Varietäten des Französischen in Kamerun Ulrich Dausendschön-Gay Bielefeld

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Varietäten des Französischen in Kamerun

Ulrich Dausendschön-GayBielefeld

ÜBERSICHT

Kamerun als mehrsprachiges Territorium Beschreibungsaspekte für Mehrsprachigkeit Ein Beispiel Exkurs: Sprachdokumentation Frankophonie

Protoypen der Beschreibung Klassifikation der Varietäten Phänomenologie und Hörbeispiele

Camfranglais Fazit

KAMERUNKAMERUN

16,4 Millionen Einwohner Kolonisierung durch Portugiesen (15.Jhd.,

Namensgebung), Niederländer, Deutsche (bis 1916), Franzosen und Engländer (Teilung der ehemals deutschen Kolonie 1918)

Unabhängig seit 1960, Vereinigung frankophoner und anglophoner Teil 1961

Französisch und Englisch als offizielle Landessprachen, Territorialitätsprinzip

KAMERUNKAMERUN

Mehr als 200 verschiedene Ethnien und Sprachen

Ca 18% der Bevölkerung „relle“ Frankophone (vor allem in urbanen Zentren und unter „Prestigesprechern“), 25% „okasionelle“

Im anglophonen Westen Verkehrssprache Pidgin gut verbreitet, insgesamt weniger als 10% der Bevölkerung

KAMERUNKAMERUN

Alltagskommunikation außerhalb der Alltagskommunikation außerhalb der staatlichen Institutionen nach den staatlichen Institutionen nach den Prinzipien Prinzipien

„„Präferenz für ethnische Sprache“ und für ethnische Sprache“ und

„„Effizienz durch Vehikularsprache wenn Effizienz durch Vehikularsprache wenn nötig“ nötig“

MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte

Ausgewählte Kriterien zur Beschreibung von territorialer und individueller Mehrsprachigkeit (Lüdi/Py, Müller et al.)

Beteiligte Sprachen (Typologisches Verhältnis, Prestige, Kommunikative Verwendbarkeit in Diskursen/Milieus, Sprache vs Dialekt

MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte

Erwerbsprozesse, soziale Bedingungen des Erwerbs, zeitliche Reihenfolgen

Art der Kompetenz (Tests, Ausgewogenheit, Autonomie der Sprachsysteme, Wechselkompetenz („le parler bilingue“)

Kommunikative Praxis (zeitliche und räumliche Verteilung der Sprachen, funktionale Zuordnung, Situationen

MEHRSPRACHIGKEITMEHRSPRACHIGKEITBeschreibungsaspekteBeschreibungsaspekte

Sprachplanung und Sprachpolitik (zweisprachige Erziehung, Fördermaßnahmen, „Nationalsprache“)

Folgen der territorialen und kommunikativen Koexistenz von Sprachen

Sprachkontakt, Hybridisierung

EIN BEISPIELEIN BEISPIEL

Leslie Moore (im Druck)

Sprachrepertoire von Isaac (Wandala)(Selbsteinschätzung und Testverfahren)

Mutter: Wandala, ArabischVater: WandalaIsaac: Wandala, Französisch, Arabisch,

Fulfulde (im Test Kompetenz nicht bestätigt)

EIN BEISPIELEIN BEISPIEL

Sprachrepertoire von Jonas (Montagnard)(Selbsteinschätzung und Testverfahren)

Mutter: Wuzlam, Pelasla, Wandala, Fulfulde

Vater: Pelasla, Wuzlam, WandalaJonas: Wuzlam, Pelasla, Wandala,

Französisch, Mada, Englisch, Fulfulde, Zulgwa

EIN BEISPIELEIN BEISPIEL

Vermutete Bedingungsfaktoren

MONTAGNARDS WANDALA

“dominiert” “dominierend”Animisten MuslimeMehrsprachig Ein- oder mehrsprachigNatürlicher Erwerb Gesteuerter ErwerbPatrilokal mit Erhalt der Patrilokal, patrilingual,

hoherEthnischen Identität der Frau AnpassungsdruckFeldarbeit der Frauen, Frauen bleiben im DorfMitnahme der Kinder

KOMMENTARKOMMENTAR

Das ist ein interessantes Beispiel für die Bedingungen der Mehrsprachigkeit und des Spracherwerbs, es erlaubt aber keine Systematisierung und Generalisierung.

Methodisches Problem der Sprachdokumentation

EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationEthnologueEthnologue

1. Primary language name1. Primary language name 2. 2. Alternate names names 4. Country speaker population4. Country speaker population 5. Monolingual population5. Monolingual population 8. Ethnic population8. Ethnic population 10. Linguistic affiliation10. Linguistic affiliation 11. Dialect names11. Dialect names 12. Intelligibility and dialect relations12. Intelligibility and dialect relations

EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationEthnologueEthnologue

13. Lexical similarity 14. Language function 18. Language attitudes 19. Bilingual proficiency levels 21. Literacy rates 25. Linguistic typology 27. Religion

EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)

Unterscheidung

Sprachdokumentation: (Video)-Sprachdaten, die für die Sprachstruktur und die Verwendungskontexte repräsentativ sind

Sprachbeschreibung: Bestimmung der Strukturen, die den Sprachdaten zu Grunde liegen

EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)

Beide sind theoretisch unabhängig von einander, aber beide implizieren theoretische Fundierungen :

Sprachdaten sind kein Rohmaterial, sondern bearbeitete Repräsentationen, z.B. morphemischer Art

Sprachbeschreibung impliziert neben den klassischen Domänen Phonologie, Grammatik und Lexikon auch Ethnographie, soziale und genetische Eigenschaften, und Sprachgeschichte

EXKURS: SprachdokumentationEXKURS: SprachdokumentationLehmann (2001/2004)Lehmann (2001/2004)

Anforderung an Dokumentationen: Qualität (Feld vs Studio) Repräsentativität für Gebrauch und

System Gebrauchsdokumentation: Beteiligte,

Kontext, kommunikative Aufgabe, Thema, Code, Medium

KOMMENTARKOMMENTAR

Sprachdokumentationen und –beschreibungen, die diesen Ansprüchen genügen, liegen bislang nur wenige vor, meines Wissens keine für frankophone Varietäten.

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung

La grille de Chaudenson:

STATUS Offizieller Gebrauch der Sprache(n) Institutioneller Gebrauch Erziehungswesen Massenmedien Berufswelt

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung

CORPUS Spracherwerb ungesteuert Spracherwerb gesteuert Vernakuläre Funktion der Sprache(n) Vehikuläre Funktion der Sprache(n) Diskursive Kompetenzverteilung Kommunikative Praxis: Menge an Output

und Input

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung

Anwendung auf Kamerun:

STATUS Officialité 6/12 Usages institutionnels 2/4

(religion 1/4) Education 7/10 Communication de masse 4/5 Communication professionnelle 15/20

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung

Anwendung auf Kamerun:

CORPUS Acquisition ?? Apprentissage 12/20 Vernacularisation ?? Véhicularisation 8/10 Compétence 5/20 Production langagière 4/10 Consommation langagière 5/10

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPrototypen der BeschreibungPrototypen der Beschreibung

Dumont/Maurer (1995): Methoden der „corpus“-Erhebung

Kommunikative Praxis: Teilnehmende Beobachtung: Protokoll und

Interaktionsbeteiligung Emische Kompetenz Schriftliche Dokumente

Repräsentationen Interviews Schriftliche Äußerungen Umfragen

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIE Klassifikation der Varietäten Klassifikation der Varietäten

Dumont/Maurer (Beispiel Djibouti):

Élémentaire (basilecte, créolisation) Occasionnel (fonctionnel: commerce) Usuel (régional, diversité fonctionnelle) De prestige (acrolecte, standard

international)

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEKlassifikation der VarietätenKlassifikation der Varietäten

Boutin (Beispiel Côte d‘Ivoire, Kategorisierungen durch Befragte): Nach sozialen Kriterien (académique,

standard, de Moussa oder des intellectuels, de la rue, des élèves, de ceux qui ne travaillent pas)

Nach „Registern“ (soutenu, intermédiaire, relâché, argotique [nouchi])

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEKlassifikation der VarietätenKlassifikation der Varietäten

Boutin (Sprachensituation insgesamt): Langues africaines Nouchi Français populaires ivoiriens Français ivoirien Français académique de Côte d’Ivoire Français standard de France

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Auflistungen bei Dumont/Maurer und Mendo Ze in der Nachfolge von Valdman, Manessy und anderen nach den Kategorien

Traits phoniques

Morphosyntaxe

Lexique, speziell Verfahren der Wortbildung

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Gründe für die Entstehung der „particularismes“

Soziolinguistisch (Gebrauchsdomänen des Französischen)

Kontaktsprachlich („Interferenzen“) Soziokulturell (Alltagsrhetorik, sozialer

Stil)

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Artikulatorische „Besonderheiten“ /l/ und /r/ Nasale und Vokalpositionen Wegfall von Oppositionen (Vorder- Hintervokal) Diphtongisierung Veränderung der Silbenstruktur durch Elision

und e-muet Prosodie der Einheitenbildung Rhythmus, Melodie

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Morphosyntax Artikel (Wegfall, best. Art. als Partitiv) Fehlen der Subordination Verringerung der Verbvalenzen (savoir

préparer) Neue Typen von complément (compliquer

quelqu‘un) Tempus Direkte vs indirekte Rede

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Listen von Afrikanismen Neologismen erweiterte Extension (frère) Umdeutung Einfluss afrikanischer Sprachen Einfluss des Pidgin Phraseologismen Proverbes Kommunikative Rituale

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Beispiel aus Fouda: Le franco-faufilé

Client dans un tournedos:mamie, c‘est comment

Propriétaire:ha, ne me tensionne pas

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEPhänomenologiePhänomenologie

Kuete : Korrekturliste für SchülerKuete : Korrekturliste für Schüler

il empêche aux gens d‘entreril empêche les gens d‘entrer

ce sont les quiqui sont-ils

couper une bière avec qnpartager une bière avec qn

je ne connais pas là-basje ne connais pas ce lieu-là

Hörbeispiel „compliments“

Phonologie

Stil

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEHörbeispieleHörbeispiele

Hörbeispiel „garagiste“

Formulierungsprozesse

Formelhaftigkeit

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIEHörbeispieleHörbeispiele

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIERésuméRésumé

Der gängige Beschreibungsstandard für Varietäten

orientiert sich an der Differenz zum idealisierten afrikanischen und internationalen Standard

thematisiert Probleme der Normierung und der Herausbildung des „kamerunischen Französisch“

Konzentriert sich weitgehend auf die klassischen Domänen Phonologie, Grammatik, Lexikon

FRANKOPHONIEFRANKOPHONIERésuméRésumé

Der gängige Beschreibungsstandard für Varietäten

erklärt Phänomene (Einfluss des Ewondo auf das mesolektale Französisch), aber nicht strukturellen Wandel und kommunikative Praktiken

Verwendet vornehmlich Methoden der strukturalen oder generativen Grammatik und der soziolinguistischen Feldforschung

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Hörbeispiel I Code switching

Hörbeispiel II Inszenierung

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Textbeispiel I: Beispiel aus einem Chat in Camfranglais

beaucoup de personnes ont deja repondu au gest qui joue les civilisés ici.je n’en rajouterais pas !!but all what a bi propose ne say we must regularise dis tok dan mi say on doit fall d’accord sur l’orthographe et l’usage d’un mot.

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

car qd chacun hold ca a son level et fait ce kil want ca ne tcha plus .par ex le mot petit comment doit t’on l’écrire ?? smo ?smol? et puis on doit fall d’acc sur un point soit on speech le pidgin soit on topo le camfranglais !!

je wait vos reactions !!

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Textbeispiel II: Aus dem gleichen Chat

Salut les gars,Je cherche des gars qui discuteront avec moi ici en Camfranglais des thèmes proposés.i tink cé, wi can accepté cé, „Parler“ na di sém tink laka „tok“. Na correct way fo write dat

word. Wat do tink Mola?

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

If you cé „tok“ is better, so tel mi why? Forget „talk“ bo, na Glissy word! So a di wêt your toli. If you mimba cé, a don dou some erreur, dan tel mi wèr, massa.On se mit!!Hilaire

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Die bekannten morphonologischen Erscheinungen gesprochener Sprache

Unsichere Phonation für Entlehnungen aus dem pidgin, manchmal an der Orthographie orientiert (do)

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Abkürzungen, verlan

Entlehnungen und Neologismen ma macho mimba que je vais lost mon bacho (ma mère croit que je vais rater mon bac)

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Kaum syntaktische Auffälligkeiten (Prinzip der ML)

Keine morphologische Integration der Lexeme, keine Artikel:

on va pas schoolla wa-là aime ya qu‘elle whitise (cette fille aime entendre dire

(savoir) qu‘elle parle comme une blanche)

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Aber belegt: j‘ai pas ya ce que tu tchatchais hier soir en backant (j‘ai pas compris ce que tu disais hier soir en rentrant)

Formelhaftes Sprechen Inszenierungstechniken

CAMFRANGLAISCAMFRANGLAIS

Ein schwieriger Fall für die Beschreibung: Mangel an Systematizität Große Variationsbreite Hauptaspekte

Identität und Gruppe Unverständlichkeit Spiel Performanz

FAZITFAZIT

Methodische und theoretische Ausrichtung der bisherigen Forschung ermöglicht keine gesicherten Aussagen über die Eigenschaften und Funktionen der Varietäten

FAZITFAZIT

Erkennbare „Ideologisierung“ der Diskussion:

français régional vs français décolonisé (Kom)

FAZITFAZIT

Gesicherte Erkenntnis: emergierende Französischvarietäten werden zur Konkurrenz für ethnische Sprachen (Beispiele nouchi und basilecte, Konzept der „glottophagie“ bei Calvet)

FAZITFAZIT

Eine mögliche Erklärung: Theorie des linguistischen

Kapitals (Bourdieu, Heller)

BIBLIOGRAPHIEBIBLIOGRAPHIE

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