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EinführungsvortragEntwicklungspolitische Kohärenz
Elemente eines kohärenten Handels- und Finanzsystems
Berliner LandesarbeitsgemeinschaftUmwelt und Entwicklung (BLUE 21)http://www.blue21.de/blue21@blue21.de
Dieser Vortrag steht zur nicht-komerziellen Verwendung in der Informations- und Bildungsarbeit kostenlos zur Verfügung.Seine Erarbeitung wurde gefördert von InWEnt gGmbH aus Mitteln des BMZ und von der Stiftung Umverteilen.
0. Gliederung der Folien
1. Was ist entwicklungspolitische Kohärenz? Die Kohärenzdebatte in den Institutionen und Beispiele von Inkohärenz
2. Anforderungen an ein kohärentes Handels- und Finanzsystem – Wie könnte es aussehen?
3. Resümee und Ausblick
4. „Steinbruch“: Weitere Folien zur spezifischen Anpassung des Vortrags
1.1 Was ist Kohärenz?
„Kohärenz bedeutet zunächst einander widersprechende Maßnahmen zu vermeiden. Darüber hinaus erfordert sie, aktiv und ressortübergreifend auf gemeinsame Politikziele hinzuarbeiten.“ (BMZ)
Negativ bestimmt über Abwesenheit von Widersprüchlichkeit („Inkohärenz“)
Positiv bestimmt über Zusammenwirken verschiedener Themen- und Handlungsfelder
1.2 Was ist entwicklungspolitische Kohärenz?A: Nationale
Ebene B: Europäische
Ebene C: Globale
Ebene
1. Politikfeld
Entwicklung
Entwicklungspoliti-sche (epol.)
Kohärenz der deutschen epol. Programme und
Institutionen
Epol. Kohärenz der epol. Programme und Institutionen
der EU-Mitgliedsländer und der EU-Institutionen
Epol. Kohärenz der
Entwicklungs-politik der
Nationalstaaten und der
internationalen Institutionen
2. Zusammen-wirken aller Politikfelder
Epol. Kohärenz der deutschen Außen-,
Wirtschafts-, Finanz-,
Sicherheits-, Migrationspolitik
etc.
Epol. Kohärenz der europäischen
Außen-, Wirtschafts-,
Finanz-, Sicherheits-,
Migrationspolitik etc.
Epol. Kohärenz sämtlicher nationalen
Politiken und internationalen Organisationen
1.3 Kohärenz-Debatte in den Institutionen
Deutschland: Entwicklungspolitische Kohärenz als zentrale Voraussetzung zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele. Instrumente dazu:
„ ... entwicklungspolitische Prüfung aller neuen Gesetze, die Mitgliedschaft des BMZ im Bundessicherheitsrat und regelmäßige Kohärenzgespräche des BMZ mit anderen Ministerien“ (BMZ)
EU: Seit Vertrag von Maastricht gilt ein Gebot
entwicklungspolitischer Kohärenz „bei den von ihr verfolgten Politiken, welche die Entwicklungsländer berühren können“. (Art. 178 EU-Vertrag)
1.4 Kohärenz-Debatte in den Institutionen
Globale Ebene:„Zur Verwirklichung der international vereinbarten Entwicklungsziele, namentlich der in der Millenniums-Erklärung enthaltenen Ziele, bedarf es einer neuen Partnerschaft zwischen den entwickelten Ländern und den Entwicklungsländern. [...] Wir verpflichten uns [...] zur Förderung der Kohärenz und Stimmigkeit des internationalen Währungs-, Finanz- und Handelssystems.“
Der Konsens von Monterrey
1.5 Inkohärenz, z.B. Zolleskalation
Zolleskalation – Zölle steigen mit dem Grad der Verarbeitung, Beispiel: Import von Kakao
• Rohkakao zollfrei• Kakaobutter (1. Verarbeitungsstufe): 9% Zoll• Kakaomasse (2. Verarbeitungsstufe): 21%90 Prozent des Rohkakaos kommen aus
Entwicklungsländern, aber nur 4 Prozent der globalen Schokoladenerzeugung findet dort statt.
Dasselbe Prinzip bei Baumwolle, Kaffee und vielen anderen Produkten der Entwicklungsländer.
1.6 Inkohärenz, z.B. Export-Dumping
EU-Agrarpolitik:• Verkauf von landwirtschaftlichen Überschüssen aus der EU
mittels Subventionen auf dem Weltmarkt• Dadurch Druck auf Landwirtschaftspreise nach unten mit
entsprechenden Folgen für Bäuerinnen und Bauern in Entwicklungsländern, die oft E
EU-Entwicklungspolitik:• Unterstützung z.B. namibischer Rindfleisch-Farmer, Ziel: Export
des Rindfleischs nach Südafrika Gleichzeitig wird Südafrika mit hochsubventioniertem EU-
Rindfleisch überschüttet. Die namibischen Rindfleischbauern bleiben auf ihrem Vieh
sitzen.
1.7 Inkohärenz verhindert Entwicklung
„Die Zolleskalation konterkariert alle Entwicklungsanstrengungen."
Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul
Inkohärenz ist letztlich Ausdruck von Zielkonflikten (z.B. zwischen den Interessen inländischer und ausländischer Produzenten, Unternehmen etc.)
Entwicklungspolitische Kohärenz kann nur gelingen, wenn Entwicklung im Zweifelsfall das übergeordnete Ziel ist und die Außenwirtschafts-, Agrar-, Rüstungs-, Finanzpolitik etc. dem untergeordnet werden. Heute ist leider eher das Gegenteil der Fall.
1.8 Entwicklungspolitische Kohärenzmuss inhaltlich gefüllt werden
Kohärenzbegriff bisher nur methodisch definiert, nicht inhaltlich qualifiziert.
Statt Zielkonflikte zu benennen, wird die bisherige Praxis kurzerhand für kohärent erklärtz.B. Liberalisierungswünsche der EU an
Entwicklungsländer wider die Ergebnisse der „Trade Sustainability Impact Assessments“ der EU
z.B. Leitbild Freihandel als Beitrag zu Kohärenz im Integrated Framework und bei Aid for Trade.
Was aber ist förderlich für Entwicklung?
2.1 Anforderungen an entwicklungs- politische Kohärenz
Überfällige inhaltliche Qualifizierung:Entwicklungspolitische kohärent ist eine Politik,• die den Entwicklungsländern die Wahl ihrer
Entwicklungsstrategie überlässt,• die die Spielräume nationaler Politik erhöht,• die ein weltwirtschaftlich stabiles Klima erzeugt,• bei der die wirtschaftlich starken Länder den
schwächeren die Chance zum Aufholen geben.
2.2 Was muss ein kohärentes Handels-
und Finanzsystem leisten?• Überwindung der alten und Vorbeugung vor neuer
Überschuldung• Stabile Wechselkurse, die die ökonomischen
Fundamentaldaten zum Ausdruck bringen• Herstellung weltweiter Handelsbilanzgleichgewichte• Bereitstellung der notwendigen Mittel zur
Entwicklungsfinanzierung• Durchsetzung demokratisch legitimierter
Entscheidungen gegenüber mächtigen Unternehmen und Konzernen
2.3 Vorbild: Keynes Clearing Union
Zentrale Elemente:1. Stärkung inländischer Politikspielräume2. Internationales Festkurssystem3. Neue national unabhängige Weltwährung4. Begrenzung weltwirtschaftlicher Ungleichgewichte
2.4 Internationale Clearing Union II
Vorgeschichte:• Internationales Finanzsystem seit Zusammenbruch
des Goldstandards 1914 nur sehr eingeschränkt funktionsfähig, Zwischenkriegszeit finanziell sehr instabil inkl. Weltwirtschaftskrise
• Internationales Handelssystem durch Zweiten Weltkrieg zusammengebrochen
• 1940: Britische Regierung beauftragt John Maynard Keynes mit der Entwicklung eines Modells für die Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg
• 1941: Keynes schlägt eine Internationale Clearing Union (ICU) vor
2.5 Clearing Union III: Politikspielräume
Lehren aus der Weltwirtschaftskrise:• Nationale Finanz- und Bankensysteme sind von
zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung.
• Sie müssen streng reguliert, aber notfalls auch vom Staat vor Zusammenbruch bewahrt werden.
• Der Staat soll Konjunktur- und Systemkrisen durch wirtschaftspolitische Maßnahmen aktiv entgegenwirken, braucht dafür aber unter anderem geld- und fiskalpolitische Spielräume
2.6 Clearing Union IV: Feste Wechselkurse und Weltwährung• Alle Länder wickeln ihre außenwirtschaftlichen
Beziehungen über die ICU ab• Jedes Land erhält dort ein Verrechnungskonto, über
das internationale Zahlungsflüsse erfasst werden• Zahlungen werden in einer neu geschaffenen
Weltwährung Bancor abgewickelt• Der Wechselkurs jeder nationalen Währung wird in
einem festen Verhältnis zum Bancor festgelegt• Dieser Wechselkurs muss regelmäßig an
wirtschaftliche Veränderungen angepasst werden
2.7 ICU V: LeistungsbilanzausgleichDie Überschüsse der einen Länder sind notwendigerweise die
Defizite der anderen LänderGefordert ist ein symmetrisches System des
Leistungsbilanzausgleichs hin zum GleichgewichtGebraucht werden Sanktionen für Überschuss- UND Defizitländer
–Besteuerung von Defiziten UND Überschüssen auf den ICU-Konten
–Sanktionen gestaffelt je nach Grad der Abweichung vom Gleichgewicht: Wechselkurs-anpassungen, expansive oder restriktive Fiskal- und Geldpolitik
–Streichung von Überschüssen bei mehr als 100% der Quote
2.8 Leistungsbilanzen heuteAnteile an Entwicklungsländern mit positiven und
negativen Leistungsbilanzen
0%
20%
40%
60%
80%
100%
negative LB
positive LB
Quelle: IMF Direction of Trade Statistics 2007
2.9 Leistungsbilanzen heute IIAußenhandel der Bundesrepublik Deutschland
1950 - 2006 (in Mrd. Euro)
-100
0
100
200
300
400
500
600
700
800
900
1950 1960 1970 1980 1990 2000
Ausfuhr
Einfuhr
Saldo
Quelle: Statistisches Bundesamt 2007
2.10 Folgen der Ungleichgewichte
• Länder mit Überschüssen werden Gläubiger, Länder mit Defiziten werden Schuldner
• Gläubiger können viel eher ihre Überschüsse abbauen, als Defizitländer ihre Defizite
• Deutschland ist stolz „Exportweltmeister“ zu sein, richtiger wäre aber „Exportüberschussmeister“
• Exzessive Überschüsse einzelner Länder wie z.B. der Bundesrepublik zwingen andere Ländern, u.a. im Süden, in die Verschuldung
• Solange Gläubigerländer wie Deutschland nicht auf ihre Exportüberschüsse verzichten, haben Defizitländer kaum eine Chance
2.11 Deutsche ÜberschüsseHandelsbilanz der Bundesrepublik ggü.
Entwicklungsländern nach Regionen1990-2006 (in Mrd. US$)
-25-20-15-10
-505
101520
1990
1992
1994
1996
1998
2000
2002
2004
2006
Mittlerer OstenLateinamerikaAfrikaChina
Quelle: IMF Direction of Trade Statistics 2007
3.1 Resümee
• Kohärenz ist eine Frage von Prioritäten und politischen Zielkonflikten
• Das Politikfeld Entwicklung hat bei solchen Zielkonflikten leider häufig das Nachsehen
• Begriff der „Entwicklungspolitischen Kohärenz“ im offiziellen Raum muss über Methodik hinaus inhaltlich gefüllt werden
• Die heutige Weltwirtschaftsordnung ist entwicklungspolitisch inkohärent
• Die Grundelemente von Keynes ICU erfüllen grundlegende Anforderungen an ein kohärentes internationales Handels- und Finanzsystem
3.2 Ausblick: Wie kommt man voran?
• Aktuelle Finanzkrise zeigt erneut Schwächen des liberalisierten internationalen Finanzsystems
• Die schon in den Finanzkrisen der 1990er Jahren zurecht gestellten Reformforderungen (z.B. Tobin-Steuer, Internationales Insolvenzrecht, Wechselkurs-Zielzonen etc.) müssen weiterverfolgt werden
• Diese Forderungen sind selbst Beitrag zu mehr entwicklungspolitsicher Kohärenz, bereiten darüber hinaus aber zugleich den Boden für eine Weltwirtschaft nach dem Vorbild der Clearing Union
4. Steinbruch
Die folgenden Folien dienen dem spezifischen Zuschneiden des Vortrags.
Weitere Informationen finden sich auf unserer Webseite http://www.blue21.de/Themen/Finanzmaerkte/Kohaerenz.php
Dort gibt es auch weitere Materialien und Bildungsangebote zum Thema Kohärenz in der internationalen Handels- und Finanzpolitik.
Exportweltmeister Deutschland
2006 war die Bundesrepublik zum vierten Mal in Folge „Exportweltmeister“, d.h. sie hat mehr exportiert als jedes andere Land der Welt, z.B. mehr als die USA– die 3,5 mal so viele Einwohner hat,– deren Volkswirtschaft viermal so groß ist
Wohinwirdexportiert?
Aus: Bundesagentur für Außenwirtschaft: Top-Exportmärkte 2005, S.5
Waswirdexportiert?
Aus: Bundesagentur für Außenwirtschaft: Top-Exportmärkte 2005, S.6
Die Kehrseite des Exportbooms durch „Lohnzurückhaltung“
aus: Verdi, Wirtschaftspolitik aktuell, Juni 2006
Außenhandel Südafrikas1998-2006:• Jährliche Steigerung der Exporte um 8,5 %• Jährliche Steigerung der Importe um 12,4%
Handels- und Leistungsbilanz Südafrikas
-20000
-15000
-10000
-5000
0
5000
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006
Handelsbilanz
Leistungsbilanz
Außenhandelsstruktur Südafrikas(2002-2006)
Exporte: gewerbliche Güter (ca. 62%), Gold (ca. 10%), Kohle (ca. 5%)nach: EU (33%, davon BRD 7%), Afrika (14%), Asien (11%), USA (10 %)
Importe: Kapitalgüter (20%), Brennstoffe und Energie (13%), Nahrungsmittel (4%)aus: EU (39%, davon BRD 14%), Asien (20%, davon China 9%), USA (9%), Afrika, Saudi Arabien, Iran (je 4%),
LB-Defizit u.a. ggü. BRD (-8%), China (-6%), Iran und Saudi Arabien (je -4%)
LB-Überschüsse u.a. ggü. Afrika (+10%), Holland (+3%), UK (+2%)
Politische Anknüpfungspunkte für Reformen
• Krise des IWF– Legitimations- und Strukturkrise– „Absatzkrise“– Finanzkrise
• US-Leistungsbilanzdefizit• Turbulenzen im Finanzmarkt
Alternativenansätze
• Wechselkurs- Zielzonenmodelle• Spahn-Steuer (weiterentwickelte Tobin-
Steuer)• Internationales Insolvenzrecht bzw.
Faire und Transparente Schiedsverfahren (FTAPs)
Die globale Einkommensverteilung
Ungleiche LebenschancenArmut = kürzer Leben
Nationale Ungleichverteilung im internationalen Vergleich
Was sind die MDGs?Liste von 8 Zielen, die von den Vereinten Nationen im Jahr
2000 beschlossen wurde und die bis zum Jahr 2015 erreicht werden sollen, z.B.:
• Halbierung der Zahl der Menschen, die weniger als 1$ pro Tag zur Verfügung haben
• Grundschulbildung für alle Kinder• Beseitigung von Geschlechterungleichheit in Schulen und
Hochschulen• Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren um 2/3 reduzieren• Müttersterblichkeit um 3/4 reduzieren• Ausbreitung von Malaria, HIV/AIDS u.a. stoppen• Weltweite Entwicklungspartnerschaft durch „Weiterentwicklung“ des
internationalen Handels- und Finanzsystems, Aufstockung der Entwicklungshilfe und Entschuldung
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