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FOKUS 1/2007 M AX P LANCK F ORSCHUNG 39 DIE WELT IM KOPF Altern mit Köpfchen M artin Lövdén ist 34. Nicht un- bedingt das Alter, in dem man sich über das Altwerden Gedanken macht. Doch Lövdén tut dies ziemlich oft – wohl auch, weil er ganz genau weiß, was ihn erwartet. „So mit 65, 70 wird meine geistige Leistungs- fähigkeit langsam nachlassen. Mein Gedächtnis wird schlechter, meine Wahrnehmungsgeschwindigkeit ver- langsamt sich, und es wird mir schwerer fallen, etwas Neues zu ler- nen“, sagt der Vater zweier kleiner Kinder, wenn er einen Blick in seine Zukunft wirft. Das sei ein ganz natür- licher Prozess, fügt er hinzu und wirkt dabei so nüchtern, dass man fast glauben könnte, er habe sich mit die- sem Schicksal bereits abgefunden. Tatsächlich trifft genau das Gegen- teil zu. Martin Lövdén will wissen, warum sich die Gedächtnisfunkti- onen im Alter verschlechtern und – noch wichtiger – wie sich das verhin- dern oder zumindest verzögern lässt. Um Antworten auf diese, angesichts der demografischen Entwicklung auch gesellschaftspolitisch drän- genden Fragen zu finden, hat der Psychologe am Berliner Max-Planck- Institut für Bildungsforschung eine Selbständige Forschergruppe aufge- baut. Dass man etwas gegen das cog- nitive aging unternehmen kann, steht für ihn außer Zweifel. „Unser Gehirn bleibt ein Leben lang entwicklungs- fähig, deshalb können auch alte Men- schen ihre kognitiven Leistungen durch Training und Übung noch ver- bessern“, sagt Lövdéns Kollegin Sabi- ne Schäfer und öffnet die Tür zu einem kleinen Raum im Keller des Dahlemer Instituts. Dort treten die Max-Planck-For- scher seit März den Beweis an – mit einem „Härtetest für Ältere“, wie Martin Lövdén es nennt. Als er seine Forschungsassistentin bittet, das Pro- gramm zu starten, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Es könnte der Tat- sache geschuldet sein, dass sich die Aufgabe auch für einen Mittdreißiger als ziemlich kniffelig entpuppt. Kurz gesagt geht es darum, sich in einem virtuellen Zoo zu orientieren. Der Proband steigt auf das im Boden ins- tallierte Laufband, auf dem Bildschirm vor ihm erscheint der Eingang des Tierparks, rechts oben ist das Wort Löwe eingeblendet. Den König der Tiere gilt es als Erstes zu finden. Das Szenario wirkt ziemlich echt: ordentliche, von kleinen Baumgrüpp- chen flankierte Wege, ab und an ein Mülleimer, gelegentlich ein Ge- tränkeautomat. Navigiert wird mit zwei Knöpfen – links, rechts, alles kein Problem. Ein Gehege taucht auf, doch hinter dem Zaun tummeln sich nicht Löwen, sondern Elefanten. Den- noch tut man gut daran, sich den Standort der Dickhäuter einzuprägen. „Sobald die Testperson das gesuchte Tier gefunden hat, wird das nächste Ziel vorgegeben“, erklärt Sabine Schäfer. „Zehn sind es insgesamt.“ WIRRWARR IM VIRTUELLEN IRRGARTEN Die Erfolgsliste der momentanen Test- person ist recht kurz: Neben dem Löwen steht nur das Känguru da- rauf – nach gut 20 Minuten Such- marsch in der virtuellen Realität. Eine Sitzung dauere normalerweise 50 Mi- nuten, verrät Schäfer und schiebt, wie es sich für eine gute Psychologin ge- hört, gleich den passenden Trost hin- terher. „Niemand schafft einen Zoo pro Sitzung, selbst wenn er perfekt navigiert, geht es rein zeitlich nicht.“ Und das ist Absicht. Die Forscher des Max-Planck-Instituts haben die Tierparks gezielt so angelegt, dass ihre Versuchsteilnehmer mehr als eine Übungseinheit brauchen, um sich in dem Wirrwarr von Käfigen und We- gen zurechtzufinden. Drei Sitzungen gibt es pro Woche, und jedes Mal setzt der Proband den Parcours exakt an der Stelle fort, an der er beim letzten Termin nach Ablauf der Testzeit ste- hen geblieben ist. „Er weiß also, dass er übermorgen weitermachen muss und denkt deshalb vermutlich auch zu Hause noch über das Labyrinth nach“, erläutert Martin Lövdén. „Da- von versprechen wir uns einen zu- sätzlichen Trainingseffekt.“ 96 Menschen werden insgesamt an der Studie teilnehmen, die eine Hälfte sind Studenten zwischen 20 und 30 Jahren, die andere Senioren im Alter von 60 bis 70. Die Testpersonen müs- sen das Training 14 Wochen lang ab- „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ sagt der Volksmund. Fälschlicherweise. Selbst Opa Hans kann es noch lernen, auch wenn es ihm schwerer fällt. Denn das Gehirn bleibt ein Leben lang wandlungs- fähig. Am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Berliner MAX-PLANCK- INSTITUTS FÜR BILDUNGS- FORSCHUNG untersuchen MARTIN LÖVDÉN und seine Kollegen, wie sich die Plastizität des Denkorgans im Laufe der Jahre verän- dert. Das Ziel: Wege zu finden, um den Geist möglichst lange fit zu halten. Ein Zoobesuch im Dienst der Wissenschaft: Auf dem Bildschirm erscheint ein Weg, auf dem der Proband im realistischen Szenario verschiedene Tiergehege ansteuern muss. ILLUSTRATION: GROSSEVISION FOTOS: NORBERT MICHALKE

1 07 MPF 01 Titel finale - mpg.de · den Gesangszentren der Vögel zu-nächst unter, um dann im Frühjahr ... dass dies selbst bei perfekter Navigation in einer Sitzung nicht zu schaffen

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FOKUS

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DIE WELT IM KOPF

Altern mit Köpfchen

Martin Lövdén ist 34. Nicht un-bedingt das Alter, in dem man

sich über das Altwerden Gedanken macht. Doch Lövdén tut dies ziemlich oft – wohl auch, weil er ganz genau weiß, was ihn erwartet. „So mit 65, 70 wird meine geistige Leistungs-fähigkeit langsam nachlassen. Mein Gedächtnis wird schlechter, meine Wahrnehmungsgeschwindigkeit ver-langsamt sich, und es wird mir schwerer fallen, etwas Neues zu ler-nen“, sagt der Vater zweier kleiner Kinder, wenn er einen Blick in seine Zukunft wirft. Das sei ein ganz natür-licher Prozess, fügt er hinzu und wirkt dabei so nüchtern, dass man fast glauben könnte, er habe sich mit die-sem Schicksal bereits abgefunden.

Tatsächlich trifft genau das Gegen-teil zu. Martin Lövdén will wissen, warum sich die Gedächtnisfunkti-onen im Alter verschlechtern und – noch wichtiger – wie sich das verhin-dern oder zumindest verzögern lässt. Um Antworten auf diese, angesichts der demografi schen Entwicklung auch gesellschaftspolitisch drän-genden Fragen zu fi nden, hat der Psychologe am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Selbständige Forschergruppe aufge-baut. Dass man etwas gegen das cog-nitive aging unternehmen kann, steht für ihn außer Zweifel. „Unser Gehirn bleibt ein Leben lang entwicklungs-fähig, deshalb können auch alte Men-schen ihre kognitiven Leistungen durch Training und Übung noch ver-bessern“, sagt Lövdéns Kollegin Sabi-ne Schäfer und öffnet die Tür zu einem kleinen Raum im Keller des Dahlemer Instituts.

Dort treten die Max-Planck-For-scher seit März den Beweis an – mit einem „Härtetest für Ältere“, wie Martin Lövdén es nennt. Als er seine Forschungsassistentin bittet, das Pro-gramm zu starten, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Es könnte der Tat-sache geschuldet sein, dass sich die Aufgabe auch für einen Mittdreißiger als ziemlich kniffelig entpuppt. Kurz gesagt geht es darum, sich in einem virtuellen Zoo zu orientieren. Der Proband steigt auf das im Boden ins-tallierte Laufband, auf dem Bildschirm vor ihm erscheint der Eingang des Tierparks, rechts oben ist das Wort Löwe eingeblendet. Den König der Tiere gilt es als Erstes zu fi nden.

Das Szenario wirkt ziemlich echt: ordentliche, von kleinen Baumgrüpp-

chen fl ankierte Wege, ab und an ein Mülleimer, gelegentlich ein Ge-tränkeautomat. Navigiert wird mit zwei Knöpfen – links, rechts, alles kein Problem. Ein Gehege taucht auf, doch hinter dem Zaun tummeln sich nicht Löwen, sondern Elefanten. Den-noch tut man gut daran, sich den Standort der Dickhäuter einzuprägen. „Sobald die Testperson das gesuchte Tier gefunden hat, wird das nächste Ziel vorgegeben“, erklärt Sabine Schäfer. „Zehn sind es insgesamt.“

WIRRWARR IM VIRTUELLEN IRRGARTEN

Die Erfolgsliste der momentanen Test-person ist recht kurz: Neben dem Löwen steht nur das Känguru da -rauf – nach gut 20 Minuten Such-marsch in der virtuellen Realität. Eine Sitzung dauere normalerweise 50 Mi-nuten, verrät Schäfer und schiebt, wie es sich für eine gute Psychologin ge-hört, gleich den passenden Trost hin-terher. „Niemand schafft einen Zoo pro Sitzung, selbst wenn er perfekt navigiert, geht es rein zeitlich nicht.“

Und das ist Absicht. Die Forscher des Max-Planck-Instituts haben die Tierparks gezielt so angelegt, dass ihre Versuchsteilnehmer mehr als eine Übungseinheit brauchen, um sich in dem Wirrwarr von Käfi gen und We-gen zurechtzufi nden. Drei Sitzungen gibt es pro Woche, und jedes Mal setzt der Proband den Parcours exakt an der Stelle fort, an der er beim letzten Termin nach Ablauf der Testzeit ste-hen geblieben ist. „Er weiß also, dass er übermorgen weitermachen muss und denkt deshalb vermutlich auch zu Hause noch über das Labyrinth nach“, erläutert Martin Lövdén. „Da-von versprechen wir uns einen zu-sätzlichen Trainingseffekt.“

96 Menschen werden insgesamt an der Studie teilnehmen, die eine Hälfte sind Studenten zwischen 20 und 30 Jahren, die andere Senioren im Alter von 60 bis 70. Die Testpersonen müs-sen das Training 14 Wochen lang ab-

„Was Hänschen nicht lernt,

lernt Hans nimmermehr“ sagt der

Volksmund. Fälschlicherweise.

Selbst Opa Hans kann es noch

lernen, auch wenn es ihm

schwerer fällt. Denn das Gehirn

bleibt ein Leben lang wandlungs-

fähig. Am Forschungsbereich

Entwicklungspsychologie des

Berliner MAX-PLANCK-

INSTITUTS FÜR BILDUNGS-

FORSCHUNG untersuchen

MARTIN LÖVDÉN und

seine Kollegen, wie sich die

Plastizität des Denkorgans im

Laufe der Jahre verän-

dert. Das Ziel: Wege

zu fi nden, um

den Geist

möglichst

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Ein Zoobesuch im Dienst der Wissenschaft: Auf dem Bildschirm erscheint ein Weg, auf dem der Proband im realistischen Szenario verschiedene Tiergehege ansteuern muss.

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DIE WELT IM KOPF

solvieren, davor und danach fahren sie an die Universität Magdeburg zur Kernspintomografi e. Mit diesem bild-gebenden Verfahren wollen die For-scher herausfi nden, wie sich spezielle Hirnareale als Reaktion auf das inten-sive Lernprogramm verändern – und ob diese Veränderungen bei Älteren anders aussehen als bei Jungen.

Das besondere Augenmerk der Wissenschaftler gilt dabei dem Hip-pocampus, der für Lernen und Ge-dächtnisbildung wichtigsten Region des menschlichen Denkorgans. Sämt-liche neuen Informationen werden in diesem kleinen Bereich am unteren Rand der Hirnrinde verarbeitet. „Au-ßerdem weiß man, dass der Hippo-campus plastisch ist“, sagt Sabine Schäfer und gibt damit ein entschei-dendes Stichwort.

Der vom griechischen Wort plasto-kos („zum Formen geeignet“) abge-leitete Begriff Plastizität beschreibt eine Eigenschaft, die dem Gehirn lange Zeit gänzlich abgesprochen wurde: Wandlungsfähigkeit. Spätes-tens mit der Pubertät, so dachte man, sei die Entwicklung des Organs ab-geschlossen und fortan würden Ner-venzellen, wenn überhaupt, nur noch

abgebaut. Doch heute steht fest: Das erwachsene Gehirn verändert sich bis ins hohe Alter hinein ständig. Schon ein geringfügiger Wechsel der Le-bensumstände kann plastische Um-bauprozesse, wie das Sprossen neuer Nervenzellverbindungen, in Gang setzen. „Die Plastizität ermöglicht es uns, unser Verhalten an die Umge-bungsbedingungen anzupassen und neue Dinge zu lernen“, erklärt Lövdén. „Älteren Menschen fällt das zwar schwerer, grundsätzlich bleibt aber auch ihr Gehirn plastisch.“

TRAINING HINTERLÄSST SPUREN IM GEHIRN

Dementsprechend rechnet der Psycho-loge fest damit, dass sein Orientie-rungstraining bei allen Probanden neu-ronale Spuren hinterlässt. „Wir erwarten eine Volumenzunahme des Hippo-campus, die bei den älteren Probanden aber geringer ausfallen sollte als bei den jungen.“ Lövdén nennt drei Me-chanismen, durch die diese Vergröße-rung zustande kommen kann: „Durch die Bildung neuer Blutgefäße, neuer synaptischer Verbindungen – und nicht zuletzt durch Neurogenese, also die Produktion neuer Nervenzellen.“

Hätte er diesen Satz vor zehn Jah-ren gesagt, wäre er von seinen neu-rowissenschaftlichen Kollegen wahr-scheinlich für unzurechnungsfähig erklärt worden. Denn damals waren alle überzeugt: Egal was im Gehirn passiert – es ist vollkommen ausge-schlossen, dass neue Neuronen wachsen. Dass man den Begriff Neu-rogenese heute in den Mund nehmen darf, ohne seinen wissenschaftlichen Ruf zu riskieren, liegt nicht zuletzt an Fernando Nottebohm von der Ro-ckefeller University in New York.

Mitte der 1980er-Jahre fragte sich der Biologe, warum männliche Kanarienvögel im Frühjahr ein ganzes Repertoire von Melodien besitzen, das sie im Laufe des Som-mers aber verlieren – um dann im nächsten Frühling die Weibchen mit neuen Liedern zu betören. Not-tebohms seinerzeit ziemlich ge-wagte Erklärung: Nach der Paa-rungszeit gehen Nervenzellen in den Gesangszentren der Vögel zu-nächst unter, um dann im Frühjahr durch neue Neuronen ersetzt zu werden. Mittels radioaktiv markier-ter DNA-Bausteine erbrachte er den Beweis: Tatsächlich produzierten die Sangeskünstler im Frühjahr jede Menge frischer Hirnzellen.

Im Jahr 1998 zeigten schwedische und amerikanische Neurowissen-schaftler, dass es auch im mensch-lichen Gehirn Neurogenese gibt. Und zwar im Hippocampus, also dem Are-al, das die Forscher des Berliner Max-Planck-Instituts bei ihren Probanden mit der Kernspintomografi e untersu-chen. Fest steht: Diese Region sieht nicht bei jedem Menschen gleich aus. So scannte Eleanor Maguire vom Uni-versity College London 1999 die Ge-hirne von 16 Londoner Taxifahrern und stellte fest, dass deren Hippocam-pus vor allem im hinteren Teil deut-lich größer war als bei Vergleichsper-sonen mit anderen Berufen.

Martin Lövdén erstaunt das nicht: „Gerade für die räumliche Orientie-

rung ist der Hippocampus eine ganz zentrale Region.“ Und Orientierungs-vermögen ist unbedingt vonnöten, um im gigantischen Straßengewirr der englischen Hauptstadt den schnellsten Weg von A nach B zu fi nden. Manche cab drivers pauken jahrelang den Stadtplan, bis sie die Prüfung für ihren Taxischein endlich schaffen. Und je mehr Berufsjahre, desto ausgeprägter die Vergrößerung des Hippocampus. Eleanor Maguires Schlussfolgerung: „Der Hippocampus hat seine Struktur verändert, um die riesige Menge an Navigationserfah-rung aufzunehmen.“

WACHSTUM GIBT RÄTSEL AUF

Kann sein, muss aber nicht, meint Lövdén. „Es wäre ebenso möglich, dass jemand ein sehr gutes Orientie-rungsvermögen besitzt und deshalb Taxifahrer wird, sein Gehirn aber schon vorher anders aussah.“ Lövdéns Einwand ist absichtlich ein bisschen provokativ, vorschnelle Schlussfolge-rungen sind nicht sein Ding. Tatsäch-lich spricht jede Menge dafür, dass die Veränderungen durch das perma-

nente Training angestoßen werden. Vergangenes Jahr scannte ein Team um Bogdan Draganski von der Uni-versität Regensburg die Gehirne von Medizinstudenten vor der heißen Lernphase fürs Physikum und nach Abschluss der berüchtigten Zwi-schenprüfung, die es an Schwierig-keit mit dem Londoner Taxi-Examen aufnehmen kann. Resultat der mo-natelangen Büffelei war: ein vergrö-ßerter Hippocampus.

Doch für Sabine Schäfer hat die Studie ein Manko: „Man sieht zwar Wachstum, weiß aber nicht, woher es kommt.“ Sprießen zusätzliche Blut-gefäße? Werden weitere Synapsen gebildet? Oder entstehen gar neue Neuronen? Um der Lösung des Rät-sels näher zu kommen, wird das Team am Berliner Institut seine Pro-banden einer Magnetresonanzspekt-roskopie unterziehen. Mit diesem Verfahren lässt sich die Konzentrati-on bestimmter Metaboliten ermitteln. Im Visier haben die Berliner Wissen-schaftler ein Molekül namens N-Ace-tylaspartat Acid, kurz NAA.

„NAA ist ein Stoffwechselprodukt, das Hinweise auf die Dichte und

Funktionalität der Nervenzellen gibt.“ Martin Lövdén formuliert das etwas vage. Denn darüber, ob sich die Hirnzellen besser vernetzen oder ob sich neue Neuronen bilden, gibt auch das Metaboliten-Mapping mit-tels Magnetresonanzspektroskopie keinen Aufschluss. Trotzdem: Wenn der Hippocampus durch das Orien-tierungstraining größer wird, ohne dass NAA ansteigt, steht mehr oder minder fest, dass dahinter keine neu-ronalen Prozesse stecken. „Klar er-warten wir, dass sich bei den Ner-venzellen etwas verändert, doch für den Lerneffekt ist der Aufbau neuer Kapillaren wahrscheinlich genauso wichtig“, so Lövdén.

GENVARIANTE FÜR EIN BESSERES GEDÄCHTNIS

Bis Schäfer und Lövdén erste Ant-worten auf ihre vielen Fragen bekom-men, wird es noch dauern: Frühestens im März 2008 wird der experimen-telle Teil der Studie mit knapp 100 Personen beendet sein. Die sind nicht nur nach Alter unterteilt, sondern zu-dem nach ihren Genen. Genauer ge-sagt nach dem DNA-Abschnitt, der die Synthese des Brain-Derived Neu-rotrophic Factor (BDNF) kontrolliert. Aus Tierversuchen weiß man, dass BDNF und die Plastizität des Hippo-campus eng miteinander verknüpft sind. Das Neurotrophin reguliert in der so wandlungsfähigen Hirnregion nicht nur Synapsenwachstum und -aktivität, es fördert auch ganz kon-kret die Neurogenese. ®

Zehn Tiere muss die Testperson insgesamt aufsuchen. Das Spiel ist bewusst so angelegt, dass dies selbst bei perfekter Navigation in einer Sitzung nicht zu schaffen ist.

Martin Lövdén (re.) will herausfi nden, ob und wie sich der Hippocampus bei seinen Probanden verändert.

LONDONER TAXIFAHRERN INS HIRN GEBLICKT Ihr Hippocampus ist im hinteren Teil (oben) deutlich größer als bei Vergleichspersonen, die in ihrem Beruf nicht permanent durch das Straßengewirr einer Millionenmetropole navigieren müssen. Mit diesem Befund hat die englische Neurowissenschaftlerin Eleanor Maguire vom University College London bereits 1999 belegt, dass der Hippocampus, der bei der räumlichen Orientierung eine zentrale Rolle spielt, mit seiner Aufgabe wächst. Die Vergrößerung des hinteren Hippocampus-Teils nahm mit der Zahl der Berufsjahre sogar noch zu (Grafi k rechts oben). Dagegen wurde der vordere Teil des Hippocampus kleiner (Grafi k rechts unten).

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FOKUS DIE WELT IM KOPF

Von dem Gen, das die Expression von BDNF steuert, gibt es zwei Vari-anten – Allele, wie Molekularbiolo-gen sagen: val und met. Ungefähr 35 Prozent aller Menschen tragen mindestens eine met-Version in ih-rem Erbgut, der Rest zwei val-Ko-pien. „Die Doppel-val-Besitzer tun sich bei verschiedenen kognitiven Aufgaben ein wenig leichter“, er-läutert Martin Lövdén. „Ihre Ge-dächtnisleistungen sind besser – und sie haben einen größeren Hippo-campus.“ Was nicht zwangsläufi g bedeuten muss, dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat.

Es ist zwar möglich, dass bei zwei val-Allelen mehr BDNF hergestellt wird, das dann im Gehirn wie eine Art Dünger Synapsen und Nervenzellen sprießen lässt. Bislang ist das aber nur eine Theorie. Um sie auf ein experi-mentelles Fundament zu stellen, ist die eine Hälfte der Testpersonen vom Ge-notyp val/val, die andere hat mindes-tens eine met-Variante. „Auf diese Weise können wir klären, ob dieser Faktor die Plastizität beeinfl usst“, sagt Lövdén. Wenn dem so wäre, müsste die durch das Orientierungstraining induzierte Vergrößerung des Hippo-campus bei den Doppel-val-Trägern ausgeprägter sein – egal ob sie jung sind oder alt.

Heißt das, dass letzten Endes das Erbgut darüber entscheidet, ob je-mand bis ins Greisenalter geistig fi t und lernfähig bleibt? „Ein bisschen Glück mit den Genen mag vielleicht dazugehören“, meint der Alterns-forscher schmunzelnd. „Viel entschei-dender ist aber, dem Gehirn genug geistiges Futter zu geben.“ Auch sportliche Betätigung trägt nachweis-lich zum Erhalt der kognitiven Leis-tungen bei. „Lebe ein reiches Leben“ lautet Lövdéns Tipp fürs Alter. Mit reich meint er vor allem ein Umfeld, das viele verschiedene Anregungen bietet. „Mentale Stimulation wirkt dem cognitive aging entgegen.“

SOZIALE AKTIVITÄT HÄLT GEISTIG FIT

Einen weiteren Faktor haben Martin Lövdén und Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs Entwicklungspsychologie am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, vergangenes Jahr erstmals hieb- und stichfest belegt: „Der Grad der sozialen Aktivität zu einem bestimmten Zeit-punkt sagt etwas über die kognitive Leistungsfähigkeit in der Zukunft aus“, sagt Lövdén: „Umgekehrt ist das nicht der Fall.“

Ältere Menschen sind also nicht dann unternehmungslustiger, wenn

ihre kognitiven Fähigkeiten größer sind. Das hänge von der Persönlichkeit ab, ergänzt Sabine Schäfer: „Schließ-lich gibt es viele Menschen, die fast schon dement sind und trotzdem wei-terhin regelmäßig zum Kaffeekränz-chen gehen“, meint die 30-Jährige und übt ein bisschen Sozialkritik: „Dass in unserer Gesellschaft so viele alte Men-schen alleine und oft auch ziemlich einsam leben, ist für ihre geistige Fit-ness sicherlich alles andere als gut.“

Für seine Forschungsarbeiten er-hielt Martin Lövdén 2006 einen der Sofja Kovalevskaja-Preise, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung an herausragende Nach-wuchswissenschaftler verliehen wer-den. „Ohne das Preisgeld von einer Million Euro wäre unser jetziges Pro-jekt so nicht möglich“, sagt der Psy-chologe. Nicht zuletzt, weil es sehr aufwändig war, das Computerspiel Quake in einen virtuellen Zoobesuch umzuprogrammieren. Warum gehen die Psychologen mit ihren Probanden also nicht einfach in den echten Zoo? Weil dort der Zufall die Aussagekraft ihrer wissenschaftlichen Untersu-chung beeinträchtigen könnte. „In der virtuellen Realität haben wir die voll-ständige experimentelle Kontrolle“, unterstreicht Sabine Schäfer die Vor-teile. „Exakt dieselben Bedingungen für jede Testperson, das ist ideal.“

Was sich als besonders kniffl ig ent-puppte, war, das Level zu fi nden, das für alle Probanden passt. „Zu schwer wäre demotivierend, zu leicht bringt nichts“, so Schäfer. „Damit es zu plastischen Veränderungen kommt, braucht das Gehirn eine Aufgabe, bei der es wirklich gefordert wird.“ Auf der Suche nach dem optimalen Level haben schon in den Vorstudien Dut-zende Menschen am Labyrinth trai-niert. Bis heute ungeschlagener Cham-pion ist – man ahnt es vielleicht – ein Berliner Taxifahrer. Hätten die For-scher nicht einige Hürden umschiffen können, indem sie ihren Probanden eine Aufgabe geben, bei der es keine

Laufbänder und virtuellen Realitäten braucht? „Wir denken, dass eine räumliche Orientierungsaufgabe per-fekt ist“, erläutert Lövdén. „Dazu be-nötigt man das Faktengedächtnis, es geht um serielles Lernen – erst links, dann rechts und dann wieder links – und darum, immer wieder neue Infor-mationen zu verarbeiten. Alles Dinge, bei denen der Hippocampus eine ent-scheidende Rolle spielt.“ Also die Re-gion, in der die Max-Planck-Wissen-schaftler mit einer trainingsbedingten Vergrößerung rechnen.

Weil sie möglichst rasch erfahren wollen, ob sie mit ihrer Vermutung richtig liegen, herrscht im Dahlemer Keller derzeit Hochbetrieb. Getestet wird parallel in zwei Labors, fünf Tage die Woche jeweils acht bis zehn Stun-den. Zwölf studentische Hilfskräfte wurden eingestellt. Vor Trainingsbe-ginn und zwei Wochen danach werden

die Probanden nicht nur zum MRT nach Magdeburg gefahren, sondern zudem einer ganzen Reihe von Kogni-tions- und Gedächtnistests unterzogen. Solchen, die das Orientierungsvermö-gen prüfen, und anderen.

HIRNJOGGING – DER WISSEN-SCHAFTLICHE BEWEIS FEHLT

Denn die Alternsforscher bewegt noch eine Frage: Wenn ein Mensch eine bestimmte Gedächtnisaufgabe inten-siv übt, profi tieren seine kognitiven Leistungen dann auch in anderen Be-reichen? Konkret: Hilft das Orientie-rungstraining etwa dabei, sich Wort-listen zu merken? „Das herauszufi nden, ist eines der großen Ziele in der Plas-tizitätsforschung“, sagt Lövdén. Bis-lang gebe es allerdings keine Belege, dass ein solcher Transfer stattfi ndet. Aus diesem Grund hält der Psycholo-ge von den vor allem in den USA

boomenden Gehirnjogging-Program-men für Senioren nicht allzu viel. „Die Leute üben eine bestimmte Auf-gabe und werden darin auch besser“, sagt er. „Aber eben nur bei genau die-ser Aufgabe.“

Selbst wenn die Werbebroschüren für Hirnjogging-Programme es oft versprechen, der wissenschaftliche Nachweis, dass sich damit das alters-bedingte Schwinden der Geistesleis-tung aufhalten lässt, steht bislang aus. Und Lövdén glaubt auch nicht, dass er jemals erbracht wird, weil es so nicht funktioniere. Letztlich ent-scheide die Lebensführung über das Wohl unseres Gehirns. „Wer versucht, gesund zu bleiben, sich sportlich be-tätigt, sein Sozialleben pfl egt und mentale Aktivitäten sucht, hat gute Chancen, lange geistig auf der Höhe zu bleiben. Und je früher man damit anfängt, desto besser.“ ULRICH KRAFT

Am Computerbildschirm verfolgen Sabine Schäfer und die Assistentin Gabriele Faust den Weg des Probanden.