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Muslimische Frauen in Moscheen – zwischen Tradition und Innovation Emanzipationsprozesse: Auf der Suche nach einem eigenen intellektuellen Zugang zum Islam religiösen Observanzen, das heißt die religiöse Praxis sowie damit ver- bundene Intentionen: An die Stelle eines von unmittelbarer religiöser Erfahrung geprägten Volksislam mit Praktiken wie Gelübden, religiöser Musik und »Magie« treten Ortho- doxie und Orthopraxie, Frauen er- lernen den Lebensvollzug gemäß der Sunna, dem Vorbild des islami- schen Propheten. Zudem erschlie- ßen sich Musliminnen neue Berufs- felder und vernetzen sich interna- tional. Um den Wandel von Religion in der modernen Gesellschaft zu un- tersuchen, eignen sich muslimische Frauen offenbar besonders gut: Ihr Umgang mit der Moderne erfolgt nicht ohne Brüche, aber auch nicht ohne Reminiszenzen an Bewährtes. Dies lässt den scheinbaren begriffli- chen Antagonismus von »Religion« als landläufig konservativ und »Mo- derne« als progressiv hinterfragen. Zur theoretischen Betrachtung der beobachteten Phänomene sei auf ein Begriffsverständnis von »Traditi- on« verwiesen, das diese gleichzeitig als Erneuerung definiert. Besonders deutlich macht dies der Marburger Religionswissenschaftler Michael Pye: »Thus, while people sometimes speak of a tradition, by which they mean a more or less precisely fixed cultural element, the more in- teresting usage in the study of reli- gion is ›tradition‹ understood as the act of handing on, which implies process and movement.« /1/ Pye be- tont, dass Tradition eben nicht im Wortsinn schlicht Erhaltung fest- stehender Elemente bedeute, son- dern dass im Prozess des Tradie- rens gleichzeitig immer eine Anpas- sung an zeitspezifische Umstände erfolgt. Aus einer jeweiligen Gegen- wart heraus werden Inhalte inter- pretiert und nicht zuletzt medial zeitspezifisch aufbereitet. All dies ist vernetzt mit dem im Folgenden schwerpunktartig verfolgten sozia- len Kontext der Weitergabe von Re- ligionen. Die Weitergabe religiösen Wissens Zunächst ein Blick auf etablierte Formen der Weitergabe religiösen Wissens: Frauen spielten und spie- len bei den Prozessen religiöser Wis- sensvermittlung stets eine Rolle, man denke nur an die Propheten- gattin c A’isha: Die dritte und jüngste der neun Frauen Muhammads gilt als Vorbild an Frömmigkeit, als Übermittlerin der »Hadithe«,der Aussprüche und beispielhaften Ta- ten des Propheten, und als Autorität in der Auslegung des Korans und somit als Tradentin islamischer Überlieferungen. c A’isha wird auch als »Mutter der Gläubigen« (umm al-mu’minin) bezeichnet. Wie in vor- islamischer Zeit /2/ bildeten Frauen – in der Geschichtsschreibung selten fokussiert – auch im Islam ein Sys- tem von Funktionsträgerinnen he- raus, die überwiegend im gesell- schaftlichen Raum der Frauen agier- ten. So wissen wir von Frauen, die an Höfen oder in Haushalten der Oberschicht als religiöse Lehrerin- nen (mu c allimat) weibliche Harems unterrichteten, Frauen standen als Forschung aktuell 52 Forschung Frankfurt 1/2008 E ine 16-Jährige berichtet von einem »coolen« Mädchen-Som- mercamp der »Muslimischen Ju- gend in Deutschland«. Sie ist die Tochter eines Arztes und eines weiblichen Vorstandsmitglieds einer liberalen muslimischen Gemeinde in Bielefeld, trägt kein Kopftuch, demonstriert vielmehr einen sport- lich lässigen Habitus. Die akade- misch gebildete Familie hat einen ägyptischen Migrationshintergrund und ist religiös aktiv. Dies ist nur eine Facette der vielen Möglichkei- ten, wie Musliminnen in Deutsch- land religiöse Traditionen im sozia- len Kontext erlernen. Im Vergleich zu Herkunftsländern und zum his- torischen Kontext sind Neuerun- gen, aber auch stabile Elemente zu beobachten. Orthodoxie statt »Magie« des Volksislam In den vergangenen Jahren hat die Zahl der akademisch-theologisch gebildeten Frauen im Orient wie in Deutschland deutlich zugenommen; gleichzeitig veränderten sich ihre

004 UNI 2008/01 · 2012. 4. 25. · May Ziyada, die hier stellvertretend für eine verbreitete Position stehen, hielten bei allem Bestreben nach aushäusiger Berufstätigkeit immer

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  • Muslimische Frauen in Moscheen– zwischen Tradition und InnovationEmanzipationsprozesse: Auf der Suche nach einemeigenen intellektuellen Zugang zum Islam

    religiösen Observanzen, das heißtdie religiöse Praxis sowie damit ver-bundene Intentionen: An die Stelleeines von unmittelbarer religiöserErfahrung geprägten Volksislam mitPraktiken wie Gelübden, religiöserMusik und »Magie« treten Ortho-doxie und Orthopraxie, Frauen er-lernen den Lebensvollzug gemäßder Sunna, dem Vorbild des islami-schen Propheten. Zudem erschlie-ßen sich Musliminnen neue Berufs-felder und vernetzen sich interna-tional.

    Um den Wandel von Religion inder modernen Gesellschaft zu un-tersuchen, eignen sich muslimischeFrauen offenbar besonders gut: IhrUmgang mit der Moderne erfolgtnicht ohne Brüche, aber auch nichtohne Reminiszenzen an Bewährtes.Dies lässt den scheinbaren begriffli-chen Antagonismus von »Religion«als landläufig konservativ und »Mo-derne« als progressiv hinterfragen.Zur theoretischen Betrachtung derbeobachteten Phänomene sei aufein Begriffsverständnis von »Traditi-on« verwiesen, das diese gleichzeitig

    als Erneuerung definiert. Besondersdeutlich macht dies der MarburgerReligionswissenschaftler MichaelPye: »Thus, while people sometimesspeak of ›a tradition‹, by whichthey mean a more or less preciselyfixed cultural element, the more in-teresting usage in the study of reli-gion is ›tradition‹ understood as theact of handing on, which impliesprocess and movement.« /1/ Pye be-tont, dass Tradition eben nicht imWortsinn schlicht Erhaltung fest-stehender Elemente bedeute, son-dern dass im Prozess des Tradie-rens gleichzeitig immer eine Anpas-sung an zeitspezifische Umständeerfolgt. Aus einer jeweiligen Gegen-wart heraus werden Inhalte inter-pretiert und nicht zuletzt medialzeitspezifisch aufbereitet. All dies istvernetzt mit dem im Folgendenschwerpunktartig verfolgten sozia-len Kontext der Weitergabe von Re-ligionen.

    Die Weitergabe religiösen Wissens

    Zunächst ein Blick auf etablierteFormen der Weitergabe religiösenWissens: Frauen spielten und spie-len bei den Prozessen religiöser Wis-sensvermittlung stets eine Rolle,man denke nur an die Propheten-gattin cA’isha: Die dritte und jüngsteder neun Frauen Muhammads giltals Vorbild an Frömmigkeit, alsÜbermittlerin der »Hadithe«,derAussprüche und beispielhaften Ta-ten des Propheten, und als Autoritätin der Auslegung des Korans undsomit als Tradentin islamischerÜberlieferungen. cA’isha wird auchals »Mutter der Gläubigen« (ummal-mu’minin) bezeichnet. Wie in vor-islamischer Zeit /2/ bildeten Frauen –in der Geschichtsschreibung seltenfokussiert – auch im Islam ein Sys-tem von Funktionsträgerinnen he-raus, die überwiegend im gesell-schaftlichen Raum der Frauen agier-ten. So wissen wir von Frauen, diean Höfen oder in Haushalten derOberschicht als religiöse Lehrerin-nen (mucallimat) weibliche Haremsunterrichteten, Frauen standen als

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    52 F o r s c h u n g F r a n k f u r t 1 / 2 0 0 8

    Eine 16-Jährige berichtet voneinem »coolen« Mädchen-Som-mercamp der »Muslimischen Ju-gend in Deutschland«. Sie ist dieTochter eines Arztes und einesweiblichen Vorstandsmitglieds einerliberalen muslimischen Gemeindein Bielefeld, trägt kein Kopftuch,demonstriert vielmehr einen sport-lich lässigen Habitus. Die akade-misch gebildete Familie hat einenägyptischen Migrationshintergrundund ist religiös aktiv. Dies ist nureine Facette der vielen Möglichkei-ten, wie Musliminnen in Deutsch-land religiöse Traditionen im sozia-len Kontext erlernen. Im Vergleichzu Herkunftsländern und zum his-torischen Kontext sind Neuerun-gen, aber auch stabile Elemente zubeobachten.

    Orthodoxie statt »Magie« des Volksislam

    In den vergangenen Jahren hat dieZahl der akademisch-theologischgebildeten Frauen im Orient wie inDeutschland deutlich zugenommen;gleichzeitig veränderten sich ihre

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  • Formen traditio-neller Frömmig-keit.

    spirituelle und organisatorischeOberhäupter (shaikhat) Zweigen vonmystischen Sufi-Orden vor oder wa-ren als Predigerin (waciza) im priva-ten weiblichen Umfeld tätig. /3/

    In jüngerer Zeit informieren da-rüber ethnologische Studien. /4/ DieOrientalisten Robert und ElizabethFernea beobachten Ende der 1980erJahre in ihrer Arbeit zu Formen derGlaubenspraxis bei Frauen im Irak,dass diese sich informell, das heißtunregelmäßig und privat, zu reli-giösen Veranstaltungen mit Fest-charakter zusammenfinden. DieseFeiern nennt man qraya (von arab.qira’a, »Rezitation«). Dabei kommteine Predigerin, mullah genannt, eine respektable Dame mit zweijüngeren Assistentinnen, in einHaus, wo sie unter eingeladenenweiblichen Gästen aus einem Re-pertoire von Koransuren und reli-giösen Überlieferungen rezitiert.Die Frauen stimmen Wechselge-sänge an, die einen ekstatischenCharakter haben und die Anwesen-den in sufiähnliche Trance versin-ken lassen. Bei der Feier spielen zu-dem persönliche Gelübde eine gro-ße Rolle, die als Höhepunkt derAktivitäten geleistet werden, dabeiverpflichten sich die Anwesendengegenüber Gott zu bestimmten oftkaritativen »Leistungen« in derHoffnung, dass ihre existenziellenBedürfnisse in Erfüllung gehen.

    Professionalisierung: Akademische Ausbildung für Predigerinnen

    In den vergangenen Jahrzehntenmachten immer mehr weiblicheFunktionsträgerinnen eine akade-mische Ausbildung; diese Professio-nalisierung geht auch mit einer Ver-änderung des Islam einher, so dasssich die orthodoxe Lehre mit Bin-dung an Koran und Scharica ver-stärkt hat, das mystische Erleben desGlaubens dagegen an Bedeutungverliert. Die türkische Diyanet-Or-ganisation, das Amt für ReligiöseAngelegenheiten, stellt Frauen mitUniversitätsexamen im Fach Theo-logie als Predigerinnen (türkischvaize) oder Telefonseelsorgerinnenan, die in der Scharica, dem islami-schen Recht, ausgebildet sind undsich ausschließlich um Frauen küm-mern. /5/ Sie bieten auf den Einzel-fall bezogen islamisch-juristischeUnterstützung und Beratung an inschwierigen Lebenslagen wie Ab-treibungen oder Scheidungen. Vor-

    dergründig folgen die in solchen Be-rufen tätigen Frauen meist einemtraditionellen Rollenbild und einerBekleidungsnorm, zu der oft dasKopftuch gehört. Dazu passt auchdas Berufsbild der »öffentlich un-sichtbaren« Telefonseelsorgerin.

    Gleichzeitig bilden Akademike-rinnen, Theologinnen oder islami-sche Juristinnen in der gesamten is-lamischen Welt Netzwerke, in de-nen sie mittels moderner Mediendie Interessen von muslimischenFrauen in den Blick nehmen undvertreten. Dabei entwickelt sichdurchaus Konkurrenz zu etablier-ten männlichen Funktionsträgern,wenn beispielsweise Möglichkeitenzur Scheidung für Frauen thema-tisiert und im Gegensatz zur klas-

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    Korankurs fürältere Frauen.

    sischen Interpretation, die Schei-dungsmöglichkeit obliege primärdem Mann, paritätisch interpretiertwerden. Ein Beispiel ist die in Asieneinflussreiche Gruppe »Sisters in Is-lam«: Die 1988 begründete Nichtre-gierungsorganisation steht für einenIslam, der mit Gleichberechtigung,Gerechtigkeit und Demokratie ver-einbar ist und die in den vergange-nen Jahren zunehmend regressiveAuslegung der Scharica zurückweist.In ihrer Arbeit versucht die Organi-sation beispielsweise Einfluss aufneue Gesetzesvorhaben zu nehmen.

    Diese Entwicklung wäre ohnedie Emanzipationsbewegung imOrient nicht denkbar. Sie lässt sichbereits im 19.Jahrhundert, nahezuzeitgleich und in Interdependenz

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  • mit europäischen Entwicklungen,dokumentieren. Bereits 1873 wur-de in Kairo die erste Mädchenschu-le eingerichtet /6/, 1899 forderte derÄgypter Qasim Amin in seinem da-mals aufsehenerregenden Werk»Die Befreiung der Frau« (Tahrir al-mar’a) /7/, den Schleier abzulegen,um die bisher gesellschaftlich un-sichtbare Hälfte der Bevölkerung anden Entwicklungen der Moderneaktiv zu beteiligen. Eine interessan-te Nuance zu westlichen Entwick-lungen lässt der Briefwechsel zwei-er Schriftstellerinnen vom Beginndes 20.Jahrhunderts spüren: DieAutorinnen, Bahithat al-Badya undMay Ziyada, die hier stellvertretendfür eine verbreitete Position stehen,hielten bei allem Bestreben nachaushäusiger Berufstätigkeit immeran der Selbstverständlichkeit derMutterschaft und des Familienle-bens fest. /8/ Die zunächst säkulareEmanzipationsbewegung, in derTürkei vor allem durch Atatürkpropagiert, wurde anfangs insbe-sondere von den Oberschichten des

    gesamten Orients getragen und er-hielt durch ihre Rezeption seitensreligiös konservativerer Kreise inder zweiten Hälfte des 20.Jahrhun-derts neue Facetten. So scheint ge-rade eine Berufstätigkeit in zur Re-ligion affinen Kontexten wie demBildungs- oder Moscheesektor eineMöglichkeit für Frauen, sich beruf-liche Räume zu erschließen, ohnedass dies als Verstoß gegen konser-vative Normen der klassischen Frau-enrolle gewertet würde. Die Eman-zipationsbewegung und im traditi-onellen Sinne konservative Kreisevermischen sich zusehends: DieFrauen wollen Kopftuch tragen, ineinem frommen Milieu leben undgleichzeitig studieren oder berufs-tätig und Mutter sein, was erstaun-licherweise oft funktioniert.

    Autoritätsgefüge: Frauen in Frankfurter Moscheen

    Vor diesem Hintergrund entsteht imRahmen eines interdisziplinärenForschungsprojektes mit religions-wissenschaftlichen und praktisch-theologischen Anteilen zum Thema»Tradition« im urbanen KontextFrankfurts eine religionswissen-schaftliche Teilstudie: Wie stellt sichmit Blick auf den polyvalenten undseinerseits weiterzuentwickelndenBegriff der Tradition die Situationmuslimischer Frauen in FrankfurterMoscheen in einer qualitativ-empi-rischen Untersuchung dar? Welchesoziale Rolle spielen Frauen in Pro-zessen der Weitergabe religiösenWissens? Autoritätsgefüge- und

    -gefälle zeichnen die sozialen Syste-me im Orient aus – und dies vonden Anfängen des Islam bis heute:Patron- und Klientenverhältnisse,Lehrer-Schüler-Ketten bei Sufis, imFamilienkreis spielt traditionell derGehorsam Älteren gegenüber einegroße Rolle. Die Istanbuler Soziolo-gin Leila Neyzi arbeitet dies in ihrerStudie zum Wandel des Begriffs derJugend in der modernen Türkei he-raus. /9/ Insofern verwundert esnicht, wenn auch ein Frauen-Un-terrichtskreis der – zum großen tür-kischen Dachverband DITIB zuge-hörigen – Frankfurter Innenstadt-Moschee dieses Autoritätsgefügeaufzeigt: Die zehn Frauen, alle etwaAnfang Zwanzig und meist Studen-tinnen unterschiedlichster Fächer,behandeln ihre 40-jährige Lehrerin,die ein Studium der Theologie ander Universität Ankara absolvierthat, mit großem Respekt. Wenn diePredigerin beispielsweise eine Ko-ransure erläutert, stellen die Teil-nehmerinnen primär Verständnis-fragen, das Gesagte wird kaum öf-fentlich hinterfragt. Die Aussagender Predigerin scheinen ihnen Leit-faden und Verhaltensnorm zu sein.Im Interview wiederholen dieSchülerinnen, dass sie die vaize –die dem Imam im Rang gleichge-stellt ist, allerdings in ganz Hessenkeine Kollegin hat – für eine abso-lute Autorität in religiösen Fragenhalten. Vergleichbares beobachtetderzeit Anna Neubauer, Ethnologinaus Neuchâtel, in einer Studie zuweiblichen Sufis in Istanbul: Dasweibliche Ordensoberhaupt, Çe-malnur Sargut, die auch in Frank-furt einen Kreis von Schülern undSchülerinnen um sich versammelt,strahlt religiöse Autorität aus – quaAmt und gleichzeitig durch ihrecharismatische Persönlichkeit. Of-fensichtlich scheint sich die hierar-chische Interaktion von Schülerin-nen mit ihrer religiösen Funktions-trägerin auch unter den Vorzeichender Migration zu erhalten. Vielleichtsuchen Musliminnen in der Migra-tion im Rahmen ihrer komplexenIdentitätsfindung sogar besondersdie religiöse Autorität der Lehrenden.

    Die religiösen Veranstaltungenfür und von Frauen weisen imOrient traditionell auch ein Ele-ment der Kontaktpflege auf, wo-bei sich für die außenstehende Be-trachterin dabei Zeichen für eineweniger hierarchische und mehregalisierende Interaktion aufdrän-

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    Die Autorin

    Prof. Dr. Bärbel Beinhauer-Köhler, 40, forscht und lehrt seit2006 als Professorin für Religionswissenschaft im Fachbe-reich Evangelische Theologie an der Goethe-Universität. IhreArbeitsschwerpunkte sind islamische Institutionen im Bereichvon Bildung und Wohlfahrt sowie Genderkonstruktionen imKontext von Religion. Ihr besonderes Interesse gilt der Umset-zung theologischer Normen in die religiöse Praxis, also demSpannungsverhältnis zwischen Norm und lokaler Variante, da-zu gehört auch das Verhältnis von vermeintlich überzeitlicher»Tradition« zur jeweiligen [email protected] www.evtheol.uni-frankfurt.de/rw/personen/beinhauer-koehler/index.html

    Diskussionsfreu-dige Musliminnen.

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  • gen. Ein Beispiel für solche religiö-sen Zusammentreffen im Orient:Eine Frau im Iran veranstaltet (inAblauf und hinsichtlich der Betei-ligten vergleichbar mit der qraya imIrak) eine so genannte sofra, wennsie ein religiöses Gelübde gespro-chen hat. Die etymologische Wur-zel des Festes sofra, was »Tischtuch«bedeutet, verweist auf die angespro-chene soziale Ebene des Gesche-hens: Alle Frauen speisen, unab-hängig von ihrem sozialen Status,miteinander.

    Auch im Frauenkreis in Frank-furt spielt diese Ebene des gemein-schaftlichen Mahls, wenn auchnicht direkt als religiöser Ritus, einewichtige Rolle. Die regelmäßige dreistündige Sitzung wird von einerzirka einstündigen Pause unterbro-chen, während der reichlich mitge-brachte Speisen verzehrt werdenund über Alltagsthemen, aber auchinformell über religiöse Fragen, ge-sprochen wird. Offensichtlich ent-spricht das gemeinsame Essen einerverstetigten Norm der Interaktiongerade unter Frauen. Religiöses undsoziales Leben sind bei Unterrichts-

    veranstaltungen wie auch bei ver-schiedenen anderen Anlässen inMoscheegemeinden kaum zu tren-nen. Dabei lässt sich beobachten,dass die weibliche Autorität in denUnterrichtspausen eine neue Rolleannimmt: ein eher freundschaftli-

    ches oder familiäres Tante-Nichte-oder Mutter-Tochter-Verhältnis zuden Schülerinnen.

    Worin besteht nun in diesemKontext das innovative Moment,das den Begriff der Tradition imSinne Pyes rechtfertigt? Bei genau-

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  • erer Betrachtung der zunächst ausdem Orient übernommenen sozia-len Formen scheinen sich dennochdie Vorzeichen geändert zu haben:Einerseits sind die Frauenkreise fle-xibler als noch in einem ländlichenKontext, wie ihn Fernea und Fer-nea für den Irak beschrieben ha-ben. Es ist eben kein privater, aufeiner Familie und Freundinnen ba-sierender Kreis, der eine religiöseAutorität ins Haus lädt, sondern in der Moschee, im öffentlichenRaum, führen, hier von Diyanetund DITIB beauftragte, religiöseSpezialistinnen Veranstaltungen fürandere Frauen durch. Zirka 30Pro-zent der Frauen haben einen nicht-türkischen marokkanischen undpakistanischen Hintergrund und

    sind durch Mundpropaganda imRhein-Main-Gebiet auf die akade-misch ausgebildete Predigerin auf-merksam geworden.

    Identitätssuche der Migrantinnen jenseits der von den Eltern vermittelten Traditionen

    Dabei bestätigt sich eine Besonder-heit, die unterschiedlichsten Studi-en zufolge die aktuelle Generationvon Migranten in Deutschland aus-zeichnet: So ist im Rahmen derIdentitätssuche eine »Intellektuali-sierung« /10/ zu beobachten. Frauenwie Männer möchten auf kogniti-ver Ebene wissen, was den Islamausmacht, um eigene Lebensfragenals Muslime in einem deutschen

    Lebensumfeld zu beantworten. Frü-her stand für Frauen die religiöseTeilhabe, dazu gehören Praktikenwie Gelübde oder der oft mit Eks-tase verbundene Gesang, im Mit-telpunkt. Die Bremer Religionswis-senschaftlerin Gritt Klinkhammerschildert in ihrer Studie zur moder-nen Lebensführung von Türkinnenin Deutschland einen Typus, derden eigenen Islamzugang nahezuals Konversionserlebnis beschreibt:Die Befragten grenzen ihre Suchenach dem »wahren« Islam von der»traditionellen« Religionsausübungder Eltern ab. Ganz ähnlich äußernsich die Schülerinnen im Frankfur-ter Frauenkreis, die den orthodo-xen sunnitischen Islam in seinenNormen kennenlernen wollen, umihn vom »Aberglauben« ihrer Müt-ter zu trennen. Hier deutet sich einGenerationskonflikt an. Der weib-liche Islam ist also durchaus sozialin Bewegung.

    Verwoben: Religion und Moderne

    Es ist nicht monokausal zu beant-worten, ob es eher die Bedingun-gen der auch im Orient zu beobach-tenden Moderne oder die der Mi-gration sind, die die sozialen Gefü-ge bei der Traditionsvermittlung in Kreisen islamischer Frauen inRhein-Main prägen. Fest steht je-doch, dass – bei gleichzeitigem Re-kurs auf konservative Elemente wieweibliche religiöse Autoritäten oderdas gemeinschaftsstiftende Mahl –neue soziale Formen der Tradierungentstehen; dies ist vor allem ver-bunden mit einer individuellen Re-flexion über die Religion. Wir erin-nern nur an das Mädchencamp der»Islamischen Jugend Deutschland«.Religion und Moderne bilden alsoein kaum auflösbares Gewebe. ◆

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    Anmerkungen/1/Pye, Michael(1991), ReligiousTradition and theStudent of Religi-on, in: Armin W.Geertz, Jeppe S.Jensen (Hrsg.), Religion, Traditionand Renewal, Aarhus S.29–36,hier 29.

    /2/Köhler, Bärbel»Die Frauen in al-Waqidis Kitab al-magazi«, in: ZDMG147/2 (1997),

    S.303–353, hier 333.

    /3/Siehe u.v.a.Walter, Wiebke(1980), Die Frauim Islam, Stuttgartu.a., S.44, 80;Schimmel Anne-marie (19922),Mystische Dimen-sionen des Islam,München, S.615;Beinhauer-Köhler,Bärbel (2002), Pre-digt. 3. Islam, in:Enzyklopädie des

    Märchens. Hand-wörterbuch zurhistorischen undvergleichenden Er-zählforschung, he-rausgegeben vonRolf. W. Brednichu.a., Bd.X, Ber-lin/New York,S.1253–1256.

    /4/Fernea, Robertund Elizabeth(1992), Variation inReligious Obser-vance among Isla-mic Women, in:

    Nikki R. Keddie(Hrsg.), Scholars,Saints and Sufis,Berkeley, S. 385–401.

    /5/Çolak, Yasar(2005), ReligiöseDienstleistungen inder Türkei, in: Bär-bel Beinhauer-Köhler, MatthiasBenad, EdmundWeber (Hrsg.), Dia-konie der Religio-nen, 2.Schwer-punkt Islam,

    Frankfurt a.M.,S.11–22, hier 17,21f.; Jouili, Jeanet-te S., Amir-Moaza-mi, Schirin, Know-ledge, Empower-ment and ReligiousAuthority amongPious Muslim Women in Franceand Germany, in:The Muslim World96 (2006), S.617–642.

    /6/Stowasser, Karl(1989), Rifaca al-

    Tahtawi. Ein Mus-lim entdeckt Euro-pa, München,S.322.

    /7/Amin, Qasim(1992), Die Befrei-ung der Frau,Würzburg.

    /8/Teilübersetzungin Taufiq, Suleman(1988), Frauen inder arabischenWelt. Erzählungen,München, S.35–47.

    /9/ Leyla Neyzi,»Object or Subject?The Paradox ofYouth in Turkey«,in: Journal ofMiddle EasternStudies 33 (2001),S.411–432.

    /10/Klinkhammer,Gritt (2000), Mo-derne Formen isla-mischer Lebens-führung, Marburg,S.130f.

    Muslimische Stu-dentin mit ihrenKommilitoninnen.

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