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Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Indikation dafur besteht. Die WHO greiftdiese Resistenzproblematik im 2014 verof-fentlichten Fact Sheet ‘‘Antimicrobial Resis-tance’’ auf und bezeichnet Resistenzen als,,increasingly serious threat to global publichealth that requires action across all govern-ment sectors and society‘‘.Impfungen sind eine bewahrte, effektive pri-marpraventive Maßnahme, die in der Bevol-kerung gut akzeptiert ist. In Deutschland gibtdie Standige Impfkommission am RobertKoch-Institut (STIKO) regelmaßig Impf-empfehlungen heraus. 2012 wurde zwarder nationale Impfplan veroffentlicht, aufnationale Impfziele konnte man sich abernoch nicht einigen. Kritisiert wird, dass Pub-lic Health-Aspekte bei Entscheidungen uberImpfempfehlungen zu wenig berucksichtigtwerden. Hierzulande konnen letztlich nichtdie Durchimpfungsraten erreicht werden, dieerforderlich waren, um eine so genannteHerdenimmunitat zu erreichen. Erst dannwaren auch Individuen vor einer Ansteckunggeschutzt, die selbst nicht geimpft werden
konnen wie z.B. Sauglinge, immunge-schwachte Personen oder Schwangere. Undschließlich sind Impfungen langst nicht furalle Infektionen verfugbar.Beachtenswert ist zudem, dass immer neueInfektionen entdeckt werden. Mit dem HI-Virus trat Anfang der achtziger Jahre desvorigen Jahrhunderts eine vollig neueKrankheit auf, die sich innerhalb wenigerJahre weltweit ausbreiten konnte. Nichtnur in Deutschland wurde uber den ,,richti-gen‘‘ gesundheitspolitischen Umgang mitAIDS kontrovers diskutiert. Es folgten(und verschwanden zumindest aus der of-fentlichen Wahrnehmung) Rinderwahnsinn,SARS und Schweinegrippe, nachdem auchsie zeitweilig eine große Verunsicherung inder Bevolkerung ausgelost hatten. Inzwi-schen gilt auch der Zusammenhang zwi-schen Infektionen und einigen Krebsartenals gesichert. Fest steht, dass es immer wie-der weitere ,,neue‘‘ Infektionen geben wird.Infektionskrankheiten hatten immer schonviel mit den Lebensbedingungen der Men-
schen zu tun. Die Tuberkulose gilt hier alseine Armutskrankheit, die sich besondersdort ausbreiten kann, wo viele Menschenauf engem Raum unter ungunstigen hygie-nischen Bedingungen zusammenleben.Das gilt inzwischen auch wieder fur In-dustrielander. Der fehlende Zugang zusauberem Trinkwasser und Toiletten tragtwesentlich dazu bei, dass sich Infektionenausbreiten konnen. Aber auch die Leis-tungsfahigkeit eines Gesundheitssystemsund der Zugang dazu spielen eine wesent-liche Rolle fur die Ausbreitung vonInfektionskrankheiten.Diese Ausgabe des Public Health-Forumsbefasst sich mit ubertragbaren Krankheiten.Dabei geht es weniger um einzelne Infektio-nen, ihre Ursachen, Impfmoglichkeiten undTherapieoptionen, sondern darum, ihre Be-deutung im unmittelbaren Kontext von Pub-lic Health aufzuzeigen.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.07.005
Zur derzeitigen Bedeutung der Infektionskrankheiten
Friedrich Hofmann
Vor fast einem halben Jahrhundert, im
Jahre 1967, stellte der Surgeon Gene-
ral of the United States of America,
William Stewart, im Hinblick auf den
Stellenwert ubertragbarer Krankhei-
ten fest: ‘‘The time has come to close
the book on infectious diseases.’’ Wie
fatal diese Fehleinschatzung war, wird
deutlich, wenn man einen Blick auf
die Zahl der seither entdeckten Erre-
ger und die von ihnen hervorgerufenen
Infektionskrankheiten wirft. Die Zeit
nach dem ZweitenWeltkrieg, und hier
vor allem 80er Jahre, waren quantita-
tiv besonders bedeutsam (Jones et al.,
2008). Die Hepatitisviren A, C, D und
E, diverse Noroviren, die AIDS-Erre-
ger HIV1 und 2, die Coronaviren
SARS-CoV und MERS-CoV, aber
auch Borrelia burgdorferi und Helico-
bacter pylori seien hier als Beispiele fur
eine Entwicklung genannt, deren Ende
heute noch nicht abzusehen ist. Wie
sehr die Pravention der rasanten Aus-
breitung wichtiger Infektionserreger
hinterherhinkt, zeigt ein Blick auf das
Impfstoffangebot: Lediglich einer die-
ser Erreger, dasHepatitis A-Virus, kann
derzeit mit Hilfe einer kommerziell
erhaltlichen Vakzine bekampft werden.
Will man sich einen Uberblick uber
die derzeitige Situation verschaffen,
lohnt ein Blick in die Daten, die das
Robert Koch-Institut in seinem ‚Epi-
demiologischen Bulletin‘ Woche fur
Woche sowie in den ‚Infektiologi-
schen Jahrbuchern‘ einmal jahrlich
publiziert. Dass diese beiden Zahlen-
werke bis vor kurzem noch recht un-
vollstandig waren, lag an dem ziem-
lich in die Jahre gekommenen Infek-
tionsschutzgesetz, das nicht einmal
die Meldung aller impfpraventablen
Krankheiten vorsah. Glucklicherwei-
se konnte dieser Missstand mit der
Novellierung vom 7. August 2013
beseitigt werden; denn seitdem sind
auch Mumps, Pertussis, Roteln und
Varizellen meldepflichtig (o.A.
Infektionsschutzgesetz 2013). Damit
kann – sicher nach einer gewissen
‚Eingewohnungsphase‘ – ein realitats-
naher Eindruck des Infektionsgesche-
hens in Deutschland gewonnen und der
Erfolg (oder Misserfolg) der verschie-
denen Praventionsbemuhungen beur-
teilt werden.
Betrachtet man die Entwicklung der
meldepflichtigen Infektionskrankhei-
ten wahrend der vergangenen zehn
Jahre, so werden einige wichtige
Trends deutlich:
�
Der drastische Ruckgang der Fall-zahlen bei den Virushepatitiden A
und B von 1.925 bzw. 1.247 Fallen
im Jahre 2004 auf 776 bzw. 687
Falle im Jahre 2013.
�
Die von 2004 bis 2013 moderateReduktion der Hepatitis C-Fallzahl
(von 8.882 auf 5.124) und der Tu-
berkulosefalle (6.541 bzw. 4.250),
2.e1
Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
2
allerdings mit einem seit drei Jahren
anhaltenden Plateau.
�
Die fast exponentiell zu nennendeZunahme der Masernfalle in mehre-
renWellen von 124 im Jahr 2004 auf
1.775 im Jahr 2013 und der ebenso
starke Anstieg bei der Hepatitis E
(erstmals 2005 mit 54 Fallen ge-
listet, 2013 mit 459 Fallen), der
vermutlich nicht allein der Inzi-
denzzunahme, sondern auch dem
sicher verbesserten ‚Bekanntheits-
grad‘ der Erkrankung geschuldet
sein durfte.
Nicht abschließend bewertet bzw. zu-
verlassig prognostiziert werden kann
die Situation bei der Influenza, denn
hier hat es in den letzten Jahren
mehrere, zum Teil gegenlaufige
Trends gegeben, die an dieser Stelle
nicht ausfuhrlich erortert werden kon-
nen. Erinnert sei nur an die im Welt-
maßstab langsam ansteigende Zahl an
humanen Fallen bei den aviaren Erre-
Tabelle 1: Empfehlungen der Standigen Impfk2013, o.A.).
Krankheit Chemo-prophylax
CholeraDiphtherie xFSMEGelbfieberHiB xHepatitis AHepatitis BHPVInfluenzaMasernMeningokokken-Krankheiten
(A, C, W135, Y)x
MumpsPertussis xPneumokokken-KrankheitenPoliomyelitisRotavirus-KrankheitenRotelnTetanusTollwutTyphusVarizellen
.e2
gern H5N1 (seit 1997) und H7N9 (seit
2013), die in Deutschland keine ent-
sprechende Entwicklung ausgelost ha-
ben wie auch an die H1N1-Welle der
Jahre 2009/2010, die uns allen noch
unter dem Namen ‚Schweinegrippe‘
im Gedachtnis geblieben sein durfte.
An spezifischen Maßnahmen zur Be-
kampfung von Infektionskrankheiten
stehen allgemein-praventiv wie ar-
beitsmedizinisch-praventiv drei Me-
thoden zur Verfugung:
�
om
e
technische (z.B. Desinfektionsmaß-
nahmen, Einsatz ‚sicherer‘ Instru-
mente, die Verletzungen mit mogli-
chen Blutkontakten nahezu aus-
schließen, fachgerechte Entsorgung
infektioser Abfalle),
�
organisatorische (z.B. Impfkampag-nen, gezielteAnsprache durch Infek-
tionen gefahrdeter Bevolkerungs-
gruppen wie z.B. Asylbewerber aus
Endemiegebieten, fachgerechte
mission (STIKO) zur spezifischen Prophylaxe (n
Immunglobulin-prophylaxe
Standard-ImpfungSauglinge/Kinder
S/K
Sxx S/K
Madchen 12-17J.
x S/KS/K
S/KS/KS/KS/KSS/K
x S/Kx
x S/K
Aufstellung des Personals bei opera-
tiven Eingriffen) und
�
personliche wie z.B.& das Tragen von Handschuhen,
Mund- oder Augenschutz zur
Infektionsvermeidung,
& die Gabe von Immunglobulinen/
Antiseren pra- oder
postexpositionell,
& die Chemoprophylaxe/Chemo-
pravention – ebenfalls pra- oder
postexpositionell und
& als effektivstes Verfahren bei
impfpraventablen Erregern die
Schutzimpfung – meist pra-, in
einigen Fallen aber auch
postexpositionell.
ac
Fur die drei letztgenannten Bereiche
ist in Deutschland die Standige Impf-
kommission am Robert Koch-Institut
zustandig, die regelmaßig einmal im
Jahr ihre Empfehlungen zur spezifi-
schen Prophylaxe publiziert und daru-
ber hinaus aus gegebenem Anlass
h Daten aus Empfehlungen der STIKO
Standard-ImpfungErwachsene,Senioren
Indikations-impfung
xE, Se
xxxxxx
Se xxx
xE, SeSe x
x
xE, Se x
xxx
Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
weitere Empfehlungen veroffentlicht.
In Tabelle 1 sind die Krankheiten
zusammengefasst, bei denen die Im-
munprophylaxe/Chemoprophylaxe
derzeit empfohlen wird.
Die Empfehlungen der STIKO betref-
fen allerdings nur in Deutschland zu-
gelassene Impfstoffe, so dass im Welt-
maßstab noch einige (wenige) weitere
Infektionskrankheiten mit berucksich-
tigt werdenmussen, will man imgloba-
lenMaßstab argumentieren. Zu nennen
sind an dieser Stelle Q-Fieber-, Lepto-
spiren-, Junin-Fieber-, Tularamie- und
Pestvakzinen, derenBedeutung aber als
z.T. sehr begrenzt einzustufen ist.Daru-
ber hinaus wird in Deutschland derzeit
noch uber Empfehlungen zu neuen
Impfstoffen gegen Meningokokken-
B-Krankheiten und zum Schutz vor
der Japan-Enzephalitis diskutiert.
Schließlich gibt es von Seiten der deut-
schen und der osterreichischen AIDS-
Gesellschaft (u.a. unter Mitwirkung
des Robert Koch-Instituts) Deutsch-€Osterreichische Empfehlungen zur
HIV-Prophylaxe (o.A. Infektionssc-
hutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl.
I S. 1045), zuletzt geandert 2013).
Damit kann festgestellt werden, dass
bei einer Reihe wichtiger Infektions-
krankheiten technische, organisatori-
sche und personliche Schutzmaßnah-
men existieren. Auf der anderen Seite
besteht bei den weltweit zahlenmaßig
wichtigsten Infektionskrankheiten –
Malaria und Tuberkulose – sowie bei
derHepatitis C noch keineAussicht auf
eine erfolgreiche Kontrolle, was auch
aus deutscher Perspektive zu bedauern
ist; denn die Tuberkulose und die He-
patitis C spielen hierzulande eine
wichtige Rolle und die Malaria ist aus
reisemedizinischer Sicht als ‚Import-
krankheit‘ vonBedeutung.Als Erfolgs-
geschichte der vergangenen Dekade
darf aber immerhin die Ausrottung
der Wildtiertollwut in Deutschland
und seinen Nachbarlandern gelten.
Der Autor gibt als Gegenstand eines mogli-chen Interessenkonflikts vereinzelt vonPharmaunternehmen refinanzierte Vortrage(GSK, SPMSD, Takeda) an, die sich aufweniger als einen pro Jahr beschranken.
http://dx.doi.org/10.1016/j.phf.2014.07.010
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.Friedrich HofmannBergische Universitat WuppertalFachbereich D – SicherheitstechnikLehrstuhl fur Arbeitsphysiologie,Arbeitsmedizin und InfektionsschutzGaußstraße 2042119 Wuppertalfhofmann@uni-wuppertal.de
at
JonesKE, PatelN, LevyM, StoreygardA, BalkD,Stand: August 2013. Epidem Bull 2013;34:
313–44.
o.A. Deutsch-€Osterreichische Leitlinie Post-
expositionelle Prophylaxe der HIV-Infektion.
Liter ur
Gittleman J, et al. Global trends in emerging
infectious diseases. Nature 2008;451:990–3.
http://dx.doi.org/10.1038/nature06536. pmid:
18288193.
o.A.. Empfehlung der Standigen Impfkommis-
sion (STIKO) am Robert Koch-Institut/
o.A. Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000
(BGBl. I S. 1045), zuletzt geandert durch
Artikel 2 Absatz 36 u. Artikel 4, Absatz 21
des Gesetzes vom 7. August 2013.(BGBl. I
S.;1; 3154).
2013.
2.e3
Public Health Forum 22 Heft 84 (2014)http://journals.elsevier.de/pubhef
Einleitung
Wahrend der letzten beiden Jahrhunderte sind Hunderte von Infektionserregern entdeckt worden. Die epidemiologische
Situation hinsichtlich der wichtigsten Infektionskrankheiten in Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren ent-
scheidend geandert. Einem signifikanten Abfall der Hepatitis A- und B-Inzidenz steht die moderate Reduktion bei der
Hepatitis C und der Tuberkulose gegenuber, wahrendMasern und Hepatitis E erheblich an Bedeutung gewonnen haben. In
dieser Arbeit werden Public Health-Maßnahmen zur Kontrolle von Infektionskrankheiten vor dem Hintergrund der
Empfehlungen der Standigen Impfkommission am Robert Koch-Institut diskutiert.
Abstract:
During the last two centuries hundreds of infectious agents have been discovered. The epidemiological situation of the
most important infectious diseases in Germany has changed significantly during the last ten years. A sharp decrease has
been observed concerning Hepatitis A- and B-incidence and a moderate one in Hepatitis C and tuberculosis frequency,
whereas measles and Hepatitis E-incidence showed a dramatic increase. In this article public health measures – e.g.
chemoprophylaxis and vaccinations – for the control of infectious diseases are discussed using the recommendations of the
permanent commission on vaccinations at the German Robert Koch Institute.
Schlusselworter:
Impfung = vaccination, Chemoprophylaxe = chemoprophylaxis, Postexpositionsprophylaxe = post-exposure-prophylaxis,
Immunglobulin = immunoglobuline
2.e4
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