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Chemische Kampfstoffe
Gefahren erkennen,
medizinische Versorgung
einleiten
Dr. med. Andreas Rickauer
Terror ist „in aller Munde“
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 2
Das gesamte Heft
enthält keinen einzigen
Verweis auf chemische
Kampfstoffe!
ABC-/CRNB-Gefahren aus terroristischer Sicht
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 3
A (RN) B C
Verfügbarkeit -- -/+ +
Umgang sehr schwierig schwierig mäßig schwierig
Sofortwirkung nur bei
Explosion
keine i.d.R. drastisch
Spätwirkung Strahlenschäden Erkrankung verschieden
Schutz schwierig einfach rel. einfach
Therapie kaum möglich unterschiedlich unterschiedlich
Historisches
• erster bekannter Einsatz von Reizgas
durch französische Truppen 09/1914
• erster Einsatz toxischer Stoffe (Chlor)
04/1915 bei Ypern durch deutsche Truppen
• starke psychologische Wirkung,
Verringerung der Kampfmoral
• Einsatz in großem Umfang im Ersten
Weltkrieg
• Genfer Protokoll 1925, seitdem
Bedeutungsverlust
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 4
Aktuelle Situation
• Chemiewaffenkonvention 1992: bis 2012 sollen alle Bestände
unter internationaler Aufsicht vernichtet werden
• viele chemische Kampfstoffe sind sehr leicht aus überall
verfügbaren Grundstoffen herzustellen
• häufig reichen geringe Mengen, um
eine große Zahl von Menschen
zu schädigen
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 5
mögliche Szenarien: militärisch und terroristisch
• bei Kampfhandlungen grundsätzlich möglich, da Bestände
verfügbar bzw. einfach herzustellen: Golfkrieg, Syrien, …
• für Terroranschläge „gut geeignet“: relativ leicht verfügbar,
Sofortwirkung, ausgeprägte psychologische Wirkung (Sarin in
Tokio 1995)
• Ausbringung z.B. über Lüftungsanlagen
(Flughafen, Bahnhöfe), Sprengkörper,
Druckgasflaschen, …
• Chlor und N-Lost sind bekanntermaßen
im Besitz des IS
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 6
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 7
taktische Forderungen an einen Kampfstoff (KS):
Hohe Toxizität: unmittelbare Tötung oder Schädigung des Gegners
Vielseitige toxische Wirkung: KS soll an verschiedenen Organen wirksam
werden, Vergiftung soll kombiniert und komplex sein
Kurze, heimtückische Wirkung: reiz- und symptomlose Vergiftungsperiode
Sinnlich nicht wahrnehmbar: farb- und geruchlos
Maximale Wirkungsdauer: gute physikalisch-chemische und
toxische Eigenschaften
Kontrollierbare und vorausberechenbare Ausbreitung in der Atmosphäre
Flüchtigkeit: je nach taktischem Ziel schnell oder wenig flüchtig
Sesshaftigkeit: je nach taktischem Ziel schnell oder wenig sesshaft
Gutes Durchdringungsvermögen: Materialien, Bekleidung, Haut,
Schutzausrüstung
Undetektierbarkeit: durch analytische Nachweisgeräte
aus: Franke, Militärchemie, Bd. 1, Berlin, 1967
Übersicht über Substanzklassen
• Reizstoffe mit Wirkung v.a. auf Augen
und Atemwege
• toxische Stoffe: übliche Einteilung nach
Zielorgan (Lungen-, Blut-, Haut-,
Nerven-, Psychokampfstoffe)
• historische Einteilung (WK I): Blaukreuz,
Grünkreuz, Weißkreuz, … - „Buntschießen“
• relativ neu: Narkotika (Moskau 2002)
• Einsatzszenarien flüchtig oder sesshaft
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 8
relativ einfach: Reizstoffe
• leicht erkennbar: Reizung von Haut, Augen, Atemwegen
• tödliche Verätzungen möglich, z.B. durch Flusssäure, Phenol:
gründliche Dekontamination
• Dekontamination mit Wasser ist immer richtig! (möglichst
Trinkwasserqualität)
• Leitlinie zu Spülflüssigkeiten:
https://www.bgrci.de/fachwissen-portal/
themenspektrum/erste-hilfe/
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 9
relativ einfach: Narkotika
• bislang nur ein bekanntes Szenario (Dubrowka-Theater in
Moskau, 2002), Kombination eines Opioids mit einem
Inhalationsanästhetikum, ca. 130 Todesopfer
• typische Wirkungen: Bewusstlosigkeit, später Atem- und
Kreislaufdepression
• Eigenschutz! Bei unklarer Situation am besten
umluftunabhängiger Atemschutz!
• Therapie: stabile Seitenlage unter Atem- und
Kreislaufkontrolle, ggf. Beatmung mittels
Beatmungsbeutel, Kreislaufunterstützung durch
Lagerung und Infusion
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 10
komplizierter: toxische Stoffe
• unterschiedliche Wirkmechanismen
• unterschiedliche Angriffspunkte
• wirksame Therapie erfordert möglichst exakte Stoffidentifikation –
ähnliche Situation wie bei Gefahrstoffunfall
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 11
Gefahren erkennen: Hinweise und Warnsymptome
• sichtbare Gaswolken
• ungewöhnlicher Geruch
• auffällige Symptome, insbesondere bei mehreren Personen:
• Atemnot
• Bewusstlosigkeit
• Speichel-, Tränenfluss
• Krämpfe, Krampfanfälle
• Hautausschläge, Verätzungen
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 12
Stoffidentifikation
Gezielte Therapie nur möglich, wenn Stoff bekannt
• durch Einsatzkräfte (üblicherweise Feuerwehr) vor Ort:
Indikatorpapier, Prüfröhrchen
• Rückmeldung an einsatzführende Stelle mit
möglichst genauer Situationsbeschreibung
(Symptome, Ausbreitung, wahrnehmbarer
Geruch, sichtbare Wolken, …)
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 13
Beispiel: Chlorgas (Lungenkampfstoff)
• starke Reizwirkung auf Augen, Schleimhäute, Atemwege
• Tod durch Ersticken bei hohen Konzentrationen (ähnlich
Asthmaanfall)
• Tod durch Lungenödem nach Latenzzeit ebenfalls
möglich
• Intensivtherapie erforderlich
typische Farbe, Prüfröhrchen zur Detektion
stehen zur Verfügung
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 14
Beispiel: N-Lost (Hautkampfstoff)
• Latenzzeit Stunden bis Tage möglich
• Entzündung der Augen, Schluckbeschwerden, Brustschmerzen,
Atemnot
• Erbrechen, Durchfall
• Blasenbildung auf der Haut (wie Verbrennung)
• Intensivtherapie notwendig, kein direktes
Antidot verfügbar
Prüfröhrchen zur Detektion stehen
zur Verfügung
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 15
Beispiel: VX (Nervenkampstoff)
• stammt aus dem Bereich Pflanzenschutzmittel
• Aufnahme über Haut und Atemwege möglich
• typisches Bild (cholinerges Syndrom):
Kopfschmerzen, Atemnot, starke Sekretion (Tränen, Schweiß,
Speichel), Krämpfe der Muskulatur, Bewusstseinstrübung
• Antidot vorhanden: Atropin und
Obidoximchlorid, möglichst schnelle Gabe
Prüfröhrchen zur Detektion stehen
zur Verfügung
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 16
Dekontamination, Therapie
• wichtig ist die schnelle Dekontamination, das
Dekontaminationsmittel ist sekundär!
• z.B. Wasser, Dekontaminationspulver, …
• ist der Stoff bekannt, können spezielle
Dekontaminationslösungen eingesetzt werden
• Antidottherapie setzt Kenntnis des
verwendeten Kampstoffes voraus
• wichtig: Begleitverletzungen nicht vergessen –
standardisiertes Traumamanagement
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 17
Fazit für Einsatzkräfte
• auf Warnsignale achten, v.a. mehrere Personen mit ähnlichen
Symptomen, ungewöhnlicher Geruch, sichtbare Gaswolken
• Eigenschutz beachten! Ohne Schutzausrüstung Rückzug!
• Stoffidentifikation ist entscheidend für die Therapie – Identifikation
mit eigenen Mitteln (wenn möglich), exakte Rückmeldung an
Einsatzführung
• weitere Ausbreitung verhindern, wenn möglich
• entscheidende Erste Hilfe: schnelle
Dekontamination
30.11.2017Chemische Kampfstoffe, Dr. Andreas Rickauer Seite 18
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