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Adel, adeln 1
Adel Sb m. „Jauche“
adeln swV „mit Jauche düngen“
Z: Das mda. Substantiv Adel „Jauche, Harn“ setzt eine vorurgermanische Abstraktbildung *h3od-tló-
„Geruch“ > „Gestank“ fort, die genaue Entsprechungen in anderen germ. Sprachen hat. In Folge der
vorgrundsprachlichen Vereinfachung der Doppeldentale vor Resonant wurde das Wort als -(a)lo-
Bildung neu interpretiert und ist in das maskul. Genus übergegangen.
B: Das Substantiv Adel „Mistjauche, Mistwasser, Harn“ ist innerhalb und außerhalb des thür.
Sprachraums, in den benachbarten bairischen Mundarten sowie in mittel- und
niederdeutschen Dialekten (Udolph 1994: 295ff.) verbreitet. Im Thür. ist das Wort nur um
Heiligenstadt, Worbis, Zeulenroda, Greiz und verstreut um Nordhausen, d. h. im
Nordwesten und Südosten des thür. Sprachgebietes, belegt (ThWb s.v. Adel). Neben dem
Substantiv besteht ein denominales Verb adeln „mit Jauche düngen“ (vgl. Schmell I 26,
DWb s.v. Adel).
L: Eine lautliche Besonderheit von niederbair. À�G�¸)l ist die geschlossene Aussprache des
Wurzelvokalismus (ThWb s.v. Adel), die durch die Wirkung des Kollmerschen Gesetzes
(mhd. *atul > *UWXO (Rowley 1990: 68, Janka 2002: 202-212 mit weiteren Beispielen))
bedingt ist. Im Südostthür. ist hingegen die Vertretung von mhd. a zu oo in offener Silbe
(vgl. südostthür. dr Bauer fährt Oodel af’s Fald, Greiz) durch keinen Umlautfaktor bedingt
(Sp ThGr 62) und erlaubt keine Rückschlüsse auf dem Suffixvokalismus. In beiden
Mundarten hat der Haupttonvokal dann Dehnung in offener Silbe erfahren, auf die
Mittensilbenschwächung gefolgt ist (*UWXO > *À �W¸l). Als letztes ist die zwischenvokalische
Lenition des stimmlosen Okklusivs (> niederbair., thür. À �G¸l, À�GO d) eingetreten (MhdGr
74ff., Sp ThGr. 181).
M: Adel folgt der Flexion der starken Maskulina und ist aufgrund seiner Semantik – es
handelt sich um ein Massennomen – ein Singulare Tantum.
WB: Mda. Adel „Mistjauche, Mistwasser“ setzt das in drei frühmhd. Handschriften belegte
Wort atel „Schlamm, Morast, schlammiges Wasser, XOLJR� VRUGHV� OLPL� YHO� DWTX� DWHO“
(Summarium Heinrici, vgl. Tiefenbach 1980: 53, mit Literatur) fort, während bair. À�G�¸)l
aus einer vorgeschichtlichen Variante mit Suffixwechsel ahd., mhd. *atul stammt. Das
Nebeneinander der Suffixe -ala-/-ila-/-ula- bei geschlechtigen Substantiven und
Adjektiven ist eine in den germanischen Sprachen häufig anzutreffende Erscheinung
(weitere Beispiele in Schaffner 1996: 148ff. vgl. aisl. -áll : ae. awel : ae. awol „Gabel“ <
*áhw-ala- : *agw-alá- : *agw-ulá-, oder got. slahals : got. slahuls „Raufbold“, ae. nihol :
Adel, adeln 2
ae. niwel : ae. n owel : mndd. nygel „niedrig, kopfüber“ < *níhw-a/ula- : *nigw-ilá : *nigw-
alá- : *níhw-ala-). Das denominative Verb adeln ist von Adel abgeleitet wie handeln von
Handel (Fleischer/Barz 305ff.).
Egerm
: In den übrigen germanischen Sprachen sind die Entsprechungen von mhd. atel gut
bezeugt, mit Ausnahme des Gotischen und des Altsächsischen, wo das Wort wohl nur aus
überlieferungs- und textsortenbedingten Gründen nicht belegt ist: vgl. mnd. �GHO�H� neben
addel, eddel (< *-ila-) und, mit Dentalschwund und Kontraktion, �O�„garstige Feuchtigkeit,
Jauche“ (auch Kompositionsvorderglied in den Pflanzennamen Ahl-kirsche „Prunus padus,
Traubenkirsche“ nach dem fauligen Geruch des Holzes und der Rinde und Al-beere „Ribes
nigrum, schwarze Johannisbeere“ nach dem unangenehmen Geruch der Beeren, s. dazu
Marzell 1977: 1138f., 1364 ff. mit Belegen); mndl. adel, nndl. aal(t); nordfries. ethel
„Harn“, ostfries. adel(t), wangeroog. ¯GHO; ae. adel(a), Gen. adelan (sekundärer n-Stamm)
„Schmutz, schmutziger Platz“, auch komponiert in ae. DGHOV�Dð „cloaca“, me. adel(e)
neben addul, adle (pl.) Adj. „faulig, verwirrt“, ne. addle(d), schott. addill, addle „Urin“,
norw. dial. aale, dän. aile, dän. schwed. dial. adel, al, komponiert in schwed. koadel
„Kuhharn“, dazu auch das denominale Verb adla, ala „harnen“; das Substantiv ist auch in
Ortsnamen belegt, vgl. z.B. Ohlhof (Goslar); Adalahkewe (Freising); Addalahang
(Darmstadt); Alland (Niederösterreich); Adelath (Niederbayern); Ettelbrück (Luxemburg),
usw. Zu weiteren Formen und Belegen vgl. DWb s.v. Adel, EWA I 381ff., mit Literatur,
und Udolph 1994: 295ff., mit ortsnamenkundlichen Informationen. Alle Formen beruhen
auf einem geschlechtigen Substantiv urgerm. *Dÿ-ala-/-ila-/-ula- „Adel, Schmutz, Jauche,
Urin“, das sich bisher einer etymologischen Deutung entzogen hat (vgl. EWA I loc. cit.,
EWD s.v. Adel2 für die bisherigen Versuche; das Rekonstrukt *Dÿ-la- in EWA 1: loc. cit.
stellt mit Sicherheit nicht die unmittelbare Grundform dar, da die Gruppe *ÿO sich zu
urgerm. *ll entwickelt hätte).
Eidg
: Der traditionelle Anschluss an das ebenfalls etymologisch ungeklärte Substantiv gr.
¶QTRM „Mist, Kot von Tieren“ (EWA I loc. cit.) bereitet Schwierigkeiten, da die
zugrundeliegende Wurzel des griech. Wortes ein -n- aufweist, das im Germanischen nicht
vorhanden ist. Da die Wurzel verbal nicht belegt ist, ist die Annahme eines alten n-
Infixpräsens *h3-né-dh-t / *h3-n-d
h-ént völlig ad hoc. Ebensowenig ist eine n-Metathese
*Hodh-no- > *Hond
ho- beweisbar, da eine solche Lautentwicklung im Griechischen auf
alle Fälle nur sporadisch und nicht lautgesetzlich eintritt (vgl. gr. ÕÒ;ÅÙÏÃ�„Eingeweide“
<= *splakhna < *sp
h3�-E�h2 vs. ÍßÙÏÑÔ� „Lampe“ < *lukhno- < *luksno-). Nicht
weiterführend ist auch der Vorschlag von Udolph 1994: 296, der Adel mit apreuß. attolis,
Adel, adeln 3
lit. atólas, lett. atãls „Grummet, jünges Gras“ vergleicht, ohne auf die lautlichen Details
einzugehen oder den angenommenen Bedeutungswandel wahrscheinlich zu machen. Die
baltischen Formen setzen jedenfalls ein urbalt. *at�OD�L- „Gras“ fort, das nur in einer
urgerm. Form *aþ/ÿÀOD- eine genaue Entsprechung finden würde. Diese lautliche
Abweichung könnte gewiss durch die Annahme der Wirkung des Dyboschen Gesetzes
(*aþÀOá- > *DÿDOD-, vgl. *suHnú- > urgerm. *sunu- (Schrijver 1991: 351-356, mit
Literatur)) erklärt werden, aber ein Bedeutungswandel „junges Gras“ > „Mistjauche, Harn“
ist nicht sehr naheliegend, und eine etymologische Deutung bliebe auch in diesem Fall aus
(zur balt. Sippe s. LitEW I 22).
Eine Etymologie des germanischen Wortes kann vielmehr von folgendem ausgehen: Die
Vorform *Dÿ-ala- ist aus älterem *DÿOD- vor der Assimilation *ÿO�> *ll umgestaltet, dem
die vorgermanische Vorform *Hotló- (mit Vernerschem Gesetz) zugrundeliegt. Aufgrund
der schon in der idg. Grundsprache wirkenden Vereinfachung zweier homorganer
Verschlusslaute vor unsilbischem Resonant (*VTTRV > *VTRV, vgl. *méd-tro- > *métro-
> gr. P|WURQ, *séd-tlo- > *sétlo- > ahd. sedal „Sitz“ (Schaffner 2001: 246)) wurde ein
neutrales Abstraktum idg. *h3ed-tló- „Geruch“ > „Gestank“ > (konkret) „Mistjauche“ (zur
Verbalwurzel *h3ed- „zu riechen beginnen“, LIV 296; zur Bedeutungswandel „Geruch“ >
„Gestank“ vgl. alb. amë „Duft, Aroma; Gestank“ < *h3od-máh2 „Geruch“, vgl. gr. ³GP�
„Duft, Geruch“ (Demiraj 76)) zu einem *h3otló- vereinfacht und dadurch etymologisch
opak. Im Urgermanischen konnte das Wort dann nicht anders als als -lo-Bildung
reanalysiert werden und wurde infolgedessen automatisch in die produktive Gruppe der
maskulinen -alo-Bildungen überführt (vgl. als Parallele ahd. stadal „Stehen, Stand“ <
*stáþla- m. <= *sth2-tlo- n. oder ahd. N¯O� „Spalter, Keil“ < *N¯ÿOD- m. <= *�e�H-tlo- n.
(über diese Formen vgl. Schaffner 2001: 144f.)). Die Endbetonung in *h3otló- ist regulär
für idg. Nomina Actionis auf -tlo-, vgl. Schaffner 2001: 177; eine Vernersche Variante
urgerm. *aþla- (mit Suffixwechsel; für diesen Ersatz bei germ. Nomina actionis auf *-ÿ5D-
vgl. Schaffner 2001: 179) ist nicht sicher auszumachen, da die mitteldeutsche Variante
adel entweder Lenition von ahd. *-t- aufweist oder ein niederdeutsches Lehnwort darstellt
(vgl. EWA I 381). Ein eventuelles westgerm. *aþlaz > ahd. *adal könnte außerdem von
ahd. adal „Geschlecht, Sippe“ verdrängt worden sein. Zugunsten einer Vorform urgerm.
*aþla- spricht aber der ON Ohlhof bei Goslar (Belege bei Udolph 1994: 297: Al, in Ole, in
Ale): Wie R. Möller bemerkt, „wäre der frühe -d-Ausfall auffällig“; wenn man aber von
*aþla- ausgeht, ist innerhalb des Paradigmas das Nebeneinander von dentallosen und
dentalhaften Formen völlig regelmäßig; in solchen Fällen ist eine Paradigmenspaltung ein
Adel, adeln 4
trivialer Vorgang (d. h. Nom./Akk. Sg. *aþla(z) > *aþl d2 > ahd. *adal, *adl-, Gen. Sg.
*aþlas(a) > *ahlas, Dat. Sg. *aþlai > *DKO� => ahd. *ahal, *ahl-; vgl. das Nebeneinander
von ahd. as. mahal „Versammlung“ und ae. mæðel „id.“ (Schaffner 2001: 244f.)). Die
Existenz der Variante *aþlan => *aþ-la-z hat die Umgestaltung von *DÿODn
zu *Dÿ-ala-z >
mhd. atel > mda. Adel begünstigt.
Lit: B DWb s.v. Adel; Schmell I 26; ThWb s.v. Adel; Udolph 1994: 295ff.; L Janka 2002:
202-212; MhdGr 74ff.; Rowley 1990: 68; Sp ThGr. 62, 181; ThWb s.v. Adel; WB
Schaffner 1996: 148ff.; Tiefenbach 1980: 53; Egerm
Demiraj 76; DWb s.v. Adel; EWA I
381ff.; EWD s.v. Adel2; E
idg LitEW I 22; LIV 296; Marzell 1977: 1364 ff.; Schaffner
2001: 144f.; 177; 179; 244f.; 246; Schrijver 1991: 351-356; Udolph 1994: 295f.
Ase, Asenbaum, Asenstange 1
Ase Sb f. „Ofenstange“
Asenbaum Sb m. „Trockenstange“
Asenstange Sb m. „Trockenstange“
Z: Thür. Ase swf. „Ofenstange, Darre“ (auch komponiert in Asenbaum „Trockenstange“) ist durch die
Kontamination eines urgermanischen substantivierten Adjektivs *ansa- „der Tragende“ > „Balken“
(zu lat. onus „Last“) und eines mlat. Lehnwortes frühmhd. �sine „Tragegestell“ < *„Esel“ entstanden;
die Bedeutungsspezialisierung auf „Ofen“ und „trocknen“ ist durch Assoziierung mit der german.
Wurzel *as- bedingt, die auf die Sippe von idg. *h2eh1s- „vertrocknen“ zurückgeht.
B: Das Substantiv Ase „Ofenstange zum Trocknen von Kleidungsstücken oder
Nahrungsmitteln; Brett zum Trocknen von Porzellanabgüssen; Darre“ ist vereinzelt neben
den Komposita Asenbaum und Asenstange(l) in thür. Mdaa. als [ousn] (östl. Itzgründ.),
>ÀV¸(n)] (Saalfeld, Schleiz, Lobenstein) [åosd¸]��V�GO��6FKOHL]��XQG�>ÀVG@��6FKOHL]��EHOHJW��vgl. z.B. auf de Ousn sänn vier Seck Kliäsama „auf der Darre sind vier Säcke Kleesamen“,
Sonneberg (ThWb s.v. Ase); im Bair. und Alemann. sind die Wörter As, Asen, Asem, Äsen
in der Bedeutung „Holzstangengerüst über dem Ofen (zum Trocknen), Darre“ weit
verbreitet, vgl. Schmell s.v. Âsen, Âsem, Âs; Âsenbâum „hölzerne[s] über dem Ofen
angebrachte[s] Gestell“, WBMÖ s.v. Äsen „Holzstangengerüst unter der Küchen- oder
Stubendecke oder über dem Stubenofen“, Schw Id s.v. Asen „hölzernes Gestell über dem
Ofen oder dem Herde zum Trocknen von Brennholz udgl.“. In schweiz. Mdaa. kennt man
die Varianten Asne, Asni, Asme, Hasme, Asle, Asli, Hasli, Rasle, Rasli, Rassle(r), 5�VL, bei
denen teilweise der Artikel durch Metanalyse vorne angetreten ist (→ L). Das Kompositum
Asenstange erscheint auch als Hosenstange und Ösenstange (→ WG). Die ersten Belege
für âse stammen aus frühmhd. Zeit: vgl. frühmhd. a sine „Gerüst, Gestell aus Holz oder
Eisen“ (Glossierung von lat. catasta, vgl. Gl. 2.744.2), mhd. a se Akk. a sen swf.
„Holzgestell oben an der Wand“, ebenso wie in den komponierten Formen vor-a se, vor-
a sene swf. „id.“, in dem oven und ûf der asen Jüngl. 414; ein âsen (Akk.) mit schîtern wol
geladen Kolm. 94,49; in wes kachelofen oder ûf wes vorâsen man nachts schîter vindet
Feldk. r. 96; alle die bachöfen, die in der stat sint, die suln blatten ald îsenvenster hân und
nit vorâsnen Zürch. rb. 33 (EWA I 364, Lexer s. vv. âse; vor-âse, vor-âsene). Außerdem
gibt es eine Variante a sel, Assel swf. „Holzgestell zum Trocknen, Darre“ mit auslautendem
-l schon ab dem Mhd.: ûf die âseln uber den hert (Kell. erz 355,26., vgl. Lexer s.v. âsel)
(→ WB).
M: Die Belege ousn, asen (D.Sg.) und asen (Akk.Sg.) deuten auf ein swf. Ase, G.Sg. Asen ,
der Beleg vorasnen (Akk.Pl.) auf ein swf. As(e)ne. (→ B).
Ase, Asenbaum, Asenstange 2
WB: Neben den Simplicia Ase und Asen sind Asel, schweiz. Asle, Asli bezeugt, die aber, wie
das Genus Femininum zeigt, keine Deminutive sein können (→ L). Zwei
Determinativkomposita sind Asenbaum und Asenstange mit den Varianten Ösenstange und
Hosenstange (→ WG).
L: Der lange Wurzelvokal des thür. Wortes /�VH�Q�� ist durch Dehnung von mhd. a in offener
Silbe entstanden (MhdGr 74ff.), wie die Varianten mit ursprünglichem Kurzvokal im Bair.
zeigen (WBMÖ 394f.: „[...] von Lexer 1, 101 [...] angesetztes mhd. âse mit â ist auf Grund
der Belege der altertümlichsten Mdaa. unhaltbar“). Der nicht umgelautete Vokal wurde in
den thür. Maa. regelmäßig verdumpft und gegebenfalls diphthongiert, daher erscheint ousn
im östl. Itzgrund., ÀV¸(n) und ÀVG im Südostthür. und åosd¸ im südl. Südostthür. Dies
entspricht der dialektalen Vertretung von mhd. � (< mhd. a in offener Silbe / �) im
Thüringischen (Sp ThGr 61ff., 98ff.). Die Formen mit auslautendem Nasal sind
Archaismen, wie die Varianten mit eingeschobenem -d- – falls nicht durch
volksetymologischen Anschluss an dt. Ast, vgl. bair. Astel „id.“, bedingt – indirekt
beweisen: Der Einschub des Okklusivs ist nur vor Nasal, aber nicht vor Vokal möglich (-
sn- > -sdn-). Alle thür. Dialektvarianten können auf ein älteres südostthür. *ÀVQ�H� zurückgeführt werden, das seinerseits durch Synkope des unbetonten Vokals aus *a sane,
einer Suffixvariante von frühmhd. a sine „Gerüst, Gestell aus Holz oder Eisen“, mhd. a se
Akk. a sen swf. „Holzgestell oben an der Wand“ entstanden ist, ebenso wie in den
komponierten Formen vor-a se, vor-a sene swf. „id.“ (→ WB). Die bair.-österreich. Wörter
mit Sekundärumlaut sprechen für verschiedene Suffixallomorphe in der Grundform, vgl.
bair. Äsen < *�VLQ¸ gegenüber thür. Ousn < *�VDQ¸. Die außerthüringischen mundartlichen
femininen Formen mit auslautendem -l- (→ B) sind, wie das Genus Femininum zeigt,
keine Deminutiva, sondern beruhen auf Konsonantenwechsel (WBMÖ 395) wie z.B. in
got. himins neben ahd. himil < *h2�emenó- „steinerner (Himmel)“ (s.a. Eidg). Bair. Däse
und Räsen sowie die alemann. Formen Rasle, Rasi (< die Äse, der Äsen) sind durch
Anwachsen von d- und -r des bestimmten Artikels aufgrund von Metanalyse entstanden,
wie z.B. in Nassel „Assel“ < ein Assel (WBMÖ 395, DWb s.v. Assel1).
WG: Das Kompositum Asenstange ist manchmal volksetymologisch umgestaltet worden zu
Hosenstange, weil unter anderem Kleidung auf dieser Stange getrocknet wurde; und
Ösenstange durch die äußere Gestalt bedingte Angleichung an Öse (vgl. ThWb s.v.
Ösenstange). – In den meisten Dialekten ist Ase etc. durch Darre oder gar durch die
semantisch durchsichtigen Komposita Trockengestell, -gerüst ersetzt worden.
Ase, Asenbaum, Asenstange 3
Egerm: Die mdaa. Wörter sind mit mhd. ansboum, ensboum „Brückenbalken“, aisl. áss m.
„(First-) Balken, Stange“, aschwed. �V�m. „Balken (einer Brücke)“ < urgerm. *ansa- (auch
ins Finnische früh entlehnt als ansas „Trage-, Stütz-, Spannbalken“) und got. ans*, D. Sg.
anza m. oder n. „Balken“ < urgerm. *anza- verglichen worden (AnEW 16, Lehmann 38,
Schw Id s.v. Asen, LägLOSpr. I 28, Schaffner 2001: 117f., mit weiterer Literatur). Ferner
wird auch dt. Assel „Balken“ (→ B) damit verbunden (DWb s.v. Assel2). Die in dieser
Gleichung stillschweigend angenommene Vertretung der Konsonantengruppe -ns- durch
dt. -(s)s- ist aber nicht möglich, da eine solche Assimilation nur im Alemannischen auftritt,
vgl. schweiz. J�V „Gans“. Der etymologische Anschluss an mhd. ansboum entfällt also
deswegen, weil im Ostoberdeutschen eine Form **Anse zu erwarten wäre, vgl. bair.
Ansbaum, Ensbaum < mhd. ansboum, ensboum wie in nhd. finster < ahd. finstar, nhd.
Fenster < ahd. fenstar oder nhd. Linse < ahd. linsa. Die Annahme einer Metathese von
mhd. *anse zu asne (DWb s.v. Assel2) wäre ebenfalls ad hoc ebenso wie eine Vorform f.
*DQVÀ, da die germanischen Vergleichsformen nur Genus Maskulinum aufweisen. In
diesem Fall wäre zudem der lange Wurzelvokalismus nicht erklärbar: Die Bedingungen für
eine Vokaldehnung liegen nicht vor, und außerdem müßte der Wurzelvokal eines
hypothetisch zugrundeliegenden urgerm. *DQVÀ aufgrund des Osthoffschen Gesetzes
ausschließlich kurz sein.
Die Konkurrenz von Formen wie mhd. ansboum, alem. Asnebaum und thür. Asenbaum
lässt sich hingegen ohne Schwierigkeiten durch volksetymologische Kontamination von
ansboum und frühmhd. a sine erklären (→ Eidg) .
Das Vorderglied von mhd. Wort ansboum, ensboum und die oben erwähnten Formen got.
anza (D. Sg.), aisl. áss sowie finn. ansas < urgerm. *ans/za- m. „Balken“ mit
grammatischem Wechsel haben sich bisher einer genauen etymologischen Deutung
entzogen.
Eidg: Die bisherigen Etymologien scheitern aus verschiedenen Gründen. So kann wegen
lautlicher Probleme lat. asser m. „Latte, Stange“ nicht aus *ans° entstanden sein, da die
Lautgruppe -ns- in der lat. Hochsprache erhalten blieb, vgl. lat. �QVLV „Schwert“ und lat.
FÀQVXO (alat. COSUL) mit Ausbleiben der littera-Regel bei nasalierten Vokalen. Semantische
Unvereinbarkeit spricht gegen die etymologische Verbindung von Ase etc. „Darre,
Trockengestell“ mit den Wörtern lat. �QVD f. „Griff, Henkel, Öse“, lit. �Và f. „Henkel,
Griff, Handhabe“, lett. ùosa, ùoss „Henkel“, apreuß. ansis „Kesselhaken“, die aus uridg.
*h2amh3-s-ah2 entstanden sind und zur Wurzel *h2emh3- „anfassen, packen“ (LIV 265f.)
gehören (vgl. LitEW 18). Außerdem sind diese Wörter mit got. ans* auch lautlich
Ase, Asenbaum, Asenstange 4
unvereinbar, da ein uridg. * h2amh3-s-ah2 zu got. **DPV�]À geführt hätte, vgl. got. mimz n.
„Fleisch“ < germ. *mimza- (Lehmann 256).
Die einzige aus lautlichen und semantischen Gründen vertretbare etymologische
Anknüpfung ist die mit der Wurzel *h1enh3- „eine Last bewegen, tragen“, die in lat. onus
n. „Last, Fracht, Ladung; Wagengepäck; Mühe, Beschwerde“ und ai. anas- n. „Lastwagen,
Troßwagen, Reisekarren“ < *h1énh3-os- sowie wohl in gr. ¶QRM� „Esel“ < *h1ónh3-o-
„Lasttier“ fortgesetzt ist (Janda 1999: 188; 194; 202, mit weiteren Beispielen). Die
germanischen Wörter stellen dabei thematische Adjektivableitungen des in lat. onus und
aind. anas- vorliegenden neutralen s-Stamms dar, d.h. *h1onh3-s-ó- „tragend“ > germ.
*anza- > got. ans*, mit optionalem Substantivierungsakzent *h1ónh3-s-o- „der Tragende“
> germ. *ansa- > aisl. áss „Balken“. Zum Ablautwechsel zwischen s-Stamm mit e-stufiger
Wurzel und thematischem Adjektiv mit o-stufiger Wurzel vgl. lat. collus (Plaut.), collum
(Cic.), dt. Hals < *kwólh1-s-o- *„der Drehende“ (Walde/Hofmann LEW 245) zu idg.
*kwélh1-os- „Drehung“ (gr. W|ORM� n. „Ende“ < *„Drehpunkt“). Während aber mhd.
ans(-boum) direkt germ. *ansa- fortsetzt, ist die umgelautete Variante ens(-boum) nach
mhd. mda. *äsen, bair. Äsen (→ L) umgestaltet.
Das später schwach flektierende Substantiv mhd. a se, a sen bzw. mda. asne / äsne usw. <
frühmhd. Wort a sine ist dagegen ein lateinisches Lehnwort aus mlat. asina „Eselin“, vgl. –
mit derselben semantischen Entwicklung – süd- und nordfrz. âne „Gestell“ < *as(i)na,
regg. azner „Hauptdachbalken“, span. asnas (Pl.) „Dachsparren“ (REW 57, EWA 364, mit
weiterer Literatur). Die Annahme einer Entlehnung erklärt sowohl den Wechsel zwischen
-n- und -l- im Auslaut der regionalen Varianten (→ B), vgl. lat. asinus, asina und got.
asilus, ahd. esil, als auch den Sekundärumlaut in mhd. mda. *äsen, bair. Äsen.
Die Spezialisierung der Bedeutung auf „Ofenstange zum Trocknen“ könnte aber durch
frühe Assoziierung mit mhd. esse f. „Feuerherd des Metallarbeiters“ zustande gekommen
sein, das über ahd. essa „id.“ < urgerm. *as-MÀ (EWAhd II 1161f.) auf uridg. *h2á(h1)s-�ah2
„Trocknerin“ mit Laryngalschwund durch Wirkung der Wetter-Regel wie in ahd. wetar <
*h2 e(h1)dhro- (Peters 1999: 447) zurückgeht. Eine semantische Parallele ist nhd. Darre
„Gestell zum Trocknen von Obst“ zum Verb dörren „trocknen“. Eine direkte Herleitung
von frühmhd. a sine aus der urgerm. Wurzel *as- „trocknen“ wie in WBMÖ 394f. ist
dagegen mit schwerwiegenden phonologischen und morphologischen Problemen behaftet:
Der Sekundärumlaut würde den Ansatz einer dehnstufigen Bildung urgerm. *�VLQÀ aus
einer schon in uridg. Zeit v�ddhierten Grundform *h2»h1senah2 (mit Ausbleiben der
Laryngalumfärbung gemäß dem Eichnerschen Gesetz, vgl. germ. *DKZÀ- „Wasser, Fluss“
Ase, Asenbaum, Asenstange 5
< *h2ákwah2 vs. *�Àwija- „Meer“ < *h2�Nwihó- (Darms 32f.)) erfordern, was wegen der
Anfangsbetonung und der fehlenden Ableitungsbasis morphologisch unhaltbar ist. Eine
german. V�ddhiableitung könnte andererseits erst nach Laryngalumfärbung und
Laryngalschwund erfolgt sein und hätte urgerm. *ÀV�]LQÀ�und nicht *�VLQÀ ergeben, vgl.
germ. *KÀQD- „Huhn“ zu *hana-n- „Hahn“ (Darms 1978: 122ff.).
Lit.: B EWA I 364, Lexer s. vv. âse; âsel; vor-âse, vor-âsene; Schmell s.v. Âsen, Âsem, Âs;
Âsenbâum; Schw Id s.v. Asen; ThWb s.v. Ase; WBMÖ s.v. Äsen; L DWb s.v. Assel1;
MhdGr 74ff.; Sp ThGr 61ff., 98ff.; WBMÖ 394f.; WG ThWb s.v. Ösenstange; Egerm
AnEW 16, DWb s.v. Assel2; Lehmann 38; LägLOSpr. I 28; Schaffner 2001: 117f.; Schw Id
s.v. Asen; Eidg Darms 32f.; 122ff.; EWAhd II 1161f.; EWA 364; Janda 1999: 188; 194;
202; Lehmann 256; Walde/Hofmann LEW 245; LitEW 18; LIV 265f.; REW 57; Peters
1999: 447; WBMÖ 394f.
1
asten swV „sich abmühen, eine schwere Last tragen; sich beeilen“
abasten swV „sich abmühen“
nachasten swV „nachrennen“
asteln swV „eine schwere Last tragen; sich beeilen“
Z: Das in obdt. und mdt. Dialekten belegte schwache Verb asten (mit der Frequentativbildung asteln)
besitzt zwei miteinander nicht kompatible Bedeutungen („sich abmühen, eine schwere Last tragen“ vs.
„sich beeilen“), die auf zwei ursprünglich eigenständige Verben mit unterschiedlichen Etymologien
hindeuten. Die erste Quelle des Verbs ist das Substantiv Ast in der Bedeutung „Buckel, Schulter“, das
seinerseits ahd. ast „Ast, Zweig“ direkt fortsetzt; das daraus abgeleitete Verb bedeutete ursprünglich
„etwas Schweres auf dem Buckel tragen“, woher sich die Bedeutung „sich abmühen, schuften“
entwickelt hat. Das zweite Verb ist hingegen genauso wie mhd. hasten ein Lehnwort aus mndl. haesten,
aesten „sich überstürzen“, das seinerseits aus dem Altfranzösischem in einer Zeit entlehnt wurde, als
der anlautende Hauchlaut nur orthographisch, aber nicht sprachwirklich war. Das zugrundeliegende
afrz. Wort haste „Eile“ ist aus dem Westfränkischem entlehnt und setzt das urgerm. Abstraktum
*haifsti- „Heftigkeit“ fort (uridg. Wurzel *k’ehh
h2bh- „in (rascher) Bewegung sein“, vgl. ai. �UUbha-
„rasch“).
B: Das thür. Verb asten weist zwei verschiedene Bedeutungen auf: einerseits „eine schwere
Last tragen, sich abmühen, angestrengt arbeiten“, andererseits „sich beeilen, schnell
laufen“. Die erste Bedeutung ist verstreut im Nordostthür. (vgl. Merseburgisch da kannste
aber asten!), selten im südl. Ostthür., außerdem bei Wernigerode, Mühlhausen und Coburg
belegt (ThWb s.v. asten). Mit derselben Bedeutung ist auch das komponierte Verb abasten
bei Sondershausen und Zeitz bezeugt (ThWb s.v. abasten). Die zweite Bedeutung ist in
Bernburg, Sondershausen, bei Artern und in Zeulenroda bezeugt (ThWb s.v. asten). Neben
asten ist auch eine frequentative Bildung asteln mit beiden Bedeutungen in Sangerhausen
und Bernburg belegt (ThWb s.v. asteln). Das komponierte Verb südostthür. nachasten
(Greiz) weist hingegen nur die zweite Bedeutung auf, vgl. dr Wert kam mer schun met en
grußen Ruhrstacken nochgeast (ThWb s.v. nachasten). Das Verb asten ist mit beiden
Bedeutungen „schwer tragen, schwere Lasten (auf dem Rücken) tragen, schleppen; schwer
arbeiten“ sowie „sich beeilen, rennen“ auch in den benachbarten obersächsischen
Dialekten vorhanden, vgl. WosM 98. Die zweite Bedeutung ist außerdem auch in weit
entfernten Mundarten nachweisbar, vgl. schweiz.dt. asten, nachasten „streben, trachten
nach einem Ort oder Ziel, eilen“ (Küng Hilfrich astet und eilet nach Paris, 1548, vgl.
SchwId 576).
2
M/WB: Thür. asten ist ein schwach flektierendes Verb, genauso wie die daraus abgeleiteten
Präfixbildungen ab- und nachasten (zu diesen Bildungen vgl. Lühr Nhd. 178ff.). Das Verb
asteln ist entweder eine deverbale Ableitung mit dem Suffix -el- (Lühr Nhd. 170) oder
eine Kreuzung von asten mit dem Synonym thür. achseln „eine Last auf den Schultern
tragen“ (ThWb. s.v. achseln), vgl. dazu die Synonyme thür. Astelstein und Achselstein
„Zaunpfahl aus Stein oder Beton“ (ThWb s.v. Achselstein).
Egerm1
: Die zwei verschiedenen Bedeutungen von asten sind durch Zusammenfall von zwei
ursprünglich unterschiedlichen Verben zu erklären. Mda. asten „sich abmühen, Schweres
auf dem Rücken tragen, angestrengt arbeiten“ ist eine denominale Ableitung aus dem
Substantiv thür. Ast m. n. „Zweig eines Baumes; Schulter, Buckel“ und bedeutete
ursprünglich „auf dem Buckel tragen“, woraus sich die Bedeutungen „schuften“ und
„Schweres tragen“ entwickelt haben. Eine semantische Parallele dazu bietet das thür. Verb
achseln „eine Last auf den Schultern tragen“, das ebenfalls eine denominale Ableitung aus
thür. Achsel „Schulter“ ist (vgl. auch hohe Achsel „verwachsener Rücken“, ThWb s.v.
Achsel). Zu dieser Benennungsmotiv vgl. noch it. sgobbare „schuften, angestrengt
arbeiten“ aus it. gobba „Buckel“ (Diz. De Mauro s.v. sgobbare). Die in vielen deutschen
Dialekten zu beobachtende Bedeutungserweiterung von Ast (dialektal auch Nast mit
Zusammenwachsen des unbestimmten Artikels aus ein Ast, vgl. DWB s.v. Ast) zu
„Buckel“ beruht auf der ursprünglichen Bedeutung von urgerm. *asta- m. „Auswuchs am
Baum, Ast, Zweig“ (Paul DtWb 55, EWA I 373f.), vgl. got. asts „Zweig“, ahd. as. mnd.
mndl. ast „Zweig; Arm eines Kreuzes“ (ae. ÀVW „Knoten im Holz“, ÀVWLJ�„rauh, knotig“,
mnd. ÀVW, mndl. oest, noest „Knorren, Stelle, wo ein Ast vom Stamm ausgegangen ist“ sind
jüngere V�ddhi-Ableitungen zu *asta-, vgl. Darms 1978: 237f.). Das Wort bezeichnete
ursprünglich nicht den Zweig an sich, sondern den Ansatz des Zweiges, d.h. den Punkt,
woraus der Zweig sprießt (< uridg. *h2/3o-sd-o- „Ansatz (am Stamm); Ast“, vgl. gr. åIRT, gr. lesb. õUGRT „Ast, Zweig, Schössling; Baum-, Stengelknoten“, arm. ost „Ast, Zweig“,
heth. hasd-uir (kollektiv) „Zweige, Reisig, Abfall“, vgl. EWA I loc.cit.). Uridg. *h2/3o-sd-
o- ist so ein thematisiertes präpositionales Rektionskompositum, das von der Präposition
*h2/3o- „bei, an, auf“ und der Verbalwurzel *sed- „sitzen“ (LIV 513f.) gebildet ist (zu
diesem Typ vgl. uridg. *ni-sd-o- „Niedersitz“ > „Nest“). Aus „Auswuchs am Baum“ hat
sich dann metaphorisch die Bedeutung „Auswuchs am Rücken, Buckel“ und schließlich
metonymisch „Schulter“ entwickelt.
3
Egerm2
: Das zweite Verb asten „sich beeilen“ kann aus semantischen Gründen nicht zu asten
„schuften“ gehören und stellt ein Homonym davon dar. Das Wort ist eine dialektale
Variante von dt. hasten „sich überstürzen“ und weist im Vergleich zur standarddeutschen
Form Beibehaltung des ursprünglichen h-losen Anlauts auf. Wie schon längst bekannt (vgl.
EWD s.v. Hast, Pfeiffer EWD s.v. Hast, DWB s.v. Hast), handelt es sich bei hasten um ein
denominales Verb aus dt. Hast „aufgeregte Eile, Überstürzung“, ein durch
mittelniederländische Vermittlung aus afrz. haste ‚Eile’ (vgl. afrz. en haste „in Eile“, nfrz.
hâte) entlehntes Wort, das seinerseits ein Lehnwort aus urgerm. *haifsti- ‚Heftigkeit’ ist,
vgl. Gamillscheg 520. Das anlautende h- des altfrz. Wortes war zur Zeit der Entlehnung ins
Mittelniederländische stumm geworden und rein orthographisch. Das beweisen die
Varianten des Substantivs mndl. aeste�� ���VWH���QHEHQ�haeste und haest ‚Hast’ sowie des
Verbs mndl. aesten neben hasten, haesten, vgl. MnedWb 17, 19. Bei der Entlehnung ins
Mittelhochdeutsche (etwa 14. Jh., vgl. Pfeiffer EWD loc.cit.) wurden Substantiv und Verb
dann orthographisch richtig mit anlautendem Hauchlaut übernommen. In der vorwiegend
analphabeten mundartlichen Tradition wurde aber das Verb zuerst ohne Hauchlaut
gesprochen (thür. hasten ist eine späte Entlehung aus der deutschen Hochsprache). Durch
lexikalischen Zusammenfall mit dem schon vorhandenen Verb asten „schuften“ wurde
schließlich asten „sich beeilen“ in den mitteldeutschen Mundarten bewahrt.
Eidg
: Urgerm. *haifsti- „Heftigkeit, Streit, Anstrengung“ (vgl. got. haifsts* f. „Streit“, an.
heifst, heift, heipt „Haß, Rache“, ae. h¾st „Feindschaft“, vgl. IEW 542, AeEW 146, AnEW
217f., EWD s.v. Hast, Casaretto 517) ist ein -ti-Abstraktum zum verbal nicht belegten
Stamm urgerm. *heif(-s)-, vgl. dazu auch das Adjektiv urgerm. *haifstija- „heftig,
gewaltsam“ (> ae. h¾ste, afr. K�VW, ahd. heisti, mhd. heifte, heftec, nhd. heftig, vgl.
EWGPA 266f., EWD s.v. heftig) sowie die PN ahd. Heibo, as. +�ER und ahd.
Heibiscesbiunta (Lühr Skalden Egill 314). Die zugrundeliegende Verbalwurzel spätidg.
*k’ehh2bh- „in (rascher) Bewegung sein“ ist wohl auch in ai. �Ubha- „schnell, rasch“,
�Ubham (Adverb), �Ubhya- ‚rasch fahrend’ und �LEKUiP�(< *k’i(h2)bh-ró-, mit regelmäßigem
Laryngalschwund nach der „Wetter“-Regel) enthalten (gegen diesen Vergleich EWAia II
643). Es handelt sich dabei, wie auch das gegen uridg. Wurzelstrukturbeschränkungen
verstoßende Nebeneinander einer Tenuis und einer Media aspirata in der selben Wurzel
verrät (**T_Dh, vgl. dazu Szemerényi Einführung 90ff.), um die -bh-Erweiterung der
Wurzel *k’ehh2- „sich in Bewegung setzen“, die gr. MnQPWODL�„bewege mich“ < *k’ih2-nu-,
gr. Hesych 3. Sg. Aor. ML�VR� ��±MLPHqVR�<= 3. Pl. Aor. *k’ih2-Eto, und lat. FLHÀ „setze in
4
Bewegung“ < *k’ih2-éhe/o- zugrundeliegt (LIV 346). Eine andere Erweiterung derselben
Wurzel (*k’ehh2gh- „in (rascher) Bewegung sein“) erscheint in ai. �¯JKUá- „rasch,
unverzüglich, schnell“ < *k’ih2gh-ró-, ai. �Ughrya- „hastig“ (EWAia II 642f.), ae. K¯JLDQ
„streben; sich beeilen; sich anstrengen“ (AeEW 160), russ. VLJDWv „springen, hüpfen“, russ.
VLJQXWv „id.“ und wruss. VLKDü „schreiten, große Schritte machen“ (Vasmer II 622, IEW
542f.).
Lit.: B SchwId 576; ThWb s.vv. abasten, asteln, asten, nachasten; WosM 98; M/WB Lühr
Nhd. 170, 178ff.; ThWb. s.vv. achseln, Achselstein; Egerm1 Darms 1978: 237f.; Diz. De
Mauro s.v. sgobbare; DWB s.v. Ast; EWA I 373f; LIV 513f.; Paul DtWb 55; Egerm2 DWB
s.v. Hast; EWD s.v. Hast; Gamillscheg 520; MnedWb 17, 19; Pfeiffer EWD s.v. Hast;
Eidg
AeEW 146, 160; AnEW 217f.; Casaretto 517; EWAia II 642f.; EWD s.v. Hast;
EWGPA 266f.; EWD s.v. heftig; IEW 542f.; LIV 346; Lühr Skalden Egill 314;
Szemerényi Einführung 90ff.; Vasmer II 622.
1
Banse, Bansen Sb m. „Seitenraum im Erdgeschoß der Scheune“
Banse Sb f. „id.“
Bansel Sb f. m. „Seitenraum der Scheune; aufgeschichteter Getreidehaufen; kleine,
unbestimmte Menge“
bansen, banseln, bansnen swV „einen Haufen stapeln; bunkern; essen“
Z. Das mda. Substantiv Bansen m. (neben Banse f.) ‚zur Aufbewahrung von Getreide,
Stroh und Heu dienender Seitenraum im Erdgeschoß der Scheune’ setzt eine
vorurgermanische Abstraktbildung *bhónd
h-to- ‚Bindung’ oder ein Konkretum
*bhónd
h-s-o- ‚Gebundenes’ => ‚Korb; Krippe’ => ‚Scheune, Stall; Heuhaufen’ (zur
idg. Wurzel *bhend
h- ‚binden’) fort; das Wort ist mit aisl. báss ‚Stand im Kuhstall’,
got. bansts ‚Scheuer’, ae. bosig ‚Stall, Heuplatz über dem Stall’, ne. dial. boose ‚Kuh
oder Pferdestall’, ne. dial. boost, beust ‚(Krippe im) Kuhstall’, mnd. EÀV� ‚Viehstall’,
nnl. boes ‚Teil des Kuhstalls’, mnl. banst ‚runder Korb’, nordfr. buusem ‚Stall’ und
(mit ferner Bedeutung) afr. EÀVWD (D.Sg.) ‚Ehe’ verwandt.
B: Das thür. Wort Banse, -n m., f. bedeutet hauptsächlich ‘zur Aufbewahrung von Getreide,
Stroh und Heu dienender Seitenraum im Erdgeschoß der Scheune (auf einer Seite oder
beiderseits neben der Tenne liegend)’. Mit metonymischer Bedeutungsverschiebung
bezeichnet das Wort außerdem ‘Trennwand zwischen Tenne und Bansen im Erdgeschoß
der Scheune (zumeist aus Brettern, aber auch aus einer Lehmwand bestehend)’, wobei
wohl auch zugleich der gesamte Scheunenraum einbezogen ist (nur verstreut im westl. und
südl. Zentraltthür, selten im westl. Nordthür., Ilmthür., westl. Ostthür. und nördl.
Südostthür. belegt). Etwas seltener bedeutet Banse(n) ‘Getreideschober im Freien oder in
der Scheune’ (mittl. Nordthür., nördl. und östl. Nordostthür., nordöstl. und westl.
Zentralthür., Jena). Neben der Bedeutung ‘Heuhaufen’ (Ilmenau), auch speziell
‘Heuhaufen auf einem Reuter’ (Sonneberg), ist schließlich die Bedeutung ‘große Menge,
Haufen’ als allgemeine Mengenbezeichnung verstreut bezeugt, und zwar im Nordtthür.
(ohne N-Rand), Mansf. 1857, ob. Schwarza 1819, Sömmerda, Erfurt, Apolda, Gotha, vgl.
das is ja ä Bansen Zeich! (Apolda), äich hob heit n Bansen Wesch (Lobenstein),
vergangnen Winter hott’ me a Bansen Schniä (Erfurt), verstärkend in der Zwillingsformel
Hufen un Bansen (Mühlhausen), auch ‘Batzen, Klumpen, ein Stück weicher Masse’
(Gotha).
2
Das Synonym thür. Bansel f. m. weist die ganze Bedeutungspalette von Banse(n) auf –
jedoch bedeutet nur das Mask. ‚im Freien oder in der Scheune aufgestapelter
Getreidehaufen’; außerdem hat das Wort die Bedeutung ‚kleine Menge, Handvoll’ (Hennb.
1855) [zu den Belegen vgl. ThWb s.v.]; das daraus abgeleitete schwache Verb banseln
‘Getreide, Stroh, Heu (die Ernte) in die Bansel einbringen’ (Gera, Schmölln GBr, baansel
Bad Salzungen 1888) ist auch komponiert als zusammenbanseln in Gebrauch.
Aus Banse ist hingegen das Verb bansen, bänsen direkt abgeleitet. Das Verb bedeutet ‘etw.
auf einen Haufen stapeln’ z. B. Holz, Kohlen, Stroh; Erntegut im Bansen fest einlagern;
(speziell) viel essen < *(Essen) bunkern, hineinschlichten’, vgl. se hotten nich schlacht
gebonst ‘viel gegessen’ Pößneck, se bansten’s in de Rippen ‘verzehrten eine Menge’
Sondershausen; von einer gutwilligen Person heißt es wenn keiner will, muß Teffel (Toffel)
banse Sömmerda, Merseburg; vgl. dazu einbanse(l)n, verbansen, vollbansen, zubansen;
‚Erntegut auf den Erntewagen schichten’ zumeist als Tätigkeit der Frauen, selt. nordöstl.
Got–Sömm–Mersb, °Grz Wil, auch ‘Kartoffelsäcke auf dem Wagen verstauen’ Merseburg
(vgl. aufbansen, hochbansen); im übertragenen Sinn ‘angestrengt arbeiten, sich plagen’
(nur Greiz). Zum Verb bansen gehört auch das Nomen Agentis Banser m. ‘Mann, der
Erntegut in den Bansen schichtet’ (Sondershausen 1862, HohenMölsen; Komponiert auch
als Strohbanser belegt).
Aus der n-stämmigen Variante Bansen ist schließlich das denominale Verb bansnen swV.
‚dass. wie bansen’ (Arnstadt, Arbsenstruh bansent sich schlacht Erfurt) abgeleitet [ThWb.
s.vv.].
Die Wörter Banse(n) und Bansel sind auch als Bestandteile von Determinativkomposita
häufig verwendet, vgl. z.B. Bansel-, Bansenblatt n., Bansenbleiche f., Bansenbrett n.,
Bansenlade f., Bansel-, Bansenschurz m., Bansenschutz m., Bansschiedel m., Bansel-, -ä-,
Bansenwand, f., alle ‚Trennwand zwischen Tenne und Bansen im Erdgeschoß der
Scheune’ zumeist aus Brettern, aber auch aus einer Lehmwand bestehend (zu weiteren
Synonymen vgl. ThWb s.v. Bansenwand); Bansenfeger m. ‘derber Stock, dessen Ende mit
einem Lappen umwickelt ist (→ WG); die beim Flegeldrusch zuletzt ausgedroschene
Garbe; Schnaps und Wurst, die von den Dreschern beim Abschluß des Flegeldrusches
verzehrt werden; Drescher, der beim Flegeldrusch den letzten Schlag ausführt u. deshalb
den Bansen ausfegen muß; leichtes Mädchen, Hure’; Bansengabel f. ‘kurzstielige
Reichgabel’; Bansengereine n. ‘Getreideabfall, der sich beim Flegeldrusch auf dem Boden
des Bansens ansammelt’; Banselhahn m. ‘fiktives Tier, nach dem man bei der Ernte jmd.
3
schickt, um ihn zu veralbern’ (den Banselhohn holen Altenburg); Bansel-, Bansenwurst f.
‘Wurst, die angeblich in der zuletzt ausgedroschenen Garbe versteckt ist’ (als Scherz beim
Flegeldrusch muß sie von dem Drescher, der den letzten Flegelschlag ausführt [auch von
Kindern], gesucht werden; Eisenach: wer den letzten Schlag beim Flegeldrusch ausführt
hat die Banselworscht gefangt); Umtrunk und Essen nach dem Abschluß des
Flegeldrusches’ [zu weiteren Komposita vgl. ThWb. s.vv. Bans°].
Das Substantiv ist auch in Niederhessen bezeugt, vgl. hess. Bansen m. ‚aufgeschichteter
Haufen von Garben; Menge, große Anzahl’, Kassel (19. Jh.) Gebänze
‚Aufeinanderschichtung größerer Gegenstände, Holzstücke, Stroh- und Heubündel u. dgl.’
(zu weiteren Belegen aus dem Nieder- und Mitteldeutschen von der Küste bis Hessen-
Thüringen, dazu im ostmitteldeutschen Kolonialland, vgl. Lerchner 1965: 39f.).
M/WB: Die Substantive Banse m. und Bansen m. sind durch Paradigmenspaltung aus einem
schwachflektierenden mask. Substantiv Banse (direkte Kasus) / Bansen (oblique Kasus)
entstanden. Zweideutig ist hingegen die fem. Form Banse, da das Wort ein altes st. Fem.
auf -À- fortsetzen oder durch spätere Genusdifferenzierung direkt von Banse m. stammen
könnte, vgl. z.B. mhd. bin(e)z m. > nhd. Binse f., mhd. loh(e) m. > nhd. Lohe f. (Frnhd Gr
175). Der Nebenform Bansel (auch Bänsel) f. (m.) liegt eine alte *-LOÀ-Bildung zugrunde,
wie die umgelauteten Belege zeigen. Aufgrund der Bedeutungsspezialisierung der mask.
Variante zu ‚Getreidehaufen (im Freien)’ ist es allerdings möglich, dass Bansel (m.) durch
Sonantendissimilation aus Bansen herrührt und sekundär mit Bansel (f.) zusammengefallen
ist. Vgl. dazu z.B. die Ableitung Bänsling m. ‚Bansenwand’, die entweder eine -ling-
Ableitung von Banse darstellt oder direkt *bänsning < *bans(e)n-ing fortsetzt (zur
Dissimilation vgl. ON Prüfening / dial. Priefling < ahd. Bruueningun, vgl. Schwarz 1960:
48-49).
WG: Der Bansenfeger ist ein ‘derber Stock, dessen Ende mit einem Lappen umwickelt ist’
angeblich zum Ausfegen des Bansens, aber nur als Brauchtumsgegenstand, nach dem man
Kinder oder Neulinge beim Ausdreschen der letzten Garbe schickt, um sie zu veralbern;
auch nur als fiktiver Gegenstand, der vom Wirt, Kaufmann oder Nachbarn geholt werden
soll, an dessen Stelle aber ein mit Steinen gefüllter Sack bzw. eine Katze im Sack
mitgegeben wird (ThWb s.v. Bansenfeger).
Egerm
: Das mda. mitteldtsch. Substantiv Banse(n) m. ‚zur Aufbewahrung von Getreide, Stroh
und Heu dienender Seitenraum im Erdgeschoß der Scheune’ hat genaue Komparanda in
anderen germanischen Sprachen. Die Substantive aisl. báss m. a-St. ‚Stand im Kuhstall’,
4
mnd. EÀV m./f. ‚Viehstall’, nnl. dial. boes m. ‚Teil des Kuhstalls’, bâskees ‚Bansenkiste’,
nordfries. buss¸m, (Sylt) buusem ‚Stall’ und ne. dial. boose ‚Kuhstall, Pferdestall; oberes
Teil des Stalls, wo sich das Futter befindet’ (Lerchner 1965: 39, mit Literatur) entsprechen
formal (bis auf die Stammbildung des altwestnordnischen Wortes) dem mitteldt.
Substantiv. Das ne. Wort setzt eine altenglische Form *EÀV�fort, die von der Ableitung ae.
EÀVLJ m. ‚Stall, Heuplatz über dem Stall’ vorausgesetzt wird. Wenn man für mda. Banse(n)
sekundäre Anfügung eines -n-Suffix annimmt, sind alle angeführten Wörter von einem a-
Stamm urg. *bansa- m. ‚Abteilung im Viehstall / in der Scheune’ herleitbar (Lerchner
1965: 38-41, Hill 2003: 159).
Neben den erwähnten Wörtern sind in einigen altgermanischen Sprachen auch -t-haltige
Bildungen belegt, vgl. got. bansts m. ‚Scheuer’ (i-St.), das einen alten i- oder a-St. fortsetzt
(vgl. Hill 2003: 158), ne. dial. boost, beust ‚Kuhstall, Krippe im Kuhstall’ und mnl. banste,
banst, baenst ‚runder Korb’. Semantischen ferner, aber trotzdem sicher zugehörig, ist der
u-stämmige afr. Dat. Sg. EÀVWD ‚Ehe’ (Lerchner 1965: 40f.). Das Nebeneinander von
Bedeutungen wie ‚Kuhstall’ einerseits und ‚Scheune, Scheuer’ andererseits ist ohne
Schwierigkeiten überbrückbar, da im altgermanischen Haus Tiere, Getreide und Heu im
denselben Raum untergebracht wurden (Kaufmann 1987: 285, Hill 2003: 158). Die weitere
Verbindung dieser Wortgruppe mit der idg. Wurzel *bhend
h- ‚binden’, die in allen germ.
Sprachen als Verb belegt ist, vgl. ahd. bintan, as. bindan, mnd. binden, afr. binda, ae.
bindan, aisl. binda, got bindan (Seebold Germ. st. Verben 102ff., EWAhd II 72ff., LIV
75), erlaubt eine naheliegende Erklärung auch für die Bedeutung von afr. EÀVW* ‚Ehe’, eine
rechtliche Spezialisierung von einem alten Abstraktum *bons(s)-tu- ‚Verbindung’ (anders
Hill 2003: 161; zur Semantik vgl. EWAia II 209, mit Literatur). Es handelt sich um eine
sekundäre Erweiterung mit dem Suffix *-tu- von ererbtem urgerm. *bansa- ‚Bindung’ zur
Verdeutlichung als Verbalabstraktum (ein ererbtes *bhond
h-s-tu- bereitet hingegen
lautliche und morphologische Schwierigkeiten). Auf parallele Weise wurden got. bansts,
ne. dial. boost, beust und mnl. banst weitergebildet (< *bans(s)-to-), vgl. etwa
Bammesberger Morph. Urg. Nom. 1990: 77. Ein sicheres Beispiel dieser Weiterbildungen
in den germ. Sprachen ist ae. hlæst, ahd. last ‚Last’ < *hlas(s)-ti- vs. aisl. hlass ‚Last,
Ladung’ < *hlassa- anzuführen < vorurgerm. *klat-to- (zur Diskussion vgl. Hill 2003: 211-
216).
Gegen Hills 2003: 160 Rekonstruktion eines Determinativkompositums urg. *bansa-sta-
‚Raum mit Unterständen für Rinder’ sprechen hingegen folgende Umstände: 1) Die von E.
5
Hill angesetzte spezielle, von einem Verb für ‚stehen’ ausgehende Bedeutung ‚Unterstand
für ein einzelnes Rind’ < ‚Stelle zum Anbinden von Vieh’ ist für urg. *bansa- nicht
nachzuweisen, da das Wort eher ganz allgemein ‚Abteilung im Viehstall / in der Scheune’
bedeutete; 2) die Annahme einer Haplologie *bansastV- > got. bansti- ist wegen des
unterschiedlichen Silbenanlauts (sV.stV) unwahrscheinlich (alternativ könnte man an
Synkope denken, was aber nur in einem durchsichtigen Kompositum im Gotischen
problemlos zu rechtfertigen ist, vgl. die Beispiele von Synkope in Krause Hdb. d. Got.
91f.; bei undurchsichtigen Bildungen wird ein Kurzvokal im Got. nur vor schwerer bzw.
doppelter Silbe synkopiert, vgl. got. taihswa < *WHKVLZÀ��n, 1.P.Pl.Pass. -nda < *-midai,
niuklahs < *niwaknahaz, ajuk-GÌþs < *aiwa/ik(w)a- (Neri Synkope im Got. [in
Vorbereitung]); man müßte also aus einem Gen. Sg. urgot. *bansastais > *banstais
ausgehen); 3) die Bedeutung von mnl. banst ‚runder Korb’ kann mit einer ursprünglichen
Bedeutung ‚Unterstand für ein einzelnes Rind’ nicht in Einklang gebracht werden und eine
Trennung dieses Wortes von got. bansts und ne. dial. boost, beust (so Hill 2003: 158) wäre
allenfalls der letzte Ausweg. Das mnl. Wort legt vielmehr eine Grundbedeutung ‚Bindung’
> ‚zusammengebunder Korb’ (vgl. nhd. Korbbinder, Fassbinder) > ‚Futterkorb, Trog,
Krippe für das Vieh; Behälter für Heu und Getreide’ nahe (vgl. gr. X�VPJ ‚Krippe’ <
*bhE÷dh
-nah2 ‚die Gebundene’, zum Lautl. vgl. EWAhd II 73), die durch Synekdoche die
Bedeutung ‚Stall/Scheune’ erhielt. Als Parallele für die Entwicklung ‚Korb, Trog’ >
‚Viehstall, Scheune’ kommen folgende Beispiele in Frage: 1) ahd. parno m. n-St. ‚Krippe,
Raufe, praesepium, praesaepe’, mhd. houbarn ‚foenile’, mhd. barn st. m. ‚Krippe’, nhd.
dial. Barn ‚Krippe, Heuschuppe, Stall’ (vgl. ON Rimpar ‚Rindbarn, Rinderstall’) [DWb.
s.v. barn, EWAhd I 482 s.v. *barno, parno]; das Wort ist mit gr. XRSO�T ‚Tragkorb’
wurzelverwandt (vgl. dazu IEW 137f. s.v. *bher- ‚flechten, weben’ oder EWAhd. I loc. cit.
zu *bher- ‚tragen’); 2) mhd. krebe st. m. ‚Korb’, vuoterkrebe ‚Futtertrog’, ahd. kripfa,
crippea ‚Krippe’, aisl. krubba f. ‚Krippe’ > nisl. krubba ‚Abteilung im Viehstall’ (zu urg.
*kruban- ‚Geflochtenes’, vgl. Lühr Expressivität und Lautgesetz S. 250f.). Wenig
wahrscheinlich ist hingegen die von Lerchner (1965: 41, mit Literatur) vertretene
Etymologie ‚durch Bindetechnick geflochtenes Haus’ > ‚abgeteilter Raum’ > (mit
Verengung) ‚Krippe’, da es im Germanischen dafür das Verb *windana- gebräuchlich war
(vgl. nhd. Wand) und eine Entwicklung ‚Raum’ > ‚Krippe’ ohne Parallelen ist.
Eidg
: Urg. *bansa- ‚Bindung’ > ‚Korb’ setzt lautgesetzlich ein m. -to-Abstraktum mit o-
stufiger Wurzel (nóstos-Typ) *bhónd
h-to- ‚Bindung’ fort; die Bildung gehört wohl nicht
6
zum idg. Wortschatz, da wir keine genaue formale Entsprechungen dieses Wortes in
anderen idg. Sprachen kennen. Auch das Fehlen der Wirkung der grundsprachlichen
NpQWÀU-Regel, d.h. der idg. Vereinfachung zweier aufeinanderfolgender homorganer
Okklusive nach unsilbischem Resonant in nachbetonter Stellung (vgl. ai. 2. Sg. Imperat.
Aor. yódhi ‚wehre ab!’ < *Hhéidh-d
hi; zur Regel vgl. Idg Gr. 113f., Neri 2003: 335f. Anm.
1219, mit Literatur) spricht für eine jüngere, erst vorurgermanische Bildung.
Unproblematisch wäre auch die alternative Annahme einer thematischen Ableitung aus
einem -s-Stamm *bhénd
h-os- ‚Bindung’ => *b
hónd
h-s-o- ‚Bindung habend’ (vgl. *k
iólh1-s-
o- > dt. Hals zu *kiélh1-os- ‚Drehung’); denn die Existenz des s-Stamms wird indirekt von
gr. ¾HqUOD ‚Tau, Seil’ < *bhénd
h-s-mE (sekundäre Ableitung zu einem s-Stamm) sowie von
adjektivischen -(e)ro-Bildungen (gr. ¾HPbHS�T ‚Schwiegersohn, Schwager’, lit. beñdras
‚Teilhaber, Genosse’)�und u-stämmigen Substantiven (a.i. bándhu- m. ‚Verwandter’), d.h.
von der Belegschaft von Bildungen innerhalb des Caland’schen Suffixsystem, gestützt (zu
den Formen vgl. EWAhd II 74 s.v. bintan, mit Literatur; zum Calandsystem vgl. Risch,
Meier-Brügger).
Lit: B Lerchner 1965: 39f.; ThWb s.vv. Bans°, Banse, Bansel, Bansen, Bansenwand; M/WB
Frnhd Gr 175; Schwarz 1960: 48-49; WG ThWb s.v. Bansenfeger;; Egerm
Bammesberger
Morph. Urg. Nom. 1990: 77; DWb. s.v. barn, EWAhd I 482 s.v. *barno, parno, II 72ff.
s.v. bintan; EWAia II 209; IEW 137f. s.v. *bher-; Kaufmann 1987: 285; Krause Hdb. d.
Got. 91f.; Lerchner 1965: 38ff.; LIV 75; Lühr Expressivität und Lautgesetz S. 250f.; Hill
2003: 158-161, 211-216; Neri Synkope im Got. [in Vorbereitung]; Seebold Germ. st.
Verben 102ff.; Eidg
EWAhd II 74 s.v. bintan; Idg Gr. 113f.; Meier-Brügger ; Neri 2003:
335f. Anm. 1219, Risch.
Lerchner 1965: Gotthard Lerchner, Studien zum nordwestgermanischen Wortschatz, Halle
(Saale) 1965.
Schwarz 1960: Ernst Schwarz, Sprache und Siedlung in Nordostbayern, Nürnberg 1960.
baufen 1
baufen swV „bellen“
Z: Das westthür. Verb baufen „bellen“ ist eine voreinzelsprachl. lautmalerische Bildung zur idg. Wurzel
*baii
b-, die von lat. baubor „belle“ und lit. baÊEWL „brüllen“ fortgesetzt wird. Der abweichende Anlaut
ist entweder durch analogische Angleichung an der Anlaut von dt. bellen oder durch
Wiedereinführung von expressivem stimmhaftem *b- erklärbar.
B: Das sw. Verb thür. baufen „bellen, Laut geben (von Hund und Fuchs)“ ist im Westthür.
(Eisenach), Henneberg sowie in Gotha belegt. Das Präfixverb anbaufen „jmd. mit heftigen
Worten zurechtweisen, schimpfen“ ist ebenso in Eisenach und Gotha verbreitet, ist aber
auch im angrenzenden Gebiet des südl. Nordthür. (vgl. uanbaife Mühlhausen) belegt
(ThWb s.vv. anbaufen, baufen). Das Verb baufen, bäufen ist im Sprichwort e Hoind, der
net bouft, e Katz, die net muist, un e Frau, die net schellt, töijen nüscht „ein Hund, der
nicht bellt, eine Katze, die nicht miaut, und eine Frau, die nicht schimpft, taugen nichts“
(Eisenach) in Gebrauch.
L: Der Stammvokal ist folgendermaßen verteilt: au ist nördl. und nordöst. von Eisenach und
nordwestl. von Gotha, >u ist südöstl. von Eisenach, nordöstl. von Schmalkalden und um
Gotha Wal., >i ist nordöstl. von Bad Salzungen, um Bad Salzungen Va. und südl. von Bad
Salzungen (ThWb s.v. baufen) nachweisbar. Der Diphthong ai [åi] (vgl. uanbaife
„anbäufen“) ist das Entpalatalisierungsprodukt von nordlich-westthür. [åü] (< mhd. ou) in
der Gegend von Mühlhausen (Sp ThGr 144, 146-147). Alle regionalen Variante des Verbs
setzen also mhd. *boufen fort (vorkonsonantisches mhd. Ì� bleibt im westl. Thür.
monophthongisch, vgl. Sp ThGr. 163ff.).
WG: Die Bedeutungswandel des komponierten Verbs anbaufen von „bellen“ zu
metaphorischem „jmd. mit heftigen Worten zurechtweisen, schimpfen“ hat Parallelen in
bellen, das u.a. auch die Bedeutung „schimpfen“ aufweist (Th Wb s.v. bellen), und belfern
„(schnell) bellen“, das auch „anhaltend (vor sich hin) schimpfen, keifen, klagen, lästern;
sich zanken; unaufhörlich schwatzen; dazwischen reden; überstürzt und undeutlich reden“
bedeutet und vielleicht durch Kreuzung von bellen mit geifern „schäumen; vor Wut
schäumen; albern oder wütend sprechen; giftig lästernd, schmähend reden“ (DWb s.vv.
belfern, geifern) zustandegekommen ist (zu anderen dial. Varianten s. EWD s.v. belfern).
Vgl. außerdem gr. EDÆ]Z�„belle; schmähe“ (→ Eidg1).
Egerm
: Das mda.Verb baufen ist zweifellos eine onomatopoetische Bildung, die keine genauen
Entsprechungen innerhalb des Deutschen und des Germanischen hat. Die Annahme, dass
das Verb durch Kontamination von belfern mit der Interjektion wau wau entstanden ist, ist
unwahrscheinlich, da beide Verben, baufen und belfern, in denselben Gebieten (z.B. um
baufen 2
Eisenach oder im Hennebergischen) gebraucht werden; außerdem würde man in diesem
Fall eher *baufern erwarten (ThWb s.vv. baufen, belfern).
Eidg1
: Onomatopoetische Wörter mit anlautendem labialen Konsonant und a / u wie z.B. ba,
bau, bu, wau, m(i)au, mu usw., die Brüllen, Murren und weitere Tierrufe sowie
unartikuliertes undeutliches Reden, Schreckwörter und Naturtöne bezeichnen, kommen
sehr häufig in den idg. Sprachen vor, besonders in den jeweiligen Kindersprachen, vgl.
z.B. lat. EÌEÀ, EÌIÀ (nach JÌIÀ) m. „Uhu“ (> roman. EÌIR, vgl. port. bufo, span. buho),
entlehnt als ahd. bûf „Uhu; Schrei des Uhus“ (Walde/Hofmann LEW I 119, EWA II 416
s.v., mit Literatur), dazu das Verb lat. EÌELO�UH�„bu rufen (vom Uhu)“; ähnlich gr. E¼DM m.,
EÂ]D�f. „Uhu“, E¼]Z „schreie wie ein Uhu“, arm. bow, ERZ�þ, npers. EÌP, bulg. buh, auch
nicht-idg. georg. bu, buvi „Eule“; in dt. Mundarten ist das Wort als österr. puhi(n), pu,
vorarlb. und schwäb. buhi, schles. bauhau vertreten. Es handelt sich um eine expressive
reduplizierte Nominalbildung, die auf lautmalerischem *b̄Çu- beruht und voreinzelspr. durch
Dissimilation zu *b ¯Çu-b(h)
o-, *b ¯Çu-g/ko-, *b̄Çu-io- usw. umgestaltet wurde. Weitere Tierrufe
und -geräusche werden durch ein bilabiales Element wiedergegeben, vgl. ai. búkkÌUD- m.
„Gebrüll des Löwens“, russ.-ksl. EXþDWL „dröhnen“, serb. búkati „brüllen“. Zu
menschlichen Geräusche, Schreien bzw. unverständlichem Reden vgl. gr. ER� „Ruf“, poln.
E�NDü „halblaut reden, murmeln“, gr. EDE�]Z�„schwatze, rede undeutlich“, ai. EDOEDO�-
karoti „stammelt“, barbara- „stammelnd“, gr. E�UEDURM,�EDUEDU´IZQRM�„nicht griechisch,
von unverständlicher Sprache“, bulg. blaból’t „schwatze“, lat. babulus „Schwätzer“, it.
balbettare „stammeln“, nhd. babbeln, pappeln, aisl. babba „schwatzen“ usw. Zum
Gebrauch von anlautendem b- für Naturgeräusche vgl. serb. EXþDWL�„tosen (vom Meer)“,
mir. EÀFKQD „Meer“ < „tösende Brandung“, lett. bÊNãNêt „dumpf schallen“, usw. Zu
weiteren Beispielen vgl. IEW 91f. s.v. baba-, 95 s.v. bata-, 96 s.v. E�, E�, 97 s.v. b(e)u,
bh(e)u-, 102 s.vv. blat-, EO�-, 711 s.v. mei-, 715f. s.v. mek-, 751f. s.v. m ǯu-; zum Begriff der
Onomatopöie vgl. Lühr Expressivität und Lautgesetz 60, mit Literatur).�E
idg2: Speziell für die Bezeichnung des Hundegebells werden in vielen indogermanischen
Sprachen mit stimmhaftem bilabialem Verschlusslaut anlautende Schallwurzeln gebildet,
vgl. ai. bukkati „bellt“, av. bucahin- „Geheule an sich habend“, buxti- „Heulen, Fauchen“,
gr. E¼NWKM�„heulend“ (mit k-Erweiterung; vgl. IEW 97); vgl. außerdem die Sippe von dt.
bellen, Schallwurzel *bhel-s- (IEW 123f., EWA I 533ff. s.v. bellan, pellan, mit Literatur
und Belegen).
Im Deutschen wird dafür kindersprachl. wau benützt, regional auch bau, vgl. die
Interjektion Baubau neben Wauwau als Bezeichnung des Schreckmännchens, des
baufen 3
Poltergeistes und des Hundes im Schweizerdt. (Schw Id IV 896); so z.B. auch in thür.
Baubau m. „Schreckgestalt, mit der man Kindern droht, Buhmann, Butzemann“,
Nebenform zu Wauwau, it. kinderspr. bubo „Schreckmännchen“, gr. %DXEÊ�„Schreckgespenst, Hekate“, lit. bùbas, bùbis „Poltergeist“, serb. bau bau „Schreckwort“.
Die idg. Wurzel *bai- bzw. *bai-b- „brüllen, bellen, bau bau machen“ mit der aus
reduplizierten Interjektionen abstrahierten Wurzelerweiterung -b- ist für die Nachahmung
des Hundegebells besonders beliebt: vgl. einerseits gr. ED¿�ED¿ (Hundegebell), gr. EDÆ]Z�„belle; schmähe“, lat. baubor, EDXE�U¯ „bellen“, it. bau bau (Hundegebell), abbaiare
„bellen“; vgl. dazu mit anderer Bedeutungsspezialisierung lit. baÊEWL� „brüllen (vom
Ochsen)“, baÊ Interjekt. (Gebrüll des Ochsens), baubl�V, EÌEO�V� „Brüller; Uhu;
Rohrdommel“, bubénti „dumpf dröhnen, brummen, murren“, bùbinti „bu-bu brüllen“ lett.
baubt „brüllen“, bubinât „bu-bu brüllen“ (LitEW I 37).
Aufgrund des wurzelauslautenden -f- ist thür. baufen wahrscheinlich ererbt, da der
labiodentale Frikativ kaum in eine expressive Bildung eingeführt worden wäre und am
ehesten auf nachdiphthongisches idg. -b- > germ. -p- zurückgeht (vgl. ahd. tiof „tief“ <
urgerm. *deupa- < uridg. *dheibo-, zu got. diups, lit. dubùs „tief, hohl“ usw. (IEW 267f.)).
Trotzdem ist es nicht zulässig, mechanisch eine Vorform *bhaib-e/o- > urgerm. *baup-i/a-
zu rekonstruieren, da die entsprechenden Wörter in fast allen anderen indogermanischen
Sprachen eindeutig idg. *b- fortsetzen. Da die Wurzel *baib- höchstwahrscheinlich aus
der reduplizierten Interjektion stammt, sind die bilabialen Verschlusslaute vielmehr beide
als Mediae zu bestimmen. Es ist so anzunehmen, dass das ererbte Verb urgerm. *paup-a/i-
aufgrund des Einflusses von urgerm. *bell-a/i- zu *baup-a/i- umgestaltet wurde.
Andererseits könnte die anlautende Media auch automatisch wiedereingeführt oder nicht
zu urgerm. *p verschoben worden sein, da zur lautsymbolischen Nachahmung von Tierrufe
wie brüllen oder bellen stimmhafte Konsonanten wegen ihrer Schallfülle geeigneter als
stimmlose sind. Dieselbe Annahme gilt übrigens auch für Wörter wie aisl. baula f. „Kuh“
< „Brüllerin“ zu nnorw. baula, nschwed. böla, ndän. bøle „brüllen“ (entlehnt ins
Mittelenglische als bawlen „bellen“ (AnEW 29)), denen wohl die idg. Schallwurzel *bai-
ebenfalls zugrundeliegt.
Lit.: B ThWb s.vv. anbaufen, baufen; L Sp ThGr 144, 146-147, 163ff.; ThWb s.v. baufen;
WG EWD s.v. belfern; DWb s.vv. belfern, geifern; Egerm
ThWb s.vv. baufen, belfern; Eidg1
EWA II 416 s.v.; IEW 91f. s.v. baba-, 95 s.v. bata-, 96 s.v. E�, E�, 97 s.v. b(e)u, bh(e)u-,
102 s.vv. blat-, EO�-, 711 s.v. mei-, 715f. s.v. mek-, 751f. s.v. m ǯu-; Walde/Hofmann LEW I
baufen 4
119; Lühr Expressivität und Lautgesetz 60; Eidg2
AnEW 29; EWA I 533ff. s.v. bellan,
pellan; IEW 97, 123ff., 267f.; LitEW I 37; Schw Id IV 896.
bräkeln 1
bräkeln swV „langsam braten“, „kleinlich tadeln“; „mürrisch dasitzen“
Z: Das sw. Verb bräkeln „langsam braten“ setzt eine iterative Bildung westgerm. *EUDNLOÀ�ML�D�- fort, die
auf eine urgerm. Wurzelvariante *brek- der s-mobile-Wurzel *sprek- „zischen, prasseln“ zurückgeht.
Die Bildung lässt sich außerdem mit ai. bhre eMM�Î Îti „wird rösten“ und alat. ferctum „Opferkuchen“
(Wurzel *(s)bhre�-) vergleichen.
B1: Das schwache Verb bräkeln ist in einigen peripheren thür. Dialekten bezeugt und kennt
drei voneinander abweichende Bedeutungen: 1) „(Fleisch) langsam braten, brodeln,
brutzeln“, vgl. dr Späck braachelt (Greiz); mit gleicher Semantik ist das Verb auch
komponiert belegt, vgl. südostthür. einbräkeln swV. „einkochen, verdampfen“ (vgl. de
Brieh is eigebrächelt Schleiz); 2) in übertragenem Sinne „jmdn. mit Bitten, Nörgeln,
schlechten Nachrichten quälen“ sowie „jmdn. dauernd mahnend, kleinlich tadeln“, vgl.
meine Mutter brekelte immer (Heiligenstadt); 3) „nicht richtig arbeiten, mürrisch dasitzen
(u. dabei trinken)“, vgl. de Mannsen fingn schun ne Montog frieh wieder aan zu brakeln
(Greiz) (ThWb s.v. bräkeln).
L: Die mundartlichen Varianten br ¯�Nãln, br ¯�NOã (Schmölln, Zeitz, Greiz und Coburg, d.h.
östlicher Teil des Ostthür. und des Südostthür., südl. Itzgr.), br ¯�[ãln (Greiz, südl.
Südostthür.), mit gemeinthür. Öffnung von */̄��]X� � ¯����JHJHQ�EHU�EU¯Nãln (Mühlhausen,
südwestl. Nordthür.), mit nordhess. Einfluss des Wurzelvokals, br ¯Nãln� (Wernigerode,
Merseburg, Altenburg, d.h. Nordthür., Nordostthür., Ostthür.), EU�Nãln� (Nordostthür.,
Nordthür.) und br ¯$ãln�(Zeulenroda, südl. Südostthür.), mit regionalen Abbau der Senkung
(Sp ThGr. 74ff.), weisen entweder auf Dehnung von mhd. ë / ä in offener Silbe oder auf
umgelautetes mhd. ¾ hin (Sp ThGr. 72ff.). Thür. pracheldürr Adj. „ganz dürr, vertrocknet“
(vgl. e procheldarres Mannchen Schmölln; wohl aus prasseldürr unter Einfluss von
bräkeln, ThWb s.v.) spricht aber gegen mhd. ë im Verb und setzt Umlaut für den verbalen
Wurzelvokalismus voraus.
Was den Konsonantismus betrifft, das Nebeneinander von velarem Verschlusslaut k und
velarem/uvularem Reibelaut x /�$ im Wurzelauslaut lassen ein ursprüngliches k ansetzen,
da intervokalisches g in bestimmten thür. Dialektgebieten (Nordthür., nordl. Nordostthür.)
zu j / � palatalisiert wird oder schwindet (Sp ThGr. 200f.).
WB: bräkeln stellt eine frequentative Bildung auf -eln dar, wie sie bei den zum selben
semantischen Feld gehörigen Bildungen üblicherweise vorkommt, vgl. nhd. prasseln,
brutzeln, rasseln, röcheln usw. (zum urgerm. Iterativsuffix *-DOÀ-/-LOÀ- vgl. Kr/M 263f.).
Das Vorhandensein des i-Umlauts spricht für die Suffixvariante *-LOÀ-.
bräkeln 2
Egerm: Thür. dial. bräkeln wird an mhd. brëglen „braten, schmoren, pregeln; murren,
schwätzen“ (Lexer I 346, 18; vgl. auch BMZ I 235a, 15: „mache ein Geräusch, wie etwas
das brät oder gelinde aufkocht; schwatze, murre“) angeschlossen. Nach DWb II 291, 72 ist
mhd. brëglen seinerseits mit lat. IU¯J�UH� urverwandt. Doch weicht thür. bräkeln im
Wurzelvokalismus sowie im Konsonantismus von dem mhd. Verb ab, so dass dieser
Vergleich aufgegeben werden muss. Eine weitere Verknüpfung zu nhd. backen, für die im
EWD loc. cit. Anlautsvereinfachung br- > b- erwogen wird, scheitert daran, dass dieser
sporadische Lautwandel sonst nur bei der Konsonantengruppe spr- zu belegen ist (vgl. das
Nebeneinander von ae. sprecan : specan „sprechen“; siehe dazu Vennemann HS 113
(2000) 244f.).
Eidg: Die genaue formale Begrenzung der indogermanischen Wortsippe, die die Tätigkeit des
Bratens, Kochens, Siedens zum Ausdruck bringt, ist deswegen schwierig, weil es sich
häufig um expressive Bildungen handelt, die Kontaminationen mit Wurzeln der Bedeutung
„zischen, prasseln“ oder „brechen, platzen“ sowie volksetymologische Umgestaltungen
und lautliche Vielfalt zeigen. So ist nicht möglich zu entscheiden, ob der abweichende
Vokalismus von lat. IU¯J�UH�„rösten, am Feuer dörren“ (< *bhriHg-, *b
hrehg- ?), gr. IU ¯ÇXJZ�
„id.“ (< *bhruHg-?) auf unterschiedlichem Ursprung beruht (in welchem Fall naturgemäß
diese Formen etymologisch völlig isoliert wären), auf jeweiligen mehrfachen
Erweiterungen einer gleichbedeutenden Wurzel *bherH- / *b
hreH-, oder auf sekundärer
Angleichung an homonyme oder fast homonyme Wurzeln wie *(s)bherh2�- „zischen,
prasseln“ (LIV 586: *spherh2�-), *b
hrei- „sieden, wallen“ (anders LIV 81: *b
heri-),
*bhreh1- „(heiß) aufwallen, -braten“ (EWA II 301: *b
herh1-), *b
hreiH- „sprudeln“ (LIV
96) oder *bhreg/�- „brechen“ (LIV 91) – zur Problematik vgl. EWA II 299ff., EWAia II
278.
Weiterführend ist für die etymologische Deutung des mundartlichen Verbs der Vergleich
mit dem Verb ai. bhr eMM�Îti „wird rösten“ (RV 4, 24, 7b), 3. Sg. Konj. Präs., wohl einer
frühmittelindischen Form für ved. *bhr eM\�Îti, das ein -�é/ó-Präsens mit mittelindischer
Vertretung der inlautenden Affrikata vor � (< *bhr e�-�é/ó-) fortsetzt (vgl. EWAia II 278;
anders EWD s.v. backen, wonach der inlautende Konsonantismus auf expressiver
Gemination beruhen soll, und IEW 137, wo ein -s�e/o-Präsens *bh;(�)s�À rekonstruiert
wird); zur Wurzel vgl. zugehöriges ai. bhras òtïra- „Röstpfanne“ < *bhré�-tro-, Nomen
Instrumenti (weitere Formen in EWAia loc. cit.), sowie alat. ferctum „Opferkuchen“, das
ein durch Akzentverschiebung und neue Vollstufe I substantiviertes -to-Partizip *bhér�-to-
fortsetzt, vgl. dazu Vine HSPh 90 (1986) 121ff., EWA II 299ff.; fern bleibt hingegen ahd.
bräkeln 3
bergita „eine Gebäcksorte“, das wohl ein Lehnwort aus dem Griechischen durch lat.
Vermittlung darstellt, vgl. Neumann HS 111 (1998) 165ff.). Möglicherweise gehört auch
die Sippe von lit. bìrgalas „einfaches Bier“, lett. bi�ga „Kohlendampf, Dunst“ dazu
(LitEW I 44). Alle diese Formen weisen zunächst auf eine Wurzel *bhre�- „braten, rösten“
(LIV 78: *bher�-) hin. Wenn man von einem niederdeutschen Verb mit entsprechendem
unverschobenen Konsonantismus ausgeht, können thür. bräkeln und pracheldürr direkt mit
den indischen und lateinischen Formen verglichen werden, zumal diese Formen im
Germanischen nicht isoliert stehen, sondern mit der Sippe von anord. spraka „knistern,
prasseln“ (vgl. lit. spragù „knistern, prasseln, knacken; platzen; rösten“, tschech. prahnouti
„verdorren, schmachten“, dazu den tschech. ON Praha, ursprünglich „durch Verdorrung
gerodete Stelle“, slov. SUiåLWL „schmoren“, serb. SUåLWL „rösten“) < *(s)phrog°,Í*(s)p
hr eg° und
letztendlich mit ahd. sprehhan, ae. sp(r)ecan „sprechen“ < „Geräusche machen“ <
„prasseln“ verbunden werden kann. Zugrunde liegt eine s-mobile-Wurzel *(s)bhre�- =
*[sphre�-] „prasseln“; „prasseln lassen > braten“ (anders LIV 582: *spreg- und Southern s-
mobile: zu brechen), wobei die baltoslavischen Formen eine unvollständige
Satemvertretung aufweisen (vgl. als Parallele aksl. kamy, lit. akmuo ��vs. ai. D�PDQ-, jav.
asman- „Stein“ < *h2á�mon- (EWAia I 137f.)). Der Wurzelvokalismus von thür. bräkeln <
*brak-LOÀ�ML�D�QD- ist dabei möglicherweise von einer verschollenen urgerm. Kausativ-
Iterativbildung *brakijana- < *bhro�é�e/o- „prasseln (lassen), braten“ beeinflusst worden
oder nach dem Verhältnis mhd. wegen : wackeln auf brechen hinzugebildet worden. Die s-
mobile-Varianten urgerm. *brak- „braten“ vs. *sprek- „prasseln, sprechen“ haben sich
dann durch Bedeutungsspezialisierung verselbstständigt.
B2: Die Bedeutungen „jmd. mit Bitten, Nörgeln, schlechten Nachrichten quälen“ sowie „jmd.
dauernd mahnend, kleinlich tadeln“ rühren aus einer semantischen Verschiebung von
„langsam braten“ > „Geräusche machen“ > „nörgeln“ her. Parallelen dieser
Bedeutungsentwicklung sind frk. brutzeln „braten“ > „nörgeln“ und mhd. brëgler
„Schwätzer“ (Lexer I 346, 26), zu mhd. brëglen (Lexer I 346, 18) und nhd. brägeln,
bregeln „braten, sieden, schmoren; prasseln“ (wohl ein Lehnwort aus dem Slavischen, vgl.
DWb II 291f.; 353; dazu auch fregeln „id.“ (Henisch 1199), mit Anlautssubstitution durch
Einfluss von lat. IU¯J�UH, DWb loc. cit.). Von der Bedeutung „nörgeln, tadeln“ hat sich über
die angenommene Zwischenstufe „murren“ die Spezialbedeutung „nicht richtig arbeiten,
mürrisch dasitzen (u. dabei trinken)“ entwickelt.
Lit: B1 ThWb s.v. bräkeln; L Sp ThGr. 72ff.; ThWb s.v. bräkeln; WB Kr/M 263f.; Egerm
BMZ I 235a, 15; DWb II 291, 72; EWA II 299ff.; EWAia I 137f., II 278; EWD s.v.
bräkeln 4
backen; Lexer I 346, 18; IEW 137; LitEW I 44; LIV 78; 81; 91; 96; 586; Neumann HS 111
(1998) 165ff.; Southern s-mobile; Vennemann HS 113 (2000) 244f.; Eidg Vine HSPh 90
(1986) 121ff.; B2 DWb II 291f.; 353; Lexer I 346, 18; 26.
Budike 1
Budike Sb f. „kleines (schäbiges, heruntergekommenes) Haus; kleines Wirtshaus;
Verkaufsstand auf dem Markt“
Z: Thür. Budike swf. „kleines (schäbiges, heruntergekommenes) Haus“ ist aus dem Französischen
entlehnt (frz. Boutique „Speicher, Magazine“). Die Bedeutungsentwicklung von „Laden“ zu
„baufälliges Haus“ ist durch volksetymologische Angleichung an dt. Bude „Haus, Hütte“ < urgerm.
*E�Z�ÀþÀ „Haus“ < idg. *bhii
áh2tah2- „das Verweilen“ (alb. bote „Erde, Welt“) erfolgt.
B: Das in Thüringen weit verbreitete Substantiv Budike f. hat verschiedene Bedeutungen, die
geographisch verteilt sind. Das Wort kennt die abwertende Bedeutung „kleines (schäbiges,
heruntergekommenes) Haus“ nur verstreut in südöstl. Nordostthür., Ostthür., Südostthür.,
sonst selten, doch nicht nördl. Westthür., westl. Zentralthür und südl. Ilmenauthür., vgl. de
gleen Leide ham nor Buddieken „die kleinen Leute haben nur kleine Häuser“ (Merseburg
(ThWb s.v. Budike)). Mit der zweiten Bedeutung „kleines Wirtshaus“ ist Budike hingegen
nur in Worbis, Merseburg, Schmölln, Erfurt, Eisenach, Weimar, Gera und Rudolstadt
(1890) in Gebrauch (ThWb. loc.cit.). Schließlich ist das Substantiv in der Bedeutung
„Verkaufsstand auf dem Markt“ in Sömmerda, Rudolstadt und Saalfeld belegt (ThWb.
loc.cit.). Budike ist auch im Pfälzischen, Hessischen, Rheinischen, Lothringischen und
Elsässischen mit der Bedeutung „baufälliges Haus, ärmliche Hütte“ bezeugt (vgl. PfälzWb
I 1398 s.v. Butik mit Literatur und Belegen) und ist außerdem in den nhd. erweiterten
Standardwortschatz eingedrungen (vgl. EWD s.v. Boutique).
M: Das Lehnwort Budike ist in die produktive schwache Femininflexion eingegliedert worden
(vgl. Akk. Pl. thür. Buddieken).
L: Die dialektale Form Buddieke weist auf Dehnung von betontem /i/ in offener Silbe. Die
Schreibung mit geminiertem <d> zeigt nur die Kürze des vorangehenden Vokals.
WG/Egerm
: Die Betonung der Mittelsilbe bei einem nicht präfigierten Wort ist bereits ein
deutlicher Hinweis auf den Status von Budike als nicht-germanisches Wort. Die
Akzentverschiebung ist im Deutschen nur vereinzelt in Wörtern mit mittleren schweren
Silben belegt, vgl. z.B. nhd. lebéndig, mda. ON Erlángen. Budike ist dabei eine deutsche
Adaptierung von frz. boutique /but'ik(¸)/ „Kramladen“ (Gamillscheg 142), das im 15. Jh.
entlehnt worden und seinerseits eine Entlehnung durch lat. Vermittlung aus mgr. �SRT�NK��DSR�LNL�� Ä6SHLFKHU�� 0DJD]LQ³� PLW� DN]HQWEHGLQJWHU� $SKärese ist, vgl. auch it. bottega
„Laden, Geschäft“. Spätere Neuentlehnungen aus dem Lat. bzw. Frz. sind nhd. Apotheke
„Medizin-, Spezereiladen“ und Boutique „(kleines) Modengeschäft“; vgl. auch nndl.
boetiek, ne. boutique, nschw. butik, nnorw. butikk (EWD s.v. Apotheke, Boutique). Der
Wandel [butik�] > [budik�] ist regelmäßig nach der binnendeutschen
Budike 2
Konsonantenschwächung (Lenisierung), die einen Großteil des Mitteldeutschen und des
Oberdeutschen im Spätmittelalter betroffen hat (MhdGr 130ff.). Erklärungbedürftig ist
hingegen der Bedeutungswandel von „Speicher, Magazin“ auf „kleines verfallenes Haus“.
Dass das Wort meist kleinere Läden bezeichnet hat, liegt daran, dass das bezeichnete
Geschäft Kleidung, Gewürze und Medikamente verkaufte. Es ist aber auch denkbar, dass
das ndd. Deminutivsuffix -ke (: hd. -chen) eine Rolle bei dem Bedeutungswandel gespielt
hat. Denn für einen norddeutschen Sprecher war das Wort Budike segmentierbar als
Deminutiv von dt. Bude. Dadurch wurde das Wort volksetymologisch an Bude „baufälliges
Haus; Hütte; Zimmer, Wohnung; Laden“ angeschlossen und hat dessen negative
Bedeutungskomponente übernommen (zur Bedeutungspalette des nhd. Wortes vgl.
Stammler 1954: 205-208). Das deutsche Wort Bude ist bereits etymologisch gedeutet
worden (DWb s.v., EWD s.v.), aber die lautlichen Einzelheiten sind bis heute unklar
geblieben. Das Wort ist ab dem Mhd. belegt, vgl. buode, bude (stf. u. swf., vgl. Lexer
s.v.(1,388,1)) „Hütte, Gezelt, Schuppen, Haus“, und entspricht lautlich sowie semantisch
mndd. EÀGH, mndl. boede „Hütte, Gezelt, Schuppen“, nndl. dial. boet, boe, boeie, bòj
„Scheune“ (NedEW 69 s.v. boedel), entlehnt als poln. wruss. buda „Hütte“, lett. buõde,
buõds, buõte, buõts „Bude“ und lit. EÌGà „Hütte“ (LitEW I 61). Der Wurzelvokalismus der
aufgeführten Lexeme entspricht aber nicht dem von mhd. bûde „Hirtenhütte“ > nhd. Baude
„(Berg-)Hütte“ sowie „Tierhöhle“ (ins Tschechische als bouda entlehnt, vgl. Bielfeldt
1965: 25 mit Literatur), ufrk. Dachsbaude „Dachsöhle (EWD s.v. Baude) und aisl. búð f.
„Wohnort, Hütte, Zelt“ - vgl. dazu nisl. fär. búð, nnorw. bud, nschw. ndä. bod, shet. bød
sowie die Lehnwörter me. bouþe aus an. búð (aber ne. booth aus adän. EÀþ). Die erste
Gruppe setzt eindeutig urgerm. *À, die zweite urgerm. *Ì. Da die Formen zweifellos
zusammengehören und auf die Verbalwurzel urgerm. *EÌ- „sein (> verweilen, wohnen)“ <
idg. *bhuh2- „werden“ zurückgehen, ist das Problem im Zusammenhang mit der Vielfalt
des Vokalismus, die in verwandten Formen anderer indogermanischen Sprachen
vorkommen, zu behandeln.
Eidg1
: Die Wurzel *bhuh2- „werden“ hat im Germanischen die subjektresultativische
Bedeutung des dazugehörigen Perfekts „sein“ verallgemeinert (zur Wurzelbedeutung vgl.
Lühr athem. Präs., Lühr 1997: 35-36, LIV 98-99). Die weitere Bedeutungsentwicklung von
„sein“ zu „wohnen“ ist trivial; auch die umgekehrte Entwicklung kann eintreten, vgl. das
urgerm. entreduplizierte Perfekt *was(i) / *Z�]XQþ „war / waren“ aus idg. *h2ies-
„verweilen, (die Nacht) verbringen“ (LIV 293).
Budike 3
Die Qualität des wurzelhaften Laryngals als h2 wird von Formen wie lit. buvò, air. ba
„war“ < *bhiáh2t oder vom Subst. air. baile m. „Ort; eigenes Land; Dorf“ < urkelt. *bali�o-
„Wohnort“ (LEIA, B-7, EWA II 413) bewiesen, das mit Kürzung des Wurzelvokals durch
die Wirkung des Dybo“schen Gesetzes (vgl. *suHnú- > urgerm. *sunu- (Schrijver 1991:
351-356, mit Literatur)) aus *E�OLhó- < *bhiah2lihó-, einer thematischen Ableitung aus der
akrostatischen -li-Bildung *bhióh2li- / *b
hiáh2li- „das Verweilen“ (vgl. gr. IZOH´M „Lager,
Höhle“ < *bhioh2lehó-), stammt. Einen anderen Hinweis auf h2 bietet der alat. Konjunktiv
Q�� IX�V „sollst nicht sein“ < *fuias < 2. P. Sg. Injunktiv Aorist *bhuieh2-s (Lindeman-
Variante, vgl. Lipp apud LIV 99 Anm. 5). Die germanische Form *EÀþÀ (> Bude usw.)
muss also nicht (wie EWD s.v. Bude) auf eine Vorform **EÀZþÀ mit irregulärer
Beibehaltung eines morphologisch unbegründeten dehnstufigen *o vor Halbvokal +
Okklusiv sowie sukzessivem irregulärem Verlust des zweiten Diphthongsteils
zurückgehen, sondern kann einfacher altes *E�Z�ÀþÀ „Wohnort“ mit urgerm.
dissimilatorischem Schwund von /w/ zwischen labialem Konsonant und À (vgl. got. fon
„Feuer“ < *I�Z�ÀQ <= *p[h2]iÀU� / *puh2nés) < *bhiáh2tah2 „das Verweilen“ fortsetzen.
Diese Analyse wird dadurch gestützt, dass das konkretisierte Verbalabstraktum mit alb.
botë „Erde, Welt; Boden; Lehm“ < *E�W�- < idg. *bhiáh2tah2 (zur Vorform vgl. Demiraj
107, mit Literatur) eine bis ins morphologische Detail genaue etymologische Gleichung
mit dem deutschen Wort bildet. Zur Bedeutungsentwicklung des Abstraktums „das
Werden; das Dasein, das Verweilen“ zum Konkretum „Haus, Wohnort; Erde, Land“ vgl.
dt. Wohnung „Ort, wo man wohnt“ < „das Wohnen“, ai. bhavana- „das Werden; Wohnung,
Haus“, ai. bhW- „Erde, Welt“ und ai. bhWmi- „Erde, Erdboden, Land“ < „das Werden“.
Eidg2
: Die germ. Formen mit wurzelhaftem *Ì� können hingegen lautgesetzlich auf urg.
*bhuh2tah2 mit nullstufiger Wurzel beruhen. Vorzuziehen ist jedoch die Annahme einer
analogischen Umgestaltung nach der Verbalwurzel (vgl. aisl. búa „weilen, wohnen;
bereiten, schmücken, bauen < *wohnbar machen“, ahd. bûan „wohnen, bewohnen“, ae. as.
EÌDQ� ,wohnen, bleiben“, got. bauan „(be)wohnen, ald bauan „ein Leben führen“ <
*EÌMDQD-, vgl. Seebold 124ff., AhdEW II 411 s.v. bûan, Harðarson 2001) oder nach dem
Substantiv ae. as. EÌ n. „Wohnsitz“, aisl. bú n. „Gehöft“, ahd. mhd. bû m. „Wohnung,
habitatio“, nhd. Bau (AhdEW II 411 s.v. bû), da ein ererbtes alternierendes
proterokinetischen Paradigma *bhiáh2-t(a)h2- / *b
huh2-táh2- (Typ *g
ién-h2- / *g
in-áh2-
„Frau“, vgl. Harðarson 1987) bei einer Bildung auf -tah2- ohne Parallelen wäre. Auch das
Nebeneinander von lit. EÌWìs „Dasein, Existenz“ < *bhuh2tí- und bùtas, butà „Haus,
Behausung, Wohnung“ (vgl. apr. EÌWRn „sein“ vs. buttan „Haus“) erklärt sich auf die
Budike 4
Weise, dass bùtas ein verbales Allomorph lit. bÎ- (vgl. lit. Prät. buvaÊ < *bhuh2-V°, LitEW
I 68) eingedrungen ist. Dasselbe könnte ebenfalls für air. both „Hütte; das Sein“, kymr. bod
„Hütte“ gelten, aber in diesem Fall könnte auch eine lautgesetzliche Dybo“sche Kürzung
eingetreten sein.
Lit.: B EWD s.v. Boutique; PfälzWb I 1398 s.v. Butik; ThWb s.v. Budike; Egerm
Bielfeldt
1965: 25; DWb s.v. Bude; EWD s.v. Apotheke, Boutique, Baude, Bude; Lexer s.v. buode
(1,388,1); LitEW I 61; MhdGr 130ff.; NedEW 69 s.v. boedel; Eidg1
Demiraj 107; EWA II
413; EWD s.v. Bude; LEIA, B-7; Lipp apud LIV 99 Anm. 5; LIV 98-99, 293; Lühr athem.
Präs.; Lühr 1997: 35-36; Schrijver 1991: 351-356; Eidg2
AhdEW II 411 s.vv. bû, bûan;
LitEW I 68; Harðarson 1987; Harðarson 2001; Seebold 124ff.
Dausch 1
Dausch Sb f. „Mutterschwein“
Z: Das mda. Substantiv Dausch f. „Mutterschwein; Hündin“ (Deminutiv Däuschchen „weibliches
Ferkel“) setzt ein urgerm. Substantiv *þÌVNÀ- f. „trächtiges Tier“ fort. Es handelt sich dabei um die
Substantivierung des mit dem intensivierenden Suffix -ska- gebildeten Adjektivs *þÌ-ska- „immer
wieder anschwellend“ (vgl. ahd. frosc „Frosch“ < *pru-sko- „immer wieder hüpfendes Tier“), dem
seinerseits die idg. Wurzel *teii
h2- „stark sein/werden; schwellen“ (oder *teii
h2-k- „id.“) zugrundeliegt.
B: Das mda. Substantiv Dausch (st.F.) ist verstreut in Henneberg, östl. Sonneberg,
Hildburghausen und Coburg mit der Bedeutung „Mutterschwein, weibl. Schwein“ in
Gebrauch, vgl. ons Dusch muß ball heck „unser Mutterschwein muss bald werfen“,
Meiningen (zu hecken „nisten; gebären“ vgl. DWb s.v.). Das Substantiv wird außerdem als
Kosename und Lockruf für das weibliche Ferkel und das weibliche Schwein (häufig im
Deminutiv als Däuschchen oder Däuschlein) in Westthür. (außer südwestl. Eisenach),
südwestl. Zentralthür., nordwestl. Henneberg., Naumburg, Sömmerda, Stadtroda, Bad
Salzungen, Arnstadt, Meiningen, Erfurt, Gotha, Eisenach benutzt, vgl. z.B. Arnstadt ißt wie
e Duschchen „er ißt wie ein Ferkel“, Meiningen Dusch Dusch (wiederholter Lockruf), usw.
Thür. Dausch ist schließlich in der Bedeutung „Hündin“ in Sonneberg belegt. Zu den
Belegen vgl. ThWb. s.v. Dausch. Das Substantiv Dausch(e), mit der Variante Tausch(e),
„Mutterschwein; Hündin“ ist auch außerhalb des thür. Dialektgebietes verbreitet, vgl.
schwäb. Dausch „Mutterschwein“, bad. Dausch „Mutterschwein; Mutter vieler Kinder“,
hess. „unverschnittenes weibliches Schwein, Mutterschwein“ (DWA 7, SchwäbWb II 117,
BadWb I 442, SHessWb I 1434f., DWb s.vv. Dausch, Tausch).
L: Das Wort ist in vielen mundartlichen Varianten mit abweichendem Vokalismus bezeugt,
die aber auf anlautendes d- und inlautendes mhd. Ì�hinweisen. Vgl. z.B. nördl. Henneberg.
duš, düš mit Kürzung von Langvokal vor stimmlosem Frikativ (Sp ThGr 170f.) und
sporadischer kontextfreier Palatalisierung von (gekürztem) u zu ü (Sp ThGr 53f.); westl.
Henneberg. doš, döš (Suhl), mit regulärer Senkung von u und ü zu o und ö (Sp ThGr 51f.);
südwestl. von Meiningen belegtes douš zeigt Diphthongierung von mhd. Ì, nordwestl. von
Meiningen bezeugte duiš und duš weisen hingegen auf partielle Palatalisierung bzw.
Kürzung von mhd. Ì hin (Sp ThGr 165f.); der Wurzelvokalismus der Formen dåiš
(Mellrichstadt), döiš (um Meinigen) und dauš (südl. Henneberg., östl. Sonneberg,
Hildburghausen, Coburg) ist durch Diphthongierung und teilweise Palatalisierung von
mhd. Ì entstanden (Sp ThGr 163ff.). Die Belege mit anlautendem t (vgl. z.B. Zentralthür.
Tuschmätzchen) sind am ehesten durch Fortisierung (oder hyperkorrekte Aussprache, vgl.
Dausch 2
Sp ThGr 191) von hochdeutschem d vor Ì�wie in nhd. Tausend < mhd. tûsent < ahd. dûsent
(Braune/Eggers AhdGr 166) zu erklären.
WB: Mda. Dausch kommt als Hinterglied in dem synonymischen Determinativkompositum
Tragedausch vor, als Vorderglied hingegen in thür. Dauschmatz (kinderspr.) m. „Ferkel“,
vgl. Duschmatz (Pößneck), deminutivisch Dischmatzchen (Eisenach), Tuschmätzchen
(Erfurt), eigentlich „Junges des Mutterschweins“ (zum Hinterglied Matz „Kosename für
junge Tiere“ < „kleiner Matthias“ vgl. DWb s.v. und EWD s.v.; vgl. auch thür. Matze2
„Lockruf für Schweine und Kaninchen“ oder Matzeber „Eber“ in ThWb s.vv.). Von
Dausch sind die zwei Deminutivbildungen Däuschchen und Däuschlein abgeleitet, vgl.
einerseits d�ã$ã (nördwestl. von Meiningen), duš$ãn (Westthür.), mit -t-Einschub dutš$ãn
(Eisenach), usw., andererseits dušlã (Suhl), düšlã, döüšlã (um Meiningen), usw. Zu
weiteren Belegen s. ThWb s.v. Dausch; zur Verteilung der Deminutivsuffixe -chen vs.
-lein im thür. Dialektgebiet vgl. Sp ThGr 242f.
WG/Egerm: Das mda. Substantiv Dausch(e), Tausch(e) hat keine sichere Etymologie (vgl.
DWb s.vv.; kein Eintrag in EWD). Der Anschluss an mda. Daus „As, Sau im Kartenspiel“
(so BadWb I 442) scheitert an der Nebenbedeutung „Hündin“ (vgl. SHessWb I 1434f.).
Auch der alternative Vorschlag, das Wort mit dem rhein. Verb dauschen „tosen;
betrunken, erregt sein“ zu verbinden (vgl. SHessWb I 1435), ist aus semantischen Gründen
unwahrscheinlich (rhein. Dausch bedeutet übrigens „Sausen, dumpfes, summendes
Geräusch; Rauschen“, vgl. RheinWb s.v. dauschen; man müßte also von einem parallelen
deverbalen retrograden Bildung Dausch „Erregtsein“ ausgehen, die sich zu „erregtes Tier“
> „weibliches Tier“ hätte konkretisieren müssen).
Das Wort kennt keine außerdeutschen Entsprechungen, zur etymologischen Deutung des
Wortes bieten sich also nur die interne Rekonstruktion des althochdeutschen Substantivs
und der Anschluss an wurzelverwandte Wörter an.
In Anbetracht der verschiedenen Bedeutungen „Mutterschwein“ und „Hündin“ (vgl. auch
den Bezug auf Zustand und Funktion als „gebärendes weibliches Schwein“ bei den
Komposita Tragedausch „trächtige Sau“ und Dauschmatz „Junges des Mutterschweins“)
ist ein Zusammenhang mit Begriffen wie Schwangerschaft, Erzeugung, Mutterschaft
naheliegend. Das Wort ist daher als eine mit dem intensivierend/iterativen Adjektivsuffix
urgerm. *-ska- (f. *-VNÀ-) gebildete Tierbezeichnung ahd. *dûska < urgerm. *þÌ-VNÀ- f.
„(immer wieder) trächtiges Tier“ zu rekonstruieren. Vgl. zur Bildung das Adjektiv ahd.
rasc „schnell, gewandt, kräftig“ < urgerm. *raska- (dazu an. rÆskr „kühn, tapfer“ < *rask-
wa-) < vorurgerm. *rot-ske/o- „schnell laufend“ (zur Wurzel *ret- „laufen“, s. LIV 507)
Dausch 3
oder das substantiviertes Adjektiv ahd. frosc, an. froskr „Frosch“ < urgerm. *fruska-
„immer wieder springend, hüpfend“ < vorurgerm. *pru-ske/o- (Ableitung von der
Schwundstufe der Verbalwurzel idg. *prei- „springen“, vgl. an. frár „schnell, flink“ <
*frawa- < *proi-ó-, ai. 3.P.Pl.Präs.Ind.M. pravanta „sie springen“ < *prei-o-nto, s. LIV
493) – zum Suffix vgl. Kr/M 194f., mit weiteren Beispielen.
Der Vorform *þÌ-VNÀ- liegt die germ. Wurzel *þÌ- „(an)schwellen“ zugrunde, die von
zahlreichen Nominalbildungen im Germanischen fortgesetzt wird (vgl. z.B. mnd. dûn(e)
„aufgeschwollen; dick, voll“ < *þÌ-na- < *tuh2-no- (MndHWb 88), ahd. dûmo m. n.
„Daumen“ < *þÌPDQ- < *túh2-PÀQ� (EWA II 850) „der große (Finger)“ < „der
Geschwollene“ (IEW 1080 ff., úEWDD s.v. Dausling)). Das Wort bedeutete also
ursprünglich „immer wieder anschwellend“ > „immer wieder schwanger werdend“ und
wurde zu „trächtiges Tier“ substantiviert. Zum Bedeutungswandel „angeschwollen sein“ >
„schwanger sein“ > „gebären“ vgl. das Nebeneinander der Wurzel *seih3- „voll
sein/werden“ (heth. sunnai „füllt“, palaisch VÌQDW „goß aus“ < *su-né-h3-t „füllt“, LIV 539)
und *seiH- „gebären“ (jav. Präs. KXQ�PL „gebäre“ < *su-né-H-mi, ved. Perfekt sasJÎU@Í„hat
geboren“ < *se-soiH- / *se-suH- „ist schwanger“, ai. VÌ- „Erzeuger“, av. KÌ- „Schwein“,
gr. ÃM m. „Eber“, f. „Sau“, lat. VÌV, u. Akk. Pl. sif, alb. thi „Schwein“, ahd. sû, ae. VÌ, aisl.
sýr f. „Sau“, usw. (IEW 1038f.) < uridg. *suH-s f. „Mutterschwein, Sau“), falls es sich mit
Oettinger um einzelsprachliche Bedeutungsspezialisierungen derselben Wurzel *seih3-
„schwellen“ > „voll/schwanger werden“ > „gebären“ handelt (vgl. dazu LIV 538).
Eidg: Die germanische Wurzel *þÌ- „(an)schwellen“ setzt idg. *teih2- „stark sein; fett werden;
schwellen“ (vgl. russ.-ksl. tyti „fett werden“ < *tuh2-ti-, EWA II 672,�-*7����G� úEWDD
s.v. Dausling) fort. Falls das Adjektiv *þÌVND- alt ist, wäre auch eine Ableitung aus der
erweiterten Wurzel *teih2-k- denkbar, etwa *tuh2k-ske/o- > *tuh2ske/o- mit Vereinfachung
der Konsonanten Gruppe *ksk zu *sk wie in urgerm. *IRUVNÀ- „Forschung“ (Abstraktum
zum Präsensstamm *p;�-s�é/ó- „fragen“, vgl. LIV 490; zur Wurzel *teih2-k- s. unten). Die
Bedeutungsspezialisierung zu „schwanger sein > gebären“ ist für diese Wurzel
möglicherweise auch in Bildungen wie dem mit neuer e-Stufe des Grundmorphems
substantivierten Adjektiv *téih2-to- „der Geborene“ vs. Abstraktum/Kollektiv *teih2-táh2-
oder *toi�h2)-táh2- „Geburt; Nachkommenschaft“ > „Volk, Stamm, gens; Land, Nation“
vorhanden (möglich allerdings auch Adjektiv *tuh2-tó- „gefüllt, voll“ vs. Abstraktum
*teih2-táh2- „Fülle“ > „Volk“), vgl. got. þiuda, ahd. diot, diota, as. thiod(a), afries. WKL�G,
ae. ð�RG, aisl. þjóð „Volk, Stamm, Menschen, Heiden, Leute“ (mit Akzent nach dem
Abstraktum/Kollektiv), apreuß. tauto „Land“, alit. tautà „Volk, Nation“ (*tau �Wº <
Dausch 4
*toi(h2)táh2 - zum Wurzelvokalismus vgl. Petit BSL 95 (2000): 142f.), neben osk. touto,
umbr. tuta „civitas“ < urital. *teiDW�- (mit Synkope) oder *toiW�-, gall. toutas (Briona), PN
Teutomaros, Teutates, air. túath „Volk, Stamm, Land“, nkymr. WÌG „Leute; Gegend“, korn.
tus „Volk, gens“, mit analogischem Laryngalschwund zu *teito- (statt **teiato-) nach
*toi�h2)-táh2- > (de Saussure“sches Gesetz) urkelt. *toiW�- oder mit innergallischen dial.
Wandel *toito- > Teuto- (so McCone 1996: 8). Weitere Belege in IEW 1084, EWA II
684ff. Zum Bedeutungswandel „Geburt; Nachkommenschaft“ > „Volk, Nation, Stamm,
Leute“ vgl. air. clan(n), -�- f. „Stamm, Familie, Sippe“, kymr. plant Pl. „Kinder“ (dazu
Singulativ plentyn „ein Kind“) < lat. planta „Pflanze, Sprössling“, lat. Q�WLÀ, Q�WLÀQLV f.
„Geburt > Nation“ und lat. gens, gentis f. „(adlige) Familie“ (> it. gente „Leute“) < urit.
*genati- / *JQ�WHh- < *�énh1-ti- / *�Eh1-téh- „Geburt“ (zu idg. *teih2tah2- anders Zimmer
Studien z. idg. Wortschatz 326).
Die gleiche semantische Sphäre ist außerdem in Ableitungen der erweiterten Wurzel
*teih2-k- „fett sein/werden, schwellen“ wiederzufinden (IEW 1085), vgl. das
Wurzelnomen ai. túc- f. „Kinder, Nachkommenschaft“ (< *tói(h2)k-s / *tuh2k-és, mit
analogisch durchgeführtem Laryngalschwund aus den starken Kasus nach der Lex de
Saussure/Hirt), ai. tokám n. „Nachkommenschaft“ (wohl aus dem substantivierten Adjektiv
*toi(h2)k-ó-m), ai. tókman- n. „junger Halm, Schößling“, av. taoxman- n. „Same, Keim“ <
*téi�h2)k-mE (mit Laryngalschwund in der Umgebung CHCC, vgl. dazu Hackstein HS
115: 1ff.) und apers. WDXP� f. „Familie, Same, Keim“, mit Überführung des Kollektivs
*téih2k-PÀQ / *tu(h2)k-(m)n-és (Laryngalschwund nach der Wetter-Regel, vgl. dazu Peters
1999: 447) in die -�-Stämme; zu dieser Sippe vgl. EWAia I 651, 670.
Lit.: B BadWb I 442; DWA 7; DWb s.vv. Dausch, Tausch, hecken; SchwäbWb II 117;
SHessWb I 1434f.; ThWb. s.v. Dausch; L Braune/Eggers AhdGr 166, Sp ThGr 51f., 53f.,
163ff., 165f., 170f., 191; WB DWb s.v. und Matz; EWD s.v. Matz; Sp ThGr 242f.; ThWb
s.vv. Dausch, Matze2, Matzeber; Egerm BadWb I 442; DWb s.vv. Dausch, Tausch; EWA II
850; EWDD s.v. Dausling; IEW 1038f., 1080 ff.; Kr/M 194f.; LIV 493, 507, 538, 539;
MndHWb 88; RheinWb s.v. dauschen; SHessWb I 1434f.; Eidg EWA II 672, 684ff.;
EWAia I 651, 670; EWDD s.v. Dausling; Hackstein HS 115: 1ff.; IEW 1084, 1085; LIV
490, 639f.; McCone 1996: 8; Peters 1999: 447; Petit BSL 95 (2000): 142f.; Zimmer
Studien z. idg. Wortschatz 326.
Dausling 1
Dausling Sb f. „Mastdarm des Rindes“
Z: Thür. Dausling „Mastdarm des Rindes“ ist eine Zugehörigkeitsbildung zu einem Abstraktum urgerm.
*þÌV-tu- m. „Geschwulst“ (vgl. wfäl. GÌVW� „Beule, Geschwulst“, an. þústr „Zorn“ <
„Angeschwollensein“) oder eine Substantivierung des Adjektivs *þÌVD- „groß, angeschwollen, dick“
(vgl. dt. Dausmann „angesehener Mann“). Beide Formen sind aus einer urgerm. Wurzel *þÌV- abgeleitet, die auch im Zahlwort *þÌV-und-¯� „tausend“ vorkommt und aus einem idg. s-stämmigen
Substantiv *teii
h2-s- „Anschwellung, Kraft“ herrührt.
B: Das thür. Substantiv Dausling m. „Mastdarm (Dickdarm) des Rindes (besonders für die
Rotwurst verwendet)“ ist nur im Westthür. und Henneberg. belegt, vgl. Düüsling (um Bad
Salzungen) und Düüstling / Duusling (Schmalkalden) (ThWb s.v. Dausling).
L: Die geographische Verteilung des Wurzelvokalismus henneberg. -uu-�>Ì@�QHEHQ�ZHVWWK�U��-üü- [�@�VSULFKW�I�U�8UVSUXQJ�DXV�PKG��-Ì-, das im nordwestl. Thüringen monophthongisch
bleibt. In der Umgebung von Bad Salzungen, aber nicht in der Stadt selbst, wurde der
Vokal kontextlos palatalisiert, vgl. Sp ThGr 166. Der stimmlose dentale Verschlusslaut in
der Form Düüstling könnte auf Einschub zwischen -s- und -l- beruhen, aber man kann
nicht völlig ausschließen, dass Formen wie Duusling, Düüsling aufgrund
Gruppenvereinfachung ursprüngliches -t- eingebüßt haben.
M/WB: Das m. Substantiv ist eine denominale Ableitung mit dem Suffix -ling, eine durch
Metanalyse entstandene Variante des Suffixes -ing (vgl. mhd. grundelinc zu grundel,
sekundär zu grund, Kr/M III 208f.), das Zugehörigkeit zum Grundwort ausdrückt. Das
Suffix bildet insbesondere Personal- und Sachbezeichnungen nach charakteristischen
Merkmalen der Ableitungsbasis, vgl. EWD s.v. -ing, Munske 1964, Kr/M III 200ff.
(Beispiele von Sachbezeichnungen: Däumling, Fäustling, Fingerling, Frühling, Setzling, s.
dazu van Dam 368). Zur Ableitungsbasis → Egerm1
.
Egerm1
: Für thür. Dausling „Dickdarm“ ist bisher keine Etymologie vorgeschlagen worden.
Das Wort ist entweder eine Zugehörigkeitsbildung zu einem niederdeutschen Substantiv
*dÌVW� m. „Anschwellung, Geschwulst“ oder die Substantivierung eines verschollenen
ahd./andd. Adjektivs *GÌV�n. „angeschwollen“. Die Ableitungsbasis kann also einerseits
mit wfäl. GÌVW� „Beule, Geschwulst“, nordfr. GÌVW� „Klumpen, Haufen; Wulst, Büschel,
Zotte“, aisl. þústr m., þjóstr m. „Zorn, Heftigkeit“ < *þeus-ti- / *þÌV-tei- „(vor Zorn)
Angeschwollensein“ (AnEW 614, EWA II 898) identifiziert werden, andererseits mit thür.
Daus(t)2 m., n. „tüchtige Person, Teufelskerl“ (ThWb s.v. Daus
2), wenn dieses Wort auf
Substantivierung eines Adjektivs *GÌV� „groß, wichtig, dick“ < „angeschwollen“ beruht
(vgl. dazu nhd. mda. Daus m. „ausgezeichnetes und treffliches Wesen, Mensch den man
Dausling 2
mit Wohlgefallen ansieht“, Dausmann m. „angesehener Mann“, DWb s.vv.). Nicht hierher
gehörig thür. Daus(t)1 n. „Spielkarte mit dem höchsten Zählwert, As“ (ThWb s.v. Daus
1),
das eher spätahd. dûs „Zwei auf dem Würfel und im Kartenspiel“ < afrz. dou(e)s „zwei“
fortsetzt, vgl. EWA II 890. Die Beurteilung der Wortsippe von thür. Daus(t)2 m. ist durch
den Umstand erschwert, dass die Herkunft des vielfach belegten auslautenden -t- (ThWb
s.v. Daus2) unklar bleiben muss, denn der stl. dentale Verschlusslaut könnte im Auslaut
geschwunden sein oder, wie es wahrscheinlicher scheint, sekundär durch Epenthese
angefügt worden sein, vgl. nhd. Axt < mhd. ackes, nhd. Obst < mhd. obe��(s. dazu Mhd Gr
161). Beide aufgrund der Belege anzusetzenden Grundformen urgerm. *þÌV-ti- m.
„Angeschwollensein, Geschwulst“ und urgerm. *þÌVD- „angeschwollen, dick“ können so
der -ling-Ableitung zugrundeliegen; die ursprüngliche Bedeutung von mhd. *GÌV�W�OLQJ�ist
in jedem Fall „angeschwollenes Teil“ > „Dickdarm“.
Egerm2
: Die urgerm. Wurzel *þÌV- ist verbal nicht belegt. Außer den obenerwähnten Wörtern
liegt diese Wurzel möglicherweise der Sippe von ahd. dost „Dost“ (EWA II 740ff.) und
dem germ. Adjektiv *þwasta- „fest“ (nicht hierher isl. þvest, þvesti n. „die festen Teilen
des Fleisches“, die Varianten von aisl. þverst(i) sind, vgl. AnEW 629) zugrunde, worauf
das got. Verb ga-þwastjan „stark, fest, sicher machen“ und das Abstraktum got. þwastiþa
„Sicherheit“ beruhen (IEW 1084, Heidermanns 633f.; Casaretto Nom.Wbild. Got. 471).
Die Wurzel kommt auch im Zahlwort ahd. dûsunt, as. WKÌVXQGLJ, mnd. GÌVHQW, mnl.
dusen(t), dusant, duust, afr. WKÌVHQG, ae. ðÌVHQG, got. þusundi „tausend“, aisl. þúsund
(sekundär þúshund, runenschwed. þÌVKXQGUDð, mit Anlehnung an das Wort aisl. hundraþ
„hundert“, vgl. EWA II 900) „1200“, selten „1000“ < urgerm. *þÌV-XQG¯ (weitere Belege
in EWA II 891) vor. Das Wort ist einer sorgfältigen etymologischen Untersuchung in
EWA II 890ff. unterzogen worden. Wegen der Relevanz für die Etymologie von Dausling
muss aber die dort vorgenommene morphologische Analyse des Wortes präzisiert werden:
Wie oben gemerkt, ist es nicht wahrscheinlich, dass die Wurzel *þÌV- verbal verwendbar
war, da keine damit gebildeten Verben inner- sowie außergermanisch belegt sind und die
Semantik eher resultativ ist. Es ist daher am ehesten anzunehmen, dass urgerm. *þÌVXQG¯ „1000“ < „(angeschwollene) Menge“ die Ableitung eines Adjektivs *þÌV-and- „groß“
darstellt, das seinerseits mittels des adjektiverweiternden ablautenden Suffixes idg. *-ont-
(bzw. *-o-nt-) / *-Et- > urgerm. *-and- / *-und- aus dem in thür. Dausling verbauten
urgerm. Adjektiv *þÌVD- „groß, angeschwollen“ abgeleitet ist, vgl. die Bildungsparallele
ai. mah ǯant-, lat. ¯QJ�QV� „groß“ < *A�áh2-ont- / *A�h2-Et-és, zu ai. máhi, gr. P|JD <
*me�h2 n. „groß“ (dazu EWAia II 337ff., mit Literatur).
Dausling 3
Eidg
: Die urgerm. Neowurzel *þÌV- stammt von der Schwundstufe des proterokinetisch
flektierenden idg. s-stämmigen Abstraktums *téih2-os / *tuh2-és- „Angeschwollensein,
Stärke, Kraft“. LIV 639f. setzt einen wurzelhaften Laryngal *h2 wegen gr. V�RM „heil,
gesund“ < *tuh2-eio- an; zweideutig ist hingegen urgerm. *þwasta-, das ein Vorform
*tuh2as-to-, aber auch *tuHos-to- fortsetzen kann (vgl. lat. augustus < *h2aigos-to-, LIV
275; zum Wandel *uHV > germ. *wV vgl. ahd. swîn, as. VZ¯Q, got. swein, an. svín, ae.
VZ¯Q, afr. VZ¯Q�< *suH-ehnó- n. „Schwein“, Stoffadjektiv zu *suH- f. „Sau“, EWD s.v.
Schwein). Das Substantiv ist von av. tauuah- „Vermögen, Kraft“ (AiranW 639) und
indirekt von ai. tavás- „stark, kräftig“, távasvant- „mit Kraft versehen“, tavasiyá- n.
„Kraft“, usw. fortgesetzt (EWAia I 638ff.; s. im Allgemeinen IEW 1080ff.). Das urgerm.
Adj. *þÌVD- setzt wohl eine vorurgerm. Bildung *túh2s-o-, die eine Thematisierung des idg.
Adj. *tuh2-� ÷V� / *tuh2-s-és (vgl. ai. tavás-) darstellt. Das enge semantische Verhältnis
zwischen die Wurzel *teih2- „stark sein; fett werden“ (vgl. russ.-ksl. tyti „fett werden“ <
*tuh2-ti-, EWA 672) und *me�- „groß sein“ ist dabei nicht nur durch die Hesychglosse gr.
WDÆM�� P|JDM, SRO¼M� (Frisk s.v.), sondern auch durch zahlreiche morphologische
Entsprechungen bestätigt, vgl. ai. mahi�á- „groß, mächtig“ : tavi�á- „stark“; máhi�¯- f.
„Fürstin“ < „die Große“ : távi�¯- f. „Kraft, Stärke“; máhas- „Größe“ : av. tauuah-
„Vermögen, Kraft“; ai. mah ǯant- „groß“ §� XUJHUP�� þÌV-and- „groß“ (EWAia II 337ff.,
340). Die Wurzel *teih2- ist auch ohne das Stammbildungselement -s- im Germanischen
vertreten, vgl. z.B. mnd. dûn(e) „aufgeschwollen; dick, voll“ < *tuh2-no- (MndHWb 88),
ahd. dûmo m. n. „Daumen“ < *þÌPDQ- < *túh2-PÀQ� vs. aschwed. þumi „id.“
(verallgemeinert aus dem schwachen Stammallomorph *tuh2-mn-, mit Kürzung nach dem
Osthoff“schen Gesetz oder sekundäre Nullstufe nach EWA II 850) „der große (Finger)“ <
„der Geschwollene“. Zu weiteren Belegen der Wurzel mit Erweiterungen vgl. IEW 1080
ff., EWA II loc. cit.. Semantisch nah stehen die verwandten Wörter an. þjó n.
„Oberschenkel“, ae. þéoh „Oberschenkel, Hüfte“, afr. WKL�FK, ahd. dioh < *téih2ko-m
sowie aksl. WXNt „Fett“, lit. táukas „Gebärmutter; Fettstück“, lett. tàuks „fett, feist“, tàuki
„Fett“, apr. taukis „Schmalz“ < *téih2ko-, neben lit. tùkti, lett. tûkt „fett werden (von
Mastrindern)“, lett. WÌNV „Geschwulst, uterus“, lat. WXFF�WXP�„eine Art gesalzene Rinds-
und Schweinswurst“ (aus *WÌN�WR-, mit Gemination nach der littera-Regel) und mir. tón f.
„Hintern“ < *WXNQ� (< *tuHk-nah2, mit Laryngalreduktion nach der Wetter-Regel). Alle
Formen sind aus einer mit -k- erweiterten Wurzel *téih2k- „fett werden“ abgeleitet (AeEW
363, AnEW 612f., EWA II 671f., LitEW II 1066, 1136).
Dausling 4
Lit.: B ThWb s.v. Dausling; L Sp ThGr 166; M/WB EWD s.v. -ing; Kr/M III 200ff., 208f.;
Munske 1964; van Dam 368; Egerm1
AnEW 614, DWb s.vv. Daus, Dausmann; EWA II
890, 898; Mhd Gr 161; ThWB s.vv. Daus1, Daus
2; E
germ2 AnEW 629; Casaretto
Nom.Wbild. Got. 471; EWA II 740ff., 890ff.; EWAia II 337ff.; Heidermanns 633f.; IEW
1084; Eidg
AeEW 363; AiranW 639; AnEW 612f.; EWA II 671f., 850; EWAia I 638ff., II
337ff., 340; EWD s.v. Schwein; Frisk s.v. WDÆM; IEW 1080ff.; LIV 275, 639f., LitEW II
1066, 1136; MndHWb 88.
Deize, deizen, deizeln 1
Deize Sb f. „Bett“
deizen, deizeln swV „schlafen, schlafen gehen“
Z: Das kinderspr. Wort Deize „Bett“ stellt die Konkretisierung eines Adjektivabstraktums mhd. *t�]H�„Schlaf“ < ahd. *WÌ]¯ „Schläfrigkeit, Betäubtsein“ dar. Die Ableitungsbasis mhd. tûz „ruhig, still“ <
*GÌWWD- ist eine expressive langvokalige Variante des urgerm. Verbaladjektivs *dutta- „betäubt,
schläfrig, verwirrt“ < *dud-na- „erschüttert“, das auf die idg. Wurzel *dheii
dh- „erschüttern“
zurückgeht.
B: Das kindersprachliche Wort Deize (auch Deiz, expressiv redupliziert Deizedeize) „Bett“ ist
vorwiegend in Ost-, Nordost- und Ilmthüringischen belegt, und zwar in Schmölln,
Altenburg (vgl. in de Deiz giehn „ins Bett gehen“), Jena (Lobeda) (mr sinn miede un wulln
Deize mochen „wir sind müde und wollen „Deize machen“ = schlafen“ (zu mr „wir“ vgl.
Sp ThGr 21)), Hohenmölsen und Merseburg (mache Deiz! „schlaf mal“). Das Wort ist
auch als Vorderglied im tautologischen Kompositum Deizebett „Bett“ verbaut
(Sangerhausen, Schmölln, Altenburg). Dazu ist im selben Gebiet das zugehörige schwache
Verb deizen „schlafen (gehen)“, refl. sich deizen „sich schlafen legen“ in Gebrauch
(Merseburg, Hohenmölsen, Schmölln). Die kindersprachliche Wortsippe ist auch im
sächsischen Dialektgebiet gut vertreten (Müll.-Fr. 1,207: deize(l)n, ThWb s.vv. Deiz(e),
Deizebett, Deizedeize, deizen).
M/WB: Deize ist nur im fem. Genus belegt; die Nebenform Deiz ist ebenfalls feminin und
weist optionale Synkope des auslautenden /�/ auf (vgl. dazu FrnhdGr 80). Das synchron
betrachtet tautologische Kompositum Deizebett ist historisch ein Determinativkompositum
„Schlafbett“ (→ Egerm
). Die reduplizierte Form Deizedeize ist hingegen eine typisch
kindersprachliche expressive Bildung mit vollständiger Wiederholung des Stamms (vgl.
z.B. kinderspr. Mama, Papa, Popo, thür. happahappa machen „essen“ (úEWDD s.v.
happen), usw.).
L: Der Wortanlaut des Wortes ist historisch ambig, da der anlautende dentale Verschlusslaut
thür. d mhd./nhd. t und d entspricht (Sp ThGr 181, 191). Auch der Wurzelvokalismus des
Substantivs ist zweideutig. Der Diphthong thür. ei /ai/ kann mhd. ei, eu, ¯�<î> und ��<iu>
fortsetzen. Mhd. ei und öu (> nhd. ei / eu) scheiden jedoch mit Sicherheit aus, da ihnen ein
Diphthong /ai/ im nordwestlichen Thüringen entspricht, aber nicht im Ilmthüringischen,
1RUGRVWWK�ULQJLVFKHQ�RGHU�2VWWK�ULQJLVFKHQ��ZR�GLH�]ZHL�PKG��/DXWH�VWDWWGHVVHQ�YRQ�����vertreten werden (Sp ThGr 136ff., 148ff., 151ff., 173ff.). Der wurzelauslautende
Konsonant z setzt die Vereinfachung einer Geminata *tz in der Stellung nach Langvokal
und Diphthong fort (vgl. z.B. nhd. Weizen (EWD s.v. Weizen)). Für Deize kommen also
Deize, deizen, deizeln 2
vier mögliche mhd. Vorformen in Betracht, *G¯]H, *W¯]H, *d�]H oder *t�]H� (wo <z> für
einfaches /ts/ steht). Zugunsten des letzten Rekonstrukts mit anlautendem *t spricht die
etymologische Analyse des Substantivs.
Egerm1
: Das thür. Substantiv Deize „Bett“ kann als Nomen Loci metonymisch aus dem
Abstraktum „Schlaf, Schlafen“ hervorgegangen sein (vgl. dt. Wohnung „Wohnort“ < *„das
Wohnen“). Die belegte Bedeutung „Bett“ ist möglicherweise aber auch durch Einfluss des
zugehörigen Verbs deizen „sich ins Bett legen“ < „schlafen gehen“ entstanden. Eine
ursprüngliche abstrakte Bedeutung wird auf jeden Fall von der Redewendung Deize
machen „schlafen, „Schlaf machen“„ gestützt. Eine umgekehrte Motivation von „Bett
machen“ zu „Schlaf machen“ wäre dagegen wenig plausibel.
Das Substantiv ist auf eine Vorform mhd. *t�]H „Schlaf“ < vorahd. *WÌ�W�]¯� � � �WÌWs¯���rückführbar und mit den schwachen Verben mhd. tützen „zum Schweigen bringen,
beschwichtigen“ (neben tiuzen = /t�Wsen/ „beschwichtigen“), betützen „still machen, außer
Fassung bringen“ zu verbinden, die ihrerseits wohl zu dem einmal belegten Verb ahd. tuzta
„beschwichtigte“ (Otfrid 1, 11, 41) gehören (BMZ s.vv. betütze, tiu�e, Lexer s.v. tützen,
Lexer Nachträge s.v. betützen; vgl. auch mfränk. beditze(l)n „(ein Kind) beruhigen“, s.
Wolf Unterfränk.Wb.). Mhd. (be)tützen ist wohl ein faktitives Verb (< vorahd. *tutzijana-
[= */tuttsijana-/] < urgerm. *dutt-ija-na-). Es stellt sich zur Sippe von mhd. tûz Adj. „still,
verstockt, heimtückisch“ (ain tausser pankhart, Beh. 44,18, vgl. Lexer s.v. tûz) < vorahd.
*WÌ�W�]D- (mit Geminatenvereinfachung nach Langvokal, vgl. Lühr Expressivität 213, 264)
< urgerm. *GÌWWD- < *GÌGQD- „betäubt“ (zur Rekonstruktion der Wurzel s. unten). Vgl.
auch das Adverb mhd. tûze „still, sanft, ruhig“ (wie tû�e ich mich gebâre MSF. 309,21
(Lexer s.v.)) oder das schwache Verb mhd. tûzen „sich still verhalten“ (Lexer s.v.; vgl.
auch BMZ s.v. tû�e: „verhalte mich still, sei es um zu schlummern, oder aus Betäubung,
oder Trauer, oder um jemand nachzustellen“). Mhd. tûzen setzt wohl ein unbelegtes
schwaches Verb der III Klasse mit essivischer Bedeutung ahd. *WÌ�W�]�Q „still sein“ <
urgerm. *GÌWW-ai-na- fort.
Mit mhd. (be)tützen werden außerdem die nicht umgelauteten Verbaladjektive nhd. bedutzt
„aus der Fassung gebracht“ bei Goethe (vgl. Goethe Wb. II 174), verdutzt „betäubt,
verwirrt, verlegen; erstaunt, verblüfft“ (DWb s.v. verdutzen) verglichen. Diese Wörter sind
erstarrte Passivpartizipien zu den schwachen Verben mhd. vertutzen „betäubt werden,
außer Fassung geraten“, mnd. vortutten „id.“, mndl. dutten „verrückt sein, rasen, wüten“,
nnd. verduttet „betäubt, verwirrt“, nndl. dutten „schlummern, einnicken“, nfries. dutten
„schlafen, träumen, wackeln“, isl. dotta „schlummern, in Halbschlaf sein, vor Müdigkeit
Deize, deizen, deizeln 3
nicken“ < urgerm. schw. Verb *GXWWÀ-ji/a- „schläfrig / betäubt sein“ < „(vor Müdigkeit)
wackeln“ (DWb loc.cit. und Lühr Expressivität 371f.; zum frühnhd. Ghostword tutz
„Schlag“, eigentlich trutz „Trotz“, vgl. Lühr loc.cit.; zum mnd. Verb vgl. Jeroschin îdoch
dô niht vertutte / sîn muot von dem getwange (262 Pfeiffer), dazu DWb loc.cit. mit
Literatur und Lexer s.v. ver-tu��en; zu weiteren verwandten mhd. Formen s. BMZ s.v. tû�e,
NedEW 145f.; zu ndl. dutten anders EWNed s.v.: zu aisl. þjóta „heulen, tosen“, ae. ðeotan,
ðÌWDQ „heulen, brüllen“, ahd. diozan „laut klingen“, got. þuthaurn „Trompete“, aber s.
EWA II 688ff.). Das wurzelanlautende d- (statt t-) der neuhochdeutschen Formen beruht
dabei wohl auf Kontamination mit den mittel- und niederdeutschen Verben.
Egerm2
: Neben den Formen mit wurzelauslautendem *tt sind in den germanischen Sprachen
auch Wörter belegt, deren Wurzel mit *d oder *dd auslautet und die „taumeln, wackeln;
verwirrt sein“ bedeuten, vgl. afries. GXGVO�N�m. „Schlag, der taumeln macht“, westfries.
doddjen „taumeln“, älteres ndän. dudde, ndän. dude „Taumellolch“, nd. dudendop,
dudenkop „schläfriger Mensch“, nnorw. dudra „zittern“ (< *„wackeln“), ae. dydrian
„täuschen“ (< *„verwirrt machen“), ne. dudder „zittern, schaudern“, ne. dodder
„Zittergras“, nnl. dodden, dodderen „schlummern, eingenickt sein“, ofries. duddern,
dudden „betäubt sein, wirr oder schläfrig hinsitzen, träumen, duseln“, ofries. duddig
„betäubt, wirr, dumm, schläfrig“, vielleicht auch nisl. doði „Gefühllosigkeit“, doðna
„gefühllos werden“ (IEW 264f., Lühr Expressivität 371f., mit weiteren Formen). Die
Geminata *dd könnte mit Lühr loc.cit. expressiver Herkunft sein (typisch für Verben, die
schwankende Bewegungen bezeichnen) oder die lautgesetzlich entstandene Geminata *tt
durch Einfluss der Formen auf *d analogisch ersetzt haben. Die hier erwähnten Wörter
setzen also eine urgermanische Wurzel *deud- / *GÌG- / *dud- „erschüttern“ > „(vor
Müdigkeit) wackelig machen, verwirren, schläfrig machen, betäuben“ fort, von der ein
Verbaladjektiv *dud-na- (neben *GÌG-na-) „wackelig, einnickend, verwirrt, schläfrig,
betäubt“ gebildet worden ist. Das Nebeneinander von lang- und kurzvokaligem
Wurzelvokalismus ist hier wahrscheinlich expressiver Natur.
Ferner werden diese Wörter an die Sippe von frühnhd. dauzen, dautzen „anrennen, stoßen“
(< mhd. *GÌ]HQ, wohl mit sekundärer Vokaldehnung expressiven Ursprungs)
angeschlossen (DWb s.vv. dauzen, verdutzen). Als Parallele zum semantischen Wandel
„stoßen“ > „betäuben“ könnte man lat. stupeo „bin betäubt, staune“ < urital. *stup-eh1-
he/o- vs. gr. W¼SWZ „stoße, steche, schlage“ < *tup-hé/ó-, zur Wurzel *(s)teip- „stoßen,
schlagen“, anführen (IEW 1034, LIV 602). Der Vergleich von mhd. *GÌ]HQ „anrennen,
stoßen“ mit mhd. tûzen „sich still verhalten“ kann allerdings aufgrund des abweichenden
Deize, deizen, deizeln 4
Anlauts nicht aufrechterhalten werden. Es handelt sich bei *GÌ]HQ vielmehr um den
schwundstufigen Reflex einer urgerm. Wurzel *þeut- „stoßen“, die eine bisher unentdeckte
Variante ohne s-mobile von urgerm. *staut-a/i- „id.“ < uridg. Präsensstamm *(s)te-stoid-,
zur Wurzel *(s)teid-, darstellt (vgl. got. stautan, ahd. stôzan, ved. tudáti, lat. WXQGÀ, alb.
shtyni „stoßen“, air. do-tuit „fällt“, lat. studeo „bin eifrig“ (IEW 1033f., Seebold WbStVrb
463f., LIV 601)).
Mit den mittelhochdeutschen Formen auf wurzelauslautender Affrikata werden traditionell
auch Wörter mit einfachem -s- verglichen (DWb s.v. verdutzen), vgl. bair. dosen „sich still
verhalten; horchen, nachdenken, schlummern“ (BMZ s.v. tû�e), mhd. WÀVHQ, mnd. d£sen
„schlummern“, d±singe,� GÌVHO „Betäubung“, nhd. Dusel, Dussel „Schwindel, Schlaf;
unverdientes Glück (wie im Schlaf)“ (niederdeutsches Lehnwort, vgl. EWD s.vv. Dusel,
Dussel; die Bedeutung ist wohl vom jiddischen Lehnwort Masel, Massel „unverdientes
Glück“ beeinflusst worden), nndl. duizelig „schwindlig“, ahd. tusic „stumpfsinnig“
(Schützeichel GlW. 125), mnd. GÀVLFK, mndl. d±sich, d£sich, GÀVLFK „betäubt“ (NedEW
144), ae. dysig „töricht, unwissend, blödsinnig“, ne. dizzy „schwindlig“ (AeEW 82), nhd.
dösig (niederdeutsches Lehnwort, vgl. EWD s.v. dösig), afries. GÌVLD „schwindeln“, aisl.
dús „Windstille“, nschwed. dial. dus „still“, dúsa „ausruhen, sich still verhalten“, nnorw.
nschwed. dial. GÌVD� „ausruhen, schlummern“ (AnEW 88); mit Vernerschem Gesetz
außerdem afries. durich, mnd. GÀUH, mhd. WÀUH, WÀUHFKW „Tor, Töricht“ (AeEW 82, EWD
s.v. Tor1). Die Alternanz zwischen der Affrikata tz und dem einfachen Sibilanten s ist aber
im Deutschen unerklärbar und der semantisch attraktive etymologische Anschluss muss
aufgegeben werden (zu mhd. WÀVHQ�und Zugehörigem vgl. vielmehr EWD s.v. dösig, IEW
268-271).
Mhd. *t�]H „Schlaf“ setzt ein Adjektivabstraktum mit umgelautetem langen
Wurzelvokalismus vorahd. *WÌ�W�]¯ < urgerm. *GÌWW¯� / *GÌWWMÀ- fort (zum Lautlichen vgl.
etwa dt. schnäuzen < *VQÌWWLMDQD-, zu Schnauze < *VQÌWWÀ- neben Schnauße < *VQÌWÀ-;
anders EWD s.v. Schnauze). Da die wurzelauslautende Geminata in dieser Form nicht
durch westgermanische Konsonantengemination entstanden sein kann (man würde nach
wurzelhaftem Langvokal aufgrund des Sieverschen Gesetzes *GÌWLMÀ- > vorahd. *WÌ�]�]LMÀ-
> *Deiße erwarten), muss man annehmen, dass die Geminata zur Ableitungsbasis gehörte
und das Abstraktum eine Ableitung des Verbaladjektivs *GÌWWD- „schläfrig, betäubt“
darstellt. Vorahd. *WÌ�W�]¯�bedeutete also ursprünglich „Schläfrigkeit, Betäubtsein“.
Eidg
: Die urgerm. Wurzel *deud- / *GÌG- / *dud- „wackeln lassen, erschüttern“ gehört zur
Sippe des ved. Partizips Präsens dódant- „tobend, widerspenstig, wild“ < *„erschütternd“
Deize, deizen, deizeln 5
und der Hesychglosse gr. T¼VVHWDL� �� WLQ�VVHWDL� „wird erschüttert“ (vgl. IEW 264f.,
EWAia I 731, LIV 148 s.v. *dheid
h-). Die auffällige Wurzelstruktur mit gleichem
Okklusiv sowie der unregelmäßige Vokalismus im Germanischen kann zweifach erklärt
ZHUGHQ��(QWZHGHU�KDQGHOW�HV�VLFK�XP�HLQH�RQRPDWRSRHWLVFKH�:XU]HO��VR�]�%��*RWÀ�������gegebenenfalls mit unregelmäßiger Reduplikation, die lautmalerisch eine schwankende
Bewegung darstellt, oder um eine Neowurzel, die schon grundsprachlich aus einem
Syntagma *dheiH- + d
heh1- > *d
hei(H)d
h(h1)- „wackeln lassen“ (zu diesem Typ vgl. gr.
PDQT�QZ „lernen“ aus *men- + dheh1-, IEW 730)�oder aus einem komponierten Adjektiv
*dhu(H)d
h(h1)ó- „wackelig“ (Typ gr. �JDT´M� < *A�h2d
h(h1)ó-, vgl. dazu Balles Koll.
Freiburg), mit Laryngalschwund in Komposition, abstrahiert wurde. In diesem Fall sind
alle Formen auf die idg. Wurzel *dheiH- „rasch hin und her bewegen, schütteln“
zurückführbar, die von ved. dh̄Çavati „reibt, spült ab“ < *„bewegt hin und her schnell auf
kleinem Raum“, jav. fra-/DXXDWD „soll sich abreiben“ (akrostatisches Wurzelpräsens
*dh�i'- / *d
hei'-), ved. GKÌQyWL „schüttelt“ (< *d
huH-néi-ti; zu diesen und weiteren iir.
Formen vgl. EWAia I 782f.)“, gr. TXgZ�„bin in Bewegung, tobe“, T¼Z „rase“ sowie an.
dýja „schütteln“ (< *dhuH-hé/ó-, vgl. AnEW 89, Lühr Koll. Freiburg 1981 57), got. Nom.
Pl. Part. Prät. af-dauidai „geplagt“ und aksl. daviti „drängen, würgen“ (aus dem
Iterativstamm *dhÀi-he/o-) fortgesetzt ist (zu den Formen vgl. IEW 261ff., LIV 148f.).
Lit.: B Müll.-Fr. 1,207: deize(l)n; Sp ThGr 21; ThWb s.vv. Deiz(e), Deizebett, Deizedeize,
deizen; M/WBúEWDD s.v. happen; FrnhdGr 80; L EWD s.v. Weizen; Sp ThGr 136ff.,
148ff., 151ff., 173ff., 181, 191; Egerm1,2
AeEW 82; AnEW 88; BMZ s.vv. betütze, tû�e,
tiu�e; DWb s.vv. dauzen, verdutzen; EWA II 688ff.; EWD s.vv. dösig, Dusel, Dussel,
Schnauze, Tor1; EWNed s.v.; Goethe Wb. II 174; IEW 264f., 268-271, 1033f.; Lexer s.v.
tützen, tûz, tûze, tûzen, ver-tu��en; Lexer Nachträge s.v. betützen; LIV 601f.; Lühr
Expressivität 213, 264, 371f.; NedEW 144ff.; Schützeichel GlW. 125; Seebold WbStVrb
463f.; Wolf Unterfränk.Wb.; Eidg
AnEW 89; Balles Koll. Freiburg 2001; EWAia I 731,
���I���*RWÀ������,(:����II������I��������/,9����I��V�Y�� dheid
h-; Lühr Koll. Freiburg 1981
57.
1
Eller f. „landwirtschaftlich nicht genutzte Fläche, Ödland“
Z: Für das ober- und mitteldeutsche Wort Eller f. „wegen geringer Erträge landwirtschaftlich nicht
(mehr) genutzte Fläche, Ödland“ (erster Beleg: mhd. Elle*) kommen mehrere etymologische
Interpretationen in Betrachtung: 1) es handelt sich um ein lat. Lehnwort *aln�ULD�„unwirtliche, an
Erlen reiche Wiese“, eine Deutung, die aber an der geringen Anzahl der Fortsetzer des lat. Wortes
leidet; 2) das Wort ist eine Ableitung aus der Wurzel *h1el- ‚modrig, feucht sein’ und setzt ein
Abstraktum urgerm. *HOLQÀ ‚Sumpf’ < ‚Modrigkeit’ zum Verbaladjektiv *ulina- ‚verfault’ oder ein
Abstraktum urgerm. *HO]À ‚Sumpf’ zum Adjektiv *h1el-s-ó- ‚sumpfig’ oder ein Abstraktum *HO]QÀ�‚Fäulnis’ zum Adjektiv *h1el-s-nó- ‚faul’ fort. Die Adjektive sind ihrerseits vom s-Stamm uridg.
*(s)h1el-os- ‚Feuchtigkeit’ (ai. sáras- ‚Endsee’, gr. ¶¶NNRRTT
‚feuchte Wiese’) abgeleitet.
B: Das thür. Substantiv Eller „wegen geringer Erträge landwirtschaftlich nicht (mehr)
genutzte Fläche, Ödland“ ist im östlichen Itzgründischen belegt. In Henneberg ist das
Substantiv außerdem als Bezeichnung für Weideland in Gebrauch gewesen (1855); vgl.
auch geheegte eller und unbesamte felder (Hildburghausen, 1787). Als Flurname ist das
Wort um Schmalkalden, Neuhaus, Hildburghausen und Meiningen (heilige Eller) bezeugt,
vgl. ThWb s.v. Eller1.
Außerhalb des thür. Dialektgebietes erscheint das Substantiv ab dem 14. Jh. im Österr., Bair.,
Oberfränk. und Hess., vgl. mhd. zwên ellen ‚zwei unfruchtbare Äcker’ (Urbarbuch des
Klosters zu Sonneburg 81,19 [Österreich, 1. Hälfte des 14. Jh.s], vgl. Lexer s.v. elle swm.?,
in DWb2 s.v. 2Eller nicht erwähnt), bair. Ellern ‚unfruchtbare Wiesenänger’, dazu verellern
„Weinberge, Äcker u. drgl. in Ellern oder zu Ellern liegen laßen, veröden“ (Schmeller I
60f., mit Literatur). Nach DWb2 s.v. 2Eller ist „md., obfrk. und steir. mit den Formen eller,
elder, ellern vom 15.-17. Jh. bezeugt, danach noch lexikalisch. Meist im Plur. ‚wegen
schlechter Bodenqualität landwirtschaftlich nicht genutzte Fläche, unfruchtbare Wiese’“.
Vgl. frk. eldern (Würzburg, 1460: uff prache, uff wilde eldern und anders, das man nicht in
hege haben will, mügen sie wol treiben), hess. ellern (Frankfurt 1578), frk. ellern
(Würzburg 1691: ob die aecker, wiesen, gärten und weinberge ... vom ungewitter etwan
ruinirt, oder gar in ellern öd liegen), nassau. ellern (KEHREIN Nassau 1862: auf solchen
ellern wachsen gerne erlen); zu den Belegen vgl. DWb2 loc. cit., mit Literatur.
Das Wort liegt vielleicht den südhessischen Flurnamen Auf dem Elter ([Kf¸m �ld¸r]), Im, Auf
dem Elter und uff den eldern (1495) zugrunde (so Südhess.Flurnamenb. 327f. s.v. Elter,
mit Belegen), das aber vom ebenfalls als Flurnamen bezeugten Homonym mhd. elter,
umgelautete Variante von mhd. altære, altâre ‚Altar’, nicht leicht unterscheidbar ist.
2
L: Die dialektalen Varianten mit dentaler Okklusiv weisen sporadische d-Epenthese zwischen
ll und r nach erfolgtem Vokalsynkope auf (*ellere > *ellre > *eldre > elder, vgl. zur
Synkope FrnhdGr 80 Anm. 3; als Parallele vgl. das Homonym Eller vs. Elder ‚Erle’ in
ThWb s.v. Erle). Der auslautende Vokal *e ist nach Liquid regelmäßig geschwunden, vgl.
FrnhdGr 81. Die Pluralform Eller weist dialektalen Ausfall von auslautendem -n auf, vgl
Sp ThGr 239.
M: Thür. Eller ist fem. Genus (ThWb s.v. Eller1, DWb2 s.v. 2
Eller). Die südhessischen
Flurnamen bezeugen daneben auch mask. Genus (→ B). Das Wort ist meistens in der
Pluralform Ellern (neben Eller → L) belegt.
Egerm1: Man hat für das Substantiv bisher keine Etymologie gefunden (vgl. ThWb s.v. Eller1).
Zu Recht wird im DWb2 s.v. 2Eller betont, dass wohl kein direkter Zusammenhang
zwischen Eller ‚unfruchtbare Wiese’ und dem Homonym Eller ‚Erle’ besteht, obwohl der
Beleg aus Nassau 1862 auf solchen ellern wachsen gerne erlen (→ B) eine sekundäre
volksetymologische Anknüpfung zwischen beiden Wörtern seitens der Sprecher bezeugt.
Als Parallele für eine Synekdoche ‚Wiesenbaum, Erle’ zu ‚Wiese’ kann die scheinbare
Parallele dt. Weide (Phytonym) zu Weide („Grasland“) nicht herangezogen werden, da die
zwei letzten Wörter mit Sicherheit verschiedener Herkunft sind (mhd. Z¯GH� vs. mhd.
weid(e), vgl. EWD s.vv. Weide1, Weide
2); außerdem ist Eller vom Anfang seiner
Überlieferung an mit lateraler Geminata belegt (→ B); eine direkte Fortsetzung des Wortes
für ‚Erle’ (ahd. elira, erila, vgl. EWA II 1049 ff., Schaffner VG 380ff.) ist somit
ausgeschlossen.
Ein Hinweis auf die erste etymologische Deutung des Wortes könnte von den frühen
Bezeugungen des Ortsnamens Eller bei Düsseldorf stammen, der in Urkunden des 12. Jh.s
als Elnere vorkommt (K. B. Heppe Unser Eller www.garde-eller.de/eller/01geschichte/
01index 01.htm). Die üblicherweise für diesen Namen vorgeschlagene etymologische
Anknüpfung an ahd. elina ‚Unterarm, Elle, Ellenbogen’, daher ‚gekrümmt’ > ‚(Fluss-)
Biegung’ > ‚(feuchte) Wiese an dem Fluss’ (Literatur: xxx) ist schon aufgrund des
suffixalen -ere unwahrscheinlich. Von der Form her setzt der Ortsname am ehesten ein
kollektivisch gebrauchtes Abstraktum lat. *DOQ�ULD > ahd. *elneri fort, eine Femininmotion
einer Ableitung mit dem Suffix -�ULXV�des Phytonyms lat. alnus ‚Erle’ (zur Suffixvariante
ahd. ari, -eri, -iri neben ahd. -�UL� < lat. -�ULXV, -�ULXP vgl. Kr/M III 83f.) mit der
ursprünglichen Bedeutung ‚an Erlen reiche Wiese’. Vom dem auf dem linken Rheinufer
liegenden Kastell Novaesium (heute Neuss) bei Düsseldorf ausgehend pflegten die Römer
3
Handelsbeziehungen mit den germanischen Siedlungen auf der anderen Seite des Flusses;
das später als Elnere bezeichnete Gebiet war „eine Art Niemandsland, das von den Römern
zeitweise als Viehweide (...) genutzt wurde“ (vgl. K. B. Heppe loc. cit.). Erlen gedeihen
u.a. in unwirtlichen Gebieten, wo keine anderen Pflanzen wachsen können, und bereiten
den Boden für andere Gewächse auf; *DOQ�ULD bezeichnete also ursprünglich eine nur von
Erlen bewachsene Wiese, die für Viehweide, aber nicht (mehr) für landwirtschaftliche
Zwecke benützt werden konnte. Diese Etymologie hat allerdings zwei Schwächen: 1) das
lat. Wort ist nicht direkt belegt, es liegt nur dem ital. Toponym Arnara bei Frosinone
(Latium) zugrunde (mit Liquidenassimilation und regelmäßigem Schwund von -i-
zwischen r und Vokal (vgl. Rohlfs xxx)); im Lateinischen ist nur die Bezeichnung für
‚Erlenwald’ DUQ�WXP belegt, vgl. auch frz. aulnaie, aunaie f. (zur Bildung vgl. lat.
TXHUTX�WXP zu quercus ‚Eiche’); 2) das Wort Eller ist auch in einer Gegend wie Thüringen
verbreitet, wo direkter römischer Einfluss nicht bestanden hat. Dass das Wort vom Limes
her weiter nach Norden oder Osten ausbreitete, ist zwar durchaus möglich, aber nicht
nachweisbar.
Egerm2: Wenn man Eller bei Düsseldorf von der Sippe von thür. Eller trennt und hingegen den
Beleg mhd. zwên ellen ‚zwei unfruchtbare Äcker’ ernst nimmt, muss man von einer Form
mhd. Elle* m. oder f.? ausgehen, die später aufgrund volksetymologischen Einflusses von
Eller ‚Erle’ mit einem Suffix -er erweitert wurde. Das Wort könnte ursprünglich
‚sumpfartige, unwirtliche Gegend’ bedeutet haben und so an die Sippe von aisl. ulna
‚verfaulen’ (nisl. uldna), nnorw. dial. ulna ‚zu faulen anfangen, modrig sein’, nschwed.
dial. ulna ‚ranzig werden’ angeschlossen werden, das ein denominatives Verb aus dem
Verbaladjektiv urgerm. *ulina- ‚verfault’ ist (vgl. nnorw., nschwed. dial. ulen ‚id.’, vgl.
AnEW 633 s.v. ulna). Zur urgerm. Wurzel *ul- (wohl Schwundstufe zu *el-) vgl. noch
ndd. ostfries. olm, ulm ‚Fäulnis, bes. im Holz’, mnd. ulmich ‚vom Fäulnis angefressen’,
mhd. ulmic ‚id.’ sowie das Verb norw. dial. ulma ‚schimmeln’ (IEW 305, mit weiteren
innergermanischen Anknüpfungen).
Eidg: Von der uridg. Wurzel *h1el- ‚modrig sein, verfaulen’ ausgehend (IEW 305) kommen
für mhd. Elle* ‚unfruchtbarer Acker’ drei mögliche Interpretationen in Betrachtung: 1) Das
Wort setzt ahd. *elina < urgerm. *HOLQÀ ‚Morast, Sumpf’ fort (mit Bedeutungswandel
‚Morast’ > ‚unwirtliche Gegend’ > ‚unfruchtbare Wiese’). Urgerm. *HOLQÀ�‚Morast’ würde
seinerseits eine mit neuer Vollstufe versehene Substantivierung vorurgerm. *h1el-enah2-
‚Fäulnis’ des Verbaladjektivs *ulina- < vorurgerm. *h13-eno- ‚verfault’ fortsetzen (mit
4
regelmäßiger Beibehaltung des silbischen Resonanten vor Morphemgrenze, vgl. aisl.
numenn < urgerm. *numina- < *nA-eno-, s. Seebold StV 357); 2) Mhd. Elle* beruht auf
urgerm. *HO]À ‚Sumpf’ (mit Assimilation *-lz- > westgerm. *-ll-, eine Lautentwicklung, die
allerdings aufgrund des Mangels an einschlägigem Material weder bewiesen noch
falsifiziert werden kann). Wenn aber das Wort ein Abstraktum *h1el-s-áh2 ‚Modrigkeit’ zu
einem aus einem s-Stamm abgeleiteten Adjektiv *h1el-s-ó- ‚modrig’ fortsetzt, wäre es mit
ai. sáras- n. ‚Wasserbecken, Teich, (End-)See’, VDUDV¯- f. ‚Teich, Pfuhl, Sumpf’, sarasyà-
‚zum Teich gehörig’ (dazu sáras-vant- ‚mit einem Endsee versehen’, Sárasvat¯ Name eines
Stromes und seiner Gottheit, av. HaraxvDLW¯, apers. /KDUDXYDW¯-/ ‚Arachosien’) und gr. ¶NRT
n. ‚feuchte Wiese, sumpfige Niederung, Sumpf, Marschland, Aue’, gr. ¶NHLRT ‚sumpfig’
(IEW 901, EWAia II 708, Stüber 2000 HS 113: 132-142) vereinbar. Dabei wäre für die
graeco-arischen Wörter eine Form mit s-mobile *(s)h1él-os- ‚Feuchtigkeit, Modrigkeit’
anzunehmen (anders, aber aus semantischen Gründen unwahrscheinlich Stüber loc. cit.:
*sel-os- ‚das Bleiben, das zum Stillstand Kommen’). 3) Dem mhd. Wort könnte auch eine
Vorform urgerm. *HO]QÀ < *h1el-s-náh2 zugrundeliegen, die sich über *el(l)na zu mhd.
Elle* entwickelt hätte. In diesem Fall wäre das Wort mit lit. álksna ‚Lache, Sumpf’ (mit
Metatonie wegen der fem. Motion; zum anit-Charakter der Wurzel vgl. lit. a5P¡V / e5P¡V ‚aus dem Körper fließende Materie’ und almuõ ‚Eiter’) und lett. al(u)ksna ‚einschießende,
morastige Stelle, besonders im Walde’ (LitEW I 8 s. v. a5P¡V) < vorurbalt. *h1ol-s-nah2
‚das Morastigsein’ vergleichbar (zum lautlichen vgl. lit. e5ksnis ‚Erle’ < *elsnha- oder
kalkšnóti < kalšnóti, vgl. EWA II 1063, 6PRF]\�VNL������+6���������; zur Bildung vgl.
gr. ¥YPJ ‚Spreu’ < *h2ak’-s-nah2 zu *h2ak’-os- ‚Ähre’ > got. ahs ‚id.’, vgl. Casaretto
WbGot 374; zu o-stufigen Ableitungen vom s-Stamm vgl. die in Deutschland und
Skandinavien belegten Fluss- und Ortsnamen Alster, Elster, Alost, Alisti bei Udolph
Germanenproblem 221, 225, der aber von einem Suffix -st- ausgeht). Die germanischen
und baltischen Wörter würden verschiedene Abstraktbildungen zu einem vom -s-Stamm
*(s)h1él-os- ‚Sumpf, Morast’ abgeleiteten Adjektiv *h1el-s-nó- ‚sumpfartig, morastig’
fortsetzen. Insgesamt sind die Deutungen 2 und 3 weniger plausibel als die Deutung 1, da
sie Zusatzannahmen wie den Wandel von urgerm. *-lz- > *-ll-, eine Wurzel mit s-mobile
und Endbetontheit bei eines sekundären Abstraktum auf -nah2- erfordern.
Lit.: B DWb2 s.v. 2Eller; Lexer s.v. elle swm.?; Schmeller I 60f.; Südhess.Flurnamenb. 327f.
s.v. Elter; ThWb s.v. Eller1; L FrnhdGr 80 Anm. 3, 81; Sp ThGr 239; ThWb s.v. Erle; M
5
DWb2 s.v. 2Eller; ThWb s.v. Eller1; Egerm1 DWb2 s.v. 2
Eller; EWA II 1049 ff.; EWD s.vv.
Weide1, Weide
2; K. B. Heppe Unser Eller www.garde-eller.de/eller/01geschichte/
01index01 .htm; Kr/M III 83f.; Rohlfs xxx; Schaffner VG 380ff.; ThWb s.v. Eller1;
Literatur zu Eller-Düsseldorf xxx; Egerm2 AnEW 633 s.v. ulna; IEW 305; Eidg Casaretto
WbGot 374; EWA II 1063; EWAia II 708; IEW 305, 901; LitEW I 8 s. v. a5P¡V; 6PRF]\�VNL� �����+6� ����� �����8GROSK�*HUPDQHQSUREOHP������ �����6HHEROG�6W9������Stüber 2000 HS 113: 132-142.
Eulenmiege 1
Eulenmiege Sb f. „dünner Kaffee“
Z: Das Kompositum nordthür. Eulenmiege f. (neben Eulenseiche „id.“) bedeutet wortwörtlich
„Eulenharn“ und stellt eine abschätzende/scherzhafte Bezeichnung für „dünnen Kaffee“ dar. Das
Hinterglied ist ein Lehnwort aus mnd. P¯JH f. „Harn“, ein nordseegerm. Denominativ zum
Präsensstamm urgerm. *P¯J-a/i- < uridg. *h3méhh�h
-e/o-, vgl. an. míga, ae. P¯JDQ�(nur nordgerm. und
nordseegerm.), ai. méhati, lat. PHLÀ und gr. ³P³P̄L̄LFHFHLLQQ
„harnen“.
B: Das Substantiv Eulenmiege „dünner Kaffee“ ist nur um Heiligenstadt (westl. Nordthür.) in
der Form Ulenmieje (→ L) belegt. Ebenfalls im Nordthür. ist auch das Synonym
Eulenseiche (Nordhausen, Worbis Ulenseichen) gebräuchlich (ThWb s.vv.).
M/WB: Das fem. Substantiv ist ein Determinativkompositum, dessen Vorderglied in der
nasalhaltigen Kompositionsform Eulen- (schw. Fem., vgl. EWD s.v. Eule) vorkommt.
L: Die mda. Form Ulenmieje ist durch zwei Besonderheiten gekennzeichnet: 1) Das Fehlen
des Umlauts im�.RPSRVLWLRQVYRUGHUJOLHG��ÌO�n-/ „Eule“ (vgl. hingegen mhd. iuwel, iule <
ahd. ûwila, ûla < *uwwilan-), das nicht auf Suffixtausch beruht (vgl. z.B. die ae.
Entsprechung ÌOH < *uwwalan- (EWD s.v. Eule, úEWDD s.v. Muhol)), sondern
(zusammen mit der Bewahrung des langen Monophthongs) ein typisches Merkmal des
Nordthür. darstellt, vgl. nordthür. (nordl. Eichsfeld) ÌUã „eure“, ]ÌZHO�„Säule“ (Diskussion
in Sp ThGr 168-170 und ThWb s.v. Eule, mit weiteren Belegen); 2) der Wurzelvokalismus
ie (= /�/) in -mieje, der durch Kontraktion von ererbtem *¯ (→ Egerm
) vor -g-
zustandegekommen ist, weist eindeutig auf niederdeutsche Herkunft hin (Sp ThWb 124).
Dasselbe Phänomen ist auch in angrenzendem hess. Dialekt beobachtbar, wo ein Verb
mijen „harnen, pissen“ (nur im westfäl. und sächs. Hessen) belegt ist und normalhess.
seichen „id.“ ersetzt (vgl. Idiotikon von Kurhessen 1868: 269 s.v. mijen).
WG/Egerm
: Das Kompositum Eulenmiege ist eine abschätzende/scherzhafte Bezeichnung für
„dünnen Kaffee“. Ein solches Benennungsmotiv ist auch beim Synonym Eulenseiche
vorhanden. Das Hinterglied -miege (sowie -seiche) hat die Grundbedeutung „Harn, Urin“,
die Komposita bedeuten also „Eulenharn“. Der Bezug auf die Eule ist unklar, vermutlich
aufgrund der dunklen Farbe des Kaffees, das mit der Nacht und metonymisch mit dem
Nachtvogel assoziiert werden konnte, vgl. das ebenfalls nordthür. Kompositum Eulenflucht
f. „Dämmerung“ < mnd. ulenvlucht „Abenddämmerung“ (zur Farbenassoziierung vgl.
außerdem thür. (abschätzend) Negerschweiß m. „dünner Kaffee“ Quedlinburg,
Nordhausen, Eisleben, Sonneberg). Der Verweis auf Harn ist hingegen durch die
Temperatur des gerade gekochten Kaffees bedingt, vgl. die semasiologische Parallele thür.
Farzbrühe „dünner Kaffee“ (Apolda Faartzbriehe, Sonneberg Fatzbrüh (ThWb s.v.
Eulenmiege 2
Farzbrühe)), it. dial. broda nera „schwarze Brühe“, „Kaffee“. Das Kompositum
Eulenmiege ist erst nach Bekanntwerden und Verbreitung des Kaffees gebildet worden.
Dasselbe gilt für Farzbrühe, Eulenseiche und Negerschweiß.
Das Hinterglied -miege „Harn“ ist auch verbaut im Determinativkompositum nordthür.
Miegente f. „Ameise“ (Miamechen Worbis, Mieente einmal bei Quedlinburg) bezeugt,
dessen Hinterglied emete „Ameise“ auf niederdeutsche Herkunft des Wortes hinweist (vgl.
auch thür. Pissmeise, engl. pissmire, dt. mda. Saichmotze, Seichamse, Anbeiße(r), mnd.
migamke „Ameise“ usw. (ThWb s.vv. Miegente, Pissmeise, MndW IV 1582 s.v. mige).
Das Benennungsmotiv kommt vom juckenden Biss dieses Insektes, vgl. DWb I 277,
Schumacher 1963: 311).
Die zugrundeliegende urgerm. Verbalwurzel *m g- „harnen“ (st. Verb aisl. Präs. míga,
Prät.Sg. mé, Pl. migo, ae. Präs. m gan, Prät.Sg. P�J, mnd. m gen, mndl. myghen, ofries.
m gen) ist nur durch s-Erweiterung im Hochdeutschen belegt, vgl. ahd. mixin (Gl.) „ruder“
< *mih-s-na- „Mist“ und mist m. < *mih-s-tu- „id.“ (got. maihstus), s. dazu WStV 347f.,
Tiefenbach 1980: 45-49, Neri 2003: 320f., Hill 2003. Die Wortsippe von -miege „Harn“ ist
im Mittel- und Oberdeutschen sonst nicht belegt. Es handelt sich dabei also um ein
niederdeutsches Substantiv, dessen unerweiterte Wurzel schon in as. miggi < *mig-ja-
belegt ist (vgl. die Glosse miggi „Urin, ligurius vocatur quod fiat ex urina“, SchGlWb VI
370), vgl. dazu ae. micga m. „Harn“, migge f. „id.“ < *mig-MD�À-n-, ae. migol
„harntreibend“ Adj. < *mig-ula- und ae. migoða „Urin“ (WStV 348).
Das fem. Substantiv kommt im Mittelniederdeutschen, Mittelniederländischen und
Neufriesischen vor, vgl. mnd. m ge f. „Harn“, m gen st.V. „harnen“, mndl. mige > nndl.
mijge „Harn“, mndl. myghen > nndl. mijgen „harnen“, ostfries. m ge f. „Harn“, m gen
„Harnen“ (MndW IV 1582 s.v. mige, WofrSp II 600). Das Fehlen jeglicher Spur von
Miege außerhalb des Nordseegermanischen spricht für eine jüngere deverbale Bildung
*m JÀ- „Harn“. Das nd./ndl./fries. st. Verb ist hingegen direkt mit aisl. míga und ae. m gan
vergleichbar und setzt urgerm. *m g-a/i- „harnen“ fort (WStV 347).
Eidg
: Der dem nordseegerm. Substantiv *m JÀ- zugrundeliegende Präsensstamm urgerm.
*m g-a/i- führt auf eine uridg. thematische Bildung *h3meh�h-e/o- „harnen“, die in anderen
idg. Sprachen gut bezeugt ist, vgl. ai. (ved.) méhati „harnt, pisst“, jav. (fra-�PD�]DLWL�„pisst
darüber hinaus“ < *(pro-)méh�h-e-ti 3.P.Sg.Ind.Präs.Akt. (EWAia II 381), lat. PHLÀ, meiere
„pissen“ möglicherweise gr. (Hes.) ³P ¯LFHLQ�„harnen“ (falls mit iotazistischer Schreibung
für ³PHgFHLQ, vgl. LIV 302 Anm. 5 mit Literatur) und arm. mizem „harne“, falls nicht iran.
Lehnwort (Klingenschmitt AltarmV 173 Anm. 16, LIV 302 Anm. 6, mit eventueller
Eulenmiege 3
Erklärung des Fehlens des prothetischen Vokals). Der Ansatz des anlautenden Laryngals
*h3- beruht ausschließlich auf dem Zeugnis des Altgriechischen, das einen prothetischen
Vokal o- aufweist, vgl. gr. 3.Sg.Ind.sigm.Aor.Akt. ÌPL[HQ (Hipponax) „pisste“ (LIV 2001
302, mit weiteren Beispielen). Außer dem thematischen Präsenstamm ist auch ein n-Infix-
Präsens *h3mi-né-�h-ti / *h3mi-n-�h
-énti zu postulieren, vgl. aav. minaš „beträufelst (?)“,
lat. PLQJÀ, mingere „harnen“, alit. PLQåX > lit. Påù, lett. mìåX „id.“; im Altindischen sind
außerdem ein Kausativ ámehayan (3.Pl.) „brachten zum Pissen“ und ein thematisches
Aorist amiham bezeugt, deren grundsprachliches Alter aber nicht gesichert ist (LIV 2001:
301f., EWAia II 381, mit Literatur).
Lit.: B ThWb s.vv. Eulenmiege, Eulenseiche; M/WB EWD s.v. Eule; L EWDD s.v. Muhol;
Idiotikon von Kurhessen 1868: 269 s.v. mijen; EWD s.v. Eule; Sp ThGr 124, 168ff.; ThWb
s.v. Eule; Egerm
DWb I 277; Hill 2003; MndW IV 1582 s.v. mige; Neri 2003: 320f.;
SchGlWb VI 370; Schumacher 1963: 311; ThWb s.vv. Farzbrühe, Miegente, Pissmeise;
Tiefenbach 1980: 45-49; WofrSp II 600; WStV 347f.; Eidg
EWAia II 381; Klingenschmitt
AltarmV 173 Anm. 16; LIV 301f.
Färe, Färesau, fären 1
Färe Sb f. „weibliches Ferkel“
Färesau Sb f. „Zuchtschwein“
fären swV „Junge gebären“
Z: Das Wort Färe (f.) „weibliches Ferkel“ setzt eine urgerm. Motionsbildung *IDUK¯�f. zu urgerm. *farha-
m. „Ferkel“ fort. Die Ableitungsbasis entspricht etymologisch lat. porcus, mir. orc, aksl. SUDV usw. <
uridg. *por�o- m. „junges Schwein“, ein substantiviertes resultatives Adjektiv „gesprenkeltes Tier“
(aus der Wurzel *per�- „sprenkeln; färben“).
B: Thür. Färe „weibliches Ferkel“ ist nur in Bad Salzungen (Hennebergisch) belegt. Dazu ist
das schwache Verb fären „ferkeln, Ferkel gebären“ in Hildburghausen (vgl. die Sau hat
gefärt „die Sau hat geworfen“) bezeugt. Komponiert kommt das Wort in Färesau
„weibliches Zuchtschwein“ (Bad Salzungen) vor. Auch im Obersächsischen ist das
Kompositum Färsau (neben Färchmutter) belegt (OSächsWb I 585, ThWb s.vv.).
M/WB: Das Wort ist ein starkes Femininum (vgl. den Kompositionsvokal in Färesau). Das
zugehörige schwache Verb fären „junge Schweine gebären“ ist ein aus Färe gebildetes
Denominativ (wie mutatis mutandis thür. ferkeln „id.“ aus Ferkel, fickeln aus Fickel oder
schweinen aus Schwein) (ThWb s.v. ferkeln). Das Determinativkompositum Färesau
„Mutterschwein, weibliches Zuchtschwein“ ist wie südwestl. Westthür. Ferkelsau „id.“
gebildet (ThWb s.v.).
L: Der Wurzelvokalismus <ä> weist nicht auf sekundären Umlaut eines morphologisch
unerklärbaren (→ Egerm
) Langvokals *� vor *i/j� �!� ��ª/ um Bad Salzungen), sondern auf
offene Aussprache von primär umgelautetem Kurzvokal ahd. *e < *a_i/j mit
spätmittelhochdeutscher Dehnung in offener Silbe vor r �WK�U��KHQQE����¤/) (zur allgemeinen
Vertretung dieses Lauts im thür. Dialektgebiets vgl. Sp ThGr 72ff.).
Egerm
: Bei dem Lemma des ThWb s.v. wird zur Etymologie von thür. Färe „weibliches
Ferkel“ auf dt. Färlein „Ferkel“ (DWb s.v.) verwiesen. Dieser an und für sich
naheliegende Zusammenhang wird nicht erörtert. Lautliche, morphologische sowie auch
semantische Details sprechen aber gegen eine Gleichsetzung dieser beiden Wörter. 1)
Thür. Färe kann nicht eine deminutive Vorform *Färle oder ähnl. fortsetzen, da ein
Schwund des lateralen Resonanten in diesem Kontext ohne Parallelen ist. Dt. l schwindet
in den thür. Mundarten in- und auslautend nur in Folge nachvokalischer Velarisierung, vgl.
z.B. son „sollen“, mo „mal“, wo „wohl“ (Sp ThGr 231); man würde in unserem Fall
umgekehrt Schwund von r vor l erwarten, vgl. thür. henneb. kaãl „Karl“ (Sp ThGr 233). 2)
Im hennebergischen Dialekt um Bad Salzungen ist das Deminutivsuffix -(ãU�$ã und nicht
-(ãr)lã (ostwärts erst ab dem Gebiet um Meiningen) in Gebrauch, vgl. die Karte in Sp ThGr
Färe, Färesau, fären 2
242; ein Genuswechsel von Neutrum zum Femininum für eine Deminutivform ist auf jeden
Fall unwahrscheinlich in Anbetracht der vielen konkurrierenden neutralen
Deminutivformen wie Ferkel, Ferken, Ferkchen usw. (ThWb s.v. Ferken); 3) Vom
semantischen Gesichtspunkt wäre die Wahl eines Deminutivsuffixes zur Kennzeichnung
eines weiblichen Tiers gegenüber ebenfalls neutralem deminutivem Ferkel unverständlich.
Da der umgelautete Wurzelvokalismus nicht durch die Wirkung eines Deminutivsuffixes
erklärbar ist, spricht der Umlaut für eine alte fem. Bildung mit Motionssuffix -¯-/-MÀ-. Das
Wort ist im Alt- oder Mittelhochdeutschen nicht belegt, sondern nur seine Ableitungsbasis
ahd. far(a)h n. -s-Stamm „Ferkel“ > mhd. farch (vgl. dazu EWA III s.v. farah, mit Belegen
und Literatur), mit dem Deminutiv farhilî(n) n. „kleines Ferkel“ (> nhd. Ferkel, dial.
Fack(e)l, Fickel, Färle, Ferlin, Ferlein usw., vgl. DWb s.vv.), dazu ndd. varken, verken <
*farh-N¯Q (vgl. DWb s.v. Farken, EWA III s.v. farhilî[n]). Das germ. Wort für „Ferkel“ ist
als *farh-a- (m.?) zu rekonstruieren, vgl. außer ahd. far(a)h ae. fearh, ferh, komponiert
aisl. seim-farri m. n-St. „Goldeber“ (< *farha-n-). Die -s-stämmige Flexion des ahd.
Wortes ist wohl sekundär nach zum selben semantischen Feld gehörigen neutralen -s-
Stämmen wie lamb „Lamm“ oder chalp „Kalb“.
Da die Motionsbildungen auf -¯-/-MÀ- zu thematischen Substantiven im Germanischen
durch einfachen Stammwechsel ohne V�ddhierung der Wurzel erfolgt ist, muss der
Wurzelvokalismus des fem. Substantivs dem seiner Basis entsprechen (anders bei -i-
Stämmen, vgl. got. qens „Frau“ < *gi�Q-i- „weiblich“ zu *g
ión- / *g
ién- „Frau“, vgl.
Darms 1ff., 74-77). Für thür. Färe ist also eine Vorform ahd. *IHU�L�K¯ „weibliches Ferkel“
zu rekonstruieren. Zum Wandel *IDUK¯ > *fer(i)hi > Färe vgl. urgerm. *PDUK¯ > ahd.
mer(i)hi > nhd. Mähre „Stute“, Motionsbildung zu ahd. marah- „Pferd“ (in marahscalc
„Pferdeknecht“ verbaut, vgl. EWD s.v. Mähre).
Das thür. Verb fären „junge Schweine werfen“ setzt hingegen ein denominales Verb *farh-
ija-fort (mit der Suffixvariante -ija- nach schwerer Silbe), das Entsprechungen im dän.
Verb fare „gebären (von der Sau)“ oder ne. farrow „id.“ hat (zu den germ. -ja-
Denominativen zu thematischen Stämmen s. Kr/M 247ff.).
Eidg
: Urgerm. farha- weist auf uridg. *pór�o- „junges Schwein“ fort, vgl. zum Akzent auch
lit. par �ãDV� „männliches, verschnittenes Schwein“, zum Wurzelvokalismus o lat. porcus
„zahmes Schwein“, mir. orc „junges Schwein; Tierjunges“; das Wort ist auch verbaut in
apreuß. prastian „Ferkel“ (entlehnt aus dem Slavischen?) sowie in ursl. *pras-int- > aksl.
pUDV „Schwein, Ferkel“, sb.-kr. prâse, tschech. prase usw. (vgl. EWA III s.v. farah, mit
weiteren Beispielen). Das Wort kommt häufig in Deminutivbildungen vor, vgl. lat.
Färe, Färesau, fären 3
porculus < *por�e-lo- und (mit Doppeldeminutiv) porcellus < *por�e-le-lo- (dazu
nochmals deminuiert im it. porcellino), neben lit. paršEOLV (LitEW 542) und ahd. farhilî(n),
die parallel entstandene einzelsprachliche Bildungen darstellen (dazu Schuhmann Freiburg
Idg. Nomen). Idg. *pór�o- m. setzt ein durch Akzentverschiebung substantiviertes
resultatives Adjektiv *por�ó- „gesprenkelt“, zu *per�- „sprenkeln“ fort (vgl. gr. ORLS´M
„übriggeblieben“ < *lohkió- zu *lehki- „zurücklassen“) und bedeutete ursprünglich
„gesprenkeltes Tier“, mit Spezialisierung auf das junge Schwein aufgrund der typischen
fleckigen Fell- oder Hautfärbung. Zu diesem Benennungsmotiv „gesprenkeltes (Tier)“ für
Zoonyme vgl. die etymologisch zugehörigen Substantive gr. SU´[ „Hirsch, Cervus
Capreolus“ < *pró�-s (mit regulärer Metathese *RVKs < *VRKs, vgl. lat. augeo <
*h2aig-e/o- vs. got. wahsjan < *h2iog-s-éhe/o-, LIV 274f., 288f. oder lit. al üNDV „heiliger
Hain“ < *h2álko- vs. ved. ráks �DWL�„schützt“ < *h2lék-s-e-ti, LIV 264, 278), gr. S|UNRM�„eine
Art von Adler“, gr. S|UNK� „ein Flussfisch“, usw. (weiteres Material bei Griepentrog
Wurzelnomina d. Germ. 110, 194, 390, mit Literatur). Zur Wurzel *per�- „sprenkeln;
färben“ (vgl. z.B. ahd. far(a)uua „Farbe“ < urgerm. *IDUJZÀ- „Farbe“ < *por�-i-áh2-) vgl.
IEW 820f., Widmer 2. GS Schindler (in Druck). Aus morphologischen und semantischen
Gründen weniger wahrscheinlich ist hingegen die Deutung von idg. *pór�o- „Ferkel“ als
„Aufwühler“ (so EWA III loc. cit.), da der Wurzelakzent bei einem thematischen Nomen
Agentis (gegenüber dem oxytonen Typ wie in gr. IRQ´M� f.� „Mörderin“, ai. ghaná- m.
„Waffe“ < *gih
on-ó- „Töter, tötend“) sowie die Benennung „Aufwühler“ gerade für ein
junges Schwein schwierig wären.
Die Motionbildung *farh-¯ ist mit dem femininisierenden germ. Suffix -¯- / -MÀ- < idg. -ih2-
/ -háh2- abgeleitet (durch Vermischung von zwei ursprünglichen Typen herstammend, vgl.
hysterokinetisch ai. v;k ¯ÇÕ- „Wölfin“ zu v Ç;ka- „Wolf“ vs. proterokinetisch a.i. n̄ÇDU¯- „Frau“
zu nar- „Mann“, dazu Kr/M 67f.), aber die Wurzelbetonung spricht für eine erst
innergermanische Neubildung (sonst wäre aus idg. *pór�o- eine oxytone Motionsbildung
*por�-íh2 > urgerm. **IDUJ¯ > **ferge zu erwarten).
Lit: B OSächsWb I 585, ThWb s.vv Färe, fären, Färesau; M/WB ThWb s.vv. ferkeln,
Ferkelsau; L Sp ThGr 72ff.; Egerm
EWD s.v. Mähre; Darms 1ff., 74-77; DWb s.vv.
Farken, Färle, Färlein, Ferlin, Ferlein, Fickel; EWA III s.v. farah, farhilî[n]; Kr/M
247ff.; Sp ThGr 231, 233, 242; ThWb s.vv. Färe, Ferken; Eidg
EWA III s.v. farah;
Griepentrog Wurzelnomina d. Germ. 110, 194, 390; IEW 820f.; Kr/M 67f.; LIV 264,
Färe, Färesau, fären 4
274f., 278, 288f.; LitEW 542; Schuhmann Freiburg Idg. Nomen; Widmer 2. GS Schindler
(in Druck).
1
Finne f. „Pickel auf der Haut“
finnig Adj. „mit Pickeln übersät“
Z: Das mda. viel verbreitete Subst. Finne f. ‚Pickel, Eiterbläschen’ beruht auf mhd. phinne ‚Fäulnis (im
Fleisch von Zuchttieren); Pflock’. Während die Bedeutung ‚Pflock’ ursprünglich ist (< *SLQQÀ-,
entlehnt aus lat. penna, pinna ‚Feder, Flosse, Zinne’), ist die Bedeutung ‚Fäulnis’ durch Kontamination
von mhd. phinne und finne < *ILQQÀ- [+n] ‚Ranziges, Fäulnis’, ein Erbwort ohne sichere Etymologie:
entweder aus *IHQMÀ- ‚Feuchtigkeit, Fäulnis’ zur Sippe von germ. *fanja- ‚Sumpf’ oder zu *fenja-
‚Mitesser’ zur Sippe von lat. penus ‚Vorrat’ oder von *ILQZÀ- / *ILQQÀ- ‚strotzende (Pustel)’ zur idg.
Wurzel *pehh
H- ‚strotzen, fett sein’ oder von *ILQMÀ- ‚Stich’, zur idg. Wurzel *pehh
H- ‚spitz sein’.
B: Das Substantiv Finne ‚Pickel, Eiterbläschen auf der Haut’ ist in Bernburg, um Hettstedt
und um Langensalza, um Sonneberg belegt (ThWb s.v. Finne). Mit derselben Bedeutung
erscheint das Wort auch als Kompositionshinterglied in thür. Liebesfinne (Langensalza).
Zu Finne ist das possessive Adjektiv finnig ‚mit Pickeln übersät’ in Bernburg belegt. Die
Bedeutung ‚Pickel, Eiterbläschen’ ist für das Wort auch außerhalb des Thüringischen
bekannt, vgl. obersächs. Finne f. ‚Pickel’ (WObSM I: 623 s.v. Finne2), pomm. Finn f.
‚Pickel, Pustel’ (dazu Pl. Finnen ‚rote Blattern’, Pomm.Wb. I: 799 s.v. Finn), meckl. Finn
f. ‚Pustel, Ausschlag’ (nur im Kompositum Hurenfinnen, MecklWb II: 913 s.v. Finn). Die
Bedeutung kommt auch im Oberdeutschen vor, vgl. bair. Finne ‚Blatter, scrophula, tuber’,
mit dem Adj. finnecht, finnig (Schmell I: 722) sowie schweiz. Finnen, Bluetfinne
n ‚Pustel
auf der Haut; Blutgeschwür’ (SchwId I: 838f., DWb s.v. Blutfinne). Das Wort bezeichnet
im Thüringischen sowie in anderen dt. Mundarten (s.u.) außerdem auch die Trichine bei
Schlachttieren, vgl. thür. Finne ‚Bandwurm’ (Erfurt), übertragen (im Plural) ‚kleine
muskelartige Einschlüße im Schmer’ (Hettstedt, Halle, Eisenach), vgl. ThWb loc. cit. (mit
unterschiedlicher Einordnung der Bedeutungen), vgl. auch thür. finnig ‚vom Bandwurm
befallen’ (er sal … keyn pfinnigk schwein schlachten 1487 Statuten Gera, fynnicht …
vleisch Erfurt nach Brandis Hs., vgl. ThWb. s.v. finnig) und Finnenschnitzer
‚Fleischbeschauer, Person, die bei den Schlachttieren die Untersuchung auf Trichinen
durchführt’ (ThWb s.vv. Finnenschnitzer, Fleischbeschauer, mit weiteren Synonymen).
Vgl. dazu obersächs. Finne f. ‚blasenähnliche Larve des Bandwurms im Fleisch von
Wirbeltieren’ fachspr. (WObSM loc. cit.), pomm. Finn f. ‚Larve des Bandwurms’ vereinz.
(Dat Schwien hett Finnen, Pomm.Wb loc. cit.), pomm. Finnen(be)kieker m.
Fleischbeschauer (PommWb I: 799 s.v. Finnen(be)kieker), meckl. Finn f. ‚Blasenwurm
des Schweines, auch Trichine (vor der Kostprobe vom frischgeschlachteten Schwein
2
wurde tüchtig Kæm (Kümmelschnaps) getrunken, damit die Finnen ersäuft würden; s. auch
Finnensluck ‚Finnenschluck’; MecklWb loc. cit.), luxemburg. Finn f. ‚Trichine im
Schweinefleisch’ (LuxWb I: 373), elsäß. finnig [finik Ensisch] Adj. lungenfaul (Dië Küeh
ist
finnig, WElsM I: 118), schweiz. Finnen f. ‚Würmchen im Fleisch in Gestalt runder,
weißer Körnchen’ (‚Finnen oder Pfinnen [Pl.], eine nicht seltene Krankheit der Kühe’),
‚die Perlsucht beim Rindvieh (So ein Rind inwendig Fülina [faule Stellen] hätte, es wäre
an der Lunken oder Lebren oder anderstwo, und darum das Rind umgefallen [krepiert]
wäre und doch nit die lauter [nicht geradezu] Pfinna erfunden wurden, so soll ein
Vergleich geschehen, vgl. SchwId loc. cit., mit Literatur), schweiz. finnig, pfinnig ‚mit der
Finnenkrankheit behaftet’ (Das man pinniges [sic] fleisch nit soll under das bergin
[Schweinefleisch] henken, SchweizId s.v. finnig), schweiz. Pfinnigung ‚Finnenkrankheit’
(SchweizId s.v. Pfinnigung), bair. Pfinne f. ‚lepram, phinne’ (contra pfynn porcorum
recipe de una camisia tincta menstruo et lava in aqua et funde illam aquam super cibum
porcorum), bair. pfinnig, finnig (‚muscidus est schimlig, rancidus pfingig, Clm. 15319 (sec.
XV. 20), f. 117), zimb. finnegh ‚unrein, unlauter, impuro, immundo’ (pinnig heißt in Algäu
eine Kuh, welche, obschon rindersüchtig, weder zum Kälbern, noch Mästen sich eignet,
Schmell I: 433), schwäb. Pfinne f., nur Pl. ‚Drüse, Pustel im Fleisch der Tiere, bes. bei den
Schweinen, daneben Finne, wohl schriftsprachlich’, schwäb. pfinnig ‚durch Pfinnen
verdorben, vom Fleisch des Rindviehs oder bes. des Schweins ein gesetzl. „Hauptmangel“.
(Nebenformen: phinnig, pfünig, pfinnig, SchwäbWb I: 1048f. s.vv. Pfinne, pfinnig).
Thür. Finne f. ‘Miete für Feldfrüchte im Freien’ ist wohl nicht hierhergehörig; thür. Finne
‘Höhenzug am NW-Rand des Thüringer Beckens, zwischen Unstrut und Saale’ (im
Spottvers auf der Finne gibts große Schüsseln und wenig drinne, Wähler Vk 201, vgl.
ThWb s.v. Finne) ist schon im Jahr 1106 als *Finn(e) belegt (in silva Vin, vgl. Udolph
Germanenproblem 304, mit weiteren Belegen) und somit mit Finne ‚Pustel’ etymologisch
nicht verwandt (→ Egerm).
L: Die älteren obdt. Formen weisen anlautende Affrikata pf- auf, während die nddt. Formen
mit f- anlauten; das thür. Adjektiv pfinnigk (1487, Statuten Gera) weist ebenfalls auf alte
Affrikata hin, die sich durch eine Lenisierungsstufe der Verschlusskomponente bf- zu f- in
fast ganzem Thüringen entwickelt hat (als bf- z.T. noch im Süden Thüringens bewahrt, vgl.
die Karte in Sp ThGr 204). Es ist außerdem möglich, dass der ab dem 15. Jh. in den
Standardwortschatz des Deutschen eingedrungene fachspr. Terminus Finne f. ‚Larve,
3
Pustel’ (EWD s.v. Finne1, DWb s.v. Finne), wohl niederdeutscher Herkunft (→ E
germ),
einen Einfluss auf die mda. Formen ausgeübt hat.
WG: Das Wort ist ab dem Mittelhochdeutsch als phinn(e), pfynn, vinne, finne und finde
st./sw.f. mit den Bedeutungen ‚Nagel’ und ‚Fäulnis, Ranziges’ belegt (vgl. dazu auch mhd.
pinne ‚Pfrieme, spitzes Werkzeug’). Daneben ist auch das Adjektiv mhd. phinnic, pfinnig,
pfinnicht, vinnic, finnik, vinneht ‚faul, ranzig’ bezeugt (vgl. pfinniges vleisch, pfinnige
würtse, pfinnige sau, bildlich pfinnige lêre; mhd. pint, pinde st./sw.m. ‚Penis, membrum
virile’ ist wohl eine Weiterbildung zu pinne), vgl. Lexer s.vv. phinne, phinnic, pinne, pint,
BMZ s.vv. phinne, vinne, vinnec, DWb s.vv. Pinn, Pint. Die Bedeutung ‚Geschwür’ für
mhd. finne (so Paul DWb 275) liegt hingegen nicht vor.
Egerm
: Die obdt. Wörter mit anlautender Affrikata pf- setzen eine Grundform *SLQQÀ [+n] >
mhd. phinne fort, die mehrmals in der Literatur als Lehnwort aus lat. pinna f.
‚Mauerspitze, Zinne; Fächer am Wasserrade, Schaufeln; Pfeil; Flosse, Flossfeder der
Fische’ identifiziert wurde (vgl. DWb s.v. Finne, Lexer s.v. phinne, BMZ s.v. phinne; zu
lat. pinna s. Georges-LDHW Bd. 2, S. 1712 s.v. pinna2) und sich direkt mit dem ndt.
Lehnwort dt. Pinn m., Pinne f. ‚kleiner spitziger Pflock, Nagel, Stift zu verschiedenen
zwecken; kleiner spitziger Stab beim Feldmessen; Schwungfeder des Falkenflügels’ (DWb
s.v. Pinn), mnd. pinne, pin ‚Pfrieme’ (woher an. pinni ‚Stift, Pflock, Nagel’, nisl. pinni,
schwed. pinne, shetl. pinni, pinnek), mndl. pinne, penne f., pinne, pin m. ‚Pflock, Spitze’
(nndl pen), spät-ae. pinn ‚Bolzen, Pfeil; Pflock, Stift’, woher an. pinnr (ne. pin, fär. pinnur)
vergleichen läßt, vgl. AnEW 425 s.v. pinni, NedEW 514 s.v. pen, AeEW 246 s.v. pinn.
Wenn man von mlat. pinna, penna ‚Feder; Spitze, Gipfel, Zinne’ ausgeht (mit
semantischem Zusammenfall von lat. penna ‚Feder, Flügel’ und pinna ‚Floße; Schaufel am
Wasserrad; Mauerzinne’; vgl. dazu mazed. SHQXU� ‚Nagel’, ait. penna ‚Gipfel’, it. pennone
‚Fahnenstange’, prov. pena ‚Zinne’, apg. pena ‚Fels’ usw., Mayer-Lübke 539 s.v. p±QQD;
vielleicht auch in vielen ital. Ortsnamen mit der Bedeutung ‚Berg, Gipfel’, vgl. z.B. Penna
Sant’Andrea in der Region Marche, sowie im Namen der Gebirgskette lat. $SSHQQ¯QXV�und
dem Oronym 3HQQ¯QXV�[und 3HQ¯QXV�mit PDP¯OOD-Regel, d.h. Degemination vor betonter
Silbe], falls nicht Substratwort oder gallisches Lehnwort [vgl. g. pennos ‚Kopf; Spitze,
Gipfel’, Holder 1962, 966]; zu den lat. Formen vgl. LatDic 135 s.v. �SHQQ¯QXV, 1330 s.vv.
penna, 3HQQ¯QXV), ist zwar eine Bedeutungsentwicklung zu ‚Pflock, Nagel, Pfrieme’
plausibel (thür. Finne ‘Höhenzug am NW-Rand des Thüringer Beckens, zwischen Unstrut
und Saale’ kann allerdings aufgrund der frühen Belege vin (1106), Vinne (1144), Uinna
4
(1168), Finne (1570) keine Entlehnung aus mlat. penna darstellen; zu Etymologie und
Literatur vgl. Udolph Germanenproblem 304); schwierig bleibt jedoch die Bedeutung
‚Fäulnis, Ranziges; Trichinen im Zuchttierfleisch’. Dazu ist das Vorhandensein der
Variante mit anlautendem f- aufgrund des Alters und der Verbreitung schwerlich durch
frühe Entlehnung aus dem Althochdeutschen (mit Lautersatz von pf- durch f-) zu erklären:
vgl. ae. finiht ‚faul, ranzig’ (ne. finny, vinny ‚modrig, schimmelig’; vgl. AeEW 105, OED
s.v. finny, vinny), mndl. vinne, bloedvinne ‚Namen verschiedener Krankheiten, auch bei
Tieren’ (ndl. bloedvin, dial. vinne ‚Pickel, Geschwür’), vinnich, vinnigh ‚ranzig’ (vgl.
mndl. vinnigh verken ‚porcus grandinosus’, vinnigheyt der verckenen ‚grando, lepra qua
porci infestantur’, ndl. dial. vinnig; vgl. MndW IX 524-525 s.vv. vinne [2], vinnich [2]),
mnd. vinne, vinnich. Ebensowenig ist eine Rückführung der Homonyme ae. finn ‚Flosse’
(AeEW 105), mnd. finne ‚id.’ (woher die frühnhd. Entlehnung Finne ‚Rückenflosse großer
Fische’; EWD s.v. Finne), mndl. vinne ‚Flosse, Feder; Stachel, scharfe Spize’, ab dem 16.
Jh. ‚Stück, Einschnitt, caesura, incisura, incisio’ (vgl. een vinne vleesch ‚ein Stück
Fleisch’), mndl. vinnich ‚scharf’; MndW IX 524-525 s.vv. vinne [1], vinnich [1]) direkt
auf lat. pinna möglich. Es wäre daher denkbar, dass *SLQQÀ- [+n] ‚Spitze, Nagel; Fäulnis,
Ranziges’ und *finnÀ- [+n] ‚Floße; Fäulnis; Trichinen im Zuchttierfleisch, Pickel’ zum
Erbwortschatz des Germanischen gehören und keine lat. Entlehnungen darstellen. Der
unterschiedliche Anlaut p ~ f könnte dann auf das Nebeneinander von s-mobile-Varianten
*sp- vs. *p- > urgerm. *sp- ~ *f- mit sekundärem Verlust von *s- weisen, vgl. z. B. an.
pallr ‚erhöhte Diele, Podest, Bank’, an. spÆlr ‚Speiler, Stange’, an. fiÆl ‚Brett, Diele’ oder
ae. prica ‚Punkt, Stich, Fleck’, nnorw. dial. sprekla ‚Flecken auf der Haut’, an. freknóttr
‚gesprenkelt’ (vgl. Lühr / Matzel KZ 99 (1986) 262ff.). Als Alternative wäre anzunehmen,
dass *SLQQÀ- [+n] tatsächlich aus dem Lateinischen entlehnt wurde, aber durch Einfluss
von ererbtem oder aus dem Niederdeutschen entlehntem *ILQQÀ- [+n] die Bedeutung
‚Fäulnis, Ranziges’ im Deutschen angenommen hat. Diese Annahme wird durch das
Fehlen dieser Bedeutung für *SLQQÀ- in den übrigen germanischen Sprachen, wo das Wort
ausschließlich ‚Spitze u.ähnl.’ bedeutet, gestützt.
Eidg
: Die etymologische Deutung von ur(west)germ. *ILQQÀ- [+n] ‚Fäulnis, Ranziges;
Trichinen; Pickel’ hängt von der Bestimmung der primären Bedeutung des Wortes ab. Es
gibt in der Tat verschiedene Möglichkeiten:
1) Die Bedeutung ‚Fäulnis’ ist die ursprüngliche. In solchem Fall wäre eine Verbindung mit
der Sippe von urgerm. *fanja- n. ‚Sumpf’ denkbar (vgl. got. fani ‚Schlamm’, an. fen
5
‚Sumpf’, ae. fen(n), fæn(n) ‚Sumpf’, fyne ‚Feuchtigkeit, Morast’, fynig ‚schimmelig’,
afries. fen(n)e ‚nasse Wiese’, mnd. ven(ne), mndl. vene, venne ‚sumpfiges Land,
Torfboden’, vunsc, vuns ‚muffig’, as. feni, ahd. fenna, fennî ‚Sumpf’; dazu apreuß.
pannean ‚Moosbruch’, lit. SHQ¡ ‚portulakähnlicher Afterquendel, Peplis portula
(Sumpfpflanze)’, paniabùd¡ ‚Perlpilz’, lett. pane, SD¼D�‚Pfütze, Mistjauche’, gall. Akk. Sg.
anam ‚paludem, Morast’, mir. an ‚Harn, Wasser’, en ‚Wasser’, enach ‚Sumpf’, FlN k)PRT �‚Inn’, ON Pannonia; ferner mit Tektalerweiterung (*pen-k-) wohl ai. paóka- m. n.
‚Schlamm, Kot, Sumpf’, ahd. fûht, fûhti, ae. fûht ‚feucht’ < *funh-ta-, -tija- (AnEW 117
s.v. fen, AeEW 120, IEW 807f. s.v. pen-2, EWA III (im Druck) s.v. fenni, LEIA A-71 s.v.
an, LitEW I 537, 570). Man müßte in diesem Fall von einem substantiviertem Adjektiv
urgerm. *fenja- ‚Feuchtes, Sumpfiges, Schimmeliges’ (vgl. ae fyne ‚Feuchtigkeit’, fynig
‚schimmelig’ < *fun-i-) ausgehen und eine frühe Bedeutungsentwicklung zu ‚Faulheit’ und
weiter zu ‚Faulheit des Fleisches (von Zuchtieren)’ und endlich zu ‚Trichinen’, annehmen.
2) Wenn die Bedeutung ‚Trichine’ primär ist, wäre eine Grundform *fenja- ‚Mitesser’
anzusetzen, deren Kollektiv *IHQMÀ als Fem. umgedeutet wurde (vgl. lat. comedo ‚Fresser’
> ‚Mitesser ‚Pickel, Komedone, Schwarz- und Weißköpfe’; nach dem DWb s.v. Mitesser
„hielt [man] die verstopften Poren für kleine Würmer, die von der Nahrung ‚mitessen’“;
vgl. auch aht. mado m. ‚Made’ < *moth2o- ‚Fresser’, ú EWDD Meddel). Vergleichbar
wäre die Sippe von lat. penus, -oris ‚Mundvorrat’, ai. panasáÓÍ m. ‚Brotfruchtbaum,
artocarpus integrifolia, Jak; Dorn; Art Schlange; bestimmte Krankheit’, panasám ‚Frucht
des Brotfruchtbaums’, SDQDV¯, SDQDVLN�� f. ‚eine bestimmte Krankheit, Pusteln um die
Ohren und im Nacken’ (LEW II 238 s.v. penus, IEW 807 s.v. pen-1). Der
Bedeutungswandel von ‚Mitesser’ zu ‚Trichine, Bandwurm’ bis zu ‚Pickel, Pustel’
andererseits könnte auch dadurch erfolgt sein, dass das von Trichinen angefallene
Tierfleisch pustelartig aussieht. Die Wurzel *pen- ist wohl auch in got. <fenea>
‚Gerstenspeise’ bewahrt (aus *pen-ih2 / *pen-hah2- ‚Fütterung, Nahrung’, Feist 147f.);
wenn allerdings die primäre Bedeutung der Wurzel ‚füttern, ernähren’ war (vgl. lit. pe �QDV ‚Futter’, penù, penKti ‚füttern, mästen’, lett. penêt ‚verwöhnen’), ist ein Nomen agentis
*fenja- ‚Mitesser’ nur unter der Annahme einer konversen Bedeutung (‚zu Essen
bekommen, essen, fressen’) oder medialen Bedeutung (‚sich füttern, essen, fressen’) der
Wurzel annehmbar.
3a) Liegt die Grundbedeutung ‚Pustel, Bläschen, Pickel’ vor, könnte westgerm. *ILQQÀ [+n]
auf der idg. Wurzel *pehH- für ‚schwellen, strotzen’ beruhen. Als Grundform ist urgerm.
6
*ILQZÀ- ‚Anschwellung’ anzusetzen, ein Abstraktum eines Adjektivs *finwa- ‚schwellend’,
das morphologisch entweder als Rückbildung aus dem -nu-Präsens *finwa/i- (thematisiert
aus vor-urgerm. 3. Pl. *pi-ni-énti, umgestaltet von einem n-Infix-Präsens *pi-néH-/-nH-´
genauso wie jav. fra-pinaoiti ‚bringt zum Gedeihen, macht schwellen’, ai. SLQY�Qá-
‚strotzend’ usw., vgl. EWAia II 83f.) oder eine Thematisierung des proterokinetischen
Abstraktums *péhH-i; / *piH-ién- ‚Fett’ oder des amphikinetischen Possessivadjektivs
*péh-ion- / *piH-in-´ (cfr. ai. pUvas- n., gr. ¾qDS n. ‚id.’, ¾�[P ‚fett, fruchtbar, reich’, vgl.
EWAia II 139, GEW II 532), *piHiE-ó- ‚mit Fett versehen, Pustel’ > *piHnuió- (zur
Metathese vgl. got. asilu-qaírnus ‚Eselsmühle’ < *gierh2nu-, zu *g
ireh2-ion- / *g
u;h2-in-´
‚der Schwere (Stein)’ (Neri SostGot 275ff., Casaretto WortbGot 371ff., mit Lit.); als dritte
Möglichkeit wäre auch eine direkte Herleitung aus dem Stamm des idg. n-Infix-Präsens
*pi-néH-/-nH-´ zu erwägen (> urgerm. *finna/i- durch die Wirkung der Lex Lühr
[Resonantengemination durch Laryngal, vgl. Lühr MSS 36 (1976)]. Aufgrund von ai.
(AV+) prá-S¯QD- ‚strotzend’, S¯Qá- ‚fett, feist, dick’ < *piH-nó- wäre auch ein urgerm. Adj.
*fina- (mit Kürzung durch Lex Dybo) möglich, woraus ein -¯-/-MÀ-Substantiv *ILQ¯- / *ILQMÀ-
‚das Strotzen’ oder ‚Fett’ hätte gebildet werden können; westgerm. ILQQÀ- wäre dann durch
Verallgemeinerung des schwachen Kasus und Resonantengemination vor -j- entstanden.
Von der Bedeutung ‚mit Fett versehen’ hätte das Substantiv *ILQQÀ- die Bedeutung ‚Pustel,
Pickel; Hautauswuchs’ angenommen, die sich zur Bedeutung ‚Bandwurm’ (als
Hautauswuchs im Fett der Tiere gedeutet) entwickelt hätte.
3b) Die Bedeutung ‚Pickel, Pustel’ könnte aber auch eine ältere Bedeutung ‚Stich; Punkt’
fortsetzen (vgl. it. punti neri ‚schwarze Mitesser’) und somit zur im Germanischen gut
vertretenen idg. Wurzel *(s)pehH- ‚spitz sein; stechen’ gehören (vielleicht erweitert aus
*speh2-, vgl. ai. sphiyá- m. ‚Schulterblatt, Vorderruder, Feldspatel’ < *sph2-ihó- zu gr.
U¾�bJ ‚Ruderblatt, Spatel, flache Rippe, Schulterblatt’, ae. spade, spadu ‚Spaten’ usw. <
*sph2dh-ah2 sowie gr. UX�P� ‚Keil’ < *sph2-�Q, ae. VSÀQ, ahd. VS�Q < urgerm. *VS�QX-
‚Span, Schnitzel’ < Akk. Sg. *sph2�Q-A mit analogisch durchführter Dehnstufe aus dem
Nom. Sg., vgl. urgerm. *IÀWX- < Akk. Sg. *SÀG-A, vgl. EWAia II 779 und Neri apud Vine
MSS 62 (2002)). Zur Wurzel vgl. lat. VS¯FD, VS¯FXV ‚Ähre’, VS¯FXOXP� ‚Lanzenspitze’ <
*spiH-kah2, ahd. speihha, as. VS�FD, ae. VS�FD ‚Speiche, Strahl’ < *spoh(H)-gah2-; mhd.
VS¯O�‚Spitze des Speeres’, nhd. dial. Speil ‚Span, Splitter, Keil’, tschech. spíle ‚Stecknadel’,
lat. S¯OXP ‚Wurfspeer’, S¯OD ‚Pfeiler’; lat. VS¯QD ‚Rückgrat, Dorn’, VS¯QXV� ‚Dornstrauch’,
russ. spina ‚Rücken’, ält.poln. spina ‚Rückgrat’ < *spiH-nah2, dazu as. ahd. spinela,
7
spenula ‚Haarnadel’ mit Kürzung nach Dybo (vgl. vielleicht auch lat. S¯QXV�‚Pinienbaum’
< *(s)p(e)iH-no- *der Spitzige; zur Bedeutung vgl. dt. Fichte < *SHXKWÀ ‚die Spitzige’); ae.
VS¯U ‚Halm, Schößling’, mnd. VS¯U ‚Keim-, Grasspitze, Ähre, Turmspitze, sehr kleiner
Mensch’, mnld. spier ‚Schößling, spitzer Pfahl’, an. spíra ‚Stiel, junger Sproß, Rohrstab’,
nnorw. dial. VS¯U�‚kleine Makrele’, nnorw. pîr ‚kleine Makrele’, ofries. pîr ‚Sandwurm’ <
*spiH-ro/ah2- usw. usf. (IEW 981). Beispiele mit innergermanischen s-mobile sind
reichlich belegt: vgl. Lühr / Matzel KZ 99 (1986), 263-264, 268-271. Wenn man lat. pinna
aus *S¯QD (mit Wirkung der litera-Regel; zur Regel vgl. Lühr Expressivität 77ff.; etwas
abweichend Benedetti SSL 36 (1996)) ableitet, wäre es möglich ein Adjektiv *piH-nó-
‚spitz’ anzusetzen, das im Germanischen durch Dybo’sche Kürzung als *fina- fortgesetzt
wäre. Daraus könnte ein Abstraktum *ILQ¯- / *ILQMÀ- ‚Spitzigkeit; Spitze’ entstanden sein,
das durch innerparadigmatische Verallgemeinerung des Allomorphs *ILQMÀ- zu westgerm.
*ILQQÀ [+n] ‚Flosse; Spitze’ hätte führen können (vgl. mndl. vinne ‚Floße, Feder; Stachel,
scharfe Spize’). Die Bedeutung ‚Stich’ hätte sich dann metonymisch aus ‚Spitze’
entwickelt (eine Alternative wäre die Annahme einer retrograden Bildung aus einem
denominalen Verb *fin-ja/i- ‚mit einer Spitze behandeln, stechen’: vgl. als Parallel ofries.
pîren ‚stechen, sticheln’ zu an. spíra ‚Rohr, schlanker Baum’ und ae. VS¯U ‚spitz
zulaufendes Gewächs, Spitze’ usw.). Die Bedeutungswandel von ‚Stich’ zu ‚Punkt’ hätte
dann eine genaue Parallele in lat. SÌQFWXP�‚Stich; Punkt’ (zu SXQJÀ ‚stechen’, LEW II 383
s.v. pugil).
Lit.: B ThWb s.v. Finne; WObSM I: 623 s.v. Finne2; PommWb. I: 799 s.v. Finn; MecklWb
II: 913 s.v. Finn; Schmell I: 722; SchwId I: 838f.; DWb s.v. Blutfinne; ThWb. s.v. finnig;
ThWb s.vv. Finnenschnitzer, Fleischbeschauer; Pomm.Wb I: 799 s.v. Finnen(be)kieker;
LuxWb I: 373; WElsM I: 118; SchweizId s.v. Pfinnigung; Schmell I: 433; SchwäbWb I:
1048f. s.vv. Pfinne, pfinnig; ThWb s.v. Finne; Udolph Germanenproblem 304; L Sp ThGr
204; EWD s.v. Finne1; DWb s.v. Finne; WG Lexer s.vv. phinne, phinnic, pinne, pint;
BMZ s.vv. phinne, vinne, vinnec; DWb s.vv. Pinn, Pint; Paul DWb 275; Egerm DWb s.v.
Finne; Lexer s.v. phinne; BMZ s.v. phinne; Georges-LDHW Bd. 2, S. 1712 s.v. pinna2;
DWb s.v. Pinn; AnEW 425 s.v. pinni; NedEW 514 s.v. pen; AeEW 246 s.v. pinn; Mayer-
Lübke 539 s.v. p±QQD; Holder 1962, 966; LatDic 135 s.v. �SHQQ¯nus, 1330 s.vv. penna,
3HQQ¯QXV; Udolph Germanenproblem 304; AeEW 105; OED s.v. finny, vinny; MndW IX
524-525 s.vv. vinne [2], vinnich [2]; AeEW 105; EWD s.v. Finne; MndW IX 524-525
s.vv. vinne [1], vinnich [1]; Lühr / Matzel KZ 99 (1986) 262ff.; Eidg AnEW 117 s.v. fen;
8
AeEW 120; IEW 807f. s.v. pen-2; EWA III (im Druck) s.v. fenni; LEIA A-71 s.v. an;
LitEW I 537, 570; DWb s.v. Mitesser; LEW II 238 s.v. penus; IEW 807 s.v. pen-1; Feist
147f.; EWAia II 83f.;� EWAia II 139; GEW II 532; Neri SostGot 275ff.; Casaretto
WortbGot 371ff.; Lühr MSS 36 (1976); EWAia II 779; Vine MSS 62 (2002); IEW 981;
Lühr / Matzel KZ 99 (1986), 263-264, 268-271; Lühr Expressivität 77ff.; Benedetti SSL 36
(1996); LEW II 383 s.v. pugil).
Flomen 1
Flomen Sb m. (n. f.) „Schmer, Schmerklumpen, Fett“
Z: Thür. Flomen „Schmer, Schmerklumpen“ (meist Pl.) ist ein niederdeutsches Lehnwort (vgl. mnd.
vlome „tierisches Fett“, südnnd. Flaumen). Das m. Wort setzt ein n-stämmiges Substantiv ndt.
*IOÀPDQ- fort, das durch Kontamination von urgerm. *IOÀPÀ- [+n] f. „(Fett-)Haut, Deckung“ und
*IO�1man- m. „id.“ (> mhd. flæme und mittel- und oberdt. Flame(n), Fläme(n) „dünne Haut; Fetthaut,
Fett“) entstanden ist. Urgerm. *IO�1man- m. beruht seinerseits auf einer geschlechtigen amphikinetisch
flektierenden idg. -men-Bildung *pleh1-mon��
/ *p33
h1-mn- „die Einhüllende“ aus der erweiterten Wurzel
*pl-eh1-. Dieses substantivierte Adjektiv liegt auch den baltischen Wörtern für Haut lit. SO¡Q¡� „dünnes
Häutchen“, SO¡Qìs „Häutchen“, lett. ple �QH „dünne Schicht“ und apr. pleynis „Hirnfell“ zugrunde.
B: Das thür. Substantiv Flomen bedeutet „Schmer, Schmerstollen“. Der Schmerstollen ist ein
aus der Bauchwand des Schweines gelöster, enthäuteter und in länglicher Form
zusammengerollter Schmerklumpen (andere Synonyme im Thüringischen: (Fett-)Blume,
(Schmer-)Brot, Fettpflaume, Fettwecke, (Schmer-)Laib, Niere(nschmer), Schmerklumpen,
Schmerlappen, Schmerlasche, Schmerrolle, (Schmer-)Wecken, Schmerwurst, Stollen, vgl.
ThWb s.v. Schmerstollen). Das Wort gehört zur Fleischersprache und ist als Flom(en) m.
und Flum(en) m. verstreut im westl. Nordthür. und im nordl. Nordostthür., außerdem bei
Apolda, Saalfeld, Greiz, Worbis (hier in der Variante Pflam), Flomen n. bei Sonneberg,
Flome f. bei Hettstedt belegt. Bei Artern ist auch die Redewendung du kreist Flum! „du
kriegst Hiebe“ bezeugt. Das Substantiv kommt auch komponiert als Fettflomen,
Fett(p)flaume „Schmerstollen; beleibter Mensch“ bei Bernburg vor (Belege bei ThWb
s.vv. Fettflomen, Flomen). Als Vorderglied ist das Wort weiterhin im Kompositum
Flomenfett „Schmerfett“ verbaut, vgl. Flom- bei Halle, Flum- bei Heiligenstadt, Flum(e)n-
bei Worbis; bei Hettstedt heißt das Kompositum Flomenschmalz (ThWb s.vv. Flomenfett,
Flomenschmalz). Die thür. Formen entsprechen den niederdeutschen Wörtern )OÀP�HQ��„Nierenfett der Schweine, Schmalzfett der Gänse, Fett der Fische“ (Ost- und Westpreußen,
Pommern-Rügen, Altmark, Holstein, Niedersachsen, Westfalen) und Flaumen „id.“ (im
Harz, von Braunlage bis Blankenburg, außerdem von Wernigerode bis Ballenstedt, Stettin,
Berlin, Dortmund, usw.; zur geographischen Verteilung der zwei Wörter mit
monophthongischem und diphthongischem Wurzelvokal ausführlich Damköhler 1927:
187ff, mit Literatur).
Im Ober- und Mittedeutschen zeigt das Wort abweichenden Vokalismus und eine viel
breitere Bedeutungspalette. Belegt ist in den rheinischen Mundarten neben Flum(en) m.
„Fleisch-, Haut-, Fetteile unter dem Bauche des Schweines“ hauptsächlich Flame, Fläme
„die auf wenig fettreicher oder schon einmal abgerahmter Milch sich bildende dünne
Rahmhaut; Haut über dem Schmalz; die die Feder, das Nierenfett, einhüllende Haut; durch
Flomen 2
Erkältung über dem Auge sich bildendes Häutchen; die Haut, die sich bei Hautschürfungen
dann bildet, wenn der Heilprozess beginnt; schmierige, hautig-fleischige Masse, die als
Vorzeichen beim Kalben erscheint; dünner Anhauch von Schaum, Schimmel; die Weiche
beim Vieh zwischen Bauch und Hinterschenkel, Leistengegend; auch zwischen Brust und
Hüften; namentlich beim Pferde, selten vom Menschen“; vgl. außerdem die Redewendung
in die Flam greifen „in die Tasche greifen, um Geld hervorzuholen; die Börse ziehen“ (da
die Börse eine getrocknete Schweinsblase war, so erhielt diese die Bezeichnung Flam);
dazu auch das Kompositum Flämstück n. „Leder von der Flame, Weiche; Fleischstück,
Lendenstück“ und das Adjektiv flämig „häutige Umhüllung habend bei gallertartiger
Masse“; zu weiteren Formen und Belegen vgl. RheinWb s.v. Flame, flämig, Flämstück.
Im Pfälzischen sind die Formen Flame, Fläme f. und Flamen, Flämen m. mit u.a.
folgenden Bedeutungen bezeugt: „dünne, halb durchsichtige Haut auf rohem Schmalz,
zwischen Muskeln; Haut, die die Leibesfrucht bis zur Geburt umgibt; die auf entrahmter
Milch sich bildende dünne Rahmhaut; die Weiche zwischen Rippen und Hinterschenkeln
des Tieres, besonders bei Rind und Pferd (häufig im Pl.); die Haut zwischen Euter und
Hinterbein bei der Kuh“ (vgl. PfälzWb s.v. Flame, mit weiteren Belegen und
Bedeutungsangaben). Im Schweizerdeutschen ist das Substantiv )O�P�HQ� m. „Decke von
Rahm auf der Milch, Decke von Eis an den Fenstern, belegt; zugehörig sind die Formen
)O�PH�Q�� f. „Euter trächtiger Kühe, dessen Adern sich mit Milch füllen; Eingeweide-,
Nierenfett der Schweine; Seite Schweineschmalz, wie man es vom Tiere abzuziehen
pflegt“ und Flom „feine Leinwand (bei Fenstern verwendet)“. Hierher stellt sich vielleicht
auch elsäß. Flamm(en)kuchen „Quiche, Speckkuchen mit einem Sahne- oder Sauerrahm-
Guss“ (falls mit Kompositionskürzung des Vokals im Vorderglied und
volksetymologischem Anschluss an das Wort Flamme). Vgl. außerdem Flemlin „weiche
Hirnhaut“, schwäb. Flemmle „krankhafte Trübung des Auges“ und schw.dt. g’flämt „mit
kleinen Wolken bedeckt (vom Himmel)“ (SchwId I 1195ff., mit Literatur; vgl. außerdem
DWb s.v. Flemle „membranae et vaginae viscerum“, und Christmann 1930: 232ff., mit
weiteren Formen und Belegen).
M: Die thür. Belege sprechen eindeutig für ein schwach flektiertes Substantiv Flom, Flomen
m., vgl. auch das Kompositionsvorderglied Flomen-, Flumen-. Die jeweils einmal belegten
Varianten neutr. Flomen und fem. Flome sind sekundär (das Genus Femininum ist wohl
durch volksetymologische Anlehnung an Pflaume zu erklären, vgl. Pflam bei Worbis, das
Neutrum durch Einfluss von dt. Fett). Das thür. Substantiv (zusammen mit den meisten
Flomen 3
niederdeutschen Belegen, vgl. Christmann 1930: 232) ist meist im Plural gebraucht (vgl.
ThWb s.v. Flomen).
L: Die Varianten IOÀP� und IOÌP° weisen niederdeutschen bzw. verhochdeutschten
Wurzelvokalismus auf (EWD s.v. Flomen, Christmann 1930: 232). Die Variante Pflam
beruht hingegen auf volksetymologischer Umgestaltung nach dt. Pflaume (ThWb. s.v.
Fettflomen); thür. Flaumen- weist südniederdeutsche Lautung auf (Damköhler 1927:
187ff). Die auch außerthüringisch belegten Formen mit -a- und -ä-Wurzelvokal setzen eine
andere Ablautstufe der Wurzel (→ Egerm
, Eidg
) fort.
Egerm
: Das thür. Wort ist aus dem Mittelniederdeutschen entlehnt, vgl. mnd. vlome sw. m.?
„Nierenfett, Schmalzfett“ (EWD s.v. Flomen). Ungewiss ist, ob auch mnd. vlome f.
„Fischschuppen; Metallplatten von Schuppenform (am Panzer, an silbernen Gefäßen)“
dazu gehört. J. ten Dornkaat Koolman (WOFr 517f.) geht von einer
Bedeutungsentwicklung von „Deckung“ zu „Haut; Schuppen“ aus.
J. Grimm hält hingegen „Schmutz“ für die ursprüngliche Bedeutung und schließt mnd.
vlome „Schmalz“ und südnd. Flaumen der Sippe von ahd. (Worolt-)floum (Otfrid V 1, 21)
„(Welt)boden, colluvies (mundi)“ und dt. mda. flümig „schmutzig, unrein“ an (DWb s.vv.
Flaum, flümig; vgl. dazu rhein. flom „trübe“, Flüm m. „schleimiger Auswurf“, flümen „sich
trüben“, aufflümen „eine Flüssigkeit aufrühren, dass sie trübe wird“, s. RheinWb s.vv.,
schw.dt. flüme(n) vulgär „scheißen (von Rindern, auch von Kindern)“, vgl. SchwId 1198).
Weiterhin ist nach Grimm dt. mda. Fleme „adeps renalis, ventralis, Bauchfett, Nierenfett
von Schweinen, Gänsen, Fischen, im Gegensatz zu dem von Rind und Hammel, welches
Talg genannt wird“ mit diesen Wörtern zu vergleichen. Dieses Wort setzt zusammen mit
der in den rheinischen und pfälzischen Mundarten bezeugten Form Fläme(n) das mhd.
Substantiv flæme swf. „innere Fetthaut“ fort (vgl. Lexer Nachträge s.v. flæme) und ist mit
ahd. -floum aufgrund der Wurzelstruktur (einfacher Wurzelvokal vs. Diphthong)
inkompatibel. Die diphthongische Form Flaumen ist durch südniederdeutsche
Diphthongierung von nd. )OÀPHQ entstanden (vgl. südnd. Blaut „Blut“, Bauk „Buch“,
Schau „Schuh“, Schaule „Schule“ (Christmann 1930: 231f.). Der Vergleich von Grimm
muss also aufgegeben werden (zu einer alternativen Etymologie vgl. AnEW 129 s.v.
flaumr). Aus dem gleichen Grund ist eine Herleitung aus der Wurzel *fleu- „schwimmen,
schweben“ unmöglich.
Die mda. Formen Flamen / Flämen einerseits und )OÀPHQ / Flaumen / )OÌPHQ andererseits
sowie mhd. flæme und nd. vlome stellen jeweils einen westgermanischen n-Stamm
*IO�PDQ- m. mit der Bedeutung „Deckung, Haut; Fetthaut“ und eine Abstraktbildung
Flomen 4
*IOÀPÀ- [+n] f. „id.“ dar. Die maskulinen Wörter mit À-stufiger Wurzel (*IOÀPDQ-) sind
wohl durch Kontamination aus den zwei obengenannten Bildungen entstanden. Von
diesem Ansatz lassen sich alle belegten Bedeutungen herleiten; die im Thüringischen
belegte Bedeutung „Fett“ ist als die „obenaufschwimmende Haut und Decke der Milch“
oder die „Fetthaut“ auffassbar (vgl. auch WOFr 517). Die femininen Formen mit
umgelauteten �-Wurzelvokalismus setzen wohl eine Motionsbildung auf *IO�P¯- / IODPLMÀ-
oder *IO�P�Q�¯- / IODP�Q�LMÀ-fort.
Eidg
: Nach Christmann 1930: 237 und EWD s.v. Flomen ist die obengenannte Wortsippe auf
die indogermanische Wurzel *pelh2- oder *pleh2- „ausbreiten“ zurückzuführen („Wohl zu
der gleichen Grundlage wie bei Fladen und flach; es bezeichnet (vermutlich) die
ausgebreitete Fläche“). Dieser Anschluss ist jedoch aus semantischen Gründen bedenklich,
da ein solches Benennungsmotiv eher für Produkte von Hautverarbeitung (z.B. Pergament)
zutreffen würde, als für die Haut selbst; außerdem wäre in diesem Fall die Herleitung von
mnd. vlome „Schuppe“ aus dieser Wurzel wenig plausibel. Auch machen die Formen auf
Fla° und Flä° < westgerm. *fl�� diesen Anschluß aus morphologischen Gründen
unwahrscheinlich, denn von einer Wurzel *pleh2- hätte nur eine Dehnstufe *SO�K2- >
urgerm. *IO�- (durch die Wirkung des Eichnerschen Gesetzes, vgl. IdGr Lautlehre 132f.)
zum belegten Ergebnis westgerm. *IO�- führen können, was allerdings in Anbetracht des
daneben erschlossenen e- oder o-stufigen Allomorphs *IOÀ� < *ple/oh2- morphologisch
kaum zu rechtfertigen wäre (man müsste annehmen, dass das Westgermanische beide
Allomorphe eines akrostatischen Paradigmas *pO�K2-mE / *pleh2-mn- bewahrt hätte). Die
Deutung des EWD muss also aus semantischen, phonologischen und morphologischen
Gründen aufgegeben werden.
Die germanische Wortsippe lässt sich vielmehr mit den baltischen Wörtern für „Haut“ lit.
SO¡Q¡� „dünnes Häutchen, Membrane, Regenbogenhaut, Iris, dünne Scheibe“, SO¡Qìs
„Häutchen“, lett. ple �QH „dünne Schicht“ und apr. pleynis „Hirnfell“ (IEW 803, LitEW I
615) vergleichen, die eindeutig auf die Vorform urbalt. *SO�QLho-, *SO�QLh�- „Haut“
hinweisen. Es handelt sich um eine ho-Ableitung *pléh1-(m)n-iho- aus einem Abstraktum
uridg. *pléh1-mE n. „Bedeckung, Einhüllung“, das seinerseits aus einer erweiterten idg.
Wurzel *pleh1- „einhüllen“ abgeleitet ist (zur Vereinfachung idg. -mn- > -n- vgl. lat. vellus
„abgeschorene Wolle des Schafes; Vlies“ < *h2iel(m)no-s- < *h2ielh1/3mn-o- + -s- vs. arm.
JHáPQ�„Wolle, Vlies“ < *h2ielh1/3mE, IEW 1139, oder ai. Instr. Sg. D�Q��< *h2a�-(m)n-eh1
zu D�PDQ- „Stein“ < *h2a�-mon-, IdGr Lautlehre 159; zur Wurzel *pleh1- vgl. IEW 803;
zum Benennungsmotiv „Bedeckung, Einhüllung“ für die Haut vgl. die Substantive lat.
Flomen 5
cutis und urgerm. *KÌGL] „Haut“, die ein idg. -ti-Abstraktum zur Wurzel *(s)keiH-
„bedecken, umhüllen“ (IEW 952) fortsetzen).
Aus dem starken Stammallomorph eines zur selben Wurzel gebildeten amphikinetisch
flektierenden substantivierten Adjektivs *pléh1mon- / *p3h1mn- „die Einhüllende“ >
„Haut“ ist hingegen die urgermanische Form *IO�1man- verallgemeinert worden. Aufgrund
innerdeutscher Paradigmenspaltung sind dann zwei mask. Substantive *IO�PDQ- / *IO�PLQ-
> mda. Flame(n), Fläme(n) entstanden; die zugehörigen femininen Formen setzen einen
movierten Stamm *IO�P¯- (oder *IO�P�Q�¯-) fort. Die fem. Formen mit À-Vokalismus
weisen hingegen auf ein o-stufiges Abstraktum *ploh1mah2 „Einhüllung“ > urgerm. *IOÀPÀ
+ -n > Flomen, Flaumen. Zum Nebeneinander von mask. -mon-Adjektiven und fem.
-mah2-Abstrakta vgl. gr. WHODPÊQ�„Gürtel, Band“ < *telh2mon- „Träger, der Tragende“ vs.
gr. W´OPK „Härte, Mut“ < *tolh2mah2 „Trägfähigkeit“ oder gr. �NPZQ�„Meteoritenstein;
Amboß“, ai. D�PDQ- „Stein“ < *h2a�-mon- „spitzig, eine Spitze habend“ vs. gr. �NP��„Spitze“ < *h2a�-mah2.
Aus der gleichen Wurzel abgeleitet sind auch lit. SO¡Y¡� „dünne weiche Haut, Häutchen auf
der gekochten Milch, Bauchhaut bei Schlachttieren“, lett. plêve „dünnes Häutchen (über
der Milch, am Fleisch), dünnes durchsichtiges Zeug, Narbe“ (LitEW 620, mit weiteren
Anschlüssen) < *pleh1-i-íh2 oder -íhah2 und möglicherweise auch lat. palea f.
„Getreidehülse, Spreu; Stroh; Erzschaum; das rote Läppchen unter dem Schnabel des
Hahnes“ und palear, -�ULV� n. < *SDOH�-li „Wampe; Kehle der Wiederkäuer“
(Walde/Hofmann LEW 238), falls aus *p3h1-éhah2 „Haut (besonders der Getreide)“ <
*„Häutiges“.
Die unerweiterte Wurzel *pel(H)- „einhüllen, bedecken“ liegt in vielen einzelsprachlichen
Wörtern für „Haut“ und „Umhüllung“ zugrunde, vgl. gr. {UXVg�SHODM n. „Hautkrankheit“,
S|OPD n. „Sohle am Fuß oder Schuh“, gr. S|SORM�m.�„Umhüllung, Schleier“, ae. filmen
„Häutchen“, lat. pellis „Fell“, ahd. fel, ae. fell, aisl. fjall „Haut“, got. þruts-fill „Aussatz“,
aksl. pelena, r. pelena, tschech. pléna, plína „Windel, Tuch, Hülle“ (IEW 803, EWA III
s.v. fel, mit Literatur).
Lit.: B Christmann 1930: 232f.; Damköhler 1927: 187ff; DWb s.v. Flemle; PfälzWb s.v.
Flame; RheinWb s.v. Flame, flämig, Flämstück; SchwId I 1195ff.; ThWb s.vv. Fettflomen,
Flomen, Flomenfett, Flomenschmalz, Schmerstollen; M Christmann 1930: 232; ThWb s.v.
Flomen; L Christmann 1930: 232; Damköhler 1927: 187ff; EWD s.v. Flomen; ThWb. s.v.
Fettflomen; Egerm
AnEW 129 s.v. flaumr; Christmann 1930: 231f.; DWb s.vv. Flaum,
flümig; EWD s.v. Flomen; IEW 1139; Lexer Nachträge s.v. flæme; RheinWb s.vv.
Flomen 6
aufflümen, flom, Flüm, flümen; SchwId 1198; WOFr 517f.; Eidg
Christmann 1930: 237;
EWA III s.v. fel; EWD s.v. Flomen; IdGr Lautlehre 132f., 159; IEW 803, 952;
Walde/Hoffmann LEW 238; LitEW I 615, 620.
Gaffe, gaffen, Gaffloch, Dachgaffe 1
Gaffe Sb f. „Dachfenster“
gaffen swV „neugierig betrachten; sehen“
Gaffloch Sb n. „Dachfenster der Scheune“
Dachgaffe Sb f. „Dachfenster“
Z: Thür. Gaffe f. „Dachfenster“ ist entweder eine Rückbildung aus dem Verb dt. gaffen „(an)starren“ mit
einer konkreten lokalen Bedeutung „Ort, von dem man anguckt“ oder ein ursprüngliches Nomen
Agentis *„Gucker“, das übertragen als „Auge des Hauses“ verstanden wurde. Möglich ist aber auch
eine ältere Abstraktbildung „Öffnung“ aus der urgerm. Wurzel *gap- „(den Mund) öffnen“, woraus
auch dt. gaffen mit der semantischen Entwicklung „(den Mund) öffnen“ > „mit offenem Mund
(an)starren“ entstanden ist. Urgerm. *gap- stellt ein durch phonologischen Wandel bedingtes
Allomorph von uridg. *�hhh
eh2p(-s)- „klaffen, den Mund aufsperren“ fort, das hier zum ersten Mal
angesetzt wird.
B: Das Substantiv Gaffe, Goffe, komponiert Dachgaffe „Dachfenster, liegendes Fenster im
Dach“ ist verstreut im nordwestlichen Südostthüringen (Gera, Zeulenroda, Pößneck) und
bei Altenburg belegt (ThWb s.vv. Dachgaffe, Gaffe). Mit der Bedeutung „Dachfenster der
Scheune“ ist außerdem das Kompositum Gaffloch in der Umgebung von Eisenberg und in
Naumburg bezeugt (ThWB s.v. Gaffloch). Das zugehörige Verb gaffen „etwas neugierig
betrachten, sehen“ ist verstreut in Sondershausen, Gera, Hohenmölsen in Gebrauch, vgl.
auch das Nomen Agentis Gaffer (Schmölln und Pößneck – ThWB s.v. gaffen)
M/WB: Thür. Gaffe hat fem. Genus, aber die ursprüngliche Deklinationsklassenzugehörigkeit
ist nicht bestimmbar. Der sicher umlautlose Wurzelvokalismus in Goffe schließt auf alle
Fälle einen alten -¯-/-MÀ-Stamm aus (→ L). Die Substantiva Dachgaffe und Gaffloch sind
Determinativkomposita mit dem Substantiv Gaffe als Hinter- bzw. Vorderglied. Das
Nomen Agentis Gaffer „jemand, der neugierig betrachtet“ ist aus dem schwachen Verb
gaffen abgeleitet und bildet seinerseits die Basis des frequentativen Verbs thür. gaffern
„sich oberflächlich umschauen, unaufmerksam sein“ (Langensalza), vgl. ThWb s.v.
gaffern.
L: Die Varianten Gaffe / Goffe deuten auf ursprünglichen kurzen Wurzelvokal /a/, der sich
im mittleren Thür. zu [å], im Ostthür. und nördl. Südostthür. weiter zu [Æ] verdumpft hat
(Sp ThGr 12f.).
Egerm: Thür. Gaffe bedeutete ursprünglich „Fenster“ und ist wahrscheinlich eine Ableitung
aus dem Verb dt. gaffen „(an)starren“, thür. gaffen „neugierig betrachten; sehen“ (vgl. zu
diesem Typ dt. Bleiche zu bleichen, vgl. Lühr Nhd 165). Möglich ist ein Nomen Loci „Ort,
von dem man anguckt“ oder ein Nomen Instrumenti „Mittel, mit dem man guckt“. Eine
Gaffe, gaffen, Gaffloch, Dachgaffe 2
Stütze für diese Etymologie kommt von anderen Synonymen für Dachfenster aus dem
Thüringischen, vgl. z.B. Dachgucke f. oder Guckloch n. (zu gucken) neben Gaffloch n.
Daneben ist eine Bedeutung „der gafft, anguckt > Auge“ (Nomen Agentis) denkbar, vgl.
thür. Augenfenster ‘augenähnliches halbrundes Dachfenster“. Zur Metapher des Fensters
als Auge des Hauses (einmal wegen seiner Form, einmal aufgrund seiner Funktion) vgl.
russ. okno „Fenster“ (zu aruss. oko „Auge“), got. augadauro („Augentür“), aisl. vindauga,
ae. ZLQGH�JH („Windauge“) „Fenster“ oder nhd. Bullauge. Eine dritte Möglichkeit ist die
Annahme einer ursprünglichen Bedeutung „Öffnung“. Die Bezeichnung des Fensters als
Loch ist im Thüringischen geläufig, vgl. die schon genannten Wörter Guckloch oder
Gaffloch (in diesem Fall wäre Gaffloch durch Kontamination von Gaffe mit Guckloch zu
erklären). Eine Bedeutung „Öffnung“ für Gaffe ist aber nur durch etymologische
Überlegungen zu erweisen: Die Bedeutung von gaffen „anstarren“ ist aus einer älteren
Bedeutung „mit geöffnetem Mund anschauen“ herzuleiten, vgl. EWD s.v. gaffen.
Dazugehörig sind die althochdeutschen Verben kapfên (> mhd. kapfen, obd. gapfen) neben
kaffen „hochblicken, aufschauen“ (woraus das Abstraktum ahd. geffida f. „Betrachtung“
gebildet wurde), mhd. gaffen „gähnen“, nhd. gaffen „neugierig betrachten“ (woraus das
Frequentativum thür. gaffern „sich oberflächlich umschauen, unaufmerksam sein“
abgeleitet wurde) sowie mnd. mndl. gapen, nd. gappen „den Mund aufsperren“, jappen
„nach Luft schnappen“, an. gapa „das Maul aufsperren“, nisl. fär. norw. schwed. gapa
(entlehnt als me. gapen), shetl. gab „geschwätzig sein“ < *den Mund öffnen, wohl auch ae.
ofergapian „vergessen, vernachlässigen“ < *„übersehen“ (vgl. AnEW s.v. gapa, DWb.
s.vv. gaffen, gappen, jappen, EWD s.v. gaffen, RheinWb s.v. gaffen, Ahd.As.Glossenwb.
144, ThWb. s.vv. gaffen, gaffern). Neben den Verben ist in den altgermanischen Sprachen
noch das neutrale Substantiv *gapa- belegt, vgl. an. gap n. „Öffnung, Loch; Schrei, Ruf;
törichtes Benehmen“, nisl. fär. norw. schwed. gap, ndän. gab, dazu shetl. gab „Öffnung“
(AnEW loc. cit.). Die germ. Verben mit Geminata *pp (> ahd. pf) setzen wohl eine
denominale Bildung *JDSQ�ML�D- fort, der ein verschollenes Verbaladjektiv *gapna-
„geöffnet, aufgesperrt“ zugrundeliegt. Thür. Gaffe kann also auch ein Abstraktum *JDSÀ-
f. „Öffnung, Loch“ direkt fortsetzen.
Eidg: Die Sippe von dt. gaffen stammt aus einer urgerm. Wurzel *gap- „klaffen, gähnen, den
Mund öffnen“, die nach EWD s.v. keine genauen außergermanischen Entsprechungen
haben soll. Nach IEW 422 setzt urgerm. *gap- eine Vorform idg. *�h¸b- (in moderner
Notation *�H-b-) fort, die durch Erweiterung der den einzelsprachlichen Verben ahd.
ginen, an. gína, ae. as. J¯QDQ „klaffen, gähnen, schnappen“ (n-Infixpräsentien), lat. KL�UH
Gaffe, gaffen, Gaffloch, Dachgaffe 3
„klaffen, gähnen, den Mund aufsperren“, K¯VFÀ�„klaffe“, KL�VFÀ „sich spalten, öffnen“ (vgl.
dazu lat. KL�Wus „Öffnung, Kluft, Schlund“), osk. eehianasúm „emittandarum, fugandarum
(hostiarum)“, u. ehiato „emissos“, lit. åLyMX, åLyWL� „gähnen“, sbkr. zjyti „den Mund
aufsperren“ < baltosl. *åM�- zugrundeliegende Wurzel *�K��L�- „gähnen, klaffen“ (so notiert
in IEW s.v.; nach LIV 173 *�heh1h- „den Mund aufsperren, gähnen“) entstanden ist. Dazu
wird auch ai. K�SKLN�- „das Gähnen“ gestellt (s. EWD s.v. gaffen), das, wie man annimmt,
ein sekundäres *ph aus *p fortsetzen sollte (möglicherweise abgeleitet aus einem
Abstraktum uriir. *�haHp-h2 > * Åjh�Sh
i „das Gähnen“ – zum Lautwandel vgl. ai. mahi n.
„groß“ < *PD�hi < uriir. *ma�h-h2 = gr. P|JD�[IdgGr 138f.]). Vgl. außerdem ae. geaflas Pl.
„Kiefern“, das auf ein Nomen Agentis urgerm. *gaf-lá- „Klaffer“ zurückgehen kann (dazu
schwed. på gavel „halb offen“, an. gafði „(er) gähnte“, gafa* „den Mund aufsperren“, vgl.
AeEW s.v. geaflas, AnEW s.v. gafði).
Der direkte Anschluss der germ. Wortsippe an die Wurzel von lit. åLRSVyWL „mit offenem
Mund dastehen“, lett.�å�SVWîtiês „sich räkeln, recken, klettern“ < *„gähnen“, s. LitEW II
s.v. åLRSVyWL (vgl. dazu die Glosse lat. KLSSLW�UH „oscitare, gähnen, den Mund aufsperren“
(Walde/Hofmann LEW I 648f.) < *K¯S-LW�UH [iteratives Verb, mit regulärer
Quantitätsmetathese wie bei O¯WHUD�> littera], ursl. *]LSDWv „keuchen, nach Luft schnappen“
oder ae. J¯IHU „Fresser“, aisl. gífr „Unhold“, nhd. dial. geifen, geiben, geipen „gähnen,
gaffen, gierig verlangen“, geifeln „spottend lachen“, ndl. gijbelen „kichern“; daneben ae.
gipian „nach Luft schnappen“, nd. J¯SHQ�„id.“, nschwed. J¯SD�„den Mund verziehen“ mit
germ. *-p-) wird von EWD s.v. gaffen strikt abgelehnt, denn diese Verbindung „würde
einen sonst nicht bezeugten Übergang von ig. *ghj- > g. g- voraussetzen“. Diese Ansicht
kann aber nicht geteilt werden: Im Urgermanischen wurde eine vorvokalische Gruppe *Kj
(Konsonant + palataler Approximant) zu *K vereinfacht, wenn keine synchrone
Morphemgrenze dazwischen lag. Vgl. die Endung des Gen. Sg. f. des Personal- und
Demostrativpronomens got. °izos, Dat. Sg. F. °izai, Gen. Pl. F. °izo < idg. *°eshah2s,
*°eshah2ah, *°eshah2ÀP�(aus *-s(m)hah2-, s. Gippert FS Rasmussen), sowie vielleicht auch
die thematische Endung des Gen. Sg. got. -is, ahd. -as < *-i/as@Í< *-e/osho (aber in diesem
Fall ist auch Vermischung von nominalen *-osho mit pronominalem *-eso denkbar, vgl.
russ. þHVR „wessen“ < *kieso). Zur fraglichen lautlichen Umgebung (#gjV > #gV-) vgl. ahd.
gestre, gestaron, gesteren, ae. giestron „gestern“, got. gistra-dagis „morgen“ < urgerm.
*ges-tra- < idg. *dh�hhes-tro-, zu lat. hesternus „gestrig“ < urit. *$HVWUH-no-, aisl. í gÙU
„gestern“ < urgerm. *J�] < idg. *dh�hh�V vs. í gjár < *JLM�] < *d
h�hih�V� (endungsloser
Lokativ), zu ai. hyás, av. ]\À, gr. FT|M, alb. dje, lat. heri, ir. indé „gestern“ < idg. *dh�hhes
Gaffe, gaffen, Gaffloch, Dachgaffe 4
[+i] (zu diesen Formen vgl. Lipp Palatale [im Druck]), oder aisl. gói f., góimánaðr „der
Monat von Mitte Februar bis Mitte März, Schneewinter“ (AnEW s.v. gói) < urgerm. *JÀn
„Winter, Schnee“ < idg. *�h(i)hÀP „id.“, zu gr. FLÊQ f. „Schnee“, av. zy^ f. „Winter“, arm.
jiwn „Schnee“, lat. hiems f. „Winter, Sturm“ (GEW II 1080f., Lühr Skalde Egill 179f.,
Friedman IESB 10 [2003]: 7). Eine Herleitung der germ. Wurzel *gap/f- (mit
verschiedenen Auslautsallophonen in Folge der Stimmtonassimilation an darauffolgende
Morpheme, s. unten) aus einer Grundform urgerm. *g(j)ap/f- bereitet also keine lautlichen
Schwierigkeiten. Was den Auslaut betrifft, ist eine weitere Wurzel urgerm. *gaisp-
„gähnen“ (vgl. die schwachen Verben nisl. fär. geispa, nnorw. geispa, gjespe, nschwed.
gäspa sowie ne. gasp „keuchen, nach Luft schnappen“ < ae. *J�VSLDQ�< *gaisp°, s. dazu
AnEW s.v. geispa) belegt, die wohl durch reguläre Metathese aus *gaips- entstanden ist
(vgl. dt. Wespe < mhd. webse) – die germanische Lautverschiebung musste hier
ausbleiben. Aufgrund von ursl. *]LSDWv und lat. hipp- ist die Wurzel als *�hheh2p- / *�hih2p-
zu bestimmen. Diese Wurzel hat sich zuerst zu urgem. *JÀI- / *J¯I- entwickelt. Von einem
Desiderativstamm *�heh2p-s- wurde daneben schon grundsprachlich eine neue Wurzel
*�hheh2ps- / *�hih2ps- gebildet (vgl. lit. åLRSVyWL), die im Urgermanischen als *JÀSV- /
*J¯SV- fortgesetzt wurde. Das Schwanken zwischen auslautendem *-f- und *-p- beruht also
auf Vermischung der zwei homonymen Wurzeln. Aufgrund des Jod-Schwunds wurden im
Urgermanischen drei Neowurzeln verallgemeinert: 1) Zu *JÀI�S- wurde eine normalstufige
Wurzel *gaf/p- gebildet nach dem Ablautmuster germ. a : À, vgl. an. kala „frieren“ < *kal-
a/i-, Prät. kól, Adj. kóll „kühl“ < *NÀO-a- oder fara „fahren“ < *far-a/i-, Prät. fór, Adj. fø �U�„beweglich“ < *IÀU-i- (Seebold StV 188, 288); 2) *J¯S�I- und 3) *J¯SV- wurden hingegen
als vollstufige Wurzeln interpretiert, wozu eine Abtönungsstufe *gaisp- gebildet wurde,
vgl. an. bíta „beißen“ < *beita/i-, Prät. beit, Adj. sár-beitr „schmerzlich beißend“ < *bait-
a- (Seebold StV 96f.).
Ein direkter Vergleich zwischen germ. *gaf/p- und die ai. K�SKLN�- zugrundeliegende
Wurzel uriir. *�haHp- ist hingegen abzulehnen, da die iir. Wurzel ganz isoliert steht und
wohl sekundär eine Kontamination zwischen idg. *�heh2- und oben eingeführte *�hheh2p-
darstellt. Zur Wurzel *�eh2- vgl. Lipp Palatale (im Druck); anders LIV 173: *�heh1h-; aber
eine Analyse *�heh2- neben *�h
h2-eh- ist vorzuziehen, vgl. das Nebeneinander der Wurzel
*seh2- neben *sh2-eh- „binden“ oder *dheg
ih- neben *d
hgih
-eh- „durch Feuer zerstören /
zerstört werden“ (zu den Wurzeln vgl. LIV 133, 150f., 544, mit von hier zum Teil
abweichenden Interpretationen).
Gaffe, gaffen, Gaffloch, Dachgaffe 5
Lit: B ThWb s.vv. Dachgaffe, Gaffe, gaffen, Gaffloch; M/WB ThWb s.v. gaffern; L Sp ThGr
12f.; Egerm Ahd.As.Glossenwb. 144; AnEW s.v. gapa; DWb s.vv. gaffen, gappen, jappen;
EWD s.v. gaffen; Lühr Nhd 165; RheinWb s.v. gaffen; ThWb. s.vv. gaffen, gaffern; Eidg
AeEW s.v. geaflas; AnEW s.vv. gafði; geispa; gói; EWD s.v. gaffen; Friedman IESB 10
[2003] 7; GEW II 1080f.; Gippert FS Rasmussen; IdgGr 138f.; IEW 422; Walde/Hofmann
LEW I 648f.; Lipp Palatale (im Druck); LitEW II s.v. åLRSVyWL; LIV 133, 150f., 173, 544;
Lühr Skalden Egill 179f.; Seebold StV 96f., 188, 288.
gelmen, gelmern 1
gelmen swV „leicht schlafen“
gelmern swV „id.“
Z: Das sw.V. thür. gelmen „leicht schlafen“ ist eine denominale Ableitung zu mhd. galm „Schlaf,
Betäubung“. Das etymologisch isolierte deutsche Substantiv beruht auf entlehntem vulgärlat. *calma
„Windstille, Ruhe“ < mittellat. cauma „Hitze, Glut“ (< gr. NDNDÂÂPDPD
„id.“); die Anlautlenierung *k > hd.
g kann durch zahlreiche Parallele gestützt werden (vgl. z.B. ahd. gamiza „Gemse“ < vulgärlat.
*camÀFHD, it. camoscio, it. dial. camozza).
B: Die Verben thür. gelmen „leicht schlafen, schlummern, duseln“ und seine Variante
gelmern „id.“ sind im Nordostthür. und Ostthür. (Naumburg, Zeitz) bis zur Grenze mit
dem nordthür. Dialektgebiet (Artern, Sangerhausen) verbreitet, vgl. südöstl. Nordostthür.
jalme(n), Zeitz galme, Halle galmen, Eisleben jämen und Artern ich haa de ganze Nacht
jegalmert (Belegen bei ThWb s.vv. gelmen2, gelmern).
M/WB: Thür. gelmen und gelmern sind schwache Verben, wie auch der sekundäre Umlaut
zeigt (→ L); gelmern ist ein mit deverbalem Suffix -er(n) gebildetes frequentatives Verb
zu gelmen, vgl. zu diesem Typ nhd. folgern, schlingern, steigern zu folgen, schlingen,
steigen (dazu Fleischer/Barz 349).
L: Der Wurzelvokalismus a ([a], >�@��VHW]W�NXU]HV�PKG��ä mit Sekundärumlaut fort (Sp ThGr
27ff., vgl. z.B. Pößneck opwassre „abwässern“, Schmalkalden machtlich „mächtig“);
gelmen stammt von mhd. *gälmen her. Das Nebeneinander von anlautenden j- und g- ist
mundartlich verteilt (nordöstliches vs. norwestlich-südliches Thüringen, vgl. Sp ThGr 184,
198); der Laut j- stellt das Frikativierungsprodukt von mhd. g- vor Vokal dar (Sp ThGr
������ YJO��1HXKDXV� >M�UG�r] „Gärten“. Die Nebenform jämen weist optionalen Schwund
von inlautendem -l- auf wie in šumaisdãr „Schulmeister“ (Sp ThGr 231) und setzt dieselbe
mhd. Vorform wie gelmen fort.
Egerm: Für thür. gelmen
2 ist noch kein etymologischer Anschluss vorgeschlagen worden (vgl.
ThWb s.v. gelmen2: „etym. unklar“). Ein Vergleich mit gelmen
1 „laut schreien“ und somit
mit ahd. galm, calm „Schall, Hall“ (DWb s.v. Galm1) ist wegen dem Fehlen einer
plausiblen semantischen Verbindung unwahrscheinlich. Auch Anschlüsse an thür. Galm
„Verlangen, Gier“ (ThWb s.v. Galm) oder an nhd. mda. Galm „Qualm, Dunst, Gestank“
sind aus demselben Grund unbefriedigend (vgl. DWb s.v. Galm2). Das zugrundeliegende
mhd. *gälmen stellt vielmehr eine Ableitung des einmal belegten Substantivs mhd. galm
„Betäubung“ dar (sein herz das lag in schâches galm (: twalm) Hätzl. 29a., vgl. Lexer
Nachträge s.v. galm, DWb s.v. Galm3); mhd. galmeten „getäubt“ ist aufgrund seiner
gelmen, gelmern 2
Überlieferungslage hingegen unsicher (vgl. DWb s.v. galmen „schlummern“: Lesart ir
galmeten sinne (statt galmenden) bei Trist. 11814 in der Strassburger Handschrift).
Für mhd. galm ist ein Vergleich mit mhd. qualm „Beklemmung“ und mhd. twalm
„Betäubung, Ohnmacht; Schlaf, Traum, Vision“ erwogen worden (vgl. Lexer s.vv. qualm,
twalm, DWb s.v. Galm3, mit Literatur; zu einem möglichen Zusammenhang zwischen
qualm und twalm vgl. EWD s.v. Qualm). In Folge der Entlabialisierung des Anlauts
müsste dann qualm zuerst zu kalm geworden sein (vgl. mhd. quëc > këk „Keck“, quam >
kam, quât > kât „Kot“, MhdGr 154) und dann zu galm; aber eine Lenierung von
anlautendem mhd. k aus qu hat keine Parallele. Außerdem ist unwahrscheinlich, dass das
mit mhd. galm reimende Wort twalm dessen Vorform ist.
Unklar ist es schließlich, ob das mitteldeutsche Verb kalmen „leicht schlummern“ (belegt
z.B. in Leipzig, vgl. DWb s.v. kalmen mit Belegen und Literatur) zur Sippe von mhd. galm
„Betäubung“ oder zu der von qualm „Beklemmung“ gehört, da beide Möglichkeiten
lautlich und semantisch gut bestehen. Außerdeutsch sind keine Entsprechungen zu mhd.
galm oder thür. gelmen zu verbuchen.
Eidg: Da die bisher vorgeschlagenen Etymologien für mhd. galm aus formalen oder
inhaltlichen Gründen inadäquat sind, wird im Folgenden eine neue Deutung
vorgeschlagen. Das Substantiv ist ein Lehnwort aus vulgärlat. *calma „Windstille; Ruhe“
(vgl. it. calma, frz. calme m., sp. calma, pg. calma „id.“, mit der verbalen Ableitung it.
calmare „beruhigen“, Meyer-Lübke 171; dazu it. calmo, frz. calme Adj. „ruhig“). Von der
im Vulgärlatein schon verallgemeinerten Bedeutung „Ruhe“ zur belegten Bedeutung von
mhd. galm „leichter Schlaf, Betäubung“ ist die semantische Entwicklung trivial. Das
Substantiv ist unabhängig auch ins Englische (vgl. me. calme, ne. calm „ruhig“, to calm
down „sich beruhigen“) und Niederländische (vgl. kalm, kalmte „Windstille, Ruhe“)
entlehnt worden, woher es dann wieder ins Hochdeutsche eingedrungen ist (vgl. nhd.
Kalme „Windstille“), s. dazu NedEW 298, DWb s.v. Kalme.
Die Anlautlenierung vulgärlat. k > hd. g kann mit zahlreichen Beispielen untermauert
werden: vgl. nhd. Gartine < mndl. gardine „Bettvorhang“ < frz. courtine < kirchenlat.
FRUW¯QD „Vorhang“ (EWD s.v. Gartine, Meyer-Lübke 210), mhd. galmei „Kieselzinkspath,
Kieselgalmei“ < sp. calamina < gr. NDGPHgD (Lexer s.v. galmei); oberd. Guckummer
(neben Kukumer) „Gurke“ < lat. cucumis, cucumer (DWb. s.vv. Kukumer, Guckumer,
EWD s.v. Gurke, Meyer-Lübke 219), schweizerdt. Gulm „oberste Bergkuppe“ < lat.
culmen „Gipfel“ (SchwId I 233); besonders aussagekräftg sind einerseits ahd. gamiza
„Gemse, wilde Bergziege“ < vulgärlat. *FDPÀ[, *FDPÀFHXV, -a (vgl. it. camoscio, it. dial.
gelmen, gelmern 3
camozza, frz. chamois, s. Meyer-Lübke 170f.), vgl. dazu nürnberg. jems, iembs „id.“ (DWb
s.v. Gemse), andererseits ahd. gougal, goucal „Narretei, Zauberei“, gougalôn, mndd.
gokelen, mndl. gokelen „Narrenpossen treiben, gaukeln“, dazu thür. Gäukel (Mansfeld,
Sangerhausen, Nordhausen M�Nãl) < mittellat. cauclearii „Wetterzauberer“ (EWD s.v.
gaukeln, ThWb s.v. Gäukel), weil beide Formen zeigen, dass das Lenierungsprodukt mhd.
g- < vulgärlat. k- mundartlich weiter zu j- spirantisiert werden konnte. Es steht also nichts
im Wege, thür. gelmen „Schlummern“ als Denominativ zu mhd. galm „Betäubung“ <
vulgärlat. calma „Windstille, Ruhe“ zu bestimmen.
Das lat. Wort gehört zur romanischen Sippe von log. kama „Hitze“, engad. k“oma „das
Ausruhen“, obw. kauma „Schattenstätte“, prov. cauma „Hitze“ < mittellat. cauma, -atis
„Hitze, Glut, Verbrennung“ (Meyer-Lübke 171) < gr. NDÂPD n. „id.“ (-men-Abstraktum
zur idg. Wurzel *keh2i- „anzünden, verbrennen (LIV 345)). Der Wandel mittellat. cauma
> vulgärlat., it. calma ist wohl nicht dissimilatorischer Natur, sondern durch
volksetymologischen Anschluss an die Sippe von lat. calor „Wärme“, caleo „bin warm“
usw. erfolgt (NedEW 298). Die semantische Entwicklung zur Bedeutung „Windstille“ ist
beruht dabei auf Metonymie „Hitze“ > „bei der Hitze zustandekommende Windstille“.
Lit.: B ThWb s.vv. gelmen2, gelmern; M/WB Fleischer/Barz 349; L Sp ThGr 27ff., 184,
198f., 231; Egerm / E
idg EWD s.v. Gartine, gaukeln, Gurke, Qualm; DWb s.v. Galm1,
Galm2, Galm
3, galmen, Gemse, Guckumer, Kalme, kalmen, Kukumer; Lexer s.vv. galmei,
qualm, twalm; Lexer Nachträge s.v. galm; LIV 345; Meyer-Lübke 170-171, 210, 219;
MhdGr 154; NedEW 298; SchwId I 233; ThWb s.vv. Galm, gelmen2, Gäukel.
Happen, Haps, happig, happen, hapsen 1
Happen Sb m. „mundgerechtes Stück“
Haps Sb m. „Bissen; Nuckel, Brustwarze“
happig Adj. „gierig“
happen swV „mit dem Maul zu fassen suchen; fressen“
hapsen swV „schwer atmen, keuchen“
Z: Thür. Happen swm. „mundgerechtes Stück“ setzt ein urgerm. substantiviertes
Adjektiv *happa-n- „Anteil“ fort, das durch die Wirkung des Klugeschen Gesetzes
aus vorurgerm. *kh2p-nó- „gefasst, zuteil bekommen“ stammt und zu der idg. Wurzel
*keh2p- „fassen, schnappen“ gehört.
B: Das Substantiv Happen m. „mundgerechtes Stück“ ist in Nordthür., Nordostthür., Ostthür.
und verstreut in Ilmenauthür. in Gebrauch, sonst in thür. Dialektgebiet nur selten
anzutreffen. Außerdem wird das Wort häufig als Deminutiv mit der Bedeutung „ein
bisschen“ verwendet. Belege sind: e Hüppchen Wurscht (Weißenfels) „ein Stück Wurst“,
gäbb mer e Häppchen Stulln (Schmölln) „gib mir ein Stück Stollen“, dän juten Happen
hewe ich bis zuletzte uff (Eisleben) „das gute Stück hebe ich bis zuletzt auf“, kenn
Häppchen bange (Heiligenstadt) „kein bisschen ängstlich“, e Häppchen schnell
(Hohenmölsen) „ein bisschen schnell“, s treppelt nor a Happchen (Artern) „es tröpfelt nur
ein bisschen“, n Häppelchen (Eichsf. 1912) „ein bisschen“ (ThWb s.v. Happen).
Komponiert kommt das Substantiv im Thür. vor in Maulhappen „kleines Stückchen, ein
Bissen“ (Quedlinburg), Anstandshappen „Anstandsbissen, aus Höflichkeit übriggelassener
Speiserest“ (nur verstreut im nördl. Nordostthür., Zentralthür., nördl. Ostthür., selten östl.
Südostthür., Eisenach, Hildburghausen), Masthappen „Mastbissen, der letzte Bissen einer
Mahlzeit“ (Altenburg), Respektshappen „Respektsbissen, das Letzte in der Schüssel“ (nur
Eisleben), Schmackhäppchen n. „Leckerbissen“ (nur Worbis), Schnapphäppchen n.
„Kostprobe, Leckerbissen“ (nur Halle/Saalkreis), Zuckerhäppchen (ThWb. s.vv.). Das
Substantiv ist außerdem in der Variante Happ m. belegt (Rudolstadt) und kommt
komponiert in Pfingsthäpp m. „ein Leckerbissen, den man sich bis zum Schluß aufhebt“
(nur Altenburg) vor. Schließlich ist Happen auch in der kinderspr. Interjektion
happahappa verbaut (in der Wendung happahappa machen „essen“, Sonneberg).
Das Wort ist auch außerhalb des thür. Dialektgebietes in vielen dt. Mdaa., vor allem aber
im Niederdeutschen mit der Bedeutung „Bissen“ belegt, vgl. EWD s.v. Happen, DWb s.v.
Happe: „in Niederdeutschland heimisches Wort, von dem die Ausläufer bis nach
Happen, Haps, happig, happen, hapsen 2
Oberdeutschland reichen und das auch spärlichen Eingang in die Schriftsprache gefunden
hat“.
Neben dem Substantiv ist auch das Adjektiv happig „gierig“ (meist aufs Essen bezogen)
selten bezeugt: aß dich bei der Oma sott, ower hau nich su happch ein! (Pößneck). Weitere
Bedeutungen des Adj. sind: „habgierig“ (Altenburg, Eisenach, Bad Salzungen, dar is ower
happch Gera), „eilig“ (Hildburghausen), „viel, stark, übertrieben“ (selten Nordthür.
Ostthür., Bernburg, Langensalza, Weimar, Eisenach, Saalfeld, eene happche Gälle (Kälte)
Weißenfels, der Rein kamb happich Mühlhausen, gomm mir nor nich gleich so happch!
Naumburg 1893) (ThWb. s.vv.).
Zugehörig sind außerdem das stm. Haps „Nuckel, weibliche Brustwarze; Biss, Bissen“
(Eisenach, Jena, mit een Haps hatten hinnerjefressn „mit einem Bissen hatte er ihn
gefressen“, Bernburg), das Adj. haps „gierig“ (vgl. haps essen Sondershausen) und wohl
das stf. Happe, Häppe „Nuckel, weibliche Brustwarze; einfache Weidenpfeife; Mundstück
an der Weidenpfeife; Kinn, Mund“ (ThWb. s.v. Happe).
Zu dieser Wortsippe gehören schließlich die schwachen Verben thür. happen „mit dem
Maul zu fassen suchen, fressen“ (Bernburg, Wernigerode 1890, Heiligenstadt,
Mühlhausen), auch präfigiert abhappen swV. „etwas abbeißen“ (Bernburg) und aufhappen
swV. „aufessen“ (Bernburg), sowie hapsen „schwer atmen, nach Luft schnappen, keuchen
(nur verstreut im westl. Nordthür. Westthür., mittl. Zentralthür., südl. Ilmthür., Pößneck);
Essen gierig in sich hineinschlingen, fressen“ (Bernburg, Artern, ebs. hapschen
Naumburg); dazu abhapsen swV. „etwas abbeißen (Bernburg), refl. „sich abmühen“ (nur
Neuhaus, Saalfeld) und erhäpsen swV. „etw. bewältigen“ (äch kanns bäld näch ärhäpse
Rudolstadt, dar kann ver Fätte nich erhapse Neuhaus) (ThWb s.vv.).
Außerhalb Thüringens sind die Verben happen und happsen (mit der Variante happern)
„gierig (nach Essen) schnappen“ vor allem im niederdeutschen und niederländischem
Sprachgebiet sowie in mitteldeutschen Dialekten (Hessisch, Schlesisch) verbreitet, vgl.
DWB s.v. happen
L: Da es sich um ein niederdeutsches Lehnwort handelt (→→ E), ist die bilabiale Geminata pp
nicht zu mitteldt. pf verschoben worden. Das Nebeneinander von umgelautetem und
unumgelautetem Wurzelvokalismus in Happe / Häppe sowie hapsen / erhäpsen (→→ WB)
ist mundartlich bedingt und weist auf umgelautete mnd. Formen (vgl. Sp ThGr 27ff.).
M: Thür. Happen „Mundstück“ gehört zur Flexion der schwachen Maskulina. Das
Nebeneinander von Happ und Happen ist wohl auf paradigmatische Aufspaltung eines
mask. n-Stammes zurückzuführen, wobei Happen das Stammallomorph der obliquen
Happen, Haps, happig, happen, hapsen 3
Kasus fortsetzt. Happe / Häppe „weibliche Brustwarze“ ist hingegen ein starkes
Femininum mit i-Umlaut des Wurzelvokals, also eine alte ¯-Motionsbildung (< *KDSS¯). WB: Das Substantiv Happ / Happen kommt häufig in der Deminutivform Häppchen, sowie
als Hinterglied in zahlreichen Determinativkomposita vor, vgl. Maulhappen,
Anstandshappen, Masthappen, Respektshappen (mit Kompositionsfugenkonsonant s, vgl.
dazu Lühr Nhd. 150), Schmackhäppchen, Schnapphäppchen, Zuckerhäppchen (zum
Begriff „Determinativkompositum“ vgl. Lühr Nhd.153f.). Das dazugehörige schwache
Verb happen „zu fassen versuchen, essen“ < „etwas als Anteil bekommen, etwas zu
eigenem Anteil machen“ ist eine denominale Bildung faktitiver Bedeutung. Die nominalen
Bildungen mit einem s-Suffix (subst. Haps „Nuckel; Bissen“, Adj. haps „gierig“) sind
hingegen Rückbildungen aus dem schwachen Verb hapsen „nach Luft schnappen; gierig
essen“, eine intensive Bildung auf -sen < *-LVÀQ- (zu s-Bildungen, die das Raffen
bezeichnen, vgl. an. glepsa, glefsa „schnappen, beißen“, rifsa „an sich reißen“, nhd.
grapsen (dazu Kr/M 255, mit weiteren Beispielen)). Nach hapsen ist auch ndd. jappen zu
japsen „id.“ umgebildet worden (zum ndd. Verb vgl. EWD s.v. jappen). Das einmal
belegte Verb hapschen mit der Suffixvariante -schen < *-�L�VNÀQ- ist eine iterative Bildung,
dessen Verhältnis zu happen und hapsen dem zwischen grappen, grapschen und grapsen
„heftig erfassen, ergreifen, raffen“ entspricht (s. dazu DWb s.vv.).
WG: Die Grundbedeutung von Happen ist „Bissen, eine bestimmte Menge (von Essen), die
geschnappt, gefasst wird“; von dieser Bedeutung her ist Bedeutungsentwicklung zu stf.
Happe „weibliche Brustwarze“ sowie zu stm. Haps „weibliche Brustwarze; Bissen“
innerhalb des Wortfeldes „Essen; Ernährung (der Kinder)“ eingetreten. Die Bedeutung von
hapsen „schwer atmen nach Luft schnappen“ ist hingegen eine Spezialisierung von
„schnappen“, wie die Bedeutung „Essen gierig in sich hineinschlingen“ des Verbs zeigt
(vgl. das Adj. haps „gierig (auf das Essen)“). Ein weiterer Bedeutungswandel liegt bei
thür. erhäpsen vor (→→ B): „verschlucken“ hat sich im übertragenen Gebrauch zu
„verkraften, bewältigen“ entwickelt.
Egerm
: Mda. Happen hat bisher in der einschlägigen Literatur keine überzeugende Etymologie
gefunden. Nach der heutigen communis opinio handelt es sich um „eine Lautgebärde wie
auch die Interjektion happ(s), also „das Erschnappte“, vgl. Sommer 1977: 3-6, EWD s.v.
Happen. Die Existenz von frz. happer „wegschnappen“ (12. Jh., vgl. EtWFrSpr 516,
RomEtW 340 (4036 *happare (Schallwort) „packen“)) spricht aber für ein beträchtliches
Alter der Wortsippe (pace NedEtW 236), denn dieses Verb ist wahrscheinlich aus dem
Niederländischen entlehnt.
Happen, Haps, happig, happen, hapsen 4
Eidg
: Die Entstehung der Geminata -pp- ist anders zu beurteilen als bisher, d.h. sie beruht auf
keine Lautgebärde (so z. B. NedEtW 236), sondern auf der Wirkung des Klugeschen
Gesetzes (vgl. dazu Lühr Expressivität 191ff.). Die Basis von mda. Happen ist ein urgerm.
substantiviertes Adj. *happa-n- „Anteil“ < „das Gefasste“, das seinerseits aus einem
älteren *habna- < *kapnó- entstanden ist. Es handelt sich um ein -no-Partizip (mit
erwarteter Schwundstufe der Wurzel) vorurgerm. *kh2p-nó- „gefasst, geschnappt“ > „zuteil
bekommen“ zur idg. Wurzel *keh2p- „fassen, schnappen“ (LIV 344f.), die auch lat. FDSLÀ
„fassen, nehmen“, got. hafjan „heben“ < *kh2p-hó-, ahd. KDE�Q „halten, haben“ < *kh2p-
h1hó-, gr. NÊSK�„Griff (eines Schwertes / Ruders)“ < *kóh2p-ah2 usw. zugrundeliegt (vgl.
dazu Seebold WGStV 244f., mit weiteren Beispielen). Eine semantische Parallele liefert
gr. N�SWZ�„schnappen, schlucken“ < *„fassen“; zur Bedeutung vgl. auch gr. ~IDJRQ „aß
(auf)“, eine ererbte Aoristbildung zur idg. Wurzel *bhag- „als Anteil bekommen“ (LIV 65).
Das dazugehörige Verb happen „schnappen“ ist auch im Niederländischen belegt
(NedEtW loc. cit.) und setzt wohl eine faktitive denominale Bildung *happ-À�MD�QD-
„etwas zu Anteil machen“ fort.
Außerwestgerm. Vergleichsformen zur Wortsippe von Happen sind bisher nicht ausfindig
gemacht worden. Der etymologische Anschluss an *keh2p- „zuteil werden“ führt aber auch
zu aisl. happ n. „Glück“ (woher durch Entlehnung me. hap „Zufall, Glück“, ne. happen
„geschehen, sich ereignen“). Das Wort ist mit aksl. NREv „W¼FK, Geschick“ und air. cob
„Sieg“ verglichen worden (AnEW 209), was aber die Geminata im Germanischen nicht
erklärt (< *kab-na-? Zur Problematik vgl. Lühr Expressivität 248f.). Auch der Anschluss
an nschwed. hampa sig „sich ereignen“ beweist keine Vorform *hampa- > aisl. happ, da
das schwedische Verb seinen Nasalkonsonant wohl einer Neuerung verdankt (vgl. dazu
Lühr Expressivität 119f.).
Wenn man hingegen vom urgerm. Adj. *happa- => Subst. n. *happan „Anteil“ ausgeht, ist
ein semantischer Wandel zu „Schicksal, Glück“ durch semantische Parallelen
wahrscheinlich zu machen, vgl. gr. PRmUD „Schicksal“ < *smórih2 zu *smer- „Anteil
bekommen“ (LIV 570), gr. D×VD�„Schicksal“ < *Háhtih2 zu *Hah- „geben; nehmen“ (LIV
229: h1ah-) oder ai. bhága- „Anteil, Besitz, Glück“ (EWAia 239).
Lit: B EWD s.v. Happen; DWb s.vv. Happe, Happen; ThWb s.v. Happen; L Sp ThGr 27ff.;
WB EWD s.v. jappen; DWb s.vv. grappen, grapschen, grapsen; Lühr Nhd. 150, 153f.;
Kr/M 255; Egerm
EtWFrSpr 516; EWAia 239; EWD s.v. Happen; NedEtW 236; RomEtW
340; Sommer 1977: 3-6; Eidg
AnEW 209; LIV 65, 229, 344f., 570; Lühr Expressivität
119f., 191ff., 248f.; NedEtW 236; Seebold WGStV 244f.
Hattel, Hättel 1
Hattel, Hättel Sb f. „Ziege“
Z: Thür. Hattel, Hättel f. „Ziege“ (Dem. „Ziegenlamm“) hat Entsprechungen in vielen ober- und
mitteldeutschen Dialekten und ist mit mhd. hatele f. „Ziege“ sowie mit rhein. Hätzel f. „Schaflamm“
verwandt. Die deutschen Wörter lassen sich mit an. haðna (f.) „Ziege“ vergleichen und setzen
verschiedene Allomorphe eines n-stämmigen Substantivs urgerm. *hadan- / *hadn- „Hüpfer“ und
eines Nomen Agentis *KDGLOÀ- f. „id.“ fort. Die s-mobile-haltige Wurzel *(s)keHt- (-h2-?) liegt auch lat.
catulus „Tierjunges“ und umbr. katel „id.“ zugrunde. Ferner sind mit dieser Wortsippe russ. NRWLWvV¶D�„Junge werfen“ sowie lit. skantù „hüpfe“, lat. scatere „hervorquellen“ und die Hesychglosse {V{VNNDW�PL]HDW�PL]HQ�Q���{��{VVN�UN�ULL]]HHQ�Q�
„hüpfte“ urverwandt.
B: Das Substantiv Hattel, Hättel ist ein Kosename und ein Lockruf für die „Ziege“. Das Wort
ist im südlichen Südostthür. in Gebrauch (ob. Schwarza, südl. Pößneck, nördl. Schleiz,
Zeulenroda, Greiz und um Mansfeld), im nordöstl. Itzgründ. konkurriert sie mit Heppel
„id.“. Häufig wird das Wort im Deminutiv verwendet (vgl. sei Gas sei Hattela, anner Viah
hoter net gehot, Coburg); das Wort bedeutet außerdem „Ziegenlamm“ (vorwiegend im
Deminutiv). Mit abwertender Übertragung auf Menschen oder andere Tiere bedeutet H.
„Mädchen“ (Neuhaus), vgl. auch alte Hattel „wildes, ausgelassenes Mädchen“ (Saalfeld),
weiterhin „Pferd“ (Gera, Pößneck) und „Kuh“ (Neuhaus). Zu den Belegen vgl. ThWb s.v.
Hattel1. Das Wort tritt auch als Kompositionsvorderglied in thür. Hattelmäh
„Schmeichelname für die Ziege“ (Saalfeld) auf, vgl. ThWb s.v.
Ab mittelhochdeutscher Zeit ist das Wort im ganzen deutschen Sprachraum reichlich
belegt, vgl. mhd. hatele st.F. „Ziege“ (BMZ s.v., Lexer s.v.), schweizerdt. Hattlen sw.F.
(Dim. Hätteli) „Ziege; Zicklein; junges weibliches Kaninchen; weibliches Lamm“ neben
Hättlen „übermütiges, ausgelassenes Mädchen“ (SchwId II 1768), bair. Hett, Hettel,
Hettelein, tirol. Hattl, Hettl, Hödl „Ziege; Bock“, voralberg. Hattele, Hättele „junge
Ziege“, bad. Hadl, Hatl¸ f. „weibliche Ziege“ (dazu „weiblicher (Stall-)Hase“,
„weibliches Schaf“, „kicherndes junges Mädchen“, „einfältiges Weib“, „mageres
Frauenzimmer“, usw.), Häddl f., +GO¸ n. „junge Ziege, Zicklein“ (vgl. Bad. II 571f., mit
ausführlichen Belegen), elsäss. Hättel f. „Ziege (Kose- und Rufname); magere Kuh;
mageres böses Weib“ (WbEls 387f.), pfälz. Hattchen, Hattel n. „Ziege“ (PfälzWb s.v.),
rhein. Hitte f., Hittchen n. „Ziege“, Hit m. „mageres, altes Pferd“, Hättchen „Lockruf für
kleine Ziegen“ (vgl. daneben Hätzel f. „Schaflamm“, Hitze f. „Ziege“, Hitz „Lockruf für
Schafe; mageres, altes Pferd“, RheinWb s.vv.), südhess. Hättel (hG3) f. „Lockruf für die
Ziege“ (aldi Häddl f. „geschwätziges mageres Weib“), Demin. KG¸l¸, KGLO¸, „Zicklein“,
übertr. „Mädchen, die sich auffällig benimmt und närrisch tut“ (Südhess. III 155). Vgl.
ferner DWb s.vv. Hattel, Hettel1, Hettel
2.
Hattel, Hättel 2
M/WB: Das in vielen Dialekten weit verbreitete Genus Femininum spricht gegen eine
synchrone Segmentierung Hatt-el mit Deminutivsuffix wie von Schwentner PBB 48
(1924): 303 vorgenommen.
Egerm: Die von Wilhelm Wackernagel vorgeschlagene Deutung des Wortes als „meckerndes
Tier“ (aus dem bair. Verb hetteln „meckern, meckernd lachen, kichern“, vgl. DWb s.v.
Hettel mit Literatur) ist abzulehnen, da das Verb eine geographisch sehr begrenzte
Verbreitung hat. Außerdem wäre eine Übertragung des Appellativs auf andere, nicht
meckernde Tiere unverständlich. Naheliegend ist hingegen die entgegengesetzte Richtung
der Ableitung: Das Verb hetteln ist mit der Bedeutung „wie eine Ziege meckernd lachen“
aus bair. Hettel gebildet.
Die mundartlichen Varianten setzen die Allomorphe ahd. *hatilÀ (vgl. thür. südhess. f.
Hättel, tirol. Hattl, bair. Hettel) neben der Kurzform *KDWW¯ > *KWW¯�(> rhein. f. Hitte – zur
dial. Schließung des umgelauteten Vokals vgl. rhein. Hippe < mhd. hæpe) fort, andererseits
spiegelt mhd. hatele wohl ahd. *KDWDOÀ wider. Die expressive Geminata -tt- in *KDWW¯ ist
damit zu begründen, dass es sich um ein Kosewort handelt (vgl. Otto neben Odward). Der
Wandel mhd. hatele > Hattel ist hingegen lautgesetzlich und beruht auf Beibehaltung eines
Kurzvokals in offener Silbe vor der Gruppe -tel im Spätmittelhochdeutschen (vgl. Mhd.Gr
75, 130). Anders zu beurteilen sind die dialektalen Formen auf -tz- (vgl. rhein. Hätzel und
Hitze), deren Stamm wohl aus dem Urwestgermanischen ererbt und durch
Konsonantengemination vor -n- lautgesetzlich entstanden ist (s. unten). Die auf -l
auslautenden Stämme lassen sich zum Teil vergleichen mit der Wortsippe von an. haðna f.,
nisl. haðna, nnorw. hadna, K�QD, nschwed. dial. häna, hen(n)a „Ziege“ (AnEW 200) <
urnord. *KDGLQÀn (mit regulärer i-Synkope nach leichter Silbe vor folgendem Langvokal).
Die westgerm. Entsprechung dieser Form ist *KDGD�LOÀ- [+n], möglicherweise eine
Kontamination zwischen urgerm. *KDGD�LQÀ-, (mit Suffixwechsel) und einem Nomen
Agentis *KDGLOÀ- (zu diesem Typ vgl. urgerm. *f(l)ugila- *„Flieger“ > „Vogel“).
Andererseits sind die dt. Formen mit Affrikata -tz- auf die Wirkung des Klugeschen
Gesetzes bei einer Grundform *hadnV- > *hattV- (> vorahd. *hatzV-) zurückzuführen. Die
zwei somit rekonstruierten Allomorphe urgerm. *KDGL�DQÀ- (neben *KDGLOÀ-) und *hadnV-
zeigen eine in Urgermanischen vorgenommene Recharakterisierung durch das fem. Suffix
-À- eines grundsprachlichen ablautenden geschlechtigen -n-Stammes *hadan- / *hadin- /
*hadn- „hüpfendes Tier“ (→ Eidg). Zu den zu Feminina umgebildeten substantivischen n-
Stämmen vgl. z.B. urgerm. *flekkan- m. vs. *IOHNNÀQ- f. „Flecke, Stück Fleisch“, *luppan-
Hattel, Hättel 3
m. vs. *OXSSÀQ- f. „Floh“ oder *VODNNÀQ- f. vs. *slakka- m. „Schnecke“ (Lühr Expressivität
216, 222f., 244).
Eidg
: Der in IEW 534 unter einer Wurzel kat- „Junge werfen; Tierjunges“ verzeichnete
Vergleich der germanischen Formen mit lat. catulus „Tierjunges, bes. aus dem Geschlecht
der Hunde“, u. katel „id.“ oder russ. dial. NRWvND�„Lamm“ (so auch Walde/Hofmann LEW I
183, wo auch ein mit lautlichen Problemen behafteter Vergleich dieser Wortsippe mit mir.
cadla „Ziege“ hinzugefügt wird) bereitet morphologische Schwierigkeiten. Das Material
ist heterogen und die semantischen sowie morphologischen Unterschiede zu den
germanischen Wörtern offensichtlich. Das slavische Wort gehört zu den Verben russ.
NRWLWvV¶D� „Junge werfen (von Katzen, Mardern, Iltissen, Hasen, Schafen, Ziegen)“, ukr.
NRW\W\��D�„Junge werfen, von Katzen, Schafen, Hasen, Rehen“, bulg. NRW¶t�VH�„kätzeln“,
skr. kòtiti(se) „werfen von Hund, Katze, dial. auch von allen Tieren“, slov. kotiti „ Junge
werfen“, tschech. kotiti se „kätzeln“, poln. NRFLü�VL „werfen von Katzen, Hasen, Rehen,
Ziegen, Schafen, Bären“, osorb. NRüRZDü�„trächtig werden“ < ursl. *NRWLWL� V „Jungtiere
werfen, trächtig werden“ (die Bedeutung „kätzeln“ ist wohl durch Einfluss von r. kot, ukr.
kit, aruss. ksl. NRWvND, bulg. kot, skr. kot, tschech. poln. nsorb. kot „Kater, Katze“ <
vulgärlat. cattus „Wildkatze“ entstanden, vgl. REW I 643). Einzelsprachlich fortgesetzt
sind ein Verbaladjektiv ursl. *NRWv-na f. „trächtig“ (vgl. ukr. kitna, skr. skotna, poln.
kotna), ein Abstraktum *NRWt „Brut“ (ukr. obkit „Zeit des Lammens“, skr. slov. kot „Brut“,
slov. skot „das Junge, Gezücht“, poln. wykot „Lammen, Zickeln“) und ein Nomen Actionis
/ Loci südsl. *koti-(d)lo- (bulg. kotilo „Wurfstätte, Wurf, Nachkommenschaft“, skr. kotilo
„Wurfstätte“), vgl. REW I 645. Allen slavischen Wörtern liegt das Verb *NRWLWL��V��mit der
Wurzel *kot- „Junge werfen“ < *„hervorbringen, hervorspringen lassen“ aus der
Schwundstufe *kHt- von uridg. *keHt- „(hervor)springen“ zugrunde.
Die italischen Wörter lat. catulus „junger Hund“ (Dem. catellus „Hündchen“ < *katele-lo-,
vgl. auch catul na��FDUÀ��„Hundefleisch“) und umbr. katel, Gen. katles „id.“ sind Nomina
Agentis auf -elo- zur selben Wurzel *keHt- „(hervor)springen“, also *kHt-eló-
„springendes Tier“ > „Tierjunges“, das mit dem Allomorph urgerm. *KDGLOÀ- f. direkt
vergleichbar ist (ein den slav. Formen entsprechendes Resultativ „Geworfenes“ ist
hingegen mit der Funktion des Suffixes *-elo- nicht vergleichbar). Anders Untermann
2000 s.v. katel (Deminutiv eines verschollenen *kato-).
Die n-stämmige Formen urgerm. *hada/in- / *hadn- lassen sich aus einem
amphidynamisch flektierenden Nomen Agentis *kHt-ón- / *KHt-n- „Hüpfer, Springer“
herleiten (mit innerparadigmatischer Verallgemeinerung der Wurzelschwundstufe der
Hattel, Hättel 4
schwachen Kasus). Zu diesem Typ vgl. urgerm. *kuman- „wer kommt“, *tuhan- / *tugan-
„Führer“, *numan- „Nehmer“, *luppan- / *OXSSÀQ- „springendes Insekt“, *ludan-
„Sprößling“, usw. (Material und ausführliche Behandlung dieser Formen in Schaffner
Suffix *-on- (im Druck) s.vv.).
Die hier rekonstruierte, allen aufgeführten Wörtern zugrundeliegende Wurzel *keHt-
„(hervor)springen“ ist verbal in ihrer Variante mit s mobile in vielen Einzelsprachen
belegt: Vgl. das n-Infixpräsens lit. skantù „hüpfen, springen; sich beeilen“ (Inf. skàsti, Prät.
skatau �), mit Verallgemeinerung des schwachen Allomorphes eines ablautenden
Paradigmas *skanet- / *skant- < *skH-né-t- / *skH-n-t- (LIV 551, LitEW II 798, mit
weiteren Formen), lat. VFDWÀ (Inf. scatere) „hervorquellen“ < *skHt-é/ó- (Walde/Hofmann
LEW II 491) sowie die Hesychglosse gr. {VNDW�PL]HQ� �� {VN�UL]HQ� „hüpfte“ (LitEW
loc.cit.), die wohl auf wurzelhaften Laryngal *h2 weist (anders Schrijver Laryngeals 432).
Die dialektalen Formen westfäl. VFKÀW, nd. schåd „Laich“ < westgerm. *VN�GD-, worauf das
denominale Verb nfränk. schaiden „laichen“, nd. schaden „id.“ < westgerm. *VN�GÀQ-
beruht, setzt wohl eine V�ddhi-Ableitung urgerm. *VN�GD- < *VN�+Wy- „zum Fisch oder
Frosch gehörig“ fort, deren Basis ein verschollenenes Wurzelnomen *skó/éHt- / *skHt-
„(hüpfender) Fisch, Frosch“ ist (vgl. die Ableitungen ae. sceadd „Maifisch“, ne. shad, nhd.
Schade m. „id.“, norw. dial. skadd „kleiner Schnepel (Fischsorte)“, an. skaddr (Beiname),
cymr. ysgadan „Hering“, nir. scadán „id.“, DWb s.v. Schade, IEW 950, AnEW 479).
Lit: B Bad. II 571f.; BMZ s.v. hatele; DWb s.vv. Hattel, Hettel1, Hettel
2; Lexer s.v. hatele;
PfälzWb s.v. Hattchen, Hattel, RheinWb s.vv. Hättchen, Hätzel, Hitte, Hitze; SchwId II
1768; Südhess. III 155; ThWb s.vv. Hattel1, Hattelmäh; M/WB Schwentner PBB 48
(1924): 303; WbEls 387f.; Egerm AnEW 200; DWb s.v. Hettel; úEWDD s.v. Bansen; Lühr
Expressivität 216, 222f., 244; Mhd.Gr 75, 130; Eidg AnEW 479; DWb s.v. Schade; IEW
534, 950; Walde/Hofmann LEW I 183, II 491; LitEW II 798; LIV 551; Schaffner Suffix
*-on- (im Druck); REW I 643, 645; Schrijver Laryngeals 432; Untermann 2000 s.v. katel.
1
Krutscher m. „Bauer mit wenig Landbesitz; schlechter Arbeiter“
krutschen swV „unnütz herumstehen, langsam und liederlich arbeiten“
Z: Das im östl. Mitteldeutschen verbreitete Substantiv Krutscher „schlechter Arbeiter“ ist ein Nomen
Agentis, das vom schwachen Verb krutschen (neben rheinl. krutscheln) „liederlich arbeiten; schlecht
gehen können“ abgeleitet ist. Daneben ist auch ein Substantiv Krutsche „körperlich unterentwickelte
Person“ in den obersächs. Mundarten belegt. Wenn man das vorliegende Sprachmaterial mit der
Sippe von schweiz.dt. FKU�]HQ „krabbeln, kriechen“ vergleicht, ist es möglich, eine urgerm. Wurzel
*kret- „kriechen, krumm gehen“ zu rekonstruieren, die an ai. gardabhá- „Esel“, lat. gradior „schreite“
und jav. aiwi-g¸̧
r¸̧
d- „eintreten, beginnen“ angeschlossen werden kann. Wenn man hingegen krutschen
von schweiz.dt. FKU�]HQ� trennt und aus einem Grundmorphem urgerm. *kreud- ausgeht, ist ein
etymologischer Anschluss an die unerweiterte Wurzel idg. *greii
(H)- „sich bücken, krümmen;
kriechen“ (vgl. daneben *greii��
H)-b-, *greii
H-p- und *greii��
H)-g- „kriechen“) möglich.
B: Das thür. Substantiv Krutscher m. kommt mit zwei verschiedenen Bedeutungen vor: 1)
„Bauer mit wenig Landbesitz (abwertend)“ (verstreut in östl. Ostthür., südöstl. Südostthür.,
um Langensalza bezeugt; dazu verstärkt kleener Krutscher um Zeitz und Altenburg
belegt); 2) „liederlich arbeitender Handwerker, schlechter Arbeiter“, mit vielen
Synonymen im Thür., vgl. ThWb. s.v. Pfuscher (um Gera, Schmölln und Greiz belegt).
Vgl. ThWb s.v. Krutscher. In den benachbarten obersächsischen Mundarten erscheint das
Wort außerdem mit den Bedeutungen „körperlich unterentwickelte, verkümmerte Person;
Schulanfänger“ und „Betreiber einer kleinen Landwirtschaft, eines kleinen
Handwerksbetriebs oder Ladens; einer, der oberflächlich, schlecht arbeitet“ (WOSM 672).
Zu dem Substantiv gehören thür. Krutsche f. „kleiner Bauernhof“, obersächs. Krutsch m.
Flurname (Bezeichnung von Feldern, Wiesen) sowie appellativisch „körperlich
unterentwickelte, verkümmerte Person (meist männlich); nicht (mehr) brauchbares Gerät,
unnütze Gegenstände; Person, die zu nichts mehr nütze ist“, obersächs. Krutsche f.
„körperlich unterentwickelte, verkümmerte Person; kleines Bauerngut,
heruntergekommenes Anwesen“ (ThWb s.v. Krutscher, WOSM 672). Neben den
Substantiven ist auch ein im östl. Ostthür. vorkommendes schwaches Verb krutschen
„unnütz herumstehen, langsam und liederlich arbeiten“ sowie obersächs. krutschen,
herumkrutschen „sinnlos umherlaufen, sich nutzlos beschäftigen“ bezeugt. Das Verb findet
sich auch im Westen, vgl. rheinl. krutschen swV „knirschen, knarren (von ungeschmierten
Geräten); zusammengekauert dasitzen, kränkeln; kriechen“ sowie die Ableitung rheinl.
krutscheln „knirschen auf den Zähnen; etwas mit Geräusch zerbeißen; schlecht gehen
können“ (RhWb s.vv. krutscheln, krutschen).
2
M/WB: Das mask. Substantiv Krutscher ist eine Ableitung mit dem Suffix -er zur Bildung
von Nomina Agentis aus dem Verb krutschen „liederlich arbeiten“ (→ Egerm
). Das im
Obersächs. belegte Substantiv Krutsche ist hingegen eine Rückbildung aus dem Verb (zu
diesen Wortbildungstypen vgl. Lühr Nhd 165, 183). Zu den deverbalen
Frequentativbildungen mit dem Suffix -eln wie krutschen => krutscheln vgl. Lühr Nhd
170.
Egerm
: Nach Eichler Etym. Wb. 73: Krutsch sind die Substantive Krutsch m. „kleines,
unansehnliches Kind“ und Krutsche f. „verkümmertes, unansehnliches Mädchen;
überhaupt etwas verkümmertes“ nur mit Vorsicht als Lehnwörter aus dem obersorb.
Komparativ krótši ‚kürzer’ zu krótki ‚kurz’ einzustufen (so z.B. nach Bielfeldt SW 281,
MFr II 115, WOSM 672, ThWb s.v. Krutscher), da sich „Entlehnungen aus slaw.
Komparativen [...] höchst selten [finden]. Die Erklärung ist von germanistischer Seite zu
prüfen“. Gegen die Annahme eines slavischen Lehnworts spricht außerdem die
Verbreitung des Verbs, das auch im Rheinländischen vorkommt. Die Bedeutungen von
Krutscher als „Betreiber einer kleinen Landwirtschaft, eines kleinen Handwerksbetriebs
oder Ladens; einer, der oberflächlich, schlecht arbeitet“ sind sekundäre
Bedeutungsentwicklungen aus der im Obersächs. noch belegten Bedeutung „verkümmerte
Person“. Die ursprüngliche Semantik des zugrundeliegenden Verbs wird von den rheinl.
Formen krutschen und krutscheln „zusammengekauert dasitzen, kränkeln; kriechen;
schlecht gehen können“ angegeben. Der Krutscher ist wohl ursprünglich der „Kriecher;
gekrümmte, kränkliche Person; jemand, der schlecht gehen kann“ (woraus die
Bedeutungen „liederlicher Arbeiter“ und „verkümmerte Person“ hervorgehen). Neben den
rheinl. Verben ist das etymologisch zu dieser Wortsippe zuzuordnende pfälz. Verb krotteln
„kriechen, mühsam gehen; klettern“ zu erwähnen (PfälzWb s.v. krotteln). Semantisch
ansprechend, aber lautlich schwierig ist der Anschluss dieser Formen an schweiz.dt.
FKU�]Hn, FKUÀ]Hn
, FKU�]OHn, FKUÀ]OHn
„krabbeln, kriechen, besonders von kleinen Kindern,
auch von Kröten; mühsam klettern“ (vgl. auch schweiz.dt. &KU�], &KUÀ] f. „langsame,
hilflose, schwächliche, kränkliche Person“, en alter� &KU�]HU, &KUÀ]HU m. „alter, sich
mühsam herumschleppender Mann“, FKU�]HWHn, FKUÀ]HWHn
„langsames, mühsames
Arbeiten“), das nach dem SchwId 923 eine unbelegte Intensivbildung ahd. *FKU�FFH]]DQ
zu FKU�FFR „Haken“ < *„Krümmung“ fortsetzt. Möglich wäre, von einer Vorform urgerm.
*NU�WW-i/a- > ahd. *NU�W]L�D- „kriechen, krumm gehen“ neben schwundstufigem *krutt-a-
ski/a- > ahd. *krutzaski/a- „id.“ auszugehen. In diesem Fall wäre pfälz. krotteln entweder
3
ein Lehnwort aus dem Niederdeutschen (vgl. als mögliche verwandte Verben norw. krutla
„langsam arbeiten“, schwed. krottla „id.“ neben dem Substantiv krottlare „elender
Arbeiter, Pfuscher“, DWB s.v. krozen) oder eine Umgestaltung von *krotzeln o. ä. nach
pfälz. Krotte „Kröte“ in Anlehnung an der kriechenden Bewegungsart dieses Tiers. Unklar
ist allerdings, ob eine ahd. Form *krutzaski/a- lautgesetzlich krutschen ergeben würde (vgl.
als mögliche Parallele nhd. klatschen < klatzschen (EWD s.v. klatsch)).
Eine zweite etymologische Deutung dieser Wortsippe besteht in dem Ansatz einer
Verbalwurzel urgerm. *kreud- „kriechen“, die eine Variante mit abweichendem
Auslautskonsonantismus der synonymen Wurzeln *kreuk- und *kreup- (vgl. ahd. kriohhan
„kriechen“, ae. crypel „Krüppel“, an. kriúpa, ae. FU�RSDQ, afr. NUÌSD, mnd. krepen, krupen
„kriechen“, dazu das Iterativ afr. NU�SD�„demütig gebeugt gehen“, ae. cry ¼pan „kriechen“
IEW 389, Seebold StVb 310, Lühr Expressivität 357f.) darstellt. In diesem Fall würde
pfälz. krotteln direkt ahd. *krut-DOÀ�-ji/a)- fortsetzen, während krutschen ebenso
lautgesetzlich auf ahd. *krut-a-ski/a- beruhen würde (zu den Verbalsuffixen vgl. Kr/M
256, 263).
Eidg1
: Die miteinander konkurrierenden Präsensbildungen urgerm. *NU�WW-i/a- „kriechen,
krumm gehen“ und *krutt-a-ski/a- „id.“ (dazu norw. krutla- „langsam arbeiten“ < *krut-
DOÀ�-ji/a)-) deuten auf eine urgerm. Wurzel *NU�W�W�- (mit expressiver Gemination) hin, die
keine sicheren außergermanischen Komparanda hat. Die aus dem germanischen Material
transponierte vorgermanische Wurzel *gred- (das Allomorph urgerm. *krut(t)- wäre durch
eine analogisch nach dem starken Allomorph *NU�W�W�- erfolgte Metathese der
schwundstufigen Vorform *g;d- > *kurt- entstanden) könnte mit dem etymologisch
unklaren und isolierten Substantiv ai. gardabhá- m. „Esel“ (EWAia I 473)
zusammenhängen, wenn man von einer Grundbedeutung „unter einem Gewicht
krumm/langsam gehendes Tier“ ausgeht. In diesem Fall würde ein Zoonym *gordE-bhó-
zugrundeliegen. Zum Tiernamen bildenden Suffix *-bho- vgl. z.B. gr. µNDXRT „Hirsch“
(m.), „Hirschkuh“ (f.) < *h1élE-bho- (Weiterbildung eines n-Stammes *h1el-én-, vgl. gr.
±NN�T „Hirschkalb“, arm. HáQ, lit. élnis, aksl. MHOHQv, kymr. elain usw. „Hirschkuh“, vgl.
GEW I 483f., IEW 303f.) oder ai. v;s �DEKi- „Stier, Bulle“ < *h2i;sE-bhó- neben ai. v;s �DQ-
Adj. „männlich, kräftig; zeugungskräftiger Mann, männliches Tier“ (EWAia II 575f.),
Nomen Agentis zur Wurzel *h2iers- „(Samen) gießen“. Eine weitere
Anschlussmöglichkeit stellen die Verben lat. gradior „schreiten“ < *gred-hé/ó- und jav.
aiwi-g¸r¸/PDKL „wir beginnen“ < *g;d-més + i (AIrW 514f.; anders Kellens 1984: 117,
4
118 Anm. 2, McCone 1998: 473: +-g¸r¸nmahi ‚singen’) dar (der in LEW I 615
verzeichnete Vergleich mit air. in:greinn „verfolgen“, aksl. JUGÆ „gehen, kommen“ (<
*ghri-n-d-), got. grid, mhd. grit „Schritt“ und lit. grìdiju „gehen“ ist unmöglich, da alle hier
aufgelisteten Formen eine Wurzel idg. *ghrehdh
- enthalten, vgl. McCone loc. cit. mit
Literatur, LIV 203). Dieser Vergleich kann jedoch nur aufrechterhalten werden, wenn man
für urgerm. *NU�W�W�-i/a- eine Herleitung aus einem akrostatischen („Narten“)
Wurzelpräsens uridg. *JU�G- „immer wieder schreiten“ > „mühsam fortschreiten“ >
„krumm gehen, kriechen“ annimmt (die jungavestische Form 1. P. Pl. Aktiv kann auch ein
Nartenpräsens fortsetzen, da Verben mit den Wurzelstrukturen CER(C) und CREC auch in
der akrostatischen Flexion des Plurals und Duals Aktiv sowie ins ganze Medium
einzelsprachlich die schwundstufige Wurzel eingeführt haben, vgl. Narten Kleine Schriften
105).
Eidg2
: Wenn man dagegen eine Wurzel urgerm. *kreud- ansetzt, sind keine direkten
außergermanischen Komparanda vorhanden. Der erweiterten Wurzel *kreu-d- (genauso
wie *kreu-k- und *kreu-p-) liegt ein Grundmorphem uridg. *grei(H)- zugrunde (IEW
388f.), dessen Bedeutung „kriechen“ durch semantischen Wandel aus „sich bücken,
krümmen“ entstanden ist, vgl. norw. kryl „Buckel“, kryla „krummrückig sein“ sowie
schwed. dial. krylas i hop „zusammenkriechen“, norw. dial. krylt „bucklige Person“. Mit
Labialerweiterung (*greiH-p-) ist die Wurzel in gr. FS{¾�T „gekrümmt, krummnasig, mit
einer Habichtnase“ (IEW 389, GEW I 329f.) und FS{¾�RODL „krumm werden (von den
Nägeln)“ < *gruHp-ó- „krumm“ fortgesetzt. Mit -b-Erweiterung sind neben den
Fortsetzern von urgerm. *kreup- auch lit. JUXELQ¡ �WL „straucheln, stolpern“ und wohl
grùb(l)as „Unebenheit, kleiner Erdhügel“ einzuordnen (IEW loc.cit.; anders LitEW I 172).
Der Anschluss weiterer Formen ist unsicher (vgl. das im IEW 388-390 gesammelte
Material).
Lit.: B RhWb s.vv. krutscheln, krutschen; ThWb. s.vv. Krutscher, Pfuscher; WOSM 672;
M/WB Lühr Nhd 165, 170; 183; Egerm
Bielfeldt SW 281; DWB s.v. krozen; Eichler Etym.
Wb. 73: Krutsch; EWD s.v. klatsch; IEW 389; Kr/M 256, 263; Lühr Expressivität 357f.;
MFr II 115; PfälzWb s.v. krotteln; SchwId 923; Seebold StVb 310; ThWb s.v. Krutscher;
WOSM 672; Eidg1,2
AIrW 514f.; EWAia I 473, II 575f.; GEW I 329f., 483f.; Kellens 1984:
117, 118 Anm. 2; LEW I 615; LitEW I 172; LIV 203; IEW 303f., 388-390; McCone 1998:
473; Narten Kleine Schriften 105.
Lach, Lache, lachen 1
Lach Sb m./n. „Grenzstein, Feldgrenze“
Lache Sb f. „Grenze“
lachen swV „grenzen (an), verlaufen“
Z: Das im thür. Dial. bezeugte Verb lachen (mit [B
B
]) „grenzen (an), verlaufen“, die Sb. Lach m.
„Grenzstein, Feldgrenze“, Lache f. „Grenze“ und verschiedene Ableitungen gehen auf eine
german. Wurzel *lF
F
1k- „Rand, Grenze; grenzen an, enden“ zurück, die mit Annahme eines
geschwundenen s-mobile an die uridg. Wurzel *sleh1g/H
H
-�ÄDQV�(QGH�JHODQJHQ³��JULHFK�����&�„aufhören, enden“, osk. slaagí- „Grenze“) anschließbar ist. Die von Kluge in EWD vertretene
Zusammenstellung mit aind. lák�man- „Marke zur Kennzeichnung des Viehs“ muss aus
lautlichen Gründen aufgegeben werden.
B: In thür. Mundarten sind belegt: lachen swV „grenzen, verlaufen“; Lach m./n. „Grenzstein,
Grenzrain zwischen Feldstücken, Grenze“; Lachbaum „Grenzbaum“; Lache f. „Grenze;
Einschnitt an Baumstämmen zur Harzgewinnung“; Lachstatt f. „Grenzstätte in der Flur“;
Lachstein m. „Grenzstein zwischen Feldern und Fluren“; Lachweg m. „Grenzweg“: der
Acker loucht ufs Haus zu „der Acker grenzt an das Haus“, s Looch stimmt nimmer „der
Grenzstein stimmt nicht mehr“, di Louch löft ufn Baam zu „die Grenze geht auf den Baum
zu“, dort bei dan Loochsteen gett der Wach links neis Holz „dort bei dem Grenzstein führt
der Weg links in den Wald hinein“ (ThWb s.v. lachen, Lach, Lache).
Aus anderen dt. Dialekten gehören hierher: frk. lachen swV „(einen Baum) mit einem
Zeichen versehen“, z.B. in Grenzbäume lachen; in schwäbischer Form lauchen (aus mhd.
lâchen), z.B. vier jauchert holz, wie solche allenthalben vermarkt, verlaucht und versteinet
sind (Schmid SchwäbWb 337); (die coburgischen und gothaischen Ordnungen) gebieten,
dasz ... keine Weisztannen gelachet oder gerissen werden sollen (Stisser Jagdhistorie 231);
bair. einen Baum lacken bedeutet „ihn kennzeichnen durch ein Merkmal, das man
einschlägt“ (Schm BayerWb 1, 1432); vgl. ferner bair. Geläck, Gelack n. „Grenzzeichen“,
z.B. das erste Gläckh (ist) mit X in eine zwislige Feichten geschlagen „das erste
Grenzzeichen ist mit X in eine gegabelte Fichte geschlagen“ (Schm BayerWb 2, 431);
Geläckbaum „Grenz-, Markbaum“ (Schm BayerWb 1, 1432); Lachbaum „Grenzbaum“,
z.B. Lachböum setzen auf die anstösz und marchen = ponere in confinio arbores (Maaler
1561 (1971²): 258c); alemann. lochbeume = in jure forestali dicuntur arbores antemissae
et terminales (Stieler 1691 (1968²): 114); als man an die Gränzpfähle und Lochbäume der
heutigen Lust gekommen war (Jean Paul, Hesp. 2, 23). Lachgang m. „Gang zur
Besichtigung der Marken, Grenzbegehung“ wird in Hessen auch noch als Flurname
Lach, Lache, lachen 2
verwendet (Vilmar Idiotikon 252). Außerdem ist ein seltenes nhd. Lacht f. „Harzriss;
Rindenstreifen“ (erster Beleg 1835) mit davon abgeleitetem Verb lachten „mit Harzrissen
versehen“ bezeugt (DWb s.vv. Lacht, lachten).
Aus älterer Zeit stammen mhd. lâchen, lâchenen „(einen Grenzbaum) mit einem Zeichen
versehen“ oder „(einen Baum) zur Harzgewinnung anritzen“; ahd. l�h m., l�hha f.
„Grenzzeichen, -markierung“, mhd. lâche, lâchene, lauche f. „(in einen Baum)
eingehauene Grenzmarkierung; ein Einschnitt (an Nadelbäumen), der zur Gewinnung von
Harz dient“, z.B. alemann. in den lâchinan und gemerken, die ze Kinaberg und in das
vorder holz und in das hinder holze hörent. (Beck de jure lim. 506 aus dem Jahr 1352);
susz wurden die zwing und ben, marchen und lochenen entscheiden und theilt, und wurden
zu allen theilen die markstein gesetzt (Basler chron. 1, 128, 13); ahd. l�hboum (Grimm
Rechtsalt. 544, 545), mhd. lâchboum, lâchenboum „Grenzbaum“.
M: Das Verb lachen, mhd. lâchen bildet ein schwaches Part.II gelacht, älter gelachet. Ein
Präteritum ist nicht bezeugt. Zu der mhd. Form lâchene f. gehört der Pl. lâchinan,
lochenen; lâchinan zeigt den regulären N.Ak.Pl. eines fem. ô-St., der schon im Ahd. aus
der schwachen Deklination übernommen ist (Mittelhd Gramm 88, 198). Ein frühnhd.
schw. Plural Lachen kann dagegen sowohl zu Lach m. als auch zu Lache f. gehören.
WB: Das schwache Verbum lachen, mhd. lâchen „(einen Baum) mit einer Markierung
versehen“ ist eine explizite Ableitung von mhd. lâche f. „Grenzmarkierung im Baum“
mittels des Suffixes mhd. -en (aus ahd. -ôn) in instrumentativer Funktion, genauso auch
mhd. lâchenen von der im Nhd. nicht mehr bezeugten Form mhd. lâchene und lachten von
Lacht. Die Funktion des Suffixes zeigt sich in zahlreichen weiteren Verben wie z.B. nhd.
salben „mit Salbe versehen“, danken „mit Dank versehen“ (Mittelhd Gramm 256).
Mit Lach „Grenze, Grenzzeichen, -markierung“ als erstem Kompositionsglied sind die
Determinativkomposita Lachbaum „Grenzbaum“, Lachstein „Grenzstein“, Lachweg
„Grenzweg“, Lachstatt „Grenzstätte“ und Lachgang „Grenzbegehung“ zusammengesetzt.
Dasselbe Lach ist die Grundlage für bair. Geläck und Gelack (mit fehlendem Umlaut, zum
-ck s. L), ein Kollektivum des Typs dt. Feld : Gefilde, Wasser : Gewässer. Wegen der
späten und seltenen Belege kann Lacht f. keine alte Ableitung mit einem *ti-Suffix sein,
sondern eine junge Bildung mit funktionslosem unetymologischem -t (:�L).
L: Die thür. Mundarten zeigen den Langvokal in der Stammsilbe, wie er auch in den mhd.
und ahd. Belegen vorkommt: [l*x] ist bezeugt in Zeulenroda und Stadtroda, [loux] in
Sonneberg, [l�x] um Sonneberg (ThWb s.v. Lach). Die dialektale Aussprache von Lach
mit -o- [*] wie z.B. im Thür. oder Alemann. hat zu einer falschen (Volks-)Etymologie,
Lach, Lache, lachen 3
nämlich Anschluß an Loch „Loch, Höhlung“, geführt: die natürlichen [Grenzen] sind ...
bäum, welche man die lochen oder lochbäume, von den löchern die man kreuzweisz darein
hauet und ausbohret, zu nennen pfleget. (Beck de jure lim. 1, 6.). Die bair. Formen Geläck,
Gelack und lacken mit -ck anstelle von erwartetem -ch könnten durch Einfluss von Lack in
dessen ursprünglicher Bedeutung „Harz, das aus einem Baum fließt“ (DWb s.v. Lack; Aler
1727: 1264b) bedingt sein; vgl. die Belege von Lache „Einschnitt an Bäumen zur
Harzgewinnung“, lachen „einen Baum zur Harzgewinnung anritzen“ und Lacht „Harzriss“
unter B. Die oben angeführte alemann. Pluralform lâchinan zum Sg. lâchene zeigt den
Endvokal -a- gegenüber abgeschwächtem lochenen (Mittelhd Gramm 88, 204). Lacht hat
ein unetymologisches -t, das nach /n, r, s, f, ch/ antreten kann, wie z.B. in mhd. habech :
nhd. Habicht, mhd. saf : nhd. Saft (Mittelhd Gramm 161) sowie analogisch frz. (vin) sec :
nhd. Sekt.
WG: Zwei semantische Untergruppen sind zu erkennen: Selten und nur in jüngeren Belegen
wird das „Einritzen von Bäumen zum Zwecke der Harzgewinnung“ (in Lache und lachen,
Lacht und lachten, mhd. lâchen(en)) bezeichnet. Häufiger sowie auch älter bezeugt ist die
Bedeutung „Grenzmarkierung, Grenze“ und „Einritzen von Bäumen zum Zwecke der
Grenzmarkierung“ (vgl. ahd. l�h, l�hboum; mhd. lâche, nhd. Lach, Lache „Grenze“, die
Komposita Lachbaum, Lachgang, Lachstatt, Lachstein, Lachweg, in denen das Wort Lach
gleichbedeutend ist mit dem Wort Grenze, sowie das Verbum nhd. lachen, mhd.
lâchen(en)). Da es außer as. l�c m. „Grenzmarke“ keine etymologisch verwandten Wörter
in anderen germanischen Sprachen gibt, sind zwei semantische Entwicklungen möglich:
1. Die ursprüngliche Bedeutung ist „Einritzen (von Bäumen)“. Daraus hat sich einerseits
die Bedeutungskomponente „zum Zwecke der Grenzmarkierung“ entwickelt, andererseits
wurden Verb und Subst. auch im konkreten Sinne für die Bezeichnung der
„Harzgewinnung“ verwendet.
2. Die ursprüngliche Bedeutung ist „Grenze“. Früher hat man Grenzsteine mit
eingravierten Markierungen aufgestellt oder Grenzmarkierungen in Bäume oder Pfähle
geritzt bzw. geschnitten. Dann wurden die Wörter auch auf das Einschneiden von Bäumen
zur Harzgewinnung übertragen. Die Bedeutung „Grenze“ ist noch deutlich sichtbar in den
o.g. Komposita Lachbaum, -weg, -gang etc. und in Lache f. „Grenze“.
Die unter 2. dargestellte Entwicklung ist aufgrund semantischer Parallelen vorzuziehen,
vgl. z.B. das Nebeneinander von ahd. mhd. marc(h)a f. „Grenzgebiet“ (mhd. marcboum,
nhd. Markbaum „Grenzbaum“, mhd. mar(c)scheide „Grenzscheide“) und mhd. marke,
mark n. „Zeichen“ mit der Ableitung ahd. markôn, mhd. marken „mit Zeichen versehen,
Lach, Lache, lachen 4
markieren“, tirol. marchen „Grenzzeichen setzen“ (mhd. mark(e) : ahd. markôn, mhd.
marken mit demselben Ableitungsmuster wie lach(e) : lachen). Diese Wörter sind mit lat.
margo „Rand, Ende; Grenze“ verwandt. Die Grundbedeutung der german. Wörter Lach,
Lache ist dann „Rand, Grenze“. Von da hat sich – wie bei Mark und Marke – die
Bedeutung „Grenze“ erweitert zu „Kennzeichen einer Grenze“ mit dem Verb
„kennzeichnen einer Grenze“.
Egerm
: Die Wörter zeigen einen einheitlichen langen Stammvokal /�/, der sich auf vorahd. *�
und german. *� oder *�1 zurückführen lässt. Da german. *� nur in der Lautgruppe *�h aus
*a¾K entstanden sein kann, scheidet diese Möglichkeit aus, da ein *la¾K- zu german. *l�h-
und dies zu nhd. l�h-, nicht l�ch-, geführt hätte (wie *þi¾K� zu ahd. d�h�, nhd. (ich) ge-
deihe). Daher bleibt nur ein *�1 als mögliche Vorstufe. Der durch die zweite
Lautverschiebung entstandene ahd., mhd. und nhd. Spirant -ch-�>$@�VHW]W�VR�HLQ�JHUPDQ�� k
fort, wie es unmittelbar in as. l�c „Grenzmarke“ mit [k] fortgesetzt ist. Daraus ergeben sich
folgende german. Vorformen: *l�1k-a- m. für ahd. lâh, as. l�c, mhd. lâch, nhd. Lach m.,
*l�1k-�- f. für mhd. lâche, nhd. Lache f., *l�1k-�n für mhd. lâchen, nhd. l�chen, die alle auf
eine german. Wurzel *l�1k- „Grenze; grenzen an, enden“ weisen. Diese Wurzel hat keine
Entsprechung in anderen germanischen Sprachen.
Eidg.
: Lautlich kann die german. Wurzel *l�1k- eine uridg. Wurzel *leh1g/�- oder, mit
Annahme eines s-mobile, eine uridg. Wurzel *sleh1g/�- fortsetzen. Im German. sind
Formen ohne s-mobile bei anderen Wörtern gut bezeugt, z.B. Dach und das lat. Verb teg�
gegenüber gU��12��&�ÄGHFNHQ³��XQG�NRPPHQ�DXFK�QHEHQ�)RUPHQ�PLW�s-mobile (Southern s-
mobile 240) vor, z.B. schmelzen : engl. to melt. LIV² 565 bietet das Verb *sleh1g/�- „ans
(QGH� JHODQJHQ³�� GDV� QXU� LQ� JU�� ���&� ÄDXIKören, ablassen, enden“ eine primäre verbale
Entsprechung hat. Osk. slaagí- „Grenze“ ist als Nominalbildung aus uridg. *s�h1g/�-i-
(ursprgl. ein proterodynamisches Paradigma Nom. *sléh1g/�-i-s, Gen. *s�h1g/�-éi-s)
zugehörig (Joseph, Glotta 60: 112-115) und kann in der Bedeutungsentwicklung mit den
deutschen Substantiven verglichen werden (:�WG). Nhd. Lach m. beruht so auf uridg.
*(s)leh1g/�-o- und Lache f. auf uridg. *(s)leh1g/�-ah2-. Im Griech. sind mit dem Adj.
���2�!� "�� -.�� - �� LQ� �� �1 �� 0N"� ���2�!�.�� � Ä]X� GHQ� IHUQVWHQ� *UHQ]HQ� GHU� ,QVHO³��/\NRSKURQ�� XQG� GHP� 6XEVW� 6XEVW�� �����"� � �s)leh1g/�-ti-) „das Aufhören, Ende, Tod“
(Aischylos) Wörter bezeugt, die die ursprgl. Bedeutung zeigen.
Lach, Lache, lachen 5
Die Zusammenstellung der german. Sippe mit aind. lák&-man- n. „Marke zur
Kennzeichnung des Viehs“, lak&-ya- „ins Auge zu fassen, Ziel, Kennzeichen“ bei
Kluge/Seebold (EWD s.v. Lache²) muss aufgegeben werden, weil das kurze -a- des Aind.
(aus uridg. *-e-, *-a- oder *-o-) nicht mit dem german. *�1 (aus uridg. *eh1)
übereinstimmt. lák&-man- und lak&-ya- gehören als l-Formen zu aind. rak& „bewachen,
behüten, beschützen“ (EWAia II, 472f.).
Lit.: B ThWb Lach, Lache, lachen; DWb Lache, lachen, Lacht, lachten; Schmid SchwäbWb
337; Stisser Jagdhistorie 231; Schm BayerWb 1, 1432 und 2, 431; Maaler 1561 (1971²):
258c; Stieler 1691 (1968²): 114; Jean Paul Hesp. 2, 23; Vilmar Idiotikon 252; Beck de jure
lim. 506; Basler Chron. 1, 128,13; Grimm Rechtsalt. 544, 545. M Mittelhd Gramm 88,
198. WB Mittelhd Gramm 256. L ThWb Lach; Beck de jure lim. 1.6; DWb Lack, Aler
1727: 1264b; Mittelhd Gramm 88, 161, 204. Eidg
LIV² 565; Joseph Glotta 60:112-115;
EWD Lache²; EWAia II, 472f.
Lahne, lahnen, lähneln 1
Lahne Sb f. „Heureihe; baumloser Streifen eines Gebietes“
lahnen, lähneln swV „(Heu) in Reihen zusammenrechen“
Z: Das thür. Wort Lanne, Lahne (mit sek. Dehnung) „Heureihe, baumloser Geländestreifen“ gehört
neben bair. Lahne, tirol. Lan, kärnt. Lâne „baumloser Streifen nach einer Erdabrutschung“, norddt.
Lahne „aufgeschütteter Damm, Deich“ zu weiteren german. Wörtern wie aengl. lane, nengl. lane
„Weg, Gasse, Gang“ u.a. (→→ Egerm
) und weisen auf ein f. *la-QÀ < uridg. *h1lah2-náh2-„Gang, Weg;
Trift, Reihe“. Die zugrundeliegende Wurzel ist uridg. *h1elh2-/h1leh2- „dahinziehen, hinaus-,
hineingehen; treiben“.
B: In thür. Mundarten sind die Substantive Lahne, Lanne f. „Heureihe“ neben
gleichlautendem Lahne f. „dünner Metalldraht, Gewebe; Bleckstückchen als Schmuck“
belegt, die aber voneinander zu trennen sind (→ WG), zwei Verben lahnen, lannen und
lähneln „(Heu) in Reihen zusammenrechen“: mr wende noch ämal un nach rachemer
gleich Lannle „wir wenden noch einmal und dann rechen wir gleich Heureihen
zusammen“, dos Hö wärd off Lann gerächt „das Heu wird in Reihen gerecht“, in Erfurt
l�n# „Heureihe“; dos Hö wärd gelannd „das Heu wird in Reihen zusammengerecht“
(ThWb s.v. Lahne, lahnen, lähneln).
Aus anderen dt. Mundarten gehören hierher: bair. Lahne „baumloser Streifen, der sich vom
Berg herabzieht“, z.B. dort öffnet sich ein riesenhaftes, von steilen Lahnen und kahlen
Felswänden völlig einsames und geschlossenes Thal, das berühmte Falzthurnthal. An einer
steilen Lahne in der Höhe von mehreren hundert Fuß lag noch ewiger Schnee in großen
Massen. Die Schatten der südlichen nahen Felswände verhindern, daß jemals die Sonne
diese Lahnen berührt. (Didaskalia 5. oct. 1871); tirol. lan, län und kärntn. lâne „Lawine,
Erdabrutschung“, z.B. in schnealâne, erdlâne oder gruntlâne; schleswig-holst. Lahnen
bezeichnen „Dämme zur Sicherung der Watten“, im schleswig-holsteinschen Deichbaue
werden Lahnen oder Lahnungen die Dämme genannt, die man zur Sicherung der Watten
anlegt, Erdlahnen, wenn sie von bloßer Erde errichtet sind, Buschlahnen, wenn man sie
außerdem noch mit Busch oder Stroh bekleidet (Jacobsson 1781: 6, 408a.).
M: Lahne und Lanne f. mit dem dial. Pl. Lann < *l�nen sind fem. �-Stämme wie ahd. geba f.
„Gabe“ (MhdGr 87f.).
WB: Das Deminutiv Lannle (Itzgrund) ist mit der dialektalen Form des Suffixes -lein
gebildet, das im SWThür. sehr häufig als bedeutungsleere, grammatikalisierte
Worterweiterung verwendet wird, z.B. BaxlÅa „Bächlein“, G�müslÅa „Gemüse“; manche
Simplicia sind dadurch schon ungebräuchlich geworden (Sp ThGr 243). Von Lahne, Lanne
„Heureihe“ sind die schw. Verben lahnen und lannen, Ptz. II gelannt, mit dem Suffix -en
Lahne, lahnen, lähneln 2
in faktitiver Bedeutung „Heureihen machen, in Reihen zusammenrechen“ abgeleitet.
lähneln ist ein Intensivum wie drängeln.
L: Die thür. Wörter Lahne, Lanne, lahnen, lannen, lähneln zeigen ein Nebeneinander von
Kurzvokal und Langvokal. Langvokale sind durch Dehnung in offener Silbe entstanden
(Sp ThGr 17ff.). Nicht möglich ist der umgekehrte Fall ein sekundären Kürzung eines alten
Langvokals, da diese in der Regel nur vor stl. Frikativen geschieht wie z.B. in [šlÆ�f] „Schlaf“ (Sp ThGr 101f.).
WG: Das vom Norden bis in den Süden Deutschlands bezeugte Wort Lahne hat in den
Dialekten landschaftsbedingte Sonderbedeutungen entwickelt: Im Alpengebiet bezeichnet
es die von Schnee- oder Erdabgängen gerissenen Furchen bzw. Bergstürze und wurde hier
teilweise mit dem Wort Lawine vermischt, vgl. neben den Formen Lahne, Lahn auch
Lauene, Laune, Laue (DWb s.v. Lahne und Lawine). Im norddeutschen Raum werden die
aufgeschütteten Dämme Erdlahne (aus Erde) und Buschlahne (verstärkt und abgedeckt
durch Büsche oder Stämme) genannt (→ B). Die ursprüngliche Bedeutung ist also „Gasse,
Gang, Weg“ und „aufgeschüttete Reihe, Heureihe“ (→ Egerm). Dt. Acker, das zu der lat.
Wurzel agere „treiben, führen“ gehört, und Trift von treiben zeigen eine vergleichbare
semantische Entwicklung.
Thür. Lahne, Lanne „Heureihe“ muss von homophonem Lahne f. „dünner Metalldraht;
Metallplättchen (als Stoffbesatz)“, Goldlahn, Silberlahn „dünner Draht aus Gold / Silber“
getrennt werden. Diese Wörter wurden schon von Grimm (DWb 6,77) als Lehnwörter aus
frz. lâme „dünnes Metallblech, dünner Metallfaden“ (aus lat. lamina „id.“) erkannt; dazu
gehört vielleicht auch thür. Lamatüchle „besonderes Tuch aus Wollgewebe“ (evtl. mit
Metallfäden oder -plättchen bestickt) (ThWb s.v.).
Egerm: Lanne f. (mit dial. Vokaldehnung Lahne, → L) weist auf eine german. kurzvokalige
Form *ODQÀ- f. „Gang, Weg; Reihe“, die in anderen german. Sprachen gut bezeugt ist:
aengl. lanu (N.Sg. �-St.) f. neben lane, Pl. lonan, lanan (n-St. *lan�n-) f. „Gasse, Gang,
Weg“ (Vermischung von �- und �n-St. ähnlich wie im Dt.), nengl. lane „id.“, mndl. lane,
afries. låne „Weg, Gasse“, mnord. N.Sg. lÅon (< *lanu < *lan�) f. „Häuserreihe bzw. der
Weg dazwischen, Straße; Haufen“, nnorw. laan „langes Gebäude; Haufen“; nschw. låne
„Gang zwischen Stall und Scheune“ (de Vries s.v. lÅon; Holth. s.v. lane). Das Wort ist auch
als Lehnwort Lano „Gang, Allee“ in die ostseefinnischen Sprachen eingedrungen
(LÄGLOS II s.v. Lano). Auch die finn. Entlehnung deutet auf einen f. �-St., der im Aengl.
einen aus dem alten �-St. hervorgegangenen �n-St. neben sich hat.
Lahne, lahnen, lähneln 3
Eidg: Die von de Vries s.v. l Åon vorgeschlagene Verbindung mit gr. ±�.*�&�� $RU�� Å�.1.�
„(an)treiben, fahren, dahinziehen; hinauf-, hinausgehen“ und armen. elanem, Aor. eli
„hinaus-, hinaufgehen“ zur uridg. Wurzel h1elh2- „dahinziehen, gehen; treiben“ (LIV 235)
muss genauer ausgeführt werden.
Gr. ±�.*�&�LVW�DXV�YRUJU�� ela-in-he/o- entstanden, einer Ableitung mit dem denominalen
Suffix *-he/o- von einem heteroklitischen Nominalstamm *ela-iar-, *ela-un- (Frisk
GrEtWb I, 482f.). Armen. elanem (urarmen. *ela-ne/o-) hat ein themat. n-Suffix, das dem
gr. Typ 4�.!2��&� �5L[� +LVW*U�� ����� *.� $DUP9E� ����� ����� HQWVSULFKW�� XQG� NDQQ� DXV�uridg. *h1elh2-ne/o- hergeleitet werden (GK AarmVb 160). Die griech. und armen. Formen
zeigen eine Ablautstufe *h1elh2-. – Die german. Form *la-n� f. „Reihe, Gang, Weg“ muss
von einer anderen Ablautstufe frühuridg. *h1leh2- oder *h1loh2- > späturidg. *h1lah2- oder
*h1loh2- stammen, wo vor einem mit Resonant beginnenden Suffix der Laryngal in
unbetonter Silbe regelmäßig geschwunden ist wie in got. sunu-, dt. Sohn < *su(H)-nú-, got.
wair, ahd. wer „Mann“ < * i(H)-ró- (Dybos Gesetz). Ein späturidg. *h1lah2-náh2 oder
*h1loh2-náh2 hat dann ganz lautgerecht german. *O�Q� ergeben. Primäre no- oder Q�-
Ableitungen bezeichnen unter anderem Nomina actionis (Risch Wb, Brugmann,
Wackernagel etc.) . Für german. *ODQÀ ergibt sich dann eine Bedeutung „Gang, Weg;
Trift“. Eine semantische Parallele liegt in dt. Trift „Weide; Weg, Pfad (für das Vieh)“ :
treiben vor.
Lit: B ThWb, Jacobsson; M MhdGr; WB Sp ThGr; L SpThGr; WG ThWb; DWb; Egerm
Aengl. El; Aisl. Gr; de Vries; Holth; Afries Wb ; LÄGLOS ; Eidg LIV; Rix HistGr; GK
AarmVb; Brugmann; Ringe Laws.
Laich Sb m., n. „Frosch-, Kröten-, Fischeier“
laichen swV „Eier ablegen“
Laichbaum Sb m., Laichweide Sb.f. „bestimmte Art von Weidenbaum“
Entenlaich Sb.m. „Wasserlinse“
Z: Das Substantiv Laich samt seinen Ableitungen wurde bisher zu dem im Mhd. bezeugten Verb leichen
„hüpfen, springen“ gestellt mit der Begründung, dass manche Fischarten zu ihren Laichgründen
flussaufwärts springen. Doch ist dieses Argument sachlich kaum gerechtfertigt, da Laich die Eier aller
Fischarten und Amphibien bezeichnet (:�:*���'DKHU�ZLUG�KLHU�Laich mit seiner dialektalen Variante
Schleich, die auf ein s-mobile deutet, zu einer uridg. Wurzel*slei£ „schmieren, glatt machen“ gestellt:
Die Eier der Fische und Amphibien zeichnen sich gegenüber Vogeleiern durch ihre schützende
Schleimhülle aus.
B: Das Wort Laich wird im thüringischen Dialekt in denselben Bedeutungen verwendet wie
das hochdeutsche Wort. Dazu passen auch die verdeutlichenden Komposita Froschlaich
und Laicheier. Von Laich ist auch das schwache Verb laichen „Eier ablegen“ abgeleitet,
z.B. in dar Frosch laicht oder de Furalln lächen. Das Kompositum Entenlaich bezeichnet
eine Wasserpflanze, und zwar die Wasserlinse (:�WG). Laichbaum und Laichweide sind
besondere, aus Samen gezogene Weiden, die nicht gestutzt werden, um lange Stämme für
die Weiterverarbeitung zu erzeugen, vgl. z.B. die Zeitungsannonce 9 Festmtr. prima
Eschenholz, 3 Festmtr. Weide (Laichbäume) giebt ab A. Dunkel, Stotternheim (Erfurt,
Stotternheim 1911; ThWB s.v. Laichbaum).
Im hessischen Dialekt ist das neutrale Kollektiv Gelaich(e) noch häufiger anzutreffen als
das Simplex Laich. Doch auch dieses ist hier bezeugt als Laich m. „gallertartige Eimasse
der Fisch, Frösche, Kröten“ (SüdhessWb IV, 97). Daneben existiert eine
bedeutungsgleiche Form Schleich (SüdhessWb V, 407f.), die außerdem noch „schleimiger
Belag auf Teichen“ und überhaupt „schleimige, schmierige Dinge“ bedeutet. Davon ist
dann wiederum ein Adj. schleichig „schmierig, schleimig, sandig“ abgeleitet (SüdhessWb
V 409). Diese Beleg mit Anlaut sch- zeigen, dass in Laich und seinen Ableitungen eine
Form ohne s-mobile vorliegen dürfte und die Wörter somit von leichen, lecken „springen,
hüpfen“ getrennt werden müssen (:�Egerm).
Im bairischen Dialekt bezeichnet Laich zusätzlich schleimige, klebrige eklige Flüssigkeiten
und wird übertragen verwendet für schlechte Getränke, z.B. schlechtes Bier (Schm. I,
1419).
Das Badische bietet Laich m. (nur Neuenheim f.) in verschiedenen Bedeutungen, die durch
den Einfluss des homonymen Verbs leichen „springen, hüpfen, spielen“ (:�WG, Egerm)
zustandegekommen sind: „Fisch-, Froschlaich“; „Paarungszeit der Fische und Frösche“;
Fischschwarm zur Laichzeit“ und „im Liebesspiel befindliche Fische“ (BadWb III, 354).
Auch im Nddt. ist das Wort bezeugt als Leik „Fischlaich“, z.B. in ne dicke Schicht Leek
(MeckWb IV, 893), auch das Verb leiken kommt dort vor, jedoch in übertragener
Bedeutung „dünn werden“, z.B. in hei hett aewer Winter düchtig leikt „er ist über den
Winter ziemlich dünn geworden“. Die Übertragung kommt von der Beobachtung, dass
Fische, die geleicht haben, dünner geworden sind. Eine andere übertragene Bedeutung liegt
vor in hei leikt üm mi rüm „er knutscht mich ab, schleimt um mich herum“ (MeckWb IV,
893).
Das Elbische schließlich bietet /�N als „Laich von Fischen und Lurchen“ sowie „großer
Schmierfleck auf der Kleidung“, das zugehörige Verb O�NHQ bedeutet nur „Laich ablegen“
(MitTElbWB II, 838).
M/WB: Laich ist ein meist st. mask. oder (selten) ntr. a-Stamm und Hessisch Gelaich(e) eine
ntr. Kollektivbildung wie Gebilde oder Gemäuer. Laichbaum und Laichweide sind
Determinativkomposita. Dagegen stellt Entenlaich ein exozentrisches Kompositum dar. Es
bezeichnet nicht den Laich einer Ente, sondern eine Pflanze, die wie Laich aussieht und
gerne von Enten gefressen wird: die Wasserlinse. Eine semantisch ähnliche Bildung ist
Entengrütze (:�WG).
laichen ist ein von Laich abgeleitetes schwaches Verb.
L: Die uneinheitliche Wiedergabe des Diphthongs [ai] in der Verteilung der thüringischen
Belege zeigt, dass das Wort in der Lautung vom Hochdeutschen beeinflusst worden ist:
meist tritt [ai] DXI�XQG�YHUVWUHXW�IDOVFKH�9HUPXQGDUWOLFKXQJ�]X�>¯@�XQG�>L@�LP�1RUGWK�U��XQG�nördlichen Zentralthür. (ThWb s.v. Laich). 6RQVWLJH� %HOHJH� PLW� >�@� G�UIWHQ� GXUFK�volksetymologischen Anschluss an das Verb legen (wie in Eier legen) zustande gekommen
sein.
WG: In der älteren Literatur (z.B. bei Lexer, BMZ, Grimm u.a.) wird Laich zu dem mhd. st.
und sw. Verbum leichen „hüpfen“ gestellt mit der Begründung, dass Fische flußaufwärts
hüpfen, um zu ihren Laichgründen zu gelangen. Tatsächlich hat sich in manchen Dialekten
(z.B. im Badischen, :� B) unser Wort semantisch und lautlich mit dem Verb leichen,
lecken „springen, hüpfen“ vermischt (so auch EWD s.v. Laich: „die Berührung mit Leich
ist sekundär“). Nur wenige Fischarten (z.B. Forellen und Lachse) springen flußaufwärts zu
ihrem Laichgründen; andere Fischarten sowie Frösche und Kröten tun dies nicht. Dazu
kommt noch, dass Laich und laichen nicht den Fischzug, sondern das Ablegen der Eier
bezeichnen. Fisch- und Amphibieneier unterscheiden sich von Vogel- oder
Schildkröteneiern durch eine schleimige Gallertschicht, die die empfindlichen Eier vor
dem Austrocknen schützt. Außerdem sind sie in klebrigen Klumpen zusammengeballt (vgl.
die Abbildungen unten). Wie die Belege zeigen (:� B), steht auch in den meisten
übertragenen Verwendungen diese typische Schleimigkeit im Vordergrund.
Die Wasserlinse besitzt kleine, schleimige grüne Blätter, die an der Oberfläche
schwimmen und von Enten als Nahrung verwendet werden; diese Beobachtung dürfte
neben der äußeren Ähnlichkeit (außer der Farbe) zu der Bildung Entenlaich „Wasserlinse“
beigetragen haben. Aufgrund ihres Aussehens wird die Wasserlinse auch Entengrütze
genannt.
Laichbaum und Laichweide bezeichnen Weiden, die aus Samen (also dem Laich der
Weiden) gezogen worden sind. Im Gegensatz zu anderen Baumarten vermehren sich
Weiden sehr häufig vegetativ, d.h. nicht durch Aussamung, sondern durch Abbruch von
Zweigen. Auch aus den kleinsten Zweigstückchen kann wieder ein ganzer Baum werden.
Ebenso wie die Eier der Amphibien und Fische sind die Samen der Weiden sehr
empfindlich gegenüber Austrocknung. Sie benötigen daher einen gut durchfeuchteten
Standort, um ankeimen zu können. Sie gelten als Erstbesiedler in Auengebieten. Außerdem
wurden die Laichbäume nicht gestutzt, sondern konnten zu großen Bäumen mit Nutzholz
wachsen.
Durch sekundäre orthographische Änderung wurde Laich von Leich „Lied“ und Leiche
geschieden.
Egerm: Laich, mhd. leich m. „Fisch-, Froscheier“ ist ein st. Mask., das neben mnddt. leik,
nnddt. Leik noch im Schwedischen lek „id.“ bezeugt ist. Die dialektalen Formen Schleich
und schleichig zeigen eine Variante mit s-mobile (Southern) und ermöglichen so einen
semantisch plausiblen Anschluss an die weit verbreitete Wortfamilie von Schleim,
schleimig, zu der auch das Verb schleichen, ursprünglich „rutschen, gleiten“ (so noch im
hess.Dial.), gehört. Nhd. Laich, nddt. Leik und schwed. lek können auf german. *laika- m.
„Schleim, Schmiere“ bes. „schleimige Fisch-, Froscheier“ zurückgeführt werden, die s-
mobile-haltige Variante Schleich auf german. *slaika- m. Daher können die in den
dialektalen Wörterbüchern immer als ‘Übertragung’ gekennzeichneten
Bedeutungsvarianten „Schmiere; schmieriger Fleck; schmieriges, ekliges Getränk;
Schlamm“ noch die alte allgemeinere Bedeutung enthalten; in Laich und Schleich „Fisch-,
Froscheier“ hat dann eine Bedeutungseinengung mit anschließender Lexikalisierung
stattgefunden.
Die in *(s)laika- enthaltene Wurzel *slik-, VO¯N-, slaik- (aus uridg. *sli�-, sle��-, slo��-; :�E
idg) ist als st.Verb in nhd. schleichen, schlich, geschlichen, ahd. VO¯KKDQ, Prät. sleih, mndt.
sliken erhalten (Seebold StV 428f.). Falls der Guttural eine schon uridg.
Wurzelerweiterung war (:� Eidg), können ferner folgende Ableitungen angeschlossen
werden:
Mit german. *m: nhd. Schleim, ahd., nddt. VO¯P, aengl. VO¯P, aisl. slím m. „Schleim“ setzen
german. *VO¯-ma- „id.“ fort; ohne s-mobile vielleicht ahd. leim m. „klebrig-feuchte Masse,
Lehm“ < german. *laima-; ahd., anord., aengl. O¯P m. „Leim, Mörtel“ (IEW 662f.; Holth
AEW 202f.; AislEW).
Mit german. *w : nhd. Schleie f., Schlei m., ahd. VO¯H, VO¯JR m., f., aengl. VO¯Z m. „id.“
weisen auf eine westgermanische Lexikalisierung von *„Schleimfisch“ > „Schleie“ und
lassen sich auf german. *VO¯-wa-, *VO¯-ZÀ- zurückführen (IEW 663; EWD s.v. Schleie).
Mit german. *d: Mhd. sliten „gleiten, rutschen“ mit ahd. slito „Schlitten“ (< *„Gleiter“),
aengl. VO¯GDQ, VO�d, sliden „ausrutschen, ausgleiten“; awnord. sleði „Schlitten“ deuten auf
eine german. Verbalwurzel *slid-, *VO¯G-, slaid- „gleiten, rutschen“ (Seebold StV 427f.).
Mit german. *p: Seebold stellt ferner eine german. Wurzel *sleip-a- „schleifen; rutschen“,
z.B. in ahd. bi-VO¯IDQ „ausrutschen“ als mögliche Wurzelerweiterung einer älteren Wurzel
*slei- hierher (Seebold StV 429f.).
Die von Grimm in DWb s.v. Leich vorgeschlagene etymologische Verbindung mit russ.
klëk „Froscheier“ (< *kliko-) kann wegen des Anlauts nicht aufrechterhalten werden. Russ.
klëk gehört wahrscheinlich zu lit. klèkti�ÄJHULQQHQ³��9DVPHU�,������7UXEDþHY�������� E
idg: Die in Laich, Schleich und dem st. Verb schleichen enthaltene Wurzel german. *slik-,
VO¯N-, *slaik- muss zu einer uridg. Wurzel *sle��- „schmieren, glatt machen“ gestellt
werden (LIV² 566f.). Dt. schleichen ist ein themat. e-stufiges Präs. *slei�-e/o-; dem air.
Verb sligid „schlagen“ < *slig-e/o-, fo-slig „schmieren“ liegt wahrscheinlich ein altes
schwundstufiges themat. Präsens (‚tudáti-Typ’) zugrunde (zur semantischen Entwicklung
vergleiche dt. „jemandem eine schmieren“ = jemanden schlagen“ oder Streich „Schlag“).
Das ahd. Präteritum sleih und das air. Perf. selaig sind unter einem uridg. Perfekt *se-
slo��-e vereinbar. Darüber hinaus hat auch das Air. m-Ableitungen einer Wurzel *slei-:
slim i-st. Adj. „glatt, rutschig, trügerisch“ < *sli-m-i- und slimrad „rutschige, glibberige
Masse, Schleim“ < *slima-/i-(r�tu-); slemun „glitschig“ < *slim-no-.
Substantivische Bildungen sind in anderen idg. Sprachen ebenfalls bezeugt: Lat. O¯PXV <
*(s)lei-mo-� Ä%RGHQVFKODPP�� .RW³�� � JULHFK�� �0��.�� ÄQDFNWH� 6FKQHFNH³� �� �V)lei-ma-k-;
JULHFK���0��+��ÄIHXFKWH�:LHVH��6XPSI³��� �V�OHLPÀQ-��JULHFK���0q "�ÄJODWW³���*(s)lei- o-;
lat. l�uis „glatt, schlüpfrig“ < *(s)lei- -i-. (W/H I, 789; 799; 804f; Chantraine II 627ff.)
Gehört hierher evtl. lat. lig�tus „eine Fischart“ < *(s)ligah2-to- „mit Schleim versehen“?
Lit: B ThWb s.v. Laich, Laichbaum; SüdhessWb IV, 97, V, 407ff.; Schm. I, 1419; BadWb
III, 354; MeckWb IV, 893; MitElbWb II, 939; L ThWb s.v. Laich; WG Lexer s.v. laich;
BMZ s.v. laich; DWb s.v. Laich; EWD s.v. Laich; Egerm Southern; Seebold StV 427ff;
IEW 662 f.; Holth AEW 202f.; AislEW; Vasmer I 567; TrubaþHY���������Eidg LIV²566f.;
W/H I, 789, 799; Chantraine II 627ff.
Leche, Lecke, lech, leck, lechen, lecken 1
Leche, Lecke Sb f. „Dachtraufe“
lech, leck Adj. „undicht, rissig, eingetrocknet“
lechen swV „undicht sein, eintrocknen; Durst haben“
lecken swV „(Blumen) gießen“
Z: Die im thür. und anderen md. und obd. Dialekten bezeugten Wörter Leche f. „Dachtraufe“, lech und
lechicht „undicht, rissig; eingetrocknet“, lechen „undicht sein, eintrocknen; durstig sein“ und lechzen
„dürsten“ sind die hd. Entsprechungen von nd. Leck, leck, lecken. Die hd. Wörter mit lautgesetzlichem
ch sind nach EWD s.v. leck „verloren“. Dagegen sprechen aber zahlreiche Belege. Zu derselben
Wurzel gehören auch Wörter aus anderen german. Einzelsprachen wie z.B. aisl. stV leka, Prät. lak
„undicht sein, lecken“, lekr „leck, undicht“, leki m. „Leck“ und das alte Kaus. aengl. leccan und thür.
lecken „benetzen, gießen“. Diese Wörter erweisen eine german. Wurzel *lek- „undicht sein, tropfen“
mit einem Kaus. *lak-jan „benetzen, gießen“ (< *„(Wasser) tropfen lassen“) und gehen auf eine sonst
nur noch im Kelt. bezeugte Wurzel *leÏÏÿÿÐÐ����
„tropfen“ zurück.
B: In den thür. Mdaa. sind folgende Wörter belegt: lech, leck Adj. „undicht, rissig“, z.B. (eine
Holzwanne, ein Faß) ist lech oder es lach; das Faß is bei der Trockenhät janz leck
jeworrn; Leche, Lecke f. „Dachtraufe, untere Kante der Dachrinne, von der das Wasser
abtropft“; lechen, selten auch lecken swV „undicht und daher trocken und rissig werden“
(von Holzgefäßen), oft mit Verbpräfixen aus- ein- er- ver- zerlechen; die Bedeutung
„eintrocknen“ wird auch metaphorisch gebraucht als „vor Durst schmachten“, z.B. der
Hoind lecht „der Hund lechzt, hat Durst“, wozu auch der Ausdruck hä hät Lech „er hat
großen Durst“ gehört; schließlich gibt es noch lechzen swV „undicht werden, tropfen“ und
„großen Durst haben“, z.B. das Faß lechzt awer, dar Zuber lachzt „der Zuber ist undicht“;
die Tiere lechzen bei där jrußen Hitze, und lecken swV „mit Wasser besprengen,
benetzen“, z.B. kannst mou de Blummen gelecke; es het nur so geleckt „es hat nur ein
wenig geregnet“ (ThWb).
Aus dem schwäb., schweiz., bair., tirol., hess. und rhein. Dialekt gehören hierher: lech Adj.
das Schiff ist lech, navis lacera et concussa est (18. Jhd., Steinbach lexicon latinogerm. 1,
1007). Im Rhein. heißt lech „hungrig, durstig“. Auch das Verb lechen „undicht, rissig
werden, tropfen“ ist in diesen Dialekten vertreten: si land das holz nit als lang ligen bisz
das es wol mug werden gedigen. darumb tuot der becher lechen und kübel und geltan
brechen und das winfasz rinnen. (14. Jhd., Teufels Netz 11115). Die Bedeutung
„ausgetrocknet, durstig sein“ ist ebenfalls bezeugt, z.B. ihm brannte der Busen, ihm lechte
der Mund (SchwäbWb 1081f.). Ferner sind noch ein Adj. lechicht „rissig, leck“, z.B. die
Kanne ist lechicht, cantharus manat (Steinbach lexicon latinogerm. 1, 1007, 1008), und
Leche, Lecke, lech, leck, lechen, lecken 2
das swV lechzen „dürsten“, mhd. lëchezen, lëhazen, bezeugt, z.B. der hirs lehazte nâch
dem wa��er (Lexer s.v. lëchezen; HessWb 2,72; RheinWb 5,268, DWb s.v. lech, lechen).
Die ndd. Formen lauten leck Adj. „undicht“ (speziell von Schiffen), Leck n. „undichte
Stelle“ (vor allem bei Schiffen, aber auch bei Deichen) und lecken „undicht sein,
heraustropfen“ (DWb s.vv.), z.B. in aller Wein ist aus dem Fasse geleckt (Adelung); dat
Schipp lekket (Schambach 121b).
lecken „benetzen, gießen“ ist schon im Ahd. bezeugt: ingieng ih in thîn hûs, uua��ar ni
gâbi thû mînên fuo�on; thisiu abur mit irâ zaharin lacta inti mit irâ fahsu suarb (Tatian
138, 11).
M: lech ist ein primäres a-st. Adj., neben dem ein st. n. Lech, Leck, Pl. Leche, Lecke
„undichte Stelle“ steht. Davon sind einerseits das Adj. lechicht (ô WB) und andererseits
das sw. Verb lechen, lecken sowie ein Intensivum lechzen abgeleitet. Das Subst. Lech
„Durst“ o.G. ist nur einmal belegt, Leche, Lecke ist ein sw. Fem. In lecken „besprengen,
begießen“ mit dem Prät. lacta liegt eine alte Kausativbildung vor (ô WB).
WB: Lechicht ist mit -icht, einem Suffix zur Bildung von Adjektiven aus Subst. wie z.B.
töricht von Tor „dummer Mensch“, abgeleitet und heutezutage auf Mundarten beschränkt.
Die Ableitungsbasis ist in Leche, Leck(e) „undichte, wasserdurchlässige Stelle;
Dachtraufe“ bezeugt. Das t ist bei diesem Suffix sekundär und schon in mhd. -oht, -eht,
-iht und teilweise in ahd. -aht, -oht angetreten, vgl. got. stainah-s gegenüber ahd. steinah(t)
und mhd. steinicht „steinig“ (MhdGr 161; Haltenhof -icht). Im Nhd. ist das Suffix meist
durch -ig ersetzt worden (EWD s.v. -icht). Leche f. „Dachtraufe“, Lecke f. „undichte
Stelle“ sind sw. fem. n-St., die schon ab dem Ahd. mit den starken Fem. zusammengefallen
sind (MhdGr 198). Lech und Leck n. (im Ndd. selten auch m.: dat Schipp het enen Leck;
BremWb 3, 50) erweisen sich mit dem Nom.Pl Lecke, Dat.Pl. Lecken als starke Subst. Von
Lech, Leck n. m. oder Leche, Lecke f. stammen die schwachen Verben lechen, lecken.
lechzen, mhd. lechazen, lechezen zeigen das intensivierende Suffix -(e/a)zzen, das sich im
Ahd. und Mhd. ausbreitet, z.B. ahd. krockezzan, mhd. krochzen, kröchzen „krächzen“ oder
atumezzen „(heftig) atmen“ (Kr/M III 259ff.). lecken „benetzen, begießen“ mit dem Prät.
lacta ist ein Kausativ „tröpfeln machen“ und beruht auf german. *lak-jan < uridg. *log-éhe-
wie z.B. ahd. decken, Prät. dacta (ô Egerm
; Braune/Eggers AhdGr 289; LIV s.v. *leÏ�Ð
S.
397).
L: Die thür. Belege [O$>�� >O�$>, für lech�XQG� >OJ@� I�U� leck (nur NOThür.) deuten auf einen
alten Kurzvokal mhd. e (Sp ThGr 21ff.). ch ist die lautgesetzliche md. und obd.
Entsprechung des nd. k und im Thür. die übliche Lautform (Sp ThGr 212ff.). Die Formen
Leche, Lecke, lech, leck, lechen, lecken 3
Leck, leck und lecken sind in die Schriftsprache eingedrungen als „ursprünglich
niederdeutsches Seemannswort, dessen hd. Entsprechung lech verloren gegangen ist“
(Kluge/Seebold in EWD s.v. leck). Die zahlreichen dial. Belege lech, Lech(e), lechen,
lechicht zeigen aber eine weite Verbreitung der hdt. Form.
Egerm
: Neben den oben angeführten dt. Wörtern, die auf eine german. Wurzel *lek- „undicht,
leck sein; tropfen“ zurückgehen, bieten auch andere german. Sprachen Fortsetzer dieser
Wurzel. Im Aisl. ist ein primäres Verb leka, Prät. lak (5.Kl.) „leck sein, tropfen“ bezeugt,
im Afries. ein stV bileka „austrocknen“ (Holthausen AfriesWb s.v.), im Ahd. ein swV
lechen „undicht sein“ (Seebold GermanStV 330). Das german. Kausativ *lak-jan liegt vor
in ahd. lecken, Prät. lacta, *„(Wasser) tropfen lassen“ ô „benetzen, begießen“ mit
regulärer Konsonantengemination vor j im Westgerman. (Kr/M I 104ff.), vgl. thür. lecken
in kannst mou de Blummen gelecke (ô B), und aengl. leccan „bewässern, benetzen“, z.B.
in VXPX�WZLJX�K��OHNWH�PLG „er begoß einige Zweige“ (Bosworth/Toller; Holthausen AEW
s.v. leccan). Ein n-st. Subst. aisl. leki m. „Leck“ steht neben den dt. fem. À�Q�- St. Lecke,
Leche „Dachtraufe“ < german. *lek-an- bzw. *lek-À�Q�-, ferner ist das starke a-st. Adj. aisl.
lekr „leck“, hd. lech, ndd. leck < german. *lek-a- „leck, undicht, rissig“ bezeugt
(Heidermanns PA 372f.). Dazu gehört noch aengl. hlec „leck, rissig“ mit unechtem h-
(Heidermanns PA 373; Seebold GermanStV 263, 330 mit weiteren Beispielen für diese
Erscheinung im Aengl.).
Eidg
: Die german. Wurzel *lek- mit den Ableitungen *lek-a- stV Kl.5 „undicht sein, lecken“
(< uridg. *le����e/o-), lek-a- stAdj. „undicht, leck“ (< uridg. *le����o/ah2�, *lek-À�Q�- f.
„Leck, undichte Stelle“ (< uridg. le����ah2-�und dem Kaus. *lak-jan (< uridg. *lo����éhe-)�„benetzen, gießen“ geht auf eine uridg. Wurzel *le�����„tropfen“ zurück (LIV² 397), die
auch in den keltischen Sprachen bezeugt ist. Das air. denominale �-Verb legaid
„schmelzen, sich auflösen“ (DIL s.v.; < urir. *leg-�-he/o-) lässt indirekt eine urir.
Ableitungsbasis *leg-�- (< uridg. *le����ah2-) erschließen und stimmt so mit german. lek-
À�Q�- f. „undichte Stelle“ (*„wo es tropft“) überein. Im Kymr. ist ein Adj. llaith „feucht,
nass“ (GPC s.v.; < urkymr. *lek-to- < uridg. *le����to-)�„betropft, benetzt“ bezeugt. Dieses
Adj. liegt in einer Ableitung mit dem Adj.-Suff. -ach ebenfalls in air. lechdach „flüssig;
Liquida“ vor (DIL s.v.; sprachwissenschaftliche Fachbezeichnung, z.B. in emnad mutae re
lechdaig „Verdopplung von Mutae vor Liquiden“, in den air. Glossen zum lat.
Grammatiker Priscian, z.B. SG 16b7), das eine Lehnübersetzung von lat. (littera) liquida
sein muss, da es – anders als mutae – aus lautlichen Gründen kein echtes lat. Lehnwort sein
Leche, Lecke, lech, leck, lechen, lecken 4
kann. Fortsetzer aus anderen idg. Sprachen fehlen; die Wurzel ist also nur im Kelt. und
Germ. bezeugt.
Lit: B ThWb s.v. Leche, lech, lechen, lecken; Steinbach lexicon latinogerm. 1, 1007-8;
Teufels Netz 11115; SchwäbWb 1081f.; Lexer s.v. lecken, lëchezen; Hess Wb s.v. lech;
Rhein WB 5,268; DWb s.v. Leck, leck, lech, lechen, lecken; Schambach 121b; tatian
138,11; WB MhdGr 161, 198; Haltenhof -icht; EWD s.v. -icht; BremWb 3,50;
Braune/Eggers AhdGr 289; Kr/M III 259ff.; LIV² 397; L Sp ThGr 212ff; EWD s.v. leck;
Egerm
Holthausen AfriesWb s.v. bileka; Seebold GermanStV 263, 330; Bosworth/Toller
s.v. leccan; Holthausen AEW s.v. leccan; Kr/M I 104ff; Heidermanns PA 372f; Eidg
LIV²
397; DIL s.v. legaid, lechdach; GPC s.v. llaith.
lendern Adj. „dürr, abgemagert“
lehnerig Adj. „faul, schlapp, energielos“
Lehnerich Subst.m. „großer, dünner, träger Mensch“
lehnern, lendern, schlendern swV „müßig, faul, schlapp herumgehen“
Z: Das Adj. lendern < german. *(s)landrja- „kriechend“ > „dünn, kraftlos, schwach“ und seine
zahlreichen Verwandten lassen sich mit lit. lendù, l 1VWL�„kriechen“ sowie aind. randh- „unterliegen“,
Kaus. randháya- „unterwerfen“ < „kriechen machen“ verbinden. Das Kausativ ist in einer durch das
Adj. umgebildeten Variante *slandrijan „kriechen machen“ > „schwächen, ausmergeln“ in einigen
german. Sprachen bezeugt. Das aind. Adj. radhrá- „schlapp, ermattend, müde werdend“ < uridg.
*lEE
dhró- „kriechend“ ist bis auf den Ablautvokal mit dt. lendern gleichzusetzen Doch auch die
Bedeutung „kriechen“ hat sich in zahlreichen wgerman. Wörtern fortgesetzt, vor allem in der Sippe
von schlendern „langsam, gemütlich gehen“. Die in LIV2 und Seebold StVb vorgeschlagene
Verbindung mit uridg. *h3sleidh- „fehlgehen, ausgleiten“ wird aus morphologischen und semantischen
Gründen zugunsten der oben genannten Etymologie aufgegeben (:�(idg).
B: In verschiedenen thür. Gebieten (Naumburg, Zeitz, Stadtroda) ist das Adjektiv lendern
„dürr, abgemagert“ bezeugt, z.B. in hurch, Anneres, deine Uchsen sahn olleweile racht
ländern aus. Eine übertragene Bedeutung ist „fade, geschmacklos“ von Speisen. Dazu
dürfte das mit dem Suffix -ig abgeleitete Adj. lehnerig „faul, schlapp, energielos“ (Coburg,
Weimar) gehören, das eine volksetymologische Umgestaltung erfahren hat (ThWb s.v.; :�WG).
In anderen Dialekten ist ebenfalls eine adjektivische Ableitung mit dem Suffix -ig bezeugt:
Schwäbisch land(e)rig „dünn, mager“ (SchwäbWb 4, 952). Häufiger sind hier Varianten
mit dem Anlaut s oder sch (der ein altes s-mobile fortsetzt, vgl. Egerm): Holsteinisch
slanterig, slanderig, slenterig, slenderig „schlotternd, kraftlos“ (SchlHoWb 4, 526f.; 540);
mecklenburgisch slanderig, slenderig, slenterig „nachlässig gekleidet“ (MeckWb 6, 328,
345, 348); berlinerisch schlenderig „nachlässig, träge, lahm“; schlandrig „nachlässig,
schlampig“ (BranBerlWb 3, 1103).
Auch Substantive gehören zu der Sippe von lendern, die teilweise ebenfalls wieder den
Anlaut s oder sch aufweisen: Thür. Lehnerich m. „großer, schlaksiger, fauler Mensch“ (mit
derselben volksetymologischen Umgestaltung wie in lehnerig, siehe WG), Schlender m.
„Bummelei, Umweg“ (ThWb s.v.); schwäbisch Lander „schlechte, mickrige Kartoffel“
(SchwäbWb 4, 952); rheinisch Geländer „magere Kuh“ (RheinWb5, 87; dies evtl.
metaphorisch aus Geländer „Stangenzaun“, siehe WG); hess. Schlender m. (f.)
„langsamer, träger Mensch“ (SüdhessWb 5, 421); berlinisch Schlander m. „nachlässig
gekleidete Person“ (BranBerlWb 3, 1103); Schlinder f. „Schlitterbahn“ (BranBerlWb 3,
1126).
Ferner sind in vielen Dialekten Komposita bezeugt: Thür. Schlendergang „Spaziergang;
Umweg“, Schlendermarkt „Markt in Zeitz, Pegau und Gera, auf dem sich das Gesinde
verdingte“, der auch als Heiratsmarkt angesehen wurde; mecklenburgisch Slandergang m.
„Schlendergang, Bummelei“, z.B. in der Redensart Lang un slank hett Slandergang, kort
und dick hett keen’n Schick (MeckWb 6, 328); Slintergang „heimlicher Weg zur
Liebschaft“ (MeckWb 358), rheinisch Lanterfant m. „einer, der mit Trödeln den Tag
zubringt“ (RheinWb 5, 117).
Schließlich gehören hierher noch zahlreiche schwache Verben: Thür. ländern, lehnern
„gehen, trödeln, sich herumtreiben“, schlendern „langsam gehen, bummeln“, schlandern
„Schlittschuh fahren“; berlinisch ländern, lindern „sich faul und langsam bewegen;
trödeln“; „mit Schlittschuhen auf dem Eis fahren“, schlendern, schlentern, schlindern
„Schlittschuh fahren“ (BranBerlWb 3, 24; 121; 1116; 1126); obersächs. angeländert
kommen „langsam angeschlendert kommen“, schlindern „auf dem Eise gleiten“
(WbOsächsMda 3, 11; 4, 19); rheinisch lendern „schlendern“ (RheinWb 5, 389f.), lentern
„faulenzen“ (RheinWb 5, 391, zum t vgl. WG); holsteinisch slantern, slandern, slendern
„schlendern; schlottern“ (SchlHoWb 4, 526f.; 540); mecklenburgisch slandern
„schlendern“ (MeckWb 6, 328f.); hessisch schlandern, schlendern „langsam, energielos
gehen; langsam, träge arbeiten“ (SüdhessWb 5, 368; 421); schlandern, schlendern
„langsam, schleppend gehen“ (HessNassWb 3, 201; 227), schlindern „auf dem Eise
gleiten“ (HessNassWb 237).
Das Niederländische bietet slinderen swV „gleiten, kriechen“ und mndl. slinder Adj.
„dünn, mager“.
M/WB: Das Adj. lendern stammt aus einem älteren *lender, das nach dem Vorbild des
Niederdeutschen mit einem aus den obliquen Kasus stammenden n versehen wurde wie
z.B. albern 8�PKG��alwære (EWD s.v. albern), wodurch es sich den Materialadjektiven
auf -ern angleicht (vgl. auch WG). Die Adj. lenderig, s(ch)lenderig, landerig,
s(ch)landerig „dünn, mager; schwach, kraftlos; träge; schlampig“ zeigen das häufige Adj.-
Suffix -ig (Lühr Nhd 165), das an die Basis lender, schlender, schlander angefügt worden
ist. Das thür. Subst. Lehnerich ist eine scherzhafte Bildung in Anklang an Enterich,
Gänserich (Lühr Nhd 167). Schlender, Schlander „träger, schlampiger Mensch“ und
Lander „schlechte, mickrige Kartoffel“ sind Substantivierungen des Adj., da eine agentive
-er-Ableitung von dem Verb schlendern, schlandern zu *Schlenderer usw. geführt hätte
wie z.B. bei zaubern zu Zauberer. Die Komposita Schlendergang, -markt, Slandergang,
Slintergang, Lanterfant haben als Erstglied einen Verbalstamm (s)lender-/ (s)lander- (vgl.
die Beispiele Schillerfalter : schillern, Zauberstab : zaubern).
Die Verben ländern, lehnern, lindern, schlendern, schlandern, schlindern sind schwache
Verben, die neben lender, schlender stehen wie hungern neben Hunger oder sichern neben
sicher (Henzen DtWortb 227).
L: Im Thür. ist die lautliche Variante [l�QGQrn] in Zentral-, West- und Ostthür. belegt, die
Aussprache [OQGQrn] beschränkt sich auf Nordostthür. und einige Gebiete im Süd- und
Südwestthür. Die Verteilung deutet im Thür. klar auf ein altes zu ä bzw. e umgelautetes a
(Sp ThGr 27).
Für die Erklärung der lokal begrenzten (berlinisch-brandenburgisch, obersächsisch,
mecklenburgisch, nassauisch) Formen Schlinder „Schlitterbahn“, schlindern „schlittern,
auf dem Eis gleiten“, lindern „sich träge und faul bewegen“, Slintergang mit i gibt es zwei
Möglichkeiten: Sie sind an das Verb schlittern „gleiten, rutschen“ angeglichen oder durch
sich ausbreitende nddt. Hebung des e zu i vor Nasal + Konsonant zustande gekommen
(Stellmacher NddtSpr 44). Da die oberdt. Dialekte und das Englische keine Formen mit i
aufweisen, kann es sich nicht um die schon im Urgermanischen entstandene Hebung von e
zu i vor Nasal + Konsonant handeln (Kr/M I 57).
Der Unterschied zwischen a und e ist entweder sprachhistorisch bedingt (:�Egerm) oder
kann in einigen Fällen auch durch das teilweise Fehlen des Umlauts vor allem in nddt.
Dialekten hervorgerufen sein (Lübben MndGr 29f.).
Das Nebeneinander von d und t kann durch Austauschbarkeit von d und t hinter n zustande
gekommen sein, worauf auch das Nebeneinander von beiden Formen im gleichen Dialekt
weist; vgl. Frnhd Gr 94: „Im Ergebnis hat vorahd. nd im Spätmhd. und Nhd. deshalb einen
doppelten Schreib- und schließlich auch Lautstand“. Ursprünglich ist hier ein ahd. *t zu
erwarten, das im Verb far-slintan „verschlingen“, slintan „schlingen“ und im Subst. slunt
m. „Schlund“ auch bezeugt ist. Daneben steht aber auch schon im Ahd. ein d, z.B. in slindo
„Schlinger“ (vgl. auch Schatz AhdGr. 124 f. mit zahlreichen Beispielen).
Ausschließliches t in rheinisch lentern und Lanterfant (mit -fant als sekundärer
Rückbildung von frz. enfant „Kind“ oder eher aus ital. fante < *infante zu lat. infans
„Kind, unmündiger Mensch“; so EWD s.v. Fant) ist vielleicht durch sekundären Einfluß
von frz. lentemente „langsam“ zu erklären.
WG: Das Adj. lendern und seine Sippe haben sich durch lautliche Überschneidung mit
einigen anderen Wörtern in manchen Dialekten verändert: So wurde durch
volksetymologische Anlehnung an Lander „Dachschindel; Latte“ (z.B. SchwäbWb 4, 951)
und das dazugehörende Kollektiv Geländer „Stangenzaun“ das rheinische Wort Geländer
„magere Kuh“ gebildet, das ein altes Länder, Lender „mageres Stück Vieh“ (vgl. schwäb.
Lander „schlechte, mickrige Kartoffel“) ersetzt haben könnte; andernfalls liegt hier einfach
nur metaphorischer Gebrauch des Wortes Geländer „Stangenzaun“ :� ÄPLW� VLFKWEDUHQ�Rippen wie ein Stangenzaun“ :�ÄPDJHUH�.XK³�YRU�� An lehnen angeglichen sind thür. Lehnerich m., lehnerig und lehnern als Variante von
ländern „schlendern“.
Thür. Dürrlender m. „magere, schwächliche Person, mageres, schwaches Tier“ ist
wahrscheinlich in Anlehnung an Lende als „dürre Lenden habend“ zu interpretieren (vgl.
Dürrleder „dss.“ mit Leder) und hier fernzuhalten.
Egerm
: lendern ist eine mit -n erweiterte Form (:�M/WB) ohne s-mobile, die zu mengl.
slendre „schlank, dünn, schmächtig“, nengl. slender „dünn, schmächtig; kraftlos, schwach“
(OED-Online s.v. slender), mndl. slinder „tenuis, exilis“ stimmt und einen german. Ansatz
*(s)lend(a)ra- / *(s)landrija- „dünn, schmächtig“ (Heidermanns PA 510) ermöglicht. Nach
Heidermanns sind die beiden Bildungen *(s)lend(a)ra- und *(s)landrija- ihrerseits
Rückbildungen von den schwachen Verben *slend(a)rÀQ und *slandrijan in mnd., mndl.
slinderen „gleiten, kriechen“ (Heidermanns PA 78). Im Engl. gibt es ein seltenes
schwaches denominales Verb to slender in der Bedeutung „dünn machen, ausmergeln“
(OED-Online s.v. slender), dazu gesellt sich nnorw. slindra „schwächen, ausmergeln“.
Beide setzen die alte Kausativbildung *slandrijan „schleichen, kriechen machen“ :�„schwächen“ fort, worauf der engl. Vokal e weist, der aus a umgelautet sein muss (ein
altes *e hätte vor Nasal + Konsonant zu i werden müssen; :�L). Ndl. slinderen „kriechen,
langsam gehen“ geht dagegen auf die *ÀQ-Bildung *VOHQGUÀQ „schleichen, kriechen“ mit
nicht-kausativer Bedeutung und regelrechtem Lautwandel e_N+K > i zurück. Die
deutschen Verben schlendern, lendern, ländern, schlindern etc. zeigen Vermischung
beider Bildungen.
Wenig wahrscheinlich ist die Annahme, dass *(s)lendra- eine e-vollstufige Bildung mit
dem Suffix -ra- zu einem starken Verb *(s)lenda- sein könnte. Seltene Fälle von e-
Vollstufe sind wohl erst innergermanisch entstanden wie auch die häufigeren Fälle mit
innergermanischem Ablautsvokal a (Heidermanns PA 67); für -ra- mit e-Vollstufe bei
einem primären Verb sind nur zwei unsichere Beispiele zu verzeichnen: *dem(b)-ra-
„dunkel“ (Heidermanns 44; 151; nur ahd, mhd. timbar, timber) und *¾d-ra- „rasch“
(Heidermanns 44; 173). Bei den sekundären Bildungen kann nur ein unsicheres Beispiel
mit e-Vokalismus angeführt werden: *-sweibra- „nachgiebig“ (in anord. ósvífr
„unnachgiebig“) zu dem german. Präsensstamm *VZ¯ED- „aufhören“ (Heidermanns PA 66;
576).
Das Suffix -ra- leitet zwar häufig Adj. von primären Verben ab, doch im German. sind
überwiegend Fälle mit Schwundstufe (z.B. ahd. lungar „schnell“; Heidermanns PA 388f.)
oder a-Stufe (< uridg. *o; z.B. ahd. mhd. swangar, swanger < german. *swangra-
„schwerfällig“, Heidermanns PA 572) bezeugt.
Die Formen mit Wurzelvokal a (Lander, land(e)rig, slanderig, schlandrig usw.) weisen
durch das Fehlen des Umlauts auf eine german. Form *(s)landra-, das ohne weiteres zu
dem starken Verb *slend-a- „kriechen, schleichen; schlingen“ (Seebold StV 432) gestellt
werden kann. Heidermanns (PA 44) verzeichnet 8 Beispiele (davon eines unsicher) für
Primäradjektive mit Suffix -ra- und german Wurzelvokals a aus uridg. *o. Dazu gesellt
sich nun noch als neuntes Beispiel *(s)landra- „kriechend“, das zu „schwach, kraftlos;
dünn“ lexikalisiert wurde. Eine semantische Parallele hierzu ist st. schlank, das zu dem
Verb slenk-a- „schleichen, kriechen“ (Seebold StVb 433) gehört.
Die Basis der -ra-Ableitung ist das starke Verb slend-a- „schlingen“, das in got. fra-
slindan (nur 1x belegt, übersetzt griech. �.2.���0��� ÄKHUXQWHUVFKOXFNHQ�� YHUVFKOLQJHQ³���ahd. slintan, slinden (slant, sluntun, gisluntan) „schlingen“, fraslintan „verschlingen“,
mndt., nndt., mnl. slinden „schlingen“ (Lehmann GotWb s.v fraslindan; DWb s.v.
schlingen²) bezeugt ist. Dazu gehören die Subst. ahd. slunt m., asächs. slund m. „Schlund“
(< german. *slund-az) und ahd. slinto „Fresser“ (< german. *slend-ÀQ). Im Deutschen ist
dieses Wort zu schlingen (schlang, geschlungen) geworden, wobei zwei Ursachen
auszumachen sind: Es gibt ab und zu die Schreibung ng für älteres nd oder nt, z.B. in
hinger < hinder, hinter (Frnhd Gr 145), zum zweiten dürfte aber auch die Nähe zum
starken Verb schlingen (schlang, geschlungen) „kriechen, sich winden“ eine große Rolle
gespielt haben, denn die Fälle mit Schreibung ng statt nd oder nt konnten sich
normalerweise in der Hochsprache nicht durchsetzen. Dies spricht aber dafür, dass in den
älteren Sprachstufen eine Bedeutung „kriechen“ neben einer neueren Bedeutung
„schlingen, runterschlucken“ weiterbestanden haben muss, wahrscheinlich aufgrund der
daneben stehenden Ableitungen *VOHQGUÀQ „gleiten, kriechen; langsam gehen“ und
*slandrijan „kriechen lassen“, und dass die schon lange bekannte Etymologie von german.
*slend-a- „schlingen, runterschlucken“ aus „(hinunter)gleiten, rutschen“ (Seebold StVb
432; Heidermanns PA 510; Feist GotWb 164f.) richtig ist. Zur Semantik vgl. dt. das gleitet
runter wie Öl, das Essen rutscht heute gut oder neg. die Erbsen wollen nicht rutschen
(DWb s.v. rutschen).
Folgendes ist also festzuhalten:
Das starke Verb *(s)lend-a- „kriechen, schleichen; schlingen“ (got. fra-slindan
„verschlingen“, ahd. slindan, slintan etc.) hat ein german. a-stufiges ra-Adjektiv
*(s)landra- „kriechend, langsam gehend; müde, schlapp, energielos, dünn“ neben sich, das
seinerseits als Ableitungsgrundlage für eine *ÀQ-Bildung *�V�ODQGUÀQ (dt. dial. schlandern,
landern) oder *�V�OHQGUÀQ „kriechen, gleiten; langsam gehen“ (mit dem Vokalismus des
Grundverbs *(s)lend-a-, dt. schlendern, schlindern, lendern, lindern etc.) und eine
kausative *jan-Bildung *slandrjan „kriechen lassen“ (> engl. to slender, nnorw. slindra
„dünn machen, schwächen, ausmergeln) dient. Daraus wiederum ist das Adj. *(s)landrija-
rückgebildet, das in lendern vorliegt. Die Wurzel hat ein s-mobile (weitere zahlreiche
Beispiele für diese Erscheinung bei Southern, s-mobile 188ff.).
Eidg
: Nach LIV² 307 (Seebold StVb 432 folgend) ist die dem got. -slindan „schlingen,
schlucken“ zugrunde liegende Wurzel uridg. *h3sleidh- „ausgleiten, fehlgehen“, wobei ein
uridg. n-Infix-Präsens *h3sli-né/n-dh- zu german. *slindan und – mit Ablautentgleisung –
zur starken Flexion *sland, *gislunden geführt haben soll. Die Bedeutung des uridg. Verbs
und seiner Fortsetzer ist terminatives „ausgleiten, ausrutschen, fehlgehen“, *(s)lend-a-
„gleiten, kriechen“ ist dagegen durativ. Die n-Infix-Ableitung ist nur in diesem german.
Verb bezeugt. Um die schwierige Annahme einer Analogiebildung von *slindan mit
festgewordenem n-Infix und sekundär eingeführtem Ablaut nach dem Vorbild von ahd.
bindan, band, gibunden zu umgehen, wird hier eine andere idg. Deutung vorgenommen,
deren Vorteile in einer problemlosen Rückführung auf eine uridg. Wurzel und in
leichterem semantischen Anschluß liegen. Zwar gibt es Fälle wie rinnen, in denen ein n-
Infix fest geworden ist, doch erstens hat man daneben auch in anderen idg. Sprachen eine
n-Infix-Bildung und zweitens ist hier durch die Wurzelstruktur (Wurzel *h3reiH- hätte ein
german. r�-a-/rijja- ergeben ohne auslautenden Konsonanten) ein nachvollziehbarer Grund
vorhanden.
German. *(s)lend-a- kann lautlich genau an lit. lendù, l ÅVWL „schleichen, kriechen;
eindringen“, Kaus. landìnti „zum Kriechen veranlassen“ (LEW I 377) und aind. randh- /
radh- „unterliegen, erliegen“, Kaus. randháya- „unterwerfen“ (EWAia II 431f.)
angeschlossen werden. LIV² 412 s.v. lendh rekonstruiert ausgehend vom Aind. als
Bedeutung der Wurzel „sich senken, nach unten geraten“; doch lassen sich einige
Textstellen des Kausativs randhaya- RV noch mit der Bedeutung „kriechen machen“
übersetzen (wie auch lit. und german. auf die Bedeutung „kriechen, schleichen“ deuten),
z.B. ánuvrat�ya randháyann ápavrat�n [...] índra� „Indra ist der, welcher die
Unbotmäßigen vor dem Botmäßigen kriechen macht“ (I, 51,9) in Bezug auf die Schlange
V�tra; „kriechen machen“ kann als Geste der Unterwerfung und Demütigung semantisch
zu „unterwerfen“ geführt haben. Im Lichte von german. *(s)landra- „kriechend“ >
„schlapp, kraftlos“ kann das aind. Adj. radhrá- < *l�dh-ró- „ermattend, müde werdend,
schlapp“ mit derselben semantischen Entwicklung an german. *(s)landra < *slondhró- (als
Ersatz von schwundst. *(s)l�dhro- ?) angeschlossen werden, dazu schließlich auch noch
npers. razd(a) „müde, erschöpft“< iran. *razda- < uridg. *l�dh-to- „hingekrochen“ o.ä.
(aind. raddhá- „unterlegen“).
Für das Uridg. ergeben sich also folgende Ansätze: Ein themat. Prs. *lendh-e- in german.
*(s)lend-a- „kriechen; schlingen“ und lit. lendù, lÅVWL „kriechen, schleichen“; ein Kaus.
*londh-éie- in aind. randháya- „unterwerfen“ (< „kriechen machen“), lit. (umgestaltet)
landìnti „kriechen machen“ und german. (umgestaltet unter Einfluß des Adj. *slandra- ?)
*slandrjan „kriechen machen“.
Dazu kommen die Adj. german. *(s)landra- < uridg. *(s)londhro-, das vielleicht aus
*(s)l�dhró umgestaltet ist, und aind. radhrá- < uridg. *l�dhró- mit derselben
Bedeutungsentwicklung „kriechend“ > „erschöpft, schlapp, müde“.
Lit.: B ThWb s.v. lendern, schlendern, Lehnerich, lehnern, Schlender; SchwäbWb 4, 952;
Schl.HoWb 4, 526f.; 540; MeckWb 6, 328f.; 345; 348; 358; BranBerlWb 3, 24; 121;
1103; 1116; 1126; RheinWb 5, 87; 117; 389ff.; Südhess.Wb 5, 368; 421; WbOsächsMda 3,
11; 4, 19; HessNAssWb 3, 201; 227; 237; M/WB EWD s.v. albern; Lühr Nhd 165; 167;
Henzen DtWb 227 L Sp ThGr 27; Stellmacher NddtSpr 44; Kr/M I 57; Lübben MndGr
29f.; FrnhdGr 94; Schatz AhdGr 124f; EWD s.v.Fant; WG SchwäbWb 4, 951; Egerm
OEW-Online s.v. slender; Heidermanns PA 44; 66f.; 78; 151; 173; 510; 572; 576; Seebold
StVb 432f.; Lehmann GotWb s.v. fraslindan; DWb s.v. schlingen ²; FrnhdGr 1145; Feist
GotWb 164f.; Southern s-mobile 188ff.; Eidg LIV² 307, 412; Seebold StVb 432; LEW I
377; EWAia II 431f..
Leuchse, Leuchel, Leucher 1
Leuchse Sb f. „Stützverbindung zwischen oberem Leiterbaum und Achsende am
Leiterwagen, Runge“
Leuchel Sb m. „Riedgras, Schilf“
Leucher Sb m. „chirurgisches Instrument“
Z: Thür. Leuchse f. und dazugehörende Komposita (→→ B) weisen auf ein german. *leuh-VÀ- „Verbindung
(am Wagenkasten)“ und haben eine semantische und derivative Parallele in Achse f. aus german.
*DKVÀ- „Achse, Führung (der Wagenräder)“. In *leuh-VÀ- liegt eine uridg. Wurzel *leug/£- „biegen“
vor, die in nominalen Ableitungen die Bedeutung „bLHJVDPHU�=ZHLJ³�DQJHQRPPHQ�KDW��YJO��JU���*� "�und dt. Leuchel m. „Schilfrohr“ (→→ E
germ4) sowie Leucher m. „chirurgisches Instrument“ (→→ B, E
germ2).
Biegsame Zweige wurden verwendet, um Dinge zusammenzubinden, vgl. got. ga-, us-OÌNDQ, ahd.
OÌKKHQ, engl. to lock (mit Schwundstufe, →→ Egerm3�� XQG� GDV� JU�� GHQRPLQDOH� 9HUE� �#�)&� ÄIHVW-,
zusammenbinden“. Die Bedeutung „binden, festmachen“ ist so auch in einige Nominalbildungen
eingedrungen.
Die süddt. Wörter Liechel m. „Hacke“ und liechen stV „ausziehen, ausrupfen“ gehören dagegen zu
einer anderen uridg. Wurzel *leug-/leuÿÿ
- „abrupfen, herausziehen“ (ôô
EWDD Lock).
B: In thür. Mdaa. ist ein fem. Sb. Leuchse „Stützverbindung zwischen oberem Leiterbaum
und Achsende am Leiterwagen“ belegt, z.B. in trö emal di zerbroche Lösche bänn Wähner
(Wagner), hä soll me gleich e neu mach „trag mal die zerbrochene Leuchse zum Wagner,
er soll mir gleich eine neue machen“. Zu diesem Simplex gehören folgende Komposita:
Leuchsblech n. „Blechbeschlag an Leuchse und Leiterbaum“; Leuchs(en)holz n. „Leuchse
am Leiterwagen, Runge; Leuchsennagel m., Leuchsenstift m. „Nagel, der Rad und Leuchse
an der Achse festhält“; Leuchsenring m. „Eisenring, der die Leuchse mit dem Leiterbaum
verbindet“, z.B. in da Leustenring is geplatzt, un die Fuhr Hei wär üm e Hoor
ümgeschmissen; Leuchs(en)schelle f. „dss.“; Leuchsenschere f., Leuchs(en)tülle f.,
Leuchswiede f. „Eisenbeschlag am unteren Leuchsenende, mit Ring zum Aufstecken an die
Radachse“; Leuchsenstäbel m., Leuchs(en)stützel m., Leuchsrunge f., Leuchsstößel m.
„Leuchse“; Leuchs(en)stütze f. „Stütze an der hinteren Runge“ (ThWb s.vv.).
Aus anderen Dialekten stellen sich hierher: bair.-österreich. Leuchse(n), Leusten f.
„Verbindungsstab, Runge eines Leiterwagens“ (Jacobsson 6, 453b), z.B. in schwingen
ihnen (den Pferden) den Haber mit der Streugabel und schlagen ihn ein mit der Leuxen
und striegelns mit der Faust um den Kopf (von Leuten, die ihre Pferde quälen) (Mathesius,
Syrach 2, 70b), und schwäb. Leuchsel „dss.“ (Schm.² 1, 1428).
Der früheste Beleg liuhse stammt aus dem 15. Jhd. (Lexer s.v. liuhse; EWD s.v. Leuchse).
Als s-lose Formen sind wahrscheinlich Leuchel m., Leuchelgras n. „Riedgras, Schilfrohr“
(→ Egerm4) und Leucher m. „chirurgisches Instrument zum Entfernen abgebrochener
Leuchse, Leuchel, Leucher 2
Pfeilspitzen aus Wunden“ zugehörig, z.B. in so aber ein pfeileisen dermaszen tief in fleisch
oder im gebein liege, so brauch erstlich dies instrument, so ein leucher genannt wird (Ryff
Chirurgie (1559) 29a.). Es handelt sich um ein längliches Instrument mit ein oder zwei
gebogenen Spitzen, mit dem man die abgebrochene Pfeilspitze herausholen konnte (→
Egerm2).
M: Die mehrfach bezeugte Kompositionsform Leuchsen- mit der dialektalen Variante
Leuchs- (→ L) zeigt ein Fugenelement -(e)n, dessen Ursprung in der Flexion der
schwachen Substantive liegt (Lühr Nhd 151). Schon im Ahd. haben sich aber die
schwachen fem. n-Stämme mit den starken fem. À-St. vermischt (Mittelhd Gr 198).
WB: Die Determinativkomposita (→ B) können semantisch in zwei Gruppen eingeteilt
werden. Zum einen sind es die Komposita Leuchsenstäbel, Leuchs(en)stützel,
Leuchsrunge, Leuchsstößel, die den gleichen Teil des Wagens wie das Simplex Leuchse
bezeichnen. Sie haben ein Zweitglied mit der Bedeutung „Stab, Stange, Stütze“, welches
das teilweise nicht mehr verständliche Leuchse wiederholt. Es handelt sich hierbei um
verdeutlichende Zusammensetzungen wie z.B. in Lindwurm (Lühr Nhd 161). Die
Komposita Leuchs(en)holz und Leuchsenwiede (Wiede = Weide) verweisen auf das
Material, aus dem die Leuchse hergestellt wird, bzw. woraus die Leuchsenwiede, die jetzt
aus Eisen ist, ursprünglich hergestellt wurde. Die Komposita Leuchsenblech, Leuchsnagel,
Leuchsenring, Leuchsenschelle, Leuchsenschere, Leuchsenstift, Leuchsenwiede bezeichnen
dagegen Zusatzteile, die zur Befestigung der eigentlichen Leuchse dienen.
Die Ableitung Leucher ist mit dem Suffix -er gebildet, das hier die Funktion eines Nomen
Instrumenti hat wie z.B. dt. Regler „ein Gerät zur Regelung der Leistungsintensität an
Maschinen“ oder Schalter „Vorrichtung zum Schließen, Unterbrechen, Umschalten des
Stromkreises“ (Paul DtWb 719; Engel; Fleischer/Barz 151ff,). Es bedeutete ursprünglich
„(Heraus-) Bieger“ von tiefsitzenden Gegenständen in Wunden (→ B).
Demgegenüber hat Leuchel m. „Schilfrohr, Riedgras“ ein l-Suffix wie Nagel m. oder
Giebel m. (Kr/M III 84 f); feminine l-Bildungen sind bei Pflanzenbezeichnungen des
öfteren anzutreffen wie z.B. in Nessel, Mispel, Mistel etc. (Balles HS 112: 137-142.).
Möglich ist aber auch ein mask. Nomen Agentis Leuchel „der Bieger, sich Biegende“, wie
Gimpel eigtl. „der Hüpfer“ oder ahd. wibil „Käfer“, eigtl. „der hin- und her läuft“ (Kr/M III
86f.).
L: Die mda. Varianten mit -sch- oder -s- anstelle von -chs- entsprechen der normalen
Entwicklung von mhd. -hs- zu nhd- -chs- bzw. -ks- (Sp ThGr 178f., 214).
Leuchse, Leuchel, Leucher 3
Der n-Abfall bei Leuchswiede, Leuchsblech, Leuchsholz etc. (→ B) ist in den meisten thür.
Mdaa. belegt und dient als eines der wesentlichen Abgrenzungsmerkmale zwischen dem
md. Sprachgebiet in NW-Thür und dem frk.-obd. Sprachgebiet im restlichen Thüringen
(Sp ThGr 223ff., mit Verbreitungskarte).
Die dialektale Form Leusten [loisdn] zeigt eine lautliche Entwicklung wie in Deichsel zu
[däisdl] (DWA 8, Kt.1). Weil diese Veränderung nicht regelmäßig eintritt, könnte auch
volksetymologischer Anschluß an Leiste oder Leisten eingetreten sein (ThWb s.v.
Leuchse).
WG: Die Leuchse ist ein Stab oder Stock, der die unteren Teile eines Leiterwagens an den
vier Ecken mit den oberen als Stütze verbindet, und besteht meist aus Holz, nur selten aus
Eisen. Am unteren Ende ist sie in die heutzutage eiserne Leuchsenschere (Leuchsentülle,
Leuchswiede, s.u.) gefasst und mit dem Achsende durch den Leuchsennagel oder
Leuchsenstift verbunden. Am oberen Ende ist sie durch einen eisernen Leuchsenring und
eine Leuchsenschelle am oberen Leiterbaum befestigt; auf diese Weise werden die
schrägstehenden Leitern gestützt. Vereinzelt geht die Bezeichnung auch auf die geraden
Stützstreben des Kastenwagens über. Leuchswiede bedeutet dasselbe wie Leuchsenschere
und zeigt, dass das Bauteil offenbar früher aus einer Wiede „Weidengerte“ gefertigt wurde
(ThWb s.v.). Das Wort hat also eine Bedeutungserweiterung erfahren, da neue Materialien
zur Herstellung dieses Geräts verwendet wurden, vgl. z.B. (Schreib-) Feder oder
Goldplombe (Lühr Nhd 257).
Egerm1
: Mhd. liuhse f. und nhd. Leuchse f. weisen auf einen schwachen n-Stamm oder einen
starken À-Stamm *OHXKVÀ f. (→ M), wobei der n-Stamm *leuh-s-À-n- f. von dem À-Stamm
abgeleitet wird. Das Formans -s- kann das auf folgende Weise erklärt werden:
1. Es liegt eine thematische Ableitung eines alten s-Stammes vor wie z.B. in got. weihs <
german * ¯Ks-a- „Dorf, Siedlung“ zu uridg. * é��os n. „Ort, Stelle“ (Schaffner VG 592,
mit weiteren Beispielen).
2. Eine schon mit -s- erweiterte Wurzel ist thematisiert worden; dieser Ableitungstyp ist
z.B. in german. *DKVÀ- f., ahd. ahsa f. „Achse“ (außer dem Genus = aind. ák&a- m. „Achse
am Wagen“, von einer s-Erweiterung der uridg. Wurzel *h2a�-) bezeugt (Kr/M III 134;
EWAia s.v. ák&a-).
3. *OHXKVÀ�Q�- ist eine alte -so-/sah2-Ableitung wie z.B. german *sahsa-, ahd. sahs n.
„Messer“ von der uridg Wurzel *sek(H)- „abtrennen, schneiden“ (LIV 524; Schaffner VG
242; Kr/M III 134f).
Alle drei Möglichkeiten führen also zu einer synchronen germanischen *sa-�VÀ-Bildung.
Leuchse, Leuchel, Leucher 4
Egerm2
: Leucher m. „chirurgisches Instrument zum Entfernen von abgebrochenen Pfeilspitzen
aus Wunden“, ursprünglich „Bieger“, ist mit dem Suffix -er in der Funktion eines Nomen
Instrumenti (→ WB) gebildet, was zu der oben (→ B) beschriebenen Einsatzmöglichkeit
eines solchen Gerätes stimmt. Einem hd. *leuch- entspricht eine german. Wurzel *leuk-
„(sich) biegen“, die für die Erklärung von Leuchse als alte *-sah2-Ableitung spricht
(Möglichkeit 3, s.o.), zur Bildeweise vgl. z.B. *DKVÀ- f., ahd. ahsa „Achse“, *KDKVÀ- f.,
ahd. hahsa „Haxe“, *sahsa- n., ahd. sahs „Messer“ (Kr/M 134ff.).
Egerm3
: Eine schwundstufige Form der Wurzel liegt in german *luk- vor, vgl. got. ga-OÌNDQ
„schließen“, us-OÌNDQ�„öffnen“ (mit sekundärer Dehnung nach dem Vorbild von � > *ei bei
der 1. Klasse der st.Vb. (Kümmel in LIV² 416)), ahd. OÌKKDQ, engl. to lock „schließen“ <
uridg. *leug/�- „biegen“. Die Bedeutung „schließen“ ist somit aus „(einen Verschluß)
zusammenbiegen, (etwas) zusammenbinden“ entstanden (LIV² 416).
Egerm4
: Die griech. Entsprechungen dieser Sippe (→ Eidg) zeigen, dass Zweige oder Äste zum
Zusammenbinden verwendet wurden. Dieselbe semantische Entwicklung kann die
vollstufige german. Form *leuk- „(sich) biegen“ : *l(e)uka- „biegsame Pflanze“ > „binden“
mitgemacht haben. *leuhVÀ- f. als „Biegung, Verbindung (von Wagenseiten)“ findet damit
eine Parallele in *DKVÀ f. „Achse; Führung (der Wagenräder)“ < uridg. *h2a�so-/ah2-
(EWAia s.v. ák&a-; LIV² 255f.), das in das gleiche Wortfeld „Bauteile am Wagen“
eingegliedert ist.
Leuchel m. „Schilfrohr“, „sich biegende; biegsame Pflanze“ ist semantisch unmittelbar mit
JULHFK���*� "�ÄELHJVDPHU�:HLGHQ]ZHLJ³�]X�YHUJOHLFKHQ� E
idg: Fortsetzer der uridg. Wurzel *leug-/leuÿ�� H[LVWLHUHQ� LQ�JULHFK���*� "� I��P��ÄELHJVDPHU�
Weidenzweig, Ast“ und den dDYRQ� DEJHOHLWHWHQ� 9HUEHQ� �#�)&� ÄIHVWELQGHQ��]XVDPPHQELQGHQ³���#���&�ÄELHJHQ��GUHKHQ³�VRZLH��*��� "�ÄJHIORFKWHQ³���*�� ��Ä'UHKXQJ��9HU]ZHLJXQJ³��/,9ð������/�6�V�YY���)ULVN�V�Y���*� "���
Lit: B ThWb s.v. Leuchse; Jacobsson 6, 453b; Mathesius, Syrach 2, 70b; Schm Bair Wb 1,
1428; Lexer s.v. liuhse; EWD s.v. Leuchse; Ryff, Chirurgie 29a; M Lühr Nhd 151; Mhd Gr
198; WB Lühr Nhd 161; Paul Dt Wb 719; Engel; Fleischer/Barz 151ff.; Kr/M III 84f;
Balles, HS 112: 137-142; L Sp ThGr 178f; 214, 223ff; DWA 8, Kt. 1; WG ThWb s.v.
Leuchse; Lühr Nhd 257; Egerm Schaffner VG 592, 242; Kr/M III 134ff; EWAia s.v. ák&a-;
LIV 255f, 416, 524; Eidg�/,9������/�6�V�YY���*� "���#�)&��)ULVN�V�Y���*� "�
1
liedschäftig Adj. „altersschwach, abgenutzt, ohne rechten Halt“
liedschäftlich Adj. „dss.“
Z: Die beiden thür. Adj. liedschäftig und liedschäftlich sind nur noch im unterfränk. und hess.
Dialektgebiet bezeugt; der älteste Beleg stammt aus dem Jahre 1473 (Unterfranken). Die Adjektive
sind Ableitungen mit den auch heute noch produktiven Suffixen -ig und -lich von einem zu
erschließenden Adj. *liedschaft, das „an den Gliedern verletzt, abgeschabt“ bedeutet hat. Das
Vorderglied ist semantisch verblasst und die Adj. haben die allgemeine Bedeutung „altersschwach,
abgenutzt“ angenommen. Diese Etymologie wird unterstützt durch parallele Bildungen wie liedschart,
-schert „an den Gliedern verletzt“, von denen ebenfalls ein Adj. liedschartig, -schertig abgeleitet
worden ist. Die Basis *liedschaft ist ein Kompositum aus den Bestandteilen lied- (zu nhd. Glied) und
-schaft (zu nhd. schaben). Die unklare Etymologie von Glied und sein Verhältnis zu Wörtern wie nhd.
Elle wird in Egerm1
, Eidg1(a)
und Eidg1(b)
geklärt: Glied bzw. älteres li(e)d sind tu-Abstrakta einer uridg.
Wurzel *leiH- „biegen“; Elle hingegen ist ein altertümliches Kompositum „Hin-, Ab-bieger“ und
enthält ebenfalls die uridg. Wurzel *leiH- „biegen“.
B: Im südwestlichen Thüringen ist ein seltenes Adjektiv liedschäftig „altersschwach,
wackelig, ohne rechten Stand“ bezeugt, das sich auf Menschen bezieht, z.B. in a is dös
Johr sehr lidscheftig worn „Er ist in diesem Jahr ziemlich altersschwach geworden“, oder
auf Pflanzen und Kleider. Daneben gibt es ein weiteres nur in der Gegend um Coburg
belegtes Adjektiv liedschäftlich „wackelig, ohne rechten Stand; schadhaft“ (ThWb s.v.
liedschäftig, -lich).
Außer im südwestl. Thür. ist das Adjektiv liedschäftig nur noch im unterfränkischen und
hessischen Dialektgebiet bekannt und bedeutet dort „wackelig, altersschwach, abgenutzt“,
z.B. fränk. dei Mais is fei recht lidschäfdich worn oder des Kleid is scho arch liedschäfdich
und in einem hess. Mundartgedicht: Liedschäftig kann man sein, wenn nicht mehr mittun
die Bein’ (Omborscher Gebabbel 1).
In der Gerichtsordnung von Theilheim in Unterfranken aus dem Jahre 1473 steht der
früheste Beleg dieses Wortes: ein glidtschefftige wunden zehen pfundt heller, soviel war
die Buße für eine solche Verletzung (Grimm Weisth. 6,84; DWb s.v. Gliedscheftig).
M/WB: liedschäftig und liedschäftlich sind mit den produktiven Adjektiv-Suffixen -ig und
-lich (Fleischer-Barz 256ff., 260ff.; Lühr Nhd 165ff.) von einem nicht bezeugten mhd.
*(ge)lid-schaft abgeleitet. Der mhd. Beleg glidtschefftig zeigt die mit g(e)- präfigierte, im
heutigen Hochdeutschen übliche Form des Subst. Glied (EWD s.v. Glied) als glidt; das g-
ist hierbei aus ge- verkürzt wie in glauben aus mhd. g(e)louben oder Gleis neben nhd.
Geleise aus mhd. geleis. Die unverkürzte Form gelit gibt es ebenfalls im Mhd. (Lexer 820),
wie auch die unerweiterte Form lit „Körperteil, Glied, Gelenk“ (Lexer 1938f.; :�Egerm1).
2
Diese Form ist heute noch in einigen obd. Dialekten bekannt, z.B. in schweiz. Lid „Stück
Fleisch; Viertel eines geschlachteten Rindes oder Schweins“ (Tobler Appenzeller Volksl
295). Da im Mhd. nur die Ableitung mit dem Suffix -ig bezeugt ist, könnte es sich bei dem
seltenen liedschäft-lich um eine jüngere gleichbedeutende Bildung mit dem produktiven
Suffix -lich handeln, wie z.B. auch von Gram die synonymen Adj. grämig und grämlich
„feindselig, feindlich; mürrisch, unfroh“ (mhd. grämic, gremelich, gremlich; BMZ, Lexer
s.v.) gebildet worden sind (DWb s.v. Gram, grämig, grämlich).
In dasselbe semantische Feld wie liedschäftig fallen auch die Adjektive nhd. (dial.)
liedschartig, -schärtig, mhd. lidschertic und gelitschertic „an den Gliedern zerhauen,
verletzt“ (Lexer 820, 1901). Diese sind mit dem Suffix -ig von mhd. lide-schart und gelit-
schert „an den Gliedern verletzt, zerhauen“, z.B. in gelitscherte Wunden „Wunden, bei
denen Glieder abgehauen oder verstümmelt wurden“, abgeleitet und zeigen somit dasselbe
Bildungsmuster wie liedschäftig und glidtschefftig. Mhd. (ge)lit-schart, -schert sind
adjektivische Determinativkomposita mit der Bedeutung „an den Gliedern geschnitten,
verletzt“ (Lühr Nhd 158, 160). -schart, -schert ist ein Adj., das mit dem german. Suffix
*-þa-/-þÀ- von der in scheren, mhd. schern, ahd. sceran „schneiden, verletzen“ (EWD s.v.
scheren1) vorliegenden uridg. Wurzel 2. *sker- „scheren, kratzen, abschneiden“ gebildet ist
(LIV² 556f.). Eine parallele Bildung liegt in liedschäftig und glidtschefftig vor: Die daraus
zu erschließende Ableitungsbasis *(ge)lid-schaft ist mit dem Adjektiv -schaft „geschabt,
gekratzt; verletzt“ zusammengesetzt. -schaft ist von schaben, ahd. scaban, scapan
„kratzen, schaben; stoßen“ abgeleitet (:�Egerm2).
Weitere semantisch vergleichbare Bildungen sind z.B. gliedschrötig (zu ahd. VFUÀWDQ
„schneiden“, nhd. schroten) und gliedbrestig (zu ahd. brestan „zerbrechen“, nhd. bersten)
„an den Gliedern verletzt, verstümmelt“.
WG: Ausgehend von der ursprünglichen Bedeutung „an den Gliedern verletzt, abgeschabt“
ist das Vordergliedes li(e)d semantisch verblasst und hat eine allgemeine Bedeutung
„altersschach, abgenutzt“ bekommen. Dies konnte eintreten, weil sich ab dem Mhd. die
Kollektivbildung G(e)lied gegenüber dem Simplex Lied durchgesetzt hat. Das Simplex ist
nur noch in einigen Dialekten bekannt; die Hoch- und allgemeine Umgangssprache hat es
möglicherweise aus Gründen der Homonymenvermeidung gegenüber Lied „Gesang“ und
Lid „Augendeckel“ aufgegeben.
Egerm1
: Das nhd. Subst. Glied ist eine schon in spätahd. gilit n. (12. Jhd.) bezeugte
Kollektivbildung mit dem Präfix ge-, die von dem Simplex ahd. lid „Glied, Körperteil“
abgeleitet ist wie z.B. Gedärm von Darm (Lühr Nhd 172f.). Ahd. lid wird in der Regel als
3
m. i-St. und nur selten als n. s-St. flektiert (AhdGr 186, 203), als Erstglied von Komposita
hat ahd. lid aber den alten u-St. bewahrt, der auch in anderen german. Sprachen bezeugt
ist: got. liþus m. „Glied“ (Casaretto 2004: 525f.), anord. liðr m. „Glied, Gelenk“, aengl.
leoþu- „id.“ als Kompositions-Erstglied (aengl. liþ n. ist sekundär in die Klasse der n. a-St.
eingegliedert worden; Neri 2003: 242), afries. liþ, lid und asächs. lið m. „id.“, die alle nach
Neri 2003: 242 den u-St. fortsetzen. Ein Hinweis auf das Alter des u-St. ist auch die
Adjektiv-Ableitung *liþu-Àa- in anord. liðugr „frei, ungehindert; biegsam“ neben *liþ-aÀa-
in aengl. liðig „elastisch, biegsam“, afries. lethich, ledich, mhd. lidec, ledic „frei,
ungehindert“, wobei dem german. Suffix *-aÀa- auch u-Stämme als Ableitungsbasis
dienen (Kr/M III 191f.; zur Bedeutung vgl. Neri 2003: 243f.). German. *li-þu- ist ein altes
tu-Abstraktum mit der ursprünglichen Bedeutung „Beweglichkeit, Biegsamkeit, Biegung“,
das eine konkrete Bedeutung „bewegliches (Körperteil)“ angenommen hat.
Bedeutungsübergänge von Abstrakta zu Konkreta sind selten, aber trotzdem bezeugt: Ein
ähnlicher Bedeutungsübergang hat z.B. von Wache „Wachsamkeit, Bewachung“ zu
„bewachender (Mensch)“ geführt. Weitere Derivate der in *li-þu- zugrunde liegenden
Wurzel sind anord. limr m. „Glied, Gelenk; Zweig“, lim n. „Zweig“ und aengl. lim n.
„Glied, Zweig“< german. *li-ma-. Ein primäres Verb ist nicht bezeugt, denominale
Ableitungen begegnen aber in den schwachen Verben aisl. liða „in Ordnung bringen,
beugen, gliedern“, ahd. OLGÀQ „zerstückeln“, die beide das german. denominale Verbsuffix
*-ÀQ zeigen (Kr/M III 238ff.), und aengl. �-liðian swV „teilen, zergliedern“ mit dem Suffix
*-jan (Kr/M III 243ff.).
Egerm2
: Der zweite Bestandteil des Wortes liedschäftig gehört zu einem st. Verb ahd. scaban,
mhd. schaben (schuop, geschaben), das im Frnhd. – wie andere Verben auch (FrnhdGr
231) – zu einem schw. Verb schaben (schabte, geschabt) umgestaltet worden ist (DWb,
EWD s.v. schaben). Wie unter M/WB gezeigt wurde, ist ein nicht bezeugtes Adj. *schaft
„zerkratzt, abgeschabt, verletzt“ die Ableitungsbasis für -schäftig: *-schaft ist eine
adjektivische Bildung mit dem german. Suffix *-þa-/-þÀ- (< uridg. *-to-�W�-), das bei den
schwachen Verben und den Präterito-Präsentien zur Bildung der Perfekt-Partizipien
verwendet wurde (Kr/M III 141ff.). Doch gab es darüber hinaus weitere Bildungen mit
diesem Dentalsuffix; sie leben als Adjektive fort wie z.B. tot „gestorben“ (= got. dau-þ-s,
anord. dau-ð-r, aengl. G�D-d zum Verb anord. dey-ja, asächs. GÀ-ian „sterben“) oder kalt
(eigentlich „gefroren“; kalt = anord. kal-d-r zum Verb kala „frieren“; Kr/M III 142).
Genauso wie das mhd. Adj. schart, schert „geschnitten, verwundet“ (ahd. scart, aengl.
VüHDUG „zerhackt, verstümmelt; schartig“; Kr/M III 142, Holth AEW 273) vom st. Verb
4
scheren (Part. II ge-schoren) ist das aus liedschäftig zu erschließende Adj. *schaft von dem
ursprünglich st. Verb schaben abgeleitet, und zwar mit demselben Lautwandel, der in dem
heute nicht mehr gebräuchlichen Adj. haft : haben vorliegt und der Substantivierung Haft.
Das Adjektiv tritt in den Komposita des Typs schauderhaft, märchenhaft usw. auf (EWD
s.v. Haft). In dem schwachen Partizip II geschabt ist der Lautwandel von uridg. *-bh+t- >
vorgerman. *-pt- > german. *-ft- (Kr/M I 109) nicht durchgeführt, da geschabt eine sehr
junge (frnhd.) sekundäre Bildung ist und unter dem paradigmatischen Einfluß von schaben
steht. Vergleichbar ist auch hier das Nebeneinander von haben : gehabt, -b- ist im Partizip
durch Paradigmenzwang erhalten; das aus dem verbalen Komplex herausgelöste Adj. -haft
hat dagegen die lautgesetzlich richtige Form, da es nicht dem Paradigmenzwang unterlag.
Nhd. schaben (mhd. schaben, schuop, geschaben, ahd. scaban, Part. II giscaban) gehört zu
got. skaban, anord. skafa (skóf, skafenn), aengl. sceafan (scôf, scafen), asächs. scaban und
setzt somit ein gut bezeugtes germanisches st. Verb *ska^-a- (Seebold StV 401f.) fort.
Eidg1(a)
: German. *li-þu- „Biegung, Biegsamkeit“ und *li-ma- „gebogen“ :� Ä*HERJHQHV��Gelenk, Zweig“ können auf uridg. *lí-tu- und *li-mó- oder auf *líH-tu- und *liH-mó-
zurückgehen (Casaretto 2004: 525; Neri 2003: 242ff.; s.o. Egerm1
). Dabei ist *liH-mó- mit
lautgesetzlichem Laryngalschwund (Dybos Gesetz, wie z.B. in got. wair, anord. verr, ahd.
wer; air. fer, kymr. gwr„Mann“; lat. v�r < * �ro- < uridg. * iH-ró-) direkt zu german.
*lima- (anord. limr m. „Glied, Gelenk; Zweig“, lim n. „Zweig“ und aengl. lim n. „Glied,
Zweig“) geworden. In *líH-tu- muss ein analogischer Prozess die Kürze des Vokals
bewirkt haben, der z.B. auch zu german. *kwiþ/ðu- oder friþu- aufgrund von
paradigmatischem Ausgleich geführt hat (zu*kwiþ/ðu- Schaffner VG 501ff.; anders dazu
Neri 2003: 321ff.; 2006: Anm. 117 – Dybos Gesetz gilt nicht vor *t, vgl. Neri 2006: Anm.
117). Grundlage für unser Wort ist ein proterokinetischer Typ (nach Schaffner VG 84ff.,
Neri 2003: 91ff.) mit Nom. *lé�H-tu-s, Gen. *liH-té/ó -s, Instr. *liH-t -éh1; der Nom.
wurde lautgesetzlich zu *lé�-tu-s, der Instr. ebenfalls lautgesetzlich (nach der „Wetter“-
Regel; Neri 2006: Anm 60) zu *lit eh1; der Gen. ist analogisch zu *li-té/ó -s umgestaltet
worden und dann auch der Vokal im Nom. nach dem Instr. gekürzt.
Die uridg. Wurzel *leiH- bedeutet nach LIV² 405 „sich anschmiegen“, nach EWAia II 474
f. „sich verstecken“: Aind. layI ist meist mit Präverb ní- „nieder“ als ni-láyate „sich
verstecken“ bezeugt und heth. u-lae- nur mit Präverb „sich verstecken“ (Oettinger Stb
363f.). Die Präverbien zeigen eine Richtung ‘nach unten’ an, was – im Lichte der
germanischen Wörter – einen Bedeutungsansatz „sich biegen“ für das Simplex
wahrscheinlich macht: ni-láyate bedeutet „sich niederbiegen, -beugen, sich ducken“ (Part.
5
ní-O¯QD- „geduckt, versteckt“; hierher auch RV 10,42,1 lºyam „geduckt“; EWAia II 475)
und heth. u-lae- „dss.“. Unter der Bedeutung „sich biegen, beugen“ können auch die lat.
nominalen Entsprechungen O¯PXV�� -a, -um „schief, schräg; schielend“ < *„gebogen“ (aus
*líh-mo- : anord. limr m. „Glied, Gelenk, Zweig“, lim n. „Zweig“ < *liH-mó-, s.o.), Subst.
O¯PXV��-¯ m. „schräg mit Purpur besetzter Schurz der Opferdiener“ einbezogen werden. Zu
trennen ist hiervon lat. O¯PHV, das besser zur uridg. Wurzel *h2leis- „Furchen ziehen“
zustellen ist (:�(:''�Liere). Auch lat. lituus, -¯ „Krummstab der Auguren“ kann hier
problemlos angeschlossen werden: Auszugehen ist von einem uridg. tu-Abstr. *líH-tu- (das
genau den german. Formen entspricht) „Biegung“, das als themat. Adj. *liH-t -ó- „eine
Biegung habend“ ebenfalls der „Wetter“-Regel unterliegt und Laryngalschwund zeigt:
*liH-t -ó- > *lit o- zu lat. lituus. (W/H I 815f.).
Eidg1(b)
: Im EWD (das dem IEW 307f. folgt) wird Glied mit dem dt. Subst. Elle f.
zusammengestellt („kann eine Erweiterung sein“). Diese Zusammenstellung bietet aber
große lautliche und morphologische Schwierigkeiten; man könnte ihnen nur begegnen,
wenn Elle und seine germanischen sowie indogermanischen Entsprechungen als fem.
Erweiterung *h2/3o-liH-n-áh2 von einem mit der Präp. *h2/3o- präfigierten
hysterokinetischen n-St. *h2/3o-liH-»n, -liH-n-és als Nomen agentis „Ab-bieger, Hin-
Bieger“ :�Ä(OOHQ-bogen“ bestimmt werden (zu der seltenen Präp. *h2/3o- vgl. z.B. uridg.
*h2/3o-sd-o- wörtl. „An-satz, Auf-satz“ (am Baum) :�Ä$VW³��� Doch legt das Wort Elle eine andere etymologische Deutung nahe: Nhd. Elle, ahd. elina f.
(EWA II 1044ff.) samt anord. alin f., aengl. eln f., afries. (i)elne f. „Unterarm, Elle“ <
german. *al±QÀ-; anord. Åoln f. „dss.“ ist aus der german. Form *alÎQÀ- mit auch sonst im
Anord. beobachtbarem Vokalwechsel beim Suffix (Kr/M III 107) entstanden, der eine
Metanalyse von *ali-QÀ- zu *al-LQÀ- vorausgegangen sein muss. Nur got. aleina f. zeigt
langes -¯- und führt zu einer german. Variante *DO¯QÀ- (Casaretto NW 321). Abgesehen von
dem anord. Beispiel mit Vokalwechsel führen die germanischen Belege auf zwei german.
Formen:
1. *DOLQÀ- < vorgerman. *(H)oli(H)náh2- mit Eintreten von Dybos Gesetz oder mit
Laryngalschwund in Komposita (wie z.B. in air. enech „Gesicht“ < vorir. *en±Nwo- < uridg.
*eni-h3kwó-) und
2. *DO¯QÀ- entweder < *(H)oliHnah2- mit Beibehaltung des Laryngals (möglicherweise eine
sehr frühe Variante mit substantivischem Akzent *(H)olíHnah2-) oder aus
*(H)olei(H)náh2-, einer Form, in der der Laryngal ebenfalls lautgesetzlich geschwunden
6
wäre (Schaffner VG 502; Casaretto 327); *-ei- hätte dann regelgerecht german. langes -¯- ergeben.
Zu den german. Wörtern gehören ferner lat. ulna „Ellenbogenknochen“ < vorlat. *ol�Q�- <
uridg. *h2/3o-liH-n-áh2- (mit Laryngalschwund durch Dybos Gesetz wie in lat. v�r „Mann“
< * iH-ró- oder durch Laryngalschwund in Komposita, s.o.) sowie mir. uilen �, f.
„Ellenbogen, Unterarm; Winkel“ < vorir. *olÍn�-. Da die britann. Form elin „Ellenbogen“
mit -i- aus *¯ eindeutig die Länge des -�- beweist (*� hätte kymr. y ergeben), scheint auch
den keltischen Formen die substantivische Akzentvariante *h2/3olíHnah2- wie im
Gotischen zugrundezuliegen. Daneben gibt es im Kymr. auch noch das Wort olwyn „Rad“
< *(H)olei(H)nah2-, das im Suffix zu der anderen Erklärung von got. aleina passen könnte.
Armen. RáQ, Gen. RáLQ „Rückenwirbel, Rückgrat, Schulter“ aus vorarmen. *(H)oli(H)n-
zeigt eine etwas andere Bedeutung, die durch Kreuzung mit folgenden semantisch
ähnlichen, lautlich aber nicht übereinstimmenden Wörtern beeinflusst worden ist.
Armen. owln, Gen. owlan „Hals, Schulter“ (< vorarmen. *ÀOHQ-, *oln-) und griech. �N�P �N�PJ� „Ellenbogen, Unterarm; Matte, Stroh“ (< vorgriech. *ÀO»n-�� ÀOpQ�-) sind aus
folgenden Gründen davon zu trennen:
1. Der anlautende Langvokal stimmt nicht zu dem Kurzvokal der anderen Belege, es muss
somit ein anderes Präfix (*�, d.H. *oh1-, z.B. in aind. º „her“) oder eine andere mit
Laryngal anlautende Wurzel vorliegen; der Laryngal hat dann die Länge des Vokals
bewirkt.
2. In den armen. und griech. Belegen ist schwerlich eine -i-haltige Wurzel nachzuweisen.
Eine mögliche Vorform *À-/oH-lih-»n > *�li�»n- > �l�»n hätte in den meisten griech. Dial.
zu einer Form mit geminiertem -��- geführt, vgl. griech. ¥NNRT „anderer“ < *al�o-. Ein nur
einmal bei Hesych bezeugtes �NN�P� ��V�P�VR��ESDY�RPRT�MDO¾�P�„die Beuge des Arms“
genügt nicht, um eine solche Etymologie abzusichern: �NN�P� kann� eine innergriech.
themat. Ableitung des n-Stammes *ÀO-n-ó- sein (Frisk GEW II 1146f.).
Eidg2
: Die dem german. Verb *ska^-a- „schaben, kratzen“ (primäres Verb in got. skaban
„scheren“, ahd. scaban „schaben“) zugrunde liegende idg. Wurzel *skabh (oder besser
skh2ebh; LIV² 549) ist als themat. Präsens *skh2éb
h-e- auch in anderen idg. Sprachen
bezeugt: lat. scabere „kratzen, reiben“ und lit. (nur lexikalisch) skabù, skàbti „abpflücken“;
im Griech. ist ein s-Aorist µUMDZD „er grub auf“ belegt. Dazu wurde ein *-�e/�o-Präs.
JHELOGHW��JULHFK��1���2&�ÄDXIJUDEHQ³�XQG�OLW��skabiù, skÀEWL „schaben, hobeln; schnitzen,
meißeln; rupfen“.
7
Lit: B ThWb liedschäftig, -lich; Omborscher Gebabbel 1 (http:www); Grimm Weisth. 6,84;
DWb Gliedscheftig; M/WB Fleischer-Barz 256ff., 260ff.; Lühr Nhd 165ff.; EWD Glied;
Lexer 820; 1901; 1938f., Tobler Appenzeller Volksl 295; Lexer, BMZ grämic, gremelich,
gremlich; DWb Gram, grämlich, grämig; LIV² 556f.; Egerm1
Lühr Nhd 172f.; AhdGr 186,
203; Casaretto 2004: 525f.; Neri 2003: 242ff.; Kr/M III 191f.; 238ff.; 243ff; E germ2
DWb,
EWD schaben; Kr/M III 141ff.; Holth AEW 273; EWD Haft; Kr/M I 109; Seebold StV
401f.; Eidg1(a)
Neri 2003: 242ff. 321ff.; Schaffner VG 501ff.; Neri 2006: Anm.117; Neri
2006: Anm. 60; LIV² 405; EWAia II 474f.; Oettinger Stb 363f.; W/H I 815f.; Eidg1(b)
EWD
Glied; IEW 307f.; Kr/M III 107; Casaretto NW 321, 327; EWA II 1044ff.; Schaffner VG
502; Frisk GEW II 1146f.; Eidg2
LIV² 549; Frisk GEW II 718ff.; LitEW.
Liehe 1
Liehe Sb f. ? „kleine Schale oder Pfanne mit brennenden Kienholzspänen (als Lampe) zur
Beleuchtung der Zimmer“
Z: Das thür. Wort Liehe hat drei morphologische Deutungen: a. Es ist durch Genuswechsel aus älterem
mask. *lieh(e) entstanden (:�0�:%��XQG�VHW]W eine german. Form *léuh-an- m. fort, die 1. aus den
starken Kasus eines ablautenden mobilen vorurgerm. n-St. *léuk-on-, *luk-én-, *luk-n-´ entstanden ist
(die schwachen schwundstufigen Kasus haben zur Herausbildung eines neuen Wortes german. *luh-
an-, *luÀÀ
-an- mit grammatischem Wechsel (ôô
Egerm2) geführt, das in mehreren german.
Einzelsprachen belegt ist) oder 2. eine Ableitung mit individualisierendem n-Suffix von einem o-
stämmigen idg. Adj. *leuk-ó/áh2 „hell, leuchtend, weiß“. b. 3. Eine dritte Möglichkeit ist die Herleitung
aus einer german. fem. Form *léuh-À- mit Substantivierungsakzent vom uridg. Adj. *leuk-ó/áh2- „hell,
leuchtend, weiß“, falls Liehe f. tatsächlich das ursprüngliche Genus aufweist.
Die german. Wörter gehören zu der uridg. Wurzel *leuk- „leuchten, hell sein“ (ôô
Eidg). Nominale
Ableitungen dieser Wurzel sowohl in german. als auch anderen idg. Sprachen haben teilweise eine
Bedeutungsverschiebung von abstraktem „Licht, Helligkeit“ zu konkretem „Gerät zum Leuchten,
Leuchte(r), Lampe“ erfahren, die auch bei anderen gleichbedeutenden Wurzeln anzutreffen ist (ôô
Eidg
). Die von ThWb s.v. Liehe zweifelnd angeführte Gleichsetzung mit (nicht bezeugtem) ahd. *hleo,
Gen. *hliwi (= mhd. lie, liewe „(Garten-) Laube“) ist aus semantischen Gründen aufzugeben.
B: In Thüringer Mdaa. ist ein seltenes, altertümliches Subst. Liehe f. „Schale oder Pfanne (als
/DPSH��� LQ� GHU�.LHQKRO]VSlQH� EUHQQHQ�� XP� GLH� 6WXEH� ]X� EHOHXFKWHQ³� DOV� >O¯Q] oder mit
Auslautkürzung (:�L��>O¯@�EHOHJW��7K:E�V�Y��Liehe). Über dieser Schale befindet sich der
Liehhut als Bedeckung gegen das Rauchen bzw. Rußen der Späne (ThWb s.v. Liehhut).
Aus anderen dt. Dialekten ist nur tirol. Liehe f. [l��] „Kamin, Feuerstelle“ bezeugt
(Kranzmayer 1960: 185).
M/WB: Liehe ist ein fem. *À- oder *ÀQ-Stamm. Die Flexion der starken fem. À-Stämme hat
sich schon im Ahd. mit der Flexion der schwachen n-Stämme vermischt (Mhd Gr 198).
Aus dem Kompositum Liehhut ist ebenfalls keine eindeutige Bestimmung der
Flexionsklasse möglich, da die Form mit n-Abfall auch in Komposita vorkommt (:�L).
Liehhut könnte jedoch auch ein altes mask. Vorderglied *lieh oder *liehe (< *leuh-an-)
neben Liehe f. aufweisen und die Annahme eines auch sonst häufigen Genuswechsels
wahrscheinlich machen. So wäre mask. *lieh(e) erst sekundär zur fem. Form Liehe
übergegangen wie viele andere alte mask. Subst. auch, z.B. ahd. binuz, mhd. bin(e)z m. :
nhd. Binse f. oder mhd. loh, lohe m. „Flamme, Lohe“ : mhd. lohe f., nhd. Lohe f. (Frnhd Gr
175f., EWD s.v. Binse, Lohe). Liehhut ist jedenfalls ein Determinativkompositum mit
ähnlicher Bedeutung wie z.B. Lampenschirm oder Lichthut.
L: Die thür. LauWIRUP� >O¯@� QHEHQ� >O¯�] zeigt den auch in anderen dt. Dialekten häufigen n-
Schwund im Auslaut (Sp ThGr 222ff.). Diese Form könnte im Determinativkompositum
Liehe 2
Liehhut (vielleicht < *Liehenhut) vorkommen wie in Leuchsholz neben Leuchsenholz (:�Leuchse), falls nicht ein altes Mask. *lieh(e) bewahrt ist.
Egerm1: Das Subst. Liehe „Schale mit brennenden Kienspänen zur Beleuchtung von Zimmern“
ist von den Bearbeitern des ThWb zweifelnd mit – nicht bezeugtem – ahd. *hleo, Gen.
*hliwi „witterungsgeschützter Raum“ verbunden worden. Diese Etymologie muss aus
semantischen Gründen aufgegeben werden, denn das erschlossene ahd. *hleo und sein
belegter Fortsetzer mhd. lie, liewe f. „(Garten-) Laube“ gehören zu aisl. hlõ, hl« n. „Schutz;
Leeseite“, aengl. hlõo(w) n., afries. hl „Schutz“, as. (Akk.) hleo, hlea „Schirm, Obdach,
Decke“. Alle diese Wörter stammen aus german. *hlewa- „windgeschützter Raum,
windgeschützte Seite“ (Harðarson Prät 61), das auch ins Finnische als levo „Dachboden,
Außendach“ entlehnt worden ist (LÄGLOS II 196f.). Zugrunde liegt „[...] eine uridg.
Bildung *�ól-u / Gen. *�l-é -s „Umhüllung, Schutz, Schirm“ (von der Wurzel *�el-
„umhüllen, schirmen“), die in gleicher Weise zu urgerm. *hlewa- umgebildet worden ist
wie uridg. *dór-u / G. *dr-é -s […] und *�ón-u / G. *�n-é -s […] zu urgerm. *trewa-
„Holz, Baum“ bzw. *knewa- „Knie“.“ (Harðarson Prät 62).
Egerm2: Liehe schließt sich dagegen lautlich und semantisch gut an die german. Wurzel *leuh-
„leuchten, hell sein“ an, die in got. liuhaþ n. „Licht“ < german. *leuh-Dÿ-, as., ahd. lioht
„licht, hell“, mhd. lieht < german. *leuh-t-a- (Heidermanns PA 70) und Ableitungen dieser
Wörter wie z.B. *leuht-jan-, ahd. liuhten „leuchten“ bezeugt ist.
Ein anderes Suffix zeigen aisl. ljómi, aengl. O�RPD, as. liomo m. „Licht, Glanz“ < aus
german. *leuh-man- m. < vorurgerm. *leuk-mon- (de Vries s.v. ljóma).
1. Mhd. loh m., mhd. lohe m. und f., nhd. Lohe f., „Flamme, Licht“ (mit Genuswechsel),
lichterloh „mit leuchtender Flamme“ sowie – mit grammatischem Wechsel – aisl. logi m.
„Lohe, Flamme, Licht“ (de Vries s.v.) und afries. loga m. „Flamme, Lohe, Feuer“ <
schwundstufigem german. *luh/À-an- werden von Schaffner (VG 555-557) als Erweiterung
eines uridg. Wurzelnomens *léuk-, *luk-´ f. mit dem Suffix *-on- erklärt (auch Lühr 1988:
318 erwägt solchen Ursprung) und als vorurgerm. *léuk-on- : *luk-n-´ m. angesetzt.
Verallgemeinerung der Schwundstufe und Beibehaltung des mobilen Akzents (Lühr 1988:
318) führten dann über vorurgerm. *lúk-on- bzw. *luk-én-/*luk-n-´ zu den german.
Varianten *lúh-an- bzw. *luÀ-án- „Lohe, Flamme, Licht“ (Schaffner VG 556). Zum
Unterbleiben der n-Gemination vgl. Lühr 1988: 327-328 mit weiteren Beispielen.
2. Eine andere Basis für die n-Ableitung sieht Lühr (1988: 319) in einem o-stämmigen
Adjektiv: „Schließlich besteht die Möglichkeit, daß das Nebeneinander von
wurzelbetonten und suffix-/endungsbetonten Wortformen innerhalb eines Paradigmas von
Liehe 3
HLQHP�1HEHQHLQDQGHU�ZLH� JULHFK�� �0*��� ÄGHU�ZHLße Ausschlag“ und �0#�)"� ÄKHOO�� NODU��weiß“, ai. k�&$á- „schwarz“ und k ��&$� „die Schwarze“ zur Bezeichnung der Nacht
herrührt. Im Germanischen müßte dann in diesem Fall an entsprechende Bildungen das
individualisierende n-Suffix angetreten sein.“
Egerm3: Für Liehe, Lieh- sind drei morphologische Deutungen möglich:
a. Liehe steht aufgrund sekundären Genuswechsels neben älterem mask. *lieh(e) < german.
*léuh-an- m. „Licht, Flamme“, das evtl. in Liehhut erhalten ist (:� M/WB). Das
Nebeneinander von vollstufigem, wurzelakzentuiertem *léuh-an- und schwundstufigem,
suffix- oder endungsbetontem *luh/À-an- „Licht, Flamme, Lohe“ (ô Egerm2) beruht auf
1. Paradigmenspaltung eines ursprünglich ablautenden mobilen Paradigmas vorurgerm.
*léuk-on-, *luk-én-, *luk-n-´ (ô Egerm2
1.). Vergleichbar sind german. *a^-unái- : *a^-
unói : *a^-anói- m.f. „Neid, Missgunst“, die nach Schaffner (VG 447f) „zur
Rekonstruktion zweier Paradigmen mit bis in urgermanische Zeit lebendigem
Wurzelablaut [...] urgerm. *anáiz, Sg. Gen. unó z mit dem grammatischen Wechsel der
Verner-Varianten *-ái/ói- als Reflex der Mobilität des proterokinetischen Paradigmas
vorurgerm. *h3ónh2-ti- : h3Eh2-téi- [führen]. In der Entwicklung zu den altgermanischen
Einzelsprachen hin wurde die paradigmatische Allomorphie des Wurzelablauts [...] und
des grammatischen Wechsels [...] verschieden ausgeglichen.“ In Liehe läge so der letzte
Rest der von Schaffner postulierten vorurgerm. starken Kasusform *léuk-on- neben den
schwachen Formen *luk-én-/*luk-n-´ vor, die in den german. Einzelsprachen
verallgemeinert worden sind.
2. Auch ein o-stämmiges Adjektiv ist als Ableitungsbasis möglich (:�Egerm2 2.). Durch die
n-Erweiterung kann eine Bedeutungsveränderung eintreten, da das n-Suffix im
Germanischen oft eine individualisierende Funktion hat, die mit einer Substantivierung
einhergeht, z.B. german. *^lakka- „Schwärze“ (später auch in konkreter Bedeutung
„Tinte“) mit verbautem n-Stamm, das von einem Adj. *^laka- „schwarz“ abgeleitet ist
(Lühr 1988: 229, 317). Vorurgerm. *léuk-on-, *luk-én- bedeutete dann zuerst „Helligkeit,
Licht“ wie in Lohe und den anderen german. Belegen (:�Egerm2), später hat dann *lieh(e),
Liehe die konkrete Bedeutung „Licht-Gerät, Lampe“ angenommen (:�Egerm4).
Es gibt aber auch Fälle ohne wesentliche Bedeutungsdifferenz, z.B. aisl. holmr m. neben
holmi m. „Insel“ (Lühr 1988: 318), so dass auch eine Ableitung von einem
gleichbedeutenden Wurzelnomen *léuk-, *luk-´ „Licht, Helligkeit“ denkbar ist.
b. 3. Liehe f. ist alt und setzt german. *léuh-.(n)- f. „das Lichte, die Helligkeit“ als
Substantivierung (mit Akzentrückziehung auf die erste Silbe) eines uridg. Adj. *leuk-
Liehe 4
ó/áh2- „hell, klar, weiß“ fort. Das gleiche Nebeneinander von Adj. und fem. Abstraktum
findet man auch z.B. in ahd. faro „farbig“ und farawa „Farbe“ oder ahd. liub „lieb“ und
liuba „Liebe“ (Kr/M III 62ff. mit weiteren Beispielen). Das primäre Adjektiv als
Ableitungsbasis von Liehe ist in den german. Sprachen jedoch nicht erhalten.
Egerm4: Wörter für abstraktes „Licht, Leuchten, Hellsein“ nehmen häufig die konkrete
Bedeutung „Gerät, Mittel zum Leuchten, Hellsein“ an. Dies ist z.B. in mhd. lieht „Licht“
und „Kerze“ geschehen. Auch Komposita zeigen die konkrete Bedeutung „Kerze“, z.B.
mhd. lieht-stoc wie kerzen-stoc „Halter der Kerze“; und mhd. liuhte f. „Licht, Helligkeit“
und „Apparat zum Leuchten, Lampe“ (Lexer s.v. liuhte) entspricht nhd. Leuchte, das nur
noch das „Gerät zum Leuchten“ bezeichnet; z.B. ist im Bair. die Leuchte, Kienleuchte eine
Art kleiner Wandherd oder Kamin in Bauernstuben, auf welchem von Scheiten aus Kien-
oder Ahornholz ein Feuer mehr zum Erleuchten als Erwärmen unterhalten wird (Schm
BairWb 1, 1430). Dieselbe Art Wandherd oder kleiner Kamin wird im tirol. Dialekt durch
Liehe [l��] bezeichnet (ô B).
Wann sich in Liehe die Bedeutungsverschiebung von „Licht“ zu „Lichtgerät“ ereignet hat,
ist nicht mehr festzustellen, da auch in anderen idg. Einzelsprachen entsprechende
semantische Veränderungen zu beobachten sind (:�Eidg). Diese Bedeutungsverschiebung
konnte in verschiedenen Zeiten und Sprachen unabhängig voneinander eintreten.
Eidg: Die german. Form *léuh-an- / *luh-án- „Licht“ ist 1. eine n-Erweiterung entweder des
uridg. Wurzelnomens *léuk-, *luk-´ f. „Licht“, das in lat. lJx f. „Licht“, aind. rúc- bezeugt
ist (zu diesem Typus ablautender Wurzelnomina vgl. Schindler 1972: 31-38, zu rúc-
Schindler Wn 41) oder 2. eines o-stämmigen Adjektivs *leuk-ó-/áh2-. Das Wurzelnomen
und das Adj. gehören zu der uridg. Wurzel *leuk- „leuchten, hell sein“, die in zahlreichen
idg. Einzelsprachen fortlebt (LIV² 418f., EWAia s.v. ROC).
3. Die german. Form *léuh-.- führt auf ein uridg. Abstraktum *leuk-ah2- „das Lichte, die
Helligkeit“ neben einem primären Adjektiv *leukó-/áh2- „hell, licht, weiß“, die auch in
anderen idg. Sprachen bezeugt sind: griech. NHWM^T „hell, weiß“ : NH_MJ „weißer
Hautausschlag; weiße Pappel“; aind. rocá- „leuchtend“ : róca-, roká- m. „Licht,
Helligkeit“ (EWAia s.v. ROC; Frisk s.v. NHWM^T). Die semantische Veränderung von „Licht“ zu „Licht spendendes Gerät, Lampe“ kommt
bei dieser Wurzel auch in anderen idg. Sprachen vor, z.B. in griech. N_YPRT „Leuchte(r)“ <
*luk-s-no- und lat. lucerna „Lampe“ < *luk-es-nah2-, von dem air. lúacharn, lócharn f.
„Lampe“ < *leuk-es-nah2- nur in der Ablautstufe der Wurzel verschieden ist (IEW 687ff.).
Liehe 5
$QGHUH�JOHLFKEHGHXWHQGH�9HUEHQ�ZLH�]�%��JULHFK������0���ÄOHXFKWHQ��VFKHLQHQ³��/,9�����s.v. leh2p-) zeigen bei den nominalen Ableitungen ebenfalls den Übergang vom
DEVWUDNWHUHQ�Ä/LFKW³�]XP�.RQNUHWXP�Ä/DPSH³��]�%��LQ�JULHFK��������XQG��.���"��-?GRT f. „Fackel; Signalfeuer“, von dem über romanische Vermittlung das dt. Wort Lampe entlehnt
worden ist.
Lit: B ThWb s.v. Liehe, Liehhut; Kranzmayer 1960; WB MhdGr 198; Frnhd Gr 175f.; EWD
s.v. Binse, Lohe; L Sp ThGr 222f; EWDD s.v. Leuchse; Egerm ThWb s.v. Liehe; HarÞarson
Prät 61f.; LÄGLOS II 196f.; Heidermanns PA 70; de Vries s.v. ljóma, logi; Schaffner VG
447f., 555-557; Lühr 1988: 229, 317ff., 327f.; Kr/M III 62ff; Lexer s.v. lieht, liuhte; Schm
BairWb 1, 1430; Eidg Schindler 1972: 31-38; Schindler Wn 41; LIV² 402, 418f.; EWAia
s.v. ROC; Frisk s.v. �0#�)"���,(:����II��
Liene 1
Liene Sb f. „Sau, Mutterschwein“, nur historisch belegt:
Z: Das zweimal nur in einer Urkunde aus dem Jahre 1596 in Burgk (Nähe Schleiz) belegte f. Subst. leyne
„Mutterschwein“ findet sich auch in obdt. und mdt. Dialekten als Lehne oder Liene. Der früheste
Beleg für alemann. liene stammt aus dem 15. Jhd. Ein in der einschlägigen Literatur immer wieder
zitiertes mfrk. leha „Mutterschwein“ existiert nicht (:�%���'DV�:RUW�liehe ist auch ins Frz. (und nur
dorthin) als (älter) lée, (jünger) laie „Mutterschwein“ entlehnt worden (:� :*���Liene ist eine n-
Erweiterung von liehe wie auch Biene neben mhd. bie, dial. nhd. Beie, Bie „Biene“ (:�:%��(germ).
Liehe und Liene gehören zu einer uridg. Wurzel *leu- „beschmutzen“ und bedeuten „die Dreckige,
Suhlerin“. Die Bedeutungsentwicklung zu „Sau, Mutterschwein“ lässt sich durch Parallelen stützen
(:�(idg).
B: Das Subst. Liene f. ist im Thür. nur zweimal in einer Urkunde belegt: … 36 schefl 1 viertl
32 mahs habern von nachfolgenden vhie als: 30 pferden, 79 khuen, 12 jehrigen, 8 heurigen
kalben, 8 leynen, 2 jehrigen schweynen, … (1596; Urk.-Best. Burgk S. 15) und … 1 leyne
… (ebd. S. 12) (ThWb s.v. Liene). Möglicherweise gehört das Kompositum Lienebuttchen
„kleine Bonbons, die Kaufleute den Kindern als Zugabe schenken“ hierher; die
kindersprachlichen Bezeichnungen für Bonbons sind vielfältig und bedienen sich auch
mancher Wörter für Tiere, z.B. Rattenknochen oder Zuckerfisch (ThWb s.v. Bonbon) nach
der länglichen oder rundlichen Form. Lienebuttchen sind dann etwa „Schweinekuhlen“
(Buttchen „Vertiefung, Kuhle, kleines Loch“; ThWb s.v.).
Das Wort gehört zu spätmhd. liehe, liene f. „wilde Sau, Bache“, in neuerer Zeit auch Lehne
(Lexer, BMZ s.v. liene; DWb s.v. Lehne; Campe III 69; Adelung 2, 1980): waß sie allso
von schwinen und beeren fähent, da sollent sie von eim beren das höpt und von eim
hawenden schwin und einer lienen öch das höpt geben, und von eim frischling nuntz (15.
Jhd. Schwarzwald; Weisthümer 1, 386); da kam ein grosze lien har gsprungen vor den
hunden mit jren jungen (16. Jhd.; bei der Sauhatz; Wickram bilger 18b); alte sau heiszt ein
hauend schwein, zwei järig schwein ein backer, schweinmutter ein leen oder bach (16.
Jhd.; Sebiz Feldbau 569); wer einen wilden eber fahet, der ist einen zaumen schuldig und
sechtzig schilling. wer eine liehe fahet, der ist schuldig ein zaume saw und sechtzig
schilling (Weisthümer 2, 153).
Die Zusammenstellung mit dem folgenden Beleg, der bei Lexer, BMZ, Adelung 2, 1980
und Meyer-Lübke REW 4973 angeführt ist, muss abgelehnt werden: Ut unusquisque iudex
per villas nostras singulares etlehas, pavones, fasianos, enecas, columbas, perdices,
turtures pro dignitatis [recte statt dignitahs] causa omnimodis semper habeant. (Capitulare
de villis Karls des Großen, Satz 40). Zwar wird üblicherweise etlehas als et lehas aufgelöst
und lehas als „Schwein“ interpretiert. Dagegen spricht aber, dass alle Tiernamen in dieser
Liene 2
Aufzählung nur Namen für Vögel sind; die Schweinehaltung kommt in einem anderen
Absatz des Textes vor (zu einer anderen Interpretation vgl. Ziegler in Vorber.).
M: Der Plural von liene, thür. leyne lautet leynen, auch ein G. und D.Sg. lienen, die auf einen
schwachen Stamm deuten, sind in anderen Dial. bezeugt (:�B). Schon im Ahd. sind die st.
f. À-Stämme und die schwachen f. n-Stämme teilweise zusammengefallen (Braune/Eggers
AhdGr 194; MhdGr 198; FrnhdGr III138ff.) wie z.B. in mhd. zunge, Gen. Sg. zungen oder
bîne, Gen. sg. bînen „Biene“ (MhdGr 204).
WB: Die mhd. Belege des ohnehin nicht häufig bezeugten Wortes zeigen zwei Varianten:
liene und liehe ohne -n-. Vgl. dazu das Verhältnis von dial. Beie, Bie, mhd. bîe und Biene,
mhd. bine (:�Egerm). liehe kann ein [lÍ(j)e] mit unorganischem, graphischem -h- wie in
niehe „nie“, nuhen „nun“, gehen usw. wiedergeben (Frnhd Gr 126). Ebenso wie bei B(e)ie
und Biene kommen beide Formen liehe und liene nebeneinander vor.
L: Ausgehend von den oben (:� B) angeführten spätmhd. und frnhd. Belegen ist die
zugrundeliegende mhd. Form als liehe und erweitertes liene mit Diphthong -ie- zu
bestimmen. Dieses mhd. -ie- wurde im Zuge der Monophthongierung zu nhd. -¯-. Die thür. Belege leyne Sg. und leynen Pl. lassen zwei Interpretationsmöglichkeiten zu:
1. Sie zeigen entweder die lautgesetzliche Entwicklung des mhd. Diphthongs <ie> zu der
am Rande des zentralthür. Gebietes und in der Gegend um Schleiz vorkommenden
'LDOHNWYDULDQWH� >OLQ�], geschrieben <leyne> (Sp ThGr 122ff.); häufiger ist im Thür. als
)RUWVHW]HU�GHV�PKG��'LSKWKRQJV��LH!�GHU�/DXW�>�>�RGHU�>¯@�� 2. Oder es handelt sich um Belege einer Schreibung für dialektales [�] mit
Dehnungszeichen <i, y> wie z.B. in preister� >SU��@� Ä3ULHVWHU³�� leyf� � >O�Y@� ÄOLHE³��GLH� LP�Mfrk., Ost-, Niederhess. und Wthür. bis ins 17. Jhd. vorkommt (FrnhdGr 69); zur Senkung
(bzw. Schreibung) von mhd. ie zu � im Rip., Niederhess. und Wthür. vgl. FrnhdGr 62.
Da die Belege aber in einer Urkunde aus Burgk (Nähe Schleiz, nicht Wthür.) vorkommen,
ist der erste Lösungsvorschlag vorzuziehen.
Die Formen lien und leen anderer Dialekte zeigen die häufig auftretende Apokope von
unbetontem -e im Auslaut, vgl. auch bach statt Bache (:�B; FrnhdGr 80f.).
WG: Die spärlichen Belege für afrz. lée, frz. laie „Sau, Mutterschwein“ (Adelung 2, 1980;
Meyer-Lübke REW 4973) werden von manchen Forschern als Entlehnungsgrundlage des
mhd. liehe und liene angesehen (Lexer, BMZ s.v. liene). Dagegen nehmen Diez (Wb
romSpr 2,355) und Meyer-Lübke (REW 4973) umgekehrt für frz. laie ein Lehnwort aus
dem Dt. an. Für diese Sichtweise spricht, dass keine weitere romanische Sprache Fortsetzer
dieses Wortes zeigt. Das Frz. stützt aber die Vermutung, dass liehe die ältere Form des
Liene 3
Wortes darstellt (:�WB, Egerm). Die Bedeutung ist ursprünglich „wilde Sau, Bache“ im
Gegensatz zur „zahmen Sau“, das Wort wurde dann aber teilweise auch als Bezeichnung
für die zahme Sau, die Junge hat, verwendet (:�B).
Egerm: Neben liehe steht die Form liene wie neben nhd. dial. Beie, Bie, ahd. as. E¯D n., mhd.
bîe die Form Biene, mhd. bine, ahd. bina f., bini n., as. bina n. < german. *ELQÀ-, -ni-, -na-.
Die anderen german. Sprachen zeigen hier ausschließlich n-lose Formen, z.B. aengl. E�R f.,
anord. bý n. „Biene“ < german. *bi(j)a(n)- n., *EL�M�À�Q�- f. Vom obliquen Stamm *bin-
sind dann durch Anfügung weiterer Ableitungssuffixe *bin-a- n., -i- n. , -À- f. entstanden
(EWD s.v. Biene). Ähnliches ist auch in liene aus liehe eingetreten: Vom obliquen Stamm
lie(h)en- < ahd. *lion- < frühahd. *OLR�M�À�Q�- < german. *leu-MÀ�Q�- f. ist eine
innerdeutsche Erweiterung frühahd. *lion-À�Q�- f. > mhd. liene gebildet worden. liehe und
liene f. „(wilde) Sau“ haben in anderen german. Sprachen keine direkte Entsprechung, die
zugrundeliegende Wurzel uridg. *le - „beschmutzen, besudeln“ ist jedoch mit anderen
Ableitungen in allen german. Sprachen bezeugt (ú EWDD s.v. Laum). Ähnliche
Bildungen mit fem. *-MÀ�Q�- sind z.B. dt. Mähre, mhd. wülpe „Wölfin“, ahd. reia
„Rehgeiß“, aengl. bicce „Hündin“, die teilweise n-Erweiterungen alter *¯-�MÀ- Stämme
(uridg. *-ih2/�ah2-) sind (Kr/M III 98ff.) und meist neben Mask. stehen. Ob es neben dem
fem. liehe ursprünglich ein Mask. gegeben hat, ist jedoch nicht nachzuweisen.
Eidg: Das german. Transponat *leu-MÀ�Q�- aus uridg. *le -�ah2- gehört zu der Wurzel *le -
„beschmutzen“ (LIV² 414). Die Suffixe *-�o- m. und *-�ah2- f. haben auch im German.
mehrere Funktionen (Kr/M III 70ff.), unter anderem die Bildung von Nomina agentis, vgl.
z.B. anord. seggr, aengl. secg „Mann, Gefährte, Gefolgsmann“ (< *„Folger“; lat. socius
„Freund, Gefährte“ < *sok h2(i)-�o- ist Umbildung eines uridg. *sok h2��-, sok h2i- in aind.
sákh�y-, sakhi- m.f. „Freund, Genosse, Gefährte“; EWAia II 684f.; Lühr HS 104: 17317;
Schrijver LatLar 249) oder von Adjektiven, z.B. ahd. luggi „lügnerisch“, und von fem.
Zugehörigkeitsbildungen, vor allem als n-Erweiterung (:� Egerm). liehe aus *le -�ah2-
bedeutet also ursprünglich etwa „die (sich im Dreck) Beschmutzende, die Dreckige,
Suhlerin“. Die Affinität von Schweinen zu Dreck oder Matsch ist hinlänglich bekannt, vgl.
z.B. lat. troia „Mutterschwein“ (davon das it. Verb intrugliare „pantschen, im Matsch
herumwühlen, sich beschmutzen“ und das campid. Adj. troyu „schmutzig“), das aus urital.
*trog-L�- „die Dreckige, Dreckwühlerin“ hergeleitet wird (Walde/Hofmann LEW II 708;
Meyer-Lübke REW 8933) und zu einer uridg. Wurzel *(s)ter�-/(s)tre�- „beschmutzen“ (dt.
Dreck; EWA II 764f.) mit Auslautsvariante *(s)ter�- (LIV² 600) gehört. Auch
Liene 4
volksetymologische Umbildungen wie bair. Sau-lache (Schm BairWb 2,199) aus Suhl-
lache (DWb s.v. Suhllache) eigtl. „Lache zum Suhlen“ zeigen diese semantische Nähe.
Vgl. z.B. auch (eine best. Person, die) gleich wie ein wildes schwein durch schilff und
dickes rohr kömpt aus der tiefsten suul und mit gewalt hervor (1636; Werder Ariost 14, 96)
oder den lat. Ausdruck sus lutulentus „sich im Matsch suhlendes Schwein“ (lutulentus ist
eine Ableitung von lat. lutum, s.u.). Eine ähnliche Vorstellung liegt auch McCone“s
etymologischer Deutung von air. torc, ky. twrch „Eber, Keiler“ als *t or�o- „Wühler“
samt jav. �ïarãsa- zur uridg. Wurzel *t er�- „aufwühlen, graben“ (LIV² 656) zugrunde
(McCone MSS 1994: 99f.).
Die uridg. Wurzel *le - ist in mehreren idg. Sprachen bezeugt, als Verb aber nur in lat. pol-
luere� ÄEHVFKPXW]HQ�� EHVXGHOQ³� �%RFN� /DW9E��� 1RPLQDOH� $EOHLWXQJHQ� VLQG� JU�� �#��.� Q��„Waschwasser, abgewaschener Schmutz“ < uridg. *lu-sm�- (LIV² 414 Anm.1), lat. lutum n.
„Matsch, Dreck, Pfütze“ < *lu-to-, air. loth� ��� I�� Ä6FKPXW]³� �� lu-tah2; gr. N�bSRP „geronnenes Blut“; air. con-lúan „Hundekot“ < *�uno-le -no-; lit. lutýnas „Pfuhl,
Lehmpfütze“ (IEW 681).
Lit: B ThWb s.v. Liene, Bonbon, Buttchen; Lexer s.v. liene; BMZ s.v. liene; DWb s.v. Lehne;
Campe III 69; Adelung 2, 1980; Weisthümer 1,386; 2,153; Wickram Bilger 18b; Sebiz
Feldbau 569; Meyer-Lübke REW 4973; Capitulare de villis 40; Ziegler in Vorber.; M
Braune/Eggers AhdGr 194; MhdGr 198, 204; FrnhdGr III 138ff.; WB FrnhdGr 126; L Sp
ThGr 122ff.; FrnhdGr 62, 69, 80f.; WG Adelung 2, 1980; Meyer-Lübke REW 4973;
Lexer, BMZ s.v. liene; Diez Wb romSpr 2,355; Egerm EWD s.v. Biene; EWDD s.v. Lum;
Kr/M III 98ff.; Eidg LIV² 414; Kr/M 70ff.; EWAia II 684f.; Lühr HS 104: 17317; Schrijver
LatLar 249; Walde/Hofmann LEW II 708; Meyer-Lübke REW 8933; EWA II 764f., LIV²
600; Schm BairWhb 2,199; Werder Ariost 14, 96; LIV² 656; McCone MSS 53: 99f.; Bock
LatVb s.v. polluere; LIV² 414 Anm.1; IEW 681.
Liere, Liese 1
Liere Sb f. „Furche, Graben, (Wasser)rinne“
Liese Sb f. „Spalt, Ritze, Furche“
Z: Thür. Liere f. „Furche, Graben, (Wasser)rinne“ geht zusammen mit Liese f. „enger, wasserführender
Graben“ und sächs. Liese f. „Spalt, Ritze im Fels“ auf einen uridg. proterokinetischen fem. i-Stamm
*h2léis-i-s, Gen. *h2lis-éi-s oder eher *h2lóis-i-s, Gen. *h2lis-éi-s zurück. Der Akzentwechsel zeigt sich –
wie bei vielen anderen german. Wörtern auch – im grammatischen Wechsel von Liere und Liese.
Weiteren Anschluss bieten lat. l
ra f. „(Acker-) Furche“, aksl. lýý
cha f. „Furche, Beet“ und das griech.
(kypr.) Part. Perf. Med.-P. ÑÑPP
-DNDNLUO@PDDNDNLUO@PD
„eingeritzt, eingraviert“ < urgriech. *(en-)al-�lis-meno- <
uridg. *h2le-h2lis- mit Perfektreduplikation und regelrechter Schwundstufe im Part. (ôô
Eidg
). Diese
Wörter weisen auf eine Wurzel *h2leis- mit der Grundbedeutung „einfurchen, einritzen“ bzw.
„Furche, Ritze, Rinne“ und werden von der uridg. Wurzel *leis- „lernen“ in got. lais „ich weiß“ usw.
getrennt.
B: In den thür. Mdaa. ist ein f. Substantiv Liere „Furche, (Wasser)rinne“ belegt: hack ma ne
Leern „hacken wir eine Wasserrinne“, mach emol mätn Beene änne Leere „mach einmal
mit dem Fuß eine Furche“. Das Wort bedeutet auch „schmaler Gang zwischen zwei
Häusern“ und „Fußspur“; „Vertiefung, in die beim Murmelspielen die Murmeln
geschossen werden“, selten „lange Heureihe“ und „Scheitel im Haar“. Ein Kompositum
Sottenliere „Jauchegrube, -rinne“ ist ebenfalls bezeugt. Ohne grammatischen Wechsel (ô
L²) gehört hierher Liese f. „Wasserrinne, enger wasserführender Graben“: Im Jahre 1633
wurde ein Kind in der Ließen getauft (ThWb s.v. Liese³), als sich einige Leute während
Plünderungen versteckt hielten.
In der sächs. Bergmannssprache ist Liese eine enge Kluft oder Spalte, in die sich kaum ein
Keil einsetzen lässt (Jacobsson techn. Wb. s.v. Liese).
M: Liere und Liese setzen fem. *i-Stämme fort (:�Egerm). Die Flexion der fem. i-Stämme ist
ab dem Mhd. in die Flexion der -À(n)-Stämme übergetreten (Gr des Frnhd III.1 75f): „Die
Gruppe der ehemaligen i-Stämme wird hinsichtlich der Pluralbildung aufgespalten. Alle
Lexeme, deren Stamm nicht umlautbar ist [...] wie Flut, -schaft, Furche, Stute [...] erhalten
-(e)n-Plural und fallen so mit den übrigen Feminina zusammen.“ Auch die i-Stämme
erhalten häufig ein sekundäres -e wie z.B. mhd. furch > nhd. Furche. Der n-Antritt bei den
schw. Fem., z.B. in w�s(�)n N.Sg.f. „Wiese“, ist im gesamten westthür. Gebiet anzutreffen
und scheint aus dem Würzburger Raum zu kommen (Sp ThGr 240).
WB: Sottenliere, Suttenliere „Jauchegrube, -rinne“ ist ein Determinativkompositum mit dem
Vorderglied Sotten-, Sutten- als Ableitungsbasis zu Sotte, Sutte „Jauche, Mist“, das nur in
Hessen, Thüringen und Teilen von Franken gebräuchlich ist (DWb s.v. Sotte, ThWb s.v.
Sutte, Suttenliere).
Liere, Liese 2
L1: Die lautlichen Vertretungen von Liere sind vielfältig: lyr# in Zentralthür., ly#n im
südwestl. Zentralthür., l�r# selten im Wthür., l�rn selten in W- und einmal belegt in Othür.,
l%r# Erfurt, im restlichen Zentral- und Sthür. le Ö�r#, le Ö�n. Diese Verteilung entspricht der
dialektalen Entwicklung von mhd. � mit sekundärer nhd. Vokaldehnung (Sp ThGr 79ff.). In
einigen thür. Mdaa. wird das r vokalisiert und ergibt mit dem vorhergehenden Vokal
„diphthongoide Gebilde“, unter anderem �Öa in l�Öan und �� in l��n (Sp ThGr 107). Liere
geht somit auf ein mhd. *l�r(e) zurück wie z.B. Spier(e) aus spmhd. spir (EWD s.v.
Spiere). Liese lässt sich aus mhd *l�s(e) erklären, vgl. z.B. ahd. wisa > mhd. wise > nhd.
Wiese f. (Braune/Eggers AhdGr 32) oder ahd. risi > mhd. rise > nhd. Riese m. (EWD s.v.
Wiese, Riese).
L²: Das Nebeneinander von Liere und Liese beruht auf grammatischem Wechsel, der durch
unterschiedliche Akzentuierung im Vorurgerm. bzw. im Uridg. hervorgerufen wurde
(Schaffner VG 370, 372; :�Egerm1 und Eidg). Ein ähnliches Nebeneinander findet man in
dt. Öhr und Öse oder ahd. elira- „Erle“ und spätahd. else- in elsenboum „Erle, Faulbaum“,
mndd. else „Erle“ (Schaffner VG 380ff.).
WG: Liese f. „enge Spalte oder Ritze, in die man den Keil nicht einsetzen kann“ ist ein Wort
aus der sächs. Bergmannsprache, die sehr altertümlich ist und selten Lehnwörter aufweist
(Schirmer Sonderspr 30). Die Bergmannsprache ist eine der ältesten bekannten
Fachsprachen in Deutschland; ihre Ursprünge liegen in den Bergbaugebieten des
Erzgebirges um Freiberg und Joachimsthal (s. dazu Kissenbeck, Fachsprache). Die meisten
dieser fachsprachlichen Wörter sind sächs., also md., Ursprungs, auch wenn einige nord-
und süddt. Wörter übernommen wurden (Mendel, Bergwerkspr 161-171).
Egerm1: In Liere f. „Furche, (Wasser)rinne“ und Liese f. „Ritze, Rinne“ aus mhd. *l�r(e) und
*l�s(e) muss ein i-Stamm german. *liz-i-, *lis-i- vorliegen, da ein german. f. -�(n)-Stamm
*lis-À�Q�- „Furche, Falte“ mit dem west- und nordgerman. a-Umlaut zu ahd. lesa, mnd.
lese sw. f. „Runzel, Falte“ geführt hat. Eine ablautende Form derselben Wurzel ist bezeugt
in nhd. Geleis(e) n., mhd. geleis f. „in den Boden eingedrückte (Wagen)spur“ als
Kollektivbildung zu mhd. leis(e) f., ahd. wagan-leisa f. „in den Boden eingedrückte
Wagenspur“ (EWD s.v. Geleise). Der grammatische Wechsel in Liere und Liese deutet auf
ein altes proterokinetisches Paradigma (:�Eidg) und ist bei i-St., vor allem aber bei alten
fem. ti-Abstrakta, häufig und hat zu zahlreichen Paradigmenspaltungen geführt (Schaffner
VG 446-487 m. weit. Lit.). Parallele Beispiele sind außerdem german. *asani- : *az(a)ni-
„Sommer, Erntezeit“ in got. asans f. i-St. „Sommer, Erntezeit“ : ahd. arn f. i-St. „Ernte“,
aran m. i-St. „Ernte“ u.a. (Schaffner VG 450ff.) und german. * r�$i- : * r�Ài- „Rüge,
Liere, Liese 3
Tadel, Anklage“ in got. wr.hs f. i-St. „Anklage” : mhd. rüege, mndd. wr.ge „Anklage,
Tadel, Rüge“ (Schaffner 485ff.).
Ferner gehören hierher got. laists, aisl. leistr, aengl. lãst, l¾st, ahd. leist m. „(Rad-, Fuß-)
Spur“ (< german. *lais-ta-/-ti-). Alle genannten german. Wörter führen zu einer
Grundbedeutung „Vertiefung, Furche, Ritze, Spur“ entweder im Boden, Fels oder Gesicht.
Egerm2: Weitere german. Wörter wie got. lists, aisl., aengl., as. ahd. list f. „List, Klugheit,
Scharfsinn“ (german. *lis-ti-), got. lais „ich weiß“, as. lõrian, ahd. lõren „lehren“ usw. (aus
einem Kaus. *lais-jan „jdn. etwas wissen lassen“) zeigen eine andere Bedeutung
„verstehen, wissen, klug sein“. Sie werden traditionell unter Einbeziehung der in Egerm1
genannten Wörter wie ahd. (wagan)-leisa „(Wagen-) Spur“ erklärt als „nachspüren“ >
„folgen“ > „verstehen“ > „wissen“. Neuerdings (z.B. LIV² 409 s.v. *le�s- „lernen“ m. weit.
Lit.) werden sie als Ableitungen einer eigenständigen Wurzel aufgefasst. Dies wird nun
gestützt durch griech. Belege, die für die in Liere usw. vorliegende Wurzel eine
Grundbedeutung „eingraben, furchen“ wahrscheinlich machen und auf eine andere uridg.
Lautform *h2le�s- mit anlautendem h2 deuten. Im German. sind durch den regelgerechten
Schwund des anlautenden Laryngals beide Wurzeln lautgleich geworden.
Eidg: Uridg. proterokinetische fem. i-Stämme zeichnen sich durch Akzentwechsel und Ablaut
aus. Die starken Kasus haben in der Wurzel eine akzentuierte e-Vollstufe, die schwachen
Kasus eine unakzentuierte Schwundstufe und betonen das Suffix, das in der e-Vollstufe
erscheint: Nom. *mén-ti-s, Gen. *mE-té�-s werden z.B. im German. zu *menái- : *menói- :
PXQÿL��(Schaffner VG 474ff.), wo auch der Ablaut noch in verschiedener Weise fortlebt.
Aber in den meisten Fällen haben die german. fem. i-Stämme nur den Akzentwechsel in
Form von grammatischem Wechsel bewahrt (Schaffner VG 446). Das Nebeneinander von
german. *liz-i- und *lis-i- weist so entweder auf einen uridg. proterokinetischen i-St.
*h2lé�s-i-s, *h2lis-é�-s „Bodenfurche, Graben, Rinne“mit e-Vollst. im Nom., vgl. *sléh1g/�-
i-s, Gen. *s�h1g/�-é�-s „Grenze“ in osk. slaagi- „Grenze“ (Joseph, Glotta 60: 112-115),
oder eher auf *h2ló�s-i-s, *h2lis-é�-s mit o-Vollstufe im Nom., vgl. *mór-i, Gen. mr-é�-s n.
„Meer“ (Klingenschmitt Toch 401; Widmer Korn d.w. Feldes 52). Ahd. lesa „Furche,
Runzel“ aus german. *lis-.(n)- setzt dagegen ein uridg. schwundstufiges Fem. *h2lís-ah2-
fort, das dem Typ gr. /��� „Weisung, Recht“ < uridg. *dí�-ah2- (zur Wurzel *de��-
„zeigen, weisen“, LIV² 108f., Risch, HomWb) genau entspricht, und ahd. -leisa f. „Spur,
Bodenfurche“ einen german. fem. --St. *lais-�(n)- aus uridg. *h2lóis-ah2-.
Liere, Liese 4
Aus anderen idg. Sprachen gehören hierzu: lat. l�ra „Ackerfurche, Furche“ (< *h2leis-ah2-),
aksl. O�FKD „Furche, Beet“ (< *h2lois-ah2-) = ahd. -leisa. Der anlautende Laryngal ergibt
sich aus dem kypr. Part. Perf. Med.-P. ÑP-DNDNLUO@PD „eingeritzt, eingraviert“ < vorgriech.
*(en-)al-�lis-meno- < uridg. *h2le-h2lis- mit Perfektreduplikation und regelmäßiger
Schwundstufe im Part. (wie ¾H�XWF�O@PRT von XH_F[). Die Wurzel muss daher als *h2leis-
„einfurchen, einritzen“ angesetzt werden. Ein Hesych-Beleg ¡NBPHLP � ¡NHBXHLP
„beschmieren“ (< *„mit Ritzungen verunstalten“) kann als /al�n-/ < *h2li-n-s- mit Schwund
des s nach n und Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals (außer im Äol.; Rix HistGr
78f.) und somit als n-infigierte Form gedeutet werden. LIV2 277 ordnet diesen Beleg mit
Herleitung aus *h2li-n-H- bei der Wurzel *h2leiH- „beschmieren“ ein und führt unter Anm.
3 das eben genannte kypr. Part. Perf. an. Doch ÑP-DNDNLUO@PD zeigt eindeutig das
wurzelschließende s, für das keine andere Erklärung möglich ist.
Die von LIV2 409 angeführte Wurzel *leis „lernen“ muss tatsächlich – wie dort vermutet –
von lat. l ra „Furche“, ahd. -leisa „Spur“ und aksl. lýcha „Furche, Beet“ getrennt werden.
Diese Wörter gehören zu der Wurzel *h2leis- „einfurchen, graben“ bzw. „Furche, Ritze,
Spur“, deren oben angeführte einzelsprachliche Fortsetzer die Bedeutung jeweils noch sehr
gut bewahrt haben.
Lit: B ThWb s.v. Liere und Liese; M Gr des Frnhd III.1 75f; WB DWb s.v. Sotte; ThWb s.v.
Sutte, Suttenliere; L1 Sp ThGr 79ff., 107; EWD s.vv. Riese, Spier(e), Wiese;
Braune/Eggers AhdGr 32; L² Schaffner VG 370, 372, 380ff.; WG Schirmer Sonderspr 30;
Kissenbeck Fachsprache; Mendel, Bergwerkspr 161-171; Egerm1 EWD s.v. Geleise;
Schaffner VG 446-487; Egerm2 LIV² 409; Eidg Schaffner VG 85, 446, 474ff.; Widmer Korn
d.w. Feldes 52; Joseph Glotta 60: 112-115; Klingenschmitt Toch 401; LIV² 108, 277, 409;
Risch HomWb; Rix HistGr 78f.
Lock 1
Lock Sb n. m. 1. „unbestimmte Menge“ (etwa ein Armvoll oder was man mit einer Heugabel
greifen kann); 2. (selten) „Haufen von zusammengerechtem Heu oder Gras“
Z: Das thür. Subst. Lock n. m. „unbestimmte Menge“, „Haufen von zusammengerechtem Heu oder Gras“
gehört samt rhein., schwäb., schweiz. Lock „Handvoll, Häufchen“, pfälz. Locken „Bündel, Last;
Heuhaufen; Armvoll Getreide“ und weiteren dialektalen Varianten zu einem mhd. st. Verb liuchen,
das in neuerer Zeit nur in obd. Dialekten als liechen erhalten ist und „abrupfen, ausreißen“ bedeutet.
Aufgrund semantischer Parallelen (:�:*��NDQQ�GLH�XUVSU�QJOLFKH�%HGHXWXQJ�YRQ�Lock als „Abrupf“
bestimmt werden. Diese und andere germanische und indogermanische Wörter weisen auf eine gut
bezeugte uridg. Wurzel *leug- „brechen, abreißen, lösen“.
B: In N-, W- und zentralthür. Mdaa. ist ein ntr. oder m. Subst. Lock als Bezeichnung für eine
unbestimmte Menge von Obst, Getreide oder auch von Menschen bezeugt, z.B. in gab „n
Kalbchen „n Leckchen Heu!; da wohnten immer ä Lock Studenten; ä ganz(es) Lock „nicht
eben geringe Menge“; mi haddn Uestern noch a Lock Äpfel „an Ostern hatten wir noch
einige Äpfel“. Üblicherweise wird eine Menge von etwa einem Armvoll gemähten
Getreides oder eine kleine Menge an Garn, Obst usw. mit Lock bezeichnet. Das
kurzhalmige Getreide (vor allem Hafer) wurde auf Schwad gemäht und dann auf Lock, also
etwa soviel, wie man mit einer Heugabel greifen und aufladen kann, zum Trocknen gelegt.
Zwei Lecke (Löcke) ergeben jeweils ein Bündel (ThWb s.v. Lock). Des weiteren ist ein
Deminutiv Löckchen n. „kleine Menge“ bezeugt und eine Kollektivbildung Gelöcke n.
„unbestimmte Menge“ in N- und Zentralthüringen, z.B. in der Redewendung en ganzes
Glick (ein ganzes Gelöcke) „ziemlich viel“ (ThWb s.v. Gelöcke).
Aus anderen deutschen Dialekten gehört hierher rhein. Lock m. „Handvoll, Häufchen
Hafer, Heu, Streu“ und „Stück Rasen“, das für den Dachfirst eines Strohdaches verwendet
wird, z.B. in ovven op de Fiürsch vam Strühdach wuürte Löck (odder Waseme) geleg, Lock
bezeichnet auch einen grasdurchwachsenen Erdklumpen (RheinWb s.v. Lock IV); pfälz.
Locken m. „Bündel, Traglast; Heuhaufen; Armvoll Getreide; unbestimmte größere
Menge“, z.B. in en Locken Gras oder Du hoscht im G’schäft e Locke Iwwerstunne gemacht
(PfälzWb s.v. Locken); schwäb. und schweiz. Lock m. „Büschel, etwa ein Handvoll oder
Armvoll“, z.B. in Mutter, gib em Kälble ’s Futter, gib ihm e Löckle, oder auch in dem
Ausdruck das Heu lockweise umwenden. Ein zerstückelter Eierkuchen wird im Schwäb.
Locken m. genannt (SchwäbWb IV 1270f.).
Das steir. Subst. Luch, Lucht m. „abgeriebene, abgezupfte Teilchen von Tuchstoffen“ und
„fein gezupfte Leinwand“ sowie das Adj. luchet, luchig „abgenützt, fadenscheinig“ können
ebenfalls hierher gestellt werden (:�Eidg; SteirWb s.v. Luch, luchet).
Lock 2
Das Mhd. bietet ein st. Verb liuchen, Part. II gelochen, das in neuerer Zeit nur in obd.
Dialekten als liechen „ausziehen, ab-, ausrupfen“ bezeugt ist (DWb s.v. liechen). Im
Schwäb., Bair. und Schweiz. sind davon zwei Nomina instrumenti Liechel m. „Hacke,
Heugabel“ und Liecher (meist Heulicher) „id.“ abgeleitet worden. Daneben steht lûchen,
Part. II gelochen, „pflücken, rupfen, herausziehen“ (BMZ s.v. liuchen (1023); Lexer s.v.
lûchen (1974f.)), das lautlich mit lûchen „schließen“ zusammengefallen ist (:�Egerm, Eidg)
und im Mndl. und Niedersächs. als l�ken „ausrupfen, herausziehen“ (z.B. Flachs ) belegt
ist (deVries NEW 415 s.v. luiken und 408 s.v. lok).
M: Da die anord. Entsprechung lok „(Un)kraut“ ein ntr. o-St. ist, dürfte das ntr. Genus des
thür. Wortes ursprünglich und der Pl. Löcker die ältere Form sein. Genuswechsel ist im
Thür. nicht selten (Sp ThGr. 238) und des öfteren durch Übernahme aus synonymen oder
reimenden Wörtern erklärbar, hier vielleicht durch das Synonym Armvoll m. oder das
Reimwort Bock. Dagegen hat die thür. Pl.-Form Löcke (vom Sg. Lock m.) nach zahlreichen
Vorbildern den Umlaut von den i-St. übernommen (MhdGr 190).
WB: Lock n. oder m. ist ein o-St. mit der ursprünglichen Bedeutung „Abrupf“ bzw. „das
Abgerupfte“ (vgl. Bruch „das Zerbrochene“, EWD s.v. Bruch) und gehört zu dem
niedersächs. Verb l�ken „rupfen, ausreißen“ sowie zu mhd. liuchen, lûchen „pflücken,
rupfen, herausziehen“, ahd. ar-liuhhan „abrupfen“, aengl. l�can „jäten“ (= „Pflanzen
herausziehen, ausreißen“, vgl. thür. ausrupfen „jäten“), mnd. l�ken „ziehen, zupfen“,
afries. l�ka „auszupfen, herausziehen“ und anord. lok n. „Unkraut“ (IEW 686; deVries
AEW 364). Diminutive auf -chen oder -lein sind Thür. Löckchen, Löckle und schweiz.
Löcklin. Im S-Thür. wird das Suffix -lein verwendet, das restliche thür. Sprachgebiet zeigt
-chen (Sp ThGr 242f.). und eine Kollektivbildung wie Gebirge ist präfigiertes Gelöcke
(Lühr Nhd 120). Mhd. liuhhen, lûhhen mit dem Part. II gelochen deuten auf ein st.V. der
II. Ablautreihe wie riechen, gerochen oder bieten, geboten (Kr/M I 74f., Seebold StV 337;
siehe auch Egerm).
Obd. Liechel m. „Hacke, Heugabel“ ist mit dem dt. Suffix -el zur Bildung von Nomina
instrumenti abgeleitet wie Hebel m. von heben (Fleischer/Barz 150f.) und Liecher samt
dem verdeutlichenden Determinativkompositum Heuliecher „id.“ mit dem teilweise
gleichbedeutenden dt. Suffix -er wie Regler von regeln (Fleischer/Barz 151ff.).
L: Die thür. Dialektformen mit -g [log], Pl. [lögQ(r)], [legQ(r)] entsprechen lautgesetzlich hdt.
-k oder -ck wie in Bock (ThWb s.v. Bock; Sp ThGr 184f.). Da die Belege von Lock aus dem
N-, W- und Zentralthür. stammen, ist hier keine Einsilblerdehnung wie in Bock
anzutreffen. Diese ist nur auf ein kleines südw. Gebiet beschränkt (Sp ThGr 41,45f.).
Lock 3
WG: Das Wort Lock entstammt der Bauernsprache und bezeichnet eine nicht genau messbare
Menge. Ähnliches findet man in thür. Arfel m. (selten auch f.n.) „Armvoll“, Ham(p)fel f.n.
„Handvoll“ oder Lupfe f.m. „eine Handvoll gebrechten Flachses; kleine Menge“ (zu lupfen
„hochheben“, was man mit einer Hand aufnehmen kann) (ThWb s.v. Armvoll, Handvoll,
Lupfe). Vgl. auch schweiz. es währt noch einen Rupf „eine kurze Zeit“ (Stalder 2,293).
Weitere semantische Parallelen sind etwa Bruch („Gebrochenes“, EWD s.v. Bruch), z.B.
pflegten Jäger das erlegte Wild mit grünen Brüchen, d.h. abgebrochenen Laubzweigen, zu
bedecken (DWb s.v. Bruch), oder aind. le �sa- m. „kleiner Teil, kleine Menge“ zum Verb
re �s- „abrupfen, abreißen“ (EWAia II 461f.). Dieses Beispiel zeigt die gleiche semantische
Entwicklung wie Lock „kleinere, unbestimmte Menge“ < * „Abgerupftes“ zum Verb mhd.
liuchen, lûchen „abreißen, abrupfen“.
Egerm
: Aengl. l�can „jäten“, tÀ-OÌFDQ „abbrechen, zerstören“, mnd. l�ken „ziehen, zupfen“,
afries. l�ka „auszupfen, herausziehen“, mhd. lûchen, niedersächs. OÌNHQ weichen von ahd.
ar-liuhhan, mhd. liuchen, obd. liechen im Wurzelvokalismus ab. Der Großteil der Belege
deutet auf einen Langvokal (german. *Ì), wohingegen die ahd., mhd. und heutigen obd.
Formen einen Diphthong -iu- (german. *eu) haben. Das gleiche Nebeneinander zeigen
auch andere Verben in den german. Sprachen, z.B. german. *sliuta-�VOÌWD- „schließen“,
*riuka-�UÌND- „rauchen“ (Vine 1985: 60-81 mit weiteren Beispielen und Literatur). Da
diese beiden Ablautstufen lautlich nicht genau vereinbar sind, hat man mehrere Annahmen
für ihre Erklärung gemacht:
Die meisten Forscher gehen von einer innergermanischen Analogie-Bildung nach der
ersten Klasse mit dem Vokalwechsel german. ¯-ai-i aus, d.h. der ursprüngliche Ablaut *eu-
au-u wurde in einigen Verben der Klasse II analogisch zu german. Ì-au-u umgestaltet (z.B.
LIV 415f. mit weit. Lit.).
Vine hingegen vermutet einen Laryngal, der die Vokaldehnung lautgesetzlich bewirkt hat,
so dass uridg. *luHg- zu german. *OÌN- und *leiHg- zu german. *leuk- wurden; jedoch
schließt Vine eine Analogiebildung der e-Vollstufe nach regulären Verben der Kl. II nicht
aus (Vine 77). Für die Lautfolge Halbvokal-Laryngal-Verschlußlaut im Silbenabglitt einer
uridg. Wurzel sind jedoch nur wenige unsichere Beispiele bezeugt (LIV s.v. bhreh'k-,
bhreiHg-, dhehHgi-, srehHg-). Der Auslaut -iHg kommt – außer in *leiHg- – noch in
*bhreiHg- „genießen, gebrauchen“ vor, dessen lat. und german. Fortsetzer stets
schwundstufige Formen und somit einen anderen Befund als german. *leik- zeigen (LIV²
96 Anm. 1). Außerdem geben die aind. und armen. Fortsetzer keinen Hinweis auf einen
Laryngal. Somit ist die Erklärung durch Analogiebildung wahrscheinlicher als Vine“s
Lock 4
Annahme einer laryngalhaltigen Wurzel. – Wie auch immer der gedehnte Vokal der
german. Verben zu erklären ist, bleibt doch festzuhalten, dass die Subst. Lock und anord.
lok sowie das Part. II gelochen auf jeden Fall einen Kurzvokal fortsetzen; dieser kann,
wenn man Vines Erklärung folgt, auch nur wieder durch Analogie erklärt werden. Das
german. Verb hatte also die Ablautvarianten *lÌN-/leuk- (im Präsensst.), *lauk- (im
Präteritumst.) und *luk- (im Part.II).
Hdt. und md. Lock (german. *lukka- „Abgerupftes, Abgebrochenes; Abrupf, Bruch“ <
uridg. *lug-nó-) zeigen eine auslautende Tenuis, die durch Gemination infolge einer alten
(betonten ?) -nó-Ableitung entstanden ist wie in Locke oder schlapp (vgl. Lühr Expres.
197f.; Kluge 1884). „Soll das Postulat einer lautgesetzlichen n-Gemination überzeugen, so
ist daher für Wörter mit Doppeltenues im Germanischen auf außergermanische
Entsprechungen, die mit n-Suffix gebildet sind, zu verweisen“ (Lühr Express. 197). Eine
solche Entsprechung ist aind. rug$á- „zerbrochen; Spalt, Bresche“ (:� Eidg). Aisl. lok
„Unkraut“ setzt hingegen eine german. Bildung *luk-a- (uridg. *lug-o-) fort, die zu air.
lug- im Komp. luigfér „bestimmte Art Gras“ (:�Eidg) stimmt.
Eidg
: Nach Ausweis der baltischen Formen lit. OiXåLX, OiXåWL „brechen“, lett. laûåX��ODûzt „id.“
setzt Lipp eine uridg. Wurzel *leu£- mit Palatal an und hält aind. ruj- „brechen, reißen“ mit
dem Part. rugõá-, das eindeutig velares -g- zeigt, für ein Beispiel von „unvollständiger
Satemisierung“ (Lipp 1994: 9-11, ihm folgt Neri u-St. 194 f. u. Anm. 580). LIV 416 nimmt
dagegen für die baltischen Formen sekundäre „palatalisierte Varianten“ an und hält den
Ansatz eines uridg. Velars für richtig. Dafür spricht eindeutig armen. lowcanem, Aor.
lowci „lösen“, denn armen. -c- kann nur idg. Velar oder Labiovelar fortsetzen
(Klingenschmitt AarmV 268). Die aind. und armen. Formen weisen somit
übereinstimmend auf eine uridg. Wurzel *leug- ohne Palatal und auch ohne Laryngal, da
dieser in schwundstufigen Formen den Vokal *-u- gelängt haben müsste.
Nominalbildungen zu der uridg. Wurzel *leug- „lösen, brechen“ sind auch aus anderen idg.
Sprachen bezeugt: Air. lucht (u,m.) „Ladung, Inhalt; Schar, Menge“, kymr. llwyth
„Ladung, Last; Schar“ (< vorkelt. *lug-tu- „abgelöster Teil, Abteilung“), air. lus (u,m.)
„Kraut, Pflanze“ (*lug-s-tu-), luigfér „bestimmte Art Gras“ (*lug-u/o-°), aind. logá- m.
„Erdkloß, Scholle, Stück Rasen“ (< *lougó-, vgl. semantisch genau entsprechendes rhein.
Lock „grasdurchwachsener Erdklumpen, Soden“, :� B), griech. ¡-�#�2 -��/.�� ÄXQ]HU-brechliche Fesseln“, und – mit abweichender Palatalisierung – lit. OiXåDV m. „Haufen
abgebrochener Zweige“; lett. laûå�L „gebrochene Bäume“ (LIV 415f.; EWAia II 465 s.v.
Lock 5
roj; EWAia II 481 s.v. logá-; Schrijver Reflexes 530; Klingenschmitt, aarmV 184; LitEW
s.v. OiXåWL; Chantraine dict. ét. II 632).
*U���0#�.�� "�ÄWUDXULJ��HOHQG³��� Ä�SK\VLVFK�XQG�SV\FKLVFK��]HUEURFKHQ³�XQG�ODW��OÌJ�UH
als Kausativ aus uridg. *loug-éie- „traurig sein“ < *„jdn. (physisch und psychisch)
zerbrechen lassen“ können mit uridg. *leug- „brechen, lösen“ semantisch vereinbart
werden (Chantraine dict. ét. II 632; WH Lat.et.Wb I 830f.). Die übertragene Verwendung
des gr. Adj. �0#�.�� "�ÄWUDXULJ��HOHQG³�EHL�.OHLGHUQ��]�%���0#�.�� "�$�2+��ÄDEJHVFKDEWes,
fadenscheiniges Gewand“, zeigt auch das steir. Adj. luchet, luchig „abgenützt,
fadenscheinig“.
Lit: B ThWb s.v. Lock, Gelöcke; RheinWb s.v. Lock IV; PfälzWb s.v. Locken; SchwäbWb IV
1270f.; SteirWb s.v. Luch, luchet; BMZ s.v. liuchen; Lexer s.v. lûchen; deVries NEW 415
s.v. luiken, 408 s.v. lok; M Sp ThGr 238; MhdGr 190; WB EWD s.v. Bruch; IEW 686;
deVries AEW 364; Sp ThGr 242f.; Lühr Nhd 120; Kr/M I 74f.; Seebold StV 337;
Fleischer/Barz 150ff.; L ThWb s.v. Bock; Sp ThGr 41, 45f., 184f.; WG ThWb s.v.
Armvoll, Handvoll, Lupfe; Stalder 2, 293; EWD s.v. Bruch; DWb s.v. Bruch; EWAia II
461f.; Egerm Vine 1985: 60-81; LIV² 415f.; Lühr Expr 197f.; Kluge 1884; Eidg Lipp 1994:
9-11; Neri u-St. 194f. u.Anm. 580; LIV² 415f; Klingenschmitt AarmV 286; EWAia II 481,
465; Schrijver Reflexes 530; Klingenschmitt AarmV 184; LitEW s.v. OiXåWL; Chantraine
dict. ét. II 632; WH Lat.et.Wb I 830f.
Lorch, Lorche, Lorchel 1
Lorch Sb m. n. „Kröte“; übertr. „kleines (unartiges) Kind; träger, langsamer Mensch“
Lorche Sb f. „Pilzart“; übertr. „Kothaufen“
Lorchel Sb f. „Pilzart; Ampfer“
Z: Thür. Lorch, nddt. Lork „Kröte“ < german. *lurka- m. und nhd. Lurch (:�/��KDEHQ�(QWVSUHFKungen
in den Verben engl. to lurk „langsam, schleppend gehen; herumtrödeln“ und nnorw. lurka „vorsichtig,
langsam gehen“, die von *lurka- mit dem denominalen Suffix *-ÀQ abgeleitet sind und eine semantische
Parallele in nddt., ndl. padden „langsam, vorsichtig gehen“ : Padde „Kröte“ finden. Aufgrund seiner
Lautstruktur, die ein nicht mögliches uridg. Transponat l;;
go-/l;;ÿÿ
o- erfordern würde, kann für german.
*lurka- keine uridg. Bildung nachgewiesen werden. Es wird daher als ursprünglich lautmalendes Wort
erklärt. Die von Pokorny vermutete Zusammenstellung mit armen. Adj. lerk „glatt“, lerkem „schälen“,
mir. lerg „Abhang“ muss aus semantischen und lautlichen Gründen aufgegeben werden (:�(germ).
B: In der Bedeutung „Kröte“ ist Lorch m. n. nur in einigen thür. Dialektgebieten anzutreffen.
Häufiger ist die übertragene Verwendung „kleines (auch unartiges) Kind“, z.B. in dar
Lorch hot widder wos ausgefresse „der kleine Bengel hat wieder etwas angestellt“. Auch
arbeitsunwillige, langsame Menschen werden als Lorch bezeichnet, z.B. in su ä Lork vun ä
Menschen (ThWb s.v. Lorch). Des weiteren sind die Komposita Lorchbengel, Lorchonkel
und Lügenlorch als Schimpfwörter belegt. Eine Ableitung ist Lorche(l) f. „Lorchel oder
Bischofsmütze“ (Pilzart) (:�WG), das auch übertr. als Bezeichnung für das Kothäufchen
von Kindern vorkommt, z.B. in där Jonge hat aber enne Lorche hängesetzt (ThWb s.v.
Lorche).
Im Hochdt. entspricht die Lautung Lurch (:� L, WG), z.B. in der wandernde bischof
Pirminius sprach einen schweren segen über das eiland, da zogen schlangen und würmer
in vollen heereshaufen aus, scorpione, lurche und was sonst kreucht und fleugt
(Vict.v.Scheffel, Ekkehard 60). Die nddt. Form Lork m. „Kröte“ wird wie im Thür. auch in
übertragener Bedeutung als Spottname für eine kleine unansehnliche Person verwendet
(Schütze Holst. Idiotikon 3, 50).
Dagegen ist Lorchel im Hdt. eine Bezeichnung für Pilze der Gattung Helvellaceae (Campe
Dt.Wb III 147; :�WB). Als Nebenform für Lärche tritt selten Lorche f. auf (DWb s.v.
Lärche; :�WG).
Lorch, Lurch sind erst ab dem Nhd. (19. Jhd.), Lork ab dem Nnddt. (18. Jhd.) und
Lorche(l) ab dem 18. Jhd. bezeugt.
M: Lorch ist ein maskuliner a-Stamm, der wie Tag flektiert. Das Neutrum bei der
übertragenen Bedeutung „kleines, unartiges Kind; träger, langsamer Mensch“ kommt
teilweise durch Übernahme vom Wort Kind zustande, teilweise aber auch durch
Lorch, Lorche, Lorchel 2
Verwendung für weibliche Personen, wo einige thür. Mdaa. das Neutrum bevorzugen wie
z.B. in mi� ûs d�s egãl, çb hç kûmãd odãr es „mir ist gleichgültig, ob er kommt oder sie“
oder un i,ã��GnV�ÀV�NQ�N�]¸ „und Inge, die aß keinen Käse“ (Sp ThGr 238). Lorche f. und
Lorchel f. sind schw. Fem.
WB: Lügenlorch, Lorchbengel und Lorchonkel sind spezifizierende Determinativkomposita
„ein Lorch, der lügt“ und „ein Bengel / Onkel (= abfälliges Wort für „Mann“, vgl. ThWb
s.v. Onkel), der sich wie ein Lorch benimmt“ (Lühr Nhd 153ff.). Lorche „Pilzart“ ist eine
Femininbildung mit dem Suffix -e , das eine *À�Q�- Bildung fortsetzt (Lühr Nhd 165ff.;
Braune/Eggers AhdGr 192ff.). Schon im Ahd. vermischten sich die starke À-Flexion und
die schwache n-Flexion (Braune/Eggers AhdGr 194; MhdGr 198; FrnhdGr III 138ff.).
Lorchel dürfte in Analogie zu Morchel (EWD s.v. Lorchel, Morchel) das fem. l-Suffix
übernommen haben, das häufig in Pflanzennamen auftritt (z.B. Mispel, Nessel, Mistel u.a.,
vgl. Balles HS 112: 137-142).
L: In thür. Mdaa. sind sowohl htd. Lorch mit [ch] vertreten als auch nddt. Lork mit [k]. Das
Nebeneinander solcher Formen ist gut bezeugt, z.B. in Stork neben Storch (Sp ThGr 216;
ThWb s.v. Storch). Die nicht lautgesetzliche hochdt. Form Lurch wird durch sekundäre
Hebung aus o erklärt (Braune/Eggers AhdGr 34).
WG: Lorch und Lork m. „Kröte“ sind ursprünglich nur im md. Sprachgebiet (Thüringen und
Sachsen) sowie im Nddt. bezeugt. Von da aus hat sich das Wort Lurch m. (:�L) durch
sekundäre Differenzierung in der Wissenschaftssprache durch L. Oken als
„halbamphibisches Kriechtier“ gegenüber Frosch und Kröte (EWD s.v. Lurch) auch im
Hochdt. ausgebreitet.
Lorche und Lorchel bezeichnen meist die Pilze der Gattung der Helvellaceae,
wahrscheinlich entweder die Giftlorchel (Gyromitra esculanta) oder die Bischofsmütze
(Gyromitra infula), selten auch Pflanzen wie Huflattich, Ampfer oder Pestwurz, vgl. die
Zusammensetzungen mit Kröte, Frosch und Unke für Huflattich (Tussilago farfara):
Froschkraut, Unkenkraut, Krötenblumen, Krötenbüschel, Hetschenblätter (Hetsche,
Hitsche „Kröte“) (Marzell 4,863; ThWb s.v. Lorche1, 2) oder den Pilz namens Paddenstuhl
(Padde „Kröte“), der auch Krötenschwamm heißt (englisch toadstool). Die Benennung
kommt aufgrund der äußeren Ähnlichkeit mit der warzigen, knotigen dunklen Haut der
Kröten zustande.
Die Verwendung von Lorche in der Bedeutung „Lärche“ findet sich im seltenen
Kompositum ndl. lorkeboom, hdt. Lorchbaum „Lärchenbaum“ wieder. Hier liegt entweder
eine volksetymologische Umgestaltung vor, die aufgrund der dunklen, gefurchten Zapfen
Lorch, Lorche, Lorchel 3
der Lärche, die wie kleine Lorche(l)-Pilze aussehen, zustande gekommen ist, oder – in
manchen Gegenden – eine Anlehnung an dial. Forche „Föhre“.
Die Bedeutungsübertragung von „Kröte“ zu „kleines (unartiges) Kind; lahmer Mensch“
gibt es ebenfalls bei Frosch und Kröte, die auch als Bezeichnungen für Kinder oder lahme,
ängstliche Menschen verwendet werden können (DWb s.v. Frosch, Kröte).
Egerm: Das lautgesetzliche Transponat von Lorch ist german. *lurka- m. „Kröte“, von Lorche
german. *lurkÀ�Q�- f. „krötenähnlicher Pilz; knollige, warzige Pflanze“. Das Subst. *lurka-
findet man neben den hdt. und ndt. Belegen in ndl. lork „Kröte“ und im ndl. Komp.
kellerlork „Kellerunke“. Ein engl. Hapax legomenon aus dem Jahre 1530 ist der
Glossenbeleg Palsgr. 241/2 lurke an herbe (OED s.v. lurk), der gut zur Bedeutung von
Lorche „Pilz“ oder „Huflattich, Ampfer“ passt und das Wort als zumindest wgerm.
Bildung erweist.
Nengl. to lurk swV „vorsichtig, langsam gehen; herumlungern, Zeit vertun“ ist ins Kymr.
als lwrcaf „langsam gehen; herumlungern, Zeit vertrödeln“ entlehnt (GPC II 2073). Von
diesem Verb ist ein kymr. Adj. lwrcaidd „lahm, langsam gehend, herumlungernd“ gebildet
worden, das seinerseits mit irischem Suffixersatz zur spätmir./neuir. lorc-ach/lurc-ach
geführt hat. Nengl. to lurk und nnorw. lurka swV „sich vorsichtig wegstehlen“ sind mit
dem Suffix *-ÀQ gebildete schwache Verben und setzen german. *lurk-ÀQ fort. Dieses
Suffix wird nicht nur als Ableitung von fem. À-St. verwendet, sondern durch falsche
Abtrennung auch von anderen Stämmen, vgl. z.B. nhd. fischen : Fisch oder got. þiudan-ÀQ
„herrschen“ : þiudans „Herrscher“. Diese Metanalyse ist auf jeden Fall schon im
Urgerman. und vielleicht schon im West-Idg. eingetreten (Kr/M III 239). Das Suffix *-ÀQ-
wird schließlich im Ahd. sehr produktiv und ersetzt auch die alten -jan-Bildungen (Kr/M
III 240). Eine semantische Parallele zum Nebeneinander der Bedeutungen „Kröte“ und
„mit kurzen Tritten, vorsichtig, langsam gehen“ ist nddt. Padde, ndl. pad „Kröte“ neben
nddt., ndl. padden „langsam, mit kurzen Tritten, vorsichtig gehen“ (DWb s.v. Padde,
padden; de Vries NEW 500f.). – Im Gegensatz zu Fröschen (Frosch < german. *fruska-
„Hüpfer“; EWD s.v. Frosch) hüpfen Kröten eher selten, sondern bewegen sich, auch bei
der Nahrungssuche, normalerweise langsam, unregelmäßig und schleppend.
Möglicherweise gehören zu diesen Verben dial. dt. Bildungen mit s-mobile (Beispiele mit
l-Anlaut neben dt. Anlaut schl- in Southern s-mobile 234-239) wie schwäb., bair., frk.
schlurchen, schlurken, schlorken „schleppend, langsam gehen“ (DWb s.v. schlurken), hess.
Schlurches, Schlorches „unbeholfener Mensch“ (mit Suffix -es wie Märes „sabbernder
Esser“ : mären „unordentlich essen“, :� EWDD s.v. Märe) oder bair., frk. Schlurker,
Lorch, Lorche, Lorchel 4
Schlurcher, Schlorcher „ausgetretene Schuhe; Pantoffeln“ (DWb s.v. Schlurker). Ein
vergleichbares Nebeneinander von Formen mit und ohne s-mobile ist z.B. in hdt.
schmelzen neben nengl. to melt bezeugt. Neben schlurchen, schlurken stehen weitere
lautmalende Bildungen wie schlurren oder schlurfen (EWD s.v. schlurren, schlürfen), vgl.
die Varianten schlickern, schliffern, schlipfen, schlindern zu schlittern oder glitschen,
glippen, glennern, glannern, glendern zu gleiten (DWb s.vv.).
German. lurka- m. „Kröte“ kann wegen der Unvereinbarkeit seines uridg. Transponats
*l�go- oder *l��o- mit den Regeln der idg. Wurzel- und Lautstruktur nicht auf eine uridg.
Bildung zurückgeführt werden (LIV² 5-7). Lorch, Lurch, Lork und seine Verwandten sind
vom armen. Adj. lerk „kahl“, Vb. lerkem „schälen“ und dem air. Subst. lerg �, f. „Abhang“
aufgrund semantischer Bedenken und der oben dargestellten lautlichen Unvereinbarkeit zu
trennen trotz Pokorny (IEW 679f.), der einen vagen Zusammenhang vermutet.
Somit bleiben als alternative Erklärungen nur die Annahme einer Analogie, eines
onomatopoetischen Wortes oder einer Entlehnung. Für Analogiebildung und Entlehnung
gibt es keine Hinweise. Daher kann nur eine lautmalender Ausdruck für „schleppende
Schritte“ wahrscheinlich gemacht werden, aus dem eine n.-/wgerman. Neowurzel *(s)lurk-
abstrahiert wurde.
Lit: B ThWb s.v. Lorch, Lorche; Victor v.Scheffel, Ekkehard 60; Schütze Holst. Idiotikon 3,
50; Campe DtWb III 147; DWb s.v. Lärche; M Sp ThGr 238; WB ThWb s.v. Onkel; Lühr
Nhd 153ff., 165ff.; Braune/Eggers AhdGr 192ff.; MhdGr 198; FrnhdGr III 138ff.; EWD
s.v. Lorchel, Morchel; Balles HS 112: 137-142; L Sp ThGr 216; ThWb s.v. Storch;
Braune/Eggers AhdGr 34; WG EWD s.v. Lurch; Marzell 4, 863; ThWb s.v. Lorche; DWb
s.v. Frosch, Kröte; Egerm OED s.v. lurk; GPC II 2073; Kr/M III 239; DWb s.v. Padde,
padden; de Vries NEW 500f.; EWD s.v. Frosch, Unke; Drinka s-mobile; DWb s.v.
schlurken, Schlurker; EWDD s.v. Märe; EWD s.v. schlurren, schlürfen; LIV² 5-7; IEW
679f.
Lorch, Lorche, Lorchel 5
Lühwasser, lühen 1
Lühwasser Sb n. „klares Spülwasser für die Wäsche zur Beseitigung von Seifenresten“
lühen swV „Wäsche mehrmals in klarem Wasser nachspülen, reinspülen, läutern“
Z: Die in obd. und md. Dialekten bezeugten Wörter Lühwasser „klares Spülwasser für die Wäsche“ und
lühen, lüchen „klarspülen, reinigen“ weisen auf ein german. denominales swV *leuh-jan „reinigen“.
Dieses Verb kann mit den Adj. *leuh-t-a-, *leuhsa- und *leuhsna- „hell, leuchtend“ sowie got. liuhaþ
„Licht“ zu einer gut bezeugten uridg. Wurzel leuk-„weiß sein, leuchten; hell werden“ gestellt werden;
für die Bedeutungsentwicklung gibt es semantische Parallelen.
B: In thür. Mdaa. sind das Kompositum Lühwasser n. „Spülwasser“ und das sw. Verb lühen
bezeugt: die Wäsch wird gelüht; s Garn wird im fließning Wasser geluht (→ WG). In
einem Kinderlied singen die waschenden Frauen wir lühen, wir lühen, wir lühen den
ganzen Tag. Des weiteren gibt es ein Präfixverb auslühen „in klarem Wasser ausspülen“.
Das Bair., Schwäb. und Fränk. bieten sowohl das Sb. Lühwasser als auch das Verb lühen,
lüchen (Schm BairWb 1,1467; SchwäbWb 4,1311), das Rhein. nur das Verb lüchen
(RheinWb 5,568).
M: Das Verb lühen hat ein Part. II gelüht und muss daher als schwaches Verb bestimmt
werden.
WB: Lühwasser ist ein Determinativkompositum mit einer genauen semantischen und
wortbildungsmäßigen Entsprechung in Spülwasser oder Waschwasser. Als Erstglied steht
ein gebundenes Morphem in Gestalt eines Verbalstammes: Lühwasser ist Wasser zum
Lühen wie Spülwasser Wasser zum Spülen (Lühr Nhd 154).
L: Die lautlichen Varianten lW(#)-, lB(#)-, lüi- und löü- entsprechen genau der dialekt-
geographischen Verteilung, wie sie für nhd. -�- durch reguläre Lautentwicklung aus mhd.
-üe- bezeugt ist. Gleichwohl handelt es sich wegen des ahd. Beleges liuhhit = lavatus um
Fälle mit sekundärer Rundung eines mhd. -ie- zu -�- statt zu regelgerechtem nhd. -¯-, wie
z.B. in lügen aus mhd. liegen bzw. liejen oder trügen aus mhd. triegen. Die Rundung tritt
meist in Umgebung eines Labials wie in Lühwasser auf, von dort könnte es auf das
Verbum übertragen worden sein. Doch kommt die Rundung auch in Wörtern ohne labiale
Umgebung vor, z.B. in trügen oder nhd. riechen : dial. rüchen vor. Sie ist hauptsächlich in
den Gebieten des Schwäb., Alemann., Ostfränk. und Henneberg./ Oberhess. sowie den
angrenzenden Gebieten bezeugt und stimmt mit den Belegen für Lühwasser, lühen überein
(→ B) (Frnhd Gr 75ff.).
Die in wenigen Gebieten SW-Thüringens belegten Varianten des Part. II geluht (Rhön,
Mellrichstadt, Schmalkalden) bzw. geloht (Schmalkalden) sind erst spät durch Rückumlaut
entstanden wie z.B. JHIÌUG, JHUÌUG aus geführt, gerührt (Sp ThGr 135f.). Sie haben in
Lühwasser, lühen 2
diesen Gebieten den Inf. lO# (z.B. in Meiningen) beeinflusst gegenüber normalen
Infinitivformen wie l�� und l�Z�. l�Z� zeigt einen Gleitlaut -w- in Hiatusstellung wie z.B.
sew� „säen“ (Sp ThGr 219f.).
Die im Bair., Schwäb. und Rhein. bezeugte Variante lüchen beruht auf der bis ins Frnhd.
reichenden Beibehaltung von -ch- gegenüber regelgerechtem Schwund in der Aussprache
unter bestimmten Bedingungen, z.B. vor Flexivum oder zwischen Vokalen (Mhd Gr 156;
Frnhd Gr 123f.). Diese Beibehaltung des -ch- kann man teilweise sogar heute noch vor
allem in obd. Dialekten finden, z.B. schwäb., bair. Viech „Vieh, Tier“, sie sachen „sie
sahen“ (Frnhd Gr 124ff.; Kranzmayer 1956: 90-92; Boesch 1946: 169), aber auch im Md.,
z.B. in unterfrk. Viech „Tier“, mir sachen „wir sehen“; mittelfrk. ON Forchheim, hess.
Schuch „Schuh“.
WG: Bei der Flachsverarbeitung bezeichnete lühen früher das Ausschwenken des fertigen
Garns im Wasser, um es von Aschenresten zu befreien, nachdem es 7 bis 8 Stunden in
einer Lauge von Buchenasche gekocht worden war: s Garn wird im fließning Wasser
geluht (Mellrichstadt). Dieses Laugen und Auswaschen ist der letzte Arbeitsgang bei der
Flachsbearbeitung, wodurch das restliche Pflanzenharz aus dem Garn gelöst wird.
Egerm
: Lühwasser und lühen „klarspülen, reinspülen“ gehen mit ahd. irliuh(h)en (jüngere
Form mit regulärer Entwicklung -luh(h)en (Ahd Gr 51f.)) auf einen vordt. denominalen
Verbalstamm *liuh-jan zurück. Nach einer langen Silbe ist die Konsonantenverdoppelung
(regulär nach Kurzvokal wie in lachen, ahd. hlahhan aus *hlah-jan) unterblieben oder
rückgängig gemacht worden (Kr/M I 105f.). Die seltene e-Stufe der jan-stämmigen
Ableitung *leuhja- (Kr/M III 247) könnte aus den Adjektiven *leuhta-, *leuhsa- und
*leuhsna- (s.u.) übernommen worden sein, dürfte aber eher schon auf hohes Alter weisen
(→ Eidg
).
In *leuh-jan liegt eine Wurzel *leuh- „leuchten, hell sein“ vor, die im german. Adj. leuh-t-
a- „hell“, dt. licht, engl. light „hell“ etc. (EWD s.v. licht, leuchten; Holthausen s.v.)
bezeugt ist. Dieses Adjektiv ist wegen seiner e-Ablautstufe möglicherweise als sekundäre
a-Ableitung eines uridg. d-Stammes wie got. liuhaþ „Licht“ < german. *OHXKDÿ- erklärbar
(Heidermanns PA 70, Schaffner VG 557), da uridg. Verbaladjektive üblicherweise die
Schwundstufe aufweisen wie z.B. *turhta- „deutlich sichtbar“, *wunda- „verwundet“
(Heidermanns PA 75). Daneben tritt die Wurzel *leuh- in einer um -s- erweiterten Form
*leuhs- auf, z.B. in den primären german. Adj. *leuhsa- „leuchtend“ und leuhsna-
„glänzend“ (Heidermanns 378). Eine o-Vollst. *lauh-a-�À- zeigen dt. Lohe f. und mhd. ahd.
louc, loug m. mit gramm. Wechsel (EWD s.v., Schaffner 556).
Lühwasser, lühen 3
Die ursprüngliche Bedeutung der nhd. Wörter Lüh- und lühen „(durch Spülen in klarem
Wasser) reinigen“ war also „hell machen, rein machen“ bzw. „mit Helligkeit, Reinheit
versehen“. Die Vorform *leuhja- ist dabei ein denominales Verb in faktitiver Bedeutung
von dem Adj. oder Subst. *léuh-a-/-À- „hell, rein, weiß; Helligkeit, Reinheit“, das nur in
anderen idg. Sprachen bezeugt ist (→ Eidg
). Für die Annahme eines Substantivs spricht der
Akzentsitz auf der ersten Silbe.
Die Ableitung von einem Adj. oder Subst. „hell, rein, weiß; Helligkeit, Reinheit“ und die
Bedeutungsentwicklung von „hell, rein, weiß machen“ bzw. „mit Helligkeit, Reinheit
versehen“ zu „reinigen“ und „klarspülen“ ist semantisch naheliegend und kann an
zahlreichen Beispielen nachgewiesen werden: dt. läutern „reinigen, säubern“ (auch
Wäsche: DWb s.v. läutern) ← lauter�ÄUHLQ��KHOO��VDXEHU³��JULHFK���0#�)&�ÄUHLQLJHQ��ZHLß
waschen“ ←��0#�)"�ÄZHLß, hell, leuchtend“ (L/S s.v. �0#�)&��Frisk s.v. �0#�)"; → Eidg
);
ähnlich verhält sich it. biancheria „gewaschene, saubere Wäsche“ ← bianco „weiß“. Dt.
lauter ist seinerseits eine Ableitung von einem Verb mit der Bedeutung „waschen,
reinigen“ und gehört zu lat. cluere�ÄZDVFKHQ³�XQG�JU����*�&�ÄZDVFKHQ��VSülen“ (EWD s.v.
lauter).
Eidg
: Die german. Wörter *leuh-jan, *leuh-t-a-, *leuhs-a- und *leuhs-na- gehören samt got.
liuhaþ n. „Licht“ zu einer uridg. Wurzel *leuk- „hell werden“ mit einem Präsens *leuk-e-
„leuchten“ (LIV 418f.). Von dieser Wurzel ist ein primäres uridg. Adj. oder Subst. *leuk-o-
/ah2- „hell, leuchtend, weiß; Helligkeit, Reinheit“ abgeleitet (gr. �0#�)"�ÄKHOO��ZHLß“, aind.
rocá- „leuchtend“, armen. loys „Licht“, gall. leuko- „weiß, hell“, mir. lúach „glänzend“),
das wahrscheinlich die Basis von german. *leuhja- ist. Eine schon in uridg. Zeit
zurückgehende Lexikalisierung ist *louk-ó- mit der Bedeutung „Lichtung, helle baumlose
Stelle im Wald“: aind. loká- m. „Lichtung, freier Raum“, lat. OÌFXV, alat. louco- m.
„Lichtung, Hain“, ahd. OÀK „Hain, nur mit Büschen bewachsene Stelle im Wald“, lit.
laÊNDV „Feld, Land“, lett. laÊNV „Feld, Lichtung“ (IEW 687 ff; EWAia s.v. loká-).
Lit: B ThWb s.vv. lühen, Lühwasser; Schm Bair. Wb 1, 1467; Schwäb WB 4, 1311;
RheinWb 5, 568; WB Lühr Nhd 154; L Frnhd Gr 75ff; Sp ThGr 135f; Sp ThGr 219f; Mhd
Gr 156; Frnhd Gr 123ff; Kranzmyer 1956, 90-92; Boesch 1946, 169; Egerm
Braune Ahd Gr
51f; Kr/M I 105 f; Kr/M III 247; EWD s.v. licht, leuchten, lauter; Heidermanns PA 70, 75,
3����6FKDIIQHU�9*����I��/�6�V�Y���0#�)&��Frisk s.v. �0#�)"; Eidg LIV 418f; EWAia s.v.
loká, IEW 687ff.
Lum, Lume, lumig, lumen 1
Lum Sb m. „feuchter Bodensatz, feuchter Schmutz, Matsch“
Lume Sb f. „feuchte Stelle auf dem Acker, Pfütze“
lumig Adj. „feucht, trübe, matschig“
lumen swV „feucht, nass sein“
Z Thür. Lum, Lom�>OÌ�ÀP@�P��ÄIHXFKWHU�%RGHQVDW]³�PLW�GHQ�$EOHLWXQJHQ�Lume�>OÌP��
] f. „feuchte Stelle auf
dem Acker, Pfütze“ sowie lom(e) >À@, lum(e), lumig� >Ì@�$GM�� ÄIHXFKW�� QDVV�� WU�EH³� XQG� lumen� >Ì@� VZ9�„feucht, nass sein“ weisen auf german. *l6ma-. Die seltene Variante laumig Adj „feucht; trübe“ gehört zu
mhd. loum und nhd. Laum m. „Wasserdampf, Dunst, Nebel“ (→→ L) aus german. *lauma-. Da diese
german. Rekonstrukte nicht vereinbar sind, müssen zwei uridg. Wurzeln *leh2- „nass sein, wässern;
Nässe“ und *leG(h3)-„mit Wasser begießen, waschen; besudeln“ vorliegen, die sich aufgrund semantischer
Ähnlichkeit im Thür. und anderen dt. Dialekten vermischt haben (→→ Egerm und Eidg). Der
Etymologisierungsversuch von Kluge / Seebold (Laum zu dt. Lohe „Flamme“) ist aus semantischen
Gründen aufzugeben.
B: In thür. Mundarten sind neben den Subst. Lum [l+m], Lom [l*m] m. „feuchter Bodensatz,
feuchter Schmutz“, Lume [l+mQ] f. „feuchte Stelle auf dem Acker, Pfütze“ auch die Adj.
lum(e), lom(e), lumig „feucht; trübe“ und das sw. Verb lumen „feucht sein“ bezeugt: dat
Water is lome „das Wasser ist trüb“, der Hawwer luhmt noch „der Hafer ist noch feucht“. Nd.
und md. Entsprechungen sind z.B. holst. lomig, lumig (SchlHoWb 3,505 und 525); altmärk.
lömern „trübe machen“ (Danneil 54); nordharz. l�mich „feucht“ (Damköhler 119); lum,
lümig, lomig „feucht“ (Rhein Wb 5,600). Das Obd. bietet nur alemann. luemen m. „kleiner
Teich, Lache, Tümpel, Pfütze“ (Schw Id 3,1271). Daneben stehen Bildungen mit g(e)- in thür.
glume Adj. „feucht; trübe“, z.B. in der Hawwer is noch glume, und glumig Adj. „feucht“
(meist von Heu, aber auch glumiches Brot „nicht durchgebackenes, innen noch feuchtes
Brot“), sowie das Verb glumen, glümen „trüben, verschmutzen“ in mancher will angesehen
sein, er hat kein wasser geglümet und ist doch wol mit dem gantzen hindern drin gesessen
(Petri d. Teutschen Weißheit (1604) Nn 6b). Zu Lume „Pfütze, feuchte Stelle“ gehört
vielleicht auch md. Luhme f. „Loch im Eis“ als „nasse, matschige Stelle im harten, gefrorenen
Eis“ (DWb s.v. Luhme).
Die meisten thür. Belege zeigen einen Langvokal [*] oder [+], außerdem gibt es ein paar
Streubelege mit [au] und [Ê�>�im Adj. laumig: laumii „trübe“ in Sömmerda, Nebra, Ilmenau
und lÊ�mid „trübe“ in Ilmenau (→ L). Nur zu diesem gehören mhd. loum m. und frnhd. laum
m. „Wasserdampf, Dunst, Nebel“, z.B. in unde der böse loum der betrubet die hirne (13. Jhd.,
Meinauer Naturlehre S.8) oder da war die luft etwas dunkel wie laum und rauch ob dem
wasser (alte newe zeitung von der welt lauff (1592) no. 39).
Lum, Lume, lumig, lumen 2
Vereinzelt ist eine kurzvokalige Variante lumm Adj. „feucht“ (von Heu, Klee oder Getreide)
belegt, z.B. in dr Klee äs nach sö lumm „der Klee ist noch so feucht“ (ThWb s.v. lumm1) (→
L).
M: Aus den spärlichen Belegen von Lum m. und Lume f. lassen sich keine morphologischen
Details erschließen. Das denominale schw. Verb glumen, glümen hat ein Part. II geglühmet
(→ B).
WB: lumen „feucht sein“ ist von dem Adj. lum(e) „feucht; trübe“ mittels des Suffixes -en in
beeigenschaftender Funktion gebildet wie z.B. nhd. leuchten „hell sein“ zum Adj. licht „hell“
oder ahd. wan�n „abnehmen“ zum Adj. wan „fehlend“ (Kr/M III 239f.; Gr Frnhd. 4, 507ff.).
Das von Lum m. „Bodensatz“ oder Lume f. „Pfütze“ abgeleitete Adj. lumig zeigt den häufigen
dt. Derivationstyp mit dem Suffix -ig, z.B. Sand → sandig (Lühr Nhd. 165, 169). Das Suffix
-ig bedeutet, dass etwas mit dem in der Basis Genannten versehen ist, also ergibt sich für
lumig „mit Pfützen, Matsch versehen“ → „feucht“ bzw. „trüb“. Das nur in thür. Mda.
bezeugte Adj. lume „feucht“ ist eine inverse Variante mit -e neben lum „feucht“ zu Formen
wie gerade neben gerad, böse neben bös (FrnhdGr 80f.). Ein Präfix g(e)- haben das Adj.
glumig und das Verb glumen.
L: Nthür. und NOthür. Lum, Lom, Lume, lome, lumig, lomig, lumen mit [*] bzw. [+] sind
lautgesetzlich aus älterem mhd. *luom- (< german. *l�m°) entwickelt und entsprechen der
dialektgeographischen Verteilung wie z.B. in Bruder (Sp ThGr 126ff). Die Streubelege von
laumig mit -�u- und -Ê�- (wie in thür. fr Ê� „Frau“) deuten auf eine andere Form mit u-
Diphthong, die in mhd. loum (< german. *lau-ma-) vorliegt (Sp ThGr 143ff). Die sehr seltene
kurzvokalige Variante lumm „feucht, matschig“ dürfte von lumm „schlaff, locker, weich“
beeinflusst worden sein (ThWb s.v. lumm1), da lautgesetzliche Kürzung von � außer vor stl.
Frikativen nicht möglich ist (Sp ThGr 130).
WG: Wie unter L dargestellt ist auf lautlicher Ebene zwischen Formen mit german. *� in thür.
Lum, Lume etc. und german. *au/*eu in mhd. loum „Wasserdampf, Dunst, Nebel“, thür.
laumig zu unterscheiden. Im Dt. hat eine Vermischung der Bedeutungen „nass, feucht“,
„matschig, schmutzig-feucht“ und „Wasserdampf, Nebel“ stattgefunden. Die den dt. Wörtern
zu Grunde liegenden Wurzeln sind teilweise auch in anderen idg. Sprachen lautlich und
semantisch zusammengefallen(→ Egerm und Eidg
).
Egerm: Zwei german. Wörter liegen in den dt. Wörtern Lum und Laum vor: German. *l�-ma-/�-
m./f. oder Adj. „feucht, matschig, schlammig; Pfütze, Morast“ gehört zu einer german.
Wurzel *l�- < uridg. *leh2- „nass sein, wässern; Nässe, nasse Stelle, Matsch“ und german.
Lum, Lume, lumig, lumen 3
*lau-ma- m. „Dampf, Nebel, Dunst; Matsch“ zu einer german. Wurzel *lau/leu-, in der sich
die uridg. Wurzeln *leu- „(mit schmutzigem Wasser) waschen; besudeln“ und *leuh3-
„waschen, wässern“ vereint haben. Dies ist auch in anderen idg. Sprachen geschehen (→
Eidg). *l�-ma-/�- und *lau-ma- zeigen die gleiche Wortbildung mit einem auch sonst (z.B. in
Raum) bezeugten *-m-Suffix. Neben *lau-ma- stehen noch die mit einem Guttural erweiterten
nominalen Formen ahd. louga, nhd. Lauge, aisl. laug „Bad“ samt den denominativen Verben
nhd. laugen und aisl. lauga „baden, waschen“ sowie eine alte instrumentative *tro-Bildung
aisl. lauðr n., aengl. O�Dðor n. „Seife“, eigtl. *„Waschmittel“ (EWD s.v. Lauge; de Vries s.vv.
laug, lauga; Holth s.v. O�Dðor). *l�-ma-/�- hat im German. kein Verbum neben sich, kann
aber direkt an Wörter in anderen idg. Sprachen angeschlossen werden (→ Eidg).
Eidg: Die beiden uridg. Wurzeln leu- „(mit schmutzigem Wasser) wässern; besudeln“ (LIV 414)
und leuh3- „waschen“ (LIV 418) lassen sich in den idg. Einzelsprachen nicht immer eindeutig
trennen und sind teilweise – wie im German. (→ Egerm) – lautlich und semantisch
zusammengefallen, z.B. in lat. luere, lavere „waschen“, abluere „abwaschen, -spülen“, aber
pol-luere „beschmutzen, besudeln“ < uridg. *leu- und *leuh3- (Bock LatVb)�RGHU�JU���#��.�Q��„Waschwasser, Schmutz“ < uridg. *luh3-m�- / *lu-sm�-. Die negative Bedeutungsnuance von
uridg. *leu- wird deutlich in lat. pol-luere, l�tum „die durch Regen feucht und weich
gewordene Erde; Matsch, Schmutz“, air. loth n. „Matsch, Sumpf“ XQG�LQ�JU���#��.�Q���+RP����„Waschwasser; abgewaschener Schmutz“, in dem uridg. *luh3-m�- „Waschwasser“ und *lu-
sm�- „Schmutzwasser“ (LIV 414) vermischt sind.
Die andere german. Form *l�ma-/�- kann als *-mo- oder *-m�-/*-meh2-Ableitung der uridg.
Wurzel leh2- „Wasser gießen, wässern“ (LIV 401) zugeordnet werden. Sie ist als Verb nur in
den anatol. Sprachen bezeugt: heth. lah „gieße!“, mit u-Erw. lahuanzi „sie gießen“ (Oett.Stb.
422ff.), luw. Intensivbildung lahuni-/launai- „waschen“ (Melchert KZ 101, 217f.). Eine
uridg. Derivation *léh2-meh2- (> späturidg. *lSm�-) „Nässe, trübes Wasser, Matsch“ mit
Substantivakzent ist fortgesetzt in lat. l�ma f. „Pfütze, Matsch, Morast“, gr. �����I��ÄWUübe
Flüssigkeit (in den Augen)“ (vgl. dt. Triefauge vom Verb triefen „nass sein, vor Nässe
WURSIHQ³���ZRYRQ�GDV�GHQRP��9HUE�����&�ÄWUübe, verdunkelte Augen haben; fast blind sein“
abgeleitet ist (Aristophanes +) und in nhd. dial. Lume, Luhme f. „Pfütze, Matsch; Loch im
Eis“ (→ B). Möglicherweise kann hier das aind. Adj. r�má- „dunkel, schwarz“ aus uridg.
*leh2-mó-/máh2- (§�WK�U. lum(e) „trübe, matschig, feucht“) mit Adjektivakzent angeschlossen
werden; Mayrhofer in EWAia bietet für aind. r�má- keine überzeugende Etymologie.
Lum, Lume, lumig, lumen 4
Da sich die thür. Wörter Lum, Lume und laumig sowohl lautlich als auch semantisch
befriedigend an gut bezeugte idg. Wörter anschließen lassen, muss die von Kluge / Seebold in
EWD s.v. Laum „Wasserdampf“ versuchte Verbindung mit Lohe „Flamme, Glut“ vor allem
aus semantischen Gründen aufgegeben werden.
Lit: B ThWb s.vv. Lum, Lume, lumen, lumig; SchlHo Wb 3, 505 und 525; Danneil 54;
Damköhler 119; Rhein Wb 5, 600; Schw Id 3, 1271; DWb s.vv. Luhme, Laum, lühen; WB
Kr/M III 239ff; Frndh Gr 4, 507ff; Lühr Nhd 165, 169; L Sp ThGr 126ff, 130, 143 ff; Egerm
EWD s.v. Lauge; de Vries s.vv. laug, lauga, lauðr; Holth. s.v. l�Dðor; Eidg LIV 401, 414, 418;
Bock LatVb s.vv. luere, lavare, polluere; W/H s.v. SROOXHUH��OXWXP��O�PD; Oett. Stb 422ff;
Melchert KZ 101; Mayrhofer EWAia s.v. U�Pá-, EWD s.v. Laum.
Maigosten 1
Maigosten Sb o. G., o. N. „Maikäfer“
Z: Das bisher unerklärte Sb. Maigosten ist ein Determinativkompositum „Mai-gast“ und entstammt der
Kindersprache. Semantische Parallelen sind z.B. Maikönig und Maikaiser, die den Käfer als den
auffälligsten Ankömmling des Monats Mai kennzeichnen. Lautliche Veränderungen wie die
verdumpfte Aussprache des -a- als -o- in -gosten lassen sich im thür. Dialekt auch sonst nachweisen.
Ob in -gosten eine Form mit Antritt von -en im Sg. (wie in den swF. häufig) oder eine
Deminutivbildung Gastchen mit Aussprache des -chen als [jen] vorliegt, kann wegen der schlechten
Beleglage nicht entschieden werden. Die in ThWb s.v. vermutete Zugehörigkeit zu güst „unfruchtbar“
ist dagegen semantisch nicht naheliegend
B: Das Wort Maigosten o.G. als eines der zahlreichen kindersprachlichen Wörter für den
Maikäfer ist im thür. Sprachgebiet einmal nur aus der Gegend um Gotha (Zentralthür.)
bezeugt.
M: Genus, Numerus und Kasus sind unklar. Andere kindersprachliche Bezeichnungen des
Maikäfers, z.B. Maikäcker, Maikobold, Schuster, Müller etc., sind entweder Mask. oder,
wenn Deminutivbildungen vorliegen wie in Maikälbchen oder Äuschen, Neutra (ThWb s.v.
Maikäfer). Vor allem im Zentralthür. breitet sich der n-Pl. zugunsten anderer, weniger
markierter PluUDOELOGXQJHQ�DXV��]�%�� LP�1��3O�� >Z¾Qn] die Wänden (statt die Wände) zu
Wand. Apokope, n-Abfall und n-Antritt haben in südwestl. und zentralthür. Gebieten die
Endungsverhältnisse stark umgestaltet. Häufig werden einige Pl.-Endungen wie -er oder
-en als deutliche Pluralmarkierungen auch an ursprünglich zu anderen Deklinationsklassen
gehörende Wörter angefügt (Sp ThGr 239f., 241), so dass Gosten ein falscher Plural zu
Gast sein könnte, dabei würde man – wie in Wänden – jedoch Umlaut erwarten (:�L). Die
Ausbreitung des n-Antritts auch im Sg. zuerst bei den schw. F. wie in die Wiesen (Sg. und
Pl.) trägt zu einer Nivellierung der Numerusdifferenz bei; Maigosten kann dann so auch als
Singular bestimmt werden, was aus lautlichen Gründen zu bevorzugen ist (:�L). Eine
dritte Möglichkeit ist die Interpretation von -gosten als Deminutiv „Gästchen“ (:�L).
WB: Maigosten ist ein Determinativkompositum mit den Bestandteilen Mai und Gast (:�M,
WG), das evtl. durch ein Deminutivsuffix -chen erweitert ist (:�L).
L: Die Verdumpfung des -a- zu -å- und -o- findet im größten Teil des thür. Sprachgebietes
statt, auch in der Gegend um Gotha, aus der unser Beleg stammt (Sp ThGr 12ff.). So kann
eine dial. Sg.-Form Gost(en) lautlich und morphologisch (:� M) problemlos aus Gast
erklärt werden, z.B. in dem weihnachtlichen Kinderreim Ruprich, Ruprich, unser Gost,
wänn de wos in Socke host... ; vgl. auch Rast und Mast in gut Futter un Rost gaben gute
Most „gutes Futter und Rast geben gute Mast“ (ThWb s.v. Rast). Eine Pl.-Form Gäste
Maigosten 2
weist dagegen auch im Thür. immer den Umlaut auf (Sp ThGr 26) und würde einen Pl.
*Gästen erwarten lassen (vgl. z.B. den erweiterten (Sp ThGr 241) D. Pl. in me muß sein
Gestna wos biet). Auch ein Deminutiv mit der lautlichen Vertretung von -chen als [j�n]
wie in Mädchen [maj�n], [mäj�n] ist möglich, denn der Beleg Maigosten stammt aus dem
Gebiet mit Deminutivsuffix -chen (ThWb 242f.). Die Wiedergabe als -gosten (statt
-gostjen) muss dann auf undeutlicher kindlicher Aussprache beruhen. Ähnliche Fälle
kindersprachlicher Varianten sind Maiauzcher, Maiatz neben Äuschen „Maikäfer“ oder
Maikäuer neben Maigeier (ThWb s.v. Maiauzcher, Maikäuer).
Die in ThWb vorgeschlagene etym. Verbindung zum Adj. güst(e) „unfruchtbar“ ist nicht
nur semantisch wenig wahrscheinlich (:�WG), sondern auch lautlich schwierig, da die
thür. Belege dieses Wortes immer die umgelautete Form zeigen (ThWb s.v. güst(e)), die
mit dem -o- von Maigosten nicht vereinbar sind. So müsste man dann annehmen, dass in
Maigosten die einzige nicht umgelautete Form des Adjektivs fortgesetzt ist.
WG: Das Benennungsmotiv für das Determinativkompositum Mai-Gast „Gast des Monats
Mai“ liegt in seinem regelmäßigen Erscheinen fast ausschließlich im Mai. Wie in fast allen
Bezeichnungen für den Maikäfer, die den Bestandteil Mai enthalten, z.B. Maikobold,
Maibrummer usw. (:� B), engl. may-bug, may-beetle, ital. maggiolino, ist eine
Lexikalisierung eingetreten (speziell zum Maikäfer: EWD, Einführung in die
Terminologie, 8.3). Im Rhein. bezeichnen unter anderem Maikönig und Maikaiser den
Maikäfer (RheinWB s.v. Maikäfer) und zeigen ein ähnliches semantisches Motiv „Herr des
Monats Mai“. Maikäfer mit speziellen Farbabweichungen sind Schuster (dunkle), Müller
(helle), Goldschmiede (gelbliche) und Rotschilde, Rotschnippen (rötliche). Weitere meist
kindersprachliche Ausdrücke sind Maikauz, Maibrummer, Maikäcker, Maikätscher,
Brummscheißer usw. (ThWb s.v. Maikäfer), die das Brummen der Maikäfers beim Flug in
den Vordergrund stellen. Doch gibt es keinen einzigen semantisch vergleichbaren Beleg
für die von ThWb vermutete Zusammenstellung mit dem Adj. güst(e) „unfruchtbar“ (:�L).
Egerm: Die Kompositionsbestandteile Mai und Gast kommen auch in anderen german.
Sprachen vor:
Mai, ahd. meio, ist wie nndl. mei, nengl. may, nschw. maj, nisl. maí ein Lehnwort aus lat.
(mensis) 0�LXV (EWD s.v. Mai; deVries NEW 435; Paul DWb 550; Pfeifer 825f.; WH
LatEtWb II 12f. s.v. Maia)
Nhd. Gast, mhd., ahd. gast gehen mit asächs. gast, got. gasts, anord. gestr, aengl. giest,
nengl. guest, afries. jest auf german. *Àasti- m. „Gast“ zurück (Casaretto NomWb 184f.
Maigosten 3
mit weiterer Literatur; EWA s.v. gast). Dieses Wort hat genaue Entsprechungen in anderen
idg. Sprachen (:�Eidg).
Eidg: German. *Àasti- m., lat. hostis m. und aksl. gost��weisen auf ein uridg. Subst. *ghosti- m.
„Fremder; Gast“, das auch in dem alten Kompositum lat. hospes „Gastgeber; Gast“, aksl.
gospodi „Gastherr“ verbaut ist und eine Teilentsprechung in aind. átithi-pati- „Gastgeber“
hat (Forssman 1998: 121ff.). Das uridg. Subst. *ghosti- wird von Heidermanns als
Kompositum *gho-sth2-i- „abseits stehend“ segmentiert, wobei eine Übersetzung
„dabei/hier stehend“ treffender wäre: *gho- „hier“ ist in dem lat. Pron. hoc „dieses (hier)“ <
*gho-ke enthalten. Eichner dagegen bestimmt *ghost-i- als i-Adj. zu einem t-stämmigen Sb.
*ghost- „Mahlzeit“ (Heidermanns 2002, 185-202; Heidermanns Sab Nom § 269; Eichner
2002: 155f.)
Lit: B ThWb s.v. Maigosten, Maikäfer; M Sp ThGr 239f., 241; L Sp ThWb 12ff., 26, 241,
242f.; ThWb s.v. güst(e), Maiauzcher, Maikäuer, Rast; WG EWD Terminologie 8.3.;
Rhein Wb; ThWb s.v. Maikäfer; Egerm EWD s.v. Mai; deVries NEW 435; Paul DWb 550;
Pfeifer 825f.; Casaretto NomWb 184f.; WH LatEtWb 12f s.v. Maia; EWA s.v. gast; Eidg
Forssman 1998: 121 ff.; Heidermanns 2002; Heidermanns Sab Nom § 269; Eichner 2002:
155f.
Maigosten 4
Mandel, mandeln
1
Mandel Sb f. n. selten m. „eine Menge von 15 oder 16 Stück; aus 15 oder 16 Garben
bestehende Getreidehocke“
mandeln swV 1. „je 15 Getreidegarben zusammenlegen“ „15 oder 16 Kinder bekommen“
Z: Das Wort Mandel bezeichnet eine Anzahl von meist 15, selten 16 Garben, die zum Trocknen
aufeinandergelegt werden. Durch Verallgemeinerung wie bei dem Wort Schock ist Mandel zum
Zählmaß für eine Menge von 15 oder 16 Stück geworden (:��
WG). Mandel ist im Hd. und Nddt. ab
dem 13. Jhd. belegt und ein Lehnwort aus spätlat. mannella, mannello „Garbe, Getreide- oder
Flachsbündel“, das sich über die obdt. Dialekte nach Osten und Norden ausgebreitet hat. Die von
Seebold in EWD s.v. Mandel vorgeschlagene Herleitung aus einem nur durch korn. manal „Garbe“
und breton. malazn „id.“ rekonstruierten keltischen Wort *mana-tlo- muss aufgegeben werden, da die
beiden Wörter innerkeltisch keinen Anschluss und keine Etymologie haben. Sie können ebenfalls
besser als Lehnwort aus mannella, -o erklärt werden (:�(idg).
B: In thür. Mdaa. (außer in der Rhön und im Gebiet um Bad Salzungen) ist ein älteres, heute
kaum noch gebräuchliches Wort Mandel f. n. selten m. „15 oder 16 Stück; aus 15 oder 16
Garben bestehende Getreidehocke“ belegt.
1. In der Verwendung als Zählmaß ergeben vier Mandel ein Schock (:�WG). Vor allem
Eier wurden nach Mandel gezählt und gehandelt, aber auch Nüsse oder Obst, z.B. zwanzig
hüner, so er zu vorrichten, und von jeder drey mandel eyer (in einer Urkunde aus dem
Jahre 1613); brenk mich ämool ä Mandel Eier. Bei weniger wertvollen Dingen wie z.B.
Zwetschgen zählte man auf das Mandel 16 Stück: ä Mandel hat äächentlich fuffzen Steck,
awer sechzen sin gerachent worn; vier Mannel hon ä Quatschenschock (thür. für
Zwetschgenschock = „64 Stück“) gegahm. Auch das mellsch Mandel „mühlhäusische
Mandel“ hatte 16 Stück. Gelegentlich werden andere Dinge im Sinne einer allgemeinen
Schätzung nach Mandel angegeben: ich hotte amd e holb Mannel Schnapse jetrunken; dar
Krack („das schlechte Pferd“) äs dach schonn anne Mannel Johr aalt; sei Voter un seine
Motter hatten ooch schunne änne Mannel tausend Taler zesammengehongert; vgl. auch die
Redensart ha lätt driezahn gruade sie un verzahn en Mannel „er lässt dreizehn gerade sein
und vierzehn ein Mandel“, d.h. „er nimmt es nicht so genau“.
2. Mandel wird aber auch zur Zählung von Getreidegarben verwendet und bezeichnet die
aus 15, selten 16 Garben gebildete Getreidehocke: zu Arnstadt ist erwachsen…238 schock
2 mandell gersten. 139 schock 3 Mandell Rokken (in einer Urkunde aus dem Jahre 1583);
do stiehn nuch ocht Mannel Gerste; de Garschten wird in Manneln geleit „die Gerste wird
in Mandeln gelegt“ (ThWb s.v. Mandel).
In Komposita findet sich Mandel in Mandelhaufen m. „der aus 15 Garben gebildete
Getreidehaufen“, meist in der Form der Kreuzmandel (:� WG), und dem Adv.
Mandel, mandeln
2
mandelweise „zu je 15 Stück“, z.B. de Eier verkoof mer mandel- oder halbmandelweise;
die Frucht wurde mandelwiese uffjestellt. Das Adv. mandelweise bedeutet übertragen auch
„große Menge, viel“: in dar ehrn Schranke häng’n de Kleeder mandelweise; dar hat de
Dommheet maanelweis gefressen. Eine denominales sw. Verb ist mandeln in den zwei
Bedeutungen „je fünfzehn Getreidegarben zusammenlegen oder -stellen“, z.B. in mr wulln
de Gorm’n („Garben“) mannle, doß nich wedder noß ward, und „eine Anzahl von 15
erreichen“, scherzhaft in der Redensart hat’s gedutzend, kann’s auch mandeln „sind einmal
12 Kinder in der Familie, können es auch 15 werden“. Von diesem Verb ist Mandler m.
„Erntearbeiter, der die Garben zu Mandeln legt oder stellt“ abgeleitet: wenn de Gerschte
trocken war, wurde isammt („eingesammelt“) un gebungen; hingerdrein kam“n de
Mannler un stellten se in Kreiz- oder Bansenmanneln off (ThWb s.v. Mandelhaufen,
mandeln, mandel(s)weise, Mandler).
3. Mandel „Anzahl von 15 Garben“ und verschiedene Weiterbildungen sind vor allem im
Alpenraum und in einigen nddt. Gebieten erst ab mhd. oder frnhd. Zeit vertreten: bair.
Mannl, Mandl n. bezeichnet mehrere (10 bis 15) Getreidegarben, die auf dem Feld aufrecht
zusammengestellt und oben mit einer umgekehrten Garbe als Schutz bedeckt werden
(Schm BairWb 1, 1601). In Tirol besteht eine Getreidehocke aus zehn Garben, sechs
Hocken bilden einen Schober oder ein Mandl n., die oberste Garbe heißt Hut (Frommann
dt. Mundarten 6, 152). Aus älterer Zeit stammt noch: das getraide wird im felde zur
erndtezeit, wann es gesammlet und aufgebunden ist, in mandeln gesetzet, da denn das
ährenlesen hinter denen abgeführten mandeln nach, und nicht zwischen denen annoch
stehenden, denen armen leuten vergönnet wird (Öcon. Lex. 1500). Auch im nddt. Bereich
ist Mandel als Anzahl von 15 Garben bezeugt: Mandel strues frugum ex quindecim
mergitibus, quindena, funfzehn Garben (Frisch Teutsch-Lat 1, 638b); Mandel, eine Hocke
von funfzehn Garben (Voss de vitiis 2, 337). Von der Art, wie die einzelnen Garben zu
Mandeln zusammengebunden werden, hängt auch die Menge der Garben und somit die
hinter dem Begriff Mandel stehende Zahl ab (:�WG).
Mandel bezeichnet auch eine Anzahl von 15 Einheiten und reicht in dieser Verwendung
über den Alpenraum, Bayern und das östliche Mitteldeutschland auch nach
Norddeutschland: quindena ein mandel (Dieffenbach NovGloss 311b); von einer mandel
pfannkuchen solte mir wohl besser werden (Chr. Weise Comödien-Probe 315); daß
gemeldter herr nicht eine, sondern wohl ganze mandeln der artigsten dames zu seinen
guten freundinnen hätte (Chr. Weise Ehe eines Mannes 338).
Mandel, mandeln
3
In der latinisierten Form mandala steht der älteste Beleg in einer Urkunde aus dem Jahre
1242 des Chartulars der Abtei Mont S. Martin zu Cambray: viginti mandalas straminis ...
in illis octo modiis siliginis et avenae et viginti mandalis straminis (Du Cange 4, 220a).
M/WB: In der Bedeutung als Zählmaß überwiegt das Neutrum gegenüber dem Femininum,
das nur um Erfurt und um Weimar häufiger vorkommt, in der Bedeutung „Garbenhocke“
ist das Fem. neben dem Neutr. ungefähr gleich häufig. Das Mask. ist nur verstreut im
hennebergischen Sprachraum bezeugt (ThWb s.v. Mandel). Im Bairischen und
Tirolerischen ist das Wort Mandl als Mannl zum Deminutiv von Mann umgedeutet
worden, was den Gebrauch des neutralen Genus begünstigt hat. Das denominale Verb
mandeln ist von Mandel abgeleitet wie handeln von Handel (Fleischer/Barz 310).
L: Die mundartlichen Varianten [man(Q)l] und [mån(Q)l] zeigen die lautgesetzliche
Assimilation von inlautendem -nd- zu thür. -nn- wie z.B. in [hunQrd] „Hundert“ oder [šån]
Ä6FKDQGH³��6S�7K*U����II����GLH�9DULDQWHQ�>P�Q�Q)l], [mÂ�Q�Q)l], [mÊ�Q�Q)l] und [m*n(Q)l]
zusätzlich noch Vokaldehnung wie z.B. in [h Ê�PQ�U�@� Ä+DPPHU³�� >ã�QQ] „Schande“ (Sp
ThGr 18f.).
WG: Üblicherweise bezeichnet Mandel eine liegende Anordnung der Garben, wie sie vor
allem bei Feldfrüchten mit kurzen oder schlaffen Halmen (z.B. Gerste, Hafer oder Flachs)
zweckmäßig ist. Dabei werden drei Schichten von je vier oder vier Schichten von je drei
mit den Ähren nach innen liegenden Garben kreuzweise übereinander gelegt, drei weitere
Garben werden als Regenschutz („Hut“) darüber gebreitet. Diese Art der Schichtung heißt
Kreuzmandel und ergibt eine Menge von 15 Garben und somit die Größe des Zählmaßes,
wie es im Verbreitungsgebiet des Wortes Mandel üblich ist. Bei der Bansenmandel werden
die einzelnen Lagen der Garben in abnehmender Zahl nach oben aufeinandergeschichtet,
also erst 5 Garben, dann 4, 3, 2 und schließlich als „Hut“ eine Garbe, so dass sich auch hier
eine Anzahl von 15 Garben ergibt. Eine weitere Möglichkeit der Anordnung besteht darin,
an vier in der Mitte stehende Garben rundum weitere Garben anzulehnen:
Daraus ergibt sich die Zahl 16. Auch andere Arten der Anreihung mit meist 15 Garben
waren üblich (ThWb s.v. Landmandel, Kauzmandel, Spitzmandel). In manchen Gebieten
legte man die Garben auf eine Astgabel oder ein Holzgestell, damit die Ähren nicht die
Erde berührten und ein schnelles Verfaulen bei Nässe verhindert wurde.
Mandel, mandeln
4
Egerm: In EWD s.v. Mandel² „Menge von 15 oder 16 Stück“ vermutet Seebold Herkunft aus
einem keltischen Wort *manatlo-, das aus korn. manal „Garbe“ und mbreton. malazn,
nbreton. malan „id.“ rekonstruiert wird. Die spät bezeugten britannischen Wörter haben
jedoch weder einen innerkeltischen Anschluß noch eine innerkeltische Etymologie, was sie
der Entlehnung verdächtig macht (:�Eidg).
Für die dt. Wörter ist somit eher ebenfalls fremder Ursprung und zwar aus einem spätlat.
mannella f. oder mannellus m. „kleine Garbe, Bündel“ (< *„Handvoll“; Meyer-Lübke
REW 5329) wahrscheinlich. Der Akzent hat sich – wie bei lat. Lehnwörtern üblich – im
Dt. auf die erste Silbe zurückgezogen, die zweite Silbe wurde synkopiert und die Endung
reduziert: spätlat. mannélla, -us > *mánnella, -us > *mannlla, -u > mannl, mand(e)l. Ganz
parallel geht z.B. die Entwicklung von lat. genésta > nddt. ginst, geenst, nhd. Ginster (mit
t/der-Erweiterung in Analogie zu anderen Pflanzenbezeichnungen wie z.B. Holunder, ahd.
affaltar „Apfelbaum“; EWA s.v. genesta). Zwischen den aufgrund der Synkope in
Kontaktstellung geratenen n und l entstand ein Sprossdental wie in bair. Schweind(e)l
„Schweinchen“ (MhdGr 139) oder hd. eigentlich, öffentlich < eigen-lich, öffen-lich etc.
MhdGr 161). Dentale Sprosskonsonanten sind ab dem 13. Jhd. bezeugt; dies wird bestätigt
durch den aus dem 13. Jhd. stammenden latinisierten Beleg mandala (:�B).
Die Entlehnungsbasis ist auch im heutigen alpenländischen Italienischen noch als
mannella, mannello „Garbe, Getreide- oder Flachsbündel“ gebräuchlich. mannella und
mannello sind Deminutivableitungen eines schon im klass. Lat. bezeugten manua
„Handvoll; Getreidebündel“ (:�Eidg).
Eine semantische Parallele bietet das deutsche Subst. Handvoll mit den dial. Varianten
Hampfel, Hämpfel und dem schweiz. Demin. Hämpfeli. Sie bezeichnen die Menge, die
eine Hand fassen kann, vor allem bei der Getreideernte: die handvoll, was man in ein hand
fassen mag, manuale, manipulus (16. Jhd., alemann., Maaler teutsch Sprach 212a);
manipulus, ein hantfol, so vil ein kornschniter mit der hant begreift (16. Jhd., Nürnberg,
Serranus dict. o 1b). Auch Garbe ist von einem uridg. Verb abgeleitet, das „greifen“
bedeutet, auch wenn die genauen Ablautverhältnisse noch nicht geklärt sind (EWA s.v.
garba; EWD s.v. Garbe).
Der Bedeutungsübergang von „Haufen oder Bündel Getreidegarben“ zu einem Zählmaß ist
in Schock deutlich, das ursprünglich einen Haufen von Garben und später die Zahl 60
bezeichnet; dies ist in der heutigen dt. Schrift- und Umgangssprache zur ausschließlichen
Bedeutung geworden (EWD s.v. Schock1).
Mandel, mandeln
5
Eidg: Spätlat. mannella, -us ist ein Deminutiv von spätlat. manna „Garbe“ < klass. lat. manua
f. „Handvoll, Getreidebündel“ (Meyer-Lübke REW 5329). Das spätlat. -nn- stammt
lautgesetzlich aus der Verbindung -n - wie z.B. in it. gennaio „Januar“ < lat. L�QX�ULXV��einer Nebenform zu lat.�L�QX�ULXV�(Meiser Lat.LFL §61.2). Lat. manua ist wahrscheinlich
eine analogische Rückbildung aus PDQX�OLV (vielleicht nach dem Muster L�QXD : L�QX�OLV; Walde/Hofmann LEW II 34; Leumann/Hofmann/Szantyr 71*), das von manus, -ÌV� f.
„Hand“ mit dem Adjektivsuffix -�OLV abgeleitet ist. Allenfalls möglich wäre auch eine
Kollektivbildung, die man in das Uridg. als *mon -ah2- „die Menge, die man mit der Hand
greifen kann“ transponieren kann. Lat. manus geht auf einen urital. u-St. *monu- mit auch
sonst bezeugter Entrundung von o > a nach Labialen zurück (Schrijver PIE Lar. 465,
474f.). Neben lat. manus sind umbr. MANUVE „in manu“ (D./L.Sg. eines u-Stamms),
MANF (Ak.Pl. eines Konsonantenstamms) und osk. manim (Ak.Sg. eines i-Stamms)
bezeugt. Außeritalisch schließen sich an german. *PXQÿ�- f. „Hand; Schutz“ in anord.
mund f. „Hand“, aengl. mund f. „Hand; Schutz, Vormundschaft“, ahd. munt f. „Hand;
Schutz“ < uridg. *m�-táh2- und air. muin i,f. „Schutz“ < uridg. *mon-i-, falls das kelt. Wort
in air. muin „Hals, Nacken“ als Sonderbedeutung in den Phrasen de/do muin „im Nacken
von, hinter“ und „unter dem Schutz von“ und for muin „unter dem Schutz von“ verbaut ist
(DIL s.v. 1. muin „Hals“ c.; Schrijver PIE Lar. 458). Ein selbständiges air. Subst. muin
„Schutz“ gibt es trotz Schrijver (loc. cit.) nicht. Das Hethitische bietet ein Verb mani�ahh-
hhi „einhändigen, übergeben, beauftragen“, das nach Oettinger aus einem denominativen
*m�n-�e/o- mit innerheth. Mitteln weitergebildet ist (Oettinger HethSb 458). Unter
Einbeziehung von Schrijvers Herleitung des lat. Wortes manus aus uridg. *mon-u- ist für
heth. mani�ahh-hhi jedoch eine schwundstufige denominative Ableitung *m�-�e/o- mit
lautgesetzlichem Wandel von uridg. *� zu heth. an vorzuziehen, die dem in LIV² 19
dargestellten Ableitungsmuster mit schwundstufiger Wurzel und Suffix -�e/o- genau
entspricht.
Bei Pindar ist ein Hapax legomenon ��!�� Ä+DQG³� QHEHQ� HLQHU�+HV\FKJORVVH��.!��0�� Ü��.����0�� ÄHUJUHLIW³� EH]HXJW�� 'LHV� KDW� ]XU� $QQDKPH� HLQHV� XUVSUünglich heteroklitischen
uridg. Paradigmas N. *móh2-�, G. *méh2-�-s oder N. *h2em-ÀU, G. *h2m-n-és (zu einer
uridg. Wurzel *h2em- „nehmen“; Neri temi in -u 234f. u. Anm. 746) geführt. Für das Lat.
erfordern diese Ansätze eine Reihe von Sonderentwicklungen, so dass der lautgesetzlichen
Herleitung von manus < *monu- „Hand“ hier der Vorzug gegeben wird. Das Wort reiht
sich so in eine Gruppe von o-stufigen, u-stämmigen Wörtern ein, die meist Körperteile
Mandel, mandeln
6
bezeichnen: uridg. *ÿonu- „Knie“, *sonu- „Rücken“, *por�u- „Rippe“ (weitere Beispiele
bei Neri temi in -u 146 Anm. 422).
Möglicherweise ist das lat. Wort mannella, -us „Garbe“ auch als Lehnwort ins
Britannische eingedrungen und wurde zu einer Bildung mit dem Instrumental-Suffix *-tlo-
(ererbt z.B. kymr. haedd(e)l, mbreton. haezl „Pflugschar“; GPC s.v. haeddel)
uminterpretiert als *mannatlo-. Die Endsilbe ist reduziert worden, der Akzent wurde
infolge der britannischen Paenultima-Akzentuierung auf den Anfang des Wortes verlagert
und die zweite Silbe geschwächt: lat. mannélla, -us „Garbe, Getreidebündel“ > britann.
*mannátlo- > *mánnaϑl > korn. manal und breton. malazn „id.“. Mbreton. malazn zeigt
die gleiche Liquida-Metathese von *manazl > breton. malazn wie z.B. mbreton. alazn
„Atem“ < *anazl (kymr. anadl) oder mbreton. balazn „Ginster“ < *banazl (kymr. banadl;
Pedersen VGKS I 135), im Falle von malazn kann auch ein volksetymologischer
Anschluss an das breton. Verb malaff „mahlen“ (statt *melaff, vgl. air. melid, mit
Verallgemeinerung des schwachen Stamms; LIV² 432f.) eingetreten sein. Für diese
Herleitung aus dem Lat. spricht, dass das Britannische viele lat. Lehnwörter aus dem
Bereich der Agrikultur übernommen hat (Haarmann, lat LW).
Lit: B ThWb s.v. Mandel, Mandelhaufen, mandelweise, Mandler; Sch BairWb 1, 1601;
Frommann dt. Mundarten 6,152; Öcon.Lex. 1500; Frisch Teutsch-Lat 1,638b; Voss de
vitiis 2,337; Dieffenbach NovGloss 311b; Chr. Weise Comödienprobe 315; Chr. Weise
Ehe eines Mannes 338; Du Cange 4, 220a; M/WB ThWB s.v. Mandel; L Sp ThGr 18f,
193ff; WG ThWb s.v. Mandel, Kreuzmandel, Bansenmandel; Egerm Meyer-Lübke REW
5329; EWA s.v. garba, genesta; MhdGr 139, 161; Maaler teutsch Sprach 212a; Serranus
dict. O 1b; EWD s.v. Garbe, Schock1; E
idg REW 5329; Meiser Lat. LFL § 61.2;
Walde/Hofmann LEW II 34; Leumann/Hofmann/Szantyr 71*; Schrijver PIE Lar 458, 465,
474f.; DIL s.v. muin; Oettinger HethSb 458; GPC s.v. haeddel; Pedersen VGKS I 135;
LIV² 432f.; Haarmann lat. LW.
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 1
Märe, Märerei Sb f. „Durcheinander, Kleckerei, Dreck“
Märde, Märte Sb f. „eingebrockte Speise“
Märes Sb m. „unsauberer Esser“
mären swV „mischen, herumwühlen, stochern“
Z: Die thür. Wörter Märe, Märerei f. „Durcheinander, Kleckerei, Dreck“; Märes m. „unsauberer
Mensch“ und das sw. Verb mären „herumwühlen, stochern“ sind Ableitungen einer german. Wurzel
*mer- „zerkleinern“, die auch im anord. Kausativ merja „zerkleinern, zerschlagen“ (< uridg. *morh2-
éie-, ôô
Eidg
) und weiteren Ableitungen in den german. Sprachen bezeugt ist. Die bisherige Herleitung
von dial. Mä(h)rte, Märde „in Wein, Bier oder Milch eingebrockte Speise“, ahd. merãã
te f., mer..
t m.
„ds.“ als Lehnwort aus kirchenlat. merenda „Vesperbrot“ muss aus lautlichen Gründen aufgegeben
werden (ôô
Egerm
). Märde, Mä(h)rte wird stattdessen als „zerkleinerte Speise“ mit den oben genannten
Wörtern etymologisch verknüpft; und Märes „unsauberer Esser“ hat ein aus dem Rotwelschen
stammendes Suffix -es erhalten (:�M/WB).
Erschwert wird die Zuordnung der dial. Wörter samt ihren Ableitungen durch die Vermischung mit
zwei anderen, im Nhd. und den Dialekten teilweise homophon gewordenen Wörtern mären „erzählen,
reden, schwätzen“ und mären „zögern, trödeln, langsam arbeiten“, die aber aufgrund ihrer mhd.
Lautgestalt m��
rn und merren dort noch unterschieden werden (ôô
WG, Egerm
). Für alle drei Wurzeln
lassen sich uridg. Anschlüsse finden (:�(idg).
B: In thür. Mdaa. sind folgende Substantive bezeugt: Märe f. „durch Unordnung entstandenes
Durcheinander, Verwirrung, Kleckerei“; Märde, Mährde, Märte f. „schmutziges
Durcheinander, Dreck; Monatsblutung der Frau“, z.B. in das es je enne hebsche Määrde
„das ist ja eine ziemliche Sauerei“ und Märerei f. „durch Verschütten einer Flüssigkeit
entstandene Unsauberkeit, Schmutz, Durcheinander“, z.B. in aale Planschsuse, su ene
Marerei, was du machst, oder mocht nich immer su ne Marerei mit eiern Kaiserhammel
(Kaiserhammel = Leckerbissen). Des weiteren ist für Märte f. auch eine Bedeutung
„eingebrocktes Gericht, Kaltschale mit eingeweichtem Backwerk“ bezeugt. (:� WG1).
Davon ist Märtentopf „Topf, in dem man sein Essen (Märte) zur Arbeit mitnahm“
abgeleitet. Märes m. „unsauberer Esser, Dreckspatz“ bezeichnet jemanden, der beim Essen
immer die Hälfte verkleckert oder beim Kauen teilweise wieder ausspuckt. Sehr häufig
kommt in ganz Thür. das schw. Verb mären, mähren „im Schmutz oder in trüben
Flüssigkeiten herumwühlen, herumrühren, stochern“ vor, z.B. in de Keeng maren in Drack
„die Kinder wühlen im Dreck“. Daneben sind auch Präfixverben belegt, z.B. anmären
„anfassen, berühren“, moßt de met dein Dreckpfutn olles oonmäre?, und „anmischen“, em
oachte han ech dn Kuechen oangemiert „um acht habe ich den Kuchenteig angerührt“,
herummären in mare nich in der Mallemen rim „stocher nicht im Straßenstaub herum“
oder hineinmären in mar nich olles onger enannr nei „rühr nicht alles untereinander
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 2
hinein“. Weitere Verben werden mit den Präfixen ab-, be-, durch-, ein-, hinan-, ver-, zer-,
zusammen- gebildet (ThWb s.vv.). Vor allem beim Essen bedeutet mären „herumstochern“
und dann auch „wählerisch sein, sich die besten Stücke aussuchen“. Dazu gehört das Adj.
märig „wählerisch beim Essen“. Weitere Bedeutungsübertragungen sind – ausgehend von
„stochern“ – „unnütz betasten, anfassen, durch Anfassen ärgern“, z.B. in mär die Katz niet
suu „ärgere die Katze nicht“ und – aufgrund des Geräusches – „herumkramen,
herumrumoren“. Ähnliches lässt sich auch bei Subst. nachweisen, vergleiche z.B. Gemäre
„lärmendes Gedränge, Gewühl“ in wor in dare Eisenbah a Gemör!
Das Verb mären ist in dieser Bedeutung außer im Thür. nur noch in Sachsen, Franken und
im Schlesischen bezeugt (DWb s.v. mähren; Weinhold 60a).
Die frühesten Belege für das Verb sind mhd. mërn, mëren swV „einbrocken, eintunken (und
herumrühren)“, z.B. in da�ÍichÍsül guoter spîse leben, irn durft mir niht wan wa��er gebn und
brôtes, da� ich drîn gemer und mit wa��er er einen copf (= Becher) nam, darinne merte er sîn
brôt (Lexer, BMZ s.v.). Märte, Märde entspricht mhd. merate, merte, merde f. „Wein oder
Wasser mit eingebrocktem Brot“ (:�WG1, Egerm).
Daneben gibt es homophone Wörter mit einer Grundbedeutung „reden, sprechen, erzählen“:
Mär m., Märe f. „unnützes Gerede“, z.B. in der macht aa e grassen Mär „der redet auch viel
Unnützes daher“, Gemäre n. „weitschweifiges Geschwätz, Gerede“, Märde f. „unnützes,
langatmiges Gerede“, z. B. in der Schulz hät a groß Marden gemocht „der Bürgermeister hat
eine lange Rede gehalten“; mären „schwätzen, umständlich daherreden“, durchmären „genau
durchsprechen, sich über jdn. auslassen“. Mit Mär- sind viele Komposita bezeugt, die Leute
bezeichnen, die viel und unnütz reden; z.B. Märsack m. „Schwätzer“ in dos sinn richtche alle
Marsäcke, bei dann giehts vun Hunnertsen ins Tausende bein Schlobbern.
Das Verb mären bedeutet aber auch „herumtrödeln, langsam arbeiten“, dazu gehört das Adj.
märig „langsam, schwerfällig, schlaff“, z.B. in märige Transuse. Es wird üblicherweise als
Bedeutungsübertragung „viel reden und daher langsam bzw. nicht arbeiten“ angesehen (doch
siehe WG1, Egerm).
Die Bedeutungen haben sich vermischt und werden heute kaum noch als verschiedene
Wörter empfunden. Deswegen kommt es auch im lautlichen Bereich zu Überschneidungen
(:�L). Die Vermischung zeigt sich z.B. in Märarsch m. „einer, der langsam arbeitet, ißt
oder langweilig spricht“, z.B. mar ach nech su iäweg, du aler Marorsch „schwätz doch
nicht so ewig, du alter Märarsch“.
M/WB: Märe ist ein fem. -�(n)-Stamm. Die Flexion der fem. �- und n-Stämme ist schon im
Ahd. zusammengefallen (MhdGr 198, FrnhdGr III 138ff). Märde, Mährde, Märte eigtl.
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 3
„Einbrockung“ ist dagegen eine fem. Abstraktbildung mit demselben Suffix wie in Hälfte
(aus Nddt., vgl. EWD s.v. Hälfte), Zierde oder Freude (:�Egerm1); während mären swV
und das Adj. märig von Märe deriviert sind wie Kunde : künden : kundig oder Sand :
sandig (Lühr Nhd 165). Märes m. zeigt eine Ableitung mit einem rotwelschen, ursprgl. aus
dem Hebräischen stammenden Suffix -es (z.B. in rotw. Meches m. „Zolleinnehmer“;
Balbes „Gastwirt“, Chattes „Lump“, Fladeres „Barbier“; Wolf Rotw s.vv.), das des öfteren
im Md. als Suffix zur Bildung von mask. Nomina agentis mit häufig abwertender
Bedeutung verwendet wird.
L: Thür. Märe, mären usw. setzen mindestens zwei Wörter aus dem Mhd. fort, die an ihrer
dialektalen Lautform unterschieden werden können:
1. mären „herumwühlen, umrühren“ hat die dialektalen Entsprechungen [mÂ�rQ(n)] und
[mÂ�rQ(n)], [m�rQ(n)], die auf einen mhd. Kurzvokal ë deuten, der im Nhd. regulär gedehnt
worden ist (Sp ThGr 72ff.).
2. mären „reden, schwätzen“ mit den dialektalen Varianten [m Â�rQ(n)], [m�QrQ(n)] weist auf
einen mhd. Langvokal � oder ¾ (Sp ThGr 103ff.).
In den Mdaa. haben sich die beiden Wörter nicht nur semantisch, sondern auch lautlich
vermischt, so dass [m�rQ] auch „reden, schwätzen“ bedeutet und [*anm�QrQ] „anrühren“.
Die Variante [m�rQ(n)] mit £ zeigt einen nur im Itzgrund anzutreffenden Lautwandel und
erklärt sich wie das ö in schwören < mhd. swern aus altem offenen û (Sp ThGr 92). Zu den
lautlichen und semantischen Überschneidungen vgl. auch HessWb 2, 252f. und Müll.-Fr.
2, 207.
In das Spektrum der Bedeutungen (:� B) ist noch ein drittes Verb, mären „trödeln,
bummeln, zögern“, eingedrungen, das in mhd. merren, ahd. marrjan trans. „aufhalten;
hindern“, intrans. „sich aufhalten, zögern“ bezeugt ist und dieselbe lautliche Entwicklung
eines Kurzvokals mit nhd. Vokaldehnung zeigt wie 1. mären „herumwühlen“ (:� WG,
Egerm).
WG1: Es gibt drei Bedeutungen bei den homophonen Verben mären:
1. „herumwühlen, stochern, mischen, einbrocken“ mit den Objekten „Teig“, „Essen“ oder
„Dreck“ (:� B). Dazu passt semantisch und lautlich das mhd. Verb mërn „einbrocken,
vermischen, rühren“ (:�L).
2. „schwätzen, weitschweifig reden“ gehört zu nhd. Mär f. und Märchen (EWD s.v.
Märchen), mhd. mæren, Prät. P�UWH, swV „erzählen“, ahd. P�U�U�HQ (:�Egerm).
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 4
Üblicherweise wird die Bedeutung „trödeln, langsam arbeiten“ aus „schwätzen und daher
nicht arbeiten“ hergeleitet (ThWb s.v. mären1). Doch gibt es im Mhd. ein zugehöriges
Verb mit kurzem Vokal:
3. „trödeln, bummeln, zögern“ hat Entsprechungen in mhd. marren, merren swV
„aufhalten, hindern“, intrans. „zögern, langsam gehen, trödeln“, Prät. merrete, marte, ahd.
marrjan „aufhalten, behindern“, (Lexer, BMZ s.v. marre, merren; :�Egerm), z.B. swane
der esel geth so setzet er einen vu� balde nach deme anderen und enmarret niht. also
ensoltu ouch niht marren. Weiterhin gehören die Subst. mhd. merren n. „das Zögern,
Trödelei“, marrunge f. „Verzögerung, Trödelei“, z.B. da� tv al zuhant, wane marrunge
machet gro�en Schaden, und merresal f. „Verzögerung, Hindernis“ hierher.
WG²: Aus dem Rotwelschen stammen die Verben malochen, marachen, marakeln „sich
abarbeiten, plagen“ (WbUmg 1,35; Wolf Rotw. Nr. 18, ThWb s.v.). Sie haben sich
teilweise mit den in WG1 genannten Wörtern vermischt und so zu marakeln „beim Essen
Unordnung machen, kleckern“, z.B. dar marakelt aber bein Essen, und Marakel m. mit
den Bedeutungen „Sauerei, Schmutz“, z.B. su e Marakel, „Dreckspatz“ als Schimpfwort
für einen unsauberen Menschen, und „dummes Geschwätz“, z.B. du machst awwer enn
Marakel, geführt.
Egerm1: Die unter WG
1 1. aufgeführten Wörter Märte, Märde f. sind Ableitungen mit dem
ahd. Suff. -Vda, -Vtha < german. *-VþÀ- (van Dam 193, 373; Dittmer FS Kolb 53-69).
Diese Abstraktbildungen können teilweise eine konkretere Bedeutung annehmen als z. B.
Bildungen mit *-¯Q- (vgl. got. kaurei „Schwere“ mit got. kauriþa „Last“; Kr/M III 145f.).
Das Subst. Märte, Märde „eingebrocktes Gericht“ ist schon im Ahd. als mer(e)da, merata
f. und PHUÀW��PHUHW��PHUW m. bezeugt. Grimm und Lexer (DWB s.v. Mährte, Lexer s.v.
mërn) erklären es als kirchenlat. Lehnwort aus merenda (zum Verb merere „verdienen“)
als „das verdiente Essen = Vesper, Vesperbrot“. Grimm führt als Beweis merod m. „in
Wein oder Milch eingebrockte Speise“ in der Benediktinerregel an; doch dort übersetzt es
lat. mixtum „Gemischtes“ oder intritum „Eingebrocktes“. Auch zeigen die ahd. und mhd.
Belege keine Spur eines Nasals (Lexer, BMZ s.v.; AhdWb s.v.), sie sind anfangsbetont und
bedeuten „in Wein, Bier oder Milch eingebrockte Brotstücke“. Mit Nasal sind nur bair.,
tirol., kärnt. und schweiz. merénd, marénd (1x 15. Jhd., sonst erst nhd.) „Nachmittagsbrot“
belegt. Diese Wörter sind erst spät aus italienisch merénda oder rätorom. marénda
„Vesperbrot“ in die deutschen Dialekte des Alpenraumes entlehnt worden und haben
aufgrund dieser späten Entlehnung den Akzent auf der zweiten Silbe behalten (SchweizId
IV 354). Deswegen müssen sie von Märte und seinen Vorformen getrennt werden. Märte,
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 5
Märde, ahd. merÀW, merate usw. sind daher dem Verb mären „einbrocken, mischen“ als
Dentalableitung zuzuordnen (:�M/WB). PHUÀW m. „(zerkleinerte und dann) eingebrockte
Speise“ ist dabei ein substantiviertes Verbaladjektiv mit dem Suffix *-þa/ða- (idg. *-to-,
Kr/M III 142f. und II 135) von einem -ÀQ-Verb *mer-ÀQ in intensiver oder iterativer
Bedeutung „immer wieder zerkleinern, abbrechen“, das eine genaue Bildungsparallele in
ahd. ]HLJÀQ „immer wieder deuten“ hat (Kr/M III 240). Dieses nicht bezeugte ahd. *PHUÀQ
kann die Vorform von mhd. mërn, mëren, Prät. merrete und marte, swV „einbrocken,
eintunken, vermischen“ und nhd. mären „herumwühlen, umrühren, vermischen“ sein. Da
die mhd. Belege auf einen Kurzvokal ë deuten und nicht auf ein durch i-Umlaut
entstandenes æ, entfällt die Möglichkeit, mhd. mër(e)n wie das anord. merja als Kausativ-
Iterativ german. *mar-jan < idg. *morh2-eie- „immer wieder zerkleinern“ zu erklären (:�E
idg). Ein scheinbar zugehöriges nengl. dial. Verb to murne „zerkrümeln, zerkleinern“ ist
dagegen aus anord. nisl. nnorw. dial. morna swV „verwelken, dahinschwinden;
zerkrümeln“ entlehnt (deVries Anord Et Wb 393).
Egerm2: Die unter WG
1 2. aufgeführten Wörter mären und Märchen gehören zu got. merjan,
anord. mæra „verkünden, erzählen“ und ferner zum german. Adj. *m¾rja- „berühmt,
bekannt“ (vgl. got. wailamereis „löblich“), anord. m�rr, ae. m¾re, as. ahd. mãri, mhd.
m�re (EWD s.v. Märchen; Heidermanns PA 408f.). Auch Märde f. „Geschwätz, Gerede“
setzt eine alte, und zwar schon im Got. belegte Bildung meriþa f. „Gerücht, Kunde“, ahd.
P�ULWKD, P�ULGD f. „Verkündigung“ fort (Lehmann GotWb s.v. meriáa).
mären, mhd. merren „verzögern, aufhalten, behindern“ und das Subst. merren n. „das
Zögern, der Aufenthalt“ stimmen zu got. marzjan „ärgern, stören“, ahd. marrjan, marran,
marren, ae. mierran, afries. P�ULD, as. merrian „aufhalten, behindern, stören“ (Lehmann
GotWb sv. marzjan).
Eidg: Das aus ahd. PHUÀW m. zu erschließende ahd. *-ÀQ-Verb *mer-ÀQ „(immer wieder)
zerkleinern“ und das Kausativ-Interativ anord. merja < german. *mar-jan „ds.“ Setzen die
uridg. Wurzel *merh2 in der Bedeutung „gewaltsam packen; zerdrücken“ (so LIV² 440)
oder „zerkleinern, zerstoßen“ fort (so Oettinger Stb. 279ff. und EWAia II s.v. MARI1).
Beide Verben zeigen auch aus anderen idg. Sprachen bekannte Ableitungstypen: Das
Kausativ-Iterativ german. *mar-jan- hat o-Stufe der Wurzel und das uridg. Kausativsuffix
-éie- (LIV² 22f.) und geht so auf ein uridg. *morh2-é�e- zurück; german. *mer-ÀQ ist nach
einem im German. verallgemeinerten und produktiven Bildungsmuster (Kr/M III 239) mit
dem Suffix *-�e/�o- von einem fem. �-St. (german. À-St) abgeleitet (Kr/M III 238-243;
LIV² 19) und führt zu einem uridg. Transponat *merh2-ah2-�e-. Hier ist entweder der erste
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 6
Laryngal h2 dissimilatorisch geschwunden und daher die nach Lühr (Lühr 1976:73ff.) zu
erwartende Resonantengemination vor Laryngal nicht eingetreten, oder die fehlende
Gemination ist nach Formen erklärbar, in denen aus lautlichen Gründen der Laryngal der
Wurzel geschwunden ist wie z.B. in den -io-Adj. (siehe unten). Dies muss dann auf das
Kausativ analogisch übertragen worden sein; ähnliche Fälle mit nicht eingetretener
Resonantengemination vor H wurden auch von Lühr als analogische Umbildungen erklärt
(Lühr 1976:83f.).
Außergermanische Verwandte der uridg. Wurzel *merh2 sind das heth. them. Mediopassiv
3.Sg. (aheth.) marritta, (jheth.) marrattari „wird zerkleinert“ < uridg. *merh2-e/o-
(Oettinger Stb. 280; LIV² 440), die n-Infix-Verben aind. m�$ºti „er zermalmt, zerdrückt“
XQG�JULHFK����!�.�.��„ich kämpfe“ (< *„reibe auf“; mit griech. Akzentzurückziehung) aus
uridg. *m�-né-h2- (EWAia II s.v. MARI1; LIV² 440). In das aind. Verb m�$�ti ist zusätzlich
aufgrund des Zusammenfalls von *r und *l die Bedeutung des uridg. Verbs *melh2-
„zerreiben, mahlen“ (LIV² 432; EWAia II MARI1; Watkins GS Güntert 107 Anm.21)
aufgenommen worden. Nominale Ableitungen der uridg. Wurzel *merh2 sind weiterhin lat.
mort�rium „Mörser“, mor�tum „Mörsergericht“ (eine aus zerkleinerten Zutaten gemischte,
dem heutigen Pesto ähnliche Soße), und ein in mehreren Sprachen bezeugtes Adjektiv
*mer- o/ah2-, mor- o/ah2- oder *m�- o/ah2- „(zerrieben und daher) zerkrümelt, mürbe,
morsch“. Es ist z.T. mit Umbildungen bezeugt in schw. mör, dän. mør „weich“ ( < german.
*merwa-), ahd. maro, marawi, aengl. mearu, mnl. meru „mürb“ ( < german. *marwa-),
ahd. muruwi, ndl. murw „mürb“ ( < german. *murwija-), air. meirb „kraftlos“
(*„aufgerieben“), kymr. merw „schlaff, schwach, weich“ (< urkelt. *mer i-), serb. als
Subst. m�va „Brosamen, Krümel“ (IEW 735f.; deVries Anord Et Wb 385; Holth Aengl.
WB 217f.). Das Adj. *mer- o/ah2-, mor- o/ah2- oder *m�- o/ah2- wird von Neri (mündl.)
als Ableitung eines verschollenen u-stämmigen Abtraktums *mórh2-u-, *mérh2-i�, *m;h2-
éu- erklärt, wobei im German. der vorkonsonantische Laryngal nach Resonant
lautgesetzlich geschwunden ist (Neri, temi in -u: 265f. Anm. 870). Als Lehnwort auch in
den ostseefinnischen Sprachen, z.B. finn. murea „mürbe, locker“, < german. *murwija-
(LÄGLOS II 272f.)
Die anderen Wörter, die sich im Thür. damit vermischt haben, sind etymologisch bereits
zugeordnet und erklärt worden: mären „reden, erzählen“, Märchen zum german. Adj.
*m¾rja- „berühmt, bekannt“ (ô Egerm) als „bekannt machen; verkünden“ und weiter zu
kelt. *P�UR- „groß(artig)“ in gall. Maro- als Personennamen-Element (Schmidt KGP s.v.
maro-), air. már, mór (mit � > À in labialer Umgebung), kymr. mawr „groß, berühmt“
Märe, Märerei, Märde, Märte, Märes, mären 7
(EWD s.v. Märchen, Heidermanns PA 408f.). Demgegenüber wird mer(r)en „verzögern,
aufhalten, behindern“, intrans. „trödeln“ mit weiteren german. Kognaten (:� Egerm) als
Kausativ *mors-éie- zu der uridg. Wurzel *mers „vergessen“ (LIV² 440f) gestellt, das
Kaus. ist semantisch erklärbar als „jdn. vergessen machen“ :� ÄMGQ�� DEOHQNHQ��durcheinanderbringen, stören, aufhalten, behindern“. Dem german. Kausativum entspricht
genau das aind. Kaus. mar&ayanti „vergessen lassen“. Zu der uridg. Wurzel gehören ferner
aind. mar& „vergessen“ (z.B. m��&yate „er/sie vergißt“, Aor.-Inj.M. mº m�&'h�s „vergiß
nicht!“) sowie – als sekundäre se'-Wurzel – toch. B 3.Sg. Prät. marsa , A märs „er/sie
vergaß“ (EWAia II 332).
Lit: B ThWb s.v. Märe, mären, Märerei, Märes; DWb s.v. mähren; Weinhold 60a; Lexer s.v.
mërn; BMZ s.v. mërn; M/WB MhdGr 198; FrnhdGr III 138ff; EWD s.v. Hälfte; Lühr Nhd
165; Wolf Rotw 254, 850, 1438, 3494; L Sp ThGr 72ff, 92, 103ff; HessWb 2,252f.; Müll.-
Fr. 2,207; WG1 Lexer s.v. mërn, merren; BMZ s.v. merren; WG² WbUmg 1,35; Wolf
Rotw 18; ThWb s.v. marachen, marakeln; Egerm van Dam 193, 373; Dittmer FS Kolb 53-
69; Kr/M III 135, 142f., 145f., 240; de Vries Anord Et Wb 393; EWD s.v. Märchen;
Heidermanns PA 408f; Lehmann GotWb s.v. marzjan, meriþa; Lexer s.v. mer.t; BMZ s.v.
merãSD��DWb s.v. Mährte; AhdWb s.v. PHUÀW; SchweizId IV 354; Eidg LIV² 19, 22f., 432,
440; Oettinger Stb 279ff.; EWAia II s.v. MARI1; Kr/M III 238-243; Lühr 1976 73-92;
Watkins GS Güntert; IEW 735f; de Vries Anord Et Wb 385; Holth Aengl Wb 217f;
LÄGLOS II 272f.; Schmidt KGP s.v. maro-; EWAia II 332.
Mauke 1
Mauke Sb f. „Hufkrankheit bei Huftieren; Schnupfen bei Mensch und Tier“
Z: Thür. Mauke bezeichnet samt seinen mda. Varianten (:� /�� HLQH� ÄQlVVHQGH� +XINUDQNKHLW� YRQ�Huftieren“ und „Erkältung, Schnupfen“. Dazu gesellen sich Belege aus anderen Dialekten mit
denselben Bedeutungen und zusätzlich noch nhd. Mauke „Krankheit am Weinstock“ und selten
„Blattlausbefall“ (:� %�� :*��� 'LHVH� ODVVHQ� VLFK� XQWHU� GHQ� %HGHXWXQJHQ� Ä6FKOHLP�� 5RW]��Rotzkrankheit“ semantisch vereinen (:�:*���'DYRQ�PXVV�GDV�:RUWIHOG�XP�meucheln, ahd. PÌKKDQ
„verstecken; heimlich tun; aus dem Hinterhalt anfallen; hinterrücks ermorden“ getrennt werden (:�WG). Bisherige Erklärungs-versuche scheitern entweder an lautlichen Problemen (so Pokorny; :�WG, E
germ) oder an seman-tischen Schwierigkeiten (so Heidermanns und EWD; :�(germ
). Daher wird
hier eine Entlehnung aus lat. PÌFXV „Schleim, Rotz“ oder PÌFRU „Schleim, Rotz; Rotzkrankheit, vor
allem an Weinstöcken“ vorgeschlagen, da sie den lautlichen und semantischen Gegebenheiten
entspricht (:�:*��(germ). Lat. PÌFXV und PÌFRU sind mit weiteren Ableitungen zu einer idg. Wurzel
*meu
5 5
k (:�(idg) „abstreifen, losbinden“ zu stellen, die im Griech. und Lat. eine Bedeutungseinengung
zu „Rotz, Schleim abstreifen“ erfahren hat.
B: Das in thür. Mdaa. bezeugte Subst. Mauke, selten Mauche swf. (ThWb s.v. Mauke)
bezeichnet einerseits eine Hufkrankheit, die sich an einer Geschwulst einhergehend mit
Schrundenbildung und starkem Nässen sowie Schleim- oder Eiterausfluss im Fesselbereich
der Pferde oder zwischen den Paarhufen von Kühen, Ziegen oder Schafen zeigt (:�WG).
Diese Krankheit wird teilweise auch mit dem verdeutlichenden Kompositum Brandmauke
bezeichnet (:� WB). Andererseits bedeutet Mauke auch „leichte Erkältung, Schnupfen,
Rotzausfluss bei Menschen oder Tieren“.
Selten wird Mauke bei chronischen Leiden oder leichter Verrücktheit verwendet, z.B. in er
hat seine alte Mauke wieder „er spürt wieder sein altes Leiden“ oder der hat seine Mauke
„der ist verrückt“, außerdem auch in der Redensart keine Mauke haben „keine Lust haben“,
z.B. in heite poßt mersch nich, ich howe oo gar keene richtige Mauke drzu „heute passt es
mir nicht, ich habe auch gar keine richtige Lust dazu“. Diese Bedeutungen sind unter dem
Einfluss von Mucke „Laune, leichte Verrücktheit“ (ThWb s.v. Mucke) zustande
gekommen.
Aus anderen Dialekten gehören hierher: Bair. Mauche „Hufkrankheit der Pferde“ swf. (mit
hd. Lautverschiebung; :�L) und mnddt. PÌNH nndl. muik f. m. „id.“. Der früheste nhd.
Beleg stammt aus einem Heilbuch für Pferde: dise stat der mauchen soltu stetiglich
brennen mit einem heiszen eisen (Albrecht Rossarzn. 1542: 27). Ferner gibt es das bair.
Kompositum Mauchkraut n.: das immenkraut oder mauchkraut brauchen die hirten dem
vich, so sie die mauch haben, das ist ein krankait die bricht jn ob den klaen herauß (Schm
Mauke 2
BairWb 1, 1560). Im Mhd. ist mÌFKH swf. „eine den Fuß lähmende Krankheit der Pferde“
bezeugt (Lexer, BMZ s.v. PÌFKH).
Außerhalb des Thür. bedeutet Mauke bzw. Mauche neben „Hufkrankheit“ und
„Schnupfen“ selten „Befall durch grüne, schmierige Blattläuse“. In der Agrarsprache
bezeichnet Mauke auch heute noch eine ansteckende Krankheit des Weinstocks (DWb s.v.
Mauke, Mauche; Nemnich s.v. Mauke; :�WG).
Des weiteren gibt es ein homophones Mauke, Mauche swf. in einer völlig anderen
Bedeutung: „Heimlicher Winkel, Ort zum Verstecken“, auch „Versteck von Kindern für
Obst oder Süßigkeiten“, das von den hier besprochenen Wörtern getrennt werden muss (:�WG).
M/WB: Das swf. PÌFKH ist erst ab dem Mhd. mit dem Pl. PÌFKHQ bezeugt. Schon im Ahd.
haben sich die schwachen fem. n-Stämme mit den starken fem. À-St. vermischt (Mhd Gr
198). Im Determinativ-Kompositum Brandmauke „entzündete Hufkrankheit“ ist Mauke
„Hufkrankheit“ durch das Vorderglied Brand in der Bedeutung „Entzündung“ verdeutlicht
wie z.B. in Brandfieber (DWb s.v. Brand, Brandfieber) und bezeichnet eine besonders
schlimme Form der Mauke. Bair. Mauchkraut n. ist ebenfalls ein Determinativ-
Kompositum, dessen Vorderglied das dialektale Mauch- statt Mauchen- bildet. Der n-
Abfall dient als eines der wesentlichen Abgrenzungsmerkmale zwischen dem md.
Sprachgebiet und dem frk.-obd. Sprachgebiet (Sp ThGr 223ff., mit Verbreitungskarte für
das Thür.).
WG: Eine aus dem 19. Jhd. stammende Erklärung der Mauke ist: Die Mauch ist eine
nassende Feuchtigkeit in dem Fissel (= Fessel), welche allda Schrunden formiret, daraus
scharff Wasser fliesset und das Ross hincken machet (Pfeiffer, Ross im Adt. 13,19). Die
Mauke als Befall mit grünen, schmierigen Blattläusen beschreibt ein Beleg aus dem 17.
Jhd.: Ich habe bei feuchtem Wetter diese grüne Mauken, die sich gern an Rosenstauden,
Artischocki und andere Gewächse anlegen, mit einem scharfen Bürstlein gemach
abkratzen und also vertilgen lassen (Hohberg 1, 478b). Die durch das Agrobacterium vitis
hervorgerufene ansteckende Weinstockkrankheit Mauke zeigt sich in Tumorwachstum an
den Stämmen mit Schrundenbildung und Harzausfluss, der zur Austrocknung der Stämme
und ihrem Absterben führen kann (Bild bei Blaich/ Fornek unter www.uni.hohenheim. de/
lehre370/weinbau/weinbau/cra_indx.htm). Mauke bedeutet auch „Schnupfen, Rotzfluss“
(:�B).
Das gemeinsame semantische Merkmal bei diesen verschiedenen Bedeutungen ist weniger
die Geschwulstbildung – wie Pokorny in IEW 752 annimmt (:�Egerm) – sondern vor allem
Mauke 3
das Austreten von schleimigen, zähen Flüssigkeiten. Die Mauke heißt daher manchmal
auch Hautrotz (www. lexikon.freenet.de/ Pferdekrankheit).
In der Bedeutung abweichend ist folgende Gruppe von Wörtern: mhd. PÌFKH, nddt. PÌNH,
md. Mauke „Versteck, Obsthort der Kinder“ (Woeste KZ 2, 205); am Rhein und Taunus
Mauke, Maukel „Versteck von Obst oder Geld“ (Kehrein 275); schwäb. Mauke, Mauche,
Maukennest „Ort, in dem Kinder ihre Näschereien verstecken“ (Schmid 378); schles.
Mauke „Versteck von Obst oder Geld“ (Weinhold 60b). Ein mhd. Adj. miuchel „heimlich“
bildet die Basis für die Verben maucheln, meucheln „verstecken; heimlich und hinterlistig
handeln, betrügen“ sowie „hinterlistig ermorden“, aber auch „heimlich naschen“ (DWb,
Lexer, BMZ, EWD s.vv.). Im Ahd. ist das Verb PÌKKDQ��PÌKKÀQ „verstecken, verbergen;
aus dem Hinterhalt anfallen“ (ú EWA s.v.) bezeugt. Zu diesen hdt. Wörtern gehört noch
ndl. muik f. „heimlicher Aufbewahrungsplatz“. Sie sind aus semantischen Gründen von
unserem Lemma Mauke zu trennen.
L: Mauke ist die md. Form mit -k- neben hd. Mauche mit -ch-, beide mit Diphthongierung.
Das Nebeneinander von ch und k im Thür. beruht auf md. Einflüssen (Sp ThGr 203). Auch
die undiphthongierte Form ist in thür. Mdaa. bezeugt. Die mundartlichen Varianten
[maug�] und [maux�] sind im S- und O-7K�U��]X�ILQGHQ��GLH�9DULDQWHQ�>PÌJ�Q@�XQG�>PÌ[@�im N- und Zentral-Thür. Dies deckt sich mit der Verteilungskarte von Ì und au (Sp ThGr
163 ff.).
Egerm
: Hd. Mauche, md. Mauke und ndd. 0ÌNH�f. führen zu einer frühahd. Form *PÌNÀ�Q�- f., ndl. muik m. zu frühahd. *PÌND- m. „Schleim, Rotz (aus Geschwulsten oder der Nase)“
oder schon „Schleim-, Geschwulstkrankheit“ bei Mensch und Tier, aber auch bei
Weinstöcken. Pokorny nimmt einen etymologischen Zusammenhang zwischen Mauke,
0DXFKH��0ÌNH und Wörtern aus anderen german. Einzelsprachen an, die aber eher eine
Grundbedeutung „Haufen, Menge“ (aus Zählbarem wie Korn oder Menschen) erschließen
lassen: anord. PÌJL��PÌJU m. „Haufen, Menge“, aengl. PÌJD m. „Kornhaufen“, aschwed.
mogha „Gemeinde, Volk“, schwed. dial. moa „zusammenhäufen“ (IEW 752; Holth AeWb
226f; deVries AnWb 394). Dieser Anschluss wäre nur möglich, wenn man in den dt.
Wörtern mit einer -no-Ableitung *PÌJ-no- und einer frühen n-Assimilation von À/k-n > kk
und dann Verallgemeinerung von k rechnet (Lühr Expr. 191f.). Doch liegen eher zwei
verschiedene Wörter vor: Die nord. und aengl. Wörter weisen auf nord- und westgerman.
*PÌJD- m. < german. *PÌÀa- (< vorgerman. *m¾gho- oder, mit Verners Gesetz, <
vorgerman. *PÌNy-) im Gegensatz zum oben angeführten vordt. *PÌNÀ�Q�- < german.
*PÌNÀ- (< vorgerman. *PÌJ�-). Die nordgerman. und aengl. Belege können mit Wörtern
Mauke 4
aus anderen idg. Sprachen verglichen werden, die hd. und nd. Formen jedoch nicht (:�E
idg).
Heidermanns (PA 415) führt unter PÌND- „weich“ die Adj. nnl. muik, meuk „weich, reif“,
nd. PÌN „reif“ und schweiz. mauch „morsch, matt, weich“ an sowie got. PÌND- als
Vorderglied in got. PÌND-modei „Sanftmut“ (Lehmann GotWb s.v.). Als vielleicht hierher
gehörig nennt er die o.g. Namen für die Hufkrankheit. Doch ist diese Verbindung aus
semantischen Gründen unwahrscheinlich, denn die Geschwulste an den Fesseln sind eher
hart, heiß und nässend als weich.
Daher wird für 0DXNH��0DXFKH��0ÌNH f. und ndl. muik f.m. eine Entlehnung aus lat. PÌFXV „Rotz, Schleim“ vorgeschlagen. Dieses Wort hat samt einigen Ableitungen einen teilweise
gleichen Bedeutungsumfang wie Mauke, Mauche und 0ÌNH: PÌFXV m. „Nasenschleim,
Rotz“; PÌFLGXV „schleimig“ wird auch von einer Krankheit bei Weinstöcken gesagt: so
sind partes vineae „Teile der Weinstöcke“ PÌFLGDH „schleimig“ (Colum.); PÌFRU m.
bezeichnet ebenfalls eine Krankheit, bei der aus dem Weinstock eine Flüssigkeit rinnt
(Plin. 17,116). Von dieser Wortgruppe sind noch rumän. mucoare „Rotzkrankheit,
Schnupfen“ und wallon. PDþ�UQ\i „Schnupfen“ abgeleitet (Meyer-Lübke 469f.). Zu
PÌFXV gesellt sich weiterhin das Verb mungere mit der Präfixableitung �PXQJHUH
„schneuzen, sich die Nase putzen“.
Lat. PÌFXV� und� PÌFRU wurden in der Bedeutung „Rotz, Schleim“ und während der
Akkulturation des Weinbaus und der Weinbauterminologie auch als Bezeichnung für die
Krankheit des Weinstocks übernommen (neben einer Vielzahl anderer lateinischer Wörter;
Bertsch 1947: 122-148; Alanne MSN 18). Ausgehend von der Bedeutung „Rotz, Schleim“
wurde das Wort dann auch auf die Hufkrankheit nach den Symptomen übertragen, was
sich noch in der dt. Bezeichnung Hautrotz für Mauke niederschlägt.
mÌFXV und PÌFRU verbreiteten sich nur im Hd. und Ndd. wie z.B. auch ahd. genesta f., nhd.
Ginster m. < lat. genista f. neben mndd. ginst, geenst, nndl. genst m. „Ginster“ (ú EWA
s.v. genesta).
Genuswechsel bei der Eingliederung lateinischer Lehnwörter ins Deutsche ist häufig zu
beobachten, z.B. bei nnd. ginst, geenst m. < lat. genesta f., Wein m. < lat. Y¯QXP n.,
Pfropfen m. < SURS�JR f., Butter f. < lat. EÌW�yrum�Q����JULHFK��� *2 �#! �� E
idg: Lat. PÌFXV „Rotz, Nasenschleim“ (< uridg. *mo ko-) und das Verb mungere „sich
schneuzen, den Rotz abwischen“ (< uridg. n-Infix-Prs. *mu-né-k-/mú-n-k- entweder mit
nicht regelmäßigem g aus k, so Schrijver PIE Laryngeals 499f., aufgrund von
Neutralisation der Verschlußlaut-Opposition neben Nasal (Kortlandt Lachmann“s Law,
Mauke 5
1989), oder in Analogie nach anderen n-Infix-Prs. wie pingere, iungere etc.) gehören
neben griech. ¡� -�*11&���*11 �.���¡� -�*11 �.��ÄVLFK�VFKQHX]HQ³����XULGJ���e/�o-Prs.
*muk-�e/�o-����*� �.��¡� �#��.� Ä1DVHQVFKOHLP��5RW]³���#�2�!� Ä1DVH³� � Ä6FKOHLPHU³��XQG�„tintiger Auswurf des Tintenfisches“ zu einer uridg. Wurzel *me k- „losbinden,
abstreifen“ (LIV² 443f.), die im Lat. und Griech. die eingeengte Bedeutung „(Rotz,
Nasenschleim) abstreifen, sich schneuzen“ erhalten hat. Die anderen Sprachen zeigen eine
allgemeinere Bedeutung „abstreifen“, z.B. aind. muñcáti „befreien, lösen“, lit. munkù,
mùkti „sich losmachen, entwischen“, maÊNWL „abstreifen, abwischen“ (EWAia II 382f.;
Fraenkel 418a f.).
Lit: B ThWb s.v. Mauke, Mucke; Albrecht Rossarzn. 27; Schm BairWb 1, 1560; Lexer, BMZ
s.v. PÌFKH; DWb s.v. Mauke, Mauche; Nemnich s.v. Mauke; M/WB MhdGr 198; DWb
s.v. Brand, Brandfieber; Sp ThGr 223ff.; WG Pfeiffer Ross im Adt. 13, 19; Hohberg 1,
478b; Blaich/Fornek: www.uni.hohenheim.de/ lehre370/weinbau/weinbau/cra_indx.htm;
www.lexikon.freenet.de/Pferdekrankheit; Woeste KZ 2, 205; Kehrein 275; Schmid 378;
Weinhold 60b; DWb s.v. meucheln; Lexer, BMZ s.v. maucheln; EWD s.v. meucheln;
EWA s.v. PÌKKDQ��PÌKKÀQ; L Sp ThGr 163ff., 203; Egerm
IEW 752; Holth AEWb 226f.;
deVries AnWb s.v. PÌJL��PÌJU; Heidermanns PA 415; Lehmann GotWb s.v. PÌNDPRGHL; Colum; Plin 17,116; Meyer-Lübke 469f.; Bertsch 1947: 122-148; Alanne MSN 18; EWA
s.v. genesta; Eidg
Schrijver PIE Laryngeals 499f.; LIV² 443f., EWAia II 382f.; Fraenkel
418a f.
Meddel Sb. o.G. „Strohhalm(e); etwas Wertloses, Kleines“
Z: In Thür. Meddel sind zwei Wörter zusammengefallen: 1. Meddel, das in den nddt. Dialekten die
Grasarten „Ackerschmiele, Fuchsschwanz“ bezeichnet und 2. Mädel „kleine Made“ (zur Semantik vgl
B, WG). Meddel wurde aus slaw. metla „Reisig-, Strohbesen“ bzw. metlica „Ackerschmiele,
Strohhalm“ entlehnt(:� :%�� :*�� (idg2), Mädel ist eine Deminutivbildung zu Made und somit ein
Erbwort. Made kann auf ein uridg. Nomen agentis *móth2o- „Fresser“ mit substantivischer
Akzentverschiebung aus *moth2ó- „fressend“ zurückgeführt werden (Egerm
, Eidg1
).
B: Das selten bezeugte nordostthür. Sb. Meddel „zerstreute Strohhalme; etwas Wertloses,
Kleines“ (ThWb s.v. Meddel) hat Entsprechungen in den nddt. und ndl. Dialekten, in denen
Meddel f. und m. aber ausschließlich „Apera spicaventi; Ackerschmiele, Fuchsschwanz“
als hartes und lästiges Unkraut in den Getreidefeldern bezeichnet (Marzell 1, 353;
SchlHoWb 3, 605; MeckWb 4, 1120). Wegen seiner Härte wird es zum Besenbinden
verwendet und bildet im Nddt. die Komposita Marlbessen, Marlstriker „Besen aus
Ackerschmielenhalmen“ (MeckWb 1120, 1122; :� WG). Von nddt. Meddel existieren
mehrere dialektale Varianten: Met(t)el, Mattl, Mäddl, Merdel, Merl, Marl (:�L). Da die
Bedeutung „etwas Wertloses“ von den nddt. und ndl. Wörtern abweicht, dürften in thür.
Meddel zwei Wörter, nämlich Meddel „Strohhalm; Ackerschmiele, Fuchsschwanz“ und
Mädel „kleine Made, kleiner Wurm; Wertloses, Kleinigkeit“ zusammengefallen sein.
Dessen frühester Beleg taucht in einer mhd. Redensart niht ein medel „gar nichts“ auf, z.B.
in ich verswîg sîn niht ein medel „ich verschweige ihm nichts“. Mhd. medel n. bedeutet
hierbei „Kleinigkeit, Bisschen“, die konkrete Bedeutung ist in als ein kleine� medel lîse
gekrochen wære sichtbar (Lexer, BMZ s.v. medel). In obd. Dialekten gibt es die Variante
Mettel m., f. „Regenwurm, Made, Engerling“, z.B. in obd. (schweiz.) bald müessen go
n
Mettlen sueche
n „sterben“ (euphemistisch; DWb s.v.; SchweizId 4, 555f.).
Andere Ableitungen zu Made sind die nddt. Deminutive Metke, Metje und Mette „(kleine)
Made, Regenwurm“, womit auch das Kompositum Mettenfäden „im Spätsommer fliegende
Spinnwebfäden“ zusammengesetzt ist.
Von mhd. medel „(kleine) Made“ sind die Komposita mhd. medel-wurz, obd. Mädelwurz
„polygonum bistorta; Wiesenknöterich“ und mhd. medel-gêr, madel-gêr, schwäb.
Madelgeer „gentiana cruciata; Kreuzenzian“ gebildet worden (SchwäbWb 4, 1375; DWb
s.v.; Lexer 2004; :�WG).
M: Das Genus von thür. Meddel ist nicht bekannt. Das nddt. Meddel „Ackerschmiele,
Fuchsschwanz“ ist meist als Femininum und selten als Maskulinum, obd. Mettel meist als
Mask und selten als Femininum bezeugt. Mhd. medel „kleine Made; etwas Wertloses,
Kleines“ ist ein Neutrum wie Ferkel.
WB: Nddt. Meddel f. und m. „Ackerschmiele, Fuchsschwanz; Strohhalm“ ist eine Entlehnung
aus slaw. metla f. „Besen“ und dem zum Besenbinden verwendeten Material metlica f.
„Ackerschmiele; Strohhalm“. Nach der Entlehnung ist es an andere nhd. Pflanzennamen
mit dem Suffix -el wie Distel, Nessel, Mistel angeglichen worden.
In der Bedeutung „etwas Wertloses“ liegt dagegen ein ererbtes deutsches Wort mhd. medel
n. „kleine Made, kleiner Wurm“ (zum Lautlichen :� L) vor, das eine alte, nicht mehr
produktive Deminutivbildung mit einem l-Suffix zeigt wie z.B. auch Ferkel (:�Egerm).
Marlbessen, Marlstriker „Strohbesen“ und Mädelwurz „Wiesenknöterich“ sowie Madelger
„Kreuzenzian“ sind Determinativkomposita (Lühr Nhd. 153f.).
L: Der erwartete Fortsetzer des mhd. medel „kleine Made, kleiner Wurm; etwas Kleines“ ist
nhd. Mädel� >P�G¸l] mit Langvokal, das in den Komposita Madelger und Mädelwurz
bezeugt ist. In der redensartlichen Bedeutung „etwas Kleines, Wertloses“ ist es im
Nordthür. als Simplex erhalten und zeigt dann eine Vokalkürzung in offener Silbe vor den
Endungen -er, -el, -en, die z.B. auch in Schädel�>ã�G¸O@��>ãG¸l] oder Nebel [núb¸l], [núw¸l]�vorliegt (Sp ThGr 76f.). Diese Vokalkürzung ermöglicht den lautlichen und semantischen
Zusammenfall von thür. Meddel (aus nddt. Meddel) „Ackerschwiele, Fuchsschwanz;
Strohhalm“ und Mädel „kleine Made, etwas Wertloses“.
Die Varianten der nddt. Belege sind zahlreich: Maddl und Marl zeigen den häufigen
Vokalwechsel von e zu a wie z.B. auch marken aus merken, dwarch statt Zwerg (Lübben
Mnddt 21f). Einer hochdt. Tenuis entspricht oft nddt. Media wie z.B. in dridder „dritter“,
Moder „Mutter“ (Lübben Mnddt 42ff.) und genauso auch in Mäddl und Merdel. Diese
Media d bzw. dd geht in der heutigen Aussprache sogar in rd oder r über und führt zu den
Varianten Merdel, Merl und Marl, vergleichbares ist z.B. in Marlweg, Mardelweg <
Mittel-, Middelweg „Weg zwischen den Gleisen“ oder dem Prät. harde, harre < hadde
„hatte“ bezeugt (MeckWb 4, 1122; Lübben Mnddt 45).
Die obd. Formen mit -tt- (Mettel) können nicht als dialektale Variante eines hdt. -d-
angesehen werden. In ihnen liegt eine alte jo-Ableitung vor, die zur westgerman.
Konsonantenverdoppelung des inlautenden Dentals geführt hat (Kr/M I 104ff.)
WG: Meddel in der Bedeutung „Ackerschmiele; Fuchsschwanz; Strohhalm“ ist samt seinen
dialektalen Varianten ein Lehnwort aus dem Slaw. metla „Besen“, metlica
„Ackerschmiele“. Die Ackerschmiele ist eine sehr hartes, zähes Unkraut im Getreide, das
sich wegen seiner Härte gut zum Besenbinden eignet. Den slaw. Wörtern liegt eine Wurzel
*met in slaw. mesti „binden“ zugrunde (:�Eidg1).
Mhd. medel „kleine Made, kleiner Wurm, etwas Kleines, Wertloses“ ist von Made
abgeleitet und vom häufigen nhd. Mädchen, Mädlein samt seinen dialektalen Varianten
Mädel, Mäderl, Mädle „junger weiblicher Mensch“ verdrängt worden. Deswegen ist das
Wort nur noch in den Komposita Mädelwurz „Wiesenknöterich“ und Madelger
„Kreuzenzian“ erhalten. Das neben Mädelwurz bezeugte Synonym Schlangenwurz bezieht
sich auf die Form der Wurzeln und zeigt so, dass in Mädelwurz tatsächlich das mhd. medel
„kleine Made, Wurm“ vorliegt. Etwas anders liegt der Fall bei Madelger, das Marzell als
„unaufgeklärte Bezeichnung“ beschreibt. Unwahrscheinlich ist die dort vorgeschlagene
Deutung als Übertragung aus einem sonst völlig unbekannten Männernamen mit der
Bedeutung „Madenspeer“. Da diese Pflanzen unter anderem als Heilmittel gegen Parasiten
verwendet wurden, scheint eine Interpretation als „Speer, Waffe gegen Maden, Würmer“
möglich, vgl. z.B. auch Fieberkraut „Kraut gegen Fieber“. In manchen alpinen Regionen
ist Kreuzenzian auch heute noch ein Heilmittel gegen Parasiten und andere Krankheiten
(Marzell 2, 619ff.).
Egerm: In thür. Meddel sind zwei ursprungsverschiedene Wörter zusammengefallen:
1. Mhd. medel n. „kleine Made“ < german. *maþila/�(n)- ist eine Ableitung mit einem l-
Suffix von einem urgerman. a-St. *maþa- < vorgerman. *móto- (:�Eidg1), der mit einem
n-Suffix erweitert in mhd. made m., ahd. mado, matho m., got. maþa m., aengl. maða m.,
maðu f. „Made; Wurm“ < *maþan-/ *maþÀQ- vorliegt (Casaretto 2004: 235). Da gerade
bei Tierbezeichnungen n-Stämme häufig vorkommen (z.B. in Ochse, Hase, Schlange; vgl.
denselben Befund auch im Kelt. bei de Bernardo Stempel Wortb. 118), ist ein analogischer
bzw. im german. sekundär gebildeter n-Stamm durchaus möglich (vgl. die verschiedenen
paradigmatischen und analogischen Ausgleichserscheinungen bei Lühr Expr 206ff.). In
*maþan-/ *maþÀQ könnte jedoch auch ein direkt von einem Verbum gebildetes Nomen
Agentis mit dem Suffix -an/ -ÀQ vorliegen. Eine Parallele dazu ist german. *KDQÀQ-
„Hahn“, eigtl. „Sänger“ (von uridg. *kan „singen“; LIV²342f.). l-Ableitungen können
deminutive Funktion haben und auch bei Tierbezeichnungen auftreten wie etwa in Ferkel
„kleines Schwein“ (< german. *IDUKLO¯�Q�- von einem vorgerman. *por�o- „Schwein“
abgeleitet), das innerhalb der german. Sprachen ebenfalls nur im Dt. fortlebt (:�(:''�s.v. Färe). Die l-Ableitungen sind darüber hinaus aber in allen german. Sprachen bezeugt,
vgl. z.B. got. magula m. „Knäblein“, got. PDZLOÀ, anord. meyla, aengl. P�RZOH f.
„Mädchen“ (Kr/M III 87f.). Erweiterungen des zugrundeliegenden german. Wortes *maþa-
„Made, Wurm“ mit einem k-Suffix sind mndt. meddeke „Regenwurm“ < *maþika-
(MndtWb 221), mengl. maddock, anord. maðkr m., aschwed. maþker, matker m. „Wurm“
< *maþaka- (deVries AnEW 374). Gerade im nddt. und anglo-fries. Raum ist dieses k-
Suffix weit verbreitet und findet sich vor allem bei Tier- und Pflanzenbezeichnungen
(Kr/M III 211f.), vgl. z.B. aengl. bulluc „Bulle“ und nddt. (lüneburg.) bulk „id.“.
Eine andere Ableitung liegt vor in obd. Mettel, das Konsonantenverdopplung durch
ursprüngliches -j- zeigt: Mettel < vordt. *mättila-, das mit l-Suffix wie mhd. medel gebildet
ist; die Ableitungsbasis ist jedoch german. *maðja-. Das -ð- ist durch Verners Gesetz
entstanden (Kr/M I 85f.; :�Eidg1).
Die german. Wörter lassen sich am besten unter *maþa- vereinen. Ein k-Suffix zeigen
german. *maþaka- und *maþika-; ein l-Suffix liegt vor in mhd. medel < *maþila/¯�Q�- und
obd. Mettel < *maðjala(n)-. *maþan- ist entweder eine sekundäre analogische Ableitung
oder ein primäres Nomen agentis von einem im German. nicht mehr bezeugten Verb.
Das german. Wort ist auch als Lehnwort in ostseefinn. *mato eingedrungen und in
ingrelisch maDo „Wurm, Made; Muschel“, karelisch mato „Wurm, Made“; wepsisch mado
„Wurm, Raupe“ (LÄGLOS II 255) bezeugt; die Ableitung mit dem german. k-Suffix ist in
estn. matik(e) „Regenwurm“, matikas „Insekt“ wahrscheinlich direkt aus dem Nddt.
entlehnt worden (LÄGLOS II 254).
2. Das zweite Wort nddt. und ndl. Meddel m., f. „Ackerschmiele, Fuchsschwanz“ samt
seinen Varianten Mattl, Mäddel, Merdel, Marl, Merl (:� L) ist ein Lehnwort aus dem
Slaw. (:�Eidg2).
Eidg1
: German. *maþa- „Made“ ist durch substantivierende Akzentverschiebung (*móth2o-)
aus einem uridg. Adjektiv *moth2-ó- mit agentiver Bedeutung „fressend“ > „Fresser“
entstanden (vgl. dieselbe Erscheinung in EWDD Färe). Das zugrundeliegende Adjektiv
gehört zum Typus der endbetonten o-stufigen Adj. bzw. Nomina agentis, wie z.B. auch
uridg. *t or�-ó- „aufreißend, aufwühlend“ > „Aufreißer, Wühler; Schwein, Eber“ (air.
torc, kymr. twrch „Schwein, Eber“ und av. +ϑβar�sa- „id.“; McCone MSS 53: 99f.; LIV²
656). Als Ableitungsbasis dient die uridg. Wurzel *meth2 „wegreißen, rauben; kauen,
auffressen“ (LIV² 442f.). *moth2ó- beschreibt die Made also als „Wegfresser“ von
Vorräten und Lebensmitteln.
Die uridg. Wurzel *meth2- wird von LIV² 442 aufgrund seiner Bedeutung im Aind.
semantisch als „wegreißen“ bestimmt. Doch in lat. mandere�XQG�JULHFK���.1� �.��KDW�GLH�Wurzel die Bedeutung „kauen, beißen, fressen“. Da die aind. Wurzel math
i „wegreißen,
rauben“ mit der Wurzel math, manth „quirlen, drehen, schütteln“ lautlich und semantisch
zusammengefallen ist (EWAia II 298, 311f.), kann hier die ursprüngliche Bedeutung
verändert worden sein. Die in den zwei Sprachen Lat. und Griech. vorliegende Bedeutung
„kauen, beißen, fressen“ wird von den german. Wörtern mit ihrer semantischen
Entwicklung *moth2-ó- „fressend“ > *móth2o- „Fresser“ > „Made“ als zumindest westidg.
Grundbedeutung gestützt. Doch auch lat. mandere und griech. �.1� �.�� VWLPPHQ� QLFKW�genau zu den german. Formen, die einen o-Ablaut zeigen. Auch hier könnten wie im Aind.
zwei uridg. Wurzeln *meth2- „kauen, beißen, fressen“ und menth2- „quirlen, umrühren“
zusammengefallen sein. Dazu passt auch die Hesych-*ORVVH� ���#.�� � ���� �� �� GLH� GLH�Schwundstufe *m�th2- einer vorurgriech. Wurzel *menth2-, aber mit der Bedeutung der n-
losen Wurzel meth2, zeigt.
Eine io-Erweiterung (Kr/M III 70) liegt in endbetontem *moth2-ió- vor, das durch das
Eintreten von Verners Gesetz zu german. *maðja- und, mit l-Erweiterung, zu obd. Mettel
geführt hat.
In anderen idg. Sprachen sind ebenfalls Nominalbildungen mit derselben Bedeutung
„schädliches Ungeziefer“ bezeugt: Armen. mat‘l, neuarmen. mat‘il „Laus“ deutet mit
seinem erhaltenen -t‘- auf ein Lehnwort aus dem iranischen Bereich, da im Armenischen
ein uridg. -t- zw. Vok. geschwunden (N.Sg. hayr „Vater“ < urarmen. *phat
hir) und vor
Kons. zu -w- geworden ist (G.Sg. hawr < urarmen. *phat
hros); nur nach epenthetischem - -
ist uridg. -t- als -t‘- erhalten (z.B. in diwt‘ „Zauberer“ < urarmen. *di thus < uridg.
*dheh1tu-; Klingenschm AarmV 179f.). Armenisch mat‘l kann aus einem nicht mehr
bezeugten iran. Wort *mathila- entlehnt sein; dazu passen einige andere Wörter aus dem
Indoiranischen: Aind. matka- „Wanze“ < *moth2-ko- (~ german. *maþa-ka-) zeigt
regelgerechten Schwund von h2 (ohne Behauchung) vor einem folgenden Konsonanten
(Mayrh Lautl 135). Nach Mayrhofer (EWAia II, 293) gilt der Anschluß von aind. ma�ac - „Heuschrecke“ mit unerklärtem, evtl. aus dem Dravid. stammenden ' als unsicher. Ein k-
Suffix weist ebenfalls osset. m�tyx „Heuschrecke“ (< uriir. *mathaka- = german.
*maþaka-, also der „Fresser“ schlechthin) auf. Unklar bleibt jav. PD/D[D- „id.“, dessen -/-
auf altes -d- deutet. Vielleicht liegt hier Kontamination eines zu erwartenden av. *maϑaxa-
mit einer ähnlichen Wurzel *med- „voll werden, satt werden“ vor, die in av. PD/DLWH „wird
trunken, berauscht, sättigt sich“ bezeugt ist. Die Wurzel *meth2 in aind. mathi ist dagegen
im Avest. nicht fortgesetzt.
Eidg2: Nddt. und ndl. Meddel „Ackerschmiele“ sind aus dem Niedersorbischen. íetla entlehnt,
das ebenfalls „Ackerschmiele“ bedeutet. Entsprechungen in den anderen slaw. Sprachen
sind gut bezeugt, wenn auch in anderer Bedeutung, vgl. tschech., russ., slov., bulg., serb.,
kroat. metla, poln. PMRWáD „Besen“ (Eichler Etym.Wb. 84 s.v. Metla; Schuster-Šewc 928f.).
In der Wissenschaftssprache jedoch wird metla bzw. PMRWáD als Bezeichnung verschiedener
GrasarWHQ� YHUZHQGHW� �V�� 7UXEDþHY� (WLP6ORY� ���� ���II���� 'D� GLH� KDUWHQ� +DOPH� GHU�Ackerschmiele und ähnlicher harter Grasarten auch auf slaw. Gebiet zum Besenbinden
verwendet wurden, lässt sich aus sachgeschichtlichen Gründen eine Verbindung zwischen
den beiden Bedeutungen herstellen. Zugrunde liegt ein Substantiv metla (< urslaw. *met-
tla- < uridg. *met-o/u-lah2) in der Bedeutung „Besen“ zu dem Verbum mesti „kehren“
(aus *met-ti). Dieses Verbum ist auch schon im aksl. -metÆ, -mesti „kehren, fegen“ und in
lit. metù, mesti „werfen“ bezeugt und gehört zu einer uridg. Wurzel 2. *met- „werfen;
kehren“ (LIV² 442, dort unter dem trotz Fn 2 nicht nachvollziehbaren Bedeutungsansatz
„abmessen“). Die balto-slav. Verben deuten auf ein uridg. themat. Präsens *mét-e/o-.
Lit: B ThWb s.v. Meddel; Marzell 1, 353; SchlHoWb 3, 605; MeckWb 4, 1120, 1122; Lexer,
BMZ s.v. medel; DWb s.v. Mettel; SchweizId 4, 555f; SchwäbWb 4, 1375; WB Lühr Nhd.
153f; L Sp ThGr 76f; Lübben Mnndt. 42ff; MeckWb 4, 1122; WG Marzell 2, 619ff; Egerm
Casaretto 2004: 235; de Bernardo Wortb 118; Lühr Expr. 206ff; LIV² 342f.; Kr/M III 87f;
MndtWb 221; deVries AnEW 374; Kr/M III 211f.; Kr/M I 85f; LÄGLOS II 254f; Eidg1
McCone MSS 53: 99f; LIV² 656; LIV² 442; EWAia II 298, 311f; Kr/M III 70;
Klingenschmitt AarmV 179f.; Mayrh Lautl 135; EWAia II 293; Eidg2 Eichler EtymWb 84;
Schuster-Sewc 928f.; Trubacev EtimSlov 18: 123ff; LIV² 442.
meidisch, meidischen 1
meidisch Adj. „rossig, brünstig (von der Stute)“
meidischen swV „rossig, brünstig sein“
Z: Das thür. Adj. meidisch „brünstig“ und das Verb meidischen „brünstig sein“ (von Stuten) sind
Ableitungen von einem ab dem Mhd. bezeugten Subst. meidem, meiden „Hengst; Wallach, sonstiges
kastriertes Lebewesen“ und gehören samt rhein. meideln „(mühsam) abschneiden; quälen“ zu einem
im Nordgerman. bezeugten schw. Verb aisl. meiða „verletzen, schaden“ aus german. *maiþÀQ
„verstümmeln“, der die t-Erweiterung eines uridg. Verbs *meiH- „mindern, beeinträchtigen,
schädigen“ zugrunde liegt. Von dieser westidg. Bildung sind auch lit. maW¡O\V und apreuß. no-maytis
„kastrierter Eber“ abgeleitet. Die t-Erweiterung basiert auf einem Subst. *móiH-to-
„Verstümmelung“; der Bildetyp hat Parallelen in anderen idg. Sprachen. Die in Lexer und BMZ
vermutete Zusammenstellung mit got. maiþms etc. „Gabe, Geschenk“ (: uridg. *meith2-) wird aufgrund
semantischer Gründe aufgegeben (:�:*�� B: Das Adj. meidisch�>P¯�ã@�XQG�>PLã@�ÄURVVLJ��EU�QVWLJ³�LVW�QXU�YHUVWUHXW�LQ�ZHVWWK�U��XQG�
henneberg. Gebieten bezeugt und wird vereinzelt auch auf mannstolle Frauen sowie auf
läufige Hündinnen übertragen. Von diesem Adj. ist ein Verb meidischen „rossig sein“, z.B.
in die Stute meidischt [maišd] (Kreis Eisenach), abgeleitet (ThWb s.v. meidisch,
meidischen).
Das Adj. ist sehr selten und außer im Thür. nur in hess. meisch (< meid(i)sch) „rossig,
brünstig“ (HessWb 2, 307) anzutreffen. Das thür. Verb meidischen hat keine Parallele. Das
zugrundeliegende Wort Meiden m. „Hengst; Wallach, sonstiges kastriertes männliches
Lebewesen“ ist heute fast ausgestorben und findet sich nur noch vereinzelt in schweiz. und
bair. Mdaa. (DWB s.v. Meiden). Im Mittelalter war das Wort meidem, meiden „männliches
Pferd“ verbreitet und wurde als Bezeichnung sowohl für Hengste als auch für Wallache
und für andere kastrierte Tiere, z.B. ain maiden oder ain coppaun, sowie Menschen, z.b. in
die mannen, die maiden sint und ir gezeug nit habent, verwendet (Lexer, BMZ s.v.
meidem, meiden). Davon ist das mhd. Verb meidenen „kastrieren“ abgeleitet (Lexer s.v.
meidenen). Ein Hapax legomenon ist snelmeiden m. „Kurierpferd“ (BMZ s.v.
snelmeidem). Das Rheinische hat ein Verb meideln „(an Brot) mühselig herumschneiden;
mit etw. grob umgehen, (Tiere) quälen“, z.B. in am Brut erimmeideln „am Brot
herumschneiden“ und de ganze Dag muss de Lausert die Katz meideln (RheinWb s.v.
meideln).
M/WB: Das Adj. meidisch weist eine Ableitung mit dem häufigen Suffix –isch auf, das der
desubstantivischen Adjektivbildung dient, vgl. z.B. tierisch, hündisch (Fleischer/Barz
258ff.). Bei Antritt des Suffixes wird der Basisauslaut -en getilgt wie in Storren : störrisch,
Tropen : tropisch (Fleischer/Barz 257, 259). Das schw. Verb meidischen „meidisch sein“
meidisch, meidischen 2
ist eine deadjektivische Bildung ohne Affigierung (Fleischer/Barz 305f.) wie gleichen
„gleich (ähnlich) sein“. Das rhein. meideln dürfte eine Umgestaltung von mhd. meidenen
nach marteln (Nebenform zu martern) sein (RheinWb s.v. meideln).
L: Durch Synkope des unbetonten Vokals i (Sp ThGr 40) bei meidisch und meidischen ist die
entstehende Konsonantengruppe [dš] teilweise zu [š] vereinfacht worden wie z.B. in
läufisch zu läusch (ThWb s.v.; Sp ThGr 196). meiden mit -n zeigt die schon im Ahd.
eintretende Entwicklung aus auslautendem -m, wobei im Mhd. beide Formen häufig
nebeneinander bestehen und nur wenige mit auslautendem -m sich durchsetzen gegenüber
Formen mit auslautendem -n, z.B. mhd. bodem neben boden > nhd. Boden, mhd. buosem
neben buosen > nhd. Busen, aber mhd. âtem neben âten > nhd. Atem (MhdGr 146). Diese
Entwicklung von unflexivischem -m# zu -n# tritt hauptsächlich bei Wörtern ein, deren
auslautendes -m nicht durch Antritt von zusätzlichen Silben in Flexionsformen gestützt
wird (Braune/Eggers AhdGr 116). Dies ist bei mhd. meidem, meiden der Fall, dessen
Plural ebenfalls meidem bzw. meiden lautet. Mehrsilbige Wörter auf -el, -er, -em, -en
verlieren das -e der Pluralendung (MhdGr 192). Die in nhd. Dialekten aus mhd. meidem,
meiden fortgesetzte Form ist daher ganz regelgerecht Meiden.
WG: Die Belege für mhd., nhd. Meiden lassen sich in zwei semantische Bereiche einteilen:
Eine Gruppe bedeutet „Hengst, Zuchthengst“, vor allem bair., schweiz. Maiden und die
thür. Ableitungen meidisch „rossig, brünstig“, meidischen „brünstig sein“ (< „nach einem
Hengst verlangen“); die andere Gruppe weist auf „kastrierter Wallach, sonstiges kastriertes
männl. Lebewesen“ samt den Verben mhd. meidenen „kastrieren“ und rhein. meideln
„(mühsam) abschneiden, quälen“, die zusammen mit dem nordgerman. Verb aisl. meiða
„verletzen“ die ursprüngliche Bedeutung „Kastrat“ (:� Egerm
) zeigen. Da damals nur
männliche Lebewesen kastriert wurden, konnte das Wort dann auch allgemein auf
männliche Tiere und besonders Pferde angewendet werden. So werden im Thür. auch von
Ochse das Verb ochsenen „nach dem Bullen verlangen“ und die Adj. öchsisch, öchsig
„brünstig“ abgeleitet (ThWb s.v.).
Das in einigen dt. Dialekten bezeugte Subst. P�GHP�H� m. „eine auf Grundstücken
haftende Abgabe“ dürfte wegen des � anstelle eines echt-hdt. ei ein Lehnwort aus dem
altsächs. P�ÿRP m. sein, das zu got. maiþm, aengl. P�ÿXP m. „Gabe, Geschenk“, aisl.
meiðmar f. Pl. „Kostbarkeiten“ gehört. P�GHP�H� bezeichnet jedoch ausschließlich die
steuerpflichtige Abgabe von Feldfrüchten (meist Getreide; DWB s.v. Medem) und ist eine
fachsprachliche Lexikalisierung von „Gabe“. Diese Wörter gehören aber zu einer uridg.
Wurzel *meith2- „tauschen, wechseln“ und sind von der in meidem zugrunde liegenden
meidisch, meidischen 3
Wurzel zu trennen (LIV² 430). Die bei Lexer und BMZ geäußerte Annahme, dass meidem
„Hengst, Wallach“ eigentlich „Geschenk“ bedeutete und die hdt. Entsprechung dieser
Wörter sei, ist aufgrund der oben angeführten Bedeutungsbreite von Meiden und fehlender
semantischer Parallelen wenig wahrscheinlich.
Egerm
: Mhd. meidem stm. < wgerman. *máiþma- m. mit Sprossvokal zwischen K und m
(Bremer PBB 11: 279) steht in einer Reihe mit mask. Bildungen auf *-þma- wie Atem, ahd.
�WXP, Brodem, ahd. EU�GDP, Boden, ahd. bodam, Busen, ahd. buosum. Ausgangspunkt der
german. Bildungen mit *-þma- ist die vorgerman. Suffixkombination *-t-mo-, eine *-mo-
Ableitung von t-erweiterten Wurzeln, die in den meisten Fällen auf ursprünglichen *-to-
Bildungen oder *-ti- und *-tu-Abstrakta basieren (Kr/M III 125f.). Die unterschiedliche
Ableitungsgrundlage hat auch zu den verschiedenen Ablautstufen in den germanischen
Bildungen geführt. Das german. Verb *máiþ-ÀQ- ist in aisl., nisl. meiða, norw. meida swV
„verletzen, schaden“ bezeugt und beruht auf einer to-Ableitung von der uridg. Wurzel
meiH- (:� Eidg
), die in got. gamaiþs*, gamaid- „verstümmelt“, aengl. ¥HP�G, asächs.
JHP�G, ahd. gimeit „verrückt, töricht“ (< *„geistig verstümmelt“ ?) bezeugt ist (GotWb s.v.
gamaiþs; Holth AeWB 209 f., EWA s.v. gimeit). German. *máiþ-ÀQ- „verstümmeln“ als
Ableitung von *máiþa- „Verstümmelung“ bedeutete somit ursprünglich „mit
Verstümmelung versehen“ und ist gebildet wie ahd. DKWÀQ „beachten“ : ahta „Beachtung“,
also „mit Beachtung versehen“ (Kr/M III 239f.). -ma-Ableitungen bilden Adjektiva mit
medio-passiver oder Zustandsbedeutung, z.B. german. warma- „warm“ („warm geworden“
zur uridg. Wurzel *gwh
er- „warm werden“, LIV² 219f.; Kr/M III 123 f.). Ein Adj. *máiþ-
ma- „verstümmelt, verschnitten“ ist dann substantiviert und auf kastrierte männliche
Lebewesen, meist Pferde, angewendet worden.
Eine Parallele für ein t-erweitertes Verb neben einer *-þma-Ableitung ist z.B. mhd.
EU�dem, ahd. EU�GDP, mndl. bradem „Brodem, Dampf, Dunst“ neben ahd. EU�WDQ, aengl.
br¾dan „braten, kochen“ (EWA II 278 f.; weitere Beispiele bei Kr/M III 125f.).
Eidg
: Schon im Uridg. haben *-mo-Bildungen medio-passive oder Zustandsbedeutung (z.B.
uridg. *gwh
er-mo-/*gwh
or-mo- „warm geworden“ zur uridg. Wurzel *gwh
er- „warm
werden“; LIV² 219f.) und führen so zur Verwendung als Partizipien im Slaw. und Heth.
(Kr/M III 123 f.; Meier-Brügger/Fritz 2005: 186f.).
Die der sekundären german. Verbwurzel *maiþ- „verstümmeln, verletzen“ < vorgerman.
*moit- zugrunde liegende t-Bildung ist eine o-stufige to-Ableitung *móiH-to- (LIV² 427
Anm.1) zu der Wurzel meiH- „mindern“, die in aind. minºti „mindern, schädigen,
beeinträchtigen, verletzen“ (EWAia II 316) und den sekundären -nu-Verben griech.
meidisch, meidischen 4
���*ϑ&� �]XVätzlich mit terminativem *dhe- erweitert; LIV² 427 Anm.3), lat. minuere
„vermindern“ bezeugt ist. Der Laryngal schwindet lautgesetzlich im Kontext der o-Stufe
(Idg. Lautlehre 141-145). Eine vergleichbare o-stufige to-Bildung liegt z.B. vor in griech.
�)12 "�P�� Ä�JOückliche) Heimkehr“ zum Verbum �� �.�� ÄKHLPNRPPHQ³�� móiH-to- ist
somit als Subst. „Verstümmelung“ zu bestimmen.
Von einer jedoch laryngallosen Variante *móito- können noch lit. meW¡OLV��PDW¡OLV und
apreuß. no-maytis „kastrierter Eber“ samt den Verben alit. ap-maitinti „verwunden“, lett.
màitât „verderben“ abgeleitet sein (IEW 697). Doch werden die baltischen Wörter in
LitEW (428, 459f.) zu einer lit. Wurzel mìsti „sich ernähren“, meVWL „ernähren, füttern,
mästen“ gestellt, was sachlich ebenfalls naheliegend und lautlich vorzuziehen ist.
Kastrierte männliche Tiere wurden besonders gemästet und dann geschlachtet; nur wenige
männliche Tiere durften sich eines längeren Lebens zum Zwecke der Zucht erfreuen.
Somit können die in IEW 697 zitierten balt. laryngallosen Wörter von der uridg. Wurzel
*meiH- „mindern“ getrennt werden.
Semantische Parallelen sind zahlreich, vgl. z.B. griech. 1��/&��Ä.DVWUDW��(XQXFK³�]X�JU��1��&� ÄDEWUHQQHQ�� DEVFKQHLGHQ�� HLQ� 6FKZHUW� ]LHKHQ³� RGHU� GDV� GW�� /HKQZRUW� Schöps
„Hammel, kastrierter Schafbock“ < tschech. skopec „dss.“ : skopiti „ab-, verschneiden“
oder asorb. *skop“c „dss.“ (Pfeifer II 1237; EWD s.v. Schöps).
Lit: B ThWb s.v. meidisch, meidischen; HessWb 2, 307; DWB s.v. Meiden; Lexer s.v.
meidem, meidenen; BMZ s.v. meidem, snelmeiden; RheinWB s.v. meideln; M/WB
Fleischer/Barz 257ff., 305f.; RheinWb s.v. meideln; L Sp ThGr 40, 196; MhdGr 146, 192;
Braune/Eggers AhdGr 116; WG DWB s.v. Medem; LIV² 430; Egerm
Bremer PBB 11: 279;
Kr/M III 123f., 125f., 239f; GotWb s.v. gamaiþs; Holth AeWb 209f.; EWA s.v. gimeit;
LIV² 219f.; EWA II 278f.; Eidg
LIV² 219f., 427; Kr/M 123f., Meier-Brügger/Fritz 2005:
186f.; EWAia II 316; Idg. Lautlehre 141-145; IEW 697; LitEW 428, 459f.; Pfeifer II 1237;
EWD s.v. Schöps.
Meke, meken 1
Meke Sb f. „dickflüssige, schmierige Masse“
meken swV „herumwühlen; langsam arbeiten“
Z: Das aus einem nddt. Dialekt stammende nordthür. Subst. Meke und das davon abgeleitete Verb meken
sind Fortsetzer einer german. Wurzel *mak-, die auch in den Verben hdt. machen, engl. to make usw.
und in verschiedenen Nominalbildungen bezeugt ist (:�(germ). Diese Wurzel bedeutete im Urgerman.
sowohl „kneten, mischen, rühren“ als auch „machen, tun“, wobei sich letzteres in der Regel
durchsetzte. Weitere Bedeutungsnuancen können durch Beeinflussung anderer ähnlich lautender
Wörter erklärt werden (:�:*). Die urgerman. Wurzel *mak- geht auf eine uridg. Wurzel *ma£-
„schmieren, streichen“ zurück, die im Griech., Armen., Balto-Slav. und Kelt. bezeugt ist (:�(idg).
B: Aus nordthür. Gebieten stammt ein Subst. Meke f. „dickflüssige Masse, Schmiere,
Schlamm“ und ein davon abgeleitetes schw. Verb meken „(im Schlamm) herumwühlen“,
auch „langsam arbeiten“, „drücken, würgen“ und übertragen „nieseln“, z.B. in das war
dich enne Meeke in dn Stroßen „das war ein Matsch auf den Straßen“ (mit Akk. dich statt
grammatikalisch richtigem Dat. dir), es meegt an ener Dür „es nieselt in einer Tour“. Ein
Präfixverb ist anmeken „anfassen“, z.B. in meeke nich immer alles aan, ferner ist eine
Kollektivbildung Gemeke n. „Gedränge, Gewühl“, „schlechte Arbeit“ und „Nachreche“
bezeugt, z.B. in uf dn Tanzboden äs a grußes Jemeeke. Auch ein Kompositum von Mek(e)
ist belegt in Mekwerk n. „die nach dem Abernten zusammengerechten Getreidereste,
Nachreche“ (ThWb s.v. Meke, meken, anmeken, Gemeke, Mekwerk).
Diese nddt. Formen mit lautgesetzlichem Umlaut (:�Egerm) haben nhd. Entsprechungen in
dem seltenen nthür. Subst. Mache f. „Fett, Schmer als Zutat zu Speisen“, z.B. in s Essen
schmeckt jut, ich hawe n bißchen Mache dran, in Gemachtes n. „Schmälze, Einbrenne“
(SOThür.), Gemächte n. „angemachte Speise; zusammengemischtes Viehfutter“ und
Gemächtse n. „Schmer, Darmfett“ (Altb) (ThWb s.v. Gemache, Gemächte, Gemächtse).
Dazu passt das hdt. anmachen „(einen Teig, Flüssigkeiten) zusammenmischen“ (Paul
DtWb 39).
Eine etwas andere Bedeutung zeigen thür. Mek(e)s- in Meksbalg, Mekstoffel „langsamer,
umständlicher Mensch“, rhein. Mekes m. „Knirps; kleine ängstliche Person“ und pfälz.
Mekes, Meckes m. „Knirps, dürre Person; ängstliche, willige Person“, z.B. in das isch e
derrer Mekes, der kann e Gäiß zwische d“ Herner kisse, oder der ääfellich Kerl muß alle
Leit de Mekes mache „der einfältige Kerl muss für alle Leute den Dummen machen“. Dazu
stimmt die Bedeutung „langsam arbeiten“, die für thür. meken bezeugt ist (:�WG). Pfälz.
Mekes bezeichnet aber auch den „Angeber, Prahler, Macker“ z.B. in er will de Mekes
mache „er gibt an, will Chef sein“ (ThWb s.v. Meksbalg, Mekstoffel; RheinWb, PfälzWb
s.v. Mekes).
Meke, meken 2
Hdt. Parallelen liegen in den thür. und hdt. Nomina Gemache n. „umständliches Gebaren,
Getue“, z.B. dös is ümmer a Gemach, und thür., pfälz. Gemächte, Gemächtse n.
„mißlungene Arbeit“ vor (ThWb s.v. Gemache, Gemächte, Gemächtse; PfälzWb s.v.
Gemächt(s)).
M/WB: Meke f. ist ein fem. -jÀ�Q�-St. Schon im Ahd. ist die Flexion der fem. �- und n-
Stämme zusammengefallen (MhdGr 198, FrnhdGr III 138ff). Von Meke ist das swV meken
samt der Präfixbildung anmeken deriviert wie künden von Kunde. In Gemeke liegt eine
Kollektivbildung vor wie in Gebirge oder Gelände (Lühr Nhd 172f.), eine Ableitung mit
einem rotwelschen, ursprgl. aus dem Hebräischen stammenden Suffix -es z.B. in rotw.
Meches m. „Zolleinnehmer“; Balbes „Gastwirt“, Chattes „Lump“, Fladeres „Barbier“
(Wolf Rotw 254; 850; 1438; 3494), wobei das Suffix des öfteren im Md. zur Bildung von
mask. Nomina agentis mit häufig abwertender Bedeutung verwendet wird (s.a. EWDD s.v.
mären), zeigt Mekes m.
Die Determinativkomposita Meksbalg und Mekstoffel sind Zusammensetzungen von
Mek(e)s mit Balg bzw. Stoffel (einer Verbalhornung von Christoph (EWD s.v. Stoffel));
Mekwerk „Nachreche“ (zur Bedeutungsentwicklung :� WG) gehört in eine Reihe mit
nomina acti wie Bauwerk oder Machwerk (Fleischer/Barz 177f.).
L: Da alle thür. Belege aus dem Norden stammen, ist die Übernahme eines nddt. Wortes
Meke anstelle von hdt. *Meche oder Mache „Fett, Schmer (als Zutat zu Speisen)“
wahrscheinlich. Dazu kommt die nord- und wthür. Vokaldehnung in offener Silbe auch vor
Geminaten wie in Egge oder Blätter (Sp ThGr 26). Gerade bei der Wortfamilie von
machen kommen hdt. und nddt. Formen häufig nebeneinander vor: Macher neben Macker,
Maker; machen neben macken und Gemache neben Gemacke. Formen ohne zu
erwartenden Umlaut sind durch Paradigmenzwang nach dem Verb machen rückgebildet.
WG: Die ursprüngliche Bedeutung der Wortfamilie von machen ist „kneten, schmieren,
manschen, mischen; Schmiere, Lehm; Fett“ (EWD s.v. machen, Pfeifer 821, Paul DtWb
547; LIV² 421), die neben Meke noch isl. maka „kneten, schmieren, salben“ und aengl.
P¡ü¥an „mischen, kneten“ (:� Egerm) zeigen. Teilweise durch ähnlich klingende andere
Wörter verstärkt worden sind die semantischen Veränderungen zu einerseits „gut, fleißig
arbeiten; Macher“ und dann zu „angeben, prahlen; Angeber, Macker“ (verstärkt durch jidd.
makir „bekannt; Partner, Meister“ (Wolf Rotw 3351)) und andererseits zu „langsam, träge
vor sich hin arbeiten; Transuse“ (EWD s.v. Macker, machen; Pfeifer 821), wobei auch das
Nebeneinander hdt. und nddt. Formen zur weiteren Differenzierung beigetragen hat.
Ausschließlich die nddt. Form zeigt Makler < mnddt. m�NHOHU, mit Umlaut P�NHOHU (Pfeifer
Meke, meken 3
827f.). Vielleicht unter dem Einfluss von meckern entwickelte sich nddt. makelen, mekelen
ursprgl. „Handel treiben“ zu nhd. mäkeln „herumnörgeln“. Möglicherweise hat das zig.
Wort mak „Fett, Speck“ die Beibehaltung der ursprgl. Bedeutung „Schmiere, Matsch,
Schlamm“ in Meke unterstützt. Die Annahme einer direkten Entlehnung aus zig. mak, wie
sie im ThWb vorgeschlagen wird (ThWb s.v. Meke), ist nicht nötig, da andere german.
Sprachen auch die alte Bedeutung zeigen.
Eine semantische Parallele für die Entwicklung von Mekwerk zu „Nachreche“ liegt in thür.
Gemansche n. vor, das „fortwährendes Hantieren mit Matsch, Planschen im Wasser,
Schlamm“ und „Nachreche“ bedeutet (ThWb s.v. Gemansche).
Egerm
: Das thür. Subst. Meke geht lautgesetzlich (:�L) auf eine Vorform *mekke und – mit
ebenfalls lautgesetzlichem i-Umlaut und Konsonantengemination (Kr/M I 59f.; 104f.) –
auf wgerman. *PDNNMÀ�Q�- f. „Schmiere, Fett, Matsch“ < german. *mak-MÀ- f. (< uridg.
*ma£-hah2- ~ gr. ���., :�Eidg) zurück. Die ursprüngliche Bedeutung wird zwar von den
wichtigen etym. Wb. des Dt. (EWD; Paul DtWb; Pfeifer) aufgrund der idg.
Entsprechungen (:� Eidg) als „kneten, mischen, schmieren“ angegeben, doch der
Bedeutungswandel zu „fertigen, machen, tun“ schon dem Urgerman. zugeschrieben.
Dagegen zeigen isl. maka „schmieren, einseifen; machen“, engl. P¡üJ �DQ „mischen,
kneten“ (s. unten) und Meke, meken, Mache „Fett, Schmiere“, anmachen etc. (:�B), dass
im Urgerman. beide Bedeutungen noch nebeneinander bestanden haben. Die meisten
Ableitungen der german. Wurzel *mak- haben jedoch die verallgemeinerte Bedeutung
„tun, machen, anfertigen“ angenommen: Ahd. PDKKÀQ, asächs. makon, mndt. P�NHQ,
afries. makia und aengl. macian (aus erweitertem *mak-ÀMDQ- (Lehnert 67)) setzen eine nur
im Wgerman. bezeugte Verbalbildung *mak-ÀQ- fort (EWD s.v. machen; Holth AeEW
209; LIV² 421).
Aengl. P¡üJ �DQ�ELHWHW�HLQ�ODXWOLFKHV�3UREOHP��GD�GLH�*UDSKLH��üJ �!�I�U�HLQH�VWK��*HPLQLHUWH�Affrikate steht, die aus der Palatalisierung und Konsonantengemination eines wgerman. *g
hervorgegangen sein muss und somit nicht eine auch in afries. mekkia „machen“
vorliegende wgerman. Verbalbildung *mak-jan- mit *k fortsetzen kann. Möglicherweise
ist hier eine lautliche Kontamination mit dem aengl. Verbum P¡QJ �an „mischen,
vermengen“ (german. Wurzel *meng- (Holth AeEW 219) < uridg. Wurzel *menk- (LIV²
438)) eingetreten und eine zu erwartende Form *P¡üüDQ zu P¡üJ �an umgebildet worden.
Auch im Griech. haben sich die beiden Verben in ähnlicher Weise vermischt (:�Eidg).
Eidg
: Die german. Verbalwurzel *mak- „kneten, schmieren, mischen; machen, tun“ geht auf
eine uridg. Wurzel *maÿ- „streichen, schmieren“ (LIV² 421f.) mit wurzelhaftem *a
Meke, meken 4
(Klingenschmitt AarmVb 219 Anm. 75) zurück, die in anderen idg. Sprachen gut bezeugt
ist. Der Palatal ist wegen der armen. und b.-sl. Belege anzusetzen.
'DV� JULHFK�� 9HUE� ��11&� ÄNQHWHQ�� GUücken“ (< *mEk-he/o- (LIV² 438)) hat den Aorist
µ�.�.�� GHQ�3DVV�-Aor. ±����� ��� e-ma£-eh1-� �/,9ð��������GDV�3DUW�3HUI�0HG���0�.������„geknetet“ und zeigt deutlich die Vermischung der beiden unter E
germ genannten idg.
Verben. Von derselben Wurzel *ma£-�VLQG����.�Ä0DVVH��.OXPSHQ��7HLJ³���� ma£-hh2 ~
Meke < *ma£-hah2-, lat. massa „Klumpen, Teig“ und – über das Lat. – dt. Masse sind
Lehnwörter aus dem Griech.),� �.��"�� -�/ "� I�� Ä7HLJ�� .XFKHQ³�� ����.� Q�� ÄGLFNH� 6DOEH��6FKPLHUH³�� ���2�"� Ä.QHWHU�� 6FKPLHUHU³� XQG� �.�2)"� ÄJHPDFKW�� JHNQHWHW³� � � ge-macht)
abgeleitet.
Das armenische Medium tantum macanim „kleben, anhaften“ ist eine Neubildung zum
Aor. macaw (< uridg. Wurzelaorist ma£- (LIV² 421 u. Anm. 2)) und lässt über *„sich
beschmieren, klebrig machen“ ein zugrundeliegendes Akt. *„beschmieren“ erschließen
(Klingenschmitt AarmVb 219 Anm.75).
Slawische Bildungen sind aksl. PD]DWL��PDåÆ „kneten, schmieren, matschen“ aus einer b.-
sl. Wurzel *P�]- (mit sek. Dehnstufe (Klingenschmitt AarmVb 219 Anm. 75)), sorb. maz
„Schmiere“, russ. PD]v� f. „id.“, skr., tschech. maz m. „Schmiere, Fett; Kleister“ die auf
ursl. *mazv sowohl f. i-St. �a�JU���.��"��DOV�DXFK�P��ho-St. (= kymr. maidd) deuten.
Kymr. maeddu „schlagen, kneten“ und breton. meza „kneten“ < urkelt. *mage-de/o- <
uridg. *ma£L-dheh1- „Teig machen“ zeigen ein nominales Vorderglied *ma£L-, das auch in
ursl. *PD]v� XQG� JU�� �.��"� YRUOLHJW�� .\PU�� maidd „Molke, Buttermilch“ und der dazu
gehörende Pl. meiddion „Molke und Quark“ weisen auf eine *ho-Abl. *ma£-iho-. Air.
PDLVWULG� ¯-Verb „buttern“ ist schon in den Gesetzen bezeugt und somit alt, kann aber
aufgrund seiner Lautstruktur nur ein entlehntes denominales Verb aus einem (nicht
überlieferten) britann. Wort *magi-str- sein, da im Air. ein *g�]ZLVFKHQ�9RNDOHQ�DOV�>�@��geschrieben <g>, erhalten sein müsste (LEIA-M 11f.).
L: B ThWb s.v. Meke, meken, anmeken, gemeke, Mekwerk, Meksbalg, Mekstoffel,
Gemache, Gemächte, Gemächtse; Paul DtWb 39; RheinWb, PfälzWb s.v. Mekes,
Gemächt(s); M/WB MhdGr 198; FrnhdGr III 138ff.; Lühr Nhd 172f.; Wolf Rotw s.v.
Meches, Balbes, Chattes, Fladeres; EWDD s.v. mären; EWD s.v. Stoffel; Fleischer/Barz
177f.; L Sp ThGr 26; WG EWD s.v. machen; Pfeifer 821, Paul DtWb 547; LIV² 421f.;
Wolf Rotw 3351; EWD s.v. Macker, Pfeifer 821; 827f; ThWb s.v. Meke, Gemansche;
Egerm Kr/M I 59f.; 104f.; EWD s.v. machen; Paul DtWb 547; Pfeifer 821; Lehnert 67;
Meke, meken 5
Holth AeEW 209; 219; LIV² 438; Eidg LIV² 421f.; 438; Klingenschmitt AarmVb 219
Anm. 75; LEIA-M 11f.
Molch 1
Molch Sb m. „Wassermolch; Feuersalamander; Eidechse; Kaulquappe“
Z: Molch als Bezeichnung für halbamphibische Schwanzlurche ist ursprünglich eine auf den thür.-sächs.
Raum beschränkte Guttural-Erweiterung von älterem mol, molm, die durch Luther in die hochdt.
Sprache eingedrungen ist (:�:*���6LH�JHK|UHQ�]X�HLQHU�:XU]HO� mel- „gefleckt, gesprenkelt; befleckt,
schmutzig sein“, die auch in dt. Mal „Fleck“ bezeugt ist. Neben diesen Wörtern gibt es in anderen idg.
Sprachen eine Reihe von Ableitungen derselben Wurzel *mel-, die ebenfalls zu Tierbezeichnungen
geworden sind (:�(idg). Das uridg. Transponat von dt. Molch (< german. *mulka-) ist *m
33
go-, das eine
genaue lautliche Entsprechung in aind. m;;
gá- „Gazelle, Hirsch; Vogel“, jav. m��QQ���D- „Vogel, Huhn“
hat; doch liegt wohl in beiden Sprachzweigen eine unabhängige Neuerung vor (:� (idg). Die alte
Zusammenstellung mit der Wurzel von dt. mahlen ist nach Lühr aus semantischen Gründen
aufzugeben (:�(germ).
B: In den thür. Mdaa. sind belegt: Molch m. als Bezeichnung für verschiedene Lurche und
Kriechtiere, vor allem den Wassermolch, seltener für den Feuersalamander, die Eidechse
oder Kaulquappen. In übertragener Bedeutung wird Molch verwendet für wohlgenährte,
mollige und faule Kinder oder Erwachsene, z.B. in das is a richtger Mulch; wenn ääs nich
gespriechlich is, der tät käne Fresse uff (ThWb s.v. Molch). Neben Molch sind auch die
Formen Molm, Molmer, Molcher(t), Momme bezeugt (:� L, M/WB). Wassermolch und
Feuersalamander werden häufig nicht unterschieden. In der Bedeutung Feuersalamander
wird jedoch des öfteren ein präzisierendes Adjektiv wie gefleckt, gelb oder golden
beigefügt oder ein Determinativkomp., z.B. Feuer-, Gold-, Buntmolch, gebildet.
Gelegentlich gelten Molch, Eidechse und deren Synonyme als Sammelbezeichnung für
„langgestreckte Lurche oder Kriechtiere“. Die nur im Gebiet Altenburg verwendete
Ableitung Molmerich m. bezeichnet dagegen den Maulwurf (ThWb s.v. Molmerich), so
auch in den Komposita Molmerichsgang und Molmerichshaufen.
Molch ist vor allem im Thür. und Sächs. ab dem 15. Jhd. bekannt und breitet sich in der
Folgezeit aus, weil Luther ausschließlich die Form Molch verwendet, z.B. in der igel, der
molch, die aidex, der blindschleich, und der maulworf (3 Mos 11, 30). Das Mhd. und Ahd.
sowie moderne dt. Dialekte weisen die Formen Mol(le) und Molm auf, z.B. mit dieser
arzenei hab ich von einem manne ein mollen oder salamander getrieben
(Tabernaemontanus Kräuterbuch 234)und salamandra ist ein art der molen (Calepinus
Dict. 7 linguarum (1570) 1361). Neben hd. Molch existiert eine nddt. Entsprechung Molk,
das Rheinische bietet ein Deminutivum Mölkchen in der Bedeutung „Hausgrille“ (DWb
s.v. Molch; RheinWb s.v. Mölkchen).
M/WB: Molch und Molm mit den Pluralen Molche und Molme sind mask. a-St. wie Tag
(Frnhd Gr 168ff.).
Molch 2
Molch ist eine Erweiterung des in ahd., mhd. mol (bestimmte Art von) „Kriechtier“
zugrundeliegenden Stammes *mul(-a)- mit -ch < german. *-k- (: Egerm) und zeigt somit
den gleichen Wortausgang wie die nhd. Tierbezeichnungen Lorch, Lurch „Kriechtier“,
Bilch „Haselmaus“, Elch oder Storch. Möglicherweise ist das Suffix in Analogie zu den
genannten Tierbezeichnungen angetreten (Pfeifer II 884). Molm „eidechsenähnlicher
Lurch“ mit m-Erweiterung < german. *mul-ma- (:�Egerm) ist ab dem 9. Jhd. bezeugt und
steht neben Olm „dss.“ (ab 11. Jhd.; Pfeifer II 949). Weitere Ableitungen in thür. Mdaa.
sind Molcher(t) m.und Molmer m., die mit dem auch in Marder neben Mard auftretenden
Suffix -er erweitert sind (Fleischer/Barz 151 ff.). Das aus lat. *-arius entlehnte Suffix -er
findet sich bei Tierbezeichnungen häufig in der ursprünglichen Funktion als Nomen
Agentis (z.B. in den Vogelbezeichnungen Laubsänger, Würger) und kann von da aus auch
auf andere Tiere übertragen werden. Ähnliches ist auch bei Pflanzennamen eingetreten,
vgl. ahd. genesta > nhd. Ginster (EWA s.v. genesta). Molmerich m. „Maulwurf“ dürfte
eine scherzhafte Nachahmung der Bildung von Enterich oder Gänserich sein und gehört zu
Molm „Staub, Erde“ (EWA s.v. molm).
L: Hd. Molch steht neben nddt. Molk wie Storch neben Stork und deutet auf eine german.
Vorform *mulka-. Ausschließlich im Kreis Schmalkalden ist Momme m. und f.
„Feuersalamander“ < Molme bezeugt, in dem das l geschwunden ist wie in manchen thür.
Westgebieten üblich, z.B. in šumaisd�r „Schulmeister“ (Sp ThGr 229 ff.). Zusätzlich ist in
Momme ein Genuswechsel mit Antritt eines -e eingetreten wie in Binse < mhd. bin(e)z
(Frnhd Gr 175f.). Molchert neben Molcher hat ein unetymologisches -t wie Habicht <
mhd. habech (MhdGr 161; Sp ThGr 183).
WG: Die erst ab dem 15. Jhd. bezeugte, mit dem Guttural erweiterte Form Molch ist durch
Luther in die dt. Hochsprache eingedrungen (EWD, DWb s.v. Molch). Älteres
unerweitertes mol steht schon im Ahd. neben der m-Ableitung molm. Das Nebeneinander
von ahd. olm und molm, die beide eidechsenähnliche Lurche bezeichnen, ist
wahrscheinlich wie Otter neben Natter als falsche Abtrennung zu erklären (EWD s.v. Olm,
Pfeifer II 949). Olm wird im 19. Jhd. in der Wissenschaftssprache erstmals bei Lorenz
Oken (Lehrbuch der Naturgeschichte, 1813-1826) für einen neu entdeckten, im Wasser
lebenden Schwanzlurch mit verkümmerten Gliedmaßen, den Grottenolm, verwendet und
von da aus in die Hochsprache übernommen (Pfeifer II 949).
Nddt. Molk bezeichnet auch einen Schmetterling und ist vielleicht beeinflusst durch das
Kompositum Molkendieb „Schmetterling“ mit demselben Benennungsmotiv wie engl.
Molch 3
butterfly, ndl. botervlieg, nhd. (dial.) Butterfliege. Man glaubte, dass Hexen und Zauberer
in Gestalt von Schmetterlingen Milch und Butter stehlen würden (DWb s.v. Butterfliege).
Im thür. Volksglauben gibt es schönes Wetter, wenn der Kamm des Molches aufrecht
steht.
Egerm: Hd. Molch und nddt. molk weisen auf german. *mul-ka- m., das genauso wie *sturka-
> Storch (EWD s.v. Storch), *lurka- > Lorch (ú EWDD s.v. Lorch) gebildet ist. Daneben
stehen weitere Ableitungen: Ahd. mhd. asächs. mol < german. *mul-a- m., ahd., mhd.
molm < german. *mul-ma- m. und mhd. molle, ahd. mollo sowie evtl. der aengl. PN Moll
(Holth AeWb 225) < *mul-na- m. (mit dem schon german. Wandel von -ln- > -ll-; Kr/M I
113), die auf eine german. Basis *mel-, Schwundstufe *mul- deuten. Die alte
Zusammenstellung mit dem Verb „mahlen“ (vgl. IEW 717) und die Interpretation als
Nomen Agentis „Mahler“ ist nach Lühr „als Bezeichnung für ein Tier wie einen „Molch“
oder einen „Maulwurf“ von der Bedeutung her nicht sehr überzeugend. Wahrscheinlicher
ist der Anschluß an arm. moá�] „Eidechse“, das man zu der Sippe von ai. maliná-
„schmutzig, unrein“ stellt. Trifft diese Verbindung zu, so könnte von einem *mula-
„dunkelfarbig“ eine Bildung mit dem individualisierenden n-Suffix *mula-n- „der
Dunkelfarbige“ abgeleitet und wegen der häufig bezeugten Bedeutungsgleichheit von n-
Stamm und a-Stamm dann auch der a-Stamm substantivisch verwendet worden sein“
(Lühr Expr. und Lautges. 201). Die Verbindung von *mul-a- mit armen. PRá�] geht in die
richtige Richtung und wird in Eidg semantisch genauer dargestellt und begründet.
Eidg: Die idg. Wurzel mel- „gefleckt, gesprenkelt; befleckt, schmutzig sein“ (IEW 720f. unter
6. mel-, mel�-; nicht in LIV) ist eine Ani;-Wurzel (Peters, Lar 162 f.). Die in IEW
angeführten Belege für den Ansatz eines Laryngals sind das aind. Adj. maliná-, das jedoch
eine Weiterbildung von einem -in-Adj. malin- ist (Sommer, Nom 25; EWAia II 332f.); das
Part. ml�na- „welk, verwittert; dunkel, schmutzig“ gehört zu einer aind. Wurzel ml�-
(*mleH-) „welken“ (EWAia II 332f.; 388f.).
Fortsetzer der Wurzel *mel- sind aind. mála- n. „Schmutzfleck, Dreck, Unrat“ (die
Bedeutung „Schmutzfleck“ wird deutlich in malodv�sás- f. (= mala-ud-v�sas; SB +) „die
�GXUFK� 0HQVWUXDWLRQVEOXW�� IOHFNLJHQ� .OHLGHU� DEJHOHJW� KDEHQG³��� JULHFK�� ���."� ÄGXQkel,
VFKZDU]³�����.1�.�ÄVFKZDU]HU�RGHU�JUDXHU�)OHFN³���)�#1�.�Ä)OHFN³��OLW��mKlas „blau“; dt.
Mal < german. *P�1la- n. (die Bedeutung „Fleck“ in Muttermal) (EWD s.v. Mal²; IEW
720 f.; Pfeifer II 829).
Von dieser Wurzel mel- sind in idg. Sprachen ferner einige Tierbezeichnungen abgeleitet,
die eine ursprüngliche Bedeutung „sprenkeliges, geflecktes (Tier)“ aufweisen: lit. meletà
Molch 4
„Hasel-�� :DOGKXKQ³�� JULHFK�� �0� #!�"�� � � #!�"� Ä*DUQHOH�� /RNXVWH³�� DLU�� mulba
„Seehund“ (*mol �o-); armen. PRá�], PRáH]L „Eidechse“ < uridg. *mole�hi-, das ein
Kompositum aus *molo- „gefleckt“ und *h1e�hi- „Schlange“ (= griech. µ$�"�Ä9LSHU��2WWHU³��
dagegen griech. å3�"� XQG� DLQG�� áhi- < uridg. *Hogwh
i-, armen. Lå „Schlange“ < uridg.
*+�Jwhi-; EWAia I 156) sein könnte. Mit Schwundstufe der Wurzel gehören hierher aind.
m;gá- m. „Wildtier; Gazelle; Hirsch; Vogel“, m�g¼- f. „Hirschkuh“; jav. mãrãða- „Vogel“,
npers. murð „Vogel, Huhn“ (EWAia II 370f: „Der Ursprung von iir. *m;gá- ist unklar“).
Diese Wörter bezeichnen verschiedene Tiere, die sich durch eine fleckige Färbung
auszeichen.
Aufgrund der späten Belege wird Molch im allgemeinen als sekundäre Bildung in
Anlehnung an Lurch, Storch usw. (:� M/WB) angesehen. Das uridg. Transponat von
german. *mulka- wäre uridg. *m�go- „geflecktes (Tier)“, das eine genaue Entsprechung
von aind. m�gá-, jav. m�r��D- darstellen könnte. Doch ist uridg. *-go- ein seltenes Formans
und meist mit anderen Suffixen verbaut (Brugmann Grdr II, 1 506ff.), so dass in beiden
Sprachen eine unabhängige Neuerung vorliegen dürfte.
Eine semantische Parallele für die Entwicklung von „geflecktes Tier“ zur Bezeichnung
ganz verschiedenartiger Tiere bietet air. erc < idg. *per�o- „sprenkelig“, das synchron
„Forelle, Lachs“, „Kuh“ und „Eidechse“ bedeuten kann (DIL s.v. erc). Aus anderen idg.
Sprachen gehören hieUKHU�JU����!� "� Ä$GOHU³����!��� ÄHLQ�)OXVVILVFK³��PLW�HLQHU�DQGHUHQ�Ablautstufe (uridg. *pór�o- „gesprenkelt“) lat. porcus, air. orc, lit. paÕšas „Schwein“ (ú
EWDD s.v. Färe).
Da die in Mitteleuropa beheimateten Molcharten (außer dem nur in den Alpen
vorkommenden Alpenmolch, der ganz schwarz ist) Teichmolch, Salamander und
Kammmolch mehr oder weniger auffällig gefleckt sind, ist eine ursprüngliche
Bedeutungseinengung von german. *mul-a-, *mul-ma- und *mul-ka- als „geflecktes Tier“
:� Ä(LGHFKVH��0ROFK³� QDKHOLegend, die auch in armen. PRá�] „Eidechse“ bei derselben
Wurzel eingetreten ist und bei der gleichbedeutenden Wurzel *per�- in air. erc „Eidechse“.
Lit: B ThWb s.v. Molch, Molchert, Molm, Molmerich, Momme; Tabernaemontanus
Kräuterbuch 234; Calepinus Dict. 7 linguarum 1361; DWb s.v. Molch; RheinWb s.v.
Mölkchen; M/WB Frnhd Gr 168ff.; Pfeifer II 884, 949; Fleischer/Barz 151 ff.; EWA s.v.
molm; L Sp ThGr 183, 229ff.; Frnhd Gr 175f.; MhdGr 161; WG EWD s.v. Molch, Olm;
DWb s.v. Butterfliege, Molch; Pfeifer II 949; Oken Lehrbuch Naturgesch.; Egerm EWD s.v.
Storch; Kr/M I 113; IEW 717; Lühr 1988: 201; Holth AeWb 225; Eidg IEW 720f.; Peters
Molch 5
Lar 162f.; Sommer Nom 25; EWAia II 332f., 370f., 388f.; EWD s.v. Mal², Pfeifer II 829;
EWDD s.v. Färe.
Muhol 1
Muhol Sb m. „Libelle“
Z: Das bisher völlig unklare nthür. Subst. Muhol m. „Libelle“ (zum Genus :�0�:%��VWDPPW�DXV�GHP�kindersprachlichen Wortschatz wie auch zahlreiche weitere Bezeichnungen für harmlose Insekten,
etwa Muhkäuzchen, Muhkälbchen „Marienkäfer, Glühwürmchen“ (:�:*��� (V� LVW� HLQ�.RPSRVLWXP�aus Muh-, einem Kosenamen für Kühe, der häufig in kindersprachlichen Hypokoristika für Insekten
verwendet wird, und -ol „Eule“ aus nddt. ÌO mit nthür. Vokalkürzung und Vokalsenkung (:� /���Semantische Parallelen für die Bezeichnung von Insekten mit den Wörtern Eule, Käuzchen oder Vogel
stützen diese Deutung (:�:*���Eule hat Verwandte in anderen german. Sprachen (:� (germ). Die
Kompositionsbestandteile muh- und -ol sind onomatopoetisch und finden typologischen Anschluss an
andere idg. Sprachen (:�(idg).
B: Das sicher bezeugte Wort Muhol (ThWb s.v. Muhol) kommt nur in der nordthür. Mda. in
und um Sondershausen vor. Es bezeichnet die Libelle in allen vorkommenden Arten der
Insektenordnung Odonata neben mundartlichem Wasserjungfer und einer großen Zahl von
Synonymen, die auf kleine Gebiete oder einzelne Orte beschränkt sind und häufig dem
kindlichen Wortschatz entstammen (:�WG).
M/WB: Aufgrund semantischer Parallelen (:� WG) wird Muh-ol als Kompositum „Muh-
Eule“ mit dem Genus Maskulinum bestimmt. Das Mask. gibt es z.B. in nndl. uil�>ÌO@�P��„Eule“ und im Sprichwort was dem einen sin Uhl, ist dem anderen sin Nachtigall (Röhrich
III 1655; im Nddt. ist auch Nachtigall mask.), in dem das Pronomen sin (und nicht sine f.)
auf ein Mask. hinweist. Auch das NO- und SO-Thür. kennt Eul in hdt. und ËO in nddt.
Lautform als Mask. (ThWb s.v. Eul). Schon im Ahd. gab es endungslose fem. Formen wie
ÌZHO��ÌO��DXO��HXO (= mhd. iuwel f.) mit regelrechtem Endungsschwund im Nom. der fem. À-
St. Dieser Endungsschwund konnte manchmal zum Übertritt eines fem. Wortes in das
Mask. führen (Braune/Eggers AhdGr 192), was auch in (XO��ËO m. geschehen ist. Das
Nebeneinander von verschiedenen Genera ist unter anderem bei l-Suffixen nicht
ungewöhnlich (Kr/M III 87f.) und kann den Genuswechsel zusätzlich gefördert haben (:�E
germ).
L: Das Fehlen des Umlauts im Kompositionshinterglied -ol (vgl. dagegen nhd. Eule < mhd.
iuwel, iule) beruht auf der Übernahme der nddt. Form ÌO m. (z.B. in Danneil Altmärk 230a;
Damköhler Nordharz 197b), die aus ÌZLOD synkopiert ist (PBB 5: 70 und Braune/Eggers
AhdGr 68). Nddt. Formen und Wörter sind häufig im N-Thür. vertreten, vgl. z.B. Lum,
Lume „Matsch, Pfütze, feuchte Stelle auf dem Acker“ (ú�EWDD s.v. Lum). Ein -Ì- ist im
Norden und nördl. W- und O-Thür. teilweise gekürzt und zu -o- gesenkt worden wie z.B.
auch in Zog < Zug (Sp ThGr 93).
Muhol 2
WG: Die Bezeichnungen für die Libelle sind vielfältig: Abergläubische Anspielungen wie
Butterhexe, Drachen, Gespenst oder Teufelsnadel sind ebenso vertreten wie die falsche
Vorstellung, dass die Libellen mit ihren Flügeln schneiden könnten, was zu Bezeichnungen
wie Schneider, Schnitter, Bach-, Bauch-, Binsen-, Daumen-, Zwirnschneider,
Haar(ab)schneider, Schneidehornisse usw. geführt hat. Die schlanke, gerade Körperform
ist Anlaß zu den Bezeichnungen Flinte, Heubaum, Säbel usw. Mehr auf das Fluggeräusch
beziehen sich Brummer, Grille, Flieger, Propeller usw. (ThWb s.v. Libelle). Die
kindlichen Bezeichnungen für harmlose, nicht stechende Insekten verschiedener Arten sind
äußerst häufig Komposita, in deren Vorder- oder Hinterglied Wörter für „Kuh“ oder
„Schaf“ zu finden sind: Muhkuh, Muhkälbchen n. „Marienkäfer; Glühwürmchen“ ist
verstreut belegt in Nordthür. neben Muhkühchen „id.“, Muhkäuzchen „Marienkäfer“ und
Muhpetzchen „Marienkäfer, Glühwürmchen“ (-petzchen zu Petze „junges Schaf, Lamm“;
ú EWDD s.v.). Muh ist eine kindliche Koseform für Kühe (ThWb s.v. Muh). Als
Hinterglied in Komposita für die Bezeichnung der Libelle sind des öfteren auch
Vogelnamen zu finden, z.B. Kieshühnchen oder Wettervogel (ThWb s.v. Libelle). Für die
hier vorgeschlagene Deutung von Muhol spricht ferner Uhlwurm, Ulwurm „Engerling,
Schmetterlings-, Käfermade“ („Eulenwurm“) (ThWb s.v. Ulwurm].
Neben den o.g. kindlichen Wörtern gibt es im Hdt. die Bezeichnung Eule für eine
bestimmte Sorte von Motten (Psychodidae) oder Nachtfaltern (Noctuidae). Grimm (DWb
s.v.) bietet den Begriff Eulenmücke für Tipula Phalaenoides Linnaeus, eine Mottenart
(www. hbs.bishopmuseum.org/aocat/psychod.html). Die nddt. Form ËO mit den Deminuti-
ven ËOFKHQ, ËONHQ und ËOHNH kann einen Nachtfalter bzw. eine Motte bezeichnen, z.B. in
(der Mandelwurm) kreichet herfür auß seinem seidenen Lager und ist nun kein Wurm oder
Raupe mehr, sondern ein weißes Ulchen mit Flügeln, langen Füßen, Hörnern fürm Kopf
(Laurenberg acerra phil. 1643: 487; DWb s.v. Eule, Ule); nach der Beschreibung dürfte
hier wahrscheinlich die Variante Acronicta leporina gemeint sein (Bild unter www.
golddistel.de/nachtfalter/noctuidae/index.htm).
Muh-ol „Muh-eule“ stammt aus dem Bereich der Kindersprache und ist aus dem ebenfalls
kindersprachlichen Wort Muh „Kuh“ und dem Hinterglied -ol als dialektaler Variante von
nhd. Eule zusammengesetzt (:�L). Muh-käuzchen als Bezeichnung für Marienkäfer oder
Glühwürmchen sowie die Verwendung des Wortes Eule, Ule für eine bestimmte Art von
fliegenden Insekten bieten für diese Interpretation semantische Parallelen.
Egerm: Das Vorderglied Muh- gehört zum sw. Verb muhen als Nachahmung von Kuhgebrüll,
die auch in anderen Sprachen als Lautmalerei bezeugt ist (ô Eidg). Das nddt. Subst. ÌO m.
Muhol 3
„Eule“ ist auch in nndl. uil m. „Eule“ bezeugt und steht neben der seltenen hdt. Form Eul
m. (ThWb s.v. Eul). Häufig bezeugt ist das fem. Eule, nddt. ÌOH (DWb s.v. Eule, Ule,
Uhle). Diese Formen gehen auf mhd. iuwel, iule swf. und weiterhin auf ahd. ÌZLOD��ÌOD�und
ÌO��DXO��HXO f. (mit Endungsschwund im Nom.; :�M/WB) < german. *XZZLOÀ�Q�- f. „Eule“
zurück. Aus anderen german. Sprachen gehören hierher aengl. ÌOH f. und anord. ugla f.
„Eule“ (Holth AeWb s.v. ÌOH; deVries AnordWb s.v. ugla), die wegen des fehlenden
Umlauts german. *XZZDOÀ�Q�- f. fortsetzen. Anord. ugla sowie schwed. uggla, dän. ugle
zeigen die lautgesetzliche Verschärfung von *ww zu *ggw im Nord- und Ostgerman.
(Kr/M I 97). *XZZLOÀ�Q�- und *XZZDOÀ�Q�- sind Ableitungen von *uwwa(n)- m. „Uhu“ (:�E
idg) mit dem german. Suffix *-la-/-OÀ- bzw. seinen bindevokalischen Varianten *-ila-,
-ala- (H. Beck in RGA 8 (1994): 17f.; Kr/M III 84ff.). Das Suffix kann unter anderem auch
deminutive Bedeutung haben, vgl. z.B. nhd. Ferkel n. < mhd. verhel n. < german. *farh-
ila- zu german. *farha- m.n. (mhd. varch m.n., aengl. fearh m. „Schwein“; EWD s.v.
Ferkel; Kr/M III 87). „Alle Benennungen der kleineren Eulenarten sind deminutive
Ableitungen von lautmalenden Namen des großen Uhus“ (H. Beck in RGA 8: 17). Somit
sind (XO��ÌO und (XOH��ÌOH eigentlich „kleiner Uhu“. Häufig behält ein solches Deminutiv
das Genus seiner Ableitungsbasis bei wie z.B. got. magula m. „Knäblein“ von magu- m.
„Knabe“ oder PDZLOÀ f. „Mädchen“ von mawi f. Magd (Kr/M III 87, Lehmann GotWb
s.vv.). Aber Bändel m. (DWb s.v. Bendel) neben Band n. und Stengel m. (neue
Rechtschreibung: Stängel) neben Stange f. (EWD s.v. Stengel) zeigen auch die
Möglichkeiten eines Genuswechsels (Streitberg UrgGr 194). Zum Übergang von fem.
Eul(e), Ul(e) zu mask. Eul, Ul s. auch unter M/WB.
Eidg: Das lautmalerische Verb muhen kommt als typologische Parallele in anderen Sprachen
vor, z.B. in lat. mÌJ¯UH�� JULHFK�� �#�� �.�� �(:'� V�Y�� muhen; IEW 751f.). German.
uwwa(n)- m. „Uhu“ ist eine onomatopoetische Bezeichnung, „die möglicherweise der
größten Eulenart, dem Uhu, zukam“ (H. Beck in RGA 8: 17). Ähnliche lautmalende
Wörter aus anderen Sprachen sind lat. ulula f., ulucus m. „Kauz“, lett. ÊSLV „Uhu“, ÌEXôt
„gurren“ (von Tauben), aind. uhúvas (RV) etwa „schnatternd“ als Beiwort von Gänsen,
úlÌND- „Eule, Käuzchen“ (~ lat. ulucus) (EWAia s.v. ululí, úlÌND��XKúvas; WH s.v. ulucus,
ulula; IEW 1103; Suolahti Vogelnamen s.v. Eule, Uhu).
Lit: B ThWb s.v. Muhol; M/WB Röhrich III 1655; ThWb s.v. Eul; Braune/Eggers AhdGr
192; Kr/M III 87f.; L Danneil Altmärk 230a; Damköhler Nordharz 197b; PBB 5: 70;
Braune/Eggers AhdGr 68; EWDD s.v. Lum; Sp ThGr 93; WG ThWB s.v. Libelle; EWDD
s.v. Petze; ThWb s.v. Muh; DWB s.v. Eule, Eulenmücke, Uhle; www. hbs.bishopmuseum.
Muhol 4
org/aocat/psychod.htm; Laurenberg acerra phil. 1643: 487; www. golddistel.de/nachtfalter
/noctuidae/index.htm; Egerm Braune/Eggers AhdGr 192; Holth AeWb s.v. ÌOH; deVries
AnordWb s.v. ugla; Kr/M I 97; H. Beck in RGA 8, 1994, 17f; Kr/M III 84ff.; Lehmann
GotWb s.v. magila, mawi; EWD s.v. Ferkel, Stengel; DWb s.v. Bendel; Streitberg UrgGr
194; Eidg EWD s.v. muhen; IEW 751f, 1103; EWAia s.v. ululí, úlÌND��XKúvas; WH s.v.
ulucus, ulula; Suolahti Vogelnamen s.v. Eule, Uhu.
Nuffen, nuffen 1
Nuffen Sb m. f. n. „das linke Gespannpferd, -tier“
nuffen Adj. „links“
Z: Das nur in Thüringen bezeugte Wort Nuffen „linkes Gespannpferd, -tier“ geht in seiner Bezeugung
und Verwendung ganz parallel mit Neben „rechtes Gespannpferd, -tier“: Bei beiden Wörtern sind die
gleichen Komposita gebildet worden und bei beiden gibt es eine gleichartige Adjektivbildung (:�M/WB; WG). Die in ThWb vorgeschlagene Verbindung mit einem mndt. Verb nopen „stoßen,
antreiben“, das in hd. Lautung nuffen nur selten bezeugt ist, scheitert an der Wortbildung, da sich
keinerlei deutsche Derivationsmuster geltend machen lassen. Parallel zur unumstrittenen Herleitung
von Neben „rechtes Gespannpferd, -tier“ wird für Nuffen eine Herkunft aus dem thür. Adv. nuff,
nuffn „hinauf; oben“ erwogen, die eine stimmige Wortbildung ergibt und durch die Darstellung der
Sachbezüge und dem Benennungsmotiv zusätzlich an Wahrscheinlichkeit gewinnt (:�:*��� ,Q�(germ
und Eidg
werden die germanischen und indogermanischen Bezüge angeführt.
B: Ausschließlich in Thüringen ist das Subst. Nuffen m. f. n. als Bezeichnung für ein im
Gespann links gehendes Tier bezeugt. Das Genus richtet sich dabei in der Regel nach dem
zu ergänzenden Grundwort, z.B. der Nuffen = der Nuffengaul, die Nuffen = die Nuffenkuh,
das Nuffen = das Nuffenpferd. Außerdem werden häufig die Komposita Nuffengaul,
Nuffenkuh, Nuffenochse, Nuffenpferd oder Nuffentier gebildet. Die Nuffenseite ist die linke
Seite im Gespann. Ferner gehört hierher das Adj. nuffen „(im Gespann) links (gehend)“,
z.B. in der Gul geht nuffen „der Gaul geht links“ und der nuppne Chul „der linke Gaul“
(ThWb s.v. Nuffen, nuffen), genauso e gieht nabt „er geht rechts“ und der nawete Ochs
„der rechte Ochse“ von neben (:� WG). Als Synonyme für Nuffengaul, Nuffenkuh und
Nuffenochse werden Sattelpferd, Sattelkuh und Sattelochse verwendet, die in anderen
Dialekten ebenfalls als Bezeichnungen für das linke Gespanntier verwendet werden (DWb
s.v. Sattelpferd, -gaul, -kuh, -tier).
Belege für Nuffen aus anderen dt. Dialekten sind nicht vorhanden.
M/WB: Das Adj. nuffen „links (gehend)“ ist wie neben „rechts (gehend)“ semantisch aus der
Aufteilung eines Gespannes in Nebenpferd und Nuffenpferd, gleichsam „rechtes“ und
„linkes“ Pferd, entstanden (:� WG). Die Adverbien nuff(n) „hinauf“ und neben sind zu
flektierenden Adjektiven nuffener und nebener (:� B) uminterpretiert worden, vgl. z.B.
umgangssprachl. das zune Fenster aus das Fenster ist zu in Analogie zu das offene Fenster
(wo die Verwendung als Adj. alt ist) und das Fenster ist offen. Nuffen und Neben sind aus
den Adjektiven nuffen und neben substantiviert.
L: Ein fakultativer n-Antritt im Auslaut von Ortsadverbien ist im Thür. anzutreffen z.B. in
drufn „darauf“ und ufn „auf“, in Analogie zu den häufigen Bildungen wie draußen, außen,
hinten etc. (Sp ThGr 256), ebenso in nufn „hinauf“ (ThWb s.v. auf, drauf, hinauf). Der
Nuffen, nuffen 2
Kurzvokal in nuff neben nauf beruht auf einer verbreiteten Kürzung, die auch in ruff neben
rauf, druff neben drauf usw. auftritt (Sp ThWb 172). Daneben gibt es auch die md. Form
nub mit unverschobenem -p, das in den meisten thür. Dialekten lenisiert wird wie in drub
(Kreis Worbis) neben druff, drauf (Sp ThGr 180; ThWb s.v. drauf, hinauf). Die Varianten
nuff und nub sind auch bei Nuffen zu finden: nufn und nub#n (ThWb s.v Nuffen).
WG: Als Bezeichnung für das rechts im Gespann gehende Tier wird Neben m. f. n.
verwendet, auch in den gleichen Komposita wie Nuffen (:�B): Nebengaul, -kuh, -ochse,
-pferd, -tier, Nebenseite „rechte Seite des Gespanns“ sowie im Adj. neben(d) „im Gespann
rechts (gehend)“ (manchmal mit einem Sprossdental -d/-t wie in ebend „eben“, nacherd
„nachher“; Sp ThWb 183), z.B. in e gieht nabt (ThWb s.v. Neben, neben) parallel zu
nuffen „im Gespann links (gehend)“.
Die alten Nutzfahrzeuge wurden von Pferden, Ochsen oder Kühen, aber nicht von Stieren
(aufgrund ihrer Aggressivität) gezogen. Die Wagen hatten keine Sitzböcke, so dass man
zum Lenken und Antreiben des Gespanns auf einem der Zugtiere reiten musste.
Üblicherweise auf das linke Pferd als Sattelpferd steigt man hinauf, das Nebenpferd läuft
im Gespann rechts daneben und zeigt dasselbe Benennungsmotiv wie z.B. Beipferd oder
gall.-lat. para-ver�GXV „Beipferd“. Das linke Pferd wird angetrieben und gezügelt, das
rechte läuft nur in der Anschirrung mit. Aus diesem Grund wurden auch junge,
unerfahrene Tiere an die rechte, weniger „verantwortungsvolle“ Position gesetzt, z.B. in di
jonge Kuh spann on di Naabmsitten „spann die junge Kuh an die Nebenseite (= rechte
Seite)“ (ThWb s.v. Nebenseite).
Egerm: Die in ThWb s.v. Nuffen angegebene Gleichsetzung mit einem Verb nopen, nuffen
„stoßen, antreiben“ ist zwar aus semantischen Gründen möglich, vgl. aind. háya- „Pferd“,
das durch Substantivierung mit Akzentverschiebung aus einem patientiven oder
resultativen Adjektiv *hayá- „das angetriebene (Tier)“, einer Ableitung der aind. Wurzel
hay- „antreiben“, entstanden ist (EWAia II 802f.). Dieselbe Entwicklung mit
Akzentverschiebung ist auch in thür. Färe bezeugt und in EWDD s.v. Färe genauer
dargestellt.
Eine Ableitung mit einem Suffix -en von einem Verbalstamm nuff-, nup- „schlagen,
antreiben“ oder eine Substantivierung des Infinitivs in patientiver Bedeutung „Tier, das
gestoßen/angetrieben wird“, wie sie für Nuff-en anzunehmen sein müsste, ist im Deutschen
jedoch nicht bezeugt. Das völlig parallele Verhalten von Nuffen und Neben deutet vielmehr
auf gleiche Wortbildung, Ableitung und Semantik, wie oben in M/WB dargestellt.
Nuffen, nuffen 3
Der dialektalen Form Nuffen liegt das Adv. hinauf zugrunde, das aus dem Adv. hin, mhd.
hin(e), ahd. hin(n)a, mndl. hene, aengl. als Vorderglied hin-, und der Präp./ dem Adv. auf,
mhd. ahd. ÌI, anord. upp, aengl., as. afr. up, zusammengesetzt ist wie z.B. hinan aus hin-
an, ahd. hin-an(a), aengl. hion-an(e) (EWD s.v. auf, hin; Van Dam II 306f.; Holth. AEW
160).
Eidg: Das aus ahd. hin(n)a „hin“ zu erschließende german. Adv. *hi-na < uridg. Richtungs-
Akkusativ *�i-no-m „in diese Richtung, hin“ ist von einem auch in anderen Adverbien
(z.B. heu-te „an diesem Tag“, heu-er „in diesem Jahr“; EWD s.v. heute und heuer) und
Pronomina bezeugten Pronominalstamm german. *hi- „dies-“ (Lühr, Hildebrandslied) mit
dem Suffix german. *-na- abgeleitet (Kr/M II 69, Kr/M III 104ff.). Dieses *hi- geht auf ein
uridg. *�i- zurück, das z.B. auch in lat. ci-tra „diesseits, innerhalb“, cis „diesseits“ (W/H I
222), umbr. çive „hier, diesseits“, apreuß. schis „dieser“, lit. šìs „dieser“ gut bezeugt ist
(IEW 609f.).
Bei auf ergibt sich aus den unter Egerm angeführten Belegen ein german. Adv. *upa „(von
unten) nach oben“. Der Konsonantismus weicht von den anderen idg. Sprachen ab. Eine
Gemination kann durch den Antritt eines no-Suffixes entstanden sein (Lühr Expr 311): dt.
auf also aus vorgerman. *up-nó- „hinauf“ > german. *uppa-, mit sekundärer Dehnung >
*ÌSSD. (Neri aisl. uppi (in Vorbereitung)). Allein got. uf aus uridg. *úpo- stimmt lautlich
zu den anderen idg. Sprachen (Lehmann GotWb s.v.). Das ahd. Wort zeigt ungeklärte
Vokaldehnung, das Anord. eine Geminate (deVries AEW 635). Die Belege anderer idg.
Sprachen wie z.B. aind. úpa, gall., kib. uo- deuten auf uridg. *(h1)úpo, „(von unten) heran,
hinauf“, wobei der Ansatz eines Laryngals nicht sicher ist (Peters Lar 70f.), lat. sub
dagegen auf uridg. *supo „unten“ mit etwas anderer Bedeutung; griech. ö� �� ò�)� Oässt
beide Herleitungen *(h1)upo und *supo zu.
Adverbiale Ableitungen und Zusammensetzungen sind auch in anderen Sprachen häufig,
VLHKH�GLH�REHQ�JHQDQQWHQ�%HLVSLHOH�XQG�YJO��QRFK�JU����2.�2.�ÄJHUDGH�DEZärts“, ¡�3���.��„einander, gegenseitig“ oder��020�0�2.�ÄGDQDFK³��6FKZ\]HU�,����I���
Lit: B ThWb s.v. Nuffen, nuffen; L Sp ThGr 172, 180, 256; ThWb s.v. auf, drauf, hinauf; WG
Sp ThGr 183; ThWb s.v. Neben, neben, Nebenseite; Egerm EWAia II 802ff.; EWDD s.v.
Färe; EWD s.v. auf, hin; VanDam II 306f.; Holth AEW 160; Eidg EWD s.v. heuer, heute;
Kr/M II 69; Kr/M III 104ff.; W/H I 222; IEW 609f.; Lehmann GotWB s.v. uf; deVries
AEW 635; Peters Lar 70f.; Schwyzer I 632f.
Nuss, nussen, nuschen 1
Nuss Sb f. / m. „Schlag, Stoß“
nussen swV „schlagen, stoßen“
nuschen swV „schlagen, stoßen“, in der Tierzucht „entwöhnte Jungtiere mit der Schnauze (in
Milch oder Wasser) stoßen, damit sie zu trinken anfangen“
Z: Die in obdt. und mdt. Dialekten bezeugten Verben nussen, nusseln, nussern, nuschen, nüscheln, das Sb.
Nuss, Pl. Nüsse m./f. und verschiedene Ableitungen gehen auf eine german. Wurzel *nut- „schlagen,
stoßen; Schlag, Stoß“ zurück. Die german. Form *nut- ist Schwundstufe zu der uridg. Wurzel *neud-
„stoßen“ und mit dem aind. Vb. nudáte „schlagen, stoßen“ zu vergleichen. Damit entfallem die
Deutungen von Kluge/Seebold s.v. Nuß2 als Übertragung von Nuß
1 oder Verbindung mit unsicherem
aengl. hn�otan „schlagen“ (Egerm und Eidg).
B: In thür. und osächs. Mundarten sind die Verben nussen und nuschen „schlagen, stoßen“
bezeugt: abgesetzte Ferkel und andere Jungtiere werden mit der Schnauze in die Milch
neingenuscht („hineingestoßen“), um sie an das Saufen zu gewöhnen. Weitere Varianten
dieser Verben sind thür. nusseln, nussern, nüscheln „schlagen, stoßen, prügeln“; im Fränk.
und obdt. Dialekten gibt es nussen „schlagen“. Auch für Menschen werden diese Verben
verwendet, z.B. ich will im den Kopf weidlich nussen (17.Jhd., M. Neander; DWB s.v.
nussen); är nahm n an Uhrn un nuschelten richtch (ThWb s.v. nüscheln, -u-) „er packte ihn
an den Ohren und prügelte ihn richtig“; ich hoo mich on Schadel genoßt (ThWb s.v.
nussen) „ich habe mich am Kopf angestoßen“. Die Präfixverben ab-, durch-, vernuscheln,
-nüscheln , z.B. ha hat“n abgenuschelt, durchgenuschelt „er hat ihn durchgeprügelt“, und
auf-, aus-, hin-, ver-, zernussen sind nach den üblichen Ableitungsmustern der dt. Sprache
gebildet. Des weiteren ist in thür. Mda. sowie in fränk. und obdt. Dialekten ein Sb. Nuss
(Pl. Nöss < Nüsse) m./f. „Stoß, Schlag (an den Kopf)“ bezeugt: dar hot Nöss gekricht
(ThWb s.v. Nuß²); ein G. Sg. in Schlag zu, schlag zu, gib ir der Nüsz! (16.Jhd., H. Sachs; s.
M). Das Schweizerische bietet ein Deminutiv Nüssi n. „Nasenstüber“. Weitere
Ableitungen sind Nusser m. und Nusserer m. „Schlag (auf den Kopf)“: ar kriecht an
Nusser. Das Determinativkompositum Kopfnuss „Schlag auf den Kopf“ zeigt die gleiche
Semantik wie Kopfstoß und Kopfschlag (DWb s.vv.), s. WG.
M: Neben dem mask. Nuss mit dem (dial.) Pl. Nüss, Nöss ist ein fem. Nuss mit G.Sg. oder Pl.
Nüss(e) und Pl. Nüsse bezeugt, die auf einen alten fem. i-St. oder ein Wurzelnomen deuten.
WB: Von dem denominalen sw. Vb. nussen (von Nuss, kein Prät. bezeugt, Part. II genusst) ist
nusseln, von nüschen und nuschen sind nüscheln und nuscheln mit dem Iterativ-Suff. -el-
abgeleitet. Das sw.Vb. nussern ist entweder eine Weiterbildung des Sb.s Nusser (wie
Knauser : knausern) oder des Vb.s nussen mit dem Iterativ-Suff. -er- (wie blinken :
Nuss, nussen, nuschen 2
blinkern; zu -el- und -er- s. Lühr Nhd.170f). Die thür. Formen nüschen und nuschen mit
-sch- sind alte Intensivbildungen wie waschen oder forschen (s. Egerm und Eidg
). In Nusser
m. und Nusserer m. hat das Suffix -er die Bedeutung eines Nomen actionis wie z.B. in
Seufzer oder Hopser anstelle der üblichen Bedeutung als Nomen agentis (Fleischer/Barz
151ff.).
L: Die Variante nüschen kommt durch die Palatalisierung des [u] vor [D] und anderen Lauten
zu [ü] in manchen Gebieten des thür. Dial. zustande (Sp ThGr 53f), das -sch- hingegen ist
keine dialektale Variante eines -s- (Sp ThGr 210f), sondern der lautlich regelmäßige
Fortsetzer von ahd. [sk] wie in waschen < ahd. wascan.
WG: In der Tierwirtschaft (vgl. das oben angeführte „entwöhnte Jungtiere mit der Schnauze
in Milch oder Wasser hineinnuschen“) wird hineinnuschen/-nussen gleichbedeutend mit
hdt. hineinstoßen verwendet. Nuss und nussen mit weiteren Ableitungen (s. B und WB)
sind nur in einigen obdt. und mdt. Dialekten verbreitet und heute noch gebräuchlich. Die
Belege zeigen eine ursprüngliche Bedeutung „stoßen, schlagen“, vor allem im Bereich des
Kopfes. So erklärt sich Kopfnuß (ab 16. Jhd.) als verdeutlichendes Determinativ-
kompositum wie Kopfstoß oder Kopfschlag (s. Egerm). Auch die zahlreichen Präfixverben
(s. B) weisen auf eine Grundbedeutung „schlagen, stoßen“.
Egerm: Das denominale sw. Vb. nussen „schlagen, stoßen“ < *nut-.n ist mit dem Suff. -.n
(Kr/M III 240ff) von einer Basis *nut- oder *nuta-�À- abgeleitet. Neben nussen steht
nuschen aus german. *nu(t)-sk-an < vorurgerman. *nud-s�e/o- mit regulärer Schwundstufe
und wird im Dt. als sw. Vb. wie heischen, rauschen, kreischen (Kr/M III 256f) flektiert.
Die lautliche Entwicklung von *-dsk- > -sk- hat Parallelen in ahd. wascan st. Vb. (an.
vaska sw. Vb. „waschen“), das aus german. *wa(t)-sk-an < vorurgerman. * od-s�e/o- (zu
got. ZDWÀ „Wasser“, uridg. * od°) stammt.
Nuss m./f., G. Sg. f. der Nüsz bei H. Sachs (s. B), Pl. Nüsse m./f. setzen eine german.
Bildung *nut(-i/-u)- m./f. „Schlag, Stoß“ voraus. Ob es sich um ein Wurzelnomen, einen i-
oder u-Stamm handelt, kann aus den jungen Belegen nicht mehr ermittelt werden, da diese
Flexionsklassen schon im Ahd. vermischt worden sind (Mittelhd Gr 197). Die
ursprüngliche Bedeutung „Schlag“ liegt auch in Kopfnuss vor.
Kretschmer (Wortgeogr), Paul (Dt Wb) und Kluge/Seebold (EWD) erklären diese
Komposita als bedeutungsähnliche Nachbildung von Ohrfeige, weil Feige wegen der Form
der Frucht als Synonym für Beule verwendet worden und eine Bedeutungsverschiebung
„feigen-/nussähnliche Beule auf dem Kopf“ zu „Schlag auf den Kopf“ (der diese Beule
hervorgerufen hat) eingetreten sei. Spätmhd. ôrfeige, mnd. ôrvyge bedeuten jedoch wörtl.
Nuss, nussen, nuschen 3
„Ohrstreich, -schlag“ und ersetzen erst allmählich mhd. ôrslac, nd. ôrslach „Ohrschlag“
(EWD und DWb s.v. Ohrfeige, Ohrschlag). In Hamburg bezeichnet Ohrfyge einen
„Aufschlag am Hut“ (neben/über den Ohren) (Richey 1755). Auch zeigen die Verben mhd.
veigen, frnhd. feigen „schlagen, stoßen“ (DWb s.v.), dass Ohr-feige noch als „Ohr-schlag“
verstanden wurde und die Umdeutung erst im Nhd. erfolgte, als das Verb feigen obsolet
geworden war. Auch Kopfstoß (: stoßen) Kopfschlag (: schlagen), Kopfhieb (: hauen),
Ohrdachtel (: dachteln „schlagen“ (EWD s.v.)), Ohrschlag (: schlagen) „Schlag auf den
Kopf/ das Ohr“ stützen die Bestimmung von Kopfnuss als „Schlag auf den Kopf“.
In einer anderen Erklärung wird eine Ableitung von einem „nicht genau faßbaren“ (EWD
s.v. Nuß2) Verb für „schlagen“ versucht: Anknüpfungspunkt ist ein ganz unsicheres aengl.
Hapax legomenon hn�otan (Holth s.v. hn�tan) neben üblichem aengl. hn�tan „stoßen,
zusammenstoßen“. Aengl. hn�tan, anord. hníta „stoßen“ (< uridg. *knéid-e/o-) werden
dabie mit gr. MP�I[� „ritzen, kratzen, reißen“ (< uridg. *knid-ie/o-) verglichen (LIV² s.v.
*kneid- „kratzen, stoßen“); diese Verben können aber wegen des verschiedenen
Wurzelvokals nicht zu nussen, nuschen gestellt werden. Dagegen stimmt das aengl. Hapax
hn�otan im Wurzelvokalismus (*eu als Vollst. neben schwundstfigem *u in nussen,
nuschen) zu den dt. Verben und könnte ein analogisches h- nach dem häufigeren
bedeutungsgleichen hn�tan erhalten haben.
Eidg: Die german. Verben *nu(t)-sk-an < uridg. *nud-s�e/o-, denominales *nut-ÀQ und das
german. Sb. *nut(-i/-u)- m./f. (s. Egerm) sind schwundstufige Ableitungen einer uridg.
Wurzel *neud „stoßen“ (LIV² 456). Weitere Fortsetzer dieser Wurzel sind aind. (RV+)
nudáti, nudáte „er/sie stößt“, Part. Prs. Akt. nudánt- „stoßend“, Perf. nunudé „hat
gestoßen“ und das Wurzelnomen (vi-/par�-)núd- f. „Stoß“. Dies kann eine genaue
Gleichung zu german. *nud- f. sein, falls Nuss f. „Schlag, Stoß“ auf ein altes Wurzelnomen
zurückgeht (s. Egerm). Auch die Konstruktionsmuster und der semantische Bereich des
aind. Verbs erlauben den Vergleich mit dem German.: Subjekte sind immer
Bezeichnungen für Menschen oder Gottheiten, Objekte sind – mit einer Ausnahme, s.u. –
Bezeichnungen für Lebewesen, z.B. in �cº kapóta# nudata (10,165,5) „mit einem ÖÖRc-Vers
stoßt die Taube weg“; nudásva yº� parisp��dha� (9,53,1) „stoße die Nebenbuhler weg“;
áp�nudo jánam amitrayántam (10,180,3) „du hast das feindselige Volk weggestoßen“.
Metonymischer Gebrauch begegnet in der einzigen Ausnahme ágne manyúm pratinudán
páre&�m ... p�hi nas (10,128,6) „Agni, den (bösen) Sinn der Gegner umstoßend, schütze uns“.
Das bisher isolierte aind. Verb findet damit einen Anschluß an eine andere idg. Sprache.
Nuss, nussen, nuschen 4
Lit: B ThWb s.vv. Nuß², nussen; DWb s.vv. Nuß, nussen, Kopfnuss, Ohrfeige; Schw Id s.v.
Nüssi; WB Kr/M III 240ff; 256f; Sp ThGr 240; Fleischer/Barz 151ff.; Lühr Nhd. 170f; L Sp
ThGr 53f, 210f.; E EWD 658; Paul 624f; LIV² 456; IEW 768; Holth 166; EWAia s.v. NOD;
Mittelhd Gr 197; Kretschmer Wortgeogr s.v. Kopfnuss; Paul Dt Wb s.vv. Kopfnuss, Ohrfeige;
EWD s.vv. Nuß2, Ohrfeige.
Orbe 1
Orbe Sb f. „negatives Wort für Frau“
Z: Das nur einmal bezeugte thür. Wort Orbe als abfällige Bezeichnung für eine Frau ist eine
wahrscheinlich aus der Studentensprache stammende scherzhafte Übertragung aus dem lat. orbus, -a,
-um „verwaist, Waise“. Solche spontanen Übertragungen sind auch sonst im Thür. bezeugt (:�:*���Daneben sind Ableitungen von der dem lat. Wort zugrundeliegenden Wurzel auch als Erbwörter in
den german. Einzelsprachen belegt (:�(germ) und können zusammen mit Fortsetzern in anderen idg.
Einzelsprachen auf eine gemeinsame Grundform *h2/3orbho- „beraubt, verwaist“ zurückgeführt
werden (:� (idg). Die im ThWb vorgeschlagene Gleichsetzung mit dem (im Thür. nicht bezeugten)
Fischnamen Orf m., Orfe f. „Art Karpfen“ muss aus lautlichen und semantischen Gründen abgelehnt
werden.
B: Ein thür. Subst. Orbe f. ist nur einmal in der abfälligen Redewendung du kriest mol anne
vergassne Orben zun Wiebe „du bekommst einmal eine vergessene Orbe zur Frau“ in
Sondershausen (Nordthür.) bezeugt. Weitere Belege, auch aus anderen Dialekten, sind
nicht vorhanden.
M/WB: In Orbe liegt ein nhd. schw. fem. Stamm mit Suffix -e wie z.B. in Tanne oder Ecke
vor (Fleischer/Barz 147f.), der in diesen Fällen nicht von einer verbalen, substantivischen
oder adjektivischen Basis abgeleitet ist. Die fem. Subst. auf -e setzen german. À-Stämme
fort, die sich schon im Ahd. mit den schw. n-Stämmen vermischt haben (MhdGr 198).
Orben zeigt wie z.B. w�s(�)n N.Ak.Sg.f. „Wiese“ (ThWb s.v.) den n-Antritt bei den schw.
Fem., der sich im Westthür. und Nordthür. ausbreitet und aus dem Würzburger Raum
kommt (Sp ThGr 239f.).
L: Nordthür. Orbe kann nicht auf eine mhd. Form orve, orfe m., f. „best. Meerfisch; best. Art
Karpfen“ (:�WG) zurückgehen, da ein -f- im Nordthür. entweder erhalten bleibt, wie z.B.
nach -r- in Dorf, Dat.Sg. Dorfe (ThDA 1, Kt. Dorfe; vgl. auch die Belege unter Schorf),
oder zwischen Sonorlauten zu -w- wird, wie in Ofen [-w¸n] und – aufgrund der
Morphemgrenze – in der Zusammensetzung barfuß [bårw¸T> (Sp ThGr 208ff.; Sp ThGr Kt.
33 S. 209].
WG: Orbe ist eine abfällig gemeinte Anwendung des lateinischen Wortes orbus „verwaist“
bzw. des entsprechenden fem. orba „Waise; Witwe“, worauf auch das kongruierende Adj.
vergessen hinweist. Ähnliche gelehrte, meist herabsetzende Verwendungen fremder
Wörter sind vor allem in Dialekten anzutreffen und stammen häufig aus der
Studentensprache. So wird z.B. der Vorgang des Betens bei den Juden im Jenaer Thür.
abschätzig als oren < lat. orare bezeichnet (ThWb s.v. oren). Ein frz. Wort flatteuse
„schmeichlerisch“ führt zur thür. Flattuse „flatterhafte, liederliche Frau“, z.B. in s es anne
olle Fletusen „die ist eine alte Schlampe“ (ThWb s.v. Flattuse). Schließlich werden auch
Orbe 2
Wörter und Namen aller Provenienzen umgestaltet zu meist abfälligen Wörtern für Frauen,
z.B. Fruse „unordentliche Frau“, das wahrscheinlich aus dem veralteten Namen
Euphrosine��JULHFK��Äü#3! 1*����YHUNürzt worden ist (ThWb s.v. Fruse).
Auch aus semantischen Gründen weniger wahrscheinlich ist die in ThWb s.v. Orbe
geäußerte Annahme, dass hier ein Fischname Cyprinus orfus (ein Meerfisch,
wahrscheinlich „Dorade“), dt. Orf m., Orfe f. „ein karpfenähnlicher Fisch“, ahd. orvo m.,
mhd. orve, orfe m. (Entlehnung aus lat.-gr. orfus, orphus; Lexer s.v. orve), zugrunde liegt.
Zwar werden einige Tiernamen (z.B. Gans, Biene, Chaisengaul) als Bezeichnungen für
Frauen verwendet, darunter ist aber nie ein Fischname zu finden, vgl. die zahlreichen
Einträge in ThWb s.v. Frau. Der Fischname scheint auf den mittelfränkischen und
bairischen Raum beschränkt zu sein (Schmeller 1, 141) und wird von L. Oken in seiner
Naturgeschichte als Fachausdruck verwendet (DWb s.v. Orf).
Egerm: Das thür. Wort Orbe ist eine Entlehnung aus dem lat. Wort orbus, -a, -um „verwaist;
Waise“. Dessen ererbte Fortsetzer sind german. *ar^ijan- m. „Erbberechtigter, Erbe“ in
got. arbja m., runennorw. arbija- m., afries. erva m., aengl. i(e)rfa m., ahd. erbo m. und
german. *arba- in anord. arfr „Hinterlassener; Waise“. Ein german. ntr. *ar^ija- „Erbgut,
Erbe“ ist in fast allen german. Einzelsprachen bezeugt: Got. arbi n., asächs. er^i, ervi n.,
mnddt. erve, arve n., afries. erve n., aengl. ierfe, irfe n. und ahd. erbi n. Das formal
entsprechende anord. ntr. erfi hat nur die Bedeutung „Leichenfeier, Begräbnismahl“, doch
zeigen Zusammensetzungen wie erfi-vÆrðr „Erbe“ (wörtl. „Erb-Wart“) die alte Bedeutung
(EWD s.v. Erbe1; Erbe²; EWA II 1115ff. mit weiterer Lit.; Lehmann GotWb A-193).
Eidg: Die ererbten german. Wörter und das entlehnte Orbe < lat. orbus, -a, -um haben
Entsprechungen in anderen idg. Sprachen. Der german. Bildung *ar^ija- n. entspricht
genau air. orbe, orbae n. „Erbe, Erbgut“ < uridg. *h2/3orbhiho-, dem anord. arfr < german.
*ar^a- entspricht air. orb m. „das, der Erbe“, lat. orbus, -a, -um „verwaist“, aksl. UDEt
„Knecht, Diener, Sklave“ mit Liquidametathese (von diesem Wort stammen dann die
Wörter für „Arbeit, arbeiten“: russ. robot“), armen. orb „Waise“ und aind. árbha- „klein,
schwach“ < uridg. *h2/3órbho- (IEW 781f., EWAia I 119f.; EWA II 1116f.; Vasmer II
525). Das griech. Adj. á!3.�)"��-���-)��Ä:DLVH��YHUZDLVW��YHUQDFKOässigt“ zeigt eine griech.
Adj.-Erweiterung mit dem Suffix -.� - (Frisk GEW II 431). Bei Hesych sind Komposita
mit á!3 -, z.B. á!3 � 2�.�„Versorgung, Erziehung von Waisen“, und ein Aor. �!3&10��für �!3���10�� YRQ� HLQHP� VRQVW� QLFKW� EH]HXJWHQ� GHYHUEDOHQ� 9HUE� á!3)&� ÄYHUZDLVHQ��berauben“ belegt, die auf eine urgriech. Nominalform *orp
ho- „Waise, verwaist“ deuten.�
Das finn. Wort orpo „Waise, verwaist“ ist gegen EWD s.v. Erbe² nicht aus dem German.,
Orbe 3
sondern schon früh aus dem Uridg. entlehnt worden, worauf der Vokalismus und die
Bedeutung hinweisen (Joki Uralier 297f.). Möglicherweise gehört das heth. Verb Ùarp-
„(sich) absondern“ dazu (Oettinger Stb. 524; Tischler etym.Gl. 65f., 179f.). Die
ursprüngliche Bedeutung der nominalen Form *h2/3orbho- war dann „abgetrennt,
hinterlassen“ und als Subst. „Hinterlassenschaft“. Die Bedeutung „Erbe“ hat sich nur in
den kelt. und german. Sprachen entwickelt (Grønvik 1982).
Lit: B ThWb Orbe; M/WB Fleischer/Barz 147f.; MhdGr 198; Sp ThGr 239f.; L ThDA 1, Kt.
Dorfe; Sp ThGr 208ff.; Sp ThGr Kt. 33 S. 209; WG ThWb s.vv. oren; Flattuse; Fruse;
Lexer s.v. orve; Schmeller 1, 141; DWb s.v. Orf; Egerm EWD s.v. Erbe1; Erbe²; EWA II
1115ff., Lehmann GotWB A-193; Eidg IEW 781f.; EWAia I 119f.; EWA II 1116f.; Frisk
GEW II 431; Joki Uralier 297f.; Oettinger Stb. 524; Tischler etym.Gl. 65f.; 179f; Vasmer
II 525; Grønvik 1982.
Planter, Plänter, Plad(d)er, pladdern, plattern 1
Planter, Plänter Sb m. „Kuhfladen“
Plad(d)er Sb m. „zähflüssige Masse, Rotz, Scheiße“
pladdern, plattern swV „dünnflüssig scheißen, heftig regnen; (eine Flüssigkeit) verschütten,
verspritzen“
Z: Das westthür. Subst. Planter, Plänter m. „Kuhfladen“ ist eine nasalierte Variante des im thür. und
anderen Dialekten gut bezeugten Subst. nddt. Pladder, hdt. Pflatter „zähflüssige Masse, Rotz, Scheiße“.
Davon ist das Verb pladdern, plattern „dünnflüssig scheißen; heftig regnen; verschütten“ abgeleitet.
Unter Annahme eines s-mobile kann engl. splatter „Platsch; Klumpen einer zähen Flüssigkeit“ und das
Verb to splatter „plan(t)schen; ausgießen, verschütten“ dazu gestellt werden. Die Wörter sind
lautmalerischen Ursprungs; aus lautlichen Gründen ist keine idg. Herleitung möglich.
B: Im westthür. Gebiet um Eisenach und Mühlhausen ist mehrfach auch in älteren Texten das
Subst. Planter, Plänter „Kuhfladen“ und ein Kompositum Kuhplanter „id.“ bezeugt
(ThWb s.vv.). Daneben stehen überall im thür. Raum nasallose Formen wie Plader,
Blader, Pladder „zähflüssige Masse; Kuhfladen; Nasenrotz“, Kuhpladder, Scheißpladder
„Kuhfladen“; Rotzpladder „Rotzfladen (vor allem bei kleinen Kindern)“ und ein Verb
pladdern, plattern „dünnflüssig scheißen; heftig regnen; verschütten“.
Ebenfalls einen Nasal zeigt schweiz. Pflanziger „besonders weicher, matschiger Schnee“
(Campe Dt. Wb III 630).
Die nasallosen Formen sind in vielen dt. Dialekten verbreitet: Das Alemann. bietet ein
Subst. Pflader, Pflatter, Pflätter „zähflüssige Masse; Kuhfladen; Kot“ und ein Adj.
pflätterig „weich, fladenartig“ neben den Komp. Pfladerwinter „kotiger Winter“, d.h. ein
Winter, in dem die Straßen matschig und „beschissen“ sind, Pfladerlache (SchwäbWb I
1053f; 1059f.) und schweiz. Chueblätterli Pl. „Kuhfladen“ (Tobler Appenzell. 124b). Im
Nddt. gibt es ein Verb pladdern, pleddern „Wasser aufwühlen und schmutzig machen;
plantschen“ (BremWb III, 324; DWb s.v pladdern), das einem obd. pflattern, pflättern,
pfläddern „Kuhfladen fallen lassen, dünnflüssig scheißen“ entspricht.
M/WB: Planter, Pladder, Plädder, Pflader ist ein zur Sachbezeichnung gewordenes Nomen
acti wie z.B. Behälter, Träger oder Hefter (Fleischer/Barz 153) mit dem Suffix -er, das
ursprgl. Nomina agentis gebildet hat (Balles e.a. Nomina agentis 34-37). Davon abgeleitet
sind die schw. Verben pladdern, pläddern (mit Umlaut), pflattern, pfladdern und pflättern
(mit obd. Lautform). Pfladerwinter, Pfladerlache, Kuhplanter, -pladder und Chueblätterli
sind Determinativkomposita (Lühr Nhd 153ff.).
L: Fast überall im thür. Dialektgebiet tritt die Lenierung von anlautendem p- zu b- ein, wobei
dem Wort die nddt. Lautform ohne hdt. Lautverschiebung zugrunde liegt. Die hdt.
Planter, Plänter, Plad(d)er, pladdern, plattern 2
Lautverschiebung eignet sich gerade bei der Betrachtung des Anlauts nicht zur Festlegung
einer starren Grenze zwischen hdt. und nddt. Sprachraum, wie auch in der thür. Grammatik
ausdrücklich vermerkt (Sp ThGr 203f.). Die Formen mit Nasal erklären sich entweder als
onomatopoetische Varianten mit expressiver Nasalierung wie plantschen neben platschen,
mantschen neben matschen (Lühr Expr 92ff.) oder sind durch den Einfluß von plantieren,
pflanzen (:� WG) zustande gekommen. Der dialektale Unterschied im inlautenden
geminierten Kons. nddt. -dd- gegenüber hdt. -tt- ist lautgesetzlich und liegt z.B. auch in
fladdern neben flattern vor (EWD s.v. flattern); die Formen pladdern, Pladder können
aber auch auf der thür. Aussprache von hdt. -t(t)- als -d(d)- beruhen (Sp ThGr 181).
WG: Die nasallosen Formen Pladder, Platter, Plädder, Pfläder samt den Verben pladern,
plattern, pflattern sind lautmalerisch und zeigen daher auch Unsicherheiten in der
Bezeugung des Umlauts und der hdt. Lautverschiebung. Daneben stehen weitere Varianten
wie thür. pfläckern „geräuschvoll den Darm entleeren, scheißen“ (von Mensch und Tier),
pläuschen „heftig regnen“ oder das Subst. Plaster „Kothaufen“. Neben der Möglichkeit
einer lautlich bedingten nasalhaltigen Variante (:� L) scheint eine andere Annahme
erwägenswert: Auch im thür. Dialekt ist wie in anderen dt. Dialekten das Verb pflanzen in
einigen Präfixkomposita bezeugt, die ein „heftiges, nachdrückliches Hinstellen, -legen“
bezeichnen: (sich) aufpflanzen „sich unübersehbar vor jmd. (etw.) aufstellen“,
draufpflanzen „schwungvoll eine Masse auftragen“, z.B. in se schnäden von ährn Brute a
zinftjen Boff ab on pflanzten a rechtjen Boff Botter odder Fett druff. Diese semantischen
Varianten sind vielleicht direkt vom frz. Verb planter beeinflusst, das neben „pflanzen“
auch „sich hinstellen; hinlegen“ und „hinfallen“ bedeutet (vgl. das aus dem frz. entlehnte
engl. to plant „pflanzen; sich fest hinstellen“). In einem mit dem frz. Lehnsuffix -ieren
gebildeten dt. Verb plantieren ist diese Bedeutung vorherrschend geworden, z.B. in ... hat
der Feind angefangen, seine Lanzen zu plantiren „fest hinzustellen“ (DWb s.v. plantieren).
Vielleicht hat diese Verwendung dazu geführt, dass ein ursprgl. Platter als Planter „das
Fallengelassene, Hingesetzte“ verstanden wurde, vgl. z.B. die Verwendung von hinsetzen
in där Jonge hat aber enne Lorche hängesetzt „der Junge hat aber einen Kothaufen
hingemacht“ (:� (:''� Lorch). Des weiteren könnte auch die Vorstellung der
Verwendung von Kuhmist als Düngemittel für Pflanzen Einfluss genommen haben, vgl.
die scherzhafte Bezeichnung Eicheckernpflanzer „Eichelhäher“, da dieser durch seinen Kot
die Eichelsamen verbreitet. Nicht zuletzt bezeichnet in manchen dt. Dialekten das Wort
Pflanze auch etwas Flaches, Rundliches, z.B. in bair./fränk. Fleischpflanzerl,
Fleischpflänzle „Frikadelle“ (flachgeklopftes, gebratenes Hackfleischküchlein).
Planter, Plänter, Plad(d)er, pladdern, plattern 3
Egerm
: Thür. Planter ist eine entweder durch expressive Nasalierung (ô L) oder durch
Einfluss von frz. planter (ô WG) entstandene Variante von hdt. Pflatter, nddt. Pladder
„zähflüssige Masse; Kuhfladen, Rotz“. Diese Formen deuten zusammen mit der verbalen
Ableitung pladdern, pläddern und plattern, pflattern „dünnflüssig scheißen; heftig regnen;
verschütten“ auf eine wgerman. lautnachahmende Wurzel *plad(d)- „dss.“, die Grundlage
für die -er-Ableitung Pflatter, Pladder ist (ô M/WB). Mit einem s-mobile kann dazu engl.
dial. to splatter „pla(n)tschen; ausgießen, verschütten; sich ergießen“ gehören, vgl. z.B.
His deep brown feces splatter over Queen Anne“s lace „seine tiefbraunen Fäkalien
ergießen sich über Queen Annes Spitze“ (Amer. Poetry Rev. July/Aug. 1978). Wie dt.
pladdern von Pladder ist engl. to splatter von dem Subst. splatter „Platsch; Fleck,
Klumpen von einer schmierigen nassen Substanz (Blut, Fäkalien, Hirn u.ä.)“ abgeleitet
(OED s.v. splatter). In neuester Zeit ist splatter zum Fachausdruck für inhaltlich
anspruchslose Filme mit bluttriefenden Gewaltszenen geworden; in ähnlicher Weise wird
z.B. der Ausdruck trash (eigtl. „Abfall“) für drittklassige Filme und Reportagen
verwendet. Die Wurzel *plad- ist nur wgerman., da Entsprechungen aus anderen german.
Sprachen nicht vorhanden sind.
Eidg
: Das anlautende german. *p- muss auf uridg. *b- zurückgehen, das ein äußerst seltener
Laut im uridg. Phonemsystem war. Die german. Wurzel *plaÿ- kann nur auf uridg.
*bladh-, *blod
h- bzw. *bl×hxd
h- oder (mit Verners Gesetz) auf uridg. *blat-, *blot- oder
*bl×hxt- zurückgeführt werden. Diese uridg. Rekonstrukte *blat/dh-, *blot/d
h- oder *bl×hxt/d
h-
verstoßen aber gegen uridg. Wurzelstrukturen (LIV² 5-7). Somit ist keine idg. Herkunft
möglich, die Wurzel *plad- dürfte daher erst durch Lexikalisierung eines
onomatopoetischen Ausdrucks in westgerman. Zeit entstanden sein. Eine parallele
Entstehung zeigen griech. ¾N�GJ � �RT� „Matsch“, ¾NDGDS�T�„matschig, klumpig, feucht“,
¾NDG�[�„matschig, klumpig sein“, denen eine urgriech. lautmalerische Neo-Wurzel *plad-
zugrunde liegt (Chantraine dict. ét. II 909). Vgl. auch das nicht-lautgesetzliche
Nebeneinander von griech. MNDFF� �MNDFF�I[�„Klang, klingen“�und dt. Klang, klingen.
Lit: B ThWb s.v. Planter, Plänter, pladdern, plattern; Campe Dt.Wb III 630; Schwäb Wb I
1053f.; 1059; Tobler Appenzell. 124b; BremWb III, 324; DWb s.v. pladdern; M/WB
Fleischer/Barz 153; Balles Nomina agentis 34-37; Lühr Nhd 153ff.; L Sp ThGr 181, 203f.;
Lühr Expr 92ff.; EWD s.v. flattern; WG DWb s.v. plantieren; Egerm
OED s.v. splatter; Eidg
LIV² 5-7; Chantraine dict ét. II 909.
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