Upload
jonas-kneller
View
212
Download
1
Embed Size (px)
Citation preview
1
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Eine geschlechtergerechte Alternative jenseits von Heimunterbringung und Familienpflege?
Romy Reimer
Forschungsfinanzierung: Projektleitung: Prof. Birgit RiegrafDr. Romy Reimer
2
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Reimer/Riegraf
Daten: Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2011, Deutschlandergebnisse
Pflegebedürftige nach Versorgungsart 2011 (2,5 Mio.)
743 Tsd. (30%)
567 Tsd. (23%)
1,18 Mio. (47%) zu Hause durchAngehörige versorgt
zusammen mit/durchambulante Pflegedienstezu Hause versorgtvollstationär in Heimenversorgt
3
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Reimer/Riegraf
1. Ausgangspunkt
Szenario in der Pflegepolitik:
• Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige
• deutsche Vereinbarkeitspolitik (Pflegezeitgesetz, Familienpflegezeitgesetz)
4
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Reimer/Riegraf
5
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Romy Reimer
Thesen:
Pflege-Wohn-Gemeinschaften ein Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten (Neu)organisation von Care-Arbeit.
Auch bei diesem Arrangement müssen Bedingungen formuliert werden, an die die Frage der Geschlechtergerechtigkeit geknüpft wird.
6
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
2. Studiendesign
Sample:
Pflege-Wohn-Gemeinschaften in ambulanter Trägerschaft und
selbstverantwortete WGs
→ davon 9 Pflege-WGs in NRW, 3 Pflege-WGs in Hamburg
Methode: • 3 Expertinnen-Interviews• qualitative Leitfadeninterviews mit 18
Pflege-/Betreuungskräften und 24 Angehörigen• ergänzende Fragebogenbefragung • statistische Daten zur Pflege-WG
Reimer/Riegraf
7Reimer/Riegraf
3. Forschungsbefunde
(1) neue und veränderte Zuständigkeiten
Neuorganisation von Care-Arbeit an den Schnittstellen zwischen Markt, Staat, Familie und Zivilgesellschaft
→ Verschiebung der traditionellen vergeschlechtlichten Grenzziehungen zwischen dem öffentlichen und dem privaten Bereich
(2) Veränderung des Professionalitätsverständnisses
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
8Reimer/Riegraf
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Pflege-/Betreuungs-bedürftige*r
Angehörige/gesetzliche Betreuer*innen
Pflegekräfte
Medizinische Dienstleister
EhrenamtlicheAlltagsbegleiter*innen
Hauswirtschafts-kräfte
Therapeutische Betreuer*innen
Care-Arrangement der Pflege-WG
9
WG-Typ Selbstbestimmung Einbindung/Beteiligung Angehöriger
Typ 1 WGs in ambulanter oder sonstiger Trägerschaft ohne Angehörigengremium
gering gering
Typ 2 WGs in ambulanter Trägerschaft mit Angehörigengremium
mittel mittel
Typ 3selbstverwaltete WGs
hoch mittel - hoch
Reimer/Riegraf
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
10
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
11
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
12
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
13Reimer/Riegraf
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
14Reimer/Riegraf
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
15Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
16Reimer/Riegraf
Öffentlicher BereichPrivater Bereich
Empathie
Zuwendung
Emotionalität
Einfühlungsvermögen
Egoismus
Konkurrenz
Rationalität
Funktionalität
Pflege-WG als familienähnliche Care-Arrangements
• emotional konnotierte Sorge- und Betreuungsarbeit verlagert sich aus den Familien in den öffentlichen Bereich
→ wird dort Gegenstand des praktischen Berufsverständnisses des Pflege- und Betreuungspersonals
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
Verschieben traditioneller Grenzziehungen
17
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten • „Ja, ich meine es ist ja im Grunde wie ne große Familie“.
• „Also mich erinnert das sehr an/ an Familie.“
• „Und das war einfach so schön familiär - und das ist auch was mir jetzt am besten gefällt - also auch diese Zusammenarbeit mit den anderen Angehörigen, das Zusammentreffen, das ist wie ne vergrößerte Familie im Grunde.
• „Und man merkt hier […] die ist ein bisschen mit eingebunden, sie ist dabei - auch wenn's manchmal nicht so klappt, […] genau wie in der Familie - sie gehört irgendwo dazu.“
• „Hier ist's wie ne kleine Familie - die müssen sich […] auch erst alle zusammenfinden.“
• „Und ich sage auch immer wieder, wenn ich hierher komme: meine Familie ist größer geworden, ne.“
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
18
3.1 Neue und veränderte Zuständigkeiten
• Wunsch nach persönlicher, emphatischer Betreuung
• emotionale Zuwendung bspw. durch körperliche Gesten
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
19
3.2 Veränderung des Professionalitätsverständnisses
WG-Typ 3, weibl. Pflegekraft
"So manche Tage, wenn unsere Bewohnerin Frau N. dich so anschreit - und [...] man kann ja nur erahnen, […] warum sie so schreit - und du hörst das den ganzen Nachmittag, und das zwei, drei Tage lang, dann bist du auch um 21 Uhr froh, wenn du nen bisschen frische Luft draußen einatmen könntest. Also die psychische Belastung ist enorm, vor allem bei einer Alzheimer-Demenz-WG. Und hier, wir sind ja nur/das Haus ist so klein und wenn unsere Bewohnerinnen so ne Phase haben, wo es denen schlecht geht, dann geht es uns auch schlecht, weil wir müssen ja damit umgehen. Und das tagelang am Stück. Die können ja nichts dafür, klar! Aber […] wir sind ja auch nur Menschen und das zieht uns auch nen bisschen runter."
Reimer/Riegraf
Pflege-WGs als Modelle einer geschlechtergerechten Organisation von Care Arbeit?
20
3.2 Veränderung des Professionalitätsverständnisses
WG-Typ 2, weibl. Pflegedienstleitung
„Also ich würde grundsätzlich sagen, dass eine pflegerische Tätigkeit bei Demenzkranken menschliche Qualifikationen voraussetzt. Also natürlich muss man Pflege fachlich und man muss die Dinge richtig machen. Ähm, das ist klar, […] aber gerade im Umgang mit Demenz sind die menschlichen Qualitäten meiner Ansicht nach höher anzusiedeln – nämlich die Fähigkeit, empathisch zu sein, einfach echt geduldig zu sein, einfühlsam, und diesen Umgang mit Demenzkranken einfach zu beherrschen. Dann läuft das andere eigentlich wie von selbst.“
Reimer/Riegraf
Pflege-WGs als Modelle einer geschlechtergerechten Organisation von Care Arbeit?
21
4. Veränderung des Professionalitätsverständnisses
Spezialisierung und Qualifizierung:
• „Fachwohnmanagerin“, „Psychiatrischen Fachpflegekraft“,
„Praxisanleiterschein“, „Personalführung“, „Wundmanagement“,
„Schmerztherapie“, „palliativer Pflege“ „medizinisches Haftungsrecht“
• „Begleitung demenziell Erkrankter“, „10 Minuten Aktivierung“,
„Ernährung“, „Kinästhetik“, „Medikamentengabe/ Behandlungspflege“
• „Pflegebasiskurs“ , Kurs „richtig Lagern“
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
22
4. Veränderung des Professionalitätsverständnisses
Neues Professionalitätsverständnis:
Nicht: „Pflege kann jede*r“ – sondern: „Pflege kann jede*r lernen“.
→ Entkoppelung von der Naturalisierung qua Geschlecht.
Kritik an der mangelnden gesellschaftlichen Anerkennung der Pflege
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
23
4. Veränderung des Professionalitätsverständnisses WG-Typ 2, weibl. Pflegedienstleitung „Also ich denke erst einmal sollte man zusehen, dass wir einfach echt mal eine Lobby kriegen. Wir haben nach wie vor seit Jahren – also seit ich in dem Bereich tätig bin – eigentlich keine Lobby. Und Pflegepersonal haftet immer noch so ein, so ein gewisses, ja, so ein Klischee irgendwie an - finde ich, ne. Das sind so die mit dem Helfersyndrom, die wischen anderen den Hintern ab. […] Das Niveau von dem Wissen, was man haben muss, um fachlich gut zu pflegen, das ist fachlich relativ hoch angesiedelt. Das ist aber in der Öffentlichkeit, in der Bevölkerung einfach echt überhaupt nicht angekommen in den ganzen Jahren. Da machen andere Länder uns wirklich etwas vor, indem die Ausbildung einfach akademisiert wird.“
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
24
4. Veränderung des Professionalitätsverständnisses
→ Rationalisierungs- und Kostendruck des Pflegesektors
• Emotionsarbeit und zeitaufwendige Betreuungstätigkeit werden zunehmend in den Bereich der geringfügigen Beschäftigung verdrängt.
• Spezialisierung als Grundlage für Teilzeitbeschäftigung
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
25
5. Fazit/Kritik
• Auflösung der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern in den Familien → Mittelschicht
• Änderung des professionellen Selbstverständnisses schafft Grundlagen für die Entnaturalisierung von Sorgearbeit
• keine formale Anerkennung sozialer und kommunikativer Kompetenzen
• Umverteilung prekärer informeller Care-Arbeit zu prekärer formeller Care-Arbeit
• Bedingung: ganzheitliches Professionsverständnis
Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
26Reimer/Riegraf
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften
WPGPersonal gesamt**
dv. geringf. Besch.
dv. Teilzeit < 30 h/Wo.
5-10 h 14 h 20 h 30 h 35 h < 20 h 20 h 25-29 h 30 h 35 h 10 h 20 h 25-26 h 30 h vollTyp 1WG A* 2 1 5 2 1 11 3 7WG B 1 3 1 2 1 1 2 11 0 6WG C 1 2 1 1 4 1 2 12 1 5WG D 13 5 3 1 3 1 26 18 4WG E 10 4 1 1 6 1 3 26 14 8WG F 20*** 1 3 1 25 20 1Typ 2WG H 11 6 1 1 1 20 11 7WG I 3 11 2 3 1 1 2 1 24 19 2Typ 3 WG J 12*** 1 1 1 2 1 1 19 12 4WG K 2 1 3 2 2 1,5 11,5 3 5WG L 2 4 1 2 2 1 12 7 4WG M* 6 1 2 1 10 6 1
***Einsatz bis zu 30 h/Monat, die geringfügig Beschäftigten verfügen in der Regel über eine Ausbildung im medizinischen Bereich (z.B. Arzthelferin, Kinderkrankenschwester, etc.) und haben noch weitere Zusatzausbildungen gemacht
** alle Angaben ohne Ehrenamtliche, Auszubildende, Buftis
* examiniertes und teilexaminiertes Personal kommt für Pflegeeinsätze morgens, mittags, teilweise nachmittags und abends in die WG, geschätzter Aufwand im Umfang von 1,5-2,5 Vollzeitstellen
geringf. Beschäftigte h/Wo. teilexaminierte Kräfte h/Wo. examinierte Kräfte h/Wo.
27Reimer/Riegraf
Care-Arrangements in Pflege-Wohn-Gemeinschaften