Optimale Ernährung als Baustein für Lebensqualität bei...

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Manuel Hilmer und Dr. Hansjörg Knorr

Optimale Ernährung

als Baustein für Lebensqualität

bei progredienten Muskelkrankheiten

Im Fokus: Schlucken, Kalorienzufuhr und Darmmanagement

Ernährungspyramide

Stehle et al 2005

Gliederung

• „Normalgewicht“

• Schlucken und Schluckstörung

• Ernährung, Zusatznahrung und PEG

• Verdauung und Darmmanagement

Normalgewicht

Body-Mass-Index bei Erwachsenen (WHO 2008)

BMI = Gewicht/Größe im Quadrat

• Rechenbeispiel

100 kg schwer

2 m groß

100 geteilt durch

(2 = 2x2 = 4)

ergibt BMI 25

• Vitali Klitschko

110 kg schwer

2 m groß

110 geteilt durch

(2 = 2x2 = 4)

ergibt BMI 27,5

Übergewicht?

www.klitschko.com/de/fanzone/galerie/vitali/

Normalgewicht

Body-Mass-Index bei Kindern

www.bzga-essstoerungen.de/fileadmin/user_upload/medien/PDFs/Wachstumskurve_Jungen.pdf

Gewichtskurve in Perzentilen

Jungen

Gesunde

Muskel-

dystrophie

Duchenne

Griffiths and

Edwards 1988

Jährlich 4 %

Abnahme der

Muskelmasse

Gewicht bei Muskeldystrophie Duchenne

n Alter Übergewicht Untergewicht

Willig et al 1993 252 13 Jahre

18 Jahre

54 %

54 %

Martigne et al

2011

70 13 Jahre

Ø 18 Jahre

(15 – 26 J.)

73 %

47 %

4 %

34 %

Übergewicht bei Muskeldystrophie Duchenne

Ursachen

Abnahme des Kalorien-

verbrauchs (Reduktion muskulärer Aktivität,

Stoffwechseländerungen)

vermehrte Zufütterung (Mitleid der Bezugspersonen, Versuch

des Muskel- und Kraftzuwachses)

Psyche des Kindes (Angst, Depression, Essen als

freudvolle Aktion)

Medikamente (Cortison, Psychopharmaka)

Untergewicht bei Muskeldystrophie Duchenne

Ursachen

Verlust der Selbständig-

keit beim Essen

Schwäche der Kau- und

Schluckmuskulatur

Atmungsschwäche mit

Sauerstoffmangel

reduzierte Darmtätigkeit

Aktivierung des sympath.

Nervensystems (Anstieg des Kalorienverbrauchs)

Folgen einer

progredienten Unter-/Mangelernährung

↓ Allgemeinbefinden

↓ psychische Verfassung

↓ Lebensqualität

↓ Immunkompetenz

↑ Infektionen

↑ allgemeine Komplikationsrate

↑ Immobilität, Sturzgefahr

↑ Wundheilungsstörungen, Dekubitus

↑ Hilfs-, Pflegebedürftigkeit, Gebrechlichkeit

↑ Morbidität, Letalität

nach Löser 2010

Unterernährung erkennen

Subjektive Global Assessment (SGA)

Gewichtsveränderungen in den letzten 6 Monaten

( > 10% = „signifikant“)

Appetit, Menge und Art der Nahrungszufuhr

gastrointestinale Symptome

Übelkeit, Erbrechen, Blähungen, Schmerzen, Diarrhö

funktionelle Kapazität

Leistungsfähigkeit, Mobilität, Arbeitsfähigkeit

Stress durch Grunderkrankung

Schwere der Erkrankung

Körperliche Untersuchung

Muskelmasse, subkutanes Fett, Zwischenrippenräume, Knochenkonturen

Druckstellen

Ödeme, Aszites nach Löser 2010

Konsequenzen

starkes Übergewicht vermeiden bis ca. 14. Lj. restriktive Diät nicht durchführbar wegen Gefahr zusätzlichen

Muskelabbaus

Übergewicht ist Risikofaktor für andere Erkrankungen

leichtes Übergewicht anstreben bis ca. 14. Lj. Schutz vor späterem Untergewicht

Gewicht im unteren Normbereich anstreben

nach dem 14. Lj. noch aktive Muskulatur muss weniger Gewicht bewegen

pflegende Personen müssen weniger Gewicht bewegen

Sauerstoffbedarf ist geringer

Regelmäßig wiegen

mindestens 2 mal im Jahr

häufiger und bei Bedarf

bei Über- oder Untergewicht

nach Verlust der Gehfähigkeit

bei Cortison-Medikation

vor und nach Operationen

bei chronischer Verstopfung

bei Schluckstörung

DMD Care Considerations Working Group 2010

Gliederung

• „Normalgewicht“

• Schlucken und Schluckstörung

• Ernährung, Zusatznahrung und PEG

• Verdauung und Darmmanagement

Stefan Gates (2006)

„Essen bedeutet wesentlich mehr als nur Brennstoff,

es ist ein Auslöser von Empfindungen, eine Reise durch die

Geschichte, ein Ritual, eine Feier, ein täglich dreimal zelebrierter Akt

des Gebens und Empfangens von Liebe und eine schöne

Gelegenheit zum Exhibitionismus.“

Wie läuft der Schluckvorgang normalerweise ab?

Mund-Phase

Lippenschluss

Kauen

Wangen halten Nahrung

Gaumensegel-Vorstellung

Einspeicheln

Untersuchung auf Beschaffenheit,

Geruch, Geschmack, Temperatur,

Volumen

Platzierung in „Zungenschüssel“

Zunge legt sich an den Gaumen

Zunge befördert den Bissen in den Mund-

Rachen-Raum

Schluckreflex wird ausgelöst

(automatisch, nicht willentlich)

Darstellungen aus: S. Neumann, 1999 / Text modifiziert nach S. Neumann, 1999

Rachen-Phase

Gaumensegel schließt zur Nase ab

Kehlkopf bewegt sich nach oben vorne

Kehlkopf verschließt sich

Speiseröhre öffnet sich

Speiseröhrenphase

Speiseröhrenmuskel befördert Speise in den

Magen

Unterer Speiseröhren-Muskel verschließt

sich, um Zurückfließen der Nahrung zu

verhindern

Darstellungen aus: S. Neumann, 1999 / Text modifiziert nach S. Neumann, 1999

- 30 von 31 Klienten im Alter von knapp 20 Jahren mit

Muskeldystrophie Duchenne haben eine oropharyngeale

Dysphagie (Kau- und Schluckstörung)

(-> Hanayama et. al 2008)

- die Anzeichen für eine Schluckstörung entwickeln sich

bei Muskelerkrankungen oft schleichend und werden

vom Klienten und seinen Bezugspersonen teilweise erst

nicht wahrgenommen

- z.B. Veränderung des Stimmklangs nach dem Schlucken

- Gewichtsabnahme

- vermehrtes Husten und Räuspern (manchmal tränende Augen,

laufende Nase)

- unklares Fieber

- verstärkte Verschleimung

- Lungenentzündungen

- gurgelnder Stimmklang

- längere Essdauer, vorsichtiges Essen

- Vermeidung bestimmter Speisen

- häufiges Nach-Trinken beim Essen

- Essensreste im Mund nach dem Schlucken

- Sodbrennen

- Nahrung kommt wieder hoch (Reflux)

- fehlender oder schwacher Hustenstoß

Allgemeine Anzeichen einer Schluckstörung

- Probleme in der Mund- und Rachenphase

- häufige Hypertrophie der Zunge

- Schwierigkeiten beim Schlucken fester Konsistenzen

(Öffnungsstörung des OÖS, reduzierte Zungenschubkraft und

Rachenkontraktionen)

- Transport durch die Speiseröhre eingeschränkt

- rasche Ermüdung bei der Mahlzeit

(verlängerte Esszeiten)

- Nahrungsreste auf der Zunge und in den Wangentaschen

- Flüssigkeitszufuhr deckt nicht den Tagesbedarf

Typische Symptomatik bei

Muskelerkrankungen:

a) Anamnese / Medizinisch-pflegerischer Status - ganz wichtig: was berichten die Bezugspersonen!

b) Untersuchung der am Schluckvorgang beteiligten

Organe - in Ruhe (Oberflächenbeschaffenheit, Form, Lage …)

- bei willkürlichen Bewegungen

c) Beurteilung der Berührungsempfindung

d) Beobachtung während der Schluckversuche von - Speichel

- verschiedenen Nahrungskonsistenzen (fest, breiig, flüssig)

e) Apparative Diagnostik - Röntgenkinematographie

- Videoendoskopie

Diagnostik und Essensbegleitung

kausale/funktionelle Therapie

- trainieren die für die Nahrungsaufnahme erforderlichen

Zielbewegungen und Bewegungsmuster

- kräftigen die Muskulatur von Gesicht, Mund, Rachen und

Kehlkopf, aber:

Vorsicht bei Muskelerkrankungen:

- Übungen zur Kräftigung der Schluckmuskulatur sind nur

bedingt förderlich (aber: fördern auch die Wahrnehmung in

diesem Bereich)

- wenn, dann sehr behutsam trainieren, Muskulatur nicht

überanstrengen

Therapie – Restituierende Verfahren (Bartolome, 1999)

direkte Therapie

nehmen Einfluss direkt während des Schluckens, ohne die

ursächliche Störung zu beheben

Haltungsmodifikationen:

z.B. Chin-Tuck (Kopfneigen nach vorn)

spezielle Schlucktechniken

z.B. Mendelsohn-Manöver

- stärkere Zungenschubkraft durch bewusstes Heben des

Zungengrundes

- bewusst verlängerte Kehlkopfhebung und die damit verbundene

verlängerte Öffnung des oberen Speiseröhren-Schließmuskels

Therapie – Kompensatorische Verfahren (Bartolome, 1999)

- Diätische Maßnahmen (z.B. auch Andicken von Flüssigkeiten)

- Platzierung der Nahrung

- Trink- und Esshilfen

- Essensbegleitung

- PEG (Magensonde)

Wichtig ist der Erhalt der oralen Nahrungsaufnahme (solange es ohne

Gefährdung der Gesundheit geht) und damit der Lebensqualität

des Patienten !

(z.B. auch über teilorale Ernährung, mit Erhaltung der Freude am

Geschmack und weniger „Ernährungsstress“)

Therapie – Adaptierende Verfahren (Bartolome, 1999)

Gliederung

• „Normalgewicht“

• Schlucken und Schluckstörung

• Ernährung, Zusatznahrung und PEG

• Verdauung und Darmmanagement

Behandlungsstrategien bei Untergewicht

nach Löser 2010

Beatmung Schlucktherapie

Kalorienbedarf

Grundumsatz

Formel von Harris und Benedict:

GU Männer = 66,5 + 13,8 x Gewicht [kg]

[kcal] + 5,0 x Größe [cm]

- 6,8 x Alter [Jahre]

Grobe Richtwerte:

15-19 Jahre: 27 kcal/kg KG/Tag

20-29 Jahre: 25 kcal/kg KG/Tag

30-70 Jahre: 22,5 kcal/kg KG/Tag

Grundumsatz bei Muskeldystrophie Duchenne

GU x 0,8

Gonzalez-Bermejo 2005

Kalorienbedarf

Gesamtenergiebedarf: GU x Faktor

immobil im Bett 1,1

im E-Rollstuhl 1,2

mobil, sitzende Tätigkeit 1,5

Tätigkeit im Stehen, Gehen 1,8

Fieber 38° - 40° 1,1 – 1,3

Untergewicht 1,3

Ernährung bei Muskeldystrophien

Ernährungspyramide

Eiweiß 20 %

evt. Vitamine und Mineralstoffe supplementieren

Calcium 1300 mg

Vitamin D 400 IE täglich (9-18 Jahre, bes. bei Cortison-Medikation)

Trink-Flüssigkeitsbedarf

ca. 30 ml/kg KG/Tag oder

100 ml/kg KG/Tag für die ersten 10 kg KG

+ 50 ml/kg KG/Tag für die zweiten 10 kg KG

+ 15 ml/kg KG/Tag für jedes weitere kg KG

- 0,33 ml je zugeführter kcal

zusätzlich 750 ml bei Trachealbeatmung

zusätzlich 10 ml/kg KG/Tag pro 1° Fieber

Trinkmenge bei Muskeldystrophie wichtig wegen

Atmung, Darmtätigkeit und Infektabwehr

Anreicherung der Nahrung - Beispiel -

Maltodextrin 6

388 kcal/100g

Dosierung:

z.B. 2 x 50g täglich

max. 50g/100g Speise

Trink-Zusatznahrung - Beispiel -

Nutricia Nutrini Drink Smoothie

300 kcal/200ml

Dosierung:

z.B. 1 x 200ml täglich

Künstliche enterale Ernährung

Perkutane endoskopische Gastrostomie =

PEG – Sonde (Magensonde)

Dünndarm-Sonde

JET-PEG

Brummel et al 2010

Gliederung

• „Normalgewicht“

• Schlucken und Schluckstörung

• Ernährung, Zusatznahrung und PEG

• Verdauung und Darmmanagement

Besonderheiten der Verdauung

Verstopfung Häufigkeit 35 %

Meteorismus/Blähbauch bes. bei Maskenbeatmung

verzögerte Magenentleerung Muskeldystrophie Duchenne 2 Std.

normale Kontrollpersonen ¾ Std

intestinale Pseudoobstruktion Ileussymptome, Überblähung, Übelkeit,

Verstopfung, Gewichtsverlust

Pane et al 2006

Barohn et al 1988

Simpson et al 1975

Darmmanagement

Flüssigkeitszufuhr und Ballaststoffe (Diät)

Prokinetika: Metoclopramid, Domperidon regen Magen-Darm-Peristaltik an

wirken gegen Übelkeit

Laxantien z.B. Macrogol täglich, Microklist 3x/Woche

Colonmassage

Bewegung, Vertikalisierung

Entblähungsmittel Fencheltee, Simeticon (Sab, Lefax, Imogas)

Beispiele für Medikation

22 J., 170 cm, 56 kg

48 kg bei Aufnahme

PEG st. 11/08

Trachealbeatmung

20 J., 160 cm, 35 kg

38 kg bei Aufnahme

Maskenbeatmung nachts

Mai 2008

46 kg 158 cm

Oktober 2009

41 kg

•Beginn der nächtlichen

Maskenbeatmung

•vorübergehend

Maltodextrin und

Nutricia Trinknahrung

März 2012

50 kg

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