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2. Unterstützerkreis-Bericht Nina Manke „Sociedad de Beneficencia – Villa Huidif“ Balmaceda 6030, Collico 5090000 Valdivia Entsendeorganisation: IN VIA Köln 10.04.2016 „Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut.“ (Aristoteles) Mit diesen Worten beginne ich diesmal meinen zweiten Unterstützerkreisbericht, in welchem ich euch einen Überblick über das vergangene, mittlerweile schon mehr als ein halbes Jahr geben möchte. Es wird darum gehen euch einen kleinen Einblick in mein Leben hier zu geben, darum welche Rolle ich hier in meinem Projekt spiele und noch einige allgemeine Informationen zu meinem Projekt und Gastland. Zu Anfang möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass all meine Erlebnisse sehr subjektiv sind, jeder in der gleichen Umgebung, zur gleichen Zeit, andere Erlebnisse und Empfindungen machen kann und es immer mehrere Wahrheiten gibt. Dies bitte ich beim Lesen des Unterstützerkreisberichtes zu berücksichtigen. Ich freue mich meine 1

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2. Unterstützerkreis-Bericht Nina Manke

„Sociedad de Beneficencia – Villa Huidif“Balmaceda 6030, Collico

5090000 ValdiviaEntsendeorganisation: IN VIA Köln

10.04.2016

„Was man lernen muss, um es zu tun, das lernt man, indem man es tut.“ (Aristoteles)

Mit diesen Worten beginne ich diesmal meinen zweiten Unterstützerkreisbericht, in welchem ich euch einen Überblick über das vergangene, mittlerweile schon mehr als ein halbes Jahr geben möchte. Es wird darum gehen euch einen kleinen Einblick in mein Leben hier zu geben, darum welche Rolle ich hier in meinem Projekt spiele und noch einige allgemeine Informationen zu meinem Projekt und Gastland.

Zu Anfang möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass all meine Erlebnisse sehr subjektiv sind, jeder in der gleichen Umgebung, zur gleichen Zeit, andere Erlebnisse und Empfindungen machen kann und es immer mehrere Wahrheiten gibt. Dies bitte ich beim Lesen des Unterstützerkreisberichtes zu berücksichtigen. Ich freue mich meine Erfahrungen mit euch teilen zu können, aber bitte auch darum Geschildertes und besonders verallgemeinerte Schilderungen kritisch zu hinterfragen.

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Heute, am 07.05.2016, sind bereits 8 ½ Monate meines Freiwilligendienstes in Valdivia vergangenen. Für mich fühlt es sich an als würde die Zeit 100 Mal schneller vergehen, als Zeit jemals in meinem Leben vergangen ist. Jedes Mal wenn ich auf das Datum gucke frage ich mich „Wie? Schon wieder ein Monat vergangen?“ und im nächsten Augenblick wird mir klar, dass ich für mich ein neues zu Hause gefunden habe, indem ich mich so wohl fühle, dass ich nicht einmal merke, wie schnell die Zeit vergeht. Was möchte ich euch damit sagen? Seit meinem letzten UK-Bericht hat sich also an meiner Stimmung nichts ins Negative verändert, ich bin sehr glücklich mit meinem Leben hier in Valdivia, meinem Projekt und den wundervollen Menschen, die ich hier kennen und lieben gelernt habe.

Erst einmal möchte ich mit den allgemeinen Dingen des Lebens anfangen.

Die Sprache

Im letzten Bericht habe ich von meinen anfänglichen Schwierigkeiten mit der Sprache berichtet und meinen ersten Monaten hier vor Ort. Wenn ich heute über den ersten Bericht lese und von meinen sprachlichen Schwierigkeiten lese muss ich glatt ein bisschen grinsenJa, der Anfang war sprachlich für mich persönlich nicht gerade einfach, besonders mit dem Verstehen der Mädchen hatte ich ein großes Problem. Wenn ich jetzt nachdenke, kann ich gar nicht genau sagen wann sich dieses „Problem“ erledigt hat, aber relativ schnell nach dem ersten Bericht ging es dann sehr schnell. Verstehen war auf einmal gar kein Problem mehr, Sprechen ging immer besser und gefühlt wacht man dann irgendwann auf und es funktioniert einfach. Nach und nach wurde mir dann klar, dass sich mein Spanisch wirklich verbessert hat und Kommunikation kein Hindernis mehr ist. Heute, nach 7 Monaten, kann ich für mich behaupten, dass mein Spanisch wirklich gut geworden ist, ich brauche nicht mehr beim Sprechen nachdenken, habe keine Angst mehr davor beim Sprechen doch Fehler zu machen (Verstanden wird man halt eben trotzdem). Und so ergibt es sich, dass Gespräche mit all den Leuten denen ich begegne eben nicht mehr nur aus oberflächlichen Unterhaltungen bestehen, ich kann tiefergehende Unterhaltungen führen und das hilft wirklich sehr dabei das Land, Menschen und das Projekt noch einmal viel, viel besser kennenzulernen. Gut, ich möchte nicht lügen – „Perfekt“ möchte ich zu meinem Spanisch immer noch nicht sagen, ich mache noch genug Fehler und natürlich lerne ich immer noch hier und da Wörter dazu, aber dies geht mittlerweile sehr unterbewusst und ja, ein wenig stolz bin ich schon, wenn ich von der Frau in der Apotheke erst nach 5 Minuten Unterhaltung gefragt werde „Ach, du bist gar keine Chilenin? Wäre mir jetzt nicht aufgefallen hättest du es nicht gesagt.“ Und hier findet sich der erste und einer der wichtigsten Punkte wieder zudem das Zitat des Anfangs wiederfindet; „Was man lernen muss, um es zu tun, dass lernt man, indem man es tut“.

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An dieser Stelle einen kleinen Einblick in das chilenische Spanisch und die am meisten genutzten Chilenismen;

Huevón/ Wueón – je nach Tonfall und Kontext freundschaftlich ("Kumpel", "Alter") bis bösartig ("Idiot") gemeint; oft Vertraulichkeit anzeigendes Anhängsel am Satzende unter der Jugend Chiles

Bacán ! – Toll, cool, klasse..

Bueno – O.K (Dabei muss man beachten das „Bueeeeeeeeeeno“ in jeder Lebenslage und auf eigentlich alles verwendet werden kann und man „Bueno“ immer durch die Analyse der Tonlage interpretieren muss :D)

Pololo/polola – der feste Freund/die feste Freundin und ein fester Bestandteil jedes Small-Talks.

Nanai – Süß !

Zudem wird die Endung bei Verben der Du-Form „-as“ gerne und eigentlich meistens durch „-ai“ ersetzt, so wird aus „Como estas?“ eben „Como estai?“. Was ich jedoch am allerliebsten am chilenischen Spanisch finde ist dass man an gefühlt alles die Endung „-po“ hängen kann – Erst nach einigen Monaten wird einem jedoch klar, dass es eigentlich unausgesprochene Regeln gibt wann und wie, an welchem Wort oder Satz ein „po“ angebracht ist. Aus einem einfachen „Si“ (ja) wird dann also oft ein „Si po“. Und natürlich kann man sich mit einem rhetorischen „Cachai?“ (Kapierst du?) auch zu jeder Zeit versichern, dass der Gesprächspartner wirklich verstanden hat was man ihm gerade erzählen möchte.

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Weihnachten und Silvester & ein Zwischenseminar

Seit dem letzten Bericht Ende September ist viel Zeit vergangen. Weihnachten, Neujahr, die Ferienzeit der Mädchen, ein Urlaub im Süden Chiles, das Zwischenseminar… Und das sind nur die großen Ereignisse. Viele davon habe ich bereits in meinem Blog beschrieben und möchte nicht noch einmal auf alles ausführlich eingehen, aber für die Menschen, welche nicht jeden meiner Blogeinträge mitlesen möchte ich doch noch einmal einen groben Überblick geben.

Wir machen nach September einen großen Sprung weiter zu Weihnachten. Für mich das erste Mal Weihnachten im Sommer und das erste Weihnachten ohne die Familie (oder eher gesagt; Mit einer komplett anderen „Familie“). Ein sehr anderes Ereignis, bei dem ich mir besonders eine Sache in Erinnerung rufen konnte; Bei diesem Fest geht es nicht um Materielles, es geht um das Zusammensein und die Gemeinschaft. So habe ich mich, trotz diverser privaten Einladungen, dafür entschieden das Weihnachtsfest im Heim zu verbringen und das war gut so. Viele der Mädchen haben sich ebenfalls dafür entschieden im Heim zu bleiben. Am 24. Dezember ging es also erst einmal mittags mit den Mädchen, welche dort waren, Richtung Stadt. Julika und ich konnten es uns nicht nehmen lassen mit dem Mädchen ein Eis in der Stadt essen zu gehen. Abends haben wir dann alle zusammen das Essen vorbereitet, uns ausreichend Zeit zum Essen, miteinander sprechen, lachen und Spaß haben genommen. Natürlich gab es für die Mädchen um 24 Uhr auch kleine Geschenke, jedoch habe ich an dem Tag wirklich wahrgenommen, dass es hier für viele viel mehr bedeutete den Tag mit ihren „Schwestern“, „Freundinnen“ und „Tias“ zu verbringen, als der materielle Aspekt um 24 Uhr.

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Den zweiten Weihnachtsfeiertag haben wir dann mit einigen der Mädchen dafür genutzt einen schon lange im Raum stehenden Wunsch zu erfüllen – So streichen wir mit vielen Händen, einer Menge Spaß den ganzen Tag lang die kleine Hütte die den Mädchen als „Raucherzone“ dient…

Silvester konnte ich es mir dann doch nicht nehmen lassen die Einladung meiner Arbeitskollegin und guten Freundin anzunehmen. Ich möchte hier auf einen kleinen kulturellen Unterschied anspielen; Silvester hier in Chile wird in vielen Familien erst einmal im Kreise der Familie gefeiert und erst spät nach Mitternacht spalten sich die Familien um mit Freunden feiern zu gehen. Mein persönliches Empfinden ist, dass „Familienfeiern“ in Deutschland sehr viel geschlossener sind als hier in Chile. So hatte ich erst ein seltsames Gefühl zu einer Familienfeier zu fahren, wo wirklich nur Familie anwesend ist und dort niemanden zu kennen. Mir gingen Gedanken durch den Kopf ob ich nicht doch irgendwie ein Störfaktor sein werde, da ich ja nicht zur Familie gehöre und bis dahin die Familie von ihr auch noch nicht kannte. Dort angekommen, nachdem ich alle mit dem üblichen Wangenküsschen begrüßt hatte, vielen meine Zweifel schneller von mir ab als ich dachte. Von der ersten Minute fühlte ich mich wie ein Teil der Familie. In Deutschland hätte ich vermutlich abgesagt und den Kreis der Familie nicht stören wollen. So verbrachte ich Silvester in einer wunderbaren chilenischen Familie und NATÜRLICH; mit einem echten, chilenischen Asado. Um 24 Uhr durfte ich dann einen der chilenischen Bräuche zu Silvester kennenlernen; Um 24 Uhr bloß nicht mit den Füßen auf den Boden stehen, so werde ich um 23:59 Uhr also hysterisch auf eine der Bänke gezogen, damit ich auch bloß kein Pech im Jahr 2016 habe !

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Im Februar ging es dann mit Vorfreude auf die lange Reise mit dem Bus Richtung Buenos Aires zum Zwischenseminar. Nach 4 wundervollen Tagen mit IN-VIA Freiwilligen aus Argentinien in einer

Wohnung in Buenos Aires selber ging es dann los mit dem Zwischenseminar. Zu Anfang ein komisches Gefühl all die Menschen wiederzusehen, mit welchen ich mich vor knapp einem halben

Jahr auf genau die Zeit, die wir gerade erleben, vorbereitet habe. Aber schon nach wenigen Minuten ist es als wäre das letzte Vorbereitungsseminar erst gestern gewesen. So verbringen wir tagsüber die

Zeit mit Einheiten zu Themen wie „kollegialer Fallberatung“, „Selbstfürsorge“ (ein für mich sehr wichtiges Thema), „Rückblick über die vergangene Zeit“ und vielem mehr. Während wir abends die

Tage gemütlich ausklingen lassen, bei langen Gesprächen welche sich alle dann doch um den Austausch des Erlebten drehten, und den Raum haben alles mit Menschen zu besprechen, die gerade momentan genau Dasselbe oder Ähnliche erleben. So blieb die Möglichkeit noch einmal Kraft für das

nächste halbe Jahr zu tanken und Geschehenes zu verarbeiten, zu überdenken und eventuell auch kritisch zu hinterfragen.

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Arbeit und Wohnen in der Villa Huidif

Nun möchte ich jedoch auf eins der wichtigsten Themen eingehen und euch einen kleinen Überblick darüber geben, welche Rolle ich hier eigentlich in meinem Projekt spiele, wo drum sich meine Arbeit hier dreht und was ich hier eigentlich mache. Dafür möchte ich noch einmal kurz genauer auf mein Projekt eingehen;

Die Villa Huidif – Sociedad de Beneficencia Hogar del Nino, ist ein spezialisiertes Mädchenheim mit der Aufgabe Schutz zu bieten und Intervention zu leisten. Ein Haus, welches auf die Unterbringung von insgesamt 20 Mädchen im Alter von 12 bis (eigentlich) 18 Jahren ausgelegt ist. Momentan leben in der Villa Huidif 16 Mädchen im Alter von 13 bis 21 Jahren, zusätzliche 2 werden noch durch die Sozialarbeiter des Heimes begleitet, leben jedoch wieder in ihren Familien. Betreut werden die hier lebenden Jugendlichen von insgesamt 5 „Tias“ (Erzieherinnen), welche im Schichtdienst arbeiten, welcher wie folgt aussieht; Von Montags bis Freitags arbeitet jeweils eine Tia morgens von 8 Uhr bis 16 Uhr, zwei von 16 Uhr bis 23 Uhr und eine in der Nacht. Damit die Mädchen eine Konstante in ihrem Leben haben, arbeiten tagsüber immer die gleichen drei Tias im Wechsel der Dienste und die Nachtdienste teilen sich die anderen beiden Tias. Samstags arbeitet jeweils eine Tia morgens und eine nachmittags, während die dritte Sonntags den Dienst von 8 Uhr bis 18 Uhr alleine übernimmt bis die Nacht-Tia Sonntagsabends um 18 Uhr eintrifft. Desweitern arbeiten in der Villa Huidif zwei Köchinnen, die eine arbeitet von Montags bis Samstag, während die andere die Sonntage übernimmt und eine Tia welche für die Hausarbeiten zuständig ist. Viele der Tias arbeiten schon seit vielen Jahren hier im Heim, sodass wir immer wieder die Möglichkeit dazu haben uns witzige, spannende, traurige oder auch schockierende Anekdoten aus der Vergangenheit anzuhören. Zu den Tias, welche im täglichen direkten Kontakt zu den Mädchen stehen, kommt noch eine handvoll weiterer Mitarbeiter; der Heimleiter, zwei Sozialarbeiterinnen, eine Psychologin und eine Sonderpädagogin.

Meine Arbeit im Heim besteht aus einer Mischung der Tias, welche im täglichen Kontakt mit den Mädels stehen, und der handvoll Menschen, welche oben im Büro arbeiten. Bei 16 Mädchen stehen täglich Arzttermine, Termine mit Psychologen oder diversen Programmen des „Jugendamts“ an. Da der Großteil der Mädchen noch Minderjährig ist benötigen sie zu all den Terminen eine Begleitung, ebenfalls die Volljährigen werden begleitet um ihnen langsam näher zu bringen die Termine in Zukunft alleine wahrnehmen zu können. Um den Tias die Arbeit abzunehmen begleite ich die Mädchen zu ihren Terminen, wobei ich oft eine vermittelnde Rolle zwischen dem Heim und den Programmen darstelle und mittlerweile auch wichtige Informationen der Mädchen mit den jeweiligen Programmen bespreche, damit die Programme individuell auf die Mädchen und ihre momentane Lebenslage eingehen können. Desweitern fallen Elternabende in Schulen an, bei denen ich die Mädchen als „Erziehungsberechtigter“ vertrete, Gespräche während der Schulzeit mit Lehrern. Die Koordination, Vereinbarung und Wahrnehmung der Termine der Mädchen liegt also mittlerweile in meiner Hand und oft ist es eine kleine Herausforderung, dass keiner der vielen Termine vergessen wird.

Die anfängliche Herausforderung für mich des Ärzte-Spanischs, des Systems im Krankenhaus und Consultorio, sind mittlerweile für mich zum Alltag geworden und ich glaube ich würde mich mittlerweile im Schlaf im Krankenhaus zurecht finden. Auf der anderen Seite stellen sich auch immer noch wieder neue Herausforderungen für mich dar, wie zum Beispiel diesen Monat die Begleitung eines Mädchens auf eine Beerdigung. So kommen neben den üblichen Aufgaben auch immer mal wieder Aufgaben hinzu, welche mich im ersten Moment ein wenig überfordern und den geplanten Zeitplan aus der Bahn werfen und den Alltag an manchen Tagen etwas stressig machen. Neben der Erledigung der alltäglichen Termine geht es bei meiner Arbeit besonders um die Alltagsbegleitung.

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Für die Mädchen stelle ich auf Grund des nur kleinen Altersunterschiedes etwas wie eine „große Schwester“ dar, welcher sie ihre Probleme, Sorgen und auch schönen Momente anvertrauen können. Meist verstehe ich mich mit allen der Mädchen sehr gut, jedoch gibt es gelegentlich auch kleine Konfliktsituationen oder Momente, in denen die Mädchen böse auf mich sind, da ich als „große Schwester“ trotzdem in gewisser Weise Grenzen setzen muss und einen gewissen Abstand halten muss. Der Grad zwischen einer guten Beziehung – Grenzen setzen, ein offenes Ohr haben – deutlich machen, dass es auch Dinge gibt, welche ich weiterleiten muss, Spaß haben – Respekt zeigen, stellt gelegentlich eine kleine Herausforderung für mich dar. So habe ich besonders in den letzten Monaten gelernt den Mädchen sehr deutlich zu sagen, dass sie mir vertrauen können und mir gerne Sachen anvertrauen können, sie aber auch wissen zu lassen, dass es ebenfalls Dinge gibt, welche ich an die Tias und Sozialarbeiter weitergeben muss, wenn sie mir sie erzählen und es notwendig ist, dass es weitergeleitet wird.

Die Herausforderung ist also; Beim gemeinsamen Spaß haben eine Respektperson bleiben.

Von Dezember bis März hatten die Mädchen Schulferien und auch ihre üblichen Arzttermine wurden ein wenig reduziert, sodass sie eine Menge freie Zeit hatten. Mir machte es oft den Eindruck, dass die Mädchen überhaupt nicht genau wussten, was sie mit dieser freien Zeit anfangen sollten und so lag es dann an mir ein kleines Ferienprogramm für die Mädchen auf die Beine zu stellen, Aktivitäten zu planen und ihre Freizeit sinnvoll zu gestalten. Neben Ausflügen in die Stadt, Eis essen, Filmabenden, Spieleabenden und vielem weiteren haben wir (Julika und ich) uns dann dazu entschlossen mit den Mädchen ein Wochenende campen zu fahren. Ein Wochenende in der Natur, ohne Handys und die alltäglichen Sorgen. So wurden also Zelte, Decken, Essen, Campingkocher etc. in einen Kleinbus gepackt und es ging los zu einem See. Dort haben wir drei wunderschöne Tage verbracht und konnten die Mädchen drei Tage lang ohne Streit, ohne Probleme – einfach glücklich erleben. Die drei Monate, welche die Mädchen Ferien hatten, habe ich sehr viel Zeit im Heim verbracht, sowohl unter der Woche – als auch am Wochenende, und mein Kontakt zu den Mädchen ist sehr eng und ausgeprägt.

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Es ist sehr schön zu wissen, dass die Mädchen Vertrauen zu mir haben, auch wenn es manchmal schwierig ist, wenn sie nur mir ihre Probleme anvertrauen und ich abschätzen muss ob ich dies nun mit einer verantwortlichen Person besprechen muss oder es einfach ein Gespräch unter „Schwestern“ bleiben kann.

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In der Ferienzeit hat sich irgendwann der Wunsch einiger Mädchen entwickelt Deutsch zu lernen, so dass ich mit denen, die Lust hatten, damit angefangen habe einen kleinen Deutschkurs zu machen. Es beeindruckt mich immer wieder welche Kraft sie für die Dinge aufbringen, welche sie wirklich machen möchten und die Dankbarkeit, welche ich immer wieder von den Mädchen entgegengebracht bekomme gibt mir die Kraft, auch in den stressigen Wochen, stets ein Lächeln zu bewahren und Freude dabei zu haben, was ich mache.

In Bezug auf das Heim habe ich im letzten halben Jahr gelernt mit einer Sache umzugehen, welche mir am Anfang sehr schwer fiel: Durch das familiäre Zusammenleben, die enge Bindung die ich zu den meisten der Mädchen habe ist es mir anfangs sehr, sehr schwer gefallen wenn eins der Mädchen das Heim (meist auf Grund eines Wechsels in eine andere Einrichtung) verlassen hat. Jedoch habe ich mittlerweile gelernt, dass der Wechsel hier zu unserem normalen Alltag gehört, es vergeht kaum ein Monat wo nicht ein Mädchen neu hinzu kommt oder geht. So kommt es, dass sich die Konstellationen unter der Mädchen stetig verändert und sehr selten Ruhe ins Heim einkehrt. Zugegeben, zwischendurch fällt es mir trotzdem noch sehr schwer wenn ein Mädchen die Einrichtung verlassen muss / oder freiwillig verlässt und so erinnere ich mich gerne an die Mädchen, welche schon gegangen sind, zurück und frage mich wie es ihnen jetzt ergehen mag.

Eine weitere Sache, welche besonders meine letzten Monate hier sehr stressig gemacht hat, war der Wechsel der Mitarbeiter. Die Tias, welche mit den Mädchen im engen Kontakt arbeiten sind bestehen geblieben, welches sehr wichtig für die Mädchen ist. Jedoch hat sich besonders im Team der Sozialarbeiter und Psychologen in den letzten 7 Monaten viel getan. Von dem Team, mit welchem ich im August angefangen habe, bestehen momentan nur noch zwei Personen und die anderen Positionen standen teilweise längere Zeit unbesetzt da, sodass viele Termine, welche sonst von anderen Personen erledigt werden, von mir erledigt wurden. Langsam kehrt wieder Ruhe in den Wechsel ein und das Team ist wieder vollständig, aber der ausgiebige Wechsel der Mitarbeiter spiegelt sich natürlich auch im Verhalten der Mädchen wieder – sodass teilweise unruhige Tage hinter uns liegen. Und so durfte ich in den letzten Monaten auch die teilweise nicht so schönen Momente in der Heimarbeit kennenlernen. Jedoch bin ich froh für jede einzelne Erfahrung, die ich hier machen darf.

So ist es für mich immer noch sehr interessant den stetig wechselnden Heimalltag mitzuerleben, für Probleme Lösungsansätze mit zu entwickeln, mit den Mädchen in sehr engen Kontakt zusammen zu arbeiten und gleichzeitig Teil eines Teams zu sein, welches alles daran setzt den hier lebenden Mädchen nur das Beste bieten zu können.

So kann ich nach der Hälfte der Zeit schon sagen, dass dieses Jahr mir dabei geholfen hat mich noch einmal zu versichern, dass mein schon lange bestehender Wunsch Soziale Arbeit studieren zu wollen, genau das Richtige für mich ist und die Arbeit mich, trotz schwieriger Momente, vollkommen glücklich macht.

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Freundschaften und Freizeit

Neben dem Arbeitsaspekt hier in meinem Projekt geht natürlich auch das Leben in Bezug auf Freundschaften und Freizeit weiter. Nach dem halben Jahr hat sich ein fester Freundeskreis entwickelt mit denen ich meine Freizeit verbringe. Auf der einen Seite gibt es dort zwei meiner Arbeitskollegen, mit welchen ich gerne meine Wochenende und Abende verbringe und auf der anderen Seite ein kleiner Kreis von chilenischen Studenten. So sind Ausflüge an den Strand, Spaziergänge am Fluss oder eben einfach mal Essen gehen mein Ausgleich zum hektischen Heimalltag geworden. Auf der anderen Seite habe ich mit Johanna (eine deutsche Freiwillige, welche in Valdivia bei TECHO para Chile arbeitet) das kleine Ritual entwickelt, dass wir mit Sicherheit 2 Mal die Woche in ihrer Mittagspause, wenn ich gerade keine Termine habe, in unserem neuen Lieblingscafé einen richtigen, echten Kaffee (kein Nestcafé-Kaffeepulver, wie in Chile häufig üblich) trinken gehen. So findet sich bei Langeweile und Unternehmungslust immer jemand der Freunde, welche gerade Lust haben etwas zu unternehmen. Ich genieße es jedoch auch, vor allem sonntags, meinen freien Tag einfach im Heim zu verbringen, mit den 15 kleinen Schwestern den Nachmittag fern zu sehen, Kastanien zu sammeln oder eben mit den Ersatz-Mamas (Tias) in der Küche zu sitzen, Tee zu trinken und über das Leben zu quatschen.

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Um ein Land kennenzulernen gibt es viele verschiedene Arten. Natürlich gehört auf der einen Seite das Reisen dazu. Im März habe ich zwei beeindruckende Wochen mit einer Freundin die Möglichkeit gehabt die Insel Chiloe und den Süden Chile’s kennenzulernen. Von der Zeit haben wir unter anderem 4 Tage im Nationalpark „Torres del Paine“ verbracht und ich habe selten eine beeindruckendere Natur gesehen und beim Wandern konnten Rabea und ich dann noch einmal an unsere Grenzen gehen . Neben dem zwei Wochenurlaub mit Rabea nutzen wir das Wochenende öfter einmal um die Gegend rund um Valdivia kennen zu lernen und auch nach 7 Monaten findet man immer noch ein Ausflugsziel und im Mai geht es noch einmal in den Norden Chiles und das Nachbarland Peru. Allerdings möchte ich meinen Unterstützerkreisbericht nicht dazu nutzen euch von meinem Urlaub zu erzählen, denn dazu findet ihr ausführliche Berichte auf meinem Blog.

Auf der anderen Seite kann man ein Land nur wirklich kennenlernen, wenn man vor Ort mit den Menschen, der Kultur, den Bräuchen, Regeln und Normen in Kontakt kommt und Unklares hinterfragt. Die ersten Monate erschien mir alles neu, vieles ähnlich oder gleich zu Deutschland. Die ersten Monate habe ich beobachtet, kennengelernt, mir erzählen lassen – aber habe selten hinterfragt. Wenn es jedoch nach einigen Monaten mit der Sprache funktioniert und man Menschen und Kultur genauer kennengelernt hat, beginnt man nachzudenken. So sind mir nach einigen Monaten viele Fragezeichen zum Land Chile entstanden. Gewohnheiten, Eigenheiten welche in meinem Kopf einfach keinen Sinn ergeben haben, mich schockierten oder ich nicht verstehen konnte. In den letzten Monaten verbringe ich somit also viel Zeit damit, vor allem im Heim mit den Tia’s, die Situation Chiles besser kennen zu lernen, zu hinterfragen und zu verstehen. So möchte ich euch auch gerne die Möglichkeit geben zu verstehen was genau ich zum Beispiel meine;

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Das chilenische Gesundheitssystem;

Als ich die ersten Male bei Terminen im Krankenhaus mit den Mädchen war habe ich jedes Mal gedacht „Mensch – Toll! Hier geht man zum Arzt, kriegt ein Rezept, geht zur Apotheke im Krankenhaus und bekommt die Medikamente ohne nur einen einzigen Pesos (chilenische Währung) zu bezahlen!“. Nun gut, wenn man dann die rosa-rote Brille abnimmt und das chilenische Gesundheitssystem ein wenig kennen lernt, wird einem bald eins klar: Das Gesundheitssystem in Chile stellt für viele Menschen immer noch ein großes Problem und ich manchem Fällen eine lebensgefährliche Bedrohung dar.

Für die Menschen, welche sich ein wenig dafür interessieren möchte ich gerne genauer darauf eingehen was ich meine und euch das Problem des chilenischen Gesundheitssystems näher bringen.

Momentan gibt es in Chile zwei parallel laufende Gesundheitsmodelle.

FONASA; Eine öffentliche Krankenversicherung, sogenannten Nationalen Gesundheitsfond, welche aus einem Beitragssatz von 7 Prozent des Gehalts und allgemeinen Steuern finanziert wird. Durch diese sind ebenfalls Bedürftige, Arbeitslose und Lohnempfänger, sowie deren Familie abgesichert. Doch schon im System FONASA wird ein sozialer Unterschied gemacht; Versicherte müssen je nach Einkommenshöhe Zuzahlungen leisten. Die Zuzahlungen werden zwar anhand des Einkommens berechnet, jedoch sind die Summen der Zuzahlungen meist so berechnet, dass sie für viele Menschen ein großes Problem darstellen. Hier spielt hinzu, dass die meisten Berufe in Chile nur mit dem festgelegten Mindesteinkommen vergütet werden – sprich; 225000 CLP/ ca. 300 Euro bei 45 Stunden/Woche oder mehr. Das Einkommen reicht also meist genau dafür die Familie, Kinder, Eltern, Enkel und Großeltern zu versorgen und es bleibt kein Spielraum mehr dafür da Zuzahlungen für medizinische Versorgung zu leisten.

ISAPRES; Auf der anderen Seite gibt es Einrichtungen zur Gesundheitsvorsorge, private und gewinnorientierte Versicherungsgesellschaften, deren Beitragshöhe von Faktoren wie Geschlecht, Alter, Vorerkrankungen und natürlich Einkommen abhängt. Menschen mit einem niedrigen Krankheitsrisiko werden also gerne „günstig“ versichert.

Zwischen den beiden Gesundheitsmodellen besteht ein freies Wahlrecht. Jedoch führt dieses System dazu, dass nur Zahlungskräftige das ‚Recht‘ auf Zugang geboten wird. Die große Spaltung im Gesundheitssystem liegt dem zufolge darin, dass die privaten Versicherer alle Personen für sich gewinnt, aus denen sie einen wirtschaftlichen Gewinn ziehen können (sprich; bevorzugt junge und gesunde Männer) und gleichzeitig versuchen sie Personengruppen auszuschließen, welche größere Kosten verursachen (sprich besonders Alte, Kranke oder Frauen). 90 Prozent der ISAPRES-Versicherten haben ein Einkommen welches über dem Landesdurchschnitt liegt, während 51 Prozent der FONASA-Versicherten ein Einkommen von weniger als ca. 300 Euro hat.

Die kaum nachvollziehende Verteilung der Lasten und die niedrigen Staatsausgaben führen dazu, dass das öffentliche FONASA-System unter hohen Schulden leidet und ständig komplett zusammenbricht. Daraus resultieren wesentliche Qualitätsmängel wie lange Wartezeiten (meist über mehrere Monate für einen akuten Arzttermin beim Allgemeinmedizinier), Personalmangel oder unzureichender Infrastruktur. Dies alles fördert die Bereitschaft der Chilenen mit höherem Einkommen sich für eine Privatversicherung zu entscheiden um einen besseren, schnelleren und einfacheren Service im Gesundheitssystem zu bekommen.

Durch die Entwicklung des Landes und dem oftmals in der Regierung hinten-angestellten Zahlungen in das öffentliche FONASA System kommt es dazu, dass gewisse Felder in der Gesundheitsversorge vom öffentlichen System überhaupt nicht abgedeckt werden können. So muss das öffentliche

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FONASA System oftmals die Versorgung ihrer Patienten über Institutionen des privaten Systems laufen lassen. So steckt das öffentliche FONASA System viel Geld in das private Gesundheitssystem und verstärkt somit gezwungenermaßen die große Spaltung.

Am Ende bedeutet dies für einige Chilenen – Verschuldung auf Grund von Krankheit. Stehen nämlich Operationen oder Behandlungen an welche im öffentlichen Gesundheitssystem nicht abgedeckt werden können müssen sie auf private Einrichtungen umsteigen und oftmals bei den Zahlungen tief in die Tasche greifen.

So macht sich in der chilenischen Gesellschaft immer wieder Unmut über das ungerecht verteilte Gesundheitssystem breit. Natürlich konnte ich euch nur einen kleinen Überblick verschaffen, aber wer sich für das Thema genauer interessiert findet dazu im World Wide Web natürlich eine Menge Informationen.

So lernt man im Laufe des Jahres also die Themen kennen, die hier im Land einige Menschen zu beschäftigen scheinen. Unter den Themen geht es häufig um; Gesundheits- und Bildungssystem, ein immer noch währendes ‚Schichtensystem‘, Ungerechtheit gegenüber Menschen mit indigenen Vorfahren und natürlich… Naturkatastrophen.

So bin ich mir sicher, dass ich nach diesem Jahr ein absoluter Profi im Bezug auf Allgemeinwissen über Erdbeben bin. Besonders bei uns im Heim ist das Thema Erdbeben unter den Tias gerne diskutiert, natürlich folgen wir alle auf Twitter auch einem Mann, der uns vorhersagen kann wo wann welches Erdbeben stattfinden wird (ha ha !). So muss ich mir mittlerweile jedes Mal ein kleines Grinsen verkneifen wenn ich mal wieder gefragt werde ob ich auch wirklich neben meinem Bett eine volle Flasche Wasser, eine aufgeladene Taschenlampe und einen gepackten Rucksack für das nächste Erdbeben stehen habe. Oder mir jedoch von Chilenen nicht geglaubt wird dass wir in Deutschland überhaupt keine Erdbeben kennen… Bisher haben wir alle Erdbewegungen ohne Probleme überstanden, an die Panikmache dass mal wieder ein riesen Erdbeben kommen soll, welches letztendlich dann doch nicht so ist habe ich mich mittlerweile gewöhnt. So muss ich öfter über die Panikverbreitung hier grinsen, nur weil irgendwer von irgendwem etwas gehört hat. Auf der anderen Seite dürfen wir uns natürlich auch immer wieder Geschichten von dem großen Erdbeben in Valdivia von 1960 anhören, wo ich dann froh bin bisher von Erdbeben solcher Stärke verschont geblieben zu sein.

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Wenn ich jetzt am Ende des Berichtes noch einmal darüber nachdenke wie schnell die Zeit bisher vergangen ist, wie unglaublich viel ich in den vergangen Monaten erleben und vorallem auch lernen durfte, werde ich ein bisschen traurig, wenn ich daran denke, dass bald die Zeit vorbei sein wird. Eins ist mir jetzt schon bewusst; dass ich in diesem Jahr beruflich aber auch persönlich eine Menge dazu lernen durfte. Darauf in wie weit ich mich selbst und meine Ansichten verändert habe möchte ich jedoch gerne erst in dem nächsten Bericht eingehen… So schließe ich meinen zweiten Unterstützerkreis-Bericht noch einmal mit einem herzlichen Dankeschön an euch alle ab. Es ist schön zu wissen aus der Heimat einen so großen Rückhalt zu erfahren während man am anderen Ende der Welt einen Freiwilligendienst macht !

„Der, der von einer Reise zurückkehrt, ist nicht mehr derselbe, der ausgezogen ist.“

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