pvl – parlament von links, Ausgabe 3/2012

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Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag

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Heft 3/2012

Fraktion DIE LINKEim Sächsischen LandtagDokumente und Standpunkte

Schwerpunktthema:

Mittelsachsen

Was bedeutet Nachhaltigkeit?

Worüber klagen Tierheime?

Wo kann man der Sonne bei der Arbeit zusehen?

Womit bezahlt man in Mittweida?

Wann wird Barrierefreiheit

Realität?

Wer sorgt für ausreichend Krippenplätze?

Warum zocken Kommunen?

Wie fährt Sachsen sein Bildungswesen an die Wand?

2 pvl Heft 3/2012

Bernhard-von-Lindenau-Platz 101067 DresdenTelefon: 0351/493 5800Telefax: 0351/493 5460E-Mail: linksfraktion@slt.sachsen.dehttp://www.linksfraktion-sachsen.de

Parlament von links (pvl) ist das Magazin der Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag. Pvl erscheint vier Mal im Jahr und ist kostenlos. Abo unter:

Editorial, Impressum } S. 2

Gute Ideen – Gute Arbeit – Gutes Leben } S. 3

Fraktion DIE LINKE beim Tag der Sachsen in Freiberg } S. 3

Nachhaltigkeit ist in aller Munde! Und im Kopf? } S. 4

Wer kann Energiewende? } S. 5

Selbstbestimmt in Mittelsachsen } S. 6

Wie man die Schule „an die Wand“ fährt } S. 7

Die Geldmacher vom Zschopautal } S. 8

Zinstausch für Anfänger – die Kommunen und das liebe Geld } S. 9

Auf den Anfang kommt es an } S. 10

Zwei LINKE für Sachsens schöne Mitte } S. 11

Zum Schutz von Mensch und Tier } S. 12

Wer bestimmt über Sachsens Gemeinde-Landschaft? } S. 13

Der Pitbull heißt Odin } S. 14

(K)ein Happy End für Burgstädts Freiraum } S. 15

Gewinnspiel, Kreuzworträtsel } S. 16

IMpReSSuM:

V.i.S.d.p.: Marcel Braumann

Redaktion: Elke Fahr

Layout: Carola Müller

Druck: DruckHaus Dresden GmbH

Auflage: 173.300 Stück (3. Quartal 2012)

Die mit Namen oder Initialen gekennzeichneten Beiträge geben die Meinung des Autors, jedoch nicht unbedingt die Ansicht des Herausgebers wieder. Nachdruck nur mit Quellenangabe. Für Nachdruck signierter Beiträge ist die Genehmi-gung des Verfassers erforderlich.

Diese Publikation dient der Information und darf in einem Wahlkampf nicht zur Parteienwerbung eingesetzt werden.

Bildnachweis: S. 2, 3: efa; S. 4: TU Bergaka-demie Freiberg/Karsten Enderlein, Thomas Kruse, © picsfive/Fotolia.com; S. 5: Foto Boehme, Philippe Biller; S. 6: Katrin Pritscha, efa; S. 7: © S.-Hofschlaeger / PIXELIO; S. 8: efa; S.9: © Gerd-Altmann--geralt / PIXELIO; S. 10: © A. Jüttner-Lohmann / Fotolia.com; S. 11: Thomas Kruse, efa; S. 12: Sabine Kunze; S. 13: Marion Junge, © Gerd-Altmann--geralt / PI-XELIO, © babimu/Fotolia.com; S. 14, 15: efa; S. 16: Cartoon: Harm Bengen/toonpool.com,© AAA/Fotolia.com.

pvl verpasst? Alle Ausgaben zum Download unter www.linksfraktion-sachsen.de

Titelfoto (AKS): Impression vom 27. Freiberger Berg-stadtfest mit der großen Bergparade im Juni 2012

INhALTSVeRzeIchNIS

Liebe Leserin, lieber Leser,

Oft bestaunt man den Rand und unterschätzt die Mitte, als wäre diese a priori Mittelmaß.

Wir wollten es genauer wissen, machten uns auf und „ab durch die Mitte“. Gelandet sind wir mit diesem pvl-Magazin in Mittel-sachsen – und erfuhren Interessantes und Bemerkenswertes.

Zum Beispiel, dass Freiberg schon 850 Jahre alt ist, ein „Herz aus Silber“ hat und 2012 schon zum zweiten Mal zum „Tag der Sachsen“ einlädt. Oder dass in Döbeln der größte Stulpenstiefel der Welt steht, um Rochlitz ein Geo-Park entstehen soll, in Großweitzschen elektrische Cellos entwickelt werden und man im Freiberger Schaubergwerk „Schacht Reiche Zeche“ bis zu 230 Meter unter Tage fahren kann. Und dass der Mittelsächsische Kultursommer eines der vielseitigsten deutschen Kulturfestivals ist, es in Kriebstein einetolle Seebühne gibt und in Flöha die größte Kita Sachsens gebaut wird. In Flöha kann man übrigens über die „Blaue Welle“ laufen, eine Fußgänger-brücke, für die es den Deutschen Brückenbaupreis gab.

So gesehen, ist Mittelsachsen wahrlich die „goldene Mitte“. Doch wo Licht ist,ist auch Schatten. Neben Bemerkenswertem gibt’s auch Bedenkliches. Auf beide Seiten schaut dieses Heft. Und darauf, wie Mittelsachsen von LINKS betrachtet aussieht.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Ihr pvl-Team

Wer keine Mitte hat,

kann den Rand

nicht halten.

(Michael Richter)

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Freiberg ist die erste Stadt, die den „Tag der Sachsen“ zum zweiten Mal ausrichtet. Bekannt ist Freiberg aber vor allem durch die TU Bergakademie, zu deren bekann-testen Forschungsgebieten die Erkundung neuer Bodenschatz-Lagerstätten gehört.

Wer an Bergbau in Sachsen denkt, hat viel-leicht mit Blick auf die ferne Vergangenheit Silber vor Augen und sieht in den letzten Jahrzehnten, der Gegenwart und näheren Zukunft vor allem Braunkohle-Tagebaue. Weniger bekannt sind die so genannten sel-tenen Erden, die in Sachsen gar nicht so sel-ten wie anderswo sind und das Rohstoff-Rückgrat des digitalen Zeitalters darstellen, ob es nun um Handys oder Laptops geht. Die Landtagsfraktion der LINKEN hat sich programmatisch u.a. auf zwei große Arbeits-schwerpunkte verständigt, die beide auch mit Bergbau zu tun haben: eine Sozialstaats-Initiative und eine Technologie-Offensive.

Die Knappschaft ist die älteste Sozialversi-cherung der Welt, ihr Name wurde erstmals in Sachsen verwendet. In Zeiten, in denen wir Umbrüche erleben, deren Ausmaß den Beginn des Bergbaus und die Fragen der

sozialen Absicherung der Bergmannsfami-lien noch in den Schatten stellen, muss der Anstoß zu einer wirklichen Reform des Sozi-alsystems von Sachsen ausgehen. Denn in Teilen Europas ist die halbe Jugend arbeits-los, in anderen Teilen – zu denen auch Sach-sen zählt – müssen immer mehr Menschen damit rechnen, am Ende ihres Erwerbsle-bens von Altersarmut betroffen zu sein. Im Freistaat verdient jeder vierte Beschäf-tigte weniger als 8,50 Euro pro Stunde, in westdeutschen Bundesländern ist es jeder Zehnte. Als ersten Schritt zu einer armuts-festen Entlohnung haben wir zusammen mit der SPD den Entwurf eines Vergabegesetzes in den Landtag eingebracht. Danach sollen Öffentliche Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden, die mindestens 8,50 Euro Stundenlohn zahlen. Gleichzeitig kämpfen wir für einen bundesweiten flächendecken-den Mindestlohn von zehn Euro, denn von guter Arbeit muss man gut leben können!

Sachsen sind erfinderisch, hier nahmen viele Ideen für eine bessere Welt ihren Anfang. Auch deshalb braucht der Freistaat eine langfristige Innovations-und Techno-logie-Strategie, die FDP-Wirtschaftsminister

Morlok bis heute nicht zustande gebracht hat. Zu einer solchen Strategie gehört neben Bergbau und Energiegewinnung u.a. auch die Biotechnologie. Die Fraktion DIE LINKE wird regionale Foren dazu durchfüh-ren, deren Ergebnisse in einen Komplex-Landtagsantrag „Innovations- und Tech-nologiestrategie für Sachsen“ einfließen, den wir bis zum Sommer 2013 einbringen werden.

Ein herausragendes sächsisches Projekt ist das Vorhaben, die Montanregion Erzgebirge zum UNESCO-Welterbe zu befördern. Das Projekt ist wissenschaftlich durch die Pro-jektgruppe Montanregion Erzgebirge der TU Bergakademie Freiberg unter Federführung von Helmuth Albrecht vorbereitet worden. Mittlerweile wirken schier unzählige regio-nale Partner dabei Hand in Hand. Entgegen der lange gepflegten Behauptung von CDU und FDP geht es dabei nicht darum, eine Käseglocke über die Erzgebirgslandschaft zu stülpen, in der ich selbst aufgewachsen bin und deren Dynamik mir von Kindesbei-nen an vertraut ist, sondern darum, bewusst eine sich weiter entwickelnde Kulturland-schaft zu pflegen und den Ideenreichtum der Menschen zur Entfaltung zu bringen. Ein Anliegen, dass uns von der LINKEN beson-ders am Herzen liegt und ein Grund mehr ist, beim Tag der Sachsen dabei zu sein.

Gute Ideen – Gute Arbeit – Gutes Leben

MdL Rico Gebhardt Fraktions-vorsitzender

Original Freiberger Eierschecke – berühmt und lecker!

Wie in jedem Jahr ist die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag auch 2012 beim „Tag der Sachsen“ dabei. In Freiberg werden wir unseren Infostand am Bus-bahnhof aufbauen. Vom 7. bis 9. Septem-ber bietet sich hier die Gelegenheit, mit LIN-KEN Landtagsabgeordneten ins Gespräch zu kommen und sich über LINKE Politik zu informieren. Und wer möchte, kann am Glücksrad drehen oder sich einen unserer rotbackigen Äpfel schmecken lassen.Am Freitag (7. September) ist die neue LINKE Bundesvorsitzende Katja Kip-ping vor Ort und steht von 18 bis 20 Uhr Rede und Antwort. Tags darauf

(8. September) lädt der neue Frak-tionsvorsitzende der Landtags- LINKEN Rico Gebhardt, der auch Landesvorsitzen-der der LINKEN ist, ab 16 Uhr zum Politik-talk und zum Bürger-gespräch ein. Beide Gesprächsrunden wer-den per Livestream auf www.linksfraktion-sachsen.de übertragen. Zudem sind an allen drei Tagen die Türen des Frak-tions-Bürgercafés im Roten

Weg 41–43 geöffnet. In dem Bürgerbüro von MdL Dr. Jana Pinka ste-

hen am Sonntag (9. Sep-tember) zwischen 10 und

12 Uhr die mittelsächsi-schen Landtagsabge-ordneten der LINKEN Dr. Jana pinka und Falk Neubert als Gesprächspartner bereit.

Fraktion DIE LINKE beim Tag der Sachsen in Freiberg

Gesunde Nascherei der LINKEN zum

„Tag der Sachsen“ in Freiberg (Foto)

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zu machen und über effizientere Produk-tionsmethoden nachzudenken. Die Poli-tik könnte sie theoretisch gesetzlich dazu „bewegen“, doch führt das zum Ziel? Ich gebe zu, ich habe da Zweifel. Ist der Mensch mit seinen Schwächen wirklich gewillt, sich einzuschränken? Funktioniert unsere Wirt-schaft auch ohne Wachstum? Unter Ökono-men macht man sich bereits Gedanken über eine Gesellschaft, die nach der Wachstums- gesellschaft kommt. In der Wissenschaft heißt das im Kern, den unökologischen Kon-sum zu mindern und das, was dann weniger vorrätig ist, sozialverträglich zu organisieren. Denn nur wenn zumindest die reichen Län-der weniger verbrauchen, werde die Umwelt zu retten sein. Die Menschen reicher Län-der sollen also weniger neu kaufen und Altes lieber länger nutzen, es ggf. reparieren – am besten selbst. Gute Ansätze, meine ich!

Die Nachhaltigkeitsphilosophie wird sich langfristig in den Köpfen festsetzen und führt im Idealfall von der Idee zum Handeln. Auch 300 Jahre nach Carlowitz` bahnbrechender Erkenntnis ist die „Dreifaltigkeit“ von Wirt-schaft, Ökologie und Sozialem eine Heraus-forderung und zwingend notwendig: Denn wir sind nur Gäste auf unserem Planeten und deshalb in der Pflicht, allen Nachkommen-den ein gesundes und klug „aufgeräumtes“ Haus zu hinterlassen. Glück auf!

„Nachhaltigkeit“ ist DAS Schlagwort unserer Zeit. Ob in der Wirtschaft, im Klima-, Wasser-, oder Bodenschutz – überall sprudeln Nach-haltigkeitsstrategien hervor. Selbst die Bun-deskanzlerin hat einen „Rat für nachhaltige Entwicklung“ berufene und landauf landab wird zu Nachhaltigkeitskonferenzen eingela-den. So kann es passieren, dass der Begriff zur Worthülse mutiert. Für mich nicht, denn ich bin als Freibergerin quasi damit aufge-wachsen: Die TU Bergakademie Freiberg, an der ich studierte und promovierte, lebt, forscht und lehrt seit Jahrhunderten im Sinne von Nachhaltigkeit – und damit im Sinne des Oberberghauptmanns von Carlowitz, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts erstmals bewusst nachhaltig dachte und tätig wurde.

Umgeben von Bergbau und Hüttenwesen erkannte von Carlowitz, dass nachhaltiges Wirtschaften im Forstwesen unentbehrlich war, wollte man das Wohl des Gemeinwe-sens dauerhaft erhalten. Ihm war bewusst, dass man bald kein Holz mehr haben würde, schlüge man es weiter in gewohntem Maße ein. Da Erzabbau und Schmelzhütten ganze Wälder „verschlangen“, war ein Strategie-wechsel unumgänglich. Fortan sollte die Ökonomie dem Gemeinwesen dienen und sich zu schonendem Umgang mit der Natur und zur Verantwortung für künftige Genera-tionen verpflichten. In diesem Zusammen-hang machte von Carlowitz für seine Zeit revolutionäre Vorschläge: verbesserte Wär-medämmung beim Hausbau, energiespa-rende Schmelzöfen und Küchenherde, plan-mäßige Aufforstung der Wälder und die Suche nach Alternativen zum Holz.

All das ist lange her. Wo stehen wir heute? Sind alle Debatten zur Nachhaltigkeit dazu

geeignet, unsere Gesellschaft zur Umkehr zu bewegen? Eine Umkehr, die wegführt vom permanenten wirtschaftlichen Wachstums-gedanken, weg von immer stärkeren Eingrif-fen in die Natur, um den „Hunger“ nach Roh-stoffen einschließlich Wasser zu befriedigen? Rücken wir wirklich ab von der Idee, dass Wachstum Wohlstand produziert? Allein ein Blick auf die Überkapazitäten – egal ob in der Automobilbranche, bei der Handyproduktion oder in der Lebensmittelindustrie - zeigt den immer härter werdenden Kampf um Welt-markanteile, der nur dazu führt, dass Löhne unter Druck geraten und noch mehr gearbei-tet wird. Zu mehr Lebensqualität führt das nicht. Entscheidend für Nachhaltigkeit ist aber, dass eine Richtung eingeschlagen wird, die wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht, die den Verbrauch natürlicher Ressourcen reduziert und trotzdem alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben lässt.

Ich denke, davon sind wir weit entfernt. Trotzdem oder gerade deshalb wird die DIE LINKE im Sächsischen Landtag nicht müde, die Regierenden im Sinne der Nachhaltigkeit zum Nachdenken zu bewegen. Meine Frak-tion hat zahlreiche parlamentarische Initia-tiven in den unterschiedlichsten Politikbe-reichen auf den Weg gebracht, darunter zur Ressourcenverwertung in urbanen Räumen, zur Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs und zur Umgestaltung der fossilen und nukle-aren Energieversorgung hin zu Erneuerbaren Energien. Sicher, das sind nur kleine Schritte in einer sich immer stärker globalisierenden Welt. Trotzdem muss sich jeder fragen, wel-chen (kleinen) Schritt er geht, was er selbst beitragen kann. Muss z.B. der Wäschetrock-ner jetzt wirklich sein? Kann das Auto nicht mal stehen bleiben?

Für Wirtschaftsunternehmen heißt das, Nachhaltigkeit zum Leitmotiv ihres Handelns

MdL Dr.Jana pinka Sprecherin für Umwelt- und Technologiepolitik

Nachhaltigkeit ist in aller Munde! Und im Kopf?

Nachhaltig ist, was dazu dient, die Existenz allen Lebens dauerhaft zu sichern. Nachhaltigkeit umfasst die komplexe Konzeption einer zukunftsfähigen Entwicklung auf ökonomischer, ökologischer und sozialer Ebene. Diese Bereiche beeinflussen einander und müssen in ausgewogenem Verhältnis zueinander stehen.

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Jahren im Vorstand der SolarWorld AG, die ihren größten Standort im sächsischen Freiberg hat.

Auch in Sachsen spielen Erneuerbare Ener-gien eine wichtige Rolle: 2010 stammten 16,7 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren Energien, hauptsächlich aus Windenergie und Biomasse. Im selben Jahr gab es einen erheblichen Schub für die Photovoltaik. Damit ist die solare Stromerzeugung weiter gewachsen und nimmt jetzt nach Windener-gie den zweiten Rang bei der nachhaltigen Energieerzeugung ein.

Wie sich die Kürzungen der Einspeisevergü-tung zum 1. April 2012 auf die Solarstrom-erzeugung und die sächsische Solarindus-trie auswirken, wird sich erst noch zeigen. Immerhin ist es mit Unterstützung Sachsens und der Beschäftigten der Solarindustrie gelungen, zumindest einige der vorgesehe-nen Kürzungen zurückzunehmen und damit eine Perspektive für den notwenigen Ausbau der Solarenergie auf deutschen Dächern zu schaffen.

Auch wenn Sachsen bei der solaren Strom-erzeugung noch weit weg von deutschen Rekorden ist, hat sich die Solarindustrie in den vergangenen Jahren im Freistaat etab-liert. Die Zahl der Beschäftigten in der säch-sischen Solarindustrie ist 2011 laut VEE (Vereinigung zur Förderung der Nutzung Erneuerbarer Energien Sachsen, d. Red.) von 5.166 (2009) auf 7.130 gestiegen. Die Zahl der Unternehmen, die in Sachsen direkt und indirekt mit Photovoltaik zu tun haben, ist jedoch auf 270 (2009: 300) gesunken. Man muss kein Prophet sein, um anzuneh-men, dass die Zahl 2011 weiter gesunken ist und der Trend sich 2012 fortsetzen wird.

Die Gründe für die Schwierigkeiten euro-päischer Unternehmen sind vielfältig. Der Hauptgrund sind chinesische Dumpingpreise,

Im Juni 2011 zeigten Regierung und Oppo-sition eine bisher selten gesehene Einig-keit: Bundestag und Bundesrat beschlossen mit großer Mehrheit die Energiewende, das dritte Wendemanöver innerhalb von zwölf Jahren.

Die Entscheidung zur Energiewende bedeu-tet zugleich den erneuten Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie, obwohl die-ser bereits vor Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung beschlossen wurde. 2010 kam unter Schwarz-Gelb der Ausstieg aus dem Ausstieg. Große Energieversorger hat-ten auf eine Laufzeitverlängerung gedrun-gen, um mit bereits abgeschriebenen Kraft-werken weiter kräftig zu verdienen. Von der Energiewende sprach man zu dieser Zeit nur am Rande. Zur Ablenkung wurde die Kern-kraft sogar als Brückentechnologie bezeich-net. Trotz einer anderen Bezeichnung ändern sich aber keineswegs die Risiken. Unsicher-heiten gäbe es nur in politisch instabilen Regionen, nicht aber in Hochtechnologie-ländern wie Japan. Fukushima hat selbst die größten Befürworter kurzzeitig eines Bes-seren belehrt. Als Folge haben Befürworter der Energiewende und Erneuerbaren-Ener-gie-Technologien wieder eine Stimme im Parlament bekommen. Der Antrieb unserer Energiewende sollte aber die wachsende Kli-maerwärmung und der Erhalt einer lebens-werten Zukunft für kommende Generationen sein.

Klimaschutz besteht meiner Ansicht nach aus vielen Teilen: Neben Einsparung und Effizienz spielt auch die Bereitstellung von Energie aus erneuerbaren Energieträgern eine bedeutende Rolle. Dazu zählt neben Windenergie, Biogas, Wasserkraft, Geother-mie auch die Solarenergie. Letztere ist mir besonders ans Herz gewachsen. Schon seit mehr als 15 Jahren beschäftige ich mich persönlich damit, in den vergangenen zehn

basierend auf einem unlimitierten Zugang zu Kapital, gigantischen Exportsubventionen und vor allem daraus resultierenden Kredit-überkapazitäten in Milliardenhöhe für die chi-nesische Solarindustrie.

In den USA hat sich die SolarWorld mit einer Anti-Dumpingklage beim US-Handelsminis-terium gegen unfairen Wettbewerb gewehrt. Im Mai wurde eine vorläufige Entscheidung über die Höhe der Antidumpingzölle für importierte Solarprodukte aus China verkün-det, je nach Hersteller zwischen 31 und 250 Prozent. Die endgültige Entscheidung erwar-ten wir für Oktober 2012. Das US-Handels-ministerium prüft zwischenzeitlich weitere Subventions- und Dumpingtatbestände. Es wird unserer Ansicht nach aber nicht rei-chen, nur in den USA faire Bedingungen her-zustellen. Wir brauchen diese auch auf dem europäischen Markt. Wir haben deswegen auch in Europa gemeinsam mit anderen Herstellern eine Initiative für eine Handels-beschwerde ins Leben gerufen.

Aber wir konzentrieren uns nicht allein auf den juristischen Weg. Wir haben unser Geschäftsmodell über Jahre weiterentwickelt und uns als kompletter Systemanbieter am Markt etabliert. So waren wir eines der ers-ten Solarunternehmen, die ein Batteriesys-tem auf den Markt gebracht haben. Zudem zeigen wir mit SunCarports und Solarparks seit Jahren, wie vielseitig unsere Produktpa-lette ist. Wir investieren stetig in moderne Technologien, um uns weiter als wettbe-werbsfähiges Solartechnologieunternehmen am Markt zu behaupten. Aber wir brauchen fairen Wettbewerb. Denn wir wollen – und wir werden – die Energiewende und die Zukunft der Energieversorgung nicht allein anderen überlassen. Wir werden sie mitgestalten.

Wer kann Energiewende?Von Boris Klebensberger, Vorstand Operatives Geschäft SolarWorld AG

Boris Klebensberger

Reinraumtechnologie zur Zellfertigung in Mittelsachsen

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Uns Sachsen wird eine gewisse Reisefreu-digkeit nachgesagt, wobei es dabei nicht mal in die weite Ferne gehen muss. Gerade Mittelsachsen hat z.B. jede Menge Sehens-wertes zu bieten, und so besuchte ich vor kurzem und mit viel Freude die Bergstadt Freiberg. Vom Obermarkt zum Schloss und wieder zurück – kein Problem für Rollifahrer wie mich. In der Tourist-Information erhielt ich sogar einen speziellen Stadtführer für Menschen mit Handicap. Hut ab!

Lieber mittendrin, statt nur dabei

Ein paar kleine Einschränkungen musste ich dennoch hinnehmen. So war das Pflas-ter des Marktplatzes nur für geübte Rollifah-rer zu bewältigen. Und das, obwohl vor des-sen Umbau der Behindertenbeirat zu Rate gezogen worden war. „Wir fanden die Probe-Bepflasterung in Ordnung“, so der Vorsit-zende des Verbandes Freiberger Behinderter und ihrer Freunde e.V. Jörg Kuka: „Allerdings wurde dann wegen des Denkmalschutzes alles anders. Heute heißt es: Rollifahrer kön-nen doch außen rum!“

Ok, fuhr ich also „außen rum“. Der Weg ist in der Tat gut gemacht. Nur ist das Marktgesche-hen eben in der Mitte – und ich bin draußen. Ebenso wie bei zahlreichen Geschäften, in die man nur über Stufen gelangt. Wie es anders geht, hat die Löwen-Apotheke bewiesen. Nach hartem Kampf hat sie einen ebenerdi-gen Zugang durchgesetzt. Für verbesserungs-fähig hält Jörg Kuka auch das Blindenleitsys-tem der Stadt. Grundsätzlich aber lobt er die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung.

Arbeiten mit Behinderung? Das geht!

Ein herausragendes Beispiel gelebter Inklu-sion hat Freiberg auch zu bieten: das Hotel „Regenbogenhaus“. Erst im Juni wurde das Haus für die besonders beispielhafte Qua-lifizierung und Ausbildung in ihrer Integra-tionsfirma mit dem Rudolf-Freudenberg- Preis ausgezeichnet. Das komplett barriere-freie Haus in der Brückenstraße wird neben Fachkräften von lern- und geistig behinder-ten jungen Leuten bewirtschaftet, die dort eine Ausbildung zu „Helfern im Gastgewerbe“ erhalten. Acht von ihnen haben inzwischen einen Arbeitsplatz gefunden. Neue Arbeits-plätze für Behinderte soll es demnächst auch in Oederan geben. Die dortige Lebenshilfe-werkstatt wird um rund 250 Quadratmeter erweitert. Damit verbessern sich nicht nur die Bedingungen für die bereits dort täti-gen 138 Männer und Frauen mit geistigen, psychischen und körperlichen Behinderun-gen, sondern es können dann auch 14 Men-schen zusätzlich beschäftigt werden.

Von einer Entspannung auf Sachsens Arbeitsmarkt für Behinderte kann aber nicht die Rede sein. Während die allgemeine Erwerbslosigkeit sinkt, stagniert die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Handicap auf unverändert hohem Niveau. Oft sind es Vor-urteile oder Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit geistiger, körperlicher und/oder Sinnesbeeinträchtigung, die Arbeit-geber davon abhalten, behinderte Men-schen einzustellen. Dabei gibt es gerade unter ihnen viele gut ausgebildete und hoch-qualifizierte Fachkräfte. Sie sollten endlich eine Chance bekommen!

In Döbeln denkt die Wohnung mit

In einem anderen Bereich hat das Umden-ken offenbar bereits begonnen: im Woh-nungsbau. In Döbeln kann man eine Mus-terwohnung besichtigen, die zwar als „altersgerecht“ beworben wird, aber auch für behinderte Menschen attraktiv sein

dürfte. Dort ist z. B. die Türklingel mit dem Wohnzimmerlicht verbunden (eine Hilfe für schwerhörige oder taube Menschen), und der Herd schaltet sich automatisch ab, wenn die Wohnung verlassen wird. Schwel-len sind beseitigt und Türen verbreitert. Im Bad sind Haltegriffe angebracht, und die Dusche kann auch mit dem Rollstuhl befah-ren werden. Außerdem sind für Küche und Bad mehr Bewegungsflächen als üblich vor-gesehen. Zum Konzept der Döbelner Woh-nungsgenossenschaft, die die Musterwoh-nung präsentiert, gehört u.a. auch eine Begegnungsstätte, sozusagen als „Knoten-punkt“ fürs soziale Netz der Bewohner.*

Behindertenpolitik ist Menschenrechtspolitik

Menschen mit Handicap haben Anspruch auf Teilhabe und selbstbestimmte Lebens-führung. Die Politik muss dem Rechnung tragen, auch im kommunalen Raum. Sei es durch den abgesenkten Bordstein, ent-sprechende Gehwegplatten oder optische Signale im Verkehrsraum. Oder durch das Anbieten von Ausbildung und Arbeitsplatz, die Entwicklung „klugen“ Wohn- und Lebens-raums und die selbstverständliche Miteinbe-ziehung in alles, was Leben ausmacht. Auch Informations- und Kommunikationssysteme müssen barrierefrei zugänglich sein, damit Teilhabe und selbstbestimmte Lebensfüh-rung möglich ist. Menschen mit geistigen, körperlichen, seelischen oder/und Sinnes-beeinträchtigungen haben dieselben Rechte wie Menschen ohne diese Beeinträchti-gungen. Behindertenpolitik ist Menschen-rechtspolitik. In Freiberg und Döbeln gibt es bereits Beispiele, die aufzeigen, wie man’s macht.

(* Quelle: LVZ, 27.06.2012; „Wenn sich der Elektro-herd automatisch abschaltet“ von Olaf Büchel)

MdL horst WehnerSprecher für Behindertenpolitik,Vizepräsident des Sächsischen Landtags

Selbstbestimmt in MittelsachsenTesten Freiberg auf Barrierrfreiheit: MdL Horst Wehner (re.) und Jörg Kuka vom Freiberger Behindertenverband (li.)

Ausweichen auf die Straße unumgänglich, der Gehweg ist blockiert ...

Diese Tafel am Freiberger Hotel „Regenbogen-haus“ weist auf die Besonderheit des Hauses hin.

7pvl Heft 3/2012

Wie man die Schule „an die Wand“ fährtNoch im Vorjahr rühmte sich Sachsen und allen voran Kultusminister Wöller des besten Schulsystems in Deutschland und empfahl es wärmstens zur Nachahmung. Heute ist Herr Wöller nicht mehr im Amt. Seinen effektvollen Rücktritt hatte er damit begründet, dass er nicht die Kata-strophe des sächsischen Bildungswesens verantworten wolle …

Dabei dreht sich Sachsens Bildungswe-sen schon lange in einer verhängnisvol-len Abwärtsspirale. Anzeichen dafür gibt es viele. Noch immer werden bspw. Schu-len geschlossen. Zwar hatte Wöllers Vor-gänger Flath (beide CDU) noch 2008 das Ende sämtlicher Schulschließungen ver-kündet – doch das war kurz vor der Wahl und es ist ein Schelm, der Arges dabei denkt.

In Mittelsachsen wurde die Grundschule Falkenau (Stadt Flöha) zum Schuljahres-ende dicht gemacht. Die Grundschulen Mühltroff und Hartmannsdorf (und wei-tere) dürfen keine neuen ersten Klas-sen bilden und sind akut in ihrer Existenz bedroht. Von einem flächendeckenden Schulnetz kann in Sachsen längst keine Rede mehr sein, vor allem auf dem Land sind die Schulwegzeiten für die Kinder bereits heute unzumutbar.

Ein weiteres Indiz für die verfehlte Schul-politik ist der zum Teil dramatische Unter-richtsausfall. „Wir tragen die Bildung zu Grabe“, lautete das Motto einer landeswei-ten Initiative, bei der Schüler, Eltern und auch einige Lehrern im März den Finger in die Wunde legten. Trotz oder obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch keine kon-kreten Zahlen zum Unterrichtsausfall gab und das Kultusministerium das Problem mit statistischen Durchschnittswerten zu beschönigen versuchte. In Erinnerung an den Spruch: „Der Teich war durchschnitt-lich nur einen Meter tief, trotzdem ist die Kuh ertrunken“, glaubte die „Herde“ der regierungsseitigen Beschwichtigung nicht und hielt sich an die Realität: Da gab es Klassen, die so lange keinen Unterricht in bestimmten Fächern hatten, dass auf dem Zeugnis keine Zensuren erteilt wer-den konnten. In Mittweida wird an der Mit-telschule demnächst die Unterrichtszeit eingekürzt und an 24 sächsischen Gym-nasien bestimmt das Los, welche Fremd-sprache zu erlernen ist, weil u.a. Franzö-sisch- und Lateinlehrer fehlen.

Wenn eine Lehrkraft ausfällt, kann man das in der Regel nicht der Bildungsagen-tur anlasten. Wenn aber diese Lehrkraft nicht ersetzt werden kann, auch nicht nach ein paar Tagen, dann liegt der Fehler im System!

Auch wenn durchaus von Schule zu Schule zu differenzierten ist und man berück-sichtigen sollte, dass die Lehrkräfte mit großem persönlichen Engagement ver-suchen, die Auswirkungen der Personal-Mangelwirtschaft so gering wie möglich zu halten, kann der Unterricht in vielen Fällen nicht durch entsprechend ausgebil-dete Lehrer durchgeführt werden oder fällt eben einfach aus. Und das ist noch ver-gleichsweise harmlos zu dem, was kom-men wird: Bis 2020 werden etwa ein Drit-tel der heute arbeitenden Lehrerinnen und Lehrer in den Ruhestand gehen. Im selben Zeitraum steigt die Schülerzahl um min-destens 15.000. Bis 2030 nimmt die Zahl der ausscheidenden Pädagogen Jahr für Jahr zu.

Es gibt nur einen Weg, eine Bildungs-Kata-strophe zu verhindern: Neueinstellungen! Ab sofort und deutlich mehr als 1.000 pro Jahr! Zwar wird die Lehrer-Ausbildung an den Hochschulen gerade verstärkt, rei-chen wird das aber nicht. Auch hat man noch nicht begriffen, dass alle Absolven-ten in Sachsen gehalten werden müssen. Noch heute findet ca. die Hälfte aller säch-sischen Lehramts-Absolventen hier ein-fach keine Stelle, obwohl großer Lehrer-mangel herrscht. Stattdessen setzt die Staatsregierung auf zweifelhafte Hauruck-Maßnahmen, wie die Versetzungen von Gymnasiallehren an Grundschulen, befris-tete Einstellungen von Honorarkräften, den Abzug von Lehrern aus Ganztagsan-geboten, die Streichung des Ergänzungs-bereichs oder die Reaktivierung pensio-nierter Lehrer. Nichts davon ist geeignet, das Problem langfristig zu lösen. Schon gar nicht, wenn man weiß, dass Sachsen

und Berlin möglicherweise die letzten Bun-desländer sein werden, die ihre Lehrkräfte nicht verbeamten – und im Falle Sachsens auch noch unterdurchschnittlich bezahlen.

Eine andere „Baustelle“ in Sachsens Schulsystem ist im OVG-Urteil vom 17. April 2012 nachzulesen. Das Oberverwal-tungsgericht urteilte zur Lernmittelfreiheit und nannte nicht nur das Einsammeln von „Kopiergeld“ rechtswidrig. Das Urteil hat Bedeutung für alle Lernmittel, die für den Unterricht benötigt werden, wie Arbeits-hefte, Atlanten, Taschenrechner etc. Laut unserer Landesverfassung müssen Lern-mittel kostenlos bereitgestellt werden. Das geltende Schulgesetz verstößt zumin-dest in diesem Punkt gegen die Verfas-sung, was DIE LINKE seit Jahren anmahnt und dem mit ihrem Schulgesetzentwurf (den Schwarz-Gelb ablehnte) abgehol-fen wäre. Es hat den Anschein, als würde es CDU und FDP immer öfter gefallen, gegen die Verfassung zu regieren. Getreu dem Motto: Soll doch klagen, wem’s nicht passt! Ist unser Schulsystem erst vollends an die Wand gefahren, wird auch das nicht mehr helfen.

MdL cornelia Falken Sprecherin für Bildungspolitik

8 pvl Heft 3/2012

Keine Lust mehr auf Euro? Dann ab ins Zschopautal und Regionalgeld testen!

Mein Selbstversuch beginnt am Mittweidaer Markt. „Merk drei Worte – Kauf im Orte“ steht an der Volksbank-Tür, ich trete ein. Die nette Frau hinterm Tresen tauscht meine Euro 1:1 gegen scheckkartengroße Schein-chen: Meine ersten Zschopau-Taler (ZPT)! Vorn drauf eine Zahl, hinten drauf Werbung. „Und wen möchten Sie unterstützen?“, lächelt’s hinterm Schalter. Hä? Eine Liste mit 45 Förderprojekten in 14 Ortschaften hilft weiter. Mein Finger schiebt übers Papier und bleibt beim „Tierschutzverein Franken-berg“ hängen, dem nun fünf Prozent der Höhe meines Tauschbetrages gutge-

schrieben werden.

Wieder draußen – die Sonne scheint – ist mir nach Eis. Vorm Café Cortina

finde ich Platz, ein Eis und eine Bedie-nung, die problemlos meine ZPT annimmt

und mir in Euro rausgibt. In meinem Portmo-nee ist wieder alles beim Alten, in meinem Kopf nicht: Wie geht das? Warum macht man das und wer macht mit?

„Zwischen Mittweida, Frankenberg, Wald-heim, Hainichen, Flöha und Augustusburg gibt es über 120 Akzeptanzstellen, darunter Händler, Gewerbetreibende, Dienstleister, aber auch Steuerberater, Produzenten, Frei-zeiteinrichtungen…“, zählt Christian Schwe-rin auf. Der 47-jährige Mittweidaer gehört zu den ZPT-Gründervätern von 2003: „Damals trafen wir uns in lockerer Runde und disku-tierten, wie Geld funktioniert. Viele Gesprä-che, Fachbücher und -vorträge später begann das Abenteuer Regiogeld.

Der Testballon dazu stieg 2006 zu den tra-ditionellen Mittweidaer Shopping-Tagen. 40 Händler machten mit und vermerkten auf der Scheinrückseite, wenn ein ZPT über ihren Ladentisch ging. Und siehe da, die „Taler wanderten“ wirklich: Manche Exem-plare hatten in zwei Tagen fünf Mal den Besitzer gewechselt. Damals war ein Kinder-garten als Förderprojekt benannt, der rein rechnerisch 80 Euro bekommen hätte. „Tat-sächlich waren es aber mehr als 500, weil viele die neckischen Scheinchen als Samm-lerstücke behalten hatten“, erinnert sich Schwerin.

2007 ging der ZPT offiziell an den Start. Als Betreiber wurde der gleichnamige Ver-ein gegründet, dem alle Ausgabe- und

Akzeptanzstellen als bei-tragsfreie Fördermitglie-der angehören. Ca. ein Dutzend Aktive halten das System am Laufen. Seit 2007 wurde für ca. 350 Tausend ZPT ein-gekauft! Als Wechselstuben fungieren die Volksbankfilialen in Mittweida, Waldheim, Hainichen und Frankenberg, die Kreisspar-kasse in Mittweida, die Postagentur in Flöha und die Freiwirtschaft in Augustusburg. Die künstlerische Gestaltung mit regionalen Motiven verdanken die ZPT einem Fotowett-bewerb, die ungewöhnliche Stückelung (1, 3, 5, 10, 30) dem Bundesbankgesetz. Und: Mit neun Sicherheitsmerkmalen ist der ZPT für Fälscher eine echt harte Nuss.

Damit wäre die ZPT-Frontseite klar, wie aber kommt die wechselnde Werbung hinten drauf? „ZPT sind nach ihrer Ausgabe min-destens drei Monate gültig. Abgelaufene Scheine werden für zwei Prozent Wechsel-gebühr gegen neue eingetauscht. Braucht ein Geschäft kurzfristig Euro, kann es seine eingenommen ZPT gegen Euro eintauschen. Die Tauschgebühr beträgt fünf Prozent: So wird die Projektförderung finanziert. Durch das Ablaufdatum ist der ZPT-Rücklauf und damit eine kontinuierliche Förderung garan-tiert“, erklärt Diplommathematiker Schwerin und verweist auf den Unternehmernutzen: „Wer 50 ZPT zurücktauscht, dem bedrucken wir zehn Scheine im Gesamtwert von 85 ZPT mit seiner Werbung.“ So also kam der Fischhof Fuhrmann aus Topfseifersdorf auf „meine“ ZPT!

Das Betreiben von Regionalgeld ist auf-wändig, kostet Zeit und Geld. Dafür braucht es Macher mit Idealen, wie Unternehmer Schwerin: „Wir wollen einerseits zeigen, wie Geld funktioniert und andererseits regionale

Kreisläufe unterstützen.“ Dass Letzteres funktioniert, zeigt u.a. der lokale Käse-Anbieter. Dieser hatte anfangs überwiegend Käse aus der Schweiz, Frankreich oder Hol-land im Angebot. „Heute verkauft er haupt-sächlich Käse von hier, weil er mit den ein-genommen ZPT seine Zulieferer bezahlt, die damit wiederum hier einkaufen“, erklärt Schwerin den Werte-Kreislauf.

Anträge auf ZPT-Mitgliedschaft – als Anbie-ter oder Förderprojekt – lassen sich unter www.zschopautaler.info problemlos down-loaden. Zur Förderung aufgenommen wer-den Initiativen, die dem Gemeinwohl dienen. Auch die Akzeptanzstellen sollten „pas-sen“. Mit der Aufnahme verpflichtet sich das Unternehmen, ZPT anzunehmen und die begünstigte Initiative, ihre Mitglieder zu motivieren, mit den gutgeschriebenen ZPT einkaufen zu gehen. Der ZPT-Verein aktuali-siert die Förder-Guthaben wöchentlich und macht sie auf seiner Homepage sichtbar. Zum Guthaben-Abruf genügt ein Anruf.

Längst ist der ZPT zum Selbstläufer gewor-den und die „Geldmacher“ aus Mittelsach-sen werden u.a. bei den bundesweiten Regio geld-Treffen oder bei Fachveranstal-tungen als Gesprächspartner geschätzt. Und wer wissen will, was Brakteaten sind, was diese mit dem ZPT verbindet und warum die aktuelle Schuldenkrise eigentlich eine Guthabenkrise ist, der melde sich im Zschopautal und lerne: „Zschopautaler tun nur gut, wenn ihr sie benutzen tut“. efa

Bezahlen mit Zschopautalern – für Christian Schwerin (re.) eine Selbstverständlichkeit!

Die Geldmacher vom Zschopautal

9pvl Heft 3/2012

Der Katzenjammer in den Stuben des Landratsamtes Mittelsachen ist groß. Wie so mancher Kämmerer sächsischer Kommunen hatten sich die kommunalen Finanzbeamten in die spekulative Welt der globalen Finanzindustrie verirrt. Land-rat Uhlig klagt über Verluste von 850.000 Euro. Die Angebote klangen aber auch ver-lockend. In Zeiten klammer Kassen sind viele der Versuchung erlegen, mit soge-nannten Zinstauschgeschäften Zinsen zu sparen. Dass sie sich dabei auf abenteu-erliche Konstruktionen einließen, war den meisten wohl nicht bewusst. Der Land-kreis wie auch andere betroffene Kommu-nen klagen daher auch gegen die Banken. Wie kam es zu dem Streit zwischen öffent-licher Hand und den teils öffentlichen Banken?

„Für die öffentliche Hand hat die Risiko-minimierung Vorrang vor einer möglichen Zinsoptimierung.“ Der Appell der Rech-nungshöfe von Bund und Ländern klingt nach dem einsamen Rufer in der Wüste. Das trockene Geschäft der kommunalen Schuldenverwaltung bekam angesichts weltweit tätiger Finanzjongleure anschei-nend etwas Miefiges. Wo die Risiken sich ändernder Zinsen in der Vergangenheit über Höhe und Laufzeit der aufgenomme-nen Schulden abgefedert wurden, stand zu Beginn des neuen Jahrtausends eine unüberschaubare Anzahl an „Instrumen-ten“ zur Zinsoptimierung bereit. Die Zau-berwörter Schuldenmanagement und Zin-soptimierung brachten weltläufiges Flair in die Bürokratenstuben. Die Verheißungen der globalen Finanzwelt verfingen auch in sächsischen Kommunen. Wo die landesei-gene Bank selbst mit zweistelligen Milliar-den spielt und einige Zeit gewinnt, musste doch auch für so manche Kommune noch ein Stück vom Kuchen drin sein. Den Preis dieses rauschhaften Abenteuers zahlt wie immer der Steuerzahler. Der Zusammen-bruch der Landesbank kostete uns vier-teljährlich mittlere zweistellige Millionen-beträge und wird den Freistaat im Ernstfall mit knapp drei Milliarden Euro belasten. Die möglichen Verluste sächsischer Kom-munen sind ebenfalls exorbitant und drü-cken so mancher Stadt langsam die Gur-gel zu.

Die Konstruktionen der Geschäfte sind ähnlich gelagert. Nach einer kurzen Phase mit niedrigen Zinsen setzt eine Wette auf die künftige Zinsentwicklung ein, in deren Ergebnis nicht nur einfach ein höherer Zins, sondern schnell Wucherzinsen im mittleren zweistelligen Bereich zu zahlen

sind. Die Verbindung der Zinsge-schäfte mit einem Kredit war bestenfalls auf dem Papier vor-handen. Es ging ganz klar um ein Glücksspiel. Wie kleinkri-minelle Hütchenspieler sind die öffentlichen „Kunden“ mit im Fachjargon „Lock-zinsen“ geködert worden und wurden mit unwahr-scheinlichen Zins-obergrenzen in trügerischer Sicherheit gewogen. Dabei ist die Verteilung der Chancen und Risiken zwi-schen Kommu-nen und Banken deutlich zulas-ten der Kommu-nen geregelt. Der mögliche Gewinn der Kom-mune stand ebenfalls in keinem vertretbaren Verhältnis zum möglichen Verlust. Ein einseitiges Kündi-gungsrecht stand teilweise nur der Bank zu. Angesichts solcher mit Taschenspieler-tricks gespickten Verträge kommt automa-tisch die Frage nach dem: „Wieso unter-schreiben die so was?“ Es fehlte nicht nur an der ausreichenden Sachkenntnis der kommunalen Entscheider. Auch die Gutgläubigkeit gegenüber den teilweise öffentlichen Banken machte diese rechts- und sittenwidrigen Geschäfte möglich. Nicht zuletzt war es jedoch schon ein hohes Maß an Selbstüberschätzung zu meinen, die weltweite Entwicklung von Zinsen oder Währungsschwankungen sicher voraussagen zu können. Dummheit, Naivität und Selbstüberschätzung haben es den Banken nur zu leicht gemacht.

Von den Problemen wollte im Freistaat lange Zeit niemand was hören. Mit Verweis auf die kommunale Selbstverwaltung hat auch die Rechtsaufsicht jahrelang taten-los mit angesehen, wie sich die Kommu-nen bei der landeseigenen Bank mit Zeit-bomben eindeckten. Als einer der ersten hat der Sächsische Rechnungshof auf die schlummernden Gefahren aufmerksam gemacht und darauf verwiesen, dass sol-cherlei Geschäfte nichts mit einem öffent-lichen Auftrag zu tun haben. Die Fraktion DIE LINKE hat mit dem Antrag „Risiken im kommunalen Finanzmanagement

begrenzen – Einsatz von hoch spekulativen Zinsderivaten durch die Kommunen been-den!“ im Landtag reagiert. Dabei war das erklärte Ziel,

weiteren Schaden für die Steuer zahlerinnen und Steuer-

zahler abzuwenden. Unsere Forderung, eine Anlauf-stelle für betroffene Kom-

munen einzurich-ten und solche

rechtswidri-gen Zinswet-ten sofort zu stoppen, wurde von CDU und FDP abgelehnt. Wenig spä -ter sah sich allerdings das Innenmin is -terium genö-

tigt zu reagie-ren und ließ die

Kommunen wis-sen, „dass derivate

Zinsgeschäfte, (…) gegen das Spekulationsverbot verstoßen

und für Kommunen unzulässig sind.“

Diese späte Einsicht hilft den betroffenen Kommunen leider wenig. Die Geschäfte sind abgeschlossen und entfalten ihre Wirkung. Die Kommunalaufsicht hält daher auch den wohlmeinenden Rat bereit: „Betroffenen Kommunen wird des-halb dringend empfohlen, unter Einbezie-hung kompetenter Beratung zu prüfen, ob sie Schadensersatzansprüche geltend machen können.“ So liegt das Schick-sal so mancher sächsischen Kommune in der Hand von Gerichten. Ausgang offen. Angesichts der offensichtlichen Unfähig-keit, den Verlockungen der Finanzspekula-tion zu widerstehen, bekommt die Diskus-sion über regionale Geldkreisläufe – siehe nebenstehender Beitrag – eine ganz neue Dynamik …

Zinstausch für Anfänger – die Kommunen und das liebe Geld

MdL Sebastian Scheel Sprecher für Haushalts- und Finanzpolitik

10 pvl Heft 3/2012

Ab August 2013 haben Eltern bundesweit das Recht auf einen Krippenplatz für ihr Kind, sobald dieses seinen ersten Geburtstag gefei-ert hat. Oft wurde in den vergangenen Mona-ten diskutiert, ob dieser Rechtsanspruch erfüllt werden könne. Als die schwarz-rote Bundesregierung 2008 den erweiterten Krippenausbau beschloss, ging sie davon aus, dass der Bedarf an Krippenplätzen bei durchschnittlich 35 Prozent liegen würde. Ostdeutsche Länder wie Sachsen lagen schon vor vier Jahren deutlich darüber …

Die Einführung des Elterngeldes für das erste Lebensjahr und die damit verbun-dene Streichung des Bundeserziehungsgel-des führten bundesweit zu einem deutlich höheren Bedarf an Krippenplätzen für Kin-der ab zwei Jahre. Während auch in Sach-sen nur zwei Prozent der unter Einjährigen eine Krippe besuchen oder in Tagespflege betreut werden, steigt der Bedarf nach dem ersten und zweiten Geburtstag deutlich an. In Sachsen werden heute bis zu 80 Prozent der Unterdreijährigen in einer Krippe oder Tagespflege betreut, wobei die drei Groß-städte und die Oberzentren die höchsten Auslastungszahlen aufweisen.

Neben dem steigenden Platzbedarf droht zunehmend Fachkräftemangel. 2011 lag der Altersdurchschnitt der ca. 27.000 sächsi-schen Erzieherinnen und Erzieher bei 44,1 Jahren, wobei die Fachkräfte in den Groß-städten insgesamt jünger sind als in den Landkreisen. Das heißt, bis 2030 werden in Sachsen mehr als die Hälfte der Erzieherin-nen und Erzieher das Rentenalter erreichen. Beim Blick über Sachsen hinaus wird zudem klar, dass vor allem westdeutsche Bundes-länder durch den Krippenausbau einen nie dagewesenen Bedarf an Erzieherinnen und Erziehern haben. Laut Deutschem Jugend-institut werden 2015 bundesweit mehr als 24.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt. Die Aushänge in den Berufsfachschulen

für Sozialwesen sind voll mit Stellenange-boten aus dem ganzen Bundesgebiet und die Arbeitsbedingungen sind mit kleine-ren Gruppen und einem höheren Personal-schlüssel in anderen Bundesländern deut-lich attraktiver als in Sachsen.

Um sich ein Bild davon zu machen, wie es in Sachsens Landkreisen und kreisfreien Städ-ten aussieht, reisten wir zwischen Mai und Juli durchs Land und sprachen vor Ort mit Sozial- und Jugendamtsdezernentinnen und –dezernenten sowie mit Kita-Fachplanerin-nen und –planern. Dabei ging es unter ande-rem darum, wie Politik und Verwaltung mit der Absicherung des Rechtsanspruchs umgehen, ob beim Ausbau auf die Betreuung in Krippen oder in der Kindertagespflege gesetzt wird, wie die Fachberatung im Landkreis gewähr-leistet ist, wie Vertretungen in der Tagespflege abgesichert werden und ob der Fachkräf-tenachwuchs vor Ort gewonnen werden kann.

In Mittelsachsen ist die Betreuung auch nach dem erweiterten Rechtsanspruch 2013 insgesamt gesichert. Der Landkreis profi-tiert einerseits von dem erhaltenen Krippen- und Kita-Netz aus vergangenen Jahrzehn-ten und andererseits von einer insgesamt zurückgehenden Bevölkerungszahl. Aller-dings ist auch heute zu konstatieren, dass nicht immer und überall das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern hinsichtlich des Trä-gers der Einrichtung, der Konzeption und der Wohnortnähe berücksichtigt werden kann und Kompromisse nötig sind. Insbesondere in Städten wie Freiberg, die vom Zuzug jun-ger Familien profitieren, werden Engpässe in der Krippenversorgung ab 2013 nicht aus-zuschließen sein. Einige Gemeinden ver-suchen, dies zu vermeiden, indem sie die Kindertagespflege ausbauen. Aus unserer Sicht sollte das nur ein zusätzliches Ange-bot sein, bspw. wenn Eltern diese Form der Betreuung ausdrücklich wünschen. Abgesi-chert werden muss aber in jedem Fall, dass

die Tagespflegeperson bei Krankheit oder Urlaub fachgerecht vertreten wird.

Zwischen Döbeln, Freiberg und Mittweida stellt sich weniger die Herausforderung, neue Krippen zu bauen, sondern vielmehr, die vorhandenen Einrichtungen zu sanieren oder Ersatzneubauten zu schaffen. Dieses Problem haben alle sächsischen Landkreise, dennoch wird die Investitionsförderung des Freistaates dem nicht gerecht. Deshalb wird sich DIE LINKE im Landtag bei den Verhand-lungen für den Haushalt 2013/14 dafür ein-setzen, die Förderprogramme für Sanierung und Neubau von Krippen- und Kita-Plätzen zu bündeln, zumal viele Einrichtungen Dop-pelstandorte sind. Ebenso wird es darum gehen müssen, die am BSZ Döbeln neu ein-gerichtete Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern zu stärken und nach Bedarf auszubauen, was voraussetzt, dass das Kul-tusministerium die Lehrkräfte für den Fach-bereich Sozialwesen aufstockt. Da die Döbel-ner Schule die einzige staatliche und damit schulgeldfreie Fachschule für Erzieher im Landkreis ist, verdient sie besondere Unter-stützung. Denn die Erfahrung zeigt: Verlässt ein junger Mensch den Landkreis zwecks Ausbildung in Richtung Großstadt, kommt er so schnell nicht wieder. Vor allem, wenn öffentliche Kita-Träger wie die Stadt Dresden mit einer unbefristeten Anstellung zu Bedin-gungen des Öffentlichen Dienstes locken.

MdL Annekatrin Klepsch Sprecherin für Kinder- und Jugendpolitik und Soziokultur

Auf den Anfang kommt es an

11pvl Heft 3/2012

Zwei LINKE für Sachsens schöne MitteDer Landkreis Mittelsachsen liegt im Städ-tedreieck Leipzig-Chemnitz-Dresden und ist mit reichlich 2.100 Quadratkilometern nur wenig kleiner als Luxemburg. Kreissitz ist die Berg- und Universitätsstadt Freiberg.

In Mittelsachsen leben knapp 327.000 Men-schen, die größte Stadt ist Freiberg, gefolgt von Döbeln und Frankenberg. Der Landkreis gehört zu den wirtschaftlich stärksten Regio-nen Sachsens und ist mit seinen Burgen und Schlossanlagen auch für Touristen attraktiv.

Weniger rosig sieht die Finanzlage des Land-kreises aus. Zudem hält die Staatsregierung mit dem Landesentwicklungsplan für Mittel-sachsen nicht nur Gutes bereit: Mittweida soll nur noch „Ergänzungsstandort im ländlichen Raum“ sein, der Hochschulstandort Roßwein soll geschlossen und die Justizbehörden in Hai-nichen und Döbeln zusammengelegt werden.

Darum und um vieles mehr kümmern sich die beiden in Mittelsachsen lebenden Land-tagsabgeordneten der LINKEN. Pvl bat Dr. Jana Pinka und Falk Neubert, folgende drei Sätze zu ergänzen:

1. Bei „Mittelsachsen“ denke ich zuerst an …

2. Was ich meinem Heimatkreis am dringlichsten wünsche, ist …

3. In meiner (politischen) Arbeit – auf Kreis- wie auf Landesebene – kann ich …

MdL Falk Neubert:

1. … die Größe des neuen Landkreises und die häufig erlebten Unterschied-lichkeiten. Von Döbeln – ehemals Lan-desdirektion Leipzig – bis hin ins Erz-gebirge und der tschechischen Grenze findet sich nun alles vereint. Wir sind deutschlandweit der Landkreis mit den meisten ehemaligen Kreisstädten. Diese Heterogenität und Größe ist eine Herausforderung.

2. … dass diese Unterschiedlichkeiten zu einer gemeinsamen Vielfalt entwickelt werden. Eine Zentrierung aller Struktu-ren auf Freiberg ist für viele Bürgerin-nen und Bürger nicht nachvollziehbar. So wird auch die neue Arbeitsagentur für Mittelsachsen ihren Sitz in Freiberg aufschlagen, obwohl bspw. in Hainichen dafür Räumlichkeiten zur Verfügung stün-den. Ich wünsche mir bessere berufliche Perspektiven in unserem Kreis, eine gute soziale Infrastruktur und gut finanzierte Einrichtungen der Jugendarbeit - und damit eine Korrektur der von CDU und FDP im letzten Doppelhaushalt durchge-peitschten drastischen Kürzungen des Sozialhaushaltes. Und nicht zuletzt wün-sche ich mir eine höhere Sensibilität hin-sichtlich neonazistischer Erscheinungen. In unserem Landkreis gibt es regelmä-ßig Überfälle von Nazis auf Andersden-kende. Die örtlich Verantwortlichen ver-harmlosen das Problem leider viel zu oft. Wir müssen als demokratische Gesell-schaft solchen menschenverachtenden Ideologien offensiv entgegentreten!

3. … mich darauf verlassen, dass in fast allen Gemeinden unseres Landkrei-ses Mitglieder sowie Sympathisantin-nen und Sympathisanten der LINKEN in den Räten für soziale Belange streiten. Gerade als Kreisvorsitzender meiner Partei schätze ich diese Arbeit sehr und versuche, diese zu unterstützen und mit einer landespolitischen Perspektive zu ergänzen.

MdL Dr. Jana pinka:

1. … eine immer größer werdende Hei-mat. Als ich 1963 in Freiberg geboren wurde, war unser Landkreis noch über-schaubar, ich kannte von klein auf jede Ecke. Dann begannen Anfang der 90er Jahre die ersten Gebietsreformen, der Kreis Freiberg wuchs um die Kreise Flöha und Brand-Erbisdorf. 2008 stei-gerte sich die Dimension des jetzigen Landkreises Mittelsachsen nochmals um die Kreise Döbeln und Mittweida – das Konstrukt ist jetzt 2.113 Quadratkilome-ter groß, besitzt also eine etwa sieben-mal größere Fläche als zum Zeitpunkt meiner Geburt.

2. … dass sich aufgrund dieser Größe die darin lebenden Menschen noch näher kommen mögen. Historisch und topogra-phisch gesehen sind so zum Beispiel die Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden des Landkreises gewaltig. Im Norden wird der Landkreis von der Leip-ziger Tieflandsbucht begrenzt und im Süden vom Kammgebiet des Erzgebir-ges. Die Orte um den Freiberger Raum sind wegen ihrer Silberfunde von Bedeu-tung für die gesamte sächsische Berg-baugeschichte und zumeist älter als die Orte im Raum Döbeln/Mittweida, die im Mittelalter eher durch Tuchmacherei und Leinenweberei geprägt wurden.

3. … in allen Gebietsteilen auf erfahrene Genossinnen und Genossen bauen. Sie waren es auch, die das Zusammenwach-sen unseres Kreisverbandes erst mög-lich gemacht und voran gebracht haben. Da ich geborene Freibergerin bin, kenne ich sehr viele Menschen – davon in der Stadt Freiberg vielleicht sogar die Hälfte –, daher sind mir auch die etablierten Vereine/Verbände und deren Probleme nicht unbekannt. Beispielhaft möchte ich meinen eigenen Sportverband in Krum-menhennersdorf nennen, bei dem ich seit 15 Jahren kegele und den ich auch finanziell unterstütze.

MdL-Bürgerbüros DIe LINKe im Landkreis Mittelsachsen

Bürgerinnen- und Bürgerbüro Freiberg (MdL Dr. Jana Pinka)

Roter Weg 41/4309599 Freiberg

+49 (0)3731 / 20 71 05 +49 (0)3731 / 20 71 04

bb-pinka@linksfraktion-sachsen.de roter-weg@jana-pinka.de

Bürgerinnen- und Bürgerbüro Mittweida (MdL Falk Neubert)

Weberstraße 3009648 Mittweida

+49 (0)3727 / 65 91 70 +49 (0)3727 / 65 91 71

bb-neubert@linksfraktion-sachsen.de mittweida@falk-neubert.de

(MdL = Mitglied des Landtags)

12 pvl Heft 3/2012

„Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran ermessen, wie sie die Tiere behandelt.“ Folgt man dieser Feststellung Mahatma Gandhis, liegt bei uns einiges im Argen. Auf der einen Seite wächst die emotionale Hinwendung man-cher Menschen zu ihrem Haustier biswei-len ins Absurde, auf der anderen Seite ist die Instrumentalisierung, Ausbeutung und industrielle Tötung so genannter „Nutz-tiere“ massenhaft Realität.

In Sachsen wachsen nach dem Einbruch 1990 die Tierbestandszahlen wieder an. Der durchschnittliche Viehbesatz blendet regionale Konzentrationen aus, und attrak-tive Förderbedingungen lassen überall rie-sige Tieranlagen wachsen. In Hilbersdorf (b. Freiberg) steht Europas größte Zuchtbrü-terei, in der im Jahr 32 Mio. Küken schlüp-fen. Der Landkreis Nordsachsen kommt auf über 70 Prozent des gesamten sächsi-schen Geflügelbestandes und legt auch bei Schweinemastanlagen ordentlich zu. Kon-fliktfrei ist diese Entwicklung nicht, denn je größer die Anlage, desto zweifelhafter ihr gesellschaftlicher Nutzen. Große industri-elle Nutztieranlagen ziehen kaum neue und noch seltener gut bezahlte Arbeitsplätze nach sich. Ein Mensch ist da schon mal für 40.000 Hühner oder 2.000 Mastschweine

zuständig. Umliegende Kommunen müssen mit Geruchs-, Staub-, oder Lärmemissio-nen rechnen, es werden Gesundheitsgefah-ren und der Wertverlust privater Immobilien befürchtet. Zweifelhaft auch der wirtschaft-liche Sinn solcher Riesenställe: Längst produzieren wir mehr Fleisch, Milch und Eier, als EU-weit benötig werden. Das Prin-zip Masse statt Klasse drückt zudem die Preise und zwingt kleine Bauern in die Knie.

Tierschutz bleibt auf der Strecke

Nicht zuletzt bewegt auch der Tierschutz die Gemüter. Ist es ethisch hinnehmbar, über-züchtetes Geflügel auf engem Raum in kür-zester Zeit zum Fleischklumpen zu mästen und ihre Körper durch Verschneiden der Schnäbel an die ungesunden Haltungsbedin-gungen anzupassen? Nach den Antworten der Staatsregierung auf eine Große Anfrage der LINKEN zum Stand des Tierschutzes in der Nutztierhaltung sind Haltungsverfahren dann tiergerecht, „… wenn die rechtlichen Anforderungen (…) eingehalten sind.“ Diese zynische Weltsicht verkennt, dass Gesetz und Realität mitunter weit auseinander lie-gen. Schlimmer ist, dass die Staatsregie-rung versäumt, über Stallbau-Förderpolitik und Kontrollen die eigenen Steuerungsmög-lichkeiten für höchste Tierschutzstandards auszureizen. Kein Wunder, dass sich vor Ort bürgerschaftlicher Widerstand regt und neuerdings sogar bündelt, wie in Kriebstein, wo sich im Mai neun Bürgerinitiativen auf gemeinsame Aktivitäten verständigten. Aber die Chancen, Stallbauten wirklich über die Mitwirkungsmöglichkeiten im Planungsver-fahren auszubremsen, sind zurzeit gering. Das zu ändern, müssen auf Bundes- und Landesebene viele Hebel bewegt werden, gehören die Fachgesetze vom Immissions-schutz über das Wasserrecht bis hin zum Tierschutz auf den Prüfstand. Im Baurecht müssen die Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen gestärkt werden. DIE LINKE schlägt außerdem vor, im Umweltgesetz-buch klare Vorgaben für Genehmigungspla-nungen zu verankern.

Den Tierheimen geht es schlecht

Um ganz andere Größenordnungen geht es bei den Tierheimen. So beliebt, wie Haus-tiere in Deutschland sind, so bestürzend ist die Situation vieler dieser Tier-Asyle. Nach meinen rund 20 Besuchen in Tierheimen Sachsens und zwei fraktionsinternen Anhö-rungen der Tierschutzvereine konstatiere ich: Die Tierzahlen steigen, die Spenden stagnieren. Es fehlt das Geld für den Tier-arzt, für Wasser oder Energie, für Investitio-nen und für Fachkräfte.

Kommunen haben die Pflicht, Fundtiere zu versorgen und i.d.R. übertragen sie diese an Tierheime. Die Finanzkraft einer Kom-munen wirkt sich direkt auf die Tierheime aus: Je klammer die Kommune ist, desto weniger bleibt fürs Tierheim übrig … Kos-tendeckend arbeiten konnten diese ohne-hin noch nie. Meine Fraktion forderte bereits vor zwei Jahren von der Staatsregie-rung, eine verbindliche Fundtierverordnung zu erarbeiten. Das unterblieb, stattdessen wurde eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Tierschutz und Städte- und Gemeinde-tag eingerichtet, die eine rechtlich unver-bindliche „Empfehlung zum Umgang mit Fundtieren“ präsentierte. Im Jahr darauf zogen die Tierschutzvereine eine ernüch-ternde Bilanz: Nichts hatte die schwam-mige Empfehlung an der Finanznot der Tierheime ändern können! Im Gegenteil: Probleme, wie die ungeklärte Kostenüber-nahme bei der Unterbringung von Tieren im Zuge behördlicher Anordnungen wurden verschärft.

Während die FDP den Tierschutz als eines ihrer Wahlkampf-Top-Themen nach ihrer Kür zum CDU-Koalitionspartner flott wie-der versenkte, bleibt DIE LINKE am Thema dran und parlamentarisch aktiv. So haben wir u.a. beantragt, die um sich greifende private Haltung gefährlicher oder gefähr-deter exotischer Tiere zu reglementieren und einen unabhängigen und mit weit-reichenden Kontroll- und Initiativrechten ausgestatteten Landestierschutzbeauf-tragten einzusetzen. Denn ob Nutz-, Haus- oder Wildtier: Tierschutz ist immer auch Menschenschutz und damit elementare Sozialpolitik.

Zum Schutz von Mensch und Tier

MdL Kathrin Kagelmann Sprecherin für Agrar- und Tierschutzpolitik

Thomas Weigel vom Tierschutzverein Freiberg führt MdL Kathrin Kagelmann durch das Tierheim „Albert Schweitzer“. Die Freiberger Tierschützer feierten 2010 ihr 20-jähriges Vereinsbestehen.

13pvl Heft 3/2012

In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Gemeindegebietskulisse in Sachsen verän-dert: 1992 gab es im Freistaat 1.614 selbst-ständige Gemeinden, heute sind es nur noch 458. Ob gesetzlich oder freiwillig „verei-nigt“, mit jeder Gemeindefusion ging und geht ein Stück Selbstständigkeit und damit der unmittelbare Einfluss auf die Politik der Gesamt-Gemeinde verloren. Mit dem Ver-lust von ca. 70 Prozent selbstständiger sächsischer Gemeinden ging auch Demo-kratie- und Bürgerbeteiligung verloren.

V i e l e Ko m m u n e n beschäftigen sich auch heute – freiwillig oder gezwungenermaßen – mit Gemeinde-Zusam-menschlüssen. Im Landkreis Mittelsach-sen gibt es bspw. seit drei Jahren Fusions-absichten zwischen Frauenstein und den Nachbargemeinden Rechenberg-Bienen-mühle (MS) und Hart-mannsdorf-Reichenau im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterz-gebirge. Nach den Vorstellungen der Betei-ligten, könnte die Vereinigung der drei Kom-munen zur neuen Stadt Frauenstein zum Jahreswechsel 2012/13 vollzogen wer-den. Allerdings hat Sachsens Innenminis-terium (SMI) der Kreisgrenzenübergreifen-den Fusion Mitte August eine Abfuhr erteilt. Schon im Mai hatte Ministerpräsident Til-lich via „Freie Presse“ verkündete, es werde keine Fusion geben. Plausibel begründet wurde das nicht, außer, dass das SMI meint, es bestünden „für die Gemeinden ausrei-chend alternative Entwicklungsmöglichkei-ten innerhalb der jeweiligen Landkreise.“

Folgt man dem Leitbild des Innenminis-teriums für freiwillige Zusammenschlüsse von Kommunen, sind Kreisübertritte in Ausnahmefällen aber durchaus mög-lich! Wörtlich heißt es: „Landkreisgrenzen

überschreitende Gemeindezusammen-schlüsse sind im Ausnahmefall dort mög-lich, wo bestehende enge funktionsräum-liche Verflechtungen und Beziehungen dies rechtfertigen.“ Im Fall von Frauenstein sehen die regionalen Planungsverbände die fusionswilligen Kommunen als Einheit. Die Förderung und weitere Ausgestaltung des Funktionsraumes um das lokale Zent-rum Frauenstein entspricht zudem dem Lan-

desentwicklungsplan der sächsischen Regierung.

Viele Einwohnerinnen und Einwohner fusions-williger Gemeinden sind frustriert und verstehen das politische Agieren der sächsischen Staats-regierung nicht. Dürfen die Gemeinden in Sach-sen nun freiwillig fusi-onieren (entsprechend der Grundsätze für frei-willige Gemeindezu-sammenschlüsse von Gemeinden im Freistaat Sachsen vom 26. Okto-

ber 2010) oder entscheidet ausschließ-lich das Innenministerium? Wie ernst nimmt Innenminister Ulbig sich selbst mit seiner Aussage im Vorwort des Leit fadens, wo er schreibt: „Unterstützt durch das Staatsmi-nisterium des Inneren und die Landratsäm-ter haben sächsische Gemeinden jetzt die Chance, die notwendigen Strukturverän-derungen auf den Weg zu bringen. Beson-ders wichtig ist es, dass die Entscheidung in den Orten selbst fällt und dass auch nach einer Fusion die Identität der jeweiligen Orte gewahrt bleibt.“

Ich erwarte von Minister Ulbig, dass er sei-nen Worten endlich Taten folgen lässt. Der Prozess eines freiwilligen Gemeindezusam-menschlusses muss durch die Einwohner/innen der betroffenen Gemeinden selber gestaltet und bestimmt werden! Letztend-lich entscheiden die Gemeinderäte oder die Bürger/innen mittels Bürgerentscheid über

die Zukunft ihrer Einheitsgemeinde. Das Innenministerium und die Landratsämter haben lediglich die Aufgabe, die Gemeinden zu informieren und zu beraten.

Die Fraktion DIE LINKE im Sächsischen Landtag fordert die Staatsregierung auf, die Mitspracherechte der Bürger/innen zu gewährleisten. Sie müssen trotz Ein-gliederung bzw. Vereinigung die Möglich-keit haben, die Entwicklung ihrer Gemeinde mitzubestimmen. Wir unterstützen alle Ini-tiativen, die die Bürger/innen in die Ent-scheidungsfindung einbeziehen und sich letztendlich dem Votum eines Bürger-entscheids stellen. Darüber hinaus muss die Einwohnerbeteiligung in den Gemeinden gestärkt werden. Die mit den Gemeinde-Zusammenschlüssen verloren gegangene örtliche Identität und Eigenständigkeit kann und muss durch erweiterte Möglichkei-ten der Einwohnerbeteiligung in den Ort-schaften ausgeglichen werden. DIE LINKE hat deshalb einen Gesetzentwurf zur Stär-kung der Ortschaftsverfassung im Freistaat Sachsen in den Sächsischen Landtag ein-gebracht. Noch bis Ende 2012 besteht für jede/n die Möglichkeit, sich per Onlinean-hörung (www.direktedemokratie-online.de) zum Gesetzentwurf zu äußern.

Eine gut funktionierende Demokratie betei-ligt ihre Einwohner. Für die Gemeinden heißt das, sie bei wichtigen Entscheidungen zu befragen und sie einzubeziehen. Gebiets-änderungen im Rahmen der freiwilligen Gemeinde-Zusammenschlüsse gehören da unbedingt dazu. Keine Gemeinde-Zusam-menschlüsse ohne Bürgerbeteiligung!

MdL Marion Junge Sprecherin für Kommunalpolitik

Wer bestimmt über Sachsens Gemeinde-Landschaft?

Wissenswertes zu „Gemeinde-zusammenschlüsse“ finden Sie im Internet unter www. linksfraktion-sachsen.de (g Publikationen, g Broschüren):1. „Keine Gemeindezusammen-schlüsse ohne Bürgerbeteiligung!“2. „Kommunen stärken durch Einwohner-Mitbestimmung!“3. „Ortschaftsverfassung in Sachsen stärken – mehr Ein- wohner beteiligung ermöglichen!“

14 pvl Heft 3/2012

das Jahr 2011 exakt 151 Straftaten von rechts, darunter fünf Gewaltdelikte, zählt, dann ist das nur die Spitze des Eisbergs. Glaubt man dieser Statistik von Innenmi-nister Ulbig, dann ist die Gewalt von links sogar gefährlicher. 13 Fälle linker Gewalt soll es in jenem Jahr gegeben haben. Das passt in das „von oben“ gewünschte Bild. Auch deshalb ist Misstrauen angesagt. Die neue Staatsdoktrin, die „Extremismus-Theorie“, will es, dass links und rechts glei-chermaßen gefährlich sind. Deshalb hat der Kreis auch einen „Extremismus-Beauftrag-ten“, der vor beiden Seiten warnt.

Rund zwanzig größere Fälle rechter Straf-taten im Kreisgebiet zählt die Antifa RGB (Rochlitz/Geringswalde/Burgstädt). Eine Auflistung, die keinen Anspruch auf Voll-ständigkeit erhebt. Wir werden sehen, wie viele dieser Straftaten tatsächlich Ein-gang in die offizielle Statistik finden. Übri-gens: Ein kreisweites strategisches Kon-zept gegen Neonazis gibt es natürlich noch immer nicht. Warum auch? Es ist doch viel bequemer, das Problem auf Auseinander-setzungen zwischen rivalisierenden Jugend-gruppen zu reduzieren.

Alexander G. erfreut sich seiner Freiheit. Geht es nach dem FDP-Landtagsabgeord-neten Carsten Biesok, dann ist das auch gut und richtig so. Urteils-Schelte verbiete sich, alles sei rechtsstaatlich-ordentlich verlaufen. Das Landgericht Dresden hatte Alexander G. im Juli dieses Jahres zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In dem Verfah-ren gegen die Rädelsführer des „Sturm 34“ stellten die Richter zwar fest, dass es sich bei dieser Neonazi-Bande um eine krimi-nelle Vereinigung gehandelt habe, dennoch musste keiner der fünf Angeklagten ins Gefängnis. Im April 2007 war der „Sturm 34“, der seinen Treffpunkt in Mittweida hatte, durch Sachsens damaligen Innenmi-nister verboten worden.

Die Gewalttaten des „Sturm 34“ sind im früheren Kreis Mittweida und der gesam-ten Region noch immer in böser Erinne-rung. Von „Zecken“, Linken und Ausländern wollten die Mitglieder das Gebiet befreien. Bei einem Dorffest in Breitenbrunn mar-schierte die Bande nach SA-Manier ein und schlug Besucher zusammen. Für NPD-Ver-anstaltungen wurden sie als „Saalschutz“ angefordert, ebenso zu Demonstrationen der NPD-Jugendorganisation, wenn schlag-kräftige Leute im Wortsinn gebraucht wur-den. All das bleibt jetzt also quasi folgen-los. Der Grund? Das Strafverfahren hatte sich so sehr in die Länge gezogen, dass sich dies strafmildernd auswirken musste. Außerdem, so das Gericht in seiner Begrün-dung, seien die damaligen Schläger inzwi-schen in die Gesellschaft integriert, hätten feste Arbeitsstellen, seien verheiratet, einer studiere gar.

So das Bild, das das Gericht malte und das medial Verbreitung fand. Das andere, das aktuelle Bild zeigt einen „Albtraum am Bodensee“ in der Nähe von Ravensburg. Dort-hin hat es Alex-ander G., genannt „Stürmer“, den eigentlichen Grün-der von „Sturm 34“, verschlagen. Ihn, der laut eigener Aussage vor Gericht immer nur abseits gestanden haben will, wenn seine „Kameraden“ zuschlugen. Nun also ist er verheiratet und hat ein Kind. Sein Pitbull, so die Nachbarn, heißt Odin, an der Wand hängt eine Hakenkreuzfahne und auf dem T-Shirt prangt „White Power“. Die Nach-barn, die das stört, werden systematisch terrorisiert. Im Prozess in Dresden spielte all das keine Rolle. Auch „Stürmer“ bekam Bewährung und kann seine Nachbarn wei-ter einschüchtern.

„Sturm 34“ ist trotz Verbots nicht tot. Ein früheres Mitglied ist jetzt NPD-Ortsvor-sitzender in Rochlitz. Ein anderes mischt regelmäßig in Colditz mit, einem Schwer-punkt rechter Straftaten in Sachsen. Und nicht zuletzt aus Limbach-Oberfrohna wird berichtet, dass frühere Aktivisten des „Sturm 34“ ihre Aktivitäten dorthin verla-gert haben. Mittelsachsen hat in den ver-gangenen Jahren nicht durch eine starke NPD von sich reden gemacht. Die dümpelte

eher vor sich hin und „pflegt“ inner-parteiliche Ausei-nandersetzungen. So wurde das ehe-mal ige Landes-vorstandsmitglied Wilko Winkler aus Mühlau durch die Freiberger NPD-Stadträt in Hei -delore Karsten als NPD-Kreisvorsitzen-der abgelöst. Kars-ten gehört zu den

Gefolgsleuten Holger Apfels, Winkler dage-gen hatte sich erdreistet, heftige Kritik am Parteivorsitzenden zu üben. Auch andere Neonazi-Gruppierungen sind nicht als Füh-rungskraft an die Stelle des „Sturm 34“ getreten.

Mittelsachsen ist nach wie vor ein Schwer-punkt rechter Gewalt. Außerhalb der Uni-versitätsstadt Freiberg sind Menschen ohne deutschen Pass eine Seltenheit. Bevorzugte Opfergruppe sind deshalb unangepasste, alternative junge Leute. Wenn die offizielle Straftatenstatistik für

Der Pitbull heißt Odin

MdL Kerstin Köditz Sprecherin für antifaschistische Politik

TippEinen Überblick über die aktuelle Situation und Vorfälle im Zusammen-hang mit Neonazis in Sachsen allgemein und in Mittelsachsen konkret erhalten Sie im Internet unter www.linksfraktion-sachsen.de (gPolitik A–Z; gantifaschistische Politik, gPDF: „extreme Rechte in Burgstädt und umgebung“)

15pvl Heft 3/2012

Die Hausklingel heißt „Rübe“ und gibt bei Bedarf ordentlich Laut. Das muss der imposante Hofhund auch, denn in seinem Burgstädter Zuhause braucht es offenbar mehr Schutz als anderswo.

Seit sich die jungen Leute mit den bunten Haaren Mitte vergangenen Jahres des maro-den Dreigeschossers in der Ludwig-Böttger-Straße annahmen, brodelt’s im Städtchen. Seit das Landratsamt im Januar die Nutzung des Erdgeschosses (Baumängel!) unter-sagte, scheint die Ordnung wieder herge-stellt. Scheint! Denn abfinden will sich der Freiraum e.V. mit dem Rausschmiss nicht.

Die 16 bis 28 Jahre alten Vereinsmit-gl ieder hatten das verwahrloste Haus gemietet und nutzbar gemacht: Wasserleitungen wurden gelegt, Elektrik installiert, Dach gedämmt und Wände ver-putzt. Im Obergeschoss entstanden Woh-nungen, das Erdgeschoss wurde als Vereins-sitz hergerichtet. Bis zum Nutzungsstopp haben die 15 „Freiräumler“ einiges auf die Beine gestellt: beim Stadtfest selbstge-machte Marmelade verkauft, Kicker-Turnier und Filmabend veranstaltet, gemeinsam gekocht und Vortagsabende angeboten. Diese freilich waren inhaltlich klar ausge-richtet, denn apolitisch ist der „Freiraum“ nicht: „Wir wollten mit dem Haus eine Rück-zugsmöglichkeit für Jugendliche außerhalb des Mainstreams schaffen“, sagt Verein-schefin Lisa Erhardt. Die 21-Jährige wurde selbst mehrfach von Neonazis attackiert und als „linke Zecke“ angefeindet. Mit der

Böttger-Straße 1 sollten Alternative wie sie einen Ort erhalten, an dem es Unterstüt-zung gibt, wo sie sicher sind und vorurteils-freie Meinungsbildung möglich ist.

Dass das gekappt wurde, rief „kreativen Protest“ hervor. Dem „Indoor-Picknick“ bei der Stadtratssitzung folgten Raus-schmiss und Hausverbot. Nicht nur des-halb sehen sich die Burgstädter Bunten „als jedermanns Feind“. Auch weil hand-feste Drohungen stadtbekannter Neonazis gegen das Haus und deren Ex-Nutzer in Burgstädt kaum für Aufregung sorgen und die Abwehr eines unverkennbaren Nazi-

Angriffs auf das Vereinsdomizil zu „linksmotivierter Gewalt“ umge-deutet wurde. „Gerade vor die-sem Hintergrund ist es für mich wichtig, dem Ver-ein beiseite zu ste-hen. Ich wünsche

mir, dass dieses alternative Wohn- und Kulturprojekt auch künftig für Demokratie und Weltoffenheit streiten kann“, solidari-siert sich der LINKE Landtagsabgeordnete Falk Neubert mit dem Freiraum e.V. und hat – ebenso wie das Kulturbüro Sach-sen – Unterstützung für deren jüngstes Projekt zugesagt: Am 15. September soll es ein Straßenfest geben. „Wir wollen die Leute einladen, auch mal mit und nicht nur über uns zu reden. Wir wollen auch zeigen, dass wir ein humanistisches Menschen-bild leben und deshalb offen gegen Neo-nazis auftreten, die ihre menschenverach-tende Ideologie zunehmend und offenbar ohne große Gegenwehr auch unter jungen

Menschen verbreiten“, erklärt Katharina (18) vom Freiraumverein.

Wie es mit dem Vereinssitz weiter geht, ist indes ungewiss. Aufgrund der Baukosten scheint es sinnvoller, eine neue Heimstatt zu suchen. Wo auch immer das sein wird: Es kostet, weshalb Spenden willkommen sind. Noch wichtiger indes ist dem Ver-ein, dass in Burgstädt und anderswo mehr Menschen genauer hingucken, neonazis-tisches Gedankengut erkennen und sich klar dagegen positionieren. efa

(K)ein Happy End für Burgstädts Freiraum

Straßenfest

am 15. September, ab 13 uhrin Burgstädt, Ludwig-Böttger-Straße 1

u.a. mit Kinderschminken, Spielmobil, Pflastermalen, Filzen, Graffitiwand, Kaffee, Kuchen, Waffeln & Grill

Bunt!Delitzsch, Limbach-Oberfrohna, Mittweida – die Aufzählung sächsischer Kleinstädte mit sehr ähnlicher, ländlich-gemütlicher Struktur ließe sich beliebig fortsetzen. Wenig überra-schend haben es alle gleichermaßen mit dem gar nicht neuen Phänomen neuer Nazis zu tun. Und damit, dass es Gegenwehr und Anti-Strukturen gibt. Zumeist sehr jung und oft sehr anders: bunte Haare, metalldurchbohrte Haut und gern mit Hund. Konsequent gegen Nazis und offensiv selbstbestimmt. Kein Streichelzoo, aber auch nicht per se kriminell.

Gerade das aber wird den Bunten oft unterstellt. Wer daraus resultierenden Zoff zum Ge-nerationskonflikt erklärt, macht es sich zu einfach. Und wer die Auseinandersetzungen mit Neonazis für die logische Folge alternativer Lebensformen hält, handelt fahrlässig. Kommunal Verantwortliche, Mitmenschen und Alternative sollten üben, miteinander zu reden: Auf Augenhöhe und ohne Vorurteil. Dass deutscher „Alltagsfaschismus“ auf Wider-spruch trifft, ist gut. Dass es ihn überhaupt gibt, ist ein Gesellschaftsproblem, das eben diese Gesellschaft lösen muss, bevor es die Gesellschaft (auf-)löst.

Toleranz kann man lernen. Dass die Bunten ihre Toleranzgrenze bei den Braunen ziehen, hat einen triftigen Grund: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. efa

SpendenkontoFreiraum e.V.BLZ 430 609 67Kto. 1137 490 500GLS Bank

pvl Heft 3/2012

Mittel gegen Sommer-Blues: Man mache es wie diese Miez und gucke sich das Glas halb voll. Tschakka! …

Wissen & GewinnenSie haben Pvl aufmerksam gelesen? Dann schnell folgende drei Fragen beantworten und gewinnen!

Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir eine spannende Reise in die Tiefe: Die MdL Dr. Jana Pinka und Falk Neubert laden die Gewinner(-familie) ins Freiberger Besucherbergwerk „Reiche zeche“ ein, der Untertagelehrpfad eignet sich auch für Kinder (ab 6 J.) und für Menschen mit Be - hinderung. Nach dem Untertage-Abenteuer ist ein gemeinsames essen geplant.

n 1. Wie heißt das Regionalgeld für Mittweida und umgebung?n 2. In welchen zwei Städten Mittel- sachsens unterhalten MdL der LINKeN Bürgerbüros?n 3. Wie heißt das für vorbildliche Integration ausgezeichnete hotel in Freiberg?

Die Antworten auf eine Postkarte schrei-ben und an folgende Adresse senden:

Fraktion DIe LINKe im Sächsischen LandtagBernhard-von-Lindenau-platz 101067 Dresden

Oder Sie schreiben eine E-Mail an: linksfraktion@slt.sachsen.de. Absender nicht vergessen!

Kennwort: pvl 3-2012einsendeschluss: 20. Oktober 2012

Waagerecht: 1. Vorname der Sprecherin für Umwelt- u. Technologiepolitik der LINKEN im Sächs. Landtag Dr. Pinka (Bürgerbüro Frei-berg), 5. Finanzgeschäfte, in denen auf Zins-entwicklungen gewettet wird. Nach horrend steigenden Forderungen infolge riskanter Geldgeschäfte beschreiten zurzeit mehrere sächs. Kommunen den Klageweg, 9. Ort in Ostfriesland, 11. chem. Zeichen: Silizium – dominierendes Element bei der Herstellung von Solarmodulen, 12. Gastgeberstadt „Tag der Sachsen“ 2012, 15. Sportfischer, 16. Abk.: Europ. Environmental Bureau, 18. Vor-name der Sängerin Sander „Ein heller Stern“, 19. natürl. Bauhilfsstoff, Knochenbestand-teil, 22. männl. Artikel, 23. Rhein-Zufluss, 26. die Sonne betreffend; aufgrund der Energie-wende in aller Munde, 28. latein.: Wasser, 31. tourist. Attraktion in Döbeln, 33. Kinderbe-treuungseinrichtung (Kzw.), Rechtsanspruch

ab 2013, 34. Vorname der LINKEN Bundespo-litikerin Pau,

Senkrecht: 2. Tal u. Fluss der Zillertaler Alpen, 3. Drahtstifte, 4. flink, 6. Fragewort, 7. alte Maßeinheit der Leistung, 8. Bodenschatz, der der Freiberger Region 800 Jahre lang „Wohl-stand und Reichtum“ bescherte, 10. Formel-1-Reporter: Kai ..., 12. Vorname des Spre-chers für Medienpolitik der LINKEN im Sächs. Landtag Neubert (Bürgerbüro Mittweida), 13. Vorname des in Döbeln geb. „Brücke-Malers“ Heckel †1970, 14. Zahlungsmittel, 17. Zeit-messgerät in der Küche, 20. Hauptstadt von Niue (Pazifikstaat), 21. Vorname der 2. Ehe-frau des Schriftstellers Karl May, 24. Verbund dt. Fernsehanstalten, 25. Radmittelhülse, 26. Abk.: Sparkasse, 27. Tennis: Netzball, 29. olymp. Länderkürzel: Katar, 30. Fremdwortteil: entsprechend, 32. Abk.: Endpunkt.

Lösung Rätsel pvl 2-2012: 1. BITEX2. Morgenröthe-Rautenkranz3. Musikwinkel

Unter Ausschluss des Rechtsweges wurden folgende Gewinner ermittelt:S. Armbruster aus 08529 plauenchr. hackbarth aus 01156 DresdenJ. Scholz aus 08233 Treuen

Herzlichen Glückwunsch!

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