz und Motivation immer wieder als zentrale
Herausforderung dar. Die informelle Faustregel, nach der nur
maximal 20% des Erfolges von E-Business-Projekten in der techni-
schen Lösung begründet liegen und 80% von Faktoren wie Akzep-
tanz, Motivation und Qualifikation der Mitarbeiter beeinflusst
werden, fand sich deutlich bestätigt. Dabei haben sich im Rah-
men des genannten Projektes folgende zentrale Handlungsfelder
herauskristallisiert:
Unterstützung durch die Geschäftsleitung
Einhellig teilen die beteiligten Unternehmen die Erfahrung, dass
für den Erfolg von Veränderungsprozessen die Vorbildfunktion
und volle Unterstützung durch die Geschäftsführung zwingend
notwendig ist. In KMU ist dies in der Regel auch kein kritischer
Punkt, da die Geschäftsleitung zumeist selbst Initiator für den
Einsatz von E-Business-Anwendungen ist und häufig an der
Gestaltung und Umsetzung aktiv mitwirkt. Schwierigkeiten lie-
gen eher in den mangelnden Ressourcen begründet. Im allge-
genwärtigen Druck des Tagesgeschäfts verlieren interne Projekte
schnell die notwendige Priorität. Hier gilt es auch und gerade für
Geschäftsführungen, einen Projektplan kontinuierlich fortzu-
schreiben und ehrlich und konstruktiv mit Verzögerungen umzu-
gehen.
Vision und Ziele des Unternehmens definieren
Für alle geplanten Veränderungs- und Entwicklungsmaßnahmen
muss deutlich sein, wozu diese Maßnahmen konkret dienen und
wie sie in das Werte- und Zielsystem des Unternehmens passen.
Nahezu jedes Unternehmen hat ein solches Werte- und Zielsys-
tem, die wenigsten haben es niedergeschrieben. Es lässt sich aber
beobachten, dass die allermeisten Unternehmen dieses System in
einer bestimmten Form leben. Dass ein solches Werte- und Ziel-
system existiert, zeigt sich oft in Gesprächen mit Kunden oder im
Quelle: eProfit Studie 2002 Grafik: ECIN
Stärkung der
Marktpositionierung
gegenüber
Mitbewerbern
Verbesserung des
Kundenservices
Einsparungen bei
Geschäftsprozessen
Beschleunigung der
Auftragsabwicklung
Neukundenakquisition
Motivation der
Mitarbeiter
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%
60%
83%
31%
56%
30%
41%
Abbildung 6: Potenziale eines eCommerce-Engagements
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 27
28 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Rahmen von Bewerbungsgesprächen und den dort vermittelten
Aussagen. Gerade bei der Einführung von E-Business ist es wich-
tig, eine Vision bzw. ein Werte- und Zielsystem zu haben, denn
E-Business verändert meist in beträchtlichem Umfang den Un-
ternehmensalltag. Damit sind Widerstände und Ängste verbun-
den, denen begegnet werden kann, wenn klar ist, welchen Nut-
zen z. B. E-Business für das Unternehmen haben wird und das
Ergebnis zu der Vision und dem Ziel des Unternehmens passt.
Die Erfahrung zeigt, dass die Einführung von E-Busi-
ness-Anwendungen oftmals euphorisch beginnt („Der
Reiz des Neuen“), dann aber schnell vernachlässigt
wird. Grund hierfür ist die fehlende Orientierung und
Kontinuität in der Verfolgung der gesteckten Unter-
nehmensziele und der Vision. Die fehlende Kontinuität
auf oberster Unternehmensebene schlägt fast immer
bis auf die Alltagsaufgaben und -ziele der Mitarbeiter
durch und wirkt negativ.
Die Küppers Stahlbau GmbH, ein Stahlbauunternehmen mit 30
Mitarbeitern in Heinsberg, hatte sich zum Ziel gesetzt, sämtliche
Geschäftsprozesse elektronisch abzubilden und geschützte Zu-
griffe für Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter zu ermöglichen.
Hierdurch sollten Projektleiter, die häufig längere Zeit auf inter-
nationalen Baustellen tätig sind, immer auf aktuelle Informatio-
nen zugreifen können. Für ein kleines Unternehmen stellt ein
solch umfassendes Projekt eine große Herausforderung dar. Dass
es gelungen ist, liegt im Wesentlichen in der eindeutig formulier-
ten Zielsetzung und dem erkennbaren Nutzen für die Mitarbeiter
begründet. Hierdurch wurden ein hohes Engagement und die
Bereitschaft erzielt, neben dem Tagesgeschäft auch an der inter-
nen Prozessoptimierung zu arbeiten.
Veränderungsprozesse transparent machen
Die Einführung von E-Business ist immer auch ein Veränderungs-
prozess, der ohne eine gezielte Begleitung oftmals scheitert. Sei
es, dass „nur“ eine neue Technologie am Arbeitsplatz eingeführt
wird oder sich ganze Arbeitsabläufe umgestalten: immer müssen
gewohnte Verhaltensweisen aufgegeben und neue erlernt wer-
den. Um dabei möglichen Widerständen und Blockaden vorzu-
beugen ist eine frühzeitige Information über Zielsetzung, Inhalte
und Vorgehensweise des geplanten Projekts von zentraler Be-
deutung. Darüber hinaus muss der Projektfortschritt kontinuier-
lich kommuniziert werden. Dabei ist es besonders wichtig, erste
Erfolge und den konkreten Nutzen für die betroffenen Mitarbei-
ter herauszustellen. Ist eine solche Erfahrung nicht zu vermitteln,
wird es schwierig, die Bereitschaft bei den Mitarbeitern zu erzie-
len, die Veränderung mit umzusetzen. Aussagen, dass eine Ver-
änderung zum Nutzen des Unternehmens sei, werden oftmals
auch von der Unternehmensführung getroffen, wirken aber nur
mittelbar auf das Umfeld der Mitarbeiter und sind meistens nicht
spürbar oder erlebbar.
Die Erfahrung zeigt, dass Veränderungsprozesse dann
erfolgreich umgesetzt werden können, wenn es ge-
lingt, den Betroffenen und Beteiligten einen echten
Nutzen für die eigene Person oder das eigene Arbeits-
umfeld zu vermitteln. Veränderungen müssen positiv
erlebbar sein, dann werden sie auch vorangetrieben,
dies gilt insbesondere im Kontext von E-Business.
Um dies zu gewährleisten geht die Firma Bönders, ein Speditions-
unternehmen mit ca. 150 Mitarbeitern in Krefeld, bei der Einfüh-
rung von E-Business-Anwendungen schrittweise vor: zunächst
werden nur einzelne Mitarbeiter mit einer Neuerung vertraut ge-
macht und der EDV-Leiter führt persönlich die entsprechenden
Schulungen durch. Dies ermöglicht die direkte Vermittlung der
Vorteile eines neuen Systems sowie das Ausräumen von Beden-
ken und Anfangsschwierigkeiten. Nachfolgend ist er für weitere
Erläuterungen und Fragen stets ansprechbar und erkundigt sich
auch aktiv über mögliche Verbesserungsvorschläge seitens der
Mitarbeiter, die so sofort umgesetzt werden können. Auf diese
Weise werden überzeugte Multiplikatoren für die nachfolgende
flächendeckende Einführung gewonnen.
Veränderungen mitgestalten lassen
Damit die Einführung von E-Business gelingt, ist es unerlässlich,
dass die anstehenden Veränderungen auch mit den Mitarbeitern
erarbeitet werden und diese einen Gestaltungsspielraum besit-
zen, den sie ausschöpfen können und sollen. Damit dieser Ge-
staltungsspielraum nicht nur in der Theorie oder auf einem Blatt
Papier existiert, sondern einen echten Mehrwert insbesondere
für das Unternehmen erbringt, ist es notwendig, den beteiligten
Mitarbeitern den zeitlichen und fachlichen Rahmen zu geben,
um die Gestaltung auch wahrnehmen zu können. Ein solches
Engagement kann sich kaum neben dem Alltagsbetrieb entfal-
ten. Ebenso wichtig wie der zeitliche und fachliche Rahmen ist es,
die erarbeiteten Ideen und Anregungen zu würdigen und trans-
parent in die Überlegungen im Rahmen des E-Business-Projektes
zu integrieren.
Die Erfahrung zeigt, dass sich beim Ausnutzen des er-
öffneten Gestaltungsspielraums durch die Mitarbeiter
auch Effekte einstellen, die vorab gar nicht planbar
gewesen sind. Gerade das Ungeplante setzt neue
Impulse und ermöglicht dadurch oft bessere Lösungen.
Zur Planung einer neuen Intranet-Lösung führte die Geschäfts-
führung von Wort&Sinn Telemarketing, ein Unternehmen mit 80
Mitarbeitern in Gelsenkirchen, gemeinsam mit den Mitarbeitern
mehrere Workshops durch. Im Rahmen dieser Workshops wur-
den Ideen gesammelt, Anforderungen und Inhalte definiert so-
wie technische Umsetzungsmöglichkeiten vorgestellt und disku-
tiert. Dieses Vorgehen sicherte die bedarfsgerechte Gestaltung
des Intranets ebenso wie die nachfolgende engagierte Nutzung
seitens der Mitarbeiter.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 28
29ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
Lernwillen der Mitarbeiter unterstützen
Viele Mitarbeiter wollen sich heute mit ihrem Know-how und mit
überdurchschnittlichem Engagement in das Unternehmensge-
schehen einbringen, sind an der Entwicklung des eigenen Unter-
nehmens interessiert und wollen sich persönlich weiterentwi-
ckeln. Dies ist insbesondere dann zu beobachten, wenn Mitarbei-
ter darüber informiert sind, wohin sich das Unternehmen entwi-
ckeln will, und sich mit dem Unternehmen identifizieren.
Identifikation erleichtert Motivation.
Die Erfahrung zeigt, dass ein modernes Management
diesen Lernwillen und „Wissensdurst“ der Mitarbeiter
nicht beherrschen oder unterdrücken, sondern ihn für
die Veränderung, für die Einführung von E-Business
und letztlich für den Erfolg des Unternehmens gezielt
nutzen und unterstützen sollte.
Die Tekomedia GmbH, ein Telemarketingunternehmen mit 30
Mitarbeitern aus Bochum, setzt aus diesem Grund bewusst auf
hohe Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisationsprozesse.
Neuerungen werden nicht hierarchisch durchgesteuert, sondern
von Anfang an gemeinsam initiiert und getragen. So entstand die
Idee zum Aufbau einer Wissensdatenbank im Rahmen eines
Kundenauftrags. Sie wurde vom dort zuständigen Projektleiter
ausgearbeitet, im Rahmen des Gesellschaftergremiums vorge-
stellt und diskutiert und wiederum dezentral umgesetzt. Voraus-
setzung für ein solches Vorgehen sind hohe Kompetenz sowie
weitreichende Gestaltungsspielräume der Mitarbeiter.
Mitarbeiter fachlich in die Lage versetzen
Die Einführung von E-Business-Anwendungen stellt für die
Projektverantwortlichen, aber auch später für die Nutzer und
Betroffenen eine komplexe Herausforderung dar. E-Business hat
technische, organisatorische, betriebswirtschaftliche und kultu-
relle Gestaltungsebenen, die in ihrer Gesamtheit betrachtet wer-
den müssen. Dies erfordert entsprechendes Know-how. Ist dieses
Know-how nicht vorhanden, verzögern sich E-Business-Projekte,
werden nicht mit dem gewünschten Ergebnis beendet oder schei-
tern ganz. Es gilt deshalb, das Know-how intern aufzubauen und
ständig weiterzuentwickeln. Dies kann durch eine anfängliche
Projektbegleitung durch externe Dienstleister geschehen oder
durch den gezielten Aufbau von Know-how durch Schulungen usw.
Auch ein internes Coaching- oder Train-the-Trainer-Konzept kann
helfen, das notwendige Know-how intern aufzubauen.
Die Erfahrung zeigt, dass E-Business wie kaum eine an-
dere Technologie bzw. Konzeption, einem laufenden
Wandel unterworfen ist. Unternehmen, die E-Business-
Anwendungen einsetzen, müssen ständig die Markt-
entwicklungen beobachten und ggf. durch eine Wei-
terentwicklung der Anwendung reagieren. Deshalb
kommt dem internen Know-how-Aufbau eine Schlüs-
selrolle zu. Nur durch internes Know-how können
Unternehmen dauerhaft E-Business zum Vorteil des
Unternehmens einsetzen. Eine zeitlich begrenzte Un-
terstützung durch Externe kann sinnvoll sein, sollte
aber immer geprüft werden.
Im Servicecenter der regiocom GmbH führen 150 Mitarbeiter die
komplette Kundenbetreuung – von der An-/Ummeldung bis zur
Rechnungsstellung – für Energieversorgerkunden durch. Darüber
hinaus sind die Geschäftsprozesse nahezu vollständig elektronisch
abgebildet, so dass neben den fachlichen auch umfangreiche EDV-
Kenntnisse erforderlich sind. Um neuen und vorhandenen Mitar-
beitern die Scheu vor der komplexen Aufgabenstellung und den
hochgradigen IT-Anforderungen zu nehmen, wird auf umfassende
Qualifizierung gesetzt (siehe Abb. 7). Die Schulungsinhalte umfas-
sen dabei selbstverständlich nicht nur E-Business-Inhalte, sondern
integrieren verschiedene relevante Themenschwerpunkte. Dies bil-
det die Voraussetzung dafür, dass die Mitarbeiter Veränderungen
im Rahmen von E-Business-Projekten offen gegenüberstehen und
ein Verständnis für die zu Grunde liegenden Prozesse entwickeln.
Kick off Basis-Know-howProdukte
undSysteme
Basis-Know-how
Serviceund
Gesprächs-führung
Aufbau-training
schwierigeSituationen
Basis-Know-
howProzesse
Mithören undBeobachtung am
Arbeitsplatz
Prozess-training
– Prozess– Produkte– Arbeitsan-
weisungen– System– Markt– Gesprächs-
führung
Praxis-Phasen
– IntegrierteFallstudien
– Training onthe Job
– Coaching
Mithören undBedienung Technik
Gesprächsführungund Technik
einmalig
Basisschulung Patenschaften
Juniormitarbeiter
Seniormitarbeiter
Pate
pas
siv
Pate
akt
iv
kontinuierlich
Prozessschulungen
Abbildung 7: Schulungsaufbau im Servicecenter der RegioCom GmbH
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 29
30 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Professionelles Projektmanagement
E-Business-Projekte benötigen wie alle anderen Projekte ein ech-
tes Projektmanagement, das die wesentlichen Aspekte wie Zeit-,
Kosten-, Ressourcenplanung ebenso enthält wie eine formulierte
Projektzielsetzung, ein Controlling des Projektfortschrittes, eine
Qualitätssicherung, ein Kommunikationsmanagement oder auch
ein adäquates Risikomanagement. Oftmals wird auf ein struktu-
riertes und allen Beteiligten transparentes und vor allem verbind-
liches Projektmanagement jedoch verzichtet. Hauptgründe hier-
für liegen in der mangelnden strategischen Ausrichtung und
Priorisierung („wir sollten mal unseren Web-Auftritt überarbei-
ten“) sowie im fehlenden Know-how. Der Kosten- und Zeitrah-
men wird aber nur dann eingehalten und die Projektziele er-
reicht, wenn ein adäquates Projektmanagement die fachliche
Arbeit begleitet. Hierbei gilt es, die Balance zwischen Reglemen-
tierung/ Strukturierung und Freiheitsgrad der Entwicklung zu
finden.
Die Erfahrung zeigt, dass ein zu restriktives Projektma-
nagement die Kreativität behindert, ein vernachlässig-
tes jedoch keine Orientierung bietet. Projekte „versan-
den“ oder werden mit hohem Zeitverzug und zum Är-
gernis aller Beteiligten nebenher durchgezogen. Ein
adäquates Projektmanagement bildet das zwingend
notwendige Fundament für alle weiteren Schritte und
Maßnahmen, um Akzeptanz und Motivation für die
Einführung von E-Business-Anwendungen zu erzielen.
3 Fazit
Der Erfolg eines E-Business-Engagements in kleinen und mittle-
ren Unternehmen hängt nicht alleine von einer praxistauglichen
Konzeption und einer reibungslosen technischen Umsetzung ab.
Gerade die vermeintlich weichen Faktoren, wie z. B. die Un-
ternehmenskultur, Transparenz über Unternehmensziele und
Vision, das Veränderungsmanagement und auch das Projekt-
management, entscheiden oft über den Erfolg oder Misserfolg
von E-Business-Projekten. Die Praxis zeigt auch, dass sich gerade
mit den pragmatischen und schnell zu realisierenden Ansätzen
im Veränderungs- und Projektmanagement der größte Erfolg
einstellt.
Die im Projekt ECAMUN gemachten Erfahrungen hinsichtlich
Förderung von Akzeptanz und Motivation lassen sich auf alle
anderen Projekte und Aufgabenstellungen übertragen, denn in
jedem Projekt gestalten Menschen Veränderungen.
Weitere Informationen
„Electronic Business-Anwendungen in kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen (EC@MUN)“
Förderkennzeichen: 01HT0138, 01HT0139, 01HT0140, 01HT0141,
01HT0142
www.ecamun.de
Ansprechpartner des Projekts:
Dr. Thomas Langhoff
Prospektiv Gesellschaft für betriebliche
Zukunftsgestaltungen mbH
Friedensplatz 6
44135 Dortmund
Tel.: 0231 5569760
E-Mail: info@prospektiv-do.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Claudius H. Riegler
Tel.: 0228 3821-320
E-Mail: claudius.riegler@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 30
31ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
1.5 Neue Arbeitsprozesse durch E-Businessin Handwerk und Industrie
Andreas Rönnau, Lutz Fischer
Zukunftswerkstatt e.V. der Handwerkskammer Hamburg
1 Handwerk und E-Business – Ausgangs-situation und Problemstellung
Der wachsende Einsatz von E-Business-Anwendungen in Indus-
trie und Handel übt einen hohen Innovationsdruck auf die Zu-
lieferer von Gütern und Dienstleistungen aus. Elektronische
Bestellsysteme auf der Basis standardisierter Leistungsbeschrei-
bungen – auch für handwerkliche Dienstleistungen – sind in vie-
len größeren Betrieben in der Entwicklung und Erprobung, teil-
weise auch im Regeleinsatz.
Als klassische technische Dienstleister kennen Handwerks-
betriebe zwar genormte Leistungs- und Arbeitsbeschreibungen
(in Deutschland z. B. DIN-Normen im Bau- und Ausbaugewerbe),
den Schritt zu einer elektronischen Kommunikation mit ihren
industriellen oder öffentlichen Kunden haben die meisten Hand-
werksbetriebe jedoch noch vor sich. Bereits bestehende elektroni-
sche Anwendungen in Teilbereichen sind meistens Insellösungen
mit den entsprechenden Medienbrüchen.
Handwerksbetriebe sind typische personalintensive Dienst-
leister mit einem hohen Anteil an praktischem Erfahrungswissen.
Sie können diese Entwicklung nicht ohne interne Anpassungs-
prozesse bewältigen. Viele Handwerksbetriebe werden Schwie-
rigkeiten haben, die Kompetenzentwicklungen zu leisten, die die
neue Technik und Neuorientierung von Geschäftsprozessen
erfordern. Den Betrieben fehlen Anleitungen und best-practice-
Modelle. Hier knüpft das Projekt AIR-CRAFT an.
Professioneller Einkauf häufig wiederkehrender Handwerks-
leistungen (z. B. bei Reparaturen und Umbauten) kann durch ein
katalog- und netzgestütztes Abrufsystem erfolgen, um Prozess-
kosten zu sparen und Geschäftsabläufe mit Dauerlieferanten zu
vereinfachen. Dazu haben viele Großunternehmen und Woh-
nungsgesellschaften ausgehend von ihrer Bedarfssituation über
die Jahre Lieferantenkataloge erarbeitet, die gängige Leistungen
enthalten. Handwerksbetriebe, die für mehrere große Kunden
arbeiten, müssen mit verschiedenen Katalogsystemen arbeiten
und können so schnell überfordert werden. Nicht nur die Be-
zeichnungen für identische Leistungen, sondern auch die Be-
schreibungstiefe und die verwendete Software sind meist auf-
traggeberspezifisch geprägt.
Im Projekt AIR-CRAFT unterstützten die Partner Airbus
GmbH, Werk Hamburg, DIN Deutsches Institut für Normung e.V.,
Kooperationsstelle Hamburg und die Handwerkskammer Ham-
burg ausgewählte Handwerksbetriebe des Baugewerbes bei der
Implementation elektronischer Kataloge und entwickeln auf
KMU abgestimmte Fortbildungsmodule. Hier erstellten also die
Lieferanten einen Ordersatz katalogisierter Leistungen.
Am Beispiel von Airbus GmbH, Werk Hamburg, als Betreiber
eines E-Procurement-Systems wurde mit über 20 Handwerksbe-
trieben aus den Gewerken Maurer, Maler, Elektro, Metallbau,
Sanitär, Klempner und Tischler die technische Umgebung so ge-
staltet, dass sowohl handwerks- als auch airbusseitig alle Auf-
tragsdaten – von der Bestellung bis zum Ausgleich der Rechnung
– medienbruchfrei verarbeitet werden können und das System
trotz individuell verschiedener Voraussetzungen der Nutzer
leicht beherrschbar ist. So entstand ein professionelles, auftrag-
geberneutrales E-Catalog-Managementsystem, das die befürchte-
te Überforderung zu vermeiden hilft.
Begleitend sind speziell abgestimmte Qualifizierungsmodule ent-
wickelt und erprobt worden, die die Mitarbeiter der Handwerksbe-
triebe befähigen, die Umstellung auf die neue Technik sowie die ver-
änderten Geschäftsprozesse zu beherrschen. Besondere Beachtung
gilt auch der Erhöhung der strategischen Kompetenz der Branche,
E-Business als Möglichkeit der Sicherung des wirtschaftlichen Erfolges
und als Chance zur Erschließung neuer Absatzwege zu nutzen.
Einmal vorhandene elektronische, betriebsspezifische Kata-
loge können mehreren Auftraggebern angeboten werden. Sie
dienen aber auch dazu, den Geschäftsprozess im Handwerks-
betrieb zu vereinfachen, zu beschleunigen und helfen, Fehler
durch mehrfache Dateneingabe zu vermeiden. Wichtig ist, dass
sie Bestandteil eines integrierten E-Business-Systems sind oder
werden, um die Vorteile der elektronischen Bearbeitung durch
die Anbindung des handwerklichen Warenwirtschaftssystems
zur Geltung zu bringen.
2 Aspekte der Arbeitsgestaltung im Handwerksbetrieb
Analyse der Ist-Situation
Den Ausgangspunkt für alle weiteren Untersuchungen bildete
eine umfassende Analyse der aktuellen Situation in den Hand-
werksbetrieben. Dazu wurden zwei Fragebögen entwickelt.
Der erste Fragebogen richtete sich an die Geschäftsführer der
teilnehmenden Betriebe. Er gab Aufschluss über die Ausstattung
mit Hard- und Software sowie deren Anwendung im Bereich der
Auftragsbearbeitung. Zudem wurde der Ablauf der Geschäfts-
prozesse, die mit der Auftragsbearbeitung zusammenhängen,
erfasst. Aufgrund der relativ geringen Anzahl von 23 zu befragen-
den Betrieben wurde auf die Befragungsform des mündlichen
Interviews zurückgegriffen. Dadurch konnte eine hohe Erfolgs-
quote der Befragung hinsichtlich Rücklauf, Zuverlässigkeit und
Genauigkeit der Daten erzielt werden.
Mit einem zweiten Fragebogen wurde die Situation der
Beschäftigten analysiert, um die Umgestaltung der Geschäfts-
prozesse menschengerecht zu vollziehen. Er richtete sich an alle
Mitarbeiter der beteiligten Handwerksbetriebe, die die Abwick-
lung von Aufträgen kaufmännisch unterstützen – z. B. Liefer-
scheine ausstellen, Material bestellen, Rechnungen schreiben,
Zahlungseingänge überwachen. Die Befragung stützt sich in wei-
ten Teilen auf die europäische Norm DIN EN ISO 9241-2, die den
Stand der gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zur
humanen Arbeitsgestaltung im Bereich der bildschirmgestützten
Informationsverarbeitung widerspiegelt. In diesem Sinne wur-
den Arbeitsinhalte, individuelle Erfahrungen im Umgang mit
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 31
32 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
EDV und Katalogsystemen, die psychische Belastungssituation
sowie die individuelle aufgabenbezogene Qualifikationssituation
erfasst.
Diese Bestandsaufnahme machte deutlich, dass Handwerks-
betriebe entgegen verbreiteter Vorurteile aus technischer Sicht
schon sehr gut auf die Anforderungen des E-Business vorbereitet
sind. Sie sind mit leistungsfähigen Computern ausgestattet, sind
in Grundzügen mit deren Umgang vertraut und haben Erfahrun-
gen mit dem Internet gesammelt.
Hilfestellung benötigen sie hauptsächlich bei der Abstim-
mung der eingesetzten Software aufeinander, um die internen
Arbeitsabläufe zu optimieren. Zudem haben nur wenige der
befragten Betriebe Erfahrungen im Umgang mit Leistungskata-
logen gesammelt, die eine wesentliche Grundlage der elektroni-
schen Bestellung bilden. Hier müssen gezielte Schulungs- und
Beratungsangebote ansetzen, die im Projekt AIR-CRAFT ent-
wickelt wurden und den Handwerkern auch nach Projektende
offen stehen.
Katalogentwicklung
Grundlage der elektronischen Bestellung sind Kataloge, die das
individuelle Leistungsangebot der Handwerksbetriebe präsentie-
ren und mit dem jeweiligen Auftraggeber abgestimmt sind. Da
sich Handwerksleistungen ebenso wie andere Dienstleistungen
nie vollständig gleichen und nur sehr schwer standardisierbar
sind, können hier nur immer wiederkehrende Arbeitsleistungen
erfasst werden. Aus diesem Grund konzentriert sich AIR-CRAFT
auf Instandhaltungsreparaturen, die auf der Grundlage von
Rahmenverträgen erbracht werden.
Auf Basis der Standardleistungsbücher für das Bauwesen
Zeitvertragsarbeiten STLB (Z) wurden gemeinsam mit den Hand-
werkern individuelle Leistungskataloge erstellt. Für die meisten
Handwerker war es schwierig, ihr Leistungsangebot in standardi-
sierte Katalogpositionen zu transformieren – trotz der Beschrän-
kung auf häufig wiederkehrende Instandhaltungsreparaturen.
Durch gezielte Schulungen und moderierte Workshops, in denen
Handwerker und Vertreter von Fachverbänden ihre Erfahrungen
austauschen können, bietet AIR-CRAFT auch nach Projektende
Unterstützung bei der Katalogerstellung an.
Exemplarisch haben sechs Pilotbetriebe aus drei Gewerken
gemeinsam mit den entsprechenden Fachabteilungen von Air-
bus aus ihrem individuellen Leistungsangebot die von Airbus
häufig angeforderten Arbeiten markiert und so airbusspezifische
Kataloge generiert, die anschließend hinsichtlich der von Airbus
vorgegebenen technischen und organisatorischen Rahmenbe-
dingungen angepasst wurden.
Nach einer Testphase der elektronischen Bestellung von
Handwerksleistungen mit den Pilotbetrieben werden auch für
die anderen am Projekt beteiligten Betriebe die individuellen
Kataloge an die besonderen Bedingungen bei Airbus angepasst.
Im Ergebnis werden die Bestellprozesse wiederkehrender In-
standhaltungsarbeiten sowohl bei den Handwerkern als auch bei
Airbus medienbruchfrei elektronisch abgewickelt.
Software-Entwicklung
Das entwickelte Katalogsystem soll einerseits ermöglichen, dass
Handwerksbetriebe elektronische Ordersätze medienbruchfrei
verarbeiten können. Andererseits soll es für die Mitarbeiter von
Airbus möglich sein, über ihr elektronisches Beschaffungssystem
Handwerksleistungen abzurufen. Die sich ergebenden Schnitt-
stellen müssen sowohl für verschiedene Softwarelösungen auf
Seiten der Handwerksbetriebe als auch für verschiedene Beschaf-
fungssysteme auf Seiten der Auftraggeber kompatibel sein.
In AIR-CRAFT erfolgt der Datenaustausch zwischen Hand-
werker und Auftraggeber über GAEB- Schnittstellen, die sowohl
die Handwerker als auch die Auftraggebersoftware bereithält.
Damit wird nicht nur bei der Katalogerstellung, sondern auch bei
der Lösung der Schnittstellenproblematik auf etablierte Stan-
dards des Baugewerbes zurückgegriffen. Darin liegt ein großer
Vorteil der in AIR-CRAFT entwickelten Lösung gegenüber ande-
ren, individuellen Lösungen.
Für einen medienbruchfreien Ablauf des gesamten Bestell-
prozesses von der elektronischen Order der Handwerksleistung
bis zur Rechnungsstellung sind weitere technische Anpassungen
notwendig, die in AIR-CRAFT mittels der von der Firma Schnitt-
stelle Bau entwickelten Software Win-GAEB© realisiert werden.
Dieses Datenaustauschtool unterstützt den mit Airbus abgestimm-
ten Geschäftsprozess der Auftragsabwicklung auf Katalogbasis
und stellt die Weiterverarbeitung der Daten in der Bausoftware
der Handwerksbetriebe sicher.
Die elektronische Bestellung von Handwerksleistungen wird
mit den Pilotbetrieben und Airbus momentan noch getestet,
jedoch wird der Prozess schon jetzt weitestgehend reibungslos
abgebildet. Dabei bleibt die eingeführte E-Procurement-Lösung
nicht auf Airbus als Auftraggeber beschränkt, sondern ermög-
licht den Handwerksbetrieben, elektronische Ordersätze aus
ihrem System zu generieren und die elektronische Bestellung mit
verschiedenen Auftraggebern zu praktizieren.
Ziel ist, die E-Procurement-Lösung nach Projektende weiteren
interessierten Handwerksbetrieben zur Verfügung zu stellen, da-
mit ein reibungsloser E-Procurement-Prozess zwischen Nachfra-
gern und Anbietern entsteht. Dabei könnte die technische Lösung
mittelfristig ein kostengünstiger Standard werden. Ein Standard,
der nicht unbedingt auf Deutschland beschränkt bleiben muss.
Entwicklung von Qualifizierungsmodulen
Aufbauend auf der Bestandsaufnahme der Qualifikations- und
Kompetenzstruktur in den Handwerksbetrieben wurden beispiel-
orientierte Schulungsangebote erarbeitet. Mitarbeiter und Un-
ternehmensleiter können sich so qualifizieren, dass sie mittels
der in AIR-CRAFT entwickelten Lösungen die Umstellung ihrer
Geschäftsabläufe auf E-Business-Bedingungen leisten können
und dabei nicht auf den Einkauf teurer externer Beratungsleis-
tungen angewiesen sind.
Die Schulung ist modular aufgebaut, so dass sie der individu-
ellen Bedarfssituation angepasst werden kann. Die Schwerpunkte
der Qualifizierungsmaßnahme sind:
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 32
33ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
+ EDV-Grundlagen
+ E-Commerce: Gestaltung der innerbetrieblichen Ge-
schäftsprozesse (z .B. Buchhaltung und Kostenrechnung,
Personalwesen, Auftrags- und Bestellwesen)
+ E-Commerce: Gestaltung außerbetrieblicher Geschäfts-
prozesse (z. B. Marketing, elektronische Ausschreibungen,
elektronischer Zahlungsverkehr)
+ Arbeit mit elektronischen Katalogen
+ Kalkulation der Handwerksleistungen am Computer
+ B2C Anwendungen im Internet
+ Implementierung von E-Business-Prozessen.
In einem weiteren Seminar werden die Handwerker befähigt,
ausgehend vom gewerkespezifischen Standardleistungsbuch
eigene elektronische Kataloge zu generieren, diese an die jeweili-
gen technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen
verschiedener Auftraggeber anzupassen und die Daten in die
eigene Handwerkersoftware zu integrieren.
Standardisierung/Modellbildung
Das Vorhaben wurde nach relevanten Aspekten analysiert und
das Standardisierungs- und Normungspotenzial aufgezeigt.
Dieses bezieht sich z. B. auf Arbeitsabläufe, Arbeitsstrukturen, Ar-
beitsbedingungen, Hard- und Softwarekomponenten, Schnitt-
stellen, die Angebots- und Auftragsgestaltung und die elektroni-
schen Leistungskataloge. Bereits existierende Normen und Mo-
delle wurden auf ihre Anwendbarkeit und Übertragbarkeit auf
die im Projekt behandelten Themenfelder untersucht (siehe auch
Abschnitt 3).
Entwicklung von Checklisten und Handlungsanleitungen
Für die Handwerksbetriebe werden einfache und verständliche
Checklisten und Handlungsleitfäden erstellt, die die angebote-
nen Qualifizierungsmaßnahmen ergänzen. Sie umfassen alle
Phasen der Einführung kataloggestützter elektronischer Bestel-
lung von Handwerksleistungen und beschreiben mögliche Pro-
bleme bei der Anwendung.
Somit bietet AIR-CRAFT interessierten Handwerksbetrieben
nicht nur während der Projektlaufzeit, sondern auch darüber hin-
aus umfassende Hilfestellung bei der teilweisen oder kompletten
Umsetzung elektronischer Auftragsabwicklung im Bereich der
Gebäudeinstandhaltung.
3 Entwicklungsbegleitende Normung, dieGestaltung elektronischer Geschäftsprozesseund Nutzung elektronischer Kataloge
Elektronische Geschäftsprozesse für das Bestellen, Bearbeiten
und Abrechnen von handwerklichen Dienstleistungen im Bau-
bereich stecken noch in den Kinderschuhen und werden selten
initiativ von Handwerksbetrieben aufgebaut. Gründe hierfür lie-
gen in der noch geringen Akzeptanz elektronischer Verfahren
durch kleine und mittlere Unternehmen und in der Schwierig-
keit, Dienstleistungen für den elektronischen Datenaustausch
greifbar zu machen.
Das elektronische Bearbeiten von Aufträgen umfasst zwei
Bereiche, nämlich
+ den elektronischen Prozess der Bearbeitung selbst und
+ die Nutzung elektronisch vorliegender Inhalte.
Die letzteren sind die Voraussetzung für das Bearbeiten von Be-
stellungen, die mehr als einmal auftreten. Sie schaffen in Form
von Katalogen mit eindeutigen Beschreibungen von Waren oder
Dienstleistungen, mit Bestellnummern und Preisen die Grundla-
ge für elektronische Geschäftsprozesse bei Handwerksbetrieben.
Analog hierzu galt es im Projekt nicht nur, die notwendigen
Kataloge zu entwickeln, sondern auch die Ist-Prozesse so aufzu-
bereiten, dass die Handwerksbetriebe nun sämtliche Schritte mit
Airbus elektronisch abwickeln können.
Zur Unterstützung dieser Arbeiten bot das Deutsches Institut
für Normung e. V. (DIN) Methoden der Entwicklungsbegleiten-
den Normung (EBN) an: Analyse vorhandener Normen und Stan-
dards im Hinblick auf die Einsetzbarkeit im Projektrahmen, He-
rausarbeiten standardisierungsfähiger Themen, Modellbildung
und damit Sicherung der Übertragbarkeit auf andere Zusammen-
hänge mit ähnlichen Anwendungsbereichen.
Grundlage für die Entwicklung der Kataloginhalte waren die
Standardleistungsbeschreibungen des Gemeinsamen
Ausschusses für Elektronik im Bauwesen GAEB, die vom DIN e. V.
herausgegeben werden und in elektronischer Form vorliegen.1
Hier wurde für jeden teilnehmenden Handwerksbetrieb eine in-
haltliche Auswahl getroffen: es wurden nur die Leistungen aufge-
nommen, die der Betrieb Airbus anbieten möchte und die – basie-
rend auf Erfahrungswerten – tatsächlich zur Anwendung kom-
men. Es zeigte sich, dass einige Airbus-typische Leistungen zu-
sätzlich beschrieben werden mussten, um dem Bedarf der nicht-
fliegenden Bereiche beim Flugzeugbauer zu entsprechen. An-
schließend wurden die Anforderungen des Katalogsystems von
Airbus in Angriff genommen: zusätzliche Kodierungen, Übertra-
gung in spezifische Daten- und Übergabeformate usw.
Diese Schritte kann ein Handwerksbetrieb kaum ohne Unter-
stützung tun: so wurde im Sinne der EBN ein Leitfaden entwi-
ckelt, der den Betrieb durch die einzelnen Schritte der Katalogent-
wicklung leitet, von der Bewertung der Geschäftsidee über die
1 siehe auch www.gaeb.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 33
1.6 Regionalbezug innovativer Dienstleis-tungen: Mit Change Management zumErfolg im E-Business
Sie Liong Thio, Britta Oertel; IZT gGmbH, Berlin
Thomas Feil, Deutsches Wirtschaftswissenschaftliches Institut
für Fremdenverkehr, Berlin
1 Einführende Bemerkungen
Anhand des Praxisbeispiels „Harzer Verkehrsverband e.V.“ (HVV)
werden im Folgenden die einzelnen Schritte der im Projekt unter-
stützten Veränderungsprozesse sowie deren Bedeutung für die
Arbeits- und Unternehmensgestaltung erläutert. Der Beitrag
fokussiert im Einzelnen:
+ die Feststellung des Status Quo
+ die Identifizierung von Veränderungspotenzialen
(Arbeitsplatzgestaltung, neue Aufgabengebiete und
Geschäftsfelder)
+ die Umsetzung innovativer Formen der Arbeits- und
Unternehmensgestaltung
+ die Evaluation des Veränderungsprozesses.
Der „Harzer Verkehrsverband e.V.“ ist die touristische Marketing-
organisation für den gesamten Harz und zählt 250 Mitgliedsorte
und -unternehmen. Seine Aufgabe ist es, für die touristischen
Angebote der Region zu werben und die Aktivitäten seiner Mit-
glieder zu unterstützen und zu koordinieren.
34 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Auswahl von Kataloginhalten bis zur Testphase, dem Betrieb und
der Pflege. So kann ein Betrieb auch entscheiden, ob er sich an
einigen Stellen Know-how, z. B. beim Einrichten seiner EDV, dazu
kaufen sollte.
Die Entwicklung von elektronischen Geschäftsprozessen für
die Betriebe im Projekt vollzog sich in einem fortlaufenden Ab-
stimmungs- und Erprobungsprozess – dem typischen Merkmal
Entwicklungsbegleitender Normung – zwischen Airbus und den
anderen Projektbeteiligten. Nur so konnte sichergestellt werden,
dass das Ergebnis den tatsächlichen elektronischen Abläufen ge-
recht werden würde. Hier zeigte sich, dass ein gemeinsames
Verständnis über die Bedeutung der einzelnen Prozessschritte
von größter Bedeutung ist.
Damit hat das Ergebnis einen Modellcharakter und wurde in
einem Referenzmodell dokumentiert. Es orientiert sich an den
Schritten des elektronischen Geschäftsprozesses und ist auf ande-
re Betriebe übertragbar, indem es zur Entwicklung und Beschrei-
bung eines eigenen Prozesses aufruft und keine Vorgaben macht.
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Projekt AIR-CRAFT – E-Business für Handwerk und Industrie in der Gebäudeinstandhaltung, Herausgeber: Handwerkskammer Hamburg,
Heft 2/2002 der Schriftenreihe der Handwerkskammer Hamburg
Kaiser, S., Rönnau, A., 2003: AIR-CRAFT – E-Business für Handwerk und Industrie, in: DIN-Mitteilungen 5-2003, S. 13-17.
Weitere Informationen
„Erprobung und arbeitsorganisatorische Optimierung von
E-Business-Anwendungen zwischen Handwerksbetrieben
und Industrie (AIR-CRAFT)“
Förderkennzeichen 01HT0118, 01HT0119, 01HT0120
www.projekt-air-craft.de
Ansprechpartner des Projekts:
Andreas Rönnau
Zukunftswerkstatt e.V. der Handwerkskammer Hamburg
Holstenwall 12
20355 Hamburg
Tel.: 040 35905-326
E-Mail: aroennau@hwk-hamburg.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Claudius H. Riegler
Tel.: 0228 3821-320
E-Mail: claudius.riegler@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 34
35ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
Problemlage
Die Tourismuswirtschaft im Harz sieht sich folgenden Heraus-
forderungen gegenüber, die auch vor dem Hintergrund globaler
Trends und Megatrends unmittelbaren Einfluss auf die Nachfrage
touristischer Leistungen und in deren Folge auf das Angebot bzw.
auf den wirtschaftlichen Erfolg touristischer Organisationen im
Harz und auf den HVV selbst haben.
Demographische Veränderungen: Bevölkerungswissen-
schaftler gehen davon aus, dass es nicht nur in Deutschland eine
beträchtliche Veränderung der altersmäßigen Bevölkerungs-
zusammensetzung geben wird. Die Zahl der 20- bis 60-Jährigen
wird sich hier bis zum Jahr 2050 um 16 Millionen verringern. Ent-
sprechend werden sich die Ansprüche und die Zusammenset-
zung der Zielgruppen auch für ein touristisches Zielgebiet wie
den Harz ändern. Derzeit belastet die schlechte konjunkturelle
Situation in Deutschland und vielen anderen touristischen Ziel-
ländern das hiesige Tourismusgeschäft. Besonders für das Seg-
ment der Geschäftsreisen wirken sich gekürzte Reisebudgets der
Firmen, Rationalisierungsprogramme der Wirtschaft, anhalten-
der Personalabbau, steigende Insolvenzen sowie die vermehrte
Nutzung von Billigflügen für geschäftliche Zwecke unmittelbar
auf die Umsätze aus. Als Konsequenz werden das Reiseziel, die
Reisedauer und das Leistungsniveau der Anbieter überprüft. Die
Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie
ist Herausforderung und Lösungsinstrument zugleich. Die klassi-
schen Vertriebsformen werden aufgeweicht. Mit den heute ver-
fügbaren neuen Technologien aus der Informationslogistik und
der Kommunikationstechnik lassen sich neue Kundenbeziehun-
gen aufbauen, die die Vorteile beider Vertriebswege kombinie-
ren. Aufgrund der rasanten Entwicklung auf dem Informations-
und Kommunikationssektor kann heute jede Stufe der touristi-
schen Wertschöpfungskette mit jeder anderen und vor allem mit
den potenziellen Kunden direkt kommunizieren. Fragen zur
Sicherheit werden immer wichtiger, wenn es darum geht, Reise-
ströme zu erklären. Krisenherde und terroristische Akte, aber
auch Epidemien (z. B. Sars) führten zu einem Wandel des Reise-
verhaltens. Nicht vorhersehbare Umweltkatastrophen wie die
beiden Flutkatastrophen im Osten Deutschlands sind ebenfalls
wichtige Einflussfaktoren bei den Reiseströmen.
Durch die Globalisierung stehen die verschiedenen Destina-
tionen mit ihren spezifischen Erlebniswelten weltweit zueinan-
der in Konkurrenz. Die Wettbewerbsintensität hat in Bezug auf
die Preise und Qualität der Produkte stark zugenommen, wozu
auch die höhere Markttransparenz beigetragen hat. Auch die
Konkurrenz durch branchenfremde Anbieter ist stark gewach-
sen. Gegenwärtig geht von der Globalisierung des Angebotes und
der Nachfrage die größte Herausforderung für die Bewältigung
der touristischen Zukunft aus. Der hohe Anpassungsbedarf ergibt
sich nicht nur für Deutschland, sondern für viele andere europäi-
sche Länder mit traditionellen Tourismusgebieten am Ende des
Produktzyklus und einem hohen Anteil von Klein- und Mittelbe-
trieben. Auf allen Stufen der touristischen Wertschöpfungskette
entstehen neue Wettbewerbssituationen. Der Wettbewerb wird
durch die Angebots- und Preistransparenz durch das Internet ver-
schärft. Bei der Preissensibilität des Reisemarktes zwingt das zur
Ausschöpfung von Kostenreserven insbesondere durch den Ein-
satz elektronischer Werkzeuge. Es ist ein intensiver Wettbewerb
zwischen den Destinationen entstanden.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen die
interne Organisation, die externe Orientierung und die damit
zusammenhängenden nach außen orientierten Beziehungen
einer Revision unterzogen werden. Nicht jede Organisation, nicht
jedes kleine Unternehmen ist in der Lage oder verfügt über die
Kompetenz, Anpassungen und Veränderungen ohne externe
Unterstützung durchzuführen.
Durch die Beteiligung an dem Projekt „Zukunftsverträgliche
Arbeits- und Unternehmensgestaltung in der Tourismuswirt-
schaft“ der Forschungsinstitute IZT und dwif eröffnete sich dem
HVV die Möglichkeit, bei seinem notwendigen Veränderungs-
prozess begleitet und unterstützt zu werden.
Bereits in den Vorgesprächen fiel der HVV durch seine Offen-
heit und Innovationsorientierung auf. Er signalisierte eine deutli-
che Bereitschaft, sich den Herausforderungen eines Change-
Management-Prozesses zu stellen.
E-Business ist generell die Digitalisierung von Geschäftspro-
zessen. Ziel ist die Verbesserung von Geschäftsabläufen durch
eine höhere Anzahl von Verbindungen1. Die Anwendung von
Internettechnologien verbessert und transformiert dabei Ge-
schäftsabläufe2. Dies bedeutet für Tourismusorganisationen3,
dass E-Business sowohl externe als auch interne (Intranet) Pro-
zessabläufe optimiert.
E–Marketing
„Schaufenster“
zum Endkunden
E–Commerce
E–Procurement
Verflechtung mit
Dienstleistern und
Leistungsträgern
Tourismusorganisation
Elektronisch ge-
stützte Distribution
Abbildung 8: Komponenten des E-Business
Quelle: dwif, eigener Entwurf, 2004.
1 Vgl. www.pricewaterhousecoopers.com.2 Vgl. www-306.ibm.com/e-business/ondemand/us/index.html3 Der Begriff Tourismusorganisation steht im Folgenden für die regionalen
Tourismusverbände, Landestourismusverbände, Landesmarketinggesellschaftensowie Stadtmarketinggesellschaften der untersuchten ostdeutschen Bundesländer.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 35
36 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
E-Marketing bezeichnet die elektronisch gestützte, möglichst
kosteneffiziente Kommunikation mit den Zielmärkten4. E-Com-
merce ist die Handelsaktivität mit Hilfe von elektronischen Dis-
tributionskanälen. E-Procurement rationalisiert Regalhaltungs-
und Beschaffungssysteme und verbindet Versand- und Zahlungs-
systeme von Geschäftspartnern5. Der Betrieb eines Informations-
und Reservierungssystems (IRS) ist ein Beispiel für E-Procure-
mentstrukturen im Tourismus.
Wichtig ist die Behandlung der internen Erfolgsfaktoren der
Tourismusorganisationen, die sich mit E-Business-Anwendungen
konfrontiert sehen. Denn einerseits wird die Bedeutung für die
eigene Geschäftsabwicklung erkannt, andererseits können die
dazu notwendigen Prozessveränderungen innerhalb der Orga-
nisation noch nicht eingeschätzt werden. Ursache für diese Ver-
zögerungen sind nicht selten die strukturellen Ausgangslagen
der Destinationen, die Kleinkammerung der Tourismusland-
schaft und fehlende personelle und finanzielle Ressourcen.
Die Tourismusorganisationen, die ihre Barrieren zur Einfüh-
rung von E-Business-Anwendungen jedoch nicht überwinden,
erreichen unter anderem die Gäste nicht, die sich verstärkt über
das Internet informieren und online buchen wollen.
Bezogen auf E-Business unterscheiden sich kleine und mittel-
ständische Unternehmen (KMU) in vielerlei Hinsicht von großen
Unternehmen. Abgesehen von der geringeren und häufig nicht
zureichenden Personal- und Kapitalausstattung fehlt es den KMU
an einer strategischen Einbettung der E-Business-Idee in der Un-
ternehmensführung. E-Business beschränkt sich nicht nur auf die
Einführung von Informations- und Kommunikationstechnolo-
gien (IKT) in Unternehmen, sondern fokussiert darüber hinaus
die Optimierung und Neugestaltung von Unternehmenspro-
zessen entlang der Wertschöpfungskette. Es werden sowohl
Markt- als auch Unternehmensaspekte berührt. Der Einsatz von
IKT ermöglicht daher die Entwicklung neuer innovativer Arbeits-
und Verfahrensabläufe.
Die Einführung von E-Business-Strukturen kann nur dann
erfolgreich verlaufen, wenn nicht nur die Geschäftsleitung, son-
dern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die damit
einhergehenden Veränderungen die Steuerung und die Verant-
wortung übernehmen. Genau an dieser Stelle setzten die Instru-
mente von Change Management an.
2 Change Management
In der Wirtschaft haben in den letzten Jahren Netzwerke als
Organisationsform eine höhere Relevanz bekommen. Einerseits
sind betriebsinterne Netzwerke entstanden, über welche die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter miteinander und mit ihrem
Management kommunizieren, während auf der anderen Seite
über die internetbasierte Technologie sich Beziehungen zwi-
schen Lieferanten und Kunden entwickelten und weiter gepflegt
werden. Darüber hinaus gewinnen die über das Web entstande-
nen Beziehungen mit Beratern, Unterauftragnehmern und
anderen Unternehmen an Bedeutung. In der Tourismuswirt-
schaft drückt sich dieses Gebilde in einem Prozess der Vernet-
zung von vielen Akteuren der Branche aus. Tourismusmarketing-
organisationen, Fremdenverkehrsorganisationen, Leistungsträ-
ger (Hotellerie, Gastronomie, Transportunternehmen, etc.) müs-
sen sich verknüpfen, damit durch aufeinander abgestimmte
Aufgaben und Leistungen die Akteure der Tourismuswirtschaft
ihren Kunden ein qualitativ hochwertiges Produkt und eine qua-
litativ hochwertige Dienstleistung in der Region anbieten kön-
nen. Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit des regionalen
Tourismus gestärkt.
Die allgemeine Aufgabe eines Change Managements ist es,
Veränderungen zu ermöglichen, indem der Wandel aktiv gestal-
tet wird. Damit der Wandel erfolgreich vollzogen werden kann,
ist eine Beteiligung von den Führungskräften, den Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern der Organisation von großer Bedeu-
tung. Die Veränderungen, die das Change Management beglei-
tet, beziehen sich zum einen auf eine flexible Anpassung eines
Unternehmens oder einer Organisation an die betriebsexternen
beeinflussbaren Veränderungen. Zum anderen soll erreicht wer-
den, dass ein Unternehmen oder eine Organisation Fähigkeiten
entwickelt, Veränderungen zu antizipieren.
Für den HVV bedeutet dies die Schaffung von entsprechen-
den technischen und organisatorischen Voraussetzungen, unter
anderem für die Einführung von E-Business-Strukturen. Zusam-
men mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäfts-
stelle und der Geschäftsführung wurde ein praktikables Konzept
entwickelt, das die Arbeitsorganisation innerhalb der Tourismus-
organisation unter Berücksichtigung lokaler und regionaler Be-
dingungen optimiert. Folgende Abbildung 9 dokumentiert die
Arbeitsphasen des Projektes.
Das Change Management durchläuft vier Phasen, die im
Nachfolgenden kurz erläutert werden.
Feststellung des Status Quo (Phase 1)
Als erster Schritt im Change Management werden unter Berück-
sichtigung der organisatorisch bedingten Verflechtungen inner-
halb von Tourismusorganisationen und Verbänden die Bezie-
hungen zwischen den Leistungsträgern und den örtlichen/ regio-
nalen Tourismuseinrichtungen sowie deren Beziehung zu über-
geordneten Einrichtungen analysiert. Das Ergebnis dieser Orga-
nisations- und Strukturanalyse und deren Folgerungen bilden die
Grundlage für die Einführung eines Change Managements.
In einer Reihe von einführenden Workshops unter Beteili-
gung aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurde die beste-
hende Situation des HVV erarbeitet. Hauptziel dieser Sitzungen
war die Bestimmung der grundsätzlichen Unternehmensziele
und die Erörterung der erforderlichen Strategien bis 2010. Zu-
sätzlich wurden mittels umfangreicher Mitarbeiterbefragungen
u. a. die aktuelle Situation der Unternehmens- und Personalent-
wicklung, die Arbeitsplatzentwicklung, die Arbeitszufriedenheit
und die persönlichen Vorstellungen zur Zukunft ermittelt.
Insgesamt hatte der Change Management-Prozess im HVV
eine Laufzeit von 1,5 Jahren. Neben der aufwändigen Erfassung
4 Die Kommunikation mit den Endkunden wird häufig als Business to Consumer (B2C)bezeichnet.
5 Business to Business (B2B).
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 36
37ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU Arbeit im E-Business
der benötigten, zum Teil sensiblen Informationen (wofür ein zeit-
aufwändiges Vertrauensverhältnis zwischen dem Berater und
den Teilnehmern des Veränderungsprozesses aufgebaut werden
musste) wurde auch die Umsetzung erster Veränderungen soweit
möglich und gewünscht begleitet.
Die Erfahrungen dieses Prozesses zeigen, dass die so genann-
ten „weichen Faktoren“ (u. a. Arbeitsklima, Arbeitszufriedenheit,
Kommunikation im Team etc.) neben den ökonomischen Eck-
daten der Organisation unter den Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitern und der Geschäftsführung einen hohen (bisher unter-
schätzten) Stellenwert haben.
Identifizierung von Veränderungspotenzialen (Phase 2)
Nach der Erfassung der Situation im Unternehmen und der Ana-
lyse der vorliegenden Informationen ist die Bestimmung der
künftigen Ausrichtung des HVV festgelegt und die dazu erforder-
liche Strategie erörtert worden. Es wurden prioritäre Verände-
rungsfelder und Konfliktfelder aufgezeichnet, um feststellen zu
können, ob und in welchen Bereichen weiterer Handlungsbedarf
besteht. Anschließend konnte mit der konkreten Umsetzung eini-
ger Maßnahmen, die zu einer Optimierung und Steigerung der
Effizienz der Arbeitsabläufe führen, begonnen werden. Der Um-
fang der vorgenommenen Veränderungen variierte von techni-
schen Änderungen (soweit finanzielle Mittel verfügbar waren) bis
hin zu Optimierungen an einzelnen Arbeitsplätzen und neuen
Aktivitäten.
Im HVV hatten in dieser Phase drei Veränderungsfelder
höchste Priorität. Es handelte sich um die Bereiche interne Kom-
munikation, Organisation von Geschäftsabläufen und Finanzen.
Umsetzung innovativer Formen der Arbeits- und Unterneh-
mensgestaltung (Phase 3)
Während der dritten Phase, in der die Umsetzung stattfand, ist
bereits eine Reflexion und Modifikation der bisher angestrebten
Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen erfolgt. Länger-
fristige, von allen als notwendig empfundene Veränderungen
sollten aus den gewonnenen Erfahrungen definiert und begon-
nen werden.
Der HVV startete in Phase 3 damit, die technischen Kommu-
nikationsmöglichkeiten der verschiedenen Abteilungen inner-
halb des HVV mittels eines Netzwerkes zu verbessern. Daten kön-
nen jedem Mitarbeiter und jeder Mitarbeiterin schnell zugäng-
lich gemacht werden. Die Reaktionszeiten für Kundenanfragen
verkürzen sich. Außerdem wurde die Verbreitung der Mitglie-
derinformation verbessert, indem innerhalb der neu gestalteten
Website ein nur Mitgliedern zugänglicher Bereich eingerichtet
wurde. Eine weitere Maßnahme ist die Einführung von E-Mail-
Adressen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ge-
schäftsstelle. Innerhalb der Organisation ist eine Kommuni-
kation ohne Medienbruch realisiert worden, die dazu beiträgt,
dass Zeit- und Kommunikationsverluste erheblich reduziert
werden konnten.
Der Ablauf des Foschungsprojektes
Start: Aug. 2002 Dez. 2002 2003/2004 Ziel/Vision 2010
Workshop IHVV – Team2002
Ziel:Der HVVFit für 2010
AuswertungMitarbeiter –Präferenzenfür effizienteAnpassungenundReformen
ErsteUmsetzungen/Evaluationen(Ws II – Ws IV)
Der HVVzählt zu denProfi-DMA’s in Deutschland
Au
sga
ng
sla
ge
Beispiel:Weitere Verbesserungen derinternen/externenKommunikationsstrukturenunter Einsatz modernerTechnologie
Abbildung 9: Ablauf des Change Management-Prozesses im Harzer Verkehrsverband
Quelle: dwif, eigene Darstellung, 2003.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 37
38 Arbeit im E-Business ARBEITSGESTALTUNG UND UNTERNEHMENSORGANISATION IN KMU
Im Bereich der Organisation musste der HVV sich darauf ein-
stellen, dass die Förderung, die der HVV von den Ländern Nieder-
sachsen und Sachsen-Anhalt empfängt, nicht im bisherigen Um-
fang weitergeführt werden konnte. Aufgrund der daraus resultie-
renden veränderten Finanzströme und Kostenverhältnisse ist
eine grundlegende Neuaufstellung der internen Organisation
notwendig, die sowohl die Verbandsarbeit als auch das Marke-
ting betrifft. Künftig müssen Finanzmittel verstärkt über Projekte
erwirtschaftet werden. Der HVV konnte sich z. B. im Wettbewerb
um die besten Ideen zur Weiterentwicklung einer Tourismus-
region in Sachsen-Anhalt für das Projekt „Tagungs-Harz“ und
„Aktiv-Harz“ qualifizieren.
Evaluation des Veränderungsprozesses (Phase 4)
Die letzte Phase schließt den gesamten Prozess ab: Zur Evaluie-
rung wurde ermittelt, ob und inwiefern sich Erfolge aus dem
betreuten Veränderungsprozess ergeben haben. Diese Erkennt-
nisse bilden die Grundlage eines ständigen Verbesserungspro-
zesses der Organisation oder des Unternehmens. Dieser Prozess
soll vom HVV selbständig weitergeführt werden. Aus dem Grund
ist ein Zyklus permanenter Verbesserung verankert worden.
Auf der Basis eines vom dwif erstellten, mit den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern des HVV abgestimmten Konzeptes werden
dann weitere Folgeschritte abgeleitet.
Durch den Change Management-Prozess ist nach eigener
Aussage der HVV dem erklärten Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit
des HVV zu verbessern, näher gerückt. Dem abgestimmten Zu-
sammenspiel von technischen wie organisatorischen Lösungen –
über das Change Management – kommt eine entscheidende
Bedeutung für die erfolgreiche Integrierung von E-Business-
Strukturen zu.
Schon in der ersten Phase des Change Management-Prozesses
wurde von allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des HVV
positiv hervorgehoben, dass der Teamgedanke durch die externe
Unterstützung einen bedeutenden Schub bekommen hat. Unter
den Projektpartnern herrscht Konsens darüber, dass dieses neuar-
tige Instrument der Organisations- und Strukturberatung in der
deutschen Tourismuswirtschaft künftig einen höheren Stellenwert
erreichen wird. Nicht ausschließlich die harten ökonomischen
Eckdaten eines Unternehmens sind relevant. Die weichen Faktoren,
wie z. B. die Mitarbeitermotivation und Mitarbeiterzufriedenheit,
tragen ebenfalls erheblich zur besseren Wettbewerbsposition einer
Organisation oder eines Unternehmens bei.
Weitere Informationen
„Zukunftsfähige Arbeits- und Unternehmensgestaltung in
der Tourismuswirtschaft“
Förderkennzeichen 01HT0101, 01HT0102, 01HT0103, 01HT0104
www.tourismuscoach.de
Ansprechpartnerin des Projekts:
Britta Oertel
IZT Institut für Zukunftsstudien und
Technologiebewertung gGmbH
Schopenhauerstr. 26
14129 Berlin
Tel.: 030 803088-43
E-Mail: b.oertel@izt.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Volker Schütte
Tel.: 0228 821-195
E-Mail: volker.schuette@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 38
39UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
2.1 E-Business als Anstoß zum Strategie-entwurf und zur unternehmensüber-greifenden Produktentwicklung in derGießereiindustrie
Jürgen Schultze, Kathrin Manthei
Sozialforschungsstelle Dortmund Landesinstitut
„Arbeit im E-Business in der Gießereiindustrie“ ist Titel und Pro-
gramm dieses branchenbezogenen Forschungsprojektes. In die-
sem Verbundprojekt arbeiten die Sozialforschungsstelle Dort-
mund (u. a. als Koordinator) zusammen mit dem Deutschen
Gießereiverband (DGV), Düsseldorf, mit dem Rationalisierungs-
zentrum der Deutschen Wirtschaft (RKW), Eschborn und der IG
Metall, Vorstand Zweigbüro Düsseldorf.
Aus den Ergebnissen werden zwei Produkte vorgestellt, die
die Unternehmen auf dem Weg zur Nutzung der Potenziale des
E-Business unterstützen und zu einer beteiligungsorientierten
Gestaltung der Arbeit verhelfen:
+ ein Instrument zur Strategieentwicklung im Unternehmen
zur Nutzung der Potenziale von E-Business
+ das Konzept der Innovationsallianz
1 Unterschiedliche Erlebniswelten von E-Business:Die aktiven und die reaktiven Unternehmen
Erste Erhebungen1 zeigten, dass der Umgang mit Internettechno-
logien in der Gießereiindustrie zum Alltag gehört, auch wenn die
wenigsten Unternehmen ihre Aktivitäten mit dem Begriff E-Busi-
ness charakterisieren. Die ersten Schritte eines E-Business sind
fast überall vollzogen. Unterschiede liegen dabei vor allem in der
Art und Weise sowie der Intensität der Nutzung des interaktiven
Geschäftsverkehrs, der die Unternehmen mit Kunden aus Ma-
schinenbau und der Automobilindustrie, aber auch mit eigenen
Lieferanten von Vormaterial, Konstruktion, Modellbau verbindet.
Sowohl im ersten Branchenmonitor als auch in den darauf fol-
genden vertiefenden Betriebsfallstudien und während verschiede-
ner Aktivitäten des Branchendialogs traten verschiedene Einschät-
zungen von E-Business zu Tage. Dementsprechend lassen sich zwei
idealtypische Arten von Akteuren bzw. Unternehmen ausmachen:
+ Der aktive Stratege: Dieser Typ Unternehmen nutzt E-Busi-
ness-Anwendungen zur Festigung und Erweiterung der
eigenen strategischen Position in der Wertschöpfungs-
kette. E-Business wird unter der Maßgabe strategischer
und ökonomischer Zielsetzung in die Unternehmenspro-
zesse eingewoben. Diese Ausrichtung schließt den bewuss-
ten Verzicht auf mögliche technische Lösungen mit ein.
Diese Unternehmen sind oft am Anfang der Wertschöp-
fungskette positioniert. Es sind vor allem große Unterneh-
men mit klaren Unternehmensstrategien und/oder solche,
die unter einem starken Anforderungsdruck des Hauptkun-
den stehen und damit gezwungen sind, sich schnell an
neue Anforderungen anzupassen und organisatorische
Änderungen in ihre Strategien einzubauen.
+ Der reaktive Minimalist: Dieser Typ führt E-Business-Anwen-
dungen erst unmittelbar auf Anforderung der Kunden ein
und passt Neuerungen zwar technisch in Abläufe ein, ohne
jedoch organisatorische Notwendigkeiten zu erkennen.
Diese Minimalvariante spart zunächst Kosten, erfordert
aber andererseits ein hohes Improvisationstalent und kurz-
fristige Reaktionsmöglichkeit. Dieser Typ sieht sich vielfa-
chen heterogenen Anforderungen eines breiten Kunden-
spektrums ausgesetzt, ist eher unter kleinen und mittleren
Unternehmen zu finden und ist weniger explizit strategisch
aufgestellt. Auffällig ist, dass die Art, wie Geschäftsführun-
gen, Mitarbeiter und Betriebsräte E-Business einschätzen,
sehr unterschiedlich ausfällt.
Beide Typen können mit ihrem Umgang mit dem Thema E-Busi-
ness wirtschaftlich erfolgreich sein.
Im Gestaltungsteil des Projektes wurden zum Umgang mit
E-Business u. a. zwei Lösungsansätze entwickelt, die im Folgen-
den vorgestellt werden.
2 Strategieentwicklung im Unternehmen –Ansatzpunkte für E-Business
In der Gießereiindustrie haben fast alle Unternehmen die Ein-
führungsschritte von E-Business schon seit längerer Zeit vollzo-
gen. Die aktuelle und weiterbestehende Herausforderung be-
steht in der Frage nach den weiterführenden Schritten: Wo sind
Innovationen notwendig? Wie können die Potenziale von E-Busi-
ness für das eigene Unternehmen genutzt werden?
Generelle Empfehlungen für den nächsten Schritt helfen den
Unternehmen wenig weiter. Dies gilt selbst für einen engen
Branchenfokus. Vielmehr liegt der Schlüssel zum mittelfristigen
2. Technische und organisatorische Unterstützung derPersonalentwicklung und Kooperation
1 Manthei, K.; Pöttker, H.; Schultze, J. (2002): Branchenmonitor 2002: E-Business in deutschen Gießereien, bisher nicht veröffentlicht (erhältlich über http://www.giessereiarbeit.de)
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 39
40 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Unternehmenserfolg in der Weiterentwicklung der Einzigartig-
keit eines jeden Unternehmens, wie sie von den Kunden im Markt
geschätzt und im Preis für die Produkte honoriert wird und an
der die Mitarbeiter ihre Leistungskraft entfalten.2
Wenn mit E-Business-Anwendungen die Potenziale des Un-
ternehmens weiterentwickelt und neue, bisher ungenutzte
Potenziale erschlossen werden sollen, müssen die technischen
Lösungen Unternehmensstrategien und -ziele unterstützen. Das
Problem für viele Unternehmen liegt aber genau darin, die oft
nur implizit vorhandene Unternehmensstrategie mit Technik-
anwendungen zu verbinden.
Die Einführung von E-Business ist ein komplexer Vorgang.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen KMU haben keine gro-
ßen Stabsabteilungen, deswegen sind einfache und ergebnisori-
entierte Methoden zur Strategieentwicklung gefordert, die bei
Bedarf vertieft werden können. Ein entsprechendes Instrument,
das Strategien sichtbar macht bzw. expliziert, wurde im Projekt
entwickelt und in Pilotunternehmen erfolgreich eingesetzt. Der
smarte Ansatz kommt vor allem den reaktiven Minimalisten
unter den Unternehmen entgegen, unterstützt aber ebenso die
bereits strategisch geleiteten Unternehmen.
Nur wenn eine Unternehmensstrategie explizit vorliegt,
kann E-Business die Unternehmensziele in adäquater Form unter-
stützen, und nur dann lässt sich auch deutlich nachvollziehen,
wie E-Business Arbeitsaufgaben und -abläufe verändert.
Instrument: „Potenziale erkennen – Strategien entwer-
fen – Aktionen planen“
1. Potenzialanalyse Marktpositionierung
2. Potenzialanalyse Technikeinsatz
3. Strategieentwurf
4. Aufstellen des internen Strategieteams
5. Umsetzung des Aktionsplans
Mithilfe des beschriebenen Instruments wird daher auch die
Grundlage dafür geschaffen, neue Arbeitsanforderungen prak-
tisch zu ermitteln und notwendige Schritte der Reorganisation
und den Bedarf an Training zu ermitteln. Mit Erarbeitung einer
umfassenden Strategie fällt es leichter, für eine erfolgreiche
Umsetzung soziale und technische Entwicklungsschritte mitein-
ander zu verknüpfen. Auf diese Weise lässt sich die Einführung
neuer E-Business-Anwendungen auch mit einer menschenge-
rechten Gestaltung von Arbeit und der entsprechenden
Kompetenzentwicklung verbinden.3
Ein Beispiel aus der Pilotphase
In einem kleinen Unternehmen trafen sich Projektmit-
arbeiter und die Geschäftsleitung zunächst mit dem
Ziel, eine Strategie für die Optimierung des PPS-Sys-
tems zu entwerfen. Schnell stellte sich aber heraus,
dass der eigentliche Bedarf des Unternehmens auf
einem ganz anderen Feld zu suchen war; bereits wäh-
rend der ersten Analyseschritte zeigte sich, dass die
Reflexion und im Folgenden die Überarbeitung und
Erweiterung der Vertriebszugänge der strategischen
Bearbeitung bedurften. Zur technischen Unterstüt-
zung für die erarbeitete Zielsetzung konnten ein CRM-
System, die Marktanalyse und systematische Neukun-
densuche über das Internet, der Entwurf einer Daten-
bank sowie ein Online-Marketing-Konzept ausgearbei-
tet werden. Nach Bildung eines internen Experten-
teams, bestehend aus Mitarbeitern der EDV, des Mar-
ketings und der Geschäftsleitung, begann das Pilot-
unternehmen erfolgreich mit der systematischen
Arbeit an den genannten Bereichen.
3 Die Innovationsallianz – E-Business ermög-licht unternehmensübergreifende Produkt-entwicklung
Die Ergebnisse der Strategieentwicklung zeigen unter anderem
auch, dass Unternehmen in den verzahnten Wertschöpfungs-
ketten an Grenzen stoßen, sich weiter zu entwickeln: Die ent-
scheidenden Prozessparameter liegen oftmals bei den Kunden
oder Lieferanten. Zudem lassen begrenzte Ressourcen eine wün-
schenswerte Weiterentwicklung oft nicht zu. Aus dem Projekt ist
deswegen eine Initiative entstanden, die zum Ziel hat, Beschrän-
kungen der Unternehmen, die sich zum einen durch knappe Per-
sonal- und Finanzressourcen ergeben, zum anderen aber auch
durch begrenztes Know-how, durch unternehmensübergreifen-
de Zusammenschlüsse aufzuheben.
Die Idee der Innovationsallianz Guss im Überblick
In der Innovationsallianz Guss arbeiten Prototypenher-
steller und Seriengießer zusammen. Erstes Ziel ist die
gemeinsame Entwicklung neuer Produkte, Werkstoffe
und Verfahren, die erst durch das Zusammenbringen
der verschiedenen Kompetenzen der Unternehmen
möglich werden.
Die Innovationsallianz Guss ist ein selbstorganisieren-
des Kooperationsnetzwerk gleichberechtigter Partner
und wird unterstützt durch unabhängige Netzwerk-
manager zur Stiftung neuer Kooperationsideen, zur
Aushandlung von Regeln, zur effizienten Kooperation
und Kommunikation sowie zur Lösung von Konflikten.
Der besondere Nutzen der Innovationsallianz Guss
liegt in der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit
durch geteiltes Risiko bzgl. Entwicklungs-, Investitions-
2 Volkholz, V. (2004): Einzigartige Unternehmen – Was die Einzigartigkeit einesUnternehmens bedeutet, wie sie entsteht, sich entwickelt, aber auch verloren gehenkann. Internetbuchversion: http://www.einzigartige-unternehmen.de unterVeröffentlichungen
3 Manthei, K.; Schultze, J. (2003): eBusiness in der Gießereiindustrie – eine Chance zurModernisierung von Betriebsratsarbeit, in: Arbeit im eBusiness – ein Querschnittdurch Branchen und Anwendungen, Broschüre der TBS NRW im Rahmen des Projekts@rbeitswelt ecommerce, Oberhausen, S. 21 - 26
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 40
41UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
und Marketingkosten, Vergrößerung des Wissenspools
sowie mehr Chancen auf innovative Synergien.
Eine effiziente Kooperation und Kommunikation
wird dabei durch E-Business-Tools ermöglicht. Die
Innovationsallianz Guss bietet ein elektronisches Teil-
nehmerforum zum gleichberechtigten Austausch und
zur Entwicklung von innovativem Produkt-Know-how.
Neu gegenüber den gewachsenen und bewährten
Kooperationen der Gießereien sind in der Innovations-
allianz die Möglichkeiten, neue Partner zu finden, im
strategischen Vorlauf den eigenen und weiteren Auf-
traggebern gemeinsam entwickelte Produktinnova-
tionen anzubieten und damit systematisch die Pro-
duktentwicklung und Platzierung im Markt voranzu-
treiben.
Hier sind E-Business-Anwendungen, die Telekooperation ermög-
lichen, der Schlüssel zum Erfolg der Allianz; sie ermöglichen Ko-
operationen, die online-gestützt einen relativ niedrigen Einsatz
von Zeitressourcen erfordern, da reale Treffen der Mitglieder der
Allianz minimal gehalten werden können.
4 Ausblick
Das Instrument „Potenziale erkennen – Strategien entwerfen –
Aktionen planen“ wird als Paket über den Deutschen Gießerei-
verband und die Sozialforschungsstelle Dortmund interessierten
Unternehmen angeboten. Die Innovationsallianz Guss wird der-
zeit mit mehreren Gießereien in Workshops vorbereitet.
2.2 Entwicklung einer Kommunikations-plattform zur Unterstützung derAuftragsabwicklung
Claus Aumund-Kopp
BIBA, Universität Bremen
1 Ausgangssituation
Ziel des Projektes agepro war es, die Arbeits- und Organisations-
strukturen für die E-Business-unterstützte Auftragsabwicklung in
Unternehmensnetzwerken am Beispiel der schnellen Produktent-
wicklung zu untersuchen und menschengerechte Gestaltungs-
konzepte zur Unterstützung dieser Prozesse zu entwickeln. Dabei
galt es, sowohl Probleme in der Angebotserstellung und Auftrags-
abwicklung detailliert zu erforschen und entsprechende Lösungen
anzubieten als auch Verbesserungspotenziale des E-Business in
kleinen und mittelständischen Unternehmen zu erschließen.
2 Lösungsweg
Gemeinsam mit drei Rapid Prototyping-Unternehmen wurden
Geschäftsprozesse und Organisationsmodelle konzipiert, erprobt
und bewertet, die geeignet sind, die Interaktion und Kommuni-
kation bei der Angebotserstellung und Auftragsabwicklung für
das Rapid Prototyping und Rapid Tooling zu unterstützen und zu
verbessern. Dies beinhaltet sowohl die Interaktionsprozesse mit
Kunden als auch die Zusammenarbeit mit Zulieferern.
Ein zentrales Ergebnis des Projektes agepro ist eine sogenannte
Kommunikationsplattform. Hierunter ist eine Internet-basierte
Anwendungssoftware zu verstehen, die insbesondere kleine und
mittlere Unternehmen (KMU) bei der Akquisition, Kundenbera-
tung sowie der internen Auftragsdokumentation unterstützt.
Sie ist ohne großen Aufwand anpassbar und in Unternehmen
einsetzbar, die sich mit dem Internet zusätzliche Kommunika-
tionsmöglichkeiten erschließen wollen.
Vier Anwendungen der agepro-Kommunikationsplattform
sind in Abb. 10 dargestellt:
Weitere Informationen
„Arbeit im E-Business in der Gießereiindustrie“
Förderkennzeichen 01HT0154, 01HT0155, 01HT0156, 01HT0161
www.giessereiarbeit.de
Ansprechpartner des Projekts:
Jürgen Schultze
Sozialforschungsstelle Dortmund
Evinger Platz 17
44339 Dortmund
Tel.: 0231 85 96-245
E-Mail: schultze@sfs-dortmund.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Claudius H. Riegler
Tel.: 0228 3821-320
E-Mail: claudius.riegler@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 41
42 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
+ Bei der Kundenberatung und -akquisition wird der Blick in
eine „Virtuelle Vitrine“(A) ermöglicht, in der Modellbau-
Kompetenzen, innovative RP-Verfahren und „Meisterstü-
cke“ der Unternehmen dargestellt werden. Die „Virtuelle
Vitrine“ dient zugleich dem Berater beim Kunden vor Ort
(D) als „Musterkoffer“.
+ Neu- und Stammkunden können technische Details
einer Anfrage platzieren und ein Angebot (Termin
und Preis) dazu einholen (A und B); registrierte Kunden
können zusätzlich den Status ihrer Aufträge kontrollie-
ren (C). Partner und Zulieferer können Angebote ein-
stellen (G).
+ Bei der Angebotserstellung in Interaktion mit dem Kunden
und bei der Auftragsbearbeitung unterstützt die Plattform
die internen Prozesse und Dokumentation sowie das be-
triebsinterne Wissensmanagement (E und F).
+ Die Plattform erleichtert, beschleunigt und präzisiert die
Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Kun-
den. Durch die Plattform soll der persönliche Kontakt
zum Kunden nicht ersetzt, sondern vielmehr der Kunden-
berater bei der Datenaufnahme und Angebotserstellung
unterstützt werden. So kann sich der Mitarbeiter auf
seine anspruchsvolle Hauptaufgabe – die technische
Beratung von Kunden – konzentrieren. Technisch-kon-
struktive Informationen zu einem Modell oder Werkzeug
können im Vorfeld einer Beratung vom Kunden in die
Masken eingegeben und vom Berater beim späteren per-
sönlichen Kontakt ergänzt werden.
Interessierter/Besucher betrachtet die „Virtuelle Vitrine“
Kundenberater berät/akquiriert vor Ortbeim Kunden:
Stammkunde fragtden Status seiner Aufträge ab:
Neukunde stellt eineAnfrage an denModellbaubetrieb:
Kundenberatung/Planung
zum Kunden
Kontakt-aufnahme
durch Betrieb
AE
F
G
B
C
D
Fertigung
Zu
liefe
run
g
Auftragsdaten/Erfahrungs-
dokumentation
RP- und Werk-zeugmaschinenServer
Partner und Zuliefer:Gießereien,Werkzeugmacher, ...
INTERNET
Teilaufträgeggf. Offline-Anbindung
CAD-Daten. ect.
Abbildung 10: Anwendungsszenarien der agepro-Kommunikationsplattform (schematisiert)
Modell- und Werk-zeugbaubetrieb
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 42
43UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
3 Module der Kommunikationsplattform
Alle auftrags- und kundenrelevanten Informationen technischer
und kaufmännischer Art – auch aus vorangegangenen Aufträgen
– stehen auf der Plattform für die verbesserte Akquisition und
Beratung, Angebotserstellung und Auftragsabwicklung, zur
Verfügung.
Plattform-Modul „Virtuelle Vitrine“
In der „Virtuellen Vitrine“ werden mit Bildern und erläuternden
Texten Musterbeispiele besonders gelungener oder technisch
anspruchsvoller Rapid Prototyping-Modelle und Produkte darge-
stellt. Auch die technischen Möglichkeiten neuartiger RP-Verfah-
ren werden bildhaft oder schematisch erläutert. Die „Virtuelle
Vitrine“ kann nach unternehmensspezifischen Vorstellungen
gefüllt, strukturiert und gestaltet werden.
Die Vitrine ist hierarchisch in drei Ebenen gegliedert:
1. Ebene – die komplette Vitrine; 2. Ebene - Kategorien; 3. Ebene –
Muster.
Da grundsätzlich bis zu zehn Kategorien angelegt werden kön-
nen und ihr Inhalt frei wählbar ist, sind beliebige Inhalte denk-
bar, beispielsweise angebotene Rapid Prototyping- und Folge-
verfahren. In der Vitrine des BIBA sind beispielsweise die Verfah-
ren Stereolithographie, Vakuumguss und Prototypen-Spritzguss,
jeweils mit entsprechender Verfahrensbeschreibung und Pro-
duktbeispielen, erläutert. Andere Inhalte sind gefertigte Muster,
Modelle und Werkzeuge – mit Kategorien wie Getriebegehäuse,
Abdeckblenden, Ventilarmaturen etc. sowie entsprechende
Produktbeispiele.
Die Kommunikationsplattform ist einfach und benutzer-
freundlich gestaltet, damit nach dem Einrichten des Plattform-
Servers, die Inhalte aller Module auch von Nicht-IT-Fachleuten
aktualisiert und gepflegt werden können. Es sind keine speziellen
Programmierkenntnisse zur Erstellung von Plattform-Seiten not-
wendig. Somit hat der Anwender freie Hand, die Vitrine entspre-
chend seinen Anforderungen und Vorstellungen mit Inhalten zu
füllen.
Außenwerbung und Information für externe Nutzer ist ein
weiteres Einsatzgebiet der „Virtuellen Vitrine“. Sie dient der In-
formation interessierter Internet-User. Zielgruppen sind sowohl
Alt- als auch Neukunden, die über das Leistungsangebot der
Firma bzw. die technischen Möglichkeiten der Verfahren infor-
miert werden.
Die „Virtuelle Vitrine“ wird bei der Kundenberatung einge-
setzt, indem man auf Abbildungen von Mustern hinweist und
Details daran erörtert. Sie kann vom Berater beim Kunden vor Ort
eingesetzt werden oder im Rahmen einer telefonischen Auftrags-
klärung, wobei Kunde und Berater zeitgleich aber räumlich
getrennt ein Objekt in der Virtuellen Vitrine betrachten.
Besondere oder auffällige Aufträge können als „Lessons
Learned“ in eine spezielle Rubrik der Vitrine gestellt werden. So
kann man besonders ge- oder misslungene Modelle exponieren
und Erfahrungen aufheben und aus Fehlschlägen lernen. Die
Virtuelle Vitrine kann auf diese Art und Weise auch für Schulun-
gen, Instruktionen und Training genutzt werden.
Plattform-Modul „Lessons Learned“
Mit „Lessons Learned“ wird eine Sammlung von Erfahrungen mit
Aufträgen bezeichnet, die helfen soll, eine Wiederholung von
Fehlern bei der Fertigung zu vermeiden. Dieses Wissen besteht
im Allgemeinen aus Beobachtungen und Berichten, identifizier-
ten Fehlerquellen und Problemlösungen. So beinhaltet „Lessons
Learned“ Wissen über und Erfahrung mit RP-/RT-Fertigungs-
prozessen.
Dieses Wissen entsteht während der Auftragsabwicklung,
sofern der Mitarbeiter es dokumentiert und damit anderen
zugänglich macht. Der Mitarbeiter fügt bei Beendigung des
Auftrags in einer Checkliste Fehlerberichte an. So entsteht mit
der Zeit ein Bestand an Problemberichten, der über die „Lessons
Learned“-Suchmaschine abgefragt werden kann. Die Suchma-
schine folgt der Funktionsweise eines Einschränkungsfilters auf
den Gesamt-Datenbestand zu Vorgängen auf der Plattform.
Plattform-Modul „Wissenswürfel“
Der „Wissenswürfel“ (vgl. Abb. 11) visualisiert die Beziehungen
zwischen Mitarbeitern, Kunden und Themen eines Unterneh-
mens, die als drei verknüpfte Listen einer Datenbank geführt wer-
den. Mit Hilfe des Wissenswürfels werden Elemente der drei
Listen in einer halb-grafischen Schnittstelle miteinander in
Beziehung gesetzt, wobei diese Beziehung stark, mittelstark,
schwach oder gar nicht ausgeprägt sein kann.
Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Werkzeugs sind viel-
fältig. So kann es genutzt werden, um Personalengpässe zu er-
kennen, wenn beispielsweise nur ein Mitarbeiter Fachwissen zu
einem speziellen Thema besitzt. Man kann Qualifizierung und
Fortbildung planen oder auch bei einer akuten Kundenanfrage
die benötigten Kompetenzen und den sachkundigen Mitarbeiter
dafür aufspüren und lokalisieren.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 43
44 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
starke
mittlere Beziehung
schwache
Mitarb. 1Mitarb. 2Mitarb. 3Mitarb. 4Mitarb. 5 ...Mitarb. x
Kunde 1
Kunde 2
Kunde 4
Kunde 3
Kunde Z
...
Kunde 5
Thema 1
Thema 2
Thema 3
Thema 4
Thema 5
...
Thema Y
Abbildung 11: Modell des „Wissenswürfels“
Weitere Informationen
„Arbeits- und Organisationsgestaltung in E-Business-basier-
ten Prozessen am Beispiel der schnellen Produktentwick-
lung (agepro)”
Förderkennzeichen: 01HT0131, 01HT0132, 01HT0133, 01HT0134,
01HT0135
www.agepro.org
Ansprechpartner des Projekts:
Claus Aumund-Kopp
Bremer Institut für Betriebstechnik und angewandte
Arbeitswissenschaft an der Universität Bremen
Hochschulring 20
28359 Bremen
Tel.: 0421 2185580
E-Mail: ak@biba.uni-bremen.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 44
45UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
2.3 Partizipation bei der Einführung von E-Procurement: Wie werden die Interessen und Erfahrungen derMitarbeiter berücksichtigt?
Markus Hertwig, Gernot Mühge, Hellen Tackenberg
Lehrstuhl Organisationssoziologie und Mitbestimmungs-
forschung der Ruhr-Universität Bochum
Der vorliegende Beitrag untersucht die Mitarbeiterbeteiligung
bei der Einführung von E-Business-Systemen in Unternehmen der
Automobilzulieferindustrie. Wie sind die Bedingungen der Be-
teiligung und Qualifikation und welche Problemlagen lassen sich
dabei identifizieren? Welche Rolle spielt E-Business im generel-
len Trend der Modernisierung von Verwaltungstätigkeiten? Da
die Automobilzulieferindustrie eine Vorreiterrolle im E-Business
– und gerade auch bei der Nutzung komplexer E-Business-An-
wendungen – spielt (Hertwig/Mühge/Tackenberg 2003), ist davon
auszugehen, dass Betriebe aus anderen Branchen von den Erfah-
rungen der Zulieferindustrie profitieren können.
1 Ausmaß und Formen der Mitarbeiterbeteiligung
Die quantitativen Daten des RUB-Projekts1 zeigen, dass die Be-
teiligung von Mitarbeitern, wenn es um E-Business-Einführungs-
projekte geht, zur betrieblichen Normalität zu zählen ist. Mit
einem Anteil von 87% gab die überwiegende Mehrheit der befrag-
ten Unternehmen an, ihre Mitarbeiter in E-Business-Projekte ein-
zubinden – teils grundsätzlich, teils fallweise. Differenziert man
die Ergebnisse nach einzelnen Zuliefertypen2, so zeigen sich Un-
terschiede: In der Gruppe der Teilezulieferer liegt der Anteil der
Unternehmen, die E-Business-Systeme ohne jegliche Beteiligung
von Mitarbeitern einführen, bei 13%; betrachtet man den Zulie-
fertypus der Systemproduzenten, so liegt der Wert mit 10% um
lediglich drei Prozentpunkte niedriger. Über alle Zuliefertypen
hinweg ist der Anteil der Unternehmen, die auf die Einbindung
grundsätzlich verzichten, also äußerst gering. Während jedoch
bei 50% der Systemzulieferer die Mitarbeiter grundsätzlich parti-
zipieren, gilt dies nur für 36% der Teilelieferanten (siehe Tabelle 1).
Das Bild verschärft sich noch, wenn man statt der Zuliefertypen
Betriebsgrößenklassen betrachtet: Binden Kleinstbetriebe (mit
zehn bis 49 Beschäftigten) lediglich zu 15,7% ihre Mitarbeiter
grundsätzlich ein, so sind dies 65,1% der Unternehmen mit über
1.000 Beschäftigten. Offenbar besteht also ein Zusammenhang
zwischen Zuliefertyp und dem Ausmaß von Beteiligung.
Die quantitative Analyse der Beteiligungshäufigkeit zeigt
also ein heterogenes Bild der Mitarbeiterbeteiligung in der Auto-
mobilzulieferindustrie, erlaubt jedoch noch keinerlei Schlüsse
über die Qualität der Partizipation. Einzelne Beteiligungsinstru-
mente unterscheiden sich erheblich bezüglich ihrer Beteiligungs-
qualität und -intensität, weshalb verschiedene Beteiligungsfor-
men – von der schlichten Informationskommunikation bis hin
zur „echten“ Mitbestimmung bei betrieblichen Entscheidungen –
differenziert werden müssen. Dienen einige Instrumente ledig-
lich der (einseitigen) Informationsgabe, so geht es in anderen
Fällen um die Abfrage von Einschätzungen und Erwartungen,
wobei die Mitarbeiter durchaus ihre Interessen und Sichtweisen
formulieren und zur Geltung bringen können. Kommunikations-
formen, die von ihrer Struktur her lediglich auf einseitige Infor-
mationsgabe zielen – so z. B. die Publikation von Informationen
im Intranet, kollektive Betriebsversammlungen oder Infoveran-
staltungen (mit Nennungen von insgesamt 48,7% bzw. 53%) sind
etwas stärker verbreitet als tendenziell beteiligungsorientierte,
wie die Befragung von Beschäftigten (51,9%) oder deren Beteili-
gung in Steuerkreisen (30%).
Betrachtet man die Formen der Kommunikation und Beteiligung
im Detail, so zeigen sich auch hier Unterschiede zwischen den
Betriebstypen. Generell beteiligen Systemzulieferer die Beschäf-
tigten in höherem Maße als die mittelbetrieblich strukturierten
Teilelieferanten. Als Beispiel: Bei der Mitarbeiterbeteiligung im
Sinne der Mitwirkung an formalisierten Steuerungsgruppen
ergibt sich eine Anwendungsrate von rund 46% bei den System-
zulieferern – bei den Teilelieferanten liegt der Anteilswert bei
26,6% (Tabelle 2).
Zwar nutzen alle Betriebe das implizite Wissen der Beschäf-
tigten, um die neuen Prozesse optimal zu gestalten und ihre
Akzeptanz zu sichern. Die Befragungsdaten und insbesondere die
Fallstudien zeigen jedoch auch, dass das Wissen oder die Zufrie-
denheit der Mitarbeiter in vielen Fällen wenig systematisch erho-
ben werden: Eine Mitarbeiterbefragung der Beschäftigten findet
nur bei 39% der großen Systemhersteller, jedoch immerhin in 54%
der Teileproduzenten statt. Die gängigste Methode der Einbin-
dung sind persönliche Gespräche mit den Beschäftigten.
1st-tiers
(Systemhersteller) 8,2 43,8 47,9
2nd-tiers
(Komponentenhersteller) 12,3 51,3 36,4
3rd-tiers
(Teilehersteller) 13,0 51,8 35,2
Gesamt 12,3 50,8 36,9
Zulieferstatus nie fallweise grundsätzlich
N=775; Quelle: Eigene Erhebungen
Tabelle 1: Mitarbeiterbeteiligung bei E-Business-Projekten(Angaben in Prozent)
1 Das Forschungsprojekt „E-Business in der Automobilzulieferindustrie“ wurde zwi-schen November 2001 und Juni 2004 am Lehrstuhl Organisationssoziologie undMitbestimmungsforschung der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt. Mittels einerdeutschlandweiten CATI-Befragung wurden 1.900 Betriebe der Automobilzuliefer-industrie zu Fragen ihrer E-Business-Nutzung interviewt.
2 In der Automobilzulieferindustrie werden üblicherweise Produzenten komplexerSysteme – die sog. 1st-tiers oder Systemhersteller –, Komponentenhersteller (2nd-tiers)und vorwiegend klein- und mittelbetrieblich strukturierte Teilehersteller (3rd-tiers)unterschieden. Die Beschäftigtenzahl sinkt dabei tendenziell mit dem Zulieferstatus.
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46 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Die Chancen für die Beschäftigten, bei Fragen der E-Business-
Nutzung aktiv und gleichberechtigt mitzuwirken, sind also in
den Betrieben sehr unterschiedlich verteilt und nur teilweise
gegeben. Sie steigen tendenziell mit der Größe des Unterneh-
mens. Eine gleichberechtigte Partizipation im Sinne der Mitent-
scheidung bei zentralen oder strategischen Entscheidungen fin-
den wir in keinem der Fallstudienbetriebe. In KMU sind Beschäf-
tigte – der oft beschriebenen kurzen Wege, der flachen Hierar-
chien und der engen Zusammenarbeit zwischen Geschäftslei-
tung und Beschäftigten zum Trotz – weniger häufig und mit
geringerer Intensität beteiligt, als Mitarbeiter in Großbetrieben.
2 Innerbetriebliche Polarisierungstendenzen:Wer ist beteiligt und wer nicht?
Nachfolgend untersuchen wir die Beteiligungsstrukturen und
-chancen innerhalb der Betriebe. In unseren Fallstudien konnten
wir entdecken, dass selbst in Betrieben, die eine intensive Parti-
zipation realisieren, bestimmte Mitarbeitergruppen ausgeblen-
det werden. Der äußerst heterogenen Beteiligungssituation tra-
gen wir im Folgenden durch die Unterscheidung bestimmter
(Problem-)Typen Rechnung.
(I) Typ 0: Egalitäre Mitarbeiterstruktur;
(II) Problemtyp 1: Abkopplung manuell tätiger
Mitarbeitergruppen;
(III) Problemtyp 2: Geringe Einbindung und Akzeptanz
höherer Hierarchiestufen;
(IV) Problemtyp 3: Mangelnde Einbindung der Beschäftigten
von Zuliefererbetrieben.
Typ 0: Key User-Beteiligung bei egalitärer Beschäftigtenstruktur
Auch wenn die Betriebe im Detail eine Bandbreite unterschiedli-
cher Beteiligungsformen anwenden, so ist es doch gängige Pra-
xis, bei Reorganisationsprozessen – wozu auch die Einführung
von E-Business in Einkaufsabteilungen der Unternehmen zählt –
ausgewählte Mitarbeiter in den Pilotphasen intensiv zu beteili-
gen. Diese so genannten Key User zeichnen sich durch bestimmte
Merkmale aus. Gerade die Fallstudien bei den großen Systemzu-
lieferern geben Hinweise darauf, dass sich vor allem diejenigen
Mitarbeiter in das Verbesserungswesen einbringen – oder aber
seitens der Projektleitung einbezogen werden –, die entweder
bereits über fundierte EDV-Kenntnisse verfügen, besondere Leis-
tungsträger in der Abteilung sind, oder aber durch hohe Motiva-
tion und Affinität zur Technik hervorstechen. Da in den Pilotpha-
sen die wesentlichen Weichen für die Ausgestaltung eines Sys-
tems gestellt werden, sind es also vor allem diese Gruppen, die
ihre Bedürfnisse gegenüber der Abteilungs- oder Projektleitung
formulieren und entsprechend zur Geltung bringen können.
Insofern die Reorganisation auch eine Neudefinition arbeitsorga-
nisatorischer Routinen und Regeln bedeutet, haben diese Mitar-
beiter gute Chancen, auch hier Einfluss zu nehmen.
Dieses Vorgehen erscheint dann unproblematisch, wenn die
mit E-Business beschäftigte Abteilung eine relativ egalitäre Mit-
arbeiterstruktur aufweist, die Kommunikationsdichte in der Ab-
teilung hoch und keine „Fraktionierung“, die mit Machtunter-
schieden einhergeht, vorhanden ist. In diesem Fall kann gewähr-
leistet werden, dass die inhaltlichen und Qualifikationsinteressen
der Nicht-Key User angemessen berücksichtigt werden. Eine der-
art egalitäre Abteilungsstruktur dürfte jedoch eher eine Ausnah-
me darstellen.
Problemtyp 1: Heterogene Beschäftigtenstruktur und
Abkopplung manuell tätiger Mitarbeiter
In anderen Betrieben führte die Benennung von Key Usern dazu,
dass bestimmte Mitarbeitergruppen – wenn auch nicht intentio-
nal und absichtlich, so jedoch unbewusst-systematisch – ausge-
klammert werden. Betroffen waren vor allem diejenigen Mit-
arbeiter in den Einkaufsabteilungen, die seit jeher manuell, also
weitestgehend ohne PC, arbeiten.
Dies wird durch den spezifischen Effekt von E-Procurement-
Anwendungen befördert: Sie verstärken den für Verwaltungs-
arbeit generellen Trend des Wegfalls von Einfachtätigkeiten.
Charakteristisch für diesen Problemtyp ist, dass die Schere zwi-
schen den Mitarbeitern, die mit strategischen, qualitativ hohen
Aufgaben gut umgehen können und denen, die für einfachere
Sachbearbeitung eingesetzt werden, sich mit fortschreitender
Modernisierung der Verwaltungen weiter öffnet. Die Einführung
von E-Procurement-Systemen verschärft diesen Prozess und da-
mit den Trend zur Polarisierung der Beschäftigten. Diese zeichnet
sich durch ungleiche Chancen bei der Interessendurchsetzung
im Hinblick auf die Form der Technik, sowie durch ungleiche
Qualifikationschancen im Umgang mit der neuen Technik aus
und mündet in einer gespaltenen Systemakzeptanz zwischen den
Tabelle 2: Welche Instrumente nutzt die Projektleitung bzw.die Geschäftsleitung, um Beschäftigte zu informie-ren und einzubinden? (Mehrfachantworten,Angaben in Prozent)3
Mitarbeiterbeteiligung in
Steuerungsgruppen 46,4 26,6
Befragung von Beschäftigten 39,1 54,1
Persönliche Gespräche 88,4 87,7
Informationen im Intranet 75,4 47,1
Versammlungen /
Informationsveranstaltungen 55,1 51,2
Aushänge / Betriebszeitungen 40,6 26,0
Systemzulieferer Teilehersteller
Quelle: Eigene Erhebung, N=742
3 Die Anteilswerte der Modul- oder Komponentenhersteller (2nd-tiers) liegen jeweils zwischen 1st und 3rd-tiers und werden daher hier ausgeblendet.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 46
47UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Belegschaftsgruppen. Werden die ausgeklammerten Mitarbeiter
nicht gezielt durch eine Politik der Wiedereingliederung integriert,
bleiben sie dauerhaft vom Wertschöpfungsprozess exkludiert.
Problemtyp 2: Geringe Einbindung und Akzeptanz höherer
Hierarchiestufen
In bestimmten Fällen kehrt sich diese Situation um. Charakteris-
tisch für den Problemtyp 2 ist die fehlende Akzeptanz bei Mitar-
beitern der höheren Hierarchiestufen. In Einkaufsabteilungen
mit tradierten Strukturen und Berufsbildern sind die Einkaufs-
leiter es häufig gewohnt, über unterstützende Mitarbeiter zu ver-
fügen, denen die EDV-Tätigkeiten und die Datenpflege obliegen;
der Einkaufsleiter ist hingegen für strategische Entscheidungen
zuständig. Konflikte entstehen dadurch, dass E-Sourcing-Tools
nun unterschiedliche, vormals manuelle Arbeitsschritte und stra-
tegische, verantwortungsreiche Aufgaben integrieren. Diese
Ausdehnung seines Tätigkeitsfeldes auf (einfache) EDV-Arbeit
lehnt der Einkaufsleiter ab, sie fällt – aus seiner Sicht – nicht in
seinen Zuständigkeitsbereich. Am traditionellen Berufsbild ge-
schult, lässt er sich die Daten aus dem E-Sourcing-System von
Mitarbeitern ausdrucken und gibt sie denselben nach manueller
Bearbeitung zur Einspeisung ins System zurück. Dass hier Schnitt-
stellen, die eigentlich verringert werden sollten, innerhalb des
neuen E-Business-Systems rekonstruiert werden, liegt auf der Hand.
Als Folge werden nicht nur die höheren Statusgruppen – die Ein-
kaufsleiter und Entscheidungsträger – vom System und der techni-
schen Entwicklung abgekoppelt, sondern darüber hinaus die anvi-
sierten Automatisierungseffekte – und damit oftmals die strategi-
sche Stoßrichtung von E-Business – ad absurdum geführt.
Problemtyp 3: Mangelnde Einbindung der Beschäftigten von
Zuliefererbetrieben
Als Technologie zwischenbetrieblicher Kommunikation zielt
E-Business gerade auf die Integration der Prozesse zwischen
einem fokalen, E-Business-initiierenden Unternehmen, und einer
Vielzahl von Lieferanten oder Kunden. Einige E-Business-Anwen-
dungen, die wir in unseren Fallstudien untersuchten, betreffen
nahezu ausschließlich die Lieferantenbetriebe – so beispielsweise
WebEDI-Systeme, welche im fokalen Unternehmen in das klassi-
sche EDI-Umfeld integriert sind. Unternehmen, die E-Business
einführen, sind sich bewusst, dass vor allem die Zulieferer über-
zeugt werden müssen, das neue System zu nutzen. Sie beschrän-
ken ihre Aktivitäten jedoch häufig darauf, das Management der
Lieferanten für die neue Technik zu begeistern. Meist geschieht
dies auf Lieferantentagen, bei denen die Neuerungen vorgestellt
werden. Eine „offene Flanke“ der E-Business-Nutzung – und da-
mit ist ein dritter Problemtypus bezeichnet – ist jedoch die fehlen-
de oder defizitäre Einbindung eben der Mitarbeiter in den Zulie-
ferbetrieben. Während die „eigenen“ Angestellten nach wie vor
das SAP-System nutzen, das sie seit jeher kennen, ergeben sich
Neuerungen für die Beschäftigten der Zulieferfirmen, die früher
per Fax und Telefon integriert wurden und ihre Arbeitsweise nun
auf die neue E-Business-Umgebung umstellen müssen.
Eine Folge dieser Scheuklappen, die den Blick über den eigenen
Betrieb hinaus limitieren, ist die fehlende Akzeptanz und mangeln-
de Fähigkeit in der korrekten Bedienung der E-Business-Anwendun-
gen bei den Zulieferern. Die Lieferantenmitarbeiter weigern sich,
das System zu nutzen oder verfallen in die alten Routinen. Als Folge
laufen verschiedene Systeme parallel – während ein Teil der Unter-
nehmen E-Business nutzt, kommuniziert der andere Teil über die
traditionellen Wege. Die anvisierten Integrationseffekte können
nicht realisiert werden und die Unzufriedenheit der Lieferanten-
mitarbeiter und des eigenen Personals wachsen. Je nach Art der
Anwendung wird ein Unternehmen also stärker in die Schulung
und Motivierung der externen Mitarbeiter investieren müssen, als
in die Qualifikation der eigenen Belegschaft.
3 Fazit: E-Business erfordert nachhaltigeQualifikation
Akzeptanz und Motivation der Beschäftigten spielen eine ent-
scheidende Rolle für den Erfolg betrieblicher Umstrukturierungs-
projekte. Die hohe Bedeutung von Partizipation wird anhand
unserer quantitativen Erhebung belegt: Die Wahrscheinlichkeit,
die im Zuge der Reorganisation und E-Business-Implementation
gewählten Ziele zu erreichen, steigt, wenn die betroffenen Mitar-
beiter am Projekt beteiligt sind. Dies trifft auch für Betriebsräte
und andere Beschäftigtengruppen zu, wie für die EDV-Abteilung,
den IT-Sicherheits- und den Datenschutzbeauftragten und auch
für die Mitarbeiter von Lieferanten oder Kundenfirmen.
Für die hier identifizierten Problemtypen lassen sich unter-
schiedliche Qualifizierungs- und Partizipationsanforderungen
ableiten. Eine heterogene Abteilungsstruktur (Problemtyp 1)
erfordert eine diversifizierte Einbindungs- und Qualifikations-
strategie. Die Modernisierung des Einkaufs mittels E-Procure-
ment ist nur ein Teil eines langfristigen Modernisierungspro-
zesses. E-Business, als Elektronisierung zwischenbetrieblicher
Abläufe, trifft in der Regel auf Prozesse und Abläufe in den Ver-
waltungsbereichen von Unternehmen, die bereits in hohem
Maße technologisiert sind. Die Fallbetriebe zeigen, dass die hin-
reichende Qualifizierung einzelner Mitarbeiter bereits bei der
Einführung zeitlich vorgelagerter Technologien (z. B. SAP, Ver-
waltungs-EDV) versäumt wurde. Teilweise sind die Probleme also
schon tatsächlich „alt“ in dem Sinne, dass sich aufgeschobene
Probleme heute – bei der umfassenden Einführung von E-Busi-
ness, welches die Elektronisierung der Prozesse weiter voran-
treibt – zurückmelden und mit erhöhter Vehemenz auf eine Lö-
sung pochen. Diejenigen Mitarbeiter, die sich bislang der Arbeit
mit EDV entzogen haben, heute wieder auszuklammern, wäre
fatal. Daher sollte die E-Procurement-Qualifizierung eingebettet
sein in ein langfristiges, nachhaltiges Konzept zum Erhalt der
„Beschäftigungsfähigkeit“ gerade der PC-ferneren Mitarbeiter
der Einkaufsabteilungen. Eine gruppenweise, für alle Mitarbeiter
standardisierte Qualifizierung ist für bestimmte einzelne Mitar-
beiter nicht auseichend. Die Einkaufsabteilungen sollten dazu
übergehen, die Qualifizierung zu individualisieren und insbeson-
dere bei den Mitarbeitern, die Schwierigkeiten im Umgang mit
den neuen Techniken haben, stark zu intensivieren.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 47
48 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Problemtyp 2 bezeichnet die mangelnde Akzeptanz verschie-
dener Mitarbeitergruppen und illustriert zugleich deren hohe
Bedeutung für das Funktionieren eines Projektes: Wenn Mitar-
beiter trotz Reorganisation in alten Routinen verharren, nützt die
neueste und ausgefeilteste Technik nichts. Dieser Fall verdeut-
licht wie wichtig es ist, sämtlich Inhalte und Zielrichtungen eines
Projektes im Vorfeld gemeinsam mit den Betroffenen zu definie-
ren, plausibel zu kommunizieren und auch Widerstände und
Einwände zu berücksichtigen. Nur so kann gewährleistet werden,
dass die Effekte eines Systems auch realisiert werden.
Dies alles nicht nur auf den eigenen Betrieb, sondern auf alle
Anwendergruppen – gleich, ob sie zum eigenen Unternehmen
oder zum Lieferanten oder Kunden zählen – auszudehnen, ist die
Lehre aus unserem Problemtyp 3, der je nach Architektur der
E-Business-Anwendung eine mehr oder minder große Rolle spielt.
Aber selbst bei relativ egalitärer Struktur der Mitarbeiter
(Typ 0) ergeben sich bestimmte Anforderungen an die Mitarbei-
terbeteiligung. Denn auch ein eingespieltes, harmonisches
Team kann bei Neuorganisation und -verteilung von Tätigkei-
ten, Verantwortung, Einflusschancen und Qualifikation schnell
aus dem Rhythmus kommen. Um die „Chemie“ in der Abteilung
nicht negativ zu beeinflussen, sollten Unternehmen einen
Querschnitt ihrer Mitarbeiter in den Einführungsphasen einbin-
den, der den vorhandenen Qualifikationen und Strukturen
unter den Anwendern entspricht. Den nicht direkt involvierten
Mitarbeitern sollten jedoch die Wege in die Entscheidungs-
gremien und zu Qualifikation nicht verstellt, sondern auch
deren Einbindung, Meinungsäußerung und auch Widersprü-
che über regelmäßige wechselseitige Kommunikation gewähr-
leistet werden.
2.4 Unterstützung der Personalarbeit beimChange Management in E-Business-Projekten
Peter Berger, Andrea Berger-Klein, Detlef Krüger, Heike M. Linhart;
Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg
1 Befunde
Bevor wir uns Veränderungsideen zuwenden, müssen wir
uns kurz mit dem Stand der Dinge auseinandersetzen, wie
er sich auf der Basis unserer Untersuchungen im Projekt
Personal@Work darstellt:
E-Business-Projekte verlaufen nicht immer planmäßig
E-Business-Projekte verlaufen – wie alle IT-Projekte – nicht immer
planmäßig. In vielen Unternehmen mangelt es zu Beginn von
E-Business-Projekten an realistischen Vorstellungen über die Bedin-
gungen und Wirkungen elektronischer Geschäftsprozesse. Oft sind
IT-Fachleute für solche Projekte verantwortlich, werden aber mit
den hochkomplexen Koordinierungsaufgaben allein gelassen.
Weitere Informationen
„E-Business in der Automobilzulieferindustrie“
www.ruhr-uni-bochum.de/e-business
Ansprechpartner des Projekts:
Prof. Dr. Ludger Pries
Ruhr-Universität Bochum
Lehrstuhl für Organisationssoziologie und
Mitbestimmungsforschung
Gebäude GC 04/708
44780 Bochum
Tel.: 0234 32254-29
E-Mail: ludger.pries@ruhr-uni-bochum.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Hertwig, M./Mühge, G./Tackenberg, H. (2003): E-Business in der Automobilzulieferindustrie. Vorsprung auf allen Ebenen. Arbeitspapier,
www.rub.de/e-business/publikationen/index.shtml
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 48
Förderkennzeichen: 01HT0122
49UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Der Sachverstand der Endanwender wird zu wenig nachgefragt
Wenn betriebliche Anwender an der Ist-Analyse oder an Soll-
Konzeptionen beteiligt werden, handelt es sich meist um ausge-
wählte Vorgesetzte. Damit wird aber das Know-how der End-
anwender aus der Projektarbeit ausgegrenzt.
E-Business-Projekte werden schön geredet
E-Business-Projekte werden im Nachhinein oft schön geredet.
Aus der mangelnden strategischen Planung bei der E-Business-
Einführung resultieren Reibungsverluste auf vielen betriebli-
chen Ebenen, die oft gar nicht wahrgenommen werden und
sich der betriebswirtschaftlichen Analyse entziehen.
Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Anfangs-
phase des Echtbetriebs
Endanwender haben oft, zumindest in der Anfangsphase des
Echtbetriebs, unter Verschlechterungen der Arbeitsbedingun-
gen und Mehrarbeit zu leiden. Dem Unternehmen entstehen
Kosten in nicht geahnter Höhe. Wenn dann Kosten und Auf-
wand wieder auf dem Level des Vorprojekt-Zustandes angekom-
men sind, wird dies manchmal als Erfolg gefeiert.
Kompetenzsteigerung durch Schulungen
Kompetenzverbesserungen werden meist über herkömmliche
Schulungskonzepte angestrebt. Empirische Untersuchungen
zeigen aber, dass die Arbeitsergebnisse nicht in der gewünsch-
ten Weise durch Schulungen zu verbessern sind. Nötig für eine
nachhaltige Kompetenzerweiterung der Mitarbeiter wären
neue, auf die Erfordernisse von E-Business-Projekten ausgeleg-
te, Lehr- und Lernformen sowie eine ernsthafte Beteiligung der
Endanwender schon bei der Planung.
Auch Endanwender brauchen E-Business-Kompetenzen
Die neuen Anforderungen an die E-Business-Nutzer zielen nicht
so sehr auf den Bereich der Fach- und Technikkompetenzen.
Vielmehr sind es Managementkompetenzen, die in diesem
Zusammenhang gefordert sind.
Kompetenzentwicklung durch Beteiligung
Kompetenzentwicklung kann am besten durch eine frühzeitige
Beteiligung der Mitarbeiter erreicht werden. Die geforderten
Kompetenzen wachsen durch eine aktive Mitarbeit in den be-
trieblichen E-Business-Projekten (Kompetenz = Wollen + Können
+ Dürfen). Wenn Mitarbeiter Einfluss auf Ziele und Maßnahmen
bei der Gestaltung von E-Business haben, wächst ihre Bereit-
schaft, mehr Verantwortung für die zu steuernden Prozesse zu
übernehmen. Nur, wenn diese Bereitschaft durch echte Beteili-
gung erzeugt wird, kann die tendenziell im E-Business angelegte
Zusammenfassung von Arbeitsfunktionen auf der horizontalen
und der vertikalen Ebene wirklich gelingen.
Durch Beteiligung steigt die Qualität der E-Business-Lösung
Werden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von „vor Ort“ in die
Ziel- und Maßnahmenfindung bei E-Business-Einführungen ein-
bezogen, so steigt die Qualität des E-Business-Projekts stark an.
Die meist vorhandenen Planungsfehler werden so rechtzeitig
entdeckt oder intelligent kompensiert. Praxiswissen kann von
Anfang an einfließen, Reibungsverluste werden minimiert, und
Commitment auf allen Ebenen wird erzeugt.
Beteiligung ist Personalentwicklung
Beteiligung hat im Idealfall eine vermittelnde Funktion: Durch
Beteiligung erwerben Planer Wissen über die Praxis der Arbeits-
prozesse sowie über ihre Veränderungspotenziale und können
so künftige Qualifikationsanforderungen besser abschätzen.
Andererseits erwerben die Beteiligten selbst Kompetenzen, mit
denen sie ihre Eignung für die sich verändernden Arbeitspro-
zesse steigern.
Entwicklungsmöglichkeiten müssen stimmen
Soll Beteiligung diese Kompetenzsteigerungen auf beiden
Seiten hervorbringen, so müssen die Rahmenbedingungen und
Methoden von Beteiligung, auch unter dem Blickwinkel eines
erfolgreichen gegenseitigen Lernens, weiterentwickelt werden.
Dazu gehört, dass folgende Faktoren systematisch gefördert
werden:
+ Achtung subjektiver Sichtweisen (jeder hat aus seiner
Sicht Recht),
+ Befähigung und Ermächtigung zur kompetenten Mitwir-
kung (Abbau von kommunikativen, zeitlichen und entgelt-
spezifischen Schranken für eine Beteiligung auch der
unteren Lohngruppen),
+ Lernorientierte Beteiligungsmethoden (Analyse-, Befra-
gungs- und Workshop-Methoden, die eine echte Einmi-
schung in die Ziel- und Maßnahmenfindung quer zu den
Hierarchien fördern),
+ ein unternehmensspezifisches Gesamtkonzept, welches
Beteiligung, Mitbestimmung, Kommunikation, Führung und
Evaluation in E-Business-Projekten vereinigt,
+ Leitlinien und Regeln, in denen das Verfahren der Beteili-
gung bei E-Business-Projekten unternehmensspezifisch
vereinbart wird.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 49
50 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
2 Personalarbeit1 in E-Business-Projekten
Fragestellungen
Was hat nun Personalarbeit mit E-Business zu tun? In zumindest drei
Bereichen, die wir untersucht haben, gibt es Berührungspunkte:
1. Personalarbeit ist Dienstleistung zur Betreuung von Arbeit
2. Das Personalmanagement ist Mitgestalter von Arbeit
3. Personalarbeit ist selbst ein durch E-Business verändertes
Arbeitsfeld
Wir konzentrieren uns im Folgenden auf den Punkt 2.
Verschiedene Welten in IT-Projekten
Auf der einen Seite existiert die „Welt der Macher“, die beherrscht
ist vom Gedanken kühler Rationalität und Methodik. Auf der
anderen Seite herrscht die „Welt der Anwender und Betroffenen“
mit ihren vielfältigen, teilweise widerstrebenden Interessen und
Befindlichkeiten.
Beide Welten weisen sich gegenseitig die Schuld am Miss-
lingen des Projekts zu, z. B.:
Macher an Anwender:
+ Das Management versteht das Projekt ja gar nicht!
+ Betriebsrat blockiert ja nur!
+ Die Endanwender interessieren sich nicht für das Projekt!
+ Anwender und Betriebsrat haben keine Ahnung!
Anwender an Macher:
+ Die Macher sind technikverliebt und haben sich das System
aufschwatzen lassen!
+ Die verwirklichen sich, und wir müssen das ausbaden!
Personal-arbeit
E-Business
befähigtbetreutsteuert
Arbeit
verändert
verändert
gestaltet Veränderungsprozesse
Initiatoren
Lenkungsteam
externeAnspruchs-
gruppen
externe Anwender
betroffeneMitarbeiter
BetriebsratMitbestimmungund Beteiligung
Information undKommunikation
Einfluss aufdie Projekt-ergebnisse
Einfluss auf den Projektverlauf
interneAnwender
GL
AnwenderBetroffeneMacher
Projektteam
Projekt Projektergebnisse
Abbildung 12: Fragestellungen im Projekt Personal@Work
Abbildung 13: Die Welten in IT-Projekten
1 Mit Personalarbeit wird diejenige Arbeit bezeichnet, die in Unternehmen unter dem Begriff „Human Ressources Management“ subsummiert wird. Hierzu gehören Funktionen derPersonalplanung, Personalbeschaffung, Personaladministration, Personalbindung, Personalführung, Personalentwicklung und der Arbeitssystemgestaltung. Die damit zusammenhän-genden Tätigkeiten werden meist nicht nur in den Personalbereichen der Unternehmen sondern in allen Bereichen verrichtet, in denen Personalverantwortung wahrgenommen wird.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 50
51UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
+ System ist an den Erfordernissen vorbei entwickelt worden!
+ Das ist alles nur vom grünen Tisch aus entwickelt worden,
ohne Ahnung vom wirklichen Geschehen im Betrieb!
+ Die hätten uns mal fragen sollen!
+ Das System funktioniert ja gar nicht richtig!
+ Wir haben zu wenig Schulungen und zu wenig
Unterstützung!
3 Die Personalperspektive: Prozessbegleitung
Menschen sind eigensinnig!
Wir gehen davon aus, dass IT- und insbesondere E-Business-Pro-
jekte in bereits laufenden Veränderungsprozessen aufgesetzt
werden und diese Veränderungsprozesse in bestimmte Richtun-
gen verstärken (siehe Abb. 14).
Die Methodik von herkömmlichem Projektmanagement ist aus
dieser Sicht künstlich „aufgepfropft“: Projekte nach herkömmlicher
Lesart haben einen definierten Anfang und ein definiertes Ende, sie
verlaufen in definierten Projektphasen, die wiederum definierte
Handlungsabläufe beinhalten. Das muss im einfachen Projektma-
nagement auch so sein, denn durch eine solche Standardisierung
kann die Qualität von Projektabläufen gesichert werden.
Damit geht herkömmliches Projektmanagement aber an den
Erfordernissen von komplexen IT-Projekten vorbei. IT- und insbe-
sondere E-Business-Projekte sind Veränderungsprojekte, durch
die gravierende Verschiebungen in der betrieblichen Aufbau-
und Ablauforganisation initiiert werden. Solche Veränderungs-
projekte müssen wesentlich mehr berücksichtigen als herkömm-
liches Projektmanagement. Grundsätzlich sollte die banale und
doch so folgenreiche Erkenntnis handlungsleitend sein, dass hier
Menschen am Werk sind, die eben nicht vorhersagbar funktionie-
ren, die eigene Interessen, Bedürfnisse und Befürchtungen haben
und die sich ihre eigenen „Regelkreise“ aufbauen.
Es gibt ein Leben vor und nach dem E-Business-Projekt
Um Misserfolge bei einem solchen Veränderungsprojekt zu ver-
meiden empfiehlt es sich,
+ die Vorgeschichte des Projekts zu analysieren – es könnten
z.B. „Tretminen“ von Vorgängerprojekten vergraben sein,
+ die Akteure zu identifizieren, die Ideenträger sind und
diese von möglichen Bedarfsträgern zu unterscheiden –
was nützt die schönste Projektidee, wenn es keinen echten
Anwendungsbedarf gibt,
+ die potenziellen Anwender der Projektergebnisse zu identi-
fizieren und sie in das Projekt einzubeziehen,
+ die Verstetigung, die Pflege und die ständige Verbesserung
der Projektergebnisse von Anfang an mitzubedenken,
+ schon bei Projektbeginn Kriterien für eine Evaluation des
Projekts und seiner Ergebnisse zu definieren und in die
Abläufe einzubauen.
Prozessbegleitung
Veränderungsprozesse
Veränderungsprojekt
Personalperspek t ive
... Idee Realisierungsschritte Idee Realisierungsschritte ...
Projektbeginn Projektende
Akteureanalysieren
Informationund Kommu-nikation
sichern
Mitbe-stimmungbeachten
Akteurebeteiligen
Folgenabschätzen
Evaluation
Vorgeschichtedes Projekts ?
Vorgängerprojekte?Ideenträger?
Bedarf?Entstehung
der Projektidee?
Nutzung derProjektergebnisse?
Verstetigung derProjektergebnisse?
Zufriedenheit der Nutzer?Pflege und Weiterentwicklung
der Projektergebnisse?
Zielefestlegen
Ablauf u.Termineplanen
Projekt-abwickeln
Projekt-ergebnisse
einzuführen
Menschen
Abbildung 14: Die Personalperspektive in IT-Projekten
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 51
52 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Mitarbeiter von Personalabteilungen als Prozessbegleiter in IT-
und E-Business-Projekten
In nur sehr wenigen Unternehmen fungiert das Personalmanage-
ment als Prozessbegleiter in IT-Projekten. Wir glauben, dass die
mangelnde Motivation der Mitarbeiter von Personalabteilungen,
sich in die Gestaltung von E-Business-Projekten einzumischen,
auch aus Vorbehalten gegenüber den hohen methodischen An-
forderungen resultiert, die eine Prozessbegleitung aus Personal-
sicht stellen würde. In unseren Untersuchungen sind wir immer
wieder auf Personalreferenten gestoßen, die die Notwendigkeit
einer mitarbeiterorientierten IT-Systemgestaltung sehr wohl
erkennen, die aber keine Instrumente für die konkrete Mitarbeit
im betreffenden Projekt zur Verfügung haben.
Aus diesen Erkenntnissen schließen wir, dass Personalma-
nagement, und Führungskräfte allgemein, bei der Mitgestaltung
von E-Business-Projekten professionell unterstützt werden müs-
sen. Daraus ist die Idee unseres Change Adviser entstanden.
Das Werkzeug Change Adviser: Phasenspezifische
Prozessbegleitung
Aus der Personalperspektive betrachtet geht es also darum, das E-Busi-
ness-Projekt selbst als Veränderungsprozess zu begreifen und diesen
Prozess an geeigneten Stellen mit geeigneten Mitteln zu begleiten.
Nun finden sich gute Methoden von Veränderungsmanage-
ment wie Sand am Meer. Sie werden aber in der Praxis nicht effek-
tiv genutzt, weil eine Verknüpfung mit der tagtäglichen Projekt-
arbeit der Mitarbeiter von Personabteilungen kaum geleistet
werden kann. Wir haben deshalb unsere Bausteine für die Pro-
zessbegleitung an die Phasen herkömmlichen Projektmanage-
ments angebunden. Wer also E-Business-Projekte mit den einge-
führten Projektmanagementmethoden plant und durchführt, kann
unsere Werkzeuge direkt in der jeweils aktuellen Phase des
Projektmanagements phasenspezifisch finden und dort anwenden.
Die Abb. 15 zeigt die Oberfläche der von uns entwickelten Da-
tenbank Change Adviser, hier für die Projektmanagementphase 1.
Phase 1
Projektmanagement
Bedarfsanalyse Akteursanalyse
Projekt-kommunikation
Zielfindungs-prozess
Beteiligung Mitbestimmung
EvaluationSzenarien
Phase 2 Phase 3 Phase 11Phase 4 Phase 5 Phase 6 Phase 7 Phase 8 Phase 9 Phase 10
1) Projektidee: Erste grobe Zielrichtung formulieren
2) Vorbereitung: Erste Projektgruppe aus Auftraggebern, Projektleiter und wichtigen Betroffenen bilden und Situations-analyse durchführen
3) Situationsanalyse: – Auftraggeber?– Träger der Projektidee?– Befindlichkeit in den betroffenen Bereichen?– betroffene Bereiche?– Art der Betroffenheit?– bisherige Problemlösungen, Erfahrungen aus
früheren Projekten?– Wer soll beteiligt werden?
4) Zielformulierung: – Ziele analysieren und Abhängigkeiten feststellen– Zielkatalog erstellen– generelle Stoßrichtung des Projekts prägnant
formulieren– Zielhierachie herstellen (Muss, Soll, Kann)– Randbedingungen des Projekts ermitteln und
analysieren– Ziele in den Randbedingungen überprüfen– Maßnahmen gegen unerwünschte Konsequenzen
entwickeln
Bausteine
Werkzeugkasten
Projektmanagement Phase 1: Projektdefinition und Zielfestlegung
Projektkom-munikation
Zielfindungs-prozesse
SzenarienAkteurs-analyse
Bedarfs-analyse Beteiligung
Mitbe- stimmung EvaluationFührung
ErläuterungenChecklistenLeitfäden Präsentationen Veranstaltungen SeminarkonzepteDienstleistungs-
angebote
Abbildung 15: Oberfläche des Change Adviser für die Projektmanagementphase 1
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 52
53UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Durch Betätigen der gelben Buttons können Vertiefungen zu den
Themenfeldern Bedarfsanalyse, Akteursanalyse, Projektkommuni-
kation, Zielfindungsprozess, Beteiligung der Mitarbeiter, Mitbestim-
mung, Szenarien zu Potenzialen und Folgen sowie zur Evaluation des
E-Business-Projekts für diese Phase 1 abgerufen werden. Für jede der
elf Projektmanagementphasen werden hierfür andere, auf diese
Phase zugeschnittene Materialien angeboten. Diese Materialien be-
stehen aus Hintergrundtexten, Vorgehensanweisungen, Fragebö-
gen, Leitfäden, Checklisten, Beispielen usw., auf deren Basis geübte
Manager eigenständig ein Vorgehensmodell für ihr Unternehmen
entwickeln können. Für alle anderen werden Beratungsdienstleis-
tungen und Schulungsmaßnahmen auf der Basis des Change Adviser
angeboten. Dabei dient der Change Adviser zur angeleiteten Kon-
zipierung und Begleitung des Projekts.
Der Change Adviser ist ein Vorgehensmodell zur Begleitung von
personalbezogenen Prozessen in IT-/Reorganisationsprojekten. Er
dient der Beratung, Qualifizierung, Supervision und dem Coaching
von Projektmanagern und Personalverantwortlichen sowie der
Steuerung von E-Business-Projekten.
Die Datenbank ist als Probeversion nutzbar unter www.e-perso-
nalarbeit.de. Weitere Probeanwendungen in Partnerunternehmen
sind vorgesehen. Beratungsdienstleistungen, Coaching, Seminare
und Trainings werden für Unternehmen angeboten.
Kommunikations- und Planungstool für kleine und mittelständi-
sche Unternehmen
Neben dem Change Adviser entwickeln wir zur Zeit ein weiteres
Werkzeug, welches die personalorientierte Prozessbegleitung bei
E-Business-Projekten in kleinen und mittleren Unternehmen unter-
stützt. Unser Kommunikations- und Planungstool soll vor allem End-
anwendern in kleinen und mittelständischen Unternehmen die Ge-
staltung ihrer E-Business-Projekte – und ihrer IT- und Reorganisa-
tionsprojekte allgemein – erleichtern. Das Werkzeug wird in Form
eines „virtuellen Beteiligungsraums“ ab Herbst 2004 angeboten.
Hintergrund ist die Erkenntnis, dass die Beteiligung von End-
anwendern vielfach nicht macht- oder kostenpolitisch begründet ist,
sondern hauptsächlich an sehr banalen Hindernissen scheitert: man-
gelnde Kenntnis und damit mangelndes Interesse der Betroffenen
und mangelnde materielle Möglichkeiten einer Beteiligung, durch
zeitliche und räumliche Restriktionen.
Der virtuelle Beteiligungsraum wird eine einfache E-Learning-
Einführung in die Arbeit am eigenen E-Business-Projekt für die Nut-
zer bereitstellen. Kern des Tools sind Funktionen, die eine örtlich und
zeitlich ungebundene Mitarbeit in Projektgruppen für die Ist-Ana-
lyse und die Soll-Konzeption ermöglicht. Damit sollen ungeübte
Stakeholder (einschließlich Betriebsrat) die Möglichkeit erhalten,
sich von Anfang an, an der Gestaltung des eigenen E-Business-Pro-
jekts zu beteiligen. Das Tool wurde in seiner Grundkonzeption im
Juni 2004 vorgestellt.
2.5 Unterstützung des Verkäufers durchmenschengerecht gestaltete Informa-tionssysteme
Marco Atzberger
First Online-Shopping GmbH, Pulheim
Ausgehend von den Herausforderungen, denen der Verkäufer im
Einzelhandel heute gegenübersteht (Informationsflut durch die
Menge der Produktinnovationen bei immer feinerer Differenzie-
rung der Produkte untereinander plus Vorkenntnisse der End-
verbraucher durch Informationen aus dem Internet) werden An-
sätze getestet, die nicht auf eine direkte Erhöhung der Waren-
kompetenz des Verkäufers setzen, sondern seine Prozesskompe-
tenz erhöhen sollen. Diese Prozesskompetenz drückt sich darin
aus, dass sich der Verkäufer auf seine Fähigkeiten zur Identifika-
tion der Kunden- und Anwendungsbedarfe konzentriert und,
technisch unterstützt, einen Lösungsraum von Produkten ermit-
telt, der – automatisch gefiltert nach den kommerziellen Bedürf-
nissen der Händler – Basis eines erfolgreichen Verkaufsgesprä-
Weitere Informationen
„Personal@Work – Personalarbeit im E-Business“
Förderkennzeichen: 01HT0129, 01HT0130
www.e-personalarbeit.de
Ansprechpartner des Projekts:
Prof. Dr. Peter Berger
Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg
Lohbrügger Kirchstr. 65
21033 Hamburg
Tel.: 040 428912780
E-Mail: peter.berger@rzbd.haw-hamburg.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Eckart Hüttemann
Tel.: 0228 3821-136
E-Mail: eckart.huettemann@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 53
54 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
ches ist. Es wird abschließend dargestellt, welche Erfahrungen im
Einsatz einer entsprechenden Software im Unterhaltungselek-
tronik-Handel gemacht wurden.
1 Problemstellung
Ziel des Projektes ist es, einen Beitrag zur Lösung zweier sich
überschneidender Problemkreise zu leisten:
+ der Preiswettbewerb, den kleine und mittelständische
Handelsunternehmen gegenüber den Großbetriebsformen
mittelfristig nur verlieren können
+ das Qualifizierungsdilemma des Verkaufspersonals, das
durch Service und Beratung die Schlüsselfunktion des
Fachgeschäftes ausfüllen soll.
Wettbewerbssituation von KMU im Handel
Über alle Branchengrenzen hinweg stellt man in Deutschland
einen kontinuierlichen Konzentrationsprozess fest. Kleine und mit-
telständische Handelsunternehmen werden zunehmend von den
national und international aufgestellten Großbetrieben verdrängt.
Als Beispiel sei hier angeführt, dass wir im Jahr 2000 noch
8.350 traditionelle Elektro-Sortiments-Einzelhandelsunterneh-
men zählten, die 71,3 % Marktanteil ausmachten. Im Jahr 2003 ist
die Zahl auf 7.835 mit 69,7 % Marktanteil gesunken. Im selben
Zeitraum stieg die Anzahl der filialisierten Fachmärkte von 460
auf 510 und der Marktanteil legte um 2,7 % zu.
Dabei setzen diese Großunternehmen vornehmlich auf das
Marketinginstrument Preis in Kombination mit aggressiver Wer-
bung. Trotz des Markterfolges ist die Kundenzufriedenheit in die-
sen Märkten häufig deutlich unterdurchschnittlich.
Diese Zahlen belegen, dass in dieser Branche der Wettbewerb
noch nicht entschieden ist, die Vorteile heute allerdings deutlich
bei den Fachmärkten liegen.
Für den weiteren Fortgang des Projektes übernahmen wir die
Definition des Katalogs E: „Das Fachgeschäft ist ein Einzelhan-
delsbetrieb, der ein branchenspezifisches oder bedarfsgruppen-
orientiertes Sortiment in großer Auswahl und in unterschiedli-
chen Qualitäten und Preislagen mit ergänzenden Dienstleistun-
gen anbietet.“, wobei wir basierend auf den Merkmalen Sorti-
ment und Dienstleistungen, ein Leitbild formulierten:
+ Der Fachhandel betont seine Kompetenz mit der Ware und
dem Service am Kunden.
+ Der Fachhandel richtet seine Marketinginstrumente (Stand-
ort, Sortiment, Preis, Personal, Werbung und Verkaufsraum)
sowie die Gestaltung der horizontalen und vertikalen Zu-
sammenarbeit hierauf aus.
+ Qualität und Effizienz erreicht der Fachhandel durch seine
engagierten Mitarbeiter und seine flexiblen Informations-
systeme.
+ Dem Preiswettbewerb begegnet der Fachhandel insbe-
sondere mit der Ergänzung von Produkten um Dienst-
leistungen.
Anforderungen an die Verkäufer
Der Fachverkäufer, der im Facheinzelhandel den Kunden berät,
steht vor einer zunehmend schwierigeren Aufgabe. Dabei ent-
steht der Druck in drei Feldern:
+ Sortimente: Artikel bilden in der Regel heute die Primär-
bedarfe der Anwendungsgebiete ab. Die Differenzierung
der Produkte untereinander erfolgt durch Zusatznutzen.
Aber auch bei diesen Zusatznutzen wird es immer schwieri-
ger sich abzugrenzen, mit jeder Produktgeneration liegen
die Unterscheidungen weiter im Detail. Dies ist zum einen
schwierig einem Kunden zu erklären, zum anderen für den
Verwendungszweck des Kunden möglicherweise unerheb-
lich und zum Dritten aufgrund der Innovationsgeschwin-
digkeit und Anzahl der Artikel für den Verkäufer schwierig
vorab zu lernen.
+ Kunden: Während noch vor kurzem die Stiftung Warentest
für den engagierten Kunden die Referenz war, gibt es
heute eine Fülle von Quellen, die das (Halb-) Wissen des
Kunden zu einzelnen Produkten speisen. Insbesondere auf-
grund des Internets, welches er etwa am Wochenende
nutzt, um einzelne Artikel näher zu analysieren, konfron-
tiert der Kunde den Verkäufer mit Details unterschiedlicher
Güte und Zuverlässigkeit. Es ist dem Verkäufer nicht mög-
lich, vorab die Referenzen des Kunden zu kennen, er ver-
liert die Informationshoheit.
+ Wirtschaftliches Umfeld: Der Preis- und Margendruck
zwingt zu sparen. Ausgaben für Weiterbildung und Qua-
lifizierung drohen dem Rotstift zum Opfer zu fallen. Bei
Rohmargen von ca. 15 % und Personalkosten in derselben
Höhe muss der Fachhandelsbetrieb reagieren. Doch ohne
Qualifizierungsmaßnahmen keine qualifizierte Beratung,
sondern nur eine Alibi-Beratung, die höhere Preise recht-
fertigen soll.
2 Lösungsansätze
Das Projekt verfolgt zur Lösung der oben skizzierten Heraus-
forderungen, die Entwicklung und Nutzung von internetbasier-
ten Produktdatenbanken, die über ein geeignetes Front-End dem
Verkäufer im Ladenlokal zur Verfügung gestellt werden.
Unser Vorgehen ist es, von einer mitarbeiter- und anwen-
dungsorientierten Spezifikation der notwendigen Inhalte und
Gestaltungsmerkmale kommend, ein technisches Anwendungs-
system zu entwickeln und in einer Reihe von Entwicklungszyklen
zu verbessern.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 54
55UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Leitbild des Verkäufers
Basierend auf einer Ist-Erhebung der Beratungssituation entwi-
ckelte das Projektteam in einem interaktiven Prozess unter
Einbeziehung der Gewerkschaft verdi ein Leitbild des Fach-
verkäufers der Zukunft. Dieses umfasste schließlich fünf Punkte:
+ Der Fachverkäufer erkennt die individuellen Wünsche,
Motive und den Bedarf des Kunden
+ Er entscheidet frei, denkt ganzheitlich und ist dienstleis-
tungsorientiert
+ Er besitzt fachliche, methodische sowie soziale
Kompetenzen
+ Er ist der Informationsmanager des Fachgeschäfts und der
persönliche Partner des Kunden
+ Er setzt moderne Informationsinstrumente ein, die seine
Arbeit unterstützen und seine Qualifikation dynamisch
erweitern
Dieses Leitbild soll eine Orientierung bieten – intern als Kommu-
nikationsbasis, extern als einheitliches Kommunikationsinstru-
ment – bei der Entwicklung von konkreten Zielen und Gestal-
tungsformen.
Ein zentraler Aspekt ist die Kundenorientierung des Verkäu-
fers, die sich als erster Punkt niederschlägt. Der Verkäufer ist ver-
antwortlich für die Interpretation des Kundenwunsches. Diese
Verantwortung überträgt er nicht einem technischen System,
sondern es ist seine ureigene Funktion. In der Konkurrenzsitua-
tion zu entsprechenden Internetdiensten oder Kiosk-Systemen
am Point of Sale kann der Verkäufer und damit das Fachgeschäft
genau dann punkten, wenn es gelingt, durch die persönliche
Interaktion, die Produktauswahl durch den Einbezug sozialer,
emotionaler und dem Kunden a priori unerkannter Bedarfs-
dimensionen entscheidend zu verbessern.
Ein weiterer bemerkenswerter Aspekt des Leitbildes ist das
Fehlen eines Bezugs zur Produktkompetenz. Man muss kein
geprüfter Radio- und Fernsehtechniker sein, um Radios oder
Fernseher zu verkaufen. Vielmehr stellen wir in den Vorder-
grund, dass der Verkäufer wiederum als persönlicher Partner des
Kunden dem Geschäft ein Gesicht gibt und dienstleistungsorien-
tiert arbeitet. Das spricht den Verkäufer natürlich nicht frei von
einer grundsätzlichen fachlichen Kompetenz, diese muss sich
nun aber nicht in der Kenntnis jedes Produktdetails niederschla-
gen. Diese Wissenslücken, die sich unserer Ansicht nach aber auf-
grund der geschilderten Produktdynamik auch nicht vollständig
schließen lassen, werden kompensiert durch den situationsspezi-
fischen Rückgriff auf moderne Informationsinstrumente, die zeit-
nah den notwendigen Datenhintergrund liefern.
Waren- versus Prozesskompetenz
Aus den Ausführungen zum Leitbild ist erkennbar wie zentral der
soziale Akt der Interaktion zwischen Verkäufer und Kunden im
Rahmen des Verkaufsgespräches für das E-Beratungsprojekt ist.
Wir gliederten den Beratungsprozess in drei Phasen: „Vor der
Beratung“, „Während der Beratung (im engeren Sinne)“ und
„Nach der Beratung“.
In der Vorberatungsphase fassen sich jene Aktivitäten zusam-
men, die die spätere Beratung im engeren Sinne ermöglichen.
Dazu gehört die Entwicklung der grundsätzlichen fachlichen
Kompetenz, etwa durch E-Learning-Module, und die von einer
zentralen Stelle organisierte push-orientierte Versorgung mit
aktuellen Informationen (z. B. über Fernsehsendungen am
Vorabend mit Produkttests oder spezielle Werbeangebote der
Konkurrenz). Schließlich gehört die lokale Zusammenstellung
von Sortimenten, Preisen und Dienstleistung durch den Fach-
händler vor Ort in diese Phase.
Diese zwei erstgenannten Aspekte wurden aus technisch-
organisatorischen Gründen im Projekt nicht weiterverfolgt, der
dritte wurde unter dem Stichwort „Favoritenliste“ umgesetzt.
Nach der Beratung fallen kunden- und (falls es zum Abschluss
kam) auftragsbezogene Nachbearbeitungen an. Dazu kann z. B. die
Platzierung einer Bestellung beim Lieferanten, die Terminierung
eines Lieferauftrags oder die Bearbeitung einer Kundendatei zäh-
len. Diese Arbeiten werden gewöhnlich in eigens dafür bereitge-
stellten, bestehenden IT-Systemen durchgeführt. Insofern wurde
hier eine natürliche Grenze zum E-Beratungsprojekt gezogen.
Wir konzentrierten uns auf die zentrale Phase, die Beratung
im engeren Sinne, welche durch eine ungeheure Anzahl mögli-
cher Situationen gekennzeichnet ist, die durch die Interaktion
von Kunde und Verkäufer entstehen können. Wir definierten
typische Beratungssituationen, die wir „Szenarien“ nannten. Ein
solches Szenario konnte lauten: „Kunde möchte eine spezielle
Digitalkamera kaufen, welche im Laden nicht verfügbar ist,
grundsätzlich aber lieferbar ist“. Ausgehend von einer solchen
Situation wurde zu Beginn der Entwicklung ein Soll-Ablauf als
Folge von Bildschirmmasken formuliert und umgesetzt. Diese
Umsetzung wurde dann in Händlerworkshops vom Verkäufer
bearbeitet und die Beobachtungen des Projektteams zum Vor-
gehen des Verkäufers wurden dann zur weiteren Optimierung
genutzt.
Zwei Sachverhalte wurden durch dieses Vorgehen determi-
niert.
+ Aus Sicht der Systementwicklung stellten wir den Prozess
vor das Produkt. Wir schauten also nicht welche Informa-
tionen zum Produkt verfügbar waren und wie diese struk-
turiert und dargestellt werden könnten, sondern wann im
Beratungsprozess wir welche Informationen benötigten
und stellten dann die Frage, woher diese Informationen
kommen konnten. Dieses Vorgehen hatte zwar an einigen
Punkten den Nachteil, dass wir wünschenswerte Informa-
tionen nicht bereitstellen konnten (z. B. urheberrechtlich
geschützte Artikel aus Fachzeitschriften), stellte aber
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 55
56 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
sicher, dass diese Informationen zumindest theoretisch
angedacht waren und führte dazu, dass wir in einigen
Fällen (z. B. Anbindung von Logistikdaten zur Verfügbar-
keit) weitergingen als ursprünglich gedacht.
+ Zusätzlich stellten wir einen hohen Praxisbezug sicher
ohne das abstrakte Leitbild des Fachverkäufers aus den
Augen zu verlieren. Hiernach war nämlich sicherzustellen,
dass der Verkäufer situationsbedingt das Informations-
instrument einsetzt, wenn es ihn unterstützt und nicht
umgekehrt das Informationsinstrument den Verkäufer
instrumentalisiert und der Entscheidungshoheit beraubt.
E-Beratungs-Software-Tools
Die E-Beratungssoftware zerfiel in zwei Komponenten, zum
einen galt es die innerhalb der Kette anfallenden Informationen
zu sammeln und aufzubereiten, so dass die Datenverfügbarkeit
innerhalb des definierten Beratungsgespräches sichergestellt
war, zum anderen die Bildschirmmasken entsprechend allgemei-
ner Anforderungen zur Benutzerfreundlichkeit und projektspezi-
fischer Anforderungen zu entwickeln. Wir entschieden uns hier
eine Beschränkung des Sortimentes auf den Bereich der Digital-
kamera vorzunehmen, welcher unter Gesichtspunkten der
Dynamik, der Komplexität und des Kundeninteresses wichtigen
Anforderungen genügte.
Einige beispielhafte Funktionalitäten, die im Rahmen des
Projektes entwickelt wurden, werden im Folgenden skizziert,
wobei die zwei ersten in der Vorberatungsphase zum Einsatz
kommen. Es ist geplant, ein Testsystem im Internet frei zugäng-
lich zu machen, wo diese und weitere Funktionalitäten getestet
werden können.
+ Verwaltung und Administration eines virtuellen Sortiments
durch den Händler: Der Händler hat die Möglichkeit über
die Funktionalität zur Bildung eines ‚virtuellen Sortiments’
Beratungsgespräche vorzubereiten. Indem er hierbei aus
der großen Produktauswahl bei digitalen Kameras be-
stimmte Modelle als Favoriten festlegt, die später im Bera-
tungsassistenten virtuell angezeigt werden, nimmt der
Händler schon vor dem Beratungsgespräch eine Produkt-
Vorselektion vor. In diese virtuelle Sortimentsbildung kann
der Händler dann auch seine eigenen Erfahrungswerte aus
vorangegangenen Beratungsgesprächen und Verkäufen
einfließen lassen. Bei diesem Prozess findet also eine ge-
zielte Vor- und Nachbereitung der Beratungsgespräche
statt. Bei diesem Prozess wurden auch die Verfügbarkeits-
informationen des EP-Lagers unterstützend mit eingearbei-
tet, damit der Fachverkäufer auch gezielt zu Produkten bera-
ten kann, für die er nach dem Verkauf auch Liefer-Bezugs-
quellen hat, falls er dieses Produkt nicht am eigenen Lager
führt. Neben den Produkten des virtuellen Sortiments kann
im Beratungsgespräch aber auch global im Artikelbestand
gesucht werden, so dass der Fachverkäufer auch bei geziel-
ten Fragen zu anderen Produkten aussagefähig ist.
+ Verwaltung der händlerspezifischen Service-Angebote: Mit
dieser Funktionalität kann jeder Händler sein Service-An-
gebot selbst innerhalb des E-Beratungssystems definieren.
Hierbei kann er nicht nur Text sondern auch eigene Grafi-
ken und Internet-Links zu externen Inhalten integrieren.
Für die einzelnen Service-Angebote sind dann auch Ver-
kaufspreise hinterlegbar. Diese einmalig angelegten
Service-Angebote lassen sich dann direkt mit Produkten
kombinieren, so dass diese Informationen während dem
Beratungsgespräch direkt vom Fachverkäufer genutzt wer-
den können.
+ Der Beratungsassistent: Der Beratungsassistent integriert
drei Basisfunktionalitäten der E-Beratung in eine Bild-
schirmansicht und ist der Dreh- und Angelpunkt für das
Beratungsgespräch. Er zeigt die Produkt-Favoriten aus dem
‚virtuellen Sortiment’, er gestattet die Nutzung des Fragen-
assistenten zur Unterstützung des Fachverkäufers und lässt
über direkte Eingabemöglichkeit der definierten Filter-
kriterien eine schnelle Navigation innerhalb der Waren-
gruppe zu.
+ Erzeugung der produktspezifischen Eigenschaften für die
definierten Hauptmerkmale bei ‚Digitalen Kameras’: Damit
die beschriebene Funktionalität des Beratungsassistenten
möglich wird, müssen die erarbeiteten Hauptmerkmale für
jede Kamera ermittelt und datenbanktechnisch abgelegt
werden. Für diese Aufgabe wurden DTS-Packages (Data
Transformation Services) auf dem SQL-Datenbank-Server
definiert, die z. B. automatisiert aus den vorhandenen Ge-
häuseabmessungen (Höhe, Breite, Tiefe) die Gehäusevolu-
men berechnen und diese dann innerhalb der Datenbank
mit den vordefinierten ‚unscharfen’ Wertebereichen wie
‚möglichst klein’ oder ‚übliche Standardgröße’ in Relation
setzen. Durch diese definierten DTS-Packages werden so-
mit aus den detailliert vorliegenden technischen Geräte-
daten die Hauptmerkmale für die Warengruppe ‚digitale
Kameras’ extrahiert, so dass diese innerhalb des Beratungs-
assistenten und im Produkt-Vergleich abrufbar sind.
3 Erfahrungen
Die im Rahmen des Projektes entwickelten Lösungen sollten
abschließend in einem Feldtest bei zehn EP-Händlern geprüft
werden. Hierzu wurden vier Händler mit neuartigen Tablet-PCs
ausgestattet, mit denen der Verkäufer den Kunden zur Ware
begleiten konnte und auf ca. DIN A 4 großen Bildschirmen ohne
Maus und Tastatur die E-Beratungssoftware nutzen konnte. Sechs
weitere Händler wurden nur mit Zugängen zum System ausge-
stattet und in der Beratungssituation wurden die festinstallierten
Filial-PCs genutzt. Nach einer 2- bis 4- monatigen Testphase wur-
den die Händler (jeweils Verkäufer und Geschäftsinhaber)
befragt.
Derzeit läuft noch die Auswertung dieser Befragung. Es las-
sen sich aber drei Feststellungen bereits jetzt treffen:
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 56
57UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
+ Grundsätzlich sind die Teilnehmer vom Nutzen derartiger
Produktinformationssysteme überzeugt, wenn gewährleis-
tet ist, dass primäre Produktdaten, kaufmännische Daten
und logistische Daten integriert werden.
+ Die Bereitschaft in der echten Verkaufssituation auf das
System zurückzugreifen und den vom Projekt proklamier-
ten Schritt von der Produkt- zur Prozesskompetenz tat-
sächlich zu gehen, ist nur in speziellen Situationen tatsäch-
lich vorhanden. Wann diese Situation gegeben ist, kann nur
der Verkäufer entscheiden.
+ Die Kosten für die Erstellung lokaler Dateninhalte wie
Favoritenlisten und Dienstleistungen werden sehr argwöh-
nisch betrachtet. Hier muss über zentral bereitgestellte
Standardlösungen nachgedacht werden.
Die Ergonomie der Software E-Beratung zur Unterstützung des
Verkaufsprozesses wurde in einer eintägigen Analyse durch
einen externen Gutachter evaluiert. Dieses Gutachten kam zu
dem Schluss, dass die Software insgesamt einen professionellen
Eindruck machte und auch die graphische Gestaltung eine aus-
gearbeitete Lösung zur Darstellung der fachlichen Funktionalität
zeigte. Bei der Evaluation wurde anhand der Vorinformationen
besonderes Augenmerk auf folgende Oberflächenaspekte gelegt:
+ Präsentation der Information, graphische Gestaltung
+ Menü-Navigation, Menü-Repräsentation
+ Menü-Struktur, Menü-Kategorisierung und -benennung
+ Suchfunktion
+ Beratungsassistent
+ Administration von Angebotslisten
Für diese Punkte wurden jeweils konkrete Anmerkungen und
Verbesserungsvorschläge formuliert.
Die Ergebnisse von Feldtest und Gutachten können zwar
nicht mehr in das aktuelle Projekt Eingang finden, sie erlauben
jedoch die Feststellung des Entwicklungsstandes und zeigen
künftige Entwicklungslinien und Verbesserungspotenziale auf.
4 Fazit
Das E-Beratungssystem tritt an, den Verkäufer in der Bewältigung
der Informationsflut und anspruchsvoller Kundenforderungen
zu unterstützen und so einen Beitrag zur Stärkung der Fachge-
schäfte zu leisten.
Die hierzu entwickelten Lösungen müssen zwei Hindernisse
überwinden. Zum einen müssen die Dateninhalte stufenüber-
greifend entwickelt, gepflegt und konsolidiert werden. Dies ist
ein typisches Henne-Ei-Problem. Zum anderen kann dem
Verkäufer die Nutzung des Systems nicht verordnet werden, son-
dern er muss freiwillig auf das System zugreifen, da er die Ent-
scheidungshoheit über den geeigneten Einsatz seiner Verkaufs-
instrumente haben soll.
Die Überwindung dieser Hindernisse ist im Kern durch das
durchgeführte Projekt E-Beratung angestoßen. Wir waren in der
Lage, ein lauffähiges mit Echtdaten operierenden System im
Praxiseinsatz zu testen, können Aussagen über den betriebswirt-
schaftlichen Nutzen treffen und Interessenten anhand einer kon-
kreten Lösung die abstrakte Idee eines Verkäuferunterstützenden
Systems darstellen.
Dies bedeutet, dass wir sowohl gegenüber betrieblichen Ent-
scheidungsträgern als auch gegenüber dem Verkaufspersonal
gute Argumente zur Unterstützung der E-Beratung und ähnli-
cher Systeme gesammelt haben. Dies lässt uns für die Verwertung
der gewonnenen Erkenntnisse und ihrer Einführung in die be-
triebliche Praxis guter Dinge sein.
Weitere Informationen
„Neue Anforderungen an die Fachberatung im Verkauf
(E-Beratung)“
Förderkennzeichen: 01HT0123, 01HT0124, 01HT0125, 01HT0126
www.eberatung.info
Ansprechpartner des Projekts:
Marco Atzberger
First Online-Shopping GmbH
Brunostr. 89
50259 Pulheim
Tel.: 02238 922350
E-Mail: m.atzberger@fos-gmbh.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Eckart Hüttemann
Tel.: 0228 3821-136
E-Mail: eckart.huettemann@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 57
58 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
2.6 Internetbasierte Information undBeratung zu Fragen der Arbeitswelt
Brigitte Duve, Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn
Berthold Iserloh, Universität Dortmund
„Ich glaube, ich habe einen Punkt in meinem Berufsleben er-
reicht, an dem ich allein mit meinen Gedanken und Ängsten
nicht mehr umgehen kann. Ich frage mich, ob ich den richtigen
Beruf habe, ob ich noch in der Lage bin, dem Beruf und den An-
forderungen gerecht zu werden. Ich habe Angst vor Arbeits-
losigkeit …“ Immer häufiger erreichen Aussagen wie diese das
Internetberatungsprojekt www.mensch-arbeit.de der Katholi-
schen Kirche im Erzbistum Paderborn. Die Ursachen dafür liegen
in der derzeitigen gesellschaftlichen und arbeitsweltlichen
Situation.
1 Neue Herausforderungen in einer veränder-ten Lebens- und Arbeitswelt
Massive Veränderungen in Arbeit und Gesellschaft stellen den
Einzelnen vor immer neue Herausforderungen. Kennzeichen die-
ser Veränderungen sind zum einen der Wandel im Verständnis
von Arbeit und Wissen – überall ist eine Abwertung des Erfah-
rungswissens bei gleichzeitiger Aufwertung des Theoriewissens
festzustellen. Die „Halbwertzeit“ des Wissens sinkt, in immer kür-
zeren Zeiten entstehen neue Erkenntnisse. Es zeichnet sich ein
Übergang von einer „soliden Ausbildung“ zum „lebenslangen
Lernen“ im Rahmen flexibler, offener, aber auch unsicherer
Beschäftigungsverhältnisse ab.
Zu beobachten ist die tief greifende Flexibilisierung der
Arbeit, die sich auf alle wesentlichen Dimensionen von Arbeit
bezieht: Die zeitliche, die räumliche, die soziale, die sachliche
und die juristische Dimension.
Weitere Entwicklungslinien verändern das gesellschaftliche
Leben und damit die Situation des einzelnen Menschen: Beruf
und Familie sind nicht mehr streng getrennte Welten, die eigene
Biographie folgt nicht mehr einer strengen Ordnung, Rollen-
muster lösen sich auf, auch soziale Kommunikationsmuster ver-
ändern sich und werden milieuorientiert vielfältiger, Beteili-
gungsmuster verlieren an Bedeutung und staatliche Versor-
gungsleistungen und Absicherungen werden individualisiert.
Lebens- und Arbeitsbiographien werden brüchig und mul-
tioptional. Der Einzelne muss immer mehr zu einem „Unterneh-
mer“ und Manager seiner eigenen Biographie werden als auch
aktiver Gestalter seiner Aufgaben und Fähigkeiten am Arbeits-
platz in immer häufiger wechselnden Arbeitsbeziehungen. Per-
sönliches, soziales und arbeitsrelevantes Lernen fordern eine
erhöhte persönliche Kompetenz.
Zurzeit zeichnet sich ab, dass sich das Verhältnis von Gewin-
nern und Verlierern verschiebt; die Zahl der Verlierer nimmt zu.
Der Beitrag des Einzelnen zum Ganzen ist immer weniger zu grei-
fen. In dieser individualisierten und multioptionalen Gesellschaft
stellen sich für den Einzelnen immer mehr Fragen nach Sinn und
Lebenstiefe, da bisherige Erklärungsmuster nicht mehr ausreichen.
Die persönliche Beratung spielt in unserer komplizierter wer-
denden Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle. „Die Kommu-
nikation wird schwieriger, also steigt der Bedarf an Beratung“,
notiert die Süddeutsche Zeitung vom 18.10.2002. Der daraus
erwachsende Bedarf beispielsweise an psychosozialer, gesund-
heitlicher Beratung, an Selbstmanagement-Beratungen und
Coaching stellt neue Ansprüche an Beratungseinrichtungen, an
Psychologen, an Unternehmen, an öffentliche und private Dienst-
leister.
Beratungsformen und Beratungsinhalte müssen angepasst
werden, um den immer stärker individualisierenden Anforde-
rungen in den neuen Berufen und in den neuen Arbeits- und Tä-
tigkeitsformen unterstützend begegnen zu können. Dies erfor-
dert verstärkt Kooperationsleistungen bei den beratenden Insti-
tutionen, aber auch einen neuen Umgang mit neuen Kommuni-
kationswegen. Das Internet bietet vor diesem Hintergrund viel
versprechende Möglichkeiten als interaktives Beratungsmedium.
2 Onlineberatung und –seelsorge beiwww.mensch-arbeit.de
Idee
Kostenlose Hilfe und Orientierung bietet die katholische Kirche
mit dem Online-Beratungsangebot „mensch-arbeit“, das im Jahr
2002 erstmals ins Netz ging.
„mensch-arbeit“ wurde als ein umfassendes Beratungsinstru-
ment im Internet konzipiert für Arbeitnehmer mit beruflichen
Problemstellungen, in schwierigen Lebenssituationen sowie be-
ruflichen Umbruchsituationen in einer sich verändernden Ar-
beitswelt. Es arbeitet trägerübergreifend und ist niederschwellig
angelegt. Das Projekt „mensch-arbeit“ berät zu allen Fragen und
Themen rund um das Thema Arbeit.
Zielsetzung
Oberstes Ziel ist es, ein wirkungsvolles Unterstützungssystem im
Internet zu schaffen, das die Ratsuchenden befähigt, ihre schöp-
ferischen Potenziale zu erkennen und aktiv zu gestalten in ihren
jeweiligen Arbeits- und Lebensbezügen. Chancengleichheit und
Beteiligungsfähigkeit am Arbeitsmarkt sowie Gestaltungsfähig-
keit in der Arbeitswelt sollen verbessert werden.
Partner
„mensch-arbeit“ ist ein Projekt der Katholischen Kirche im Erz-
bistum Paderborn, dessen Sozialinstitut – die Kommende in
Dortmund – Sitz von „mensch-arbeit“ ist. Viele Kooperations-
partner aus Dortmund beraten das Projekt mit ihrer Fachkom-
petenz und bildeten von Anfang an ein Netzwerk im Hinter-
grund: Arbeitsamt, Bund katholischer Unternehmer, Deutscher
Gewerkschaftsbund östliches Ruhrgebiet, Evangelische Kirche in
Dortmund und Lünen, Kooperationsstelle Wissenschaft und
Arbeitswelt, Telefonseelsorge, die Katholische Stadtkirche in
Dortmund sowie das Dortmund-project.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 58
Angebote
Betroffene können direkt mit dem ehrenamtlichen Mitarbeiter-
team von „mensch-arbeit“ per E-Mail oder im Chat Kontakt auf-
nehmen. Dabei sind mehrere Wege für den Ratsuchenden über
verschiedene Türen auf der Homepage möglich. Mit dem jeweili-
gen Türsymbol verbinden sich unterschiedliche Angebote:
Beratung
Die Beratungstür ist als Anlaufstelle für Menschen gedacht, die
Schwierigkeiten und Fragen in Beruf und Arbeit haben. Hier fin-
det eine sondierende Beratung statt. Die Berater gehen individu-
ell auf den Ratsuchenden ein. In einem ersten Beratungsvorgang
wird das Problem mit allen relevanten Aspekten angeschaut und
sortiert. Gemeinsam werden weitere Schritte überlegt. Gegebe-
nenfalls vermitteln die Berater an eine Fachberatung weiter. Hier
bietet das Projekt eine passgenaue zweistufige Beratung.
Seelsorge
Das Angebot hinter der Seelsorgetür wendet sich an Menschen,
die Austausch mit einem verständnisvollen Gesprächspartner
suchen. Ein Team erfahrener Seelsorger hilft bei Problemen, die
den beruflichen und privaten Alltag betreffen. Auch bei existen-
ziellen Fragestellungen und der Suche nach dem Sinn leistet das
Team auf schriftlichem Wege eine persönliche Begleitung.
Datenbank Beratungsstellen
Neben der direkten und persönlichen Beratung und Seelsorge
wurde die Möglichkeit geschaffen, Informationen über spezielle
Beratungsdienste hinter der Tür „Beratungsstellen“ abzurufen.
59UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Dort kann der Internetnutzer aus mehreren Beratungsstellen
auswählen, die auf verschiedene Themenbereiche spezialisiert
sind. Dazu gehören neue Arbeitsformen (etwa Teilzeit, Jobrota-
tion, Telearbeit), Arbeitsschutz und Gesundheit, Gender, Neu-
orientierung (u. a. Weiterbildung, Umschulung, Hilfe beim Wie-
dereinstieg in den Beruf), Jugend und Ausbildung, Freiwilligen-
arbeit sowie Organisationsberatung und Qualitätsmanagement
für Betriebe. Weitere Themen sind psychologische Hilfen und
Konfliktberatung bei Mobbing oder privaten Problemen.
Der Nutzer findet übersichtliche Informationen über die
Einrichtungen, von der Beratungsleistung bis hin zu Ansprech-
partnern und Kontaktadressen. Die Datenbank wächst ständig;
die Suche nach regionalen Beratungsstellen wird über ein Post-
leitzahlensystem gewährleistet.
Meditation und Selbstbetrachtung
Die vierte „andere Tür“ bietet einen ungewöhnlichen Weg an,
um Problemen in der Arbeitswelt zu begegnen. Zu den Themen
Arbeit – Leben – Zeit und Sinn entstehen hier verschiedene An-
gebote der Meditation und Selbstbetrachtung. Derzeit gibt es
einen ersten Rundgang über sieben Stationen zum Thema Spu-
ren. Diese Möglichkeit zum Anhalten und Nachdenken ermög-
licht einen anderen Blick auf die eigene berufliche und persönli-
che Situation und damit neue Handlungsansätze.
Informationen
Neben den genannten Beratungsangeboten weist die Homepage
wöchentlich neu auf aktuelle Artikel und Veröffentlichungen
hin, die in unterschiedlichen Arbeitssituationen eine Hilfe dar-
stellen können. Information und Kommunikation ergänzen sich
auf der „mensch-arbeit“-Seite durch unterschiedliche Formen.
Forschung
Was muss ein Beratungsangebot im Internet bieten? Welche Vor-
und Nachteile ergeben sich? Welche Bedürfnisse haben Men-
schen unterschiedlicher Altersgruppen, die Online-Beratung
suchen? Welche Bedingungen braucht es und welche Qualifi-
kation benötigen Berater für ihre Tätigkeit im Internet? Mit die-
sen und anderen Fragen beschäftigen sich Wissenschaftler und
Studierende des Lehrstuhls für Grundlagen und Theorien der
Organisationspsychologie von Professor Dr. Michael Kastner in
Dortmund, die das Projekt wissenschaftlich begleiten.
3 Besonderheiten des Projektansatzes bei„mensch-arbeit“
Offene Beratung zum Thema Arbeitswelt
„mensch-arbeit“ hat in einer arbeitsweltlichen Beratungsland-
schaft, die durch Spezialisierungen auf bestimmte Bereiche ge-
prägt ist, einen bewusst offenen Beratungsansatz gewählt: Rat-
suchende Menschen werden angesprochen, die von den Verän-
Beratungsstellen
Unser Angebot
Themenfelder
Suche
Beratung
Unser Angebot
Chat
Seelsorge
Unser Angebot
Chat
Die andere Tür
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 59
60 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
derungen in der Arbeitswelt aktiv und passiv betroffen sind. Die
oben beschriebenen Veränderungen in Arbeit und Gesellschaft
führen leicht zu einer Überlagerung von beruflichen und persön-
lichen Problemen, die für Betroffene oftmals kaum mehr zu über-
schauen, einzuordnen oder zu lösen sind. Hier finden sie über das
Medium Internet eine Anlaufstelle für ihre Fragen, Gedanken
und Schwierigkeiten, aber auch Informationen oder ein kompe-
tentes Gegenüber, mit dem sie weitere Schritte bedenken und
beraten können. Diese Beratungsleistung ist über den Computer
von jedem Ort aus und zu jedem Zeitpunkt möglich. Erste Erfah-
rungen zeigen, dass neben Beratungsthemen wie z. B. Arbeits-
losigkeit oder Weiterbildung auch Fragen beraten werden, für
die es keine Anlaufstelle gibt, z. B. permanente Überforderung
am Arbeitsplatz oder auch die Wechselwirkungen von Proble-
men im Beruf und im Privatleben (z. B. bei Scheidung). Eine Be-
ratung kann hier präventiv wirken, bevor die Situation für den
Einzelnen eskaliert.
Beratung und Seelsorge
Als kirchliches Projekt bietet „mensch-arbeit“ Beratung und Seel-
sorge an, um Menschen in den unterschiedlichsten Situationen
sowohl fachkompetente als auch identitätsstärkende Unterstüt-
zung zukommen zu lassen. Damit unterscheidet es sich deutlich
von anderen Online-Beratungsangeboten. Üblicherweise findet
man im Internet entweder themenspezifische Beratungsleistun-
gen oder Informationen (z. B. www.Komnet.de) oder Seelsorgean-
gebote (z. B. www.seelsorge.net ). Arbeit und Beruf heute, so die
bisherigen Erfahrungen im Projekt, führen den Menschen immer
häufiger an persönliche und existenzielle Fragestellungen heran.
Beide Beratungsaspekte erscheinen wie ein natürlicher und
direkter Zugang in die konkreten Lebens- und Arbeitssituationen
hinein. Im Projekt werden sie daher auch beide genutzt und
scheinen Menschen mit ganz unterschiedlichen Belastungs-
situationen und Fragestellungen anzusprechen.
Ehrenamtliches Team
Eine Voraussetzung für eine ständige personelle Ansprechbarkeit
und für ein umfassendes fachliches Hintergrundwissen war der
Aufbau eines ehrenamtlich agierenden, interdisziplinären
Teams. Für dieses Team wurden Menschen mit beruflicher Be-
ratungs- bzw. Seelsorgeerfahrung gesucht und gefunden. Fach-
leute aus unterschiedlichen Beratungsdisziplinen und Seelsorge-
feldern (Berufsberatung, Mobbingberatung, Personalwesen, Ge-
meinde- und arbeitsweltbezogene Seelsorge sowie einiger weite-
rer Bereiche) bearbeiten inzwischen E-Mails und Chatanfragen
von ihrem häuslichen Rechner aus. Nach den bisherigen Er-
kenntnissen bietet sich hier ein interessantes Feld für qualifizier-
tes ehrenamtliches Handeln. Es trägt den veränderten Bedingun-
gen freiwilligen Engagements Rechnung (z. B. hohe Eigenstän-
digkeit, Einbringen fachlicher und sozialer Kompetenzen, per-
sönlicher Zugewinn durch Qualifizierung und Anerkennung).
Qualifizierung
Für diese Tätigkeit wurden die Beraterinnen und Berater mit Blick
auf die speziellen Erfordernisse einer Internetberatung qualifi-
ziert. Die erste Qualifizierungsmaßnahme bestand aus mehreren
Blöcken. Zu den Themen gehörten Kommunikation und Ge-
sprächsführung, Grundlagen geeigneter psychologischer Hand-
lungsansätze und das zugrunde liegende, sondierende Bera-
tungsverständnis, sowie vor allem die Besonderheiten und bera-
terischen Möglichkeiten in der digitalisierten, rein schriftlichen
Kommunikation. Dieses Qualifizierungskonzept wird von den
wissenschaftlichen Mitarbeitern auf Qualität und Wirksamkeit
hin langfristig überprüft.
Begleitung
Alle Teammitglieder haben sich im Rahmen ihrer Mitarbeit zu
regelmäßiger Supervision und zu weiterführenden Schulungen
verpflichtet, um eine hohe Qualität in der Beratung sicherzustel-
len. Die hauptamtliche Projektleitung begleitet und unterstützt
das Team mit unterschiedlichen Modulen und Leistungen: Dazu
gehören regelmäßige „reale“ Teamsitzungen und „virtuelle“
Chatkonferenzen ebenso wie eine Vernetzung der Teamkommu-
nikation über eine virtuelle Gruppe (E-Group).
Bei Krisen oder Schwierigkeiten mit einer Beratung können
sich die Teammitglieder auf telefonischem Wege vom Supervisor
coachen lassen oder sich kollegiale Beratung über die E-Group
organisieren.
Ein weiteres Modul ist das elektronische Handbuch, das nur
Teammitgliedern zur Verfügung steht und das umfassend über
Abläufe im Projekt, Beratungsauswertungen und Fachthemen in
der Beratung informiert. Ein Forum ermöglicht eine internet-
gestützte kollegiale Fallbearbeitung sowie eine thematische
Übersicht über alle Beratungsanfragen.
Netzwerk
Die Kooperationspartner helfen entscheidend, die Qualität des
Netzwerkes zu gewährleisten: Sie unterstützen das Projekt mit
ihrer jeweiligen Fachkompetenz, ihren Informationen und
Kontakten. Neben den oben genannten Kooperationspartnern
hält das Projekt auch Verbindungen zu den Beratungseinrich-
tungen, die auf der Internetseite von mensch-arbeit ihre Dienste
anbieten. Das hauptamtliche Projektteam veranstaltet regelmä-
ßige Tagungen, um in einem fachlichen Diskurs die unterschied-
lichen Aspekte der Onlineberatung und -seelsorge ständig wei-
terzuentwickeln und zu verbessern. Ein regelmäßig erscheinen-
der Newsletter informiert die Netzwerkpartner über aktuelle
Entwicklungen im Projekt mensch-arbeit.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 60
61UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
4 Voruntersuchung
Einleitung
Um zu erfahren, was mögliche User von einem Beratungsange-
bot im Internet erwarten und welche Anforderungen sie an ein
Internetportal dieser Art stellen, wurde mittels eines Fragebo-
gens eine Voruntersuchung mit einer Offline-Testversion des
Beratungsangebots an 76 Personen verschiedenster Berufs- und
Altersklassen durchgeführt.
Die Untersuchung
76 Personen im Alter zwischen 18 und 63 Jahren wurden gebeten,
einen Fragebogen auszufüllen. 38 der Befragten waren männ-
lich, 38 weiblich. Die Befragten gaben kaufmännische, techni-
sche, soziale, medizinische oder handwerkliche Berufe an, einige
waren Schüler oder Studenten.
Der verwendete Fragebogen besteht aus drei Teilen. In Teil A
werden folgende Bereiche abgefragt: Angaben zur Person, Erfah-
rung mit PC und Internet, Erfahrung mit Beratung sowie ansons-
ten genutzte Formen der Problembewältigung. Des Weiteren
wurde erhoben, bei welchen Problemen sich die Befragten vor-
stellen könnten, das Angebot zu nutzen und welche Art des Zu-
gangs, also Marktplatz, Erstberatung oder Seelsorge sie bei wel-
chem Problem präferierten. Teil B beinhaltet den Fragebogen zu
Lebenszielen und -zufriedenheit (von Bernhard Kraak und Sieg-
linde Nord-Rüdiger), Teil C fragt nach Design, Benutzerfreund-
lichkeit, Inhalt und Akzeptanz des Internetportals.
Ergebnisse
Die Auswertung der Daten ergab, dass der Beratungsbedarf bei
den Themen Arbeitslosigkeit, arbeitsrechtliche Fragen und beruf-
liche Neuorientierung besonders hoch ist. Insgesamt zeigte sich
Folgendes:
+ 50% der Befragten waren jünger als 30 Jahre alt, ihre Er-
fahrungen im Umgang mit dem PC beschrieben sie als gut.
+ Ältere Menschen waren weniger versiert im Umgang mit
dem PC als jüngere Menschen.
+ Es gibt keinen geschlechtsspezifischen Unterschied in der
Nutzung des Angebots.
+ Die potenziellen User haben Befürchtungen bezüglich der
Sicherheit der Daten im Internet.
+ Es gibt deutliche Unterschiede in der Nutzung des Ange-
botes vom heimischen PC aus im Vergleich zur Nutzung
vom öffentlichen oder Firmen-PC, d. h. die User ziehen die
Nutzung vom öffentlichen oder Firmen-PC aus kaum in
Betracht. Das Angebot wird also hauptsächlich vom heimi-
schen PC aus genutzt.
+ Es macht für den potenziellen User keinen Unterschied, ob
das Angebot kirchlich ist, oder nicht.
+ Es macht für die potenziellen User einen Unterschied, ob
die Anonymität gewährleistet ist, oder nicht. Ihre Anony-
mität ist ihnen sehr wichtig. Sie geben sogar an, dass eine
erhöhte Anonymität die Vertrauenswürdigkeit des Angebo-
tes noch steigern würde.
+ Es macht für die potenziellen User einen Unterschied, ob
die Berater transparent sind, oder nicht. Sie hätten gerne
möglichst viele Informationen über ihren Berater und ge-
ben an, dass durch eine Vorstellung der Berater mit Foto,
Alter, Geschlecht, beruflichem Werdegang, Qualifikationen
und Spezialkenntnissen/-gebieten, die Vertrauenswürdig-
keit des Angebotes erhöht würde.
Interessanterweise konnte sich die überwiegende Zahl der Be-
fragten nicht vorstellen, das Beratungsangebot bei privaten
Problemen, die durch die Arbeit grundgelegt wurden, zu nutzen.
In der späteren Angebotsphase des Beratungsportals zeigte sich
jedoch in den meisten Beratungsfällen eine Vermischung von pri-
vaten und beruflichen Problemstellungen. Tatsächlich beinhal-
ten somit viele Beratungsanfragen auch Themenstellungen aus
dem privaten Bereich.
Zusammenfassend gaben die potenziellen User an, insbeson-
dere bei Fragen zur Arbeitslosigkeit, beruflichen Veränderung
und Neuorientierung und Fragen zum Arbeitsrecht das Bera-
tungsangebot des Internetportals www.mensch-arbeit.de nut-
zen zu wollen. Erste Ansprechpartner sind allerdings Partner, die
100
80
60
40
20
0Fehlend ja nein
Pro
zen
t
12
84
Abbildung 16: Nutzung bei privaten Problemen verursacht durch Arbeit
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 61
62 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Familie, Freunde und Arbeitskollegen. Bedeutend seltener nutz-
ten die Befragten die Unterstützung durch Beratungsstellen,
Telefonseelsorgeangebote oder Selbsthilfegruppen.
Die Aufsplittung des Beratungsangebotes in verschiedene
Rubriken (Beratung versus Seelsorge) wurde insgesamt als gut
bewertet.
5 Handlungsorientierte Evaluation des Angebotes
In der zweiten, aktuellen Phase erfolgt die prozessbegleitende
Evaluation. Unter Verwendung verschiedener Untersuchungs-
instrumente werden die Diskrepanzen zwischen Angebot und
Nachfrage ebenso ermittelt, wie Akzeptanz und Erfolge bewertet.
Die Erkenntnisse aus den kontinuierlichen Datenerhebungen
werden sofort in den Verbesserungsprozess des internetbasierten
Beratungsangebotes eingebracht.
Folgende Indikatoren werden dabei u. a. zur Gesamtbewer-
tung herangezogen:
+ Zugriffsstatistik der Internetseiten
+ Online-Fragebögen, die direkt mit der Homepage
verknüpft sind
+ Wirkung in der Öffentlichkeit und den verschiedenen
Medien
+ Vergleich mit Angeboten bestehender kirchlicher und
nicht-kirchlicher Beratungsstellen
+ Sammlung von Verbesserungsvorschlägen durch die Nutzer
des Internetportals
+ Individuelle Zielerreichung beim Nutzer, qualitative detail-
lierte Analyse des Beratungsangebotes, Fragebögen zur
Beratungszufriedenheit
+ Systematische Analyse der Passungen zwischen
Beraterqualifizierung und Beratungsanforderung
Obwohl der Rücklauf der Fragebögen zum Beratungsverlauf der-
zeit noch gering ist, zeigt sich dennoch, dass das Beratungsange-
bot www.mensch-arbeit.de von Personen aller Altersgruppen,
insbesondere jedoch des mittleren Alters, genutzt wird. Es zeigen
sich auch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Häu-
figkeit der Beratungsanfragen. Deutlich zeigt sich jedoch, dass die
Nutzer eher den Beratungszugang über die „Beratungsanfrage“
nutzen, als die „Seelsorgeanfrage“. Die Berater des Internetportals
bewerteten jedoch rückblickend einen Teil der „Beratungsanfra-
gen“ eher als „Seelsorgeberatungen“. Die Mehrzahl der Anfragen
betraf das Themenfeld „Arbeitslosigkeit, Neuorientierung und
Wendepunkte im Berufsleben“, gefolgt vom Themenfeld „Arbeit &
Gesundheit“ sowie „Arbeitsrecht“ und „Existenzfragen“.
In den meisten Fällen zeigten sich die Berater mit dem Bera-
tungsverlauf zufrieden.
Die quantitativen Erfolgsmaße (Zugriffszahlen) konnten alle
entsprechend der eingangs gesetzten Ziele erreicht werden. Im wei-
teren Verlauf der Begleitung wird die Beratungszufriedenheit der
Ratsuchenden im Mittelpunkt stehen, ebenso wie die Analyse der
Passung der Beraterqualifizierung und Beratungsanforderungen.
Die Voruntersuchungen zeigten, dass die Ratsuchenden sich
ein Angebot wünschen, bei dem ihre Anonymität in hohem Maße
gesichert ist. Gleichzeitig erwarten sie aber große Offenheit von
Seiten der Berater, die sich nach Möglichkeit als ganz reale Person
mit Foto, Alters- und Geschlechtsangabe, beruflichem Werde-
gang sowie Qualifikationen und Spezialkenntnissen/-gebieten
darstellen sollen.
Im Beratungsalltag ist die Lage etwas anders, hier hätten die
Ratsuchenden zwar auch gerne mehr Informationen über ihren
Berater, sind aber gleichzeitig auch deutlich offener, was An-
gaben zu ihrer Person betrifft. Es kommt z. B. häufig vor, dass
Ratsuchende sich unter vollständiger Angabe ihres Namens und
der Stadt, in der sie leben, melden.
Literatur
Beck, U. (2003), Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt / Main
Bedford-Strohm, H., Kirche in der Zivilgesellschaft, in: Wert , R. (Hg.) Was hat die Kirche heute zu sagen? Auftrag und Freiheit der Kirche in
der pluralistischen Gesellschaft
Gross, P. (1994), Die Multioptionsgesellschaft. Frankfurt.
Hubig, C., Hg. (2000), Unterwegs zur Wissensgesellschaft: Grundlagen – Trends – Probleme. Berlin
Mückenberger, U. (1985), Die Krise des Normalarbeitsverhältnisses. Zeitschrift für Sozialreform, 31, S. 415-434, 457-475.
Stehr, N. (1994) : Arbeit, Eigentum und Wissen. Zur Theorie von Wissensgesellschaften. Frankfurt / Main
Voß, G. G., & Pongratz, H. J. (1998), Der Arbeitskraftunternehmer.
eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft? Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.5 0, S.131-158.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 62
63UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
2.7 Laufende Bewertung der E-Business-Projektentwicklung mittels einer„Projekt-Aktie“
Jaime Uribe, Giuseppe Strina, Klaus Henning, Stefan Große-
Kappenberg; Institut für Unternehmenskybernetik e.V., Aachen
1 Ausgangssituation
Im Zusammenhang mit der raschen Entwicklung der Informa-
tions- und Kommunikationstechnologie werden Unternehmen
immer häufiger mit Veränderungen konfrontiert, die umfassen-
de Auswirkungen auf die Geschäftsprozesse haben. In vielen Be-
trieben kann eine Reihe von kritischen Punkten beobachtet wer-
den, die die Dimensionen und deren Auswirkung auf der organi-
sationalen Ebene verdeutlichen: primär wird der Fokus auf tech-
nische Lösungen gelegt, Auswirkungen auf das gesamte Unter-
nehmen werden unterschätzt oder Mitarbeiter werden oft zu
spät mit Informationen versorgt oder in den Prozess einbezogen.
Dazu kommt, dass viele „E-Lösungen“ die bereits auf dem Markt
angeboten werden, den Anforderungen von kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen (KMU) nicht entsprechen.
Nicht zuletzt durch diese Phänomene wird immer deutlicher,
dass die Einführung solcher Konzepte in die Organisation eine
drastische Auswirkung auf die traditionellen Konzepte der Unter-
nehmens- und Personalführung haben. Der daraus resultierende
Wandel in den Verhaltensweisen und Geschäftsprozessen in der
Gesellschaft und den Organisationen, für den im Folgenden der
Begriff „E-Change“ gebraucht wird, wird auch alle Arten von
KMU prägen. „E-Change“ und „E-Business“ sind somit Hürde und
Chance zugleich. Es ist eine Hürde, weil die Eintrittsbarriere für
KMU bezüglich des Aufwandes sehr hoch ist. Es ist eine Chance,
weil der Leidensdruck zum Teil sehr groß ist und damit ein Anlass
für eine entsprechende unternehmerische Entscheidung gege-
ben zu sein scheint.
Die Implementierung von „E-Business-Konzepten“ ist in der
Regel allerdings nur in Verbindung mit veränderten Geschäfts-
prozessen möglich. Dadurch haben diese Projekte immer mit
dem Umstand zu kämpfen, dass sie in hohem Maße davon abhän-
gig sind, was die Mitarbeiter (und z. T. auch enge Kunden und
Lieferanten) von den Veränderungen erwarten oder befürchten.
Die dabei entstehenden Schwankungen haben dann auch im-
mer Auswirkungen auf das „Motivationsklima“ (Erwartungen)
und damit auf die Umsetzungsgeschwindigkeit sowie auf den
Zielerreichungsgrad eines solchen Veränderungsprozesses.
2 Stand der Forschung und Praxis
Unternehmen müssen nicht nur das eigene System ständig beob-
achten, sondern auch andere Umweltfaktoren, die das eigene
Überleben massiv beeinflussen. Dadurch werden diese Beob-
achtung und die Analyse der resultierenden Informationen zu
einer wesentlichen Aufgabe des strategischen Managements.
Dieses Subsystem der Unternehmensführung, das die Planung
und Kontrolle sowie Informationsversorgung systembildend und
systemkoppelnd koordiniert, wird als Controlling definiert (vgl.
Hórvath 2002 und Reichmann 2001). Die systemische Betrach-
tung der Technologien aus dem E-Business-Bereich und der da-
raus resultierenden Produktivität auf Unternehmensebene, als
Beitrag zur langfristigen Sicherung der Firma, ist eine der vielen
Aufgaben des strategischen Managements. Diese Aufgabe, auch
E-Business-Controlling genannt (vgl. Müller 2001), bezieht sich
auf die Überwachung E-Business-bezogener Regelkreisstrukturen
(vgl. Wunn 1997) im Unternehmen.
Da das Thema E-Business in KMU ein weites Spektrum von
Anwendungen umfasst und vom Einsatz einer kostengünstig rea-
lisierten statischen Homepage bis hin zum Re-Design und zur
Neustrukturierung von Geschäftsprozessen reicht, ist eine ganz-
heitliche Betrachtung der Veränderungsprozesse durch das
E-Business-Controlling notwendig. Allerdings ist zu konstatieren,
dass vorhandene Methoden und Instrumente zur wirtschaftli-
chen Erfolgskontrolle, aus unternehmerischer Sicht des Control-
lings, noch keine zufriedenstellende Beurteilung eingesetzter
E-Business-Anwendungen ermöglichen (vgl. Müller 2001). Die
Weitere Informationen
„Arbeitsweltbezogene Pastoral“
Förderkennzeichen: 01HT0121
www.mensch-arbeit.de
Ansprechpartnerin des Projekts:
Brigitte Duve
Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn
Arbeitsbezogene Seelsorge
Projekt mensch-arbeit
Brackeler Hellweg 144
44291 Dortmund
Tel.: 0231 2060595
E-Mail: duve@mensch-arbeit.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Dr. Volker Schütte
Tel.: 0228 3821-195
E-Mail: volker.schuette@dlr.de
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 63
64 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Anwendung der Balanced Scorecard (vgl. Kaplan/Norton 1997)
zur Bewertung von Veränderungsprozessen (vgl. Petzolt 2001) hat
sich als problematisch erwiesen. Auch methodische Ansätze aus
der traditionellen Wirtschaftlichkeitsanalyse eignen sich nicht
für eine ganzheitliche Betrachtung der Veränderungsprozesse
(vgl. Fuchs/Scholz 2002). Methoden der Kosten-Nutzen-Analyse
versuchen, zusätzliche nicht immer monetarisierbare Parameter
in die Bewertung einzubeziehen und stellen dadurch eine Ergän-
zung zu bestehenden Controllinginstrumenten aus der traditio-
nellen Wirtschaftlichkeitsanalyse dar (vgl. Zangenmeister 1993
und Reichwald et al. 1996). Diese Methoden und deren Nutzen im
E-Business-Bereich sind allerdings noch unzureichend untersucht
und umgesetzt worden.
Besonders herausfordernd für das Controlling, im Rahmen
von betrieblichen Veränderungsprozessen, ist die Aufbereitung
von steuerungsrelevanten Informationen in Bezug auf das Ver-
halten der in der Organisation involvierten Menschen und das
Zusammenspiel ihrer Rollen im Unternehmen. Dazu kommt
noch die Schwierigkeit, dass Change-Projekte, zu denen E-Busi-
ness-Projekte zweifellos gehören, immer mit dem Umstand zu
kämpfen haben, dass sie in hohem Maße von den Schwankungen
abhängig sind, welche die Mitarbeiter (und z. T. auch enge Kun-
den und Lieferanten) durch die Veränderungen gerade erwarten
oder befürchten. Die dabei entstehenden Schwankungen haben
dann auch immer Auswirkungen auf das „Motivationsklima“
und damit auf die Umsetzungsgeschwindigkeit sowie auf den
Zielerreichungsgrad eines Veränderungsprozesses.
In diesem Zusammenhang fallen zwei grundsätzliche De-
fizite der bisher genannten Methoden ins Auge: Zum einen wer-
den diese sehr weichen, stimmungsbezogenen Aspekte, die nicht
selten jedoch maßgeblich über Erfolg oder Misserfolg eines
E-Change-Projektes entscheiden, nur unzureichend berücksich-
tigt. Zum anderen bedürfen gerade diese Aspekte einer zeitna-
hen Bewertung, also das, was im technischen Bereich eine „Echt-
zeit-Messung“ genannt wird, da nur so eine zeitnahe Intervention
als Reaktion auf sich schnell verändernde Umstände gewährleis-
tet zu sein scheint. In diesem Sinne ist das Controlling von sich
auf das Motivationsklima auswirkenden E-Business-Prozessen
(E-Change) eine noch unzureichend untersuchte Möglichkeit,
E-Business-Strategien erfolgreich ein- und umzusetzen.
3 Das Stimmungsbarometer „Projekt-Aktie“
Theoretischer Hintergrund des Instrumentes
Im Rahmen des Projektes „E-Projecting“, wurde der „Regelkreis
E-Projecting“ mit der Zielsetzung konzipiert, den Prozess der
Einführung/Verbesserung von E-Business-Konzepten (EBK) in den
KMU steuern und regeln (Controlling) zu können. Der Grundsatz
des Regelkreises „E-Projecting“ wird in der Abb. 17 dargestellt.
Ausgehend von der Zielsetzung „Erfolgreiche Einführung von
EBK“ in KMU kann der Zielerreichungsgrad an den aus dem Ziel
abgeleiteten, im Verlauf des Projektes noch zu präzisierenden
Sollwerten gemessen werden, indem sie mit den IST-Größen ver-
glichen werden. Diese IST-Größen können wiederum durch An-
wendung unterschiedlicher Instrumente wie z. B. Kundenbefra-
gungen oder die „Projekt-Aktie“ erhoben werden (Kreis). Den sich
hieraus ergebenden Abweichungen kann dann durch den Einsatz ge-
eigneter Maßnahmen, wie z. B. Qualifizierung von Mitarbeitern oder
Anwendung neuer E-Business-Module, entgegengewirkt werden.
Beobachtungund Analyse
Ziel:Erfolgreiche Einführungvon E-Business-Konzepten in kmU
Sollwert:Effizientes undEffektivesArbeiten mitE-Lösungendurch hoheKunden- undMitarbeiterzufriedenheit
Kunden- und Mitarbeiterbe-fragungen (u. a. via Internet),Kennwerte zur Kunden- undMitarbeitermotivation (u. a.via „Projekt-Aktie“) Kunden-workshop
E-basierteMethodenundMaßnahmen
Angst vorVeränderung,fehlende Zeit
Misstrauen,Angst vor Fehlern Kunden- und
Mitarbeiter-zufriedenheit
ProjektteamInterne und externeKunden-/Lieferanten-
Beziehungen
Abbildung 17: Regelkreis „E-Projecting“
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 64
65UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
Struktur des Instrumentes
Die „Aktienbewertung“ als Bewertungsmethode wird hier erst-
mals angewendet, um den „Marktwert“ eines Veränderungspro-
zesses durch Ermittlung der unterschiedlichen Erwartungen der
Akteure und Beobachter zu bestimmen. Dieser Marktwert wird
unternehmensintern, über das Internet oder Intranet und, in
Sonderfällen (nach Bedarf) mit Beteiligung eng verbundener Kun-
den und/oder Lieferanten, ermittelt. Im Vergleich zu anderen er-
wartungsbasierten Bewertungsmethoden bleiben bei einem bör-
senähnlichen Bewertungsmechanismus die Prinzipien der Anony-
mität und der Mitarbeiterbeteiligung bewahrt. Darüber hinaus
wird eine „Echtzeitbewertung“ erst durch den Einsatz von Internet-
technologien möglich, die gleichzeitig neue Herausforderungen
für die Menschen in der Organisation hervorruft. Diese Aspekte set-
zen voraus, dass die betriebliche Anwendung der „Projekt-Aktie“
nicht nur verschiedene Akteure betrachten muss (siehe Abb. 18),
sondern auch in verschiedenen Phasen stattfinden muss.
Bei der Anwendung der „Projekt-Aktie“ (PA) werden drei
Gruppen von Akteuren identifiziert, die sowohl unternehmens-
intern als auch -extern zu betrachten sind. Zum einen die „Ent-
wickler“, zu denen Mitarbeiter des Unternehmens (z. B. aus der
EDV-Abteilung) gehören, die das technische und organisatori-
sche Know-how besitzen, und, vor allem bei den ersten Anwen-
dungen des Tools, externe Dienstleister, die eine erste technische
und organisatorische Beratung vornehmen. Zum anderen die
Gruppe der „Anwender“, die sich zwischen „Projektleitung“, „Mit-
arbeiter“ und in manchen Fällen, „ausgewählte Lieferanten und
Kunden“ aufteilt. Bei den Mitarbeitern wird darüber hinaus zwi-
schen „Beteiligten“ und „nicht Beteiligten“ unterschieden, je
nach möglicher Erfolgssteuerung bei der Umsetzung der geplan-
ten Strategie. Die „ausgewählten Lieferanten und Kunden“ wer-
den, nach Wunsch der Projektleitung, in die Bewertung einbezo-
gen. Der „Betreiber“ ist in der Regel die Person oder das Team, die
für die Wartung des Servers verantwortlich ist, auf dem das web-
basierte Tool installiert werden muss.
Anwendung des Instrumentes
Der Ablauf der betrieblichen Anwendung der „Projekt-Aktie“ ist in
drei Phasen unterteilt. In der Planungsphase entscheidet die Pro-
jektleitung über die Rahmenbedingungen für die Anwendung, da-
runter z. B. ob und welche „externen“ Akteure an der Bewertung teil-
nehmen sollen, die Anzahl von Aktien die emittiert werden, und das
Belohnungssystem für die Vergütung (Gewinne oder Verluste) der
Teilnehmer. Diese Phase, die bei den ersten Anwendungen im Un-
ternehmen durch externe Beratung unterstützt werden kann, endet
mit der Emission (und Verteilung) von Projekt-Aktien unter den ver-
schiedenen handelnden Teilnehmern und der Inbetriebnahme der
internetbasierten Handelsplattform.
In der darauf folgenden „Implementierungsphase“, werden
die Aktien auf den Markt (interne Projektbörse) gebracht. Da-
durch findet die Eröffnung der Handelsphase (Implementierung)
statt, welche sich durch die Teilnahme von Projektaktien-Akteu-
ren an dem Aktienkauf und -verkauf im Intranet/Internet an vor-
her definierten Zeiten auszeichnet. In dieser Phase können nur
Betreiber
Unternehmensgrenze
NichtBeteiligte*
* Bei der Umsetzung der geplanten E-Business-Strategie „beteiligt“(nicht vom Instrument „Projekt-Aktie“)
AusgewählteLieferanten
AusgewählteKunden
Geschäfts-führung
SystemAdmin.
Beteiligte*
Anwender
Projekt-leitung
Mitarbeiter
Entwickler
Abbildung 18: Betriebliche Akteure bei der Anwendung der „Projekt-Aktie“
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 65
66 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
die Mitarbeiter und die ausgewählten externen Akteure handeln
(kaufen und verkaufen) und die Bewegungen an der Börse beob-
achten, während die Projektleitung sich nur die Bewegungen der
Aktienkurse am Bildschirm anschauen kann bzw. weitere han-
delsrelevante Informationen in das System einspeisen kann (z. B.
Berichte).
In der Abb. 19 werden die verschiedenen Auswertungsmög-
lichkeiten gezeigt, die den Anwendern während der Implemen-
tierungsphase (Handelsphase) im Internet/Intranet zur Verfü-
gung stehen. Zum einen die graphische Darstellung der Kurse
(in €) und die Anzahl der handelnden Akteure ( ), zum anderen
verschiedene Parameter die dazu dienen, den Verlauf beider
Kurven zu relativieren ( ) und anschließend die Einstellung der
zu beobachtenden Aktie (falls mehrere in Umlauf sind – mehrere
Projekte) und des gewünschten Zeitraums ( ).
Die Veränderung der Erwartungen der Akteure sollte dazu
führen, dass sie entweder die eigenen Aktien verkaufen wollen
(die Erwartungen haben sich verschlechtert) oder neue dazu kau-
fen möchten (die Erwartungen haben sich verbessert). Je nach-
dem wie viele Teilnehmer ähnliche Erwartungen haben, wird der
Preis der Projektaktie steigen (gute Aussichten für das Projekt)
oder sinken.
Da die Unternehmensführung bzw. die Projektleitung jeder-
zeit den Verlauf der Kurse beobachten und die „neuen“ Kurse
mit dem Emissionskurs vergleichen kann, ist sie in der Lage, die
Stimmung der Belegschaft sowie – falls integriert – die der ausge-
wählten Kunden- und Lieferanten, ohne diese im Einzelnen iden-
tifizieren zu können, rechzeitig erkennen und entsprechend rea-
gieren zu können.
Die „Wertentwicklungsphase“ beinhaltet die Kalkulation
und Auszahlung von den durch das Handeln erzielten Ergeb-
nissen. Diese Phase ist ein entscheidender Motivator, warum die
Teilnehmer bereit sind, an der Bewertung mitzuwirken und
muss daher sehr genau in der Planungsphase als Bestandteil des
betrieblichen Belohnungssystems geplant und ebenso transpa-
rent kommuniziert werden. Im Wesentlichen wird in dieser Pha-
se das Startkapital mit dem Endkapital jedes einzelnen Kontos
verglichen und die Gewinne bzw. die Verluste errechnet. An-
schließend, je nach vereinbarten Belohnungsmaßnahmen, wird
„ausgezahlt“, z. B. in Form von „Stundenausgleich“.
PROJEK TAK TI E
Statistiken
Einstellungen
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Statistiken
Kurs in €
9,20 14
9,11 12
9,01 11
8,91 9
8,81 7
8,71 5
8,61 4
8,52 2
8,42 09 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Aktueller Kurs: 8.68 € Höchst-Kurs Verkäufer: 0 €Eröffnungskurs: 8.68 € Niedrigster-Kurs Verkäufer: 0 €Umsatz (Stück): 0 Höchst-Kurs Käufer: 0 €Nachfrage (Stück): 0 Niedrigster-Kurs Käufer: 0 €Angebots (Stück): 0 Anzahl ordernder Personen: 4
Aktie wählen:
vplattform
Zeitraum wählen:
heute
Chart zeichnen
Kurs in €
Anzahl ordernderPersonen
Unterschiedliche
Möglichkeiten
Informationen
auszuwerten
Abbildung 19: Auswertungsmöglichkeiten
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 66
67UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION Arbeit im E-Business
4 Betriebliche Folgen der „Projekt-Aktie“
Die „Projekt-Aktie“ (PA) kann und soll als Ergänzung zum Pro-
jektcontrolling und dadurch zum gesamten Unternehmens-
controlling betrachtet werden. Die Anerkennung des Erfolgs-
faktors „betriebliche Stimmungslage“ führt zum einen dazu, die
Stimmungslage der Belegschaft „betrieblich“ steuern und aktiv
(Aufgaben des Controllings) beobachten zu können, und zum
anderen, die Kommunikationspolitik des Unternehmens auf
Transparenz und Rechtzeitigkeit zu fokussieren.
Für die Unternehmensführung gilt, dass sie einerseits in die
Lage versetzt wird, „innerbetriebliche Echtzeitinformationen“ zu
bekommen und auszuwerten; andererseits wird dadurch ihre
Leistung ebenso in Echtzeit diskutierbar und subjektiv von einer
ausgewählten Anzahl von „Stakeholdern“ bewertbar. Was bis
heute „auf dem Flur“ oder „in der Kaffeeküche“ diskutiert wird,
und dadurch einen oftmals noch unterschätzten Beitrag zur
Zielerreichung von Projekten leistet, wird künftig zusätzlich auf
einer elektronischen Plattform mehr oder weniger unmittelbar
ausgetauscht und positiv oder negativ bewertet.
Für die Mitarbeiter eröffnet sich eine neue Möglichkeit, und
dadurch auch eine damit verbundene neue Wahrnehmung der
„Mitarbeiterbeteiligung“. Mit der PA sind sie in der Lage ihre
Meinung zum Verlauf des Projektes „anonym“ und in Echtzeit
offen zu legen. Dies erscheint zunächst lediglich als Erweiterung
ihrer Gestaltungsmöglichkeiten und damit u. U. ihrer Rechte.
Allerdings ist damit auch eine Erweiterung ihrer Pflichten ver-
bunden, da das Instrument auf einem vertrauensvollen Umgang
mit Informationen basiert. Die Mitarbeiter werden nicht nur ani-
miert, ihre Meinung (per Definition subjektiv) in anonymisierter
Form der Unternehmensleitung mitzuteilen, sondern auch alles
dafür zu tun, mit dieser Chance „ehrlich“ umzugehen.
5 Zusammenfassung
Der vorliegende Artikel beschreibt die Anwendung einer Metho-
de zur laufenden Bewertung der E-Business-Projektentwicklung
anhand der Erwartungen und Befürchtungen unterschiedlicher
für den Erfolg der Strategie relevanter Akteure. Die Methode baut
auf dem Börsenprinzip auf und ermöglicht zum einen der Ge-
schäftsführung bzw. der Projektleitung eine rechtzeitige – d. h.
jederzeit während des Projektsverlaufs – und wirtschaftlich be-
gründete Intervention im Veränderungsprozess. Die für die
Projektbeobachtung und -bewertung emittierte Aktie („Projekt-
Aktie“) wird mit minimalem finanziellen und zeitlichen Aufwand
auf einer dazu geschaffenen innerbetrieblichen Börse über das
Internet oder Intranet gehandelt und kann so direkt und in Echt-
zeit als „Stimmungsbarometer“ dienen.
Die Methode, als Ergänzung zum Projekt- und Unternehmens-
controlling, setzt bewusst auf die beteiligungsorientierte Ermittlung
steuerungsrelevanter „Stimmungsinformationen“, die in traditionel-
len Verfahren nicht rechtzeitig oder gar nicht zur Verfügung stehen.
Literatur
Fuchs, T.; Scholz, M. (2002): Wirtschaftlichkeit im E-Business, in: Modelle im E-Business; Dangelmaier, W.; Emmrich, A.; Kaschula, D. (Hrsg.),
ALB-HNI-Verlagsschriftenreihe, Paderborn.
Hórvath, P. (2002): Controlling, 8. Auflage, Verlag Vahlen.
Kaplan, R.; Norton, D. (1997): Balanced Scorecard. Strategien erfolgreich umsetzen, Schäffer-Poeschel Verlag.
Müller, A. (2001): e-Profit – Controlling-Instrumente für erfolgreiches e-Business – Von der Strategie bis zur Umsetzung; Checklisten,
Softwaretools, Erfahrungsberichte, 1. Auflage, Rudolf Haufe Verlag, Freiburg i. Br.
Petzolt, S. (2001): Einführung der Balanced Scorecard als Performance-Meß-System für systemische Organisationsentwicklungsprozesse.
Unternehmenskybernetik in der Praxis, Band 4. Shaker Verlag, Aachen.
Reichmann, T. (2001): Controlling mit Kennzahlen und Managementberichten. Grundlagen einer systemgestützten Controlling-
Konzeption. Verlag Vahlen.
Reichwald, R.; Höfer, C.; Weichselbaumer, J. (1996): Bewertung von Reorganisationsprozessen. Stuttgart.
Wunn, C. (1997): TQM-Regelkreise in Kleinunternehmen der Werkzeug- und Schneidwarenindustrie, VDI-Verlag, Düsseldorf.
Zangenmeister, C. (1976): Nutzwertanalyse in der Systemtechnik, München.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 67
68 Arbeit im E-Business UNTERSTÜTZUNG DER PERSONALENTWICKLUNG UND KOOPERATION
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Uribe, J.; Henning, K.; Strina, G.: Das Stimmungsbarometer “Projekt-Aktie”, in: bdvb aktuell 84, II/2004. S.10-11.
Weitere Informationen
„E-Projecting – Entwicklung und Erprobung einer ganzheitli-
chen Vorgehensweise zur Einführung und Verbesserung von
E-Business-Konzepten in KMU“
Förderkennzeichen: 01HT0157, 01HT0158, 01HT0159, 01HT0160
www.e-projecting.com
Ansprechpartner des Projekts:
Dipl.-Kfm. Jaime Uribe
Institut für Unternehmenskybernetik e.V.
Schurzelter Straße 25
52074 Aachen
Tel.: 0208 9925479
E-Mail: jau@ifu-kybernetik.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
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69ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
3.1 Der Socio-Technical Walkthrough(STWT): eine Methode zur Gestaltungsozio-technischer Systeme
Gabriele Kunau, Natalja Menold, Lothar Schöpe,
Thomas Herrmann; Universität Dortmund
1 Arbeit im E-Business aus der sozio-techni-schen Perspektive
Arbeit im E-Business zu gestalten, bedeutet, sozio-technische
Systeme zu gestalten: organisatorische Prozesse müssen gemein-
sam mit der anzuwendenden Technik geplant und umgesetzt
werden. Der Socio-Technical Walkthrough (STWT) ist eine Me-
thode, solche Planungs- und Umsetzungsprozesse zu unterstüt-
zen. Dabei ist es das Ziel kooperative, technisch unterstützte
Arbeitsabläufe zu gestalten und zu erlernen, bevor diese im
Arbeitsalltag tatsächlich gelebt werden. Um dieses Ziel zu er-
reichen, werden im Rahmen eines STWT partizipative Work-
shops durchgeführt, in denen graphische Modelle des sozio-
technischen Systems als Dokumentations- und Orientierungs-
hilfe genutzt werden, um Arbeitsprozesse und Technik in ihrer
Wechselwirkung planen zu können.
In den folgenden Abschnitten werden zunächst die Methode
STWT, ihre Ziele und ihr Vorgehen dargestellt (Abschnitt 2). An-
schließend werden der Kontext ihrer Anwendung im Projekt
„Mobile Speditionen im Web“ (SpiW), das in SpiW entwickelte
E-Businesssystem SpiW-Com und die im Rahmen des Projektes
durchgeführten STWT-Workshops beschrieben (Abschnitt 3).
Abschnitt 4 gibt einen abschließenden Überblick über die Ge-
staltungsoptionen der Methode.
2 STWT: Darstellung der Methode
Ziele
Die Entwicklung und Einführung von E-Businesssystemen sind
immer betriebliche Innovationsprozesse, die zu neuen oder ver-
änderten sozio-technischen Systemen führen. Sowohl auf der
organisatorischen als auch auf der technischen Seite finden
Entwicklungsprozesse statt, zwischen denen es dazu hin noch
wechselseitige Abhängigkeiten gibt. Um die Bezüge zwischen
diesen Entwicklungsprozessen zu thematisieren und die Aus-
bildung eines sozio-technischen Systems, in dem sich Organisa-
tion und Technik sinnvoll aufeinander beziehen und sich gegen-
seitig ergänzen, zu fördern, bieten sich Workshops an. In
Workshops – anders als beispielsweise in Interviews oder
Arbeitsplatzbeobachtungen – haben alle Beteiligten die
Möglichkeit, ihre Perspektive auszudrücken, mit anderen zu
vergleichen und ein für alle akzeptables Ergebnis zu erarbei-
ten. Solche Workshops, die in jeder Projektphase mit unter-
schiedlichen Themenstellungen sinnvoll sind, lassen sich mit
der Methode STWT gestalten.
Bestandteile der Methode STWT
Anlehnung an Cognitive Walkthrough
Das Vorgehen im Workshop selber ist angelehnt an ein Vorge-
hen, das in der Informatik zur Qualitätssicherung eingesetzt
wird. Im Cognitive Walkthrough werden die Dialoge einer Be-
nutzungsschnittstelle Schritt für Schritt durchgegangen, wobei
für jeden Schritt überprüft wird, ob das von dem Dialog ge-
wünschte Ergebnis erzielt worden ist und was die nun möglichen
nächsten Schritte sind. Analog werden in einem STWT die Ar-
beitsprozesse mit ihrer technischen Unterstützung Schritt für
Schritt durchgegangen, wobei ebenfalls vorgegebene Fragen
durch die Workshopteilnehmer zu beantworten sind. Die inhalt-
liche Ausgestaltung dieser Fragen hängt von der Phase und Art
des Projektes ab.
Kommunikative Vorwegnahme der technisch unterstützten,
kooperativen Bearbeitung von Aufgaben
Während Prototyping für technische Systeme eine geeignete
Methode zur Erprobung und Evaluierung von Alternativen dar-
stellt, eignen sich komplexe Arbeitsorganisationen nicht dazu,
probehalber umgestellt zu werden. Der STWT unterstützt eine
Gruppe dabei, mögliche Organisationsformen der kooperativen,
technisch unterstützten Arbeit durchzugehen und Vor- und
Nachteile zu diskutieren.
Nutzung grafischer Modelle des sozio-technischen Systems als
Orientierungs- und Dokumentationshilfe
Diagramme, welche die Arbeitsabläufe im Zusammenhang mit
dem jeweiligen Entwicklungsstand der Technik zeigen, ziehen
sich wie ein roter Faden durch sämtliche Workshops eines Pro-
jektes. Sie dienen während des Workshops als Leitfaden und
Orientierungshilfe für die Diskussion und über den Workshop
hinaus als Dokumentation der getroffenen Vereinbarungen. Dia-
gramme haben sich als günstige Darstellungsform erwiesen: zum
einen weil sie schneller lesbar sind als rein textuelle Darstellun-
gen, zum anderen, weil sich – die Nutzung einer geeigneten Mo-
dellierungsnotation vorausgesetzt – in ihnen sowohl die streng
formalen Aspekte technischer Systeme als auch die unbestimmte-
ren, vagen Aspekte sozialer Systeme darstellen lassen. Im Rah-
men eines STWT-Workshops werden die Diagramme zur Unter-
stützung des „Walkthrough“ schrittweise gesichtet, diskutiert,
weiterentwickelt und angepasst.
3. Arbeitsorientierte E-Business-Anwendungen in der Logistikwirtschaft
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 69
70 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
Unterstützung eines partizipativen Prozesses durch die
Mitwirkung aller relevanten Rollen
Durch den Einsatz von Workshops als wesentlichen Baustein des
Entwicklungsprozesses sozio-technischer Systeme eignet sich der
STWT in besonderer Weise zur Unterstützung partizipativer Pro-
zesse. Wichtig hierfür ist die Mitwirkung aller für das sozio-techni-
sche System relevanter Rollen, wozu sowohl das Management als
auch künftige Nutzer und [software-]technische Experten gehören.
Sie alle sollen ihre Sicht in die Diskussion einbringen und ein tragfä-
higes Ergebnis aushandeln, so dass das entstehende Diagramm
schließlich von allen als Ergebnisdarstellung akzeptiert wird.
Optimierung des gesamten sozio-technischen Systems
Ziel des STWT ist die Optimierung des gesamten sozio-technischen
Systems, was in der Art der Diagramme, in denen technische und
organisatorische Aspekte dargestellt sind, in der Auswahl der
Workshop-Beteiligten sowie in der Wahl der Workshop-Themen
zum Ausdruck kommt. Dabei ist keineswegs ausgeschlossen, dass
phasenweise die eine oder andere Seite mehr Gewicht hat, die
Bezüge zwischen Organisation und Technik bleiben jedoch immer
gewahrt. Die Erfahrung lehrt, dass die Nutzung kooperationsunter-
stützender Systeme immer auch der Absprachen zwischen den Be-
teiligten bedarf. Beispielsweise sollte verbindlich vereinbart wer-
den, in welchen Situationen und auf welche Art das technische Sys-
tem zum Einsatz kommt, und wann und wie die Kommunizieren-
den auf Informationen aus dem technischen System reagieren. Dia-
gramme des sozio-technischen Systems bieten eine gute Möglich-
keit der Dokumentation solcher Absprachen. Abbildung 20 zeigt ein
Beispiel für die Darstellung solcher Absprachen aus dem Projekt
SpiW. Die Methode STWT lässt sich in allen Phasen eines betriebli-
chen Innovationsprojektes einsetzen, wobei sich im Wesentlichen
zwei Aspekte phasenabhängig verändern: Zum einen die Modera-
tionsfrage, die den Prozess des „Walkthrough“ leitet, und die zu
jedem Schritt beantwortet werden muss; zum anderen der Stand
des technischen Systems, das betrachtet wird. Entsprechend
ändern sich die Inhalte und der Detaillierungsgrad der sozio-
technischen Diagramme. Während der frühen Anforderungs-
analyse wird man in der Regel mit sehr abstrakten, diagrammati-
schen Artefakten arbeiten müssen, die sich mit dem Projektfort-
schritt konkretisieren. In einer Validierungsphase werden dann
Screenshots von Prototypen oder auch lauffähige Programm-
ausschnitte verwendet. Bei der Qualifizierung und Einführung
wird man schließlich mit dem fertigen System arbeiten. Durch
die Nutzung der sozio-technischen Modelle zieht sich ein verbin-
dender roter Faden durch die Phasen.
3 Fallbeispiel aus dem Projekt SpiW
Kontext der Fallstudie „Westkreis“
Im so genannten Projekt „Westkreis“ führt der Logistikdienst-
leister Stute Verkehrs GmbH den gesamten Warenausgangsver-
kehr eines Stahlhandelunternehmens im Rhein-Ruhr-Kreis
durch. Zu den Aufgaben des Dienstleisters gehören die Disposi-
tion der übermittelten Einzelaufträge, die Tourenbildung, die
Bereitstellung der benötigten LKW-Kapazitäten sowie die Trans-
portdurchführung. Das Ziel, sich im eigenen Unternehmen auf
die Kernkompetenzen zu konzentrieren, führt zu solchen Out-
sourcing-Projekten, für die eine besonders enge, auch EDV-tech-
nische, Verzahnung der Einzeltätigkeiten über die Unterneh-
mensgrenzen hinweg charakteristisch ist. Umso mehr fällt die
„Blackbox“ im Informationsfluss ins Gewicht, die während der
Transportdurchführung entsteht, weil Fahrer und Disponent nur
in Ausnahmefällen per Handy kommunizieren. Die für die Wei-
terbearbeitung notwendigen Informationen zur Auftragsabwick-
lung erreichen den Disponenten erst abends nach Ende der kom-
Fahrer Disponent FahrerDieser Schritt ist not-wendig, um die Datenan den Dispontentenzu übertragen
anrufenAuf Antwort desDisponenten warten
Workflow inSpiW-Combeenden
Anmerkungzum Transport
eintragen
Nachfragen weitere Schritteabsprechen
weisungspflichtig; wenn nicht entladen werden kann; liegt
immer auch im Ermessen desFahrers
Pocket-PC: Maske „Anmerkungen“
Anmerkungen sonstiges:Grund für nicht-Entladung
(bspw. zu voll, Kran defekt...)Erinnerung an Disponent
Pocket-PC: Maske „Nachricht“ Handy
Abbildung 20: Organisatorische Absprachen zur Nutzung von SpiW-Com
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71ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
pletten Tour. Für die Stute Verkehrs GmbH lagen die mit der Ein-
führung einer mobilen Kommunikationsinfrastruktur verbunde-
nen Ziele daher in der zeitnahen Information des Disponenten
über Auftragsstati, der zeitnahen Information des Fahrers über
die weitere Transportplanung, sowie der Reduzierung der für die
Auftragsabwicklung notwendigen Dokumente.
Das Kommunikationssystem SpiW-Com
Die Systemarchitektur des im Rahmen von SpiW entwickelten
Kommunikationssystems SpiW-Com besteht aus drei Komponen-
ten: mobilen Endgeräten, stationären Endgeräten und einem
Anwendungsserver. Die mobilen Endgeräte nutzen ein leiterun-
gebundenes Medium (GSM, EDGE, GPRS, HSCSD, UMTS) zur Kom-
munikation mit einem Anwendungsserver, während durch das
stationäre Endgerät ein leitergebundenes Medium (Ethernet,
FastEthernet) zur Kommunikation mit einem Anwendungsserver
verwendet wird.
Da das Kommunikationssystem von der Speditionslogistik-
anwendung getrennt ist, müssen Daten zwischen den beiden
Systemen ausgetauscht werden. Beide Systeme benötigen Daten
zur Steuerung ihrer spezifischen Geschäftslogistik, um den Fah-
rer bei einer Entscheidung zu unterstützen, z. B.
+ die Speditionslogistikanwendung benötigt Informationen
über den Auftragsfortschritt,
+ das Kommunikationssystem benötigt Informationen über den
Empfänger (Ladebedingungen, Warte- und Pausenzeiten).
Für diesen Datenaustausch mit einer Speditionslogistikanwen-
dung wird durch das Kommunikationssystem eine textdoku-
mentorientierte Schnittstelle auf der Basis von XML/SOAP (Exten-
sible Markup Language / Simple Object Access Protocol) zur Ver-
fügung gestellt. Die Struktur der auszutauschenden Daten des
Kommunikationssystems werden durch Document Type Defini-
tions (DTD) beschrieben. Konkrete Daten, die zwischen diesen
beiden Softwaresystemen ausgetauscht werden sollen, entspre-
chen diesen Document Type Definitions. Diese Daten werden mit
der Beschreibungssprache XML beschrieben, so dass eine auto-
matische Verarbeitung der Informationen durch die verschiede-
nen Softwaresysteme möglich ist. Die Art der automatischen
Verarbeitung von Daten erfolgt innerhalb des Simple Object
Access Protocols durch den ereignisgesteuerten Aufruf von
WebServices.
Die softwaretechnische Architektur des Kommunikations-
systems muss ein Höchstmaß an Flexibilität zur Gestaltung von
fachlichen Geschäftsprozessen bieten. Fachliche Geschäftspro-
zesse müssen für spezielle und individuelle Profile (Kundenpro-
file, Standortprofile, etc.) dynamisch beschrieben und ebenso an
neue fachliche Änderungen dynamisch angepasst werden kön-
nen. Diese Flexibilität wird durch die komponentenbasierte Vor-
gehensweise bei der Entwicklung des Kommunikationssystems
erreicht. Die fachlichen Geschäftsprozesse, die durch das Kom-
munikationssystem unterstützt werden sollen, werden durch so
genannte Workflows beschrieben. Durch jeden Workflow wird
genau ein fachlicher Geschäftsprozess (z. B. Ankunft beim Emp-
fänger) mit seinen Bedingungen und Entscheidungen (z. B. Ver-
weigerung einer Auftragsannahme) beschrieben. Fachliche Ge-
schäftsprozesse können zusammenhängen, d. h. sie können sich
initieren oder bedingen (z. B. die Erfassung einer Annahmever-
weigerung durch einen Fahrer bei einem Empfänger löst durch
eine Änderung des Auftragsstatus eine Benachrichtigung an den
Disponenten aus und damit kann durch ihn die Erstellung eines
Retourenauftrags durchgeführt werden).
Im Rahmen des Softwareentwicklungsprozesses wurde ein
horizontaler Prototyp des Kommunikationssystems realisiert. Ein
prototypisches System kann dazu dienen den Nachweis der Prak-
MobilClient+ localWorkflow
DispoClient+ localWorkflow
XML/SOAP
e.g. GSM,UMTS
XML/SOAP
LAN
XML/SOAPwebservice
SetEvent
GetEvent
AddEventListener
RemoveEventListener
Workflow
Server
SQL
DBS,Repository
Communication&
EventHandling
Abbildung 21: Architektur des Softwaresystems
XML/SOAPLogistics
Software
System
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72 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
tikabilität von Ideen (Architektur und Vorgehen) zu liefern, Er-
mittlung und Überprüfung von Anforderungen sowie eine Hard-
und Softwareinfrastruktur auf ihre mögliche Verwendbarkeit in
einem Softwareentwicklungsprojekt zu ermitteln. Diese Ermitt-
lung kann von einer reinen Kosten-/Nutzenbetrachtung über die
Gestaltung einer Benutzungsoberfläche incl. Benutzerführung
bis zu einer ausschließlichen technischen Machbarkeit reichen.
In dem Projekt SpiW wurde ein prototypisches System zur Eva-
luierung der Benutzungsoberfläche und Benutzerführung reali-
siert. Dieses prototypische System wurde in Workshops verschie-
denen Personen, die unterschiedliche Rollen (beispielsweise Fah-
rer, Disponent) innerhalb eines Speditionsunternehmens einneh-
men, unter Verwendung der Methode STWT vorgestellt.
Anwendung des STWT
Im Rahmen des Projektes SpiW wurden STWT-Workshops unter
Beteiligung von Disponenten, Fahrern, Managern der Zentrale
der Stute Verkehrs GmbH in Bremen, regionalen Managern sowie
Software-Experten in allen Phasen des Projektes durchgeführt.
Ging es anfänglich um die Reflektion der Informationsflüsse, die
in den aktuellen Arbeitsprozessen stattfinden, so konkretisierte
sich der Bezug zu dem zu entwickelnden Kommunikationssystem
im Laufe des Projektes immer mehr.
In der Qualifizierungsphase war der STWT schließlich Bestand-
teil eines umfassenden Qualifizierungskonzeptes: Nach einer rein
technischen Unterweisung im Umgang mit den Systemkomponen-
ten, spielten die Beteiligten realistische Szenarien zukünftiger
durch SpiW-Com unterstützter Arbeitsprozesse durch. Im Anschluss
daran wurden die Diagramme genutzt, um die Arbeitsprozesse
sowie die Nutzung von SpiW-Com systematisch durchzugehen und
auf organisatorischen Regelungsbedarf hin zu überprüfen.
4 Gestaltungsoptionen des STWT
Verwendet man die Methode des Socio-Technical Walkthrough
im Rahmen der Entwicklung und Einführung von E-Business-
systemen, so gibt es einige Gestaltungsoptionen. In dem Projekt
SpiW wurde das initiale Modell von den späteren Moderatoren
der Workshops auf Basis der Ergebnisse ausführlicher Beobach-
tungsinterviews erstellt, der Gruppe präsentiert und dann ge-
meinsam angepasst. Eine alternative Vorgehensweise besteht
darin, bereits das erste Modell im Rahmen von Workshops zu
erarbeiten. Während die erste Variante den Vorteil bietet, Erhe-
bungsergebnisse detailliert und vollständig darzustellen, liegt
der Vorteil der letzteren Variante in einem wahrscheinlich höhe-
ren Identifikationsgrad der Gruppe mit den Modellen. Die beiden
Varianten unterscheiden sich darüber hinaus in ihrem Anspruch
an die Kenntnisse der Workshopteilnehmer im Hinblick auf die
Modellierungsnotation: beginnt man nicht mit einem vorbereite-
ten Diagramm, so muss die Modellierungsnotation im Vorfeld
unter Verwendung anderer Beispiele geschult werden. Im Pro-
jekt SpiW konnte die Diskussion des vorbereiteten, initialen
Modells gleichzeitig zur Schulung der Notation verwendet wer-
den. Weitere Gestaltungsoptionen betreffen die Wahl der zu
beteiligenden Rollen, die Wahl der zum Einsatz kommenden
Medien sowie selbstverständlich die Formulierung geeigneter
Leitfragen für den Prozess des Socio-Technical Walkthrough.
Weitere Informationen
„Mobile Spedition im Web“
Förderkennzeichen: 01HT0143, 01HT0144, 01HT0145, 01HT0146
www.spiw.net
Ansprechpartner des Projekts:
Prof. Dr. Ernst-Erich Doberkat
Universität Dortmund
Fachbereich Informatik
Lehrstuhl für Software-Technologie
Baroper Strasse 301
44221 Dortmund
Tel.: 0231 755-2781
E-Mail: Ernst-Erich.Doberkat@spiw.net
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
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73ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
3.2 Unterstützung für Auslieferungsfahrerbei Kurier-, Express- und Paketdiensten
André Quadt, Patrick Wader; FIR – Forschungsinstitut für
Rationalisierung an der RWTH Aachen
Dirk Rösler, IAW – Institut für Arbeitswissenschaft an der
RWTH Aachen
1 Einleitung
Der Markt der Kurier-, Express- und Paketdienste (KEP) weist eine
hohe Dynamik auf und stellt ständig neue Anforderungen an
seine Akteure. Das Forschungsinstitut für Rationalisierung an der
RWTH Aachen (FIR) hat deshalb zusammen mit verschiedenen
Partnern ein Forschungsprojekt initiiert und durchgeführt, das
sich dieser Thematik widmet. Unter dem Titel „ParcelMan – Ver-
änderte Anforderungen an Mitarbeiter in der Distributionslogis-
tik“ untersuchten die Projektpartner Antworten auf neue Frage-
stellungen der KEP-Branche. In Zusammenarbeit mit dem Institut
für Arbeitswissenschaft (IAW) der RWTH Aachen, der Bamberger
BI-LOG AG, sowie der adisoft AG, Karlsruhe, werden Gestaltungs-
ansätze erforscht, die Unternehmen in die Lage versetzen, mit
neuen Konzepten auf die veränderten Bedingungen zu reagie-
ren. Dabei standen sowohl technische als auch organisatorische
und mitarbeiterorientierte Aspekte im Mittelpunkt der Arbeit.
Die Verbundpartner wurden bei ihrer Arbeit u. a. unterstützt vom
Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF), Köln, und
der Technologieberatungsstelle beim DGB, Hagen. Im Projekt
sollte gezeigt werden, wie neue Technologien in der Logistik ge-
staltet werden können, um Mitarbeiter zu unterstützen und zu
entlasten. Das Projekt bezieht sich also auf die elektronische Un-
terstützung der Geschäftsprozesse und der Arbeit des „ParcelMan“.
Um sich im Wettbewerb mit großen Dienstleistern durchset-
zen zu können, differenzieren sich kleine und mittlere KEP-Un-
ternehmen vielfach über Mehrwertdienstleistungen, die während
des Auslieferungsprozesses (Zustellung) an Kunden erbracht wer-
den. Deshalb standen diese im Fokus der Projektdurchführung. Um
Mehrwertdienstleistungen in der Zustellung erbringen zu können,
wie beispielsweise das Austauschen von Mobilfunkgeräten oder
das Übermitteln von Vertragsdokumenten, ist die enge zeitliche
Koordination mit den Kunden erforderlich, da diese im Zuge der
Dienstleistungserbringung angetroffen werden müssen. Hierzu
werden heute vielfach Zeitfenster mit Kunden vereinbart, in denen
die Zustellung erfolgt. Im Projekt wurde eine Logistikleistung samt
technologischer Hilfsmittel entworfen und in einem prototypi-
schen Testbetrieb auf die Belastung und Beanspruchung für die
Mitarbeiter untersucht. Zur Spezifikation der Dienstleistung wur-
den Methoden des Service Engineering angewandt.
2 Ergebnisse des Projekts ParcelMan
Im Folgenden werden wesentliche Ergebnisse des Forschungs-
projekts ParcelMan vorgestellt. Dabei werden sowohl Aspekte der
Planung der Zustellung betrachtet als auch der Technologie-
gestaltung, mit welcher die Ausführung der Zustellung unter-
stützt werden soll. Die Ergebnisse werden schließlich arbeitswis-
senschaftlich validiert. Abschließend werden Schulungskonzepte
zur weiteren Unterstützung des „ParcelMan“ vorgestellt.
Multiagentenbasierte Planungsmethodik für die Zustellung
Die technologische Unterstützung bei KEP-Diensten ist heute
eher gering. Dies gilt besonders für kleine und mittlere Unterneh-
men, die nicht über die Ressourcen für proprietäre Lösungen ver-
fügen. Anstrengungen zur übergreifenden Standardisierung von
Daten und ihrer Verarbeitung bei KEP-Diensten hatten bislang
wenig Erfolg. Zur Planung und Steuerung der Zustellung setzen
KEP-Dienste eigene, häufig nur manuelle Lösungen ein. Diese
Lösungen sind in ihrer Leistungsfähigkeit jedoch begrenzt. So
können diese beispielsweise kaum enge Zeitfenster oder dynami-
sche Aspekte in der Planung berücksichtigen. Während große
Unternehmen auf der letzten Meile in breitem Umfang mobile
Geräte einsetzen, insbesondere zur Dokumentation des
Haftungsübergangs und um Tracking und Tracing Systeme mit
Daten zu versorgen, ist der Geräteeinsatz bei kleinen und mittle-
ren Unternehmen nur sehr begrenzt zu beobachten. Auch sind
keine KEP-Netze bekannt, die netzweit Navigationssysteme ein-
setzen. Bei mobilen Geräten stellen insbesondere die hohen
Investitionskosten ein Hindernis dar, da jeder Auslieferungsfah-
rer mit einem eigenen Gerät ausgerüstet werden muss.
Im Projekt ParcelMan wurde deshalb eine Lösung konzipiert
und umgesetzt, die eine dynamische Planung der Zustellung mit
Zeitfensterrestriktionen ermöglicht und die auf vorhandener
technischer Ausrüstung basiert. Im Hinblick auf die vorliegende
Planungsproblematik eignet sich die Anwendung der Multiagen-
tentheorie besonders gut. Die auf dieser Basis entwickelte Pla-
nungsmethodik berücksichtigt besonders die Autonomie der
Marktteilnehmer und dynamische Aspekte wie das zeitlich ver-
teilte Auftreten von Kundenaufträgen. Jeder Marktteilnehmer
wird durch einen autonomen (Software-)Agenten repräsentiert,
der die zur Planung benötigten Fähigkeiten besitzt, etwa für die
Routenplanung. Der Planungsprozess beachtet dabei Kapazitäts-
und Zeitrestriktionen und stellt so sicher, dass das Ergebnis aus
Sicht der Fahrer in jedem Fall erfüllbar ist. Zusätzlich werden die
Qualifikationen der Fahrer für besondere Aufträge, wie z. B. be-
stimmte Mehrwertdienste, in der Methodik berücksichtigt.
Das Ergebnis der Planung stellt eine individuelle Rollkarte
(Auftragsliste) für den Fahrer dar, die die Reihenfolge der Liefe-
rungen und Angaben wie Zeitfenster, geplante Ankunftszeit,
Adresse, Art der Dienstleistung etc. enthält. Alle angebotenen
Mehrwertdienste in der Zustellung wie beispielsweise zur Iden-
tifikation oder Legitimation des Empfängers können auf diese
Weise in der Planung berücksichtigt werden.
Prozessunterstützung in der Zustellung durch mobile Geräte
Um die eigentliche Zustellung in der Ausführung zu unterstüt-
zen, sind weitere Instrumente notwendig. Der Ablauf der jeweili-
gen Dienstleistung ist in einem Sollprozess festgelegt. Dieser
wurde auf mobilen Endgeräten abgebildet.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 73
74 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
Basierend auf einer integrierten Technologieeinsatzplanung
wurden zwei alternative Implementierungen (Handy und Smart-
phone) als technische Demonstratoren realisiert. Die erforderli-
che Hardware ist breit verfügbar; Handys können heute als vor-
handen vorausgesetzt werden. Die Smartphone-Variante stellt
einen Ausblick auf die in wenigen Jahren in der Breite verfügba-
ren Technologien dar. Somit können heute Technologien reprä-
sentiert werden, die in zukünftigen Mobilgeräten (z. B. in UMTS-
Endgeräten) breit verfügbar sein werden wie beispielsweise
hochauflösende Farbdisplays und Touchscreens.
Das mobile Gerät bietet eine Schritt-für-Schritt Unterstützung
für den Fahrer. Interaktiv wird dieser durch den Prozess begleitet
und kontextsensitiv mit allen notwendigen Informationen ver-
sorgt. Über Hilfefunktionen sind jederzeit zusätzliche Informa-
tionen abrufbar. Dies bedeutet eine erhebliche Entlastung für
den Fahrer, da einerseits Fehler vermieden werden und anderer-
seits, durch automatische Erfassung des Prozessfortschritts, die
häufige, manuelle Statusmeldung entfällt.
Arbeitswissenschaftliche Validierung durch Labor- und
Feldversuche
Die Qualität der software-ergonomischen Gestaltung ist zum
einen bei der Entwicklung und Beschaffung und zum anderen
bei der Überprüfung bereits im Einsatz befindlicher Software von
Interesse. Trotz dieses Bedarfes existiert derzeit keine allgemein
anerkannte Methodik zur Evaluation von software-ergonomi-
schen Gestaltungslösungen. Allgemeine Gestaltungsgrundsätze
zur Software-Ergonomie finden sich in der Bildschirmarbeits-
verordnung (BildschArbV), präzisere Richtlinien sind in der Norm
DIN EN ISO 9241 Teil 10 definiert. Darüber hinaus bedient man
sich bei der Evaluation häufig der objektiven Kriterien Zeit, (Be-
dien-)Fehler und einer subjektiven Bewertung der Software
durch den Nutzer.
Im Projekt ParcelMan erfolgte die Evaluation der Unterstüt-
zungssoftware durch Testreihen im Labor sowie durch Testfahr-
ten, bei denen Zusteller ein mobiles Endgerät zur Prozessunter-
stützung im realen Arbeitsfeld nutzten und bewerteten. Eine
Übersicht über das Vorgehen zur software-ergonomischen Eva-
luation im Labor zeigt Abb. 22. Die dargestellte Evaluation basier-
te hierbei auf objektiven Messwerten (Bearbeitungszeiten und
Bedienfehlern) sowie auf subjektiven Bewertungen, die mit Hilfe
eines Fragebogens auf Basis der DIN EN ISO 9241 Teil 10 im An-
schluss an die durchgeführten Versuchsreihen erhoben wurden.
Zur Bewertung der Software im Labor informierten sich die
Versuchspersonen (= potenzielle Nutzer) in einem ersten Schritt
anhand eines Kontextszenarios über die Ziele, Abläufe und Um-
stände des Zustellprozesses (= Soll-Prozess). In einem zweiten
Schritt wurden die Versuchspersonen über die Hauptaufgaben
der Software mit Hilfe eines Use-Szenarios instruiert. Zur Ermitt-
lung objektiver Messdaten bearbeiteten die Versuchspersonen im
Anschluss verschiedene Aufgaben, wobei die Benutzeroberfläche
der Unterstützungssoftware auf einem Laptop dargeboten wur-
de. Das Benutzerverhalten der Versuchspersonen wurde hierbei
mit Hilfe des Programms „Camtasia Studio“ von TechSmith aufge-
zeichnet. Nach der Bearbeitung der im Use-Szenario vorgegebe-
nen Zustellaufgaben wurden die zur Bearbeitung benötigten
Zeiten sowie die dabei aufgetretenen Bedienfehler analysiert.
Darüber hinaus erfolgte eine subjektive Bewertung der Software,
indem die Versuchspersonen ihre subjektiven Eindrücke in
einem speziell für das Projekt konstruierten Fragebogen be-
schrieben. Der Aufbau des Fragebogens orientierte sich an den
folgenden Gestaltungsgrundsätzen:
+ Aufgabenangemessenheit,
+ Selbstbeschreibungsfähigkeit,
+ Erwartungskonformität,
+ Steuerbarkeit,
+ Fehlertoleranz,
+ Individualisierbarkeit,
+ Lernförderlichkeit.
Die allgemein formulierten Grundsätze der Dialoggestaltung
wurden im Fragebogen in Form verschiedener Prüfkriterien ope-
rationalisiert. Hierzu wurden die sieben Gestaltungsgrundsätze
in entsprechende Einzelaussagen „übersetzt“. Der von den Ver-
suchspersonen als leicht verständlich bezeichnete Fragebogen
lieferte wichtige Hinweise auf aktuelle Schwachstellen in der soft-
ware-ergonomischen Gestaltung und ermöglichte eine gezielte
Modifikation der im Feld auf einem mobilen Endgerät ausgege-
benen Prozessunterstützung.
Nach zwei Testreihen im Labor, denen sich jeweils Neupro-
grammierungen einzelner Prozessschritte (z. B. Veränderungen
im sequenziellen Ablauf der vom Zusteller abzuarbeitenden Ein-
gaben) sowie Veränderungen der Benutzeroberfläche (z. B. Ände-
rungen in der Anordnung von Symbolen und Buttons zur Ein-
gabe von Befehlen) anschlossen, fanden Feldversuche mit Fah-
– Analyse der objektivenDaten und der subjektivenBefragungsergebnisse
– Ableitung vonGestaltungsvorschläge
– ggf. Programmierungalternativer Lösungen
– ggf. erneute Bewertungder Software
Ende
TestdatenFragebogenzur ISO-Norm
– +Bewertung
Abbildung 22: Überblick des Vorgehens zur software-ergonomischen Bewertung im Labor
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 74
75ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
rern unterschiedlicher Zustellstationen statt. Vor der Durchfüh-
rung der eigentlichen Feldversuche wurden verschiedene Hypo-
thesen generiert, die im Ergebnis der Versuche überprüft werden
sollten. Die Hypothesen leiteten sich aus Zielen ab (= Erleichte-
rung der Arbeit, verbunden mit einem Zuwachs an Effizienz,
Arbeitszufriedenheit und -motivation), die im Projekt mit der
Nutzung der Software bzw. der mobilen Endgeräte angestrebt
wurden. Im Feldversuch verkörperte das von den Zustellern ver-
wendete Hilfsmittel die sogenannte Unabhängige Variable (UV).
Aus einer systematischen Variation dieser UV (mobiles Endgerät
versus „klassische“ Auftragsbearbeitung) sollten bestimmte Ver-
änderungen in den Ausprägungen der Abhängigen Variablen
(AV) resultieren. Die Veränderungen der AV sind somit ein Maß
für den Einfluss der UV, welcher in den Testfahrten zu untersu-
chen war. Als AV wurden erhoben:
+ Bearbeitungszeit pro Auftrag (AV1),
+ Unklarheiten wie Rückfragen an den Versuchsleiter,
Einholen von Unterstützung durch das Backoffice (AV2),
+ Testwerte im Fragebogen zur subjektiven Bewertung der
Komplexität, Arbeitszufriedenheit, -motivation und
Sicherheit (AV3),
+ Testwerte im Fragebogen zur subjektiven Bewertung des
Ausmaßes von psychischer Ermüdung und Sättigung,
Monotonie und Stress (AV4).
Um Störvariablen (= Faktoren, die möglicherweise einen Einfluss
auf die AV haben, in der Studie jedoch nicht von Interesse sind) zu
kontrollieren, wurde in den Feldversuchen das folgende Unter-
suchungsdesign gewählt:
Im dargestellten Untersuchungsdesign wurden die KEP-Zusteller
von jeweils einem Beobachter begleitet. Die Zusteller bearbeite-
ten jeweils fünf Aufträge mit einer „klassischen“ Auftragsliste
und fünf Aufträge mithilfe eines mobilen Endgerätes. Die Rei-
henfolge in der die Auftragsliste bzw. das mobile Endgerät zum
Einsatz kam sowie die Tageszeit der Versuchsdurchführung ist
aus Abb. 23 ersichtlich.
Im Verlauf der Fahrten wurden die Bearbeitungszeiten der
Aufträge und die Anzahl der Unklarheiten im Zustellprozess (Rück-
fragen beim Call-Center, etc.) erhoben. Am Ende der Testfahrten
füllten die Fahrer einen Fragebogen zur subjektiven Sicherheit,
Arbeitszufriedenheit und -motivation sowie zur subjektiv wahrge-
nommenen psychophysiologischen Beanspruchung aus.
Im Ergebnis der durchgeführten Laborversuche konnte die
Software zur Unterstützung des Zustellprozesses kontinuierlich
verbessert und an den Anforderungen potenzieller Nutzer ausge-
richtet werden. Hypothesen, die im Zusammenhang mit der
Nutzung des mobilen Endgerätes im Feldversuch aufgestellt wur-
den, ließen sich insbesondere bei Testfahrern verifizieren, denen
die Bearbeitung der Zustellaufträge mittels „klassischer“ Auf-
tragsliste nicht bzw. noch nicht lange vertraut war. Sie berichte-
ten beispielsweise über eine Zunahme der subjektiven Sicherheit,
Arbeitszufriedenheit und -motivation infolge der mobilen Pro-
zessunterstützung.
Schulungskonzepte für Zustellungsfahrer
Mithilfe einer im Projekt ParcelMan konzipierten Internetplatt-
form wird der Prozess der Rekrutierung und Auswahl von KEP-
Mitarbeitern sowie die Verwaltung wichtiger Fahrerdaten wirk-
sam unterstützt. Gleichzeitig ermöglicht die Plattform den Zu-
griff auf spezielle Schulungsinhalte, die vom KEP-Mitarbeiter bei
Bedarf gezielt abgerufen werden können.
Zusteller Vormittag Nachmittag
Auftragsliste Endgerät Auftragsliste EndgerätEndgerät Auftragsliste Endgerät Auftragsliste
1 x
2 x
3 x
4 x
5 x
6 x
7 x
8 x
9 x
10
Abbildung 23: Untersuchungsdesign der Feldversuche
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 75
76 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
Mithilfe der Online-Schulungen, die über die Internettplattform
abgerufen werden können, werden durchgeführte Präsenzschu-
lungen ergänzt. Befindet sich der Mitarbeiter im geschützten
internen Bereich der Internetplattform, hat er die Möglichkeit,
wichtige Schulungsinhalte und nützliche Links zur Unterstüt-
zung seiner Tätigkeit im KEP-Dienst einzusehen. Sein Wissen im
Bereich der online angebotenen Schulungsinhalte kann der Mit-
arbeiter mithilfe kurzer Lernkontrollfragen testen, die am Ende
der jeweiligen Kapitel zu finden sind. Darüber hinaus lassen sich
die verschiedenen Schulungstexte bei Bedarf auch auf den eige-
nen PC downloaden (Diskettensymbol).
3 Fazit
Durch die Erstellung der Planungsmethodik wurde eine Lösung
erzielt, die sich für den Praxiseinsatz empfiehlt. Dadurch existiert
nun erstmalig eine Möglichkeit, unter Berücksichtigung der Ge-
gebenheiten der betrachteten Anwendungsdomäne Kundenan-
fragen in Echtzeit zu behandeln und eine Planung auf Basis der
verfügbaren Kapazitäten durchzuführen. Auch wurde durch die
gewählte Umsetzung die Berücksichtigung darüber hinaus
gehender Aspekte des Praxiseinsatzes wie beispielsweise einer
Ausweitung auf Fragen der Steuerung vorbereitet.
Zur Unterstützung der Prozessausführung wurden im Projekt
zwei technische Demonstratoren in der Form von Software für
mobile Endgeräte erstellt. Auf diese Weise wurden die Sollpro-
zesse umgesetzt. Durch den prototypischen Einsatz im Rahmen
von Labor- und Feldversuchen konnte die Akzeptanz der Lösun-
gen verbessert und die Leistungsfähigkeit nachgewiesen werden.
Mithilfe der Internetplattform kann ein konstant hohes Niveau
der vom KEP-Mitarbeiter beeinflussbaren Dienstleistungsqualität
sichergestellt werden. Hierzu wird der Prozess der Rekrutierung und
Auswahl von kompetenten Mitarbeitern systematisch unterstützt.
Gleichzeitig ergänzen die im internen Bereich der Plattform angebo-
tenen Wissensinhalte die bislang durchgeführten Präsenzschulun-
gen und helfen den KEP-Mitarbeitern bei der erfolgreichen Bewälti-
gung der an sie gerichteten Kundenanforderungen. Weitere Infor-
mationen zum Forschungsprojekt finden sich auf: www.parcelman.de
Weitere Informationen
„Veränderte Anforderungen an Mitarbeiter in der
Distributionslogistik„
Förderkennzeichen: 01HT0148, 01HT0149, 01HT0153, 01HT0201
www.parcelman.de
Ansprechpartner des Projekts:
Stefan Bleck
FIR Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen
Pontdriesch 14/16
52062 Aachen
Tel.: 0241 47705-502
E-Mail: sb@fir.rwth-aachen.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
Tel.: 0228 3821-126
E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Li, Z.; Rösler, D.; Meszlery, K. (2003): Investigation of Personnel Qualification Requirements and Responsibilities by Mining Job Posting Web
Pages. In: Ergonomic in the Digital Age. Proceedings of the 15th Triennial Congress of the IEA and the 7th Joint Conference of Ergonomics
Society of Korea. Hrsg.: The Ergonomics Society of Korea. Seoul 2003.
Park, J.-S.; Meszlery, K.; Rösler, D.; Brüggmann, M.; Luczak, H. (2003): Task Analysis of Cep Service Drivers in Terms of Ergonomics and
Logistics. In: Ergonomic in the Digital Age. Proceedings of the 15th Triennial Congress of the IEA and the 7th Joint Conference of Ergonomics
Society of Korea. Hrsg.: The Ergonomics Society of Korea. Seoul 2003.
Quadt, A.; Bleck, S. (2003): An Integrated Technology Model for Process Oriented ICT Planning. In: Human Factors in Organizational Design
and Management. Hrsg.: Luczak, H.; Zink, K. J., IEA Press, Santa Monica, S. 469-474.
Rösler, D.; Meszlery, K. (2003): Der Mitarbeiter von morgen – Analyse der gegenwärtigen Anforderungssituation an Mitarbeiter in der KEP-
Branche. In: Logistik heute, 25(2003)7-8, S. 22-23.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 76
77ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
3.3 Chancen und Barrieren der elektroni-schen Vernetzungen in der Binnen-schifffahrt
Dankwart Danckwerts, Universität Duisburg-Essen
1 Handlungsrahmen und Projektziel
In dem Projekt „Auswirkungen der elektronischen Vernetzungen
auf die Geschäftsbeziehungen der Binnenwassertransporte“
(eBusiNet) wurde untersucht, ob und inwieweit E-Business einen
Beitrag zur weiteren Entwicklung der Geschäftsbeziehungen für
den Verkehrsträger Binnenschifffahrt leisten kann.
In der Zeit von 1992 bis 2000 veränderte sich die Stellung der
Binnenschifffahrt auf dem Gütertransportmarkt in Deutschland
wie folgt:
Die Frachtschiffe wurden im Jahre 2000 von ca. 800 Partikulier-
unternehmen und einer Reihe Reedereien betrieben. Den spezifi-
schen Stand der Binnenschifffahrt charakterisieren heute freie
Kapazitäten an Schiffsraum und auf den Verkehrswegen, wie ihre
oft hervorgehobenen ökologischen Vorteile. Vergleiche der Leis-
tungen von Bahn und LKW mit der Binnenschifffahrt in den Jah-
ren 1992 und 2000 zeigen nur geringfügig veränderte prozentua-
le Anteile der Binnenschifffahrt an den Gütertransporten auf den
Straßen (von 7,9 % auf 7,4 %), während die Relationen zur Bahn
einen beachtlichen Vorteil in der Transportproduktion über weite
Strecken aufweisen (von 57,3 % auf 97 %). Hier liegen Zuwächse ge-
rade im Kontext der EU-Erweiterung. Ob diese deutschen Unter-
nehmen zugute kommen werden, hängt vornehmlich von ihren
innovativen Investitionen ab. Vor dieser Periode wurden im Trans-
portsektor neue Managementkonzepte2 umgesetzt, die in den 90er
Jahren auch in dieser Branche bestimmend wurden. Sie rationali-
sierten den Gütertransport und bewirkten eine Trennung der Kern-
aufgabe, Transport, von den zugehörigen Speditionsleistungen.
Die Politik der Bundesregierung deregulierte 1994 den Markt.
Das Konzept des Projekts wurde gemeinsam mit über 20 Auf-
tragnehmern der Unternehmen im Wassertransport diskutiert.
Angestrebt wurde eine Optimierung der Leistungsparameter und
der systemischen Zusammenhänge. Im Vordergrund standen
Bemühungen, Chancen und Barrieren der technologischen Inno-
vationen durch elektronische Vernetzungen zu ermitteln und zu
unterstützen. Es bestand weitgehende Übereinstimmung dar-
über, dass vernetzte Computersysteme den funktionalen Para-
metern der Binnenschifffahrt große Vorteile bringen könnten.
Die weiteren Ausführungen gehen auf drei Arbeitskomplexe ein
und skizzieren den aktuellen Stand der Auswertung.
2 Elektronische Vernetzung mit dem Markt,vom Schiff aus
Die Beurteilungen der Nutzeffekte des E-Business in der Binnen-
schifffahrt gingen vor dem Beginn der Projektarbeit3 weit ausein-
ander. Die Aussagen der Experten ließen nur in wenigen Fällen
einen hohen Informationsstand und große Erwartungen erken-
nen. Die Unkenntnis über diese technologische Neuerung war noch
verbreitet. Auch im geschäftlichen Umfeld der Schifffahrt beruhten
die Vorstellungen aus der Praxis nur selten auf Erfahrungen mit
elektronischen Medien satellitenvernetzter Systeme. Dies galt in
Häfen, Reedereien, Befrachtungsunternehmen und der Schifffahrt.
Partikuliere und angestellte Schiffsführer waren jedoch interessiert,
sich am Erfahrungsaustausch und an Überlegungen zur Praxis-
umsetzung von E-Business zu beteiligen. Besonders faszinierten
Möglichkeiten, zugängliche Informationssysteme zur Verbesserung
der Markttransparenz zu nutzen. Auch erste Frachtenbörsen für die
Binnenschifffahrt wurden im Internet präsentiert.
Gespräche mit Unternehmern, Experten, Verbänden, Häfen
und Vertretern der Politik zur Gewinnung von Partnern ergaben
ebenfalls unterschiedliche Einschätzungen, jedoch auch großes
Interesse an dem Thema. In dieser Phase der Abrundung des
Forschungsrahmens wurden erste Konturen differenter Praxis-
interessen sichtbar. Das Ergebnis einer Veranstaltung am Stand-
ort Duisburg4, die von über 20 einschlägigen Praktikern besucht
wurde, war die Fundierung und Erweiterung wichtiger Projekt-
themen. Es ging um die Chancen für Partikuliere, das Thema
Nachwuchs und Qualifikation und die Forderung nach dringli-
cher politischer Unterstützung der Schifffahrt. Übereinstimmend
wurde die Einschätzung geteilt, dass der Nutzung von E-Business
noch eine Reihe erheblicher Hindernisse im Wege stünden. Parti-
kuliere und ihre Vertreter sahen Chancen für sich bei zukünfti-
gen Anwendungen, betrachteten aber deren wirtschaftliche
Nutzung zu jener Zeit mit Skepsis. Diese bezog sich vor allem auf
die aktuellen Preise der Anschaffung und des Betriebes der IuK-
Technik, Mängel an der vorhandenen Hardware, wie die Kapazi-
täten der Übertragungen per Telefon und Netzlücken entlang der
Wasserwege. Zudem gab es die Einschätzung einer nur geringen
Erreichbarkeit der Marktpartner über das Internet.
Güterverkehr (in Mio. t) 230,0 242,2
Verkehrsleistung (in Mrd. tkm) 57,2 66,5
Frachtschiffe Tonnage (1000 t) 3282 2448
Deutsche Unternehmen (in Mio. t) 104,5 91,4
(in Mrd. tkm) 31,4 30,2
Tabelle 3: Leistungsparameter im Gütertransport1 2
Binnenschifffahrt
1 Deutscher Verkehrsverlag, Hamburg 2001, S. 226-228
1992 2000
2 z. B. lean production, Logistik, Supply Chain Vernetzungen
3 Das betrifft die Zeit ab Mitte 2001, weil die konzeptionellen Vorarbeiten schon vieleKontakte auch mit Vertretern der Branche einschlossen.
4 Der Workshop wurde am 20. September 2000 durchgeführt.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 77
78 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
Zur systematischen Ermittlung5 der Lage in der Binnenschiff-
fahrt wurde im Jahr 2002 eine empirische Erhebung durchge-
führt, die Expertengespräche an Bord, eine strukturierte Internet-
befragung und eine erste repräsentative Telefonbefragung durch
ein wissenschaftliches Institut der Universität Duisburg-Essen
beinhaltete. Die Ergebnisse der Befragung wurden Ende Fe-
bruar 2002 im Lenkungskreis den Auftragnehmern, den Partnern
und der Presse präsentiert6. Der Einsatz internetfähiger Compu-
ter, die oft zu Hause installiert wurden, hatte im ersten Halbjahr
unserer Projektarbeit zugenommen. Die Reaktion der Teilneh-
merInnen auf die Ergebnisse der repräsentativen Erhebung war
teils zustimmend, teils kontrovers. Einige Akteure aus der Schiff-
fahrt äußerten sich skeptisch gegenüber der ermittelten hohen
Zahl an Internetzugängen an Bord und Zuhause. Die bleibenden
Eindrücke der Diskussion als einer informativen Debatte ergaben
sich auch aus zustimmenden Äußerungen, die mit einem ähnli-
chen Erfahrungshintergrund begründet wurden. Zum Ende der
Laufzeit des Projektes, wiederholten wir mit einer Panelunter-
suchung die Telefonbefragung.
Die Veränderungen des Ausstattungsgrades (Internetzu-
gang) zwischen 2002 und 2003 zeigen die folgenden Grafiken7.
Die angeführten Internetzugänge insgesamt sind danach zurück-
gegangen, von 54% auf 43%. In 1 1/2 Jahren waren so 30,04 % der
vernetzten Schiffe von 2002 nicht mehr angeschlossen, was als
quantitative Aussage verblüfft.
Nahe liegt eine Erklärung, die den beobachteten Prozess der
äußerst zögerlichen und widersprüchlichen Beschäftigung mit
dem Thema elektronische Medien zusammenfasst in dem Satz:
Für viele ist das Experimentieren enttäuschend gewesen und sie
resignierten. Andererseits zeigt die folgende Grafik, eine positive
Entwicklung. Die Zuwächse der bordseitigen Installationen von
27 auf 39 % deuten auf eine Intensivierung der schiffseitigen
Nutzung. Erst sie kann einige Nachteile gegenüber Strasse und
Bahn kompensieren.
Abbildung 25: Ort des Internets
nur an Bord02
nur an Bord03
nur an Land02
nur an Land03
an Bord + Land02
an Bord + Land03
an Bord gesamt 02
an Bord gesamt03
Grau betrifft die erste Telefonumfrage 2002, Orange steht für das 2. Panel, Herbst 2003. Der Zuwachs von Instal-lationen insgesamt (54% auf 60%) in Relation zu dem Rückgang an Bord (26% auf 21%) deutet auf die angespro-chene Intensivierung der Nutzung insofern, „wem es Sinn macht, der nutzt es von Bord“ aus.
27%
39%
46%
40%
26%
21%
54%
60%
5 Die Erhebungsdaten sind im Abschlussbericht nachzulesen. Ausschnitte finden sichin dem Bericht.
6 Die Einzelergebnisse werden im Abschlussbericht veröffentlicht.7 Die gelben Balken beziehen sich auf die erste Telefonumfrage 2002, die hellgelben
stehen für das zweite Panel, erhoben im September 2003.
Internet 2002
Kein Internet 2002
Internet 2003
Kein Internet 2003
54 %
Abbildung 24: Ausstattungsgrad
46 %
43 %
56 %
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 78
79ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
Resümee: Das Resultat der ersten Bestandsaufnahme ergab
keine eindeutige Klarheit und löste eine kontroverse Debatte dar-
über aus. In ihr nur unterschiedliche Erfahrungen oder mögliche
Gegensätze zwischen Theorie und Praxis zu vermuten, reicht als
Antwort nicht. Die beteiligten Fachleute waren alle mit dem
Thema vertraut und gingen trotz unterschiedlicher beruflicher
Einbindungen immer auch von existenziellen Gründen aus. Die
Kommunikation über das Internet war jedoch neu und wurde
zunächst oft als bedrohlich, vielleicht nutzbar oder als Experi-
ment angesehen. Das klingt banal, kennzeichnet jedoch eine
extreme Konkurrenzsituation der Unternehmen untereinander.
Da bekommt jede auf Exaktheit beharrende Information, und vor
allem, wenn sie sich als wissenschaftlich begründet ausweist,
einen hohen Handlungsdruck. Wie aber ist dem zu genügen,
wenn die Botschaft angesichts der sonstigen Unklarheiten die
Konfusion erhöht, statt sie aufzulösen? Die Barrieren der Nut-
zung entspringen vielen Aspekten der Geschäfte. Wachsenden
Ansprüchen des Alltagshandelns zu folgen braucht Zeit, Annähe-
rung und erfolgreiche Vorbilder.
3 Unternehmerhandeln und wirtschaftlicheChancen im Wassertransport
Für Partikuliere als selbstständige Unternehmer und für ange-
stellte Schiffsführer galt noch vor etwas mehr als einem Jahr-
zehnt, dass die Schiffe zeitweilig extrem abgeschlossen vom
Markt operieren mussten. In dringenden Fällen konnten auf der
Strecke an bekannten Stellen (Schleusen, Wahrschauer8, Häfen)
Außenkontakte zum Informationstausch genutzt werden. Dieser
temporäre Ausschluss von geschäftlicher Kommunikation von
Bord aus wurde für eine Reihe von Partikulierunternehmen aus-
geglichen durch eigene „Stationen an Land“ (z. B. über ihre Fami-
lien) oder indem die Speditionsaufgaben an Befrachter übertra-
gen blieben oder wurden9.
Vor der Aufhebung der regulierenden Festtarife 1994 benach-
teiligte diese Konstellation den wirtschaftlichen Rahmen der
Partikulierunternehmen kaum. Dies änderte sich danach in weni-
gen Jahren, als Transportmanagement und Fahrtätigkeit im Zuge
der arbeitsteiligen Verselbstständigung der Logistik mehr oder
weniger getrennt wurden10. Wenngleich die Euphorie über den
Erfolg dieser neuen logistischen Qualifikation sich für die Reede-
reien und Genossenschaften nur eingeschränkt bewahrheiteten,
führte diese erweiterte Arbeitsteilung bei bloßen Fahrtätigkeiten
zu erheblichen Tarifsenkungen für die Partikuliere, die seitdem
zunehmend ihre wirtschaftlichen Existenzen bedroht sehen. Die
Reedereien haben sich vielfach entschlossen, der Tendenz dieser
Trennung zu folgen. Durch Verkauf bzw. Verpachtung großer
Anteile ihrer Flotte an Schiffsführer übernahmen Reedereien nur
noch die Frachtakquirierung und Speditionsleistungen. Der An-
teil selbstständiger Partikuliere nahm unter diesen Bedingungen
zwar zeitweilig zu, die Bedrohung ihrer wirtschaftlichen Basis
führte jedoch zu einer kontinuierlichen Verringerung. Diese Ent-
wicklungen vor allem bewirkten den Rückgang des Anteiles
deutscher Schiffsunternehmen am inländischen Transportauf-
kommen auf heute 31 %.
Die Öffnung vom Schiff zum Markt begann mit Mobiltelefo-
nen, die über Satellitenvernetzungen, jedoch relativ eingeschränkt
zum Einsatz kamen. Entscheidend wurden wenige Jahre später die
Mobilfunknetze. Mit ihrer rasanten Verbreitung traten zwei we-
sentliche Veränderungen für die Partikulierschifffahrt ein.
Die isolierte Lage wurde durch den direkten Zugang zu allen
Beteiligten des Transportmarktes aufgehoben. Partikulierunter-
nehmen wurde es möglich, selbsttätig Frachten zu akquirieren.
Diese neuen Chancen stellten vor allem auch in Aussicht, anteilig
an den Aufwendungen für Speditionsaufgaben des Transportes
beteiligt zu werden.
In den letzten fünf Jahren haben sich die schiffsspezifischen
Informationen im Internet rapide entwickelt. Ihre Nutzung er-
möglicht, von Bord aus auf alle aktuellen Informationen der
Wasser- und Wetterverhältnisse, Preis- und Transportentwick-
lungen auf dem Gütermarkt zuzugreifen. Auch Schiffswartungen
und Dienstleistungen der Häfen, wie Straßentransporte für Vor-
und Nachläufe sind seitdem erschlossen. Verwaltungs- und Fi-
nanzleistungen der Unternehmen werden durch Softwareange-
bote unterstützt.11
Diese Neuerungen stellten die Frage nach ihrer innovativen
Umsetzung an die deutschen Partikulierunternehmen. Heute
gilt, der selbstverständlich gewordene Umgang mit Mobiltele-
fonen lässt die Kosten weniger wichtig erscheinen. Die Netze,
ausgebaut, sichern kontinuierliche Verbindungen und viele
erfolgreiche Kontrakte über Frachtenbörsen stützen die positive-
re Einschätzung. Belegen lässt sich jedoch, dass internetbasierte
Fracht vom Schiff akquiriert aus heutiger Sicht noch nicht gängi-
ger Teil des Geschäftshandelns ist.
Im Übergang auf elektronische Geschäftsprozesse sind die
erweiterten Möglichkeiten und Grenzen nicht so definiert, dass
sie Handlungssicherheit gewährleisten. Im Abschlussbericht wird
konkretisiert, wie und mit welchen Mitteln sich Reedereien und
Genossenschaften gegen Initiativen von Partikulieren wenden,
unternehmerische Möglichkeiten des E-Business zu nutzen12.
Druckmittel waren Kündigungen bestehender Verträge, Benach-
teiligungen bei Aufträgen und Abmahnungen. Dabei ist zu be-
achten, dass in den Verträgen der Partikuliere oder Schiffspäch-
ter in der Regel eindeutige Vereinbarungen darüber enthalten
sind, dass sie nur für ihre Reedereien und Genossenschaften fah-
ren dürfen. Zugespitzt heißt das, dass Reedereien nicht mehr
8 Flussseitige Stationen des Informationsaustausches über Lichtsignale und mitMegaphon, um vorbeifahrenden Schiffen Nachrichten zu vermitteln.
9 Stimmen aus dem Kreis der Partikuliere vermuten, dass diese Situation verantwort-lich sei für die geringe unternehmerische Eigenständigkeit vieler Schiffseigner.
10 Was vordem Unternehmenseinheiten bildeten, wurde jetzt auch in unterschiedlicheUnternehmen getrennt.
11 In einem Angebot für Weiterbildungen von Partikulieren, von der Ruhrkohle AG unddem Bundesverband der Selbstständigen, Abt. Binnenschifffart, (BDS) in der EU ein-geworben, werden ansatzweise auch diese Möglichkeiten in die Schulungen einbe-zogen. Vgl. Duisport 1/2004, elogistics im Fluss, S. 32ff.
12 Die Konzeption eines erweiterten Handlungsrahmens, wie sie im Projekt mit den„virtuellen Arbeitsgemeinschaften“ (vArGe) angesetzt war und weiter entwickelt wur-de, stieß ebenfalls auf heftigen Widerstand etablierter Verbände und Unternehmen.Der an uns gerichtete Vorwurf, „das Vorhaben schade der Binnenschifffahrt“, führtesicher bei vielen Partikulieren auch zur Zurückhaltung in der Zusammenarbeit mit uns.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 79
80 Arbeit im E-Business ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT
eigene Schiffe bewirtschaften, sondern zu Speditionen wurden,
die vertraglich abhängige Schiffe befrachten und für sich fahren
lassen13. Obwohl sich die Eigentumsverhältnisse geändert haben,
bleiben die früheren Rechtsverhältnisse unter veränderten mate-
riellen Voraussetzungen bestehen. Sie blockieren so den unter-
nehmerischen Umgang mit den Schiffen. Vielleicht macht das
einen Teil des Vorsprungs der niederländischen Binnenschiff-
fahrt gegenüber der deutschen aus, deren Möglichkeiten weni-
ger eingeschränkt sind. Wie weit auch gestandene Reedereien
schon von veränderten Möglichkeiten ausgehen, zeigte sich bei
einem Workshop im Juni 200214. Einige Vertreter schlossen nicht
aus, die Ausstattung ihrer Schiffe mit vernetzten Rechnern auch
für erweiterte Aufgaben zuzulassen. Diese Willenserklärung15
zeigt heute schon Wirkung, da 41% der Nicht-Selbstständigen
über einen Internetzugang an Bord verfügen, den sogar 12% nach
eigenen Angaben zur Frachtakquisition nutzen16. Die Bewirt-
schaftung der Schiffe und der Zugang zu wichtigen Transportin-
formationen hat viele Partikuliere bewogen, Installationen inter-
netfähiger Computer Zuhause und/oder an Bord zu nutzen, wei-
tere Aufgaben zu erschließen. So erlangen z. B. Frachtenbörsen
zunehmend Aufmerksamkeit.17
4 Das Interesse, Innovationen zu lernen
In dem Projekt wurden Chancen des Einsatzes der elektronischen
Vernetzung für alle Aspekte der Geschäftsaktivitäten der Parti-
kuliere hinterfragt und herausgearbeitet, welche Bedingungen
förderlich sind und welche Barrieren einem Erfolg entgegenste-
hen. Hiermit sind in erster Linie nicht die materiell wirkenden
Hindernisse gemeint, wie sie in den Extremwettern (Einschrän-
kung der Schifffahrt durch extrem hohe Wasserstände und an-
haltendes Niedrigwasser) der Jahre 2002 und 2003 auftraten. Es
geht vielmehr um ungleiche Voraussetzungen, sich auf dem
Markt gegenüber anderen Transporteuren im Straßen- und Schie-
nengüterverkehr behaupten zu können. Diese gelten eher als
modern und sind für viele Speditionen praktikabler18 und „alte
Kunden“. Darüber hinaus wirken sich gegenüber den Wasser-
transporten die Umbrüche in den letzten 15 Jahren nachteilig
aus. Die reduzierten unternehmerischen Kompetenzen der Par-
tikuliere widersprechen den verbreiteten Vorstellungen, die mit
den elektronischen Medien verbunden werden. Ihre mangelnde
logistische Kompetenz zur Beteiligung an oder gar Entwicklung
von integrierten Transportketten mit LKW und Bahn, oft von Spe-
ditionen hervorgehoben, kann nur ein negatives Image bei denen
hervorrufen, die ihr Leistungsvermögen nicht kennen. Dieses Han-
dikap verstärkt so auch das Bild in der Öffentlichkeit, nach dem die
Schiffe eher als romantisch denn als modern gelten.19
Es zeichnet sich ab, dass gezielte Weiterbildung erforderlich
ist, um die Partikuliere und Schiffsführer mit den für sie neuen
Arbeitsstrukturen zu „synchronisieren“. Das Dialogregime unse-
res Projektansatzes wird von Praktikern auch als ,Lernprozesse
durch Wissenstransfer‘ bezeichnet. Die Besonderheit liegt in der
dialogischen Wissensakkumulation und den Formen der Anlei-
tung. Die Moderation vertritt den Prozess themenzentriert. Der
Lernprozess findet seine Grenzen im Modellcharakter, da er
gegenüber der Praxis oft distanziert bleibt. Dort, wo Geschäfte
verbindlich sind, haben Fehler reale Konsequenzen und sind
Ausgleiche zwischen den Beteiligten durch Konsens schwer zu
erreichen. Das Lernen im Hinblick auf die Praxis setzt aber gerade
dieses voraus. Die Debatte, die „technologische Modernisierung
über Weiterbildung zu motivieren“, krankt daran, diesen ele-
mentaren Unterschied in dem Praxiszusammenhang nicht ein-
bringen zu können. Als Unternehmer müssen sie die Lernerfah-
rungen an dem messen, was den Erfolg kennzeichnet20. Es reicht
nicht, durch die Beteiligung am Lernprozess motiviert zu werden,
in ihrer Praxis zählt der ausbleibende „Nutzen“ immer als Miss-
erfolg. Menschen im Arbeitsleben beziehen die Bewertungen des
eigenen Handelns aus den Erfolgen, die nicht nur möglich sein
dürfen, sondern auch eintreten. Unternehmer bangen um die
wirtschaftlichen Belange, Reedereibesatzungen in erster Linie
um den Erhalt ihrer Arbeit.
Die Frage bleibt offen, wie sich Erfolg im Umgang mit ver-
netzten Computersystemen so vermittelt, dass er glaubwürdig
ist, die Erfolgsbedingungen und Risiken transparent macht und
von Erfahrungen realer Situationen der Lernenden ausgeht. Dies
gilt besonders dann, wenn nicht nur der Markt und die kaufmän-
nischen Erfahrungen Unsicherheit vermitteln, sondern die finan-
ziellen Erfolge der Arbeit sich immer um das Existenzniveau be-
wegen. Entscheidend ist, dass sich die Erfolgsbeurteilung der
Lernprozesse in faktischen Ergebnissen angestrebter Ziele be-
weist. In diesem Falle geht es um den Erhalt teils traditionsrei-
cher, teils aufgedrängter wirtschaftlicher Selbstständigkeiten.
Für sie sind insbesondere die Investitionen des Schiffes und der
ausreichende Lebensunterhalt das Maß, an dem sich Neues und
die darauf bezogene Weiterbildung messen muss.
Die Quintessenz der Ergebnisse über den Prozess der techno-
logischen Modernisierung deuten mit Entschiedenheit darauf
hin, dass gerade die Unternehmensstruktur der Binnenschiff-
fahrt, auf der Basis ihrer Einheit Schiff und Betrieb den Wasser-
transportmarkt innovativ beflügeln wird. Das aber setzt generelle
gleiche Nutzungsmöglichkeiten voraus. Den Wettbewerb wei-
testgehend zu sichern ist eine Voraussetzung, wenn die Unter-
19 Eine Werbekampagne der zwei Verbände (BDB und BDS), finanziert aus dem 100Millionen Etat, ruft eindeutig diesen Eindruck hervor.
20 Ein Beispiel bildete der Vorschlag, Lernsituationen zu schaffen, in denen Erfahrun-gen, also Erfolge und Enttäuschungen unmittelbar vor Ort, zwischen Schiffern mitpositiven Erlebnissen zu solchen, die eher Laien sind, vermitteln. Der Vorschlagwurde auf einer MV in der Diskussion über das Konzept einer Weiterbildung vorge-tragen und von den Referenten entschieden abgelehnt.
13 Es gibt unterschiedlich ausgewiesene Abhängigkeiten. Den geringsten Spielraum sollendie Schiffer haben, die im ‚Leasingvertrag’ fahren und meist auch, wie bei manchenEigentümern anzutreffen, keine eigenen Rechnungen an die Reedereien stellen.
14 In der letzten repräsentativen Telefonbefragung des Projektes ermittelt wurde dieseEntwicklung bestätigt. Dort antworteten, nach den Unternehmensformen geglie-dert, auf die Frage nach der Frachtakquisition im Internet zustimmend:24% derSelbstständigen, 10% der Selbständigen, die für eine Reederei fahren, 7% der Selbst-ständigen, die für eine Genossenschaften fahren und 12% der Nicht-Selbstständigenmit.
15 Der Vertreter einer großen deutschen Reederei äußerte sich entsprechend auf einemProjektworkshop in Duisburg 2003.
16 „last update – Ergebnisse einer Telefonumfrage 2003“ (Abschlussbericht), S. 5 f.17 z. B. www.bargelink.com18 Der Vertreter eines aktiven Spediteurs auf einer Tagung in Münster 2003 argumen-
tierte: „Natürlich würden wir auch gerne mit der Binnenschifffahrt arbeiten, aber esist doch so, wo die Fracht ist, gibt es meistens kein Wasser“.
E-Business_lup 18.11.2004 11:43 Uhr Seite 80
81ARBEITSORIENTIERTE E-BUSINESS-ANWENDUNGEN IN DER LOGISTIKWIRTSCHAFT Arbeit im E-Business
nehmen über Markttransparenz, Arbeitsgemeinschaften für Leis-
tungskombinationen, Mengenverträge untereinander, Kreativität
und spontane Nutzung kurzfristiger Entscheidungen vor Ort den
Weg des Erfolges betreten. Nicht die Unternehmensgröße, noch
überholte Vertragsmacht können einen Aufschwung bewirken, nur
der Auf- und Ausbau elektronischer Geschäftsprozesse wird wirken.
Die Einschränkungen der kleinen selbstständigen Unternehmen
aufheben, das sollte die erste Aufgabe ihrer Verbände sein.
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Balle, A./ Buer, A./ Danckwerts, D./ Kölsch, J.: Logistiker ins Steuerhaus? – Argumente für neue Kompetenzen in der Binnenschifffahrt, in:
Schifffahrt und Technik, Magazin für Schifffahrt, Bahn, Häfen und Logistik , Nr. 4, St. Augustin 2002
Balle, A.: Damit `s nicht untergeht... Öffentlichkeitsarbeit und Binnenschifffahrt, in: Schifffahrt und Technik, Nr. 6, St. Augustin 2002
Buer, A.: Surfen an Bord. Neue Aspekte zum Arbeitsschutz in der Binnenschifffahrt, in: Schifffahrt und Technik, Nr. 3, St. Augustin 2003
Danckwerts, D.: Kombinierte Verkehre in der Binnenschifffahrt - ein Dilemma ohne Ende? , in: Riedel, E.: Binnen- und Seehäfen in
Deutschland, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, Beiheft 28, Baden-Baden 2001
Kölsch, J.: Ins Netz gegangen... Auswirkungen elektronischer Netze auf Binnenschiffstransporte, in: Schifffahrt und Technik, Nr. 3, St.
Augustin 2002
Kostowski, I./ Leisten, R.: Auswirkungen des E-Business auf die Binnenschifffahrt, in: Schifffahrt und Technik, Nr. 8, St. Augustin 2001
Virtuelle Allianzen für die Binnenschifffahrt im Internet, in: Flaschenpost, Nr.3, Würzburg 2002
Weitere Informationen
„Auswirkungen der elektronischen Vernetzung auf die
Geschäftsbeziehungen der Binnenwassertransporte“
Förderkennzeichen: 01HT0105
www.ebusi-net.de
Ansprechpartner des Projekts:
Prof. Dr. Dankwart Danckwerts
Universität Duisburg-Essen / Forschungsgruppe GTS/L
Lotharstraße 65
47057 Duisburg
Tel.: 0203 3793399
E-Mail: info@ebusi-net.de
Ansprechpartner beim Projektträger:
Klaus Wegner
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E-Mail: klaus.wegner@dlr.de
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