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Donnerstag, 23. Dezember 2010 Kölner Stadt-Anzeiger 07POLITISCHES BUCH

Ein JahrhundertmenschBIOGRAFIE Der Journalist Joachim Käppner schildert eindruckvoll das Leben des Unternehmers Berthold Beitz

VON HARALD LOCH

Ein Leben wie das des 97- jähri-gen Berthold Beitz ist reich anSchlüsselszenen. Sein BiografJoachim Käppner stellt sie in derLebenserzählung dieser deut-schen Jahrhundertgestalt gebüh-rend heraus. Es entsteht das Por-trät eines Mannes, der zum Vor-bild taugt, gerade weil so wenigExemplarisches ihn auszeichnet.Ein Land, das eine solche Aus-nahmeerscheinung zur Regelmachen könnte, wäre glücklichund sollte im Wettbewerb mitAnstand bestehen.

Von den vielen Weichenstel-lungen im Leben des in Vorpom-mern Geborenen ist der Vor-abend seines 39. Geburtstages imSeptember 1952 die unspektaku-lärste: Er hatte als junger Chef derIduna Versicherung ins Hambur-ger Hotel „Vier Jahreszeiten“ ge-laden. Spät stößt Alfried Kruppzu der Runde. Über den Bildhau-er Jean Sprenger haben sich Beitzund Krupp bereits kennenge-lernt. Der bittet den jungen Versi-cherungsmann nach draußen aufdie Straße und bietet ihm an, seinGeneralbevollmächtigter in Es-sen zu werden. Als Beitz zögert,legt Krupp nach: „Sie könnenhandeln wie ein Eigentümer undmachen, was Sie wollen!“ PerHandschlag wird das im Regenbesiegelt.

Bis zu diesem Zeitpunkt wardas Leben des Berthold Beitzschon ungewöhnlich genug ver-laufen – aber es hatte keine öf-fentliche Dimension. Er war einmäßiger Schüler, konnte nachdem Abitur nicht studieren son-dern absolvierte in Stralsund eineBanklehre, vertrat im Krieg eindeutsches Ölunternehmen im be-setzten Polen und bewies dort

unter ständiger Gefahr für das ei-gene Leben, dass er Freiheit nichtnur für sich selbst, sondern vor al-lem für Menschen einforderte,denen ein verbrecherisches Re-gime sie nehmen wollte: Er tratmutig der SS entgegen und rettetezahlreichen Polen und Juden dasLeben. Später hängte er dieses für

ihn wohl selbstverständlicheVerhalten nie sehr hoch, sprachöffentlich kaum über diese Vor-gänge, wurde in in der israelischeHolocaust-Gedenkstätte Jad Va-shem dafür geehrt. Er setzte die-ses stille Kapital nach dem Kriegfür den Wiederaufbau der Versi-cherungswirtschaft in Hamburg

und vor allem für die als Waffen-schmiede für alle deutschen Ag-gressionsregimes schwer belas-tete Firma Krupp ein. AlfriedKrupp war in Nürnberg wegender Ausbeutung Tausender vonZwangsarbeitern zu einer langenZuchthausstrafe verurteilt wor-den. Er wurde zwar vorzeitig

begnadigt, durfte aber zeitlebensnicht in die USA einreisen. Sei-nem Unternehmen war der Ver-kauf der Kohle- und Stahlbasisauferlegt worden. Lediglich dieVerarbeitung fremder Roh- undHalbfertigerzeugnisse solltenach dem Willen der Alliiertenmit seinem Namen verbundenbleiben. Er selbst hatte nach sei-ner Haftentlassung geschworen:keine Waffen mehr von Krupp!

In dieses traditionsreiche, ruß-geschwärzte und von selbstbe-wussten Direktoren gemanagteUnternehmen trat also BertholdBeitz im Jahre 1953 als General-bevollmächtigter ein, als Vorge-setzter von allen. Er hatte keineAhnung von Stahl, war kein Inge-nieur, trug elegante Anzüge und –vielleicht war das das Schlimms-te – hatte ein Herz für die Arbei-ter, er musste sich an der Spitzedes Unternehmens regelrechtdurchbeißen. Bald kamen alsweitere Todsünden hinzu, dass ermitten im Kalten Krieg mit Polenund der Sowjetunion Geschäfteabschloss und ganz gegen denrestaurativen Comment der jun-gen Bundesrepublik eine früheund freiwillige Entschädigungfür die jüdischen Zwangsarbeiterbei Krupp durchsetzte. Adenauermisstraute ihm gründlich, mitdem Bundesverband der deut-schen Industrie hatte er nichts imSinn, aber er zog den Riesenkar-ren Krupp aus dem Dreck derVergangenheit und verschafftedem Namen einen neuen, nichtmehr mit Kanonen verbundenenKlang. Als „Krupps Mörser“(„Spiegel“ im Jahre 1959) zer-trümmerte er die alten Vorurteile,konnte trickreich die Auflage insLeere laufen lassen, die Unter-nehmensteile Kohle und Stahl zuverkaufen, und führte das Unter-

nehmen zu neuer Blüte. Seiner Loyalität zu Alfried

Krupp entsprach dessen „pleinpouvoir“ für seinen Generalbe-vollmächtigten, zwei Vorausset-zungen für diesen Erfolg. Joa-chim Käppner, Jahrgang 1961 istRessortleiter der „Süddeut-schen“. Er stützt seine große Bio-grafie auf die verlässlichste Quel-le für das Leben eines Menschen:er hat mit dem eher interview-scheuen Berthold Beitz lange undoft gesprochen, hat etwas vondessen Empfindungen mitge-nommen, kann Haltung und Be-weggründe aus eigener Anschau-ung beurteilen und wiedergeben.

Natürlich macht er nicht aufdem Höhepunkt der Entwicklungder Firma Krupp halt. Der stu-dierte Historiker erzählt analy-tisch von der krisenhaften Ent-wicklung der deutschen Stahlin-dustrie, die zur Schließung desTraditionswerks in Rheinhausenführte, von der Verschmelzungzweier Konkurrenten zu Thys-sen-Krupp, von dem von Beitzausgearbeiteten Stiftungsmodellund dem weiterhin segensreichenund eigenwilligen Leben desJahrhundertmenschen Beitz,„der die Freiheit des Handelnsmit Mut und Verantwortungnutzt“ und an dem er eindrucks-voll und spannend zu lesendemonstriert: „Einzelne Men-schen können die Welt verän-dern. Jedenfalls ein Stück weit“.

Joachim Käp-pner: „Bert-hold Beitz –Die Biogra-phie“. Berlin,622 Seiten,36 Euro.

Berthold Beitz, Vorsitzender der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung auf einer Aufnahme aus demJahr 2003 BILD: DPA

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PottröschenDie Aufgabe: Ein Ereignis des Kulturhauptstadtjahres Ruhr2010 beschreiben. Autoren waren 24 Studierende, die Bertramvon Hobe, Lehrbeauftragter am Institut für Journalismus undPublic Relations der Fachhochschule Gelsenkirchen aus seinerSchreibwerkstatt rekrutierte. Mit Hilfe der beiden Mitherausge-ber Michael Braun, freier Journalist, Autor und Verleger, sowieWilm Herlyn, langjähriger Chefredakteur der Deutschen Pres-se-Agentur, entstand das Buch mit 39 Beiträgen. Der Karikatu-rist Thomas Plaßmann („Frankfurter Rundschau“, „BerlinerZeitung“) zeichnete unter anderem, hier im Bild zu sehen, „Pott-röschen“, dessen Geschichte „sehr frei nach den BrüdernGrimm“ erzählt wird.

Bertram von Hobe u.a. (Hrsg): „RUHR.2010.danach. EuropäischeKulturhauptstadt“, ISB-Verlag, 134 Seiten, 12,80 Euro.

RUHR 2010Wer gibt, wird glücklichGESELLSCHAFT Der Philosoph Stefan Klein über Egoisten und Altruisten

VON ARMIN PFAHL-TRAUGHBER

Nach der Auffassung vom Homooeconomicus interessiert sich derMensch bei seinen sozialenHandlungen in erster Linie fürden dabei zu erlangenden persön-lichen Gewinn. Diese Einstel-lung hat großen Anteil sowohl fürdas Denken im Alltag wie imWirtschaftsteil der Zeitungen.Auch in der Diskussion über Mo-ral und in den Kontroversen überPolitik kann man diese Grundpo-sition immer wieder ausmachen.

Handelt es sich aber bei demdamit angesprochene Egoismustatsächlich um die dominierendeEinstellung? Und: Bringt ein sol-ches Denken sowohl die Einzel-nen wie die Gesellschaft voran?Diese Fragen beantwortet derPhilosoph und Physiker StefanKlein mit „Nein“.

In seinem Buch „Der Sinn desGebens. Warum Selbstlosigkeitin der Evolution siegt und wir mitEgoismus nicht weiterkommen"nimmt er eine gegenteilige Posi-tion ein. Dabei stützt sich KleinsArgumentation auf empirischeFakten der Forschung und nichtauf realitätsferne Ideale von Uto-pien. Zu seinen Belegen gehörenBeispiele selbstlosen Handelnsim Alltagsleben, Beobachtungenüber das Verhalten in der Tier-welt, Erkenntnisse zur Evolutiondes Menschen, Experimente ausder psychologischen Forschung,Moralvorstellungen in unter-schiedlichen Kulturen. „Einezentrale Erkenntnis dabei ist“, so

Klein, „dass Egoisten nur kurz-fristig besser abschneiden, auflange Sicht aber meist Menschenweiterkommen, die sich auch fürdas Wohl anderer einsetzen“.

Der erste Teil des Buches ver-anschaulicht demnach, dass sichKooperation und Selbstlosigkeitlangfristig lohnen sowie Empa-thie und Vertrauen dabei beson-ders bedeutsam sind. Im zweitenTeil fragt Klein nach den Grün-den für die Herausbildung der da-mit zusammenhängenden Fähig-keiten, wobei hier die Geschichteder Evolution im Zentrum derBetrachtung steht. Dabei geht esauch um das besondere Problemeiner Grenze für Selbstlosigkeitnur in der Eigengruppe. Bilanzie-rend betrachtet heißt es: „Zahllo-se Untersuchungen und nochmehr Lebensgeschichten habendie Hoffnung widerlegt, dassmehr Geld und mehr FreizeitMenschen auf Dauer glücklichermachen. Umgekehrt bestätigenviele Ergebnisse ... : Wer freiwil-lig etwas für andere tut, ver-schafft sich nicht nur für den Mo-ment gute Gefühle, er steigertauch langfristig seine Lebenszu-friedenheit“.

Demnach stellten Altruismusund Egoismus keine unvereinba-ren Gegenpole dar, und ein dua-listisches Denken in diesen Di-mensionen müsse überwundenwerden. Weiter bemerkt Klein:„Unsere Beziehungen wirkenwie ein Resonanzkörper – alles,was wir tun, wird in ihnen ver-stärkt. Wohlwollen bringt neue

Akte des Wohlwollens hervor;das Vertrauen zwischen denMenschen nimmt zu. ... DieAngst, ausgenutzt zu werden,verschwindet mit der Zeit, undmit dem Mut zu geben wächsteine Empfindung der Freiheit.Am Anfang einer Reise stehtNeugier. ... Denn Selbstlosigkeitmacht uns glücklich und verän-dert die Welt“.

Dieser letzte Satz klingt wieder idealistische, aber wirklich-keitsfremde Traum von einerbesseren Welt. Für die damit ein-hergehende Grundauffassunglässt sich aber eine Reihe ein-drucksvoller Belege aus so unter-schiedlichen Bereichen wie derGenetik, Hirnforschung, Sozial-psychologie oder Wirtschafts-wissenschaft vorbringen. Kleingelingt es, diesen Stand der For-schung anschaulich und span-nend zu beschreiben. Hier und dahätte man sich dabei eine etwasklarere Strukturierung und syste-matischere Zuspitzung ge-wünscht. Gleichwohl geht durchdiese Darstellungsform nichtsvom intellektuellen Reiz der Be-schreibung von Einzelbeispielenund Forschungsergebnissen verloren.

Stefan Klein:„Der Sinn desGebens“. S. Fi-scher, 335 Sei-ten, 18,95Euro.

SOZIALSTAAT

Wohlstand fürviele istkeine UtopieAn Ludwig Erhards bekannteMaxime „Wohlstand für alle“ er-innert man sich heute kaum noch.Die Auffassung, es sei eine„gleichere“ Einkommen-, Güter-und Wohlstandsverteilung mög-lich, gilt gar als idealistisch undwirklichkeitsfremd. Demgegen-über veranschaulicht der Blick inden hohen Norden: „Wohlstandfür viele“ ist keine Utopie,„Wohlstand für viele“ kannWirklichkeit sein.

Der Betriebswirt Andreas Op-pacher vergleicht in seinem Buch„Deutschland und das Skandina-vische Modell. Der Sozialstaatals Wohlstandsmotor“ die sozia-le und wirtschaftliche Entwick-lung in Deutschland mit der inden skandinavischen LändernDänemark, Finnland und Schwe-den. Er macht dabei anhand vonumfangreichem statistischemMaterial überzeugend deutlich,dass eine relativ gleichmäßigeEinkommensverteilung in einemaktiven Sozialstaat sehr wohl mithohem Lebensstandard und sta-bilem Wirtschaftswachstum ein-hergehen kann. (ptr)

Andreas Op-pacher:„Deutschlandund das Skan-dinavischeModell“. Pahl-Rugenstein,14,90 Euro.

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