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1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 29 Er begegnet z. B. Bundesministerien und Landesministerien, der Bundespolizei (früher: Bundesgrenzschutz) und der Polizei des jeweiligen Bundeslandes, Zollämtern des Bundes und Finanzämtern der Länder, Gesundheitsbehörden des Bundes und solcher der Länder. In Bund und Ländern bestehen jeweils eigene Verwaltungsorganisationen mit eigenem Personal als Bundes- oder Landesbeamte, als Angestellte oder Arbeiter des Bundes oder eines Landes. Die bundesstaatliche Organisationsstruktur wird auch in der Organisation und den Aktivi- täten der politischen Parteien erkennbar. Die im Bundestag vertretenen Parteien haben sich dem bundesstaatlichen Aufbau angepasst und sich in Landesverbänden organisiert. Als Besonderheit hat sich die Christlich Soziale Union (CSU) in der Tradition der Bayeri- schen Volkspartei auf Bayern beschränkt; dafür hat die Christlich Demokratische Union (CDU) darauf verzichtet, in Bayern als Partei und Landesverband zu agieren. Im Bundestag haben sich in manchen Fraktionen Landesgruppen gebildet, um Landesinte- ressen bei den parlamentarischen Beratungen wirksamer vertreten zu können. Bei der Zu- sammensetzung der Bundesregierung wird erfahrungsgemäß darauf geachtet, dass die Länder einigermaßen repräsentativ im Kabinett vertreten sind. Die Verteilung der Gesetz- gebungskompetenz zwischen Bund und Ländern wird in Abschnitt 1.1.2.2.2 dargestellt. Der Bürger kann die bundesstaatliche Struktur auch in der Organisation der Rechtspre- chung erfahren: Bund und Länder haben jeweils eigene Gerichte für die verschiedenen Arten von Gerichtsbarkeiten. In der Regel kommt der Bürger jedoch zunächst mit den Ge- richten seines Landes in Berührung: So, wenn er wegen eines Verkehrsdeliktes angeklagt ist, mit einem Amtsgericht; wenn er gegen eine Baugenehmigung klagt, mit einem Verwal- tungsgericht; und wenn er eine Kündigung für sozial ungerecht hält, mit einem Arbeitsge- richt seines Landes. Nur in »letzter Instanz« trifft der Bürger auf Bundesgerichte: den Bundesgerichtshof in Karlsruhe (5. Strafsenat in Leipzig), das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, den Bundesfinanzhof in München, das Bundesarbeitsgericht in Erfurt, das Bundessozialgericht in Kassel. Für die Verfassungsgerichtsbarkeit gibt es das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ( Abschn. 1.1.3.2.5), – für Fragen der Länderverfassungen dortige Verfassungsgerichte, Landesverfassungs- gerichte, Verfassungs- oder Staatsgerichtshöfe. 1.1.1.2 Die Grundrechte Das Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949 hat Verfassungsrang und erhebt sich damit über die gewöhnlichen Gesetze. Die Bezeichnung »Grundgesetz« wurde gewählt, weil es ursprünglich nur als Zwischenlösung für die Bundesrepublik gedacht war. Hieß es früher in der Präambel: »Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestim- mung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden«, so ist dort heute nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zu lesen, dass die Einheit und Freiheit Deutschlands vollen- det ist: »Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.«

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen Er … · – das Recht des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern für alle Deutschen nach Eig- nung, Befähigung und fachlicher

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1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 29

Er begegnet z. B.

– Bundesministerien und Landesministerien,– der Bundespolizei (früher: Bundesgrenzschutz) und

der Polizei des jeweiligen Bundeslandes,– Zollämtern des Bundes und Finanzämtern der Länder,– Gesundheitsbehörden des Bundes und solcher der Länder.

In Bund und Ländern bestehen jeweils eigene Verwaltungsorganisationen mit eigenemPersonal als Bundes- oder Landesbeamte, als Angestellte oder Arbeiter des Bundes odereines Landes.

Die bundesstaatliche Organisationsstruktur wird auch in der Organisation und den Aktivi-täten der politischen Parteien erkennbar. Die im Bundestag vertretenen Parteien habensich dem bundesstaatlichen Aufbau angepasst und sich in Landesverbänden organisiert.Als Besonderheit hat sich die Christlich Soziale Union (CSU) in der Tradition der Bayeri-schen Volkspartei auf Bayern beschränkt; dafür hat die Christlich Demokratische Union(CDU) darauf verzichtet, in Bayern als Partei und Landesverband zu agieren.

Im Bundestag haben sich in manchen Fraktionen Landesgruppen gebildet, um Landesinte-ressen bei den parlamentarischen Beratungen wirksamer vertreten zu können. Bei der Zu-sammensetzung der Bundesregierung wird erfahrungsgemäß darauf geachtet, dass dieLänder einigermaßen repräsentativ im Kabinett vertreten sind. Die Verteilung der Gesetz-gebungskompetenz zwischen Bund und Ländern wird in Abschnitt 1.1.2.2.2 dargestellt.

Der Bürger kann die bundesstaatliche Struktur auch in der Organisation der Rechtspre-chung erfahren: Bund und Länder haben jeweils eigene Gerichte für die verschiedenenArten von Gerichtsbarkeiten. In der Regel kommt der Bürger jedoch zunächst mit den Ge-richten seines Landes in Berührung: So, wenn er wegen eines Verkehrsdeliktes angeklagtist, mit einem Amtsgericht; wenn er gegen eine Baugenehmigung klagt, mit einem Verwal-tungsgericht; und wenn er eine Kündigung für sozial ungerecht hält, mit einem Arbeitsge-richt seines Landes.

Nur in »letzter Instanz« trifft der Bürger auf Bundesgerichte:

– den Bundesgerichtshof in Karlsruhe (5. Strafsenat in Leipzig),– das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig,– den Bundesfinanzhof in München,– das Bundesarbeitsgericht in Erfurt,– das Bundessozialgericht in Kassel.

Für die Verfassungsgerichtsbarkeit gibt es

– das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (� Abschn. 1.1.3.2.5),– für Fragen der Länderverfassungen dortige Verfassungsgerichte, Landesverfassungs-

gerichte, Verfassungs- oder Staatsgerichtshöfe.

1.1.1.2 Die Grundrechte

Das Bonner Grundgesetz vom 23. Mai 1949 hat Verfassungsrang und erhebt sich damitüber die gewöhnlichen Gesetze. Die Bezeichnung »Grundgesetz« wurde gewählt, weil esursprünglich nur als Zwischenlösung für die Bundesrepublik gedacht war. Hieß es früherin der Präambel: »Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestim-mung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden«, so ist dort heute nach demBeitritt der ehemaligen DDR zu lesen, dass die Einheit und Freiheit Deutschlands vollen-det ist: »Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk.«

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

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1.1.1.2.1 Die Adressaten der Grundrechte

In einem langwierigen geschichtlichen Prozess hatte das Staatsvolk gegen die Herrscherseine Grundrechte zur Anerkennung gebracht. Diese Rechte bilden heutzutage dieGrundwerte unseres Zusammenlebens.

»Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Men-schenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Ge-rechtigkeit in der Welt«

heißt es in Art. 1, Abs.2 GG. Und in Absatz 3 wird die Staatsgewalt in deren Dienst gestellt:

»Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Recht-sprechung als unmittelbar geltendes Recht«.

Das Grundgesetz verpflichtet in seinen ersten 20 Artikeln in erster Linie den Staat und be-rechtigt die Staatsbürger oder sogar darüber hinaus alle Menschen im Staatsgebiet, dem»Geltungsbereich des Grundgesetzes«. Insofern kann man die Grundrechte auch in Men-schenrechte und Staatsbürgerrechte einteilen.

Als Beispiel sei auf Art. 9 GG »Vereinigungsfreiheit« hingewiesen. In seinem 1. Absatzheißt es: »Alle Deutschen haben das Recht ...«; in seinem 3. Absatz heißt es: »Das Rechtzur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zubilden, ist für jedermann ... gewährleistet.«

Grundrechte können auch missbraucht werden. Dieser Gefahr haben die Väter unsererVerfassung in Art. 18 GG einen Riegel vorgeschoben.

Die Abwehrbereitschaft unserer Demokratie wird dadurch dokumentiert, dass unsereVerfassung in Art. 18 GG die Verwirkung von einigen Grundrechten ausspricht, und zwardann, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung miss-braucht wurden. Aber nur die Judikative, hier die Verfassungsgerichtsbarkeit, kann dieseVerwirkung von Grundrechten aussprechen.

Weiter darf »in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden« (Art.19 Abs. 2 GG) und: »Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche ... die in den Art. 1und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig« (Art. 79 Abs. 3 GG).

Die auf völkerrechtlicher Grundlage beruhenden so genannten internationalen Grund-rechte werden hier nicht ausführlich behandelt. Sie finden sich vor allem in folgenden in-ternationalen Verträgen:

– UN-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte vom 19.12.1966,– UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte v. 19.12.1966,– UN-Rassenkonvention vom 07.03.1966,– Europäische Menschenrechtskonvention vom 20.03.1952,– Europäische Sozialcharta vom 18.10.1961.

Diese Verträge enthalten Normierungen, die den Grundrechten des Grundgesetzes viel-fach entsprechen. Sie sind gem. Art. 59 Abs. 2 GG zu innerstaatlichem Recht geworden,stehen aber lediglich im Rang eines Gesetzes.

Der Grundrechtschutz in der Europäischen Union beruht nach dem Vertrag von Lissabonauf zwei Grundlagen:

– Der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in der überarbeiteten Fassungvom 12. Dezember 2007,

– den ungeschriebenen Unionsgrundrechten, die daneben als allgemeine Rechtsgrund-sätze des Unionsrechts fortgelten.

Diese beiden Grundlagen des europäischen Grundrechtsschutzes werden durch den Bei-tritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention ergänzt.

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

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Noch während der Weimarer Republik galten die Grundrechte nur nach Maßgabe der Ge-setze, heute ist in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht, dass die Gesetze nurnach Maßgabe der Grundrechte gelten.

Die besondere Bedeutung dieser Grundrechte für den einzelnen Bürger liegt darin, dasssie ihm subjektive öffentliche Rechte geben, auf die er sich dem Staat gegenüber berufenkann. Die Grundrechte schaffen dem Einzelnen damit einen gegenüber staatlichen Ein-griffen geschützten Freiraum. Sie sind aber nicht nur als Abwehrrechte anzusehen, son-dern sind – zumindest zum Teil – auch Leistungsrechte, die den Staat verpflichten, dazubeizutragen, dem Bürger die Verwirklichung seiner Ansprüche zu ermöglichen.

1.1.1.2.2 Die wichtigsten Grundrechte und Rechtsgarantien

Die Grundrechte und Rechtsgarantien lassen sich in Freiheitsrechte und Gleichheitsrech-te unterteilen. Allen voran steht der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Ver-pflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichenMenschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedensund der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt undRechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.«

1.1.1.2.2.1 Freiheitsrechte

Systematisch lassen sich die Freiheitsrechte untergliedern in

– Rechte zum Schutz der Freiheit der Person,– wirtschaftliche Freiheitsrechte,– politisch-gesellschaftliche Freiheitsrechte.

Zum Schutz der Freiheit der Person sind zu zählen:

– das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1);– das Recht auf die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2);– das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2);– das Recht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2);– das Kriegsdienst-Verweigerungsrecht (Art. 4 Abs. 3);– das Recht, eine Ehe zu schließen und eine Familie zu gründen (Art. 6 Abs. 1);– das Recht zur Erziehung der Kinder (Art. 6 Abs. 2);– das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1);– das Recht auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1);– das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1);– das Recht aller Deutschen auf die deutsche Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1);– das Verbot der Auslieferung von Deutschen an das Ausland (Art. 16 Abs. 2);– das Recht auf Asyl für politisch Verfolgte (Art. 16 Abs. 2);– das Petitionsrecht (Art. 17);– die Rechtsweggarantie bei Verletzung durch die öffentliche Gewalt (Art. 19 Abs. 4).

Zu den wirtschaftlichen Freiheitsrechten gehören:

– das Recht Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zu bilden und ihnen beizutre-ten, »Koalitionsfreiheit« (Art. 9 Abs. 3);

– das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen (Art. 12 Abs. 1);– die Gewährleistung des Eigentums und des Erbrechts (Art. 14 Abs. 1).

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Zu den politisch-gesellschaftlichen Freiheitsrechten sind zu zählen:

– das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu vertreten (Art. 5 Abs. 1);– das Recht, sich ungehindert zu unterrichten (Art. 5 Abs. 1);– die Pressefreiheit und das Verbot der Zensur (Art. 5 Abs. 1);– das Recht auf Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3);– das Recht, sich ohne Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln (Art. 8 Abs. 1);– das Recht, Vereine zu gründen und Vereinen beizutreten (Art. 9 Abs. 1);– die Freiheit, politische Parteien zu gründen und ihnen beizutreten (Art. 21 Abs. 1);– das Wahlrecht (Art. 38 Abs. 1).

1.1.1.2.2.2 Gleichheitsrechte

Hierzu zählen:

– die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1);– die Gleichberechtigung von Männern und Frauen (Art. 3 Abs. 2);– das Diskriminierungsverbot (Rasse, Glauben, Herkunft ...) (Art. 3 Abs. 3);– Gleichstellung der unehelichen mit den ehelichen Kindern (Art. 6 Abs. 5);– gleiche staatsbürgerliche Rechte und Pflichten für alle Deutschen in allen Bundeslän-

dern (Art. 33 Abs. 1);– das Recht des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern für alle Deutschen nach Eig-

nung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 Abs. 2);– die Wahlrechtsgleichheit (Art. 38 Abs. 1).

1.1.1.2.3 Die Einschränkung von Grundrechten

Auch die Grundrechte werden vom Staat nicht unbegrenzt garantiert. Denn wenn derStaat handelt, greift er sehr oft in Grundrechte ein, wie zum Beispiel in das in Art. 2 Abs. 1GG garantierte Recht eines Menschen, eigentlich zu tun und zu lassen, was er will.

Zum Teil nennt das Grundgesetz ausdrückliche Schranken der Grundrechtsgewährleis-tung. So ist zum Beispiel in Art. 5 GG bestimmt, dass das Recht der freien Meinungsäuße-rung und die Pressefreiheit »ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze,den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persön-lichen Ehre« finden. Das heißt im Klartext: Beleidigungen sind verboten, werden straf-rechtlich verfolgt und fallen daher nicht unter die freie Meinungsäußerung.

Andererseits gibt es so genannte verfassungsimmanente Schranken, die nicht beimGrundrecht selbst genannt sind, sondern sich aus den restlichen Bestimmungen der Ver-fassung ergeben. Diese Schranken sind von Bedeutung, wenn ein Grundrecht mit Grund-rechten Dritter oder mit sonstigen Werten von Verfassungsrang kollidiert. Zum Beispiel ga-rantiert Art. 5 GG die Freiheit der Forschung ohne ausdrückliche Beschränkung derGrundrechtsgewährleistung. Dennoch werden Menschenversuche, Tierversuche undGenversuche vom Staat zu Recht nicht oder nur unter Auflagen gebilligt.

Auch wenn das Grundgesetz die Einschränkungsmöglichkeit der Grundrechtsgewährleis-tung vorsieht, so sind noch eine Vielzahl von Anforderungen an eine Grundrechtsein-schränkung zu stellen. Zu diesen Anforderungen gehören die folgenden:

– Einschränkungen können nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen.

– Gesetze, die Einschränkungen nur für den Einzelfall regeln, sind verboten(Art. 19 Abs. 1 GG).

– Die in den Gesetzen bestimmten Voraussetzungen und Rechtsfolgen müssen verständ-lich formuliert sein.

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

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– Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formvorschriften müssen eingehalten werden.

– Der Wesensgehalt, also der Kern des gewährleisteten Grundrechtes, darf nicht ange-tastet werden (Art. 19 Abs. 2 GG).

Die Einschränkung eines Grundrechtes muss außerdem verhältnismäßig, das heißt ge-eignet, erforderlich und zumutbar sein:

– Geeignet ist eine grundrechtseinschränkende Maßnahme, wenn sie zur Erreichung ihresZieles beiträgt.

– Erforderlich ist eine Maßnahme, wenn es kein milderes, gleich wirksames Mittel gibt.

– Zumutbar ist eine Maßnahme, wenn Mittel und Zweck in einem angemessenem Verhält-nis stehen.

Die Eigentumsgewährleistung des Art. 14 GG nimmt eine besondere Stellung in derGrundgesetzdogmatik ein, da sich der Schutzbereich dieses Grundrechts nicht aus demGrundgesetz selbst ermitteln lässt:

Sowohl Inhalt der Eigentumsgewährleistung als auch deren Schranken werden durch Ge-setz bestimmt. Gesetzliche Einschränkungen des Eigentums können entweder nur die So-zialbindung des Eigentums konkretisieren oder sogar eine Enteignung darstellen. So ist einEigentümer von vornherein verpflichtet, sein Eigentum nicht ausschließlich zu seinem eige-nen Nutzen zu gebrauchen bzw. nicht zum Schaden des Gemeinwesens zu nutzen.

Die im Rahmen der Sozialbindung hinzukommenden Einschränkungen der Eigentums-gewährleistung sind sehr vielfältig. Sie erstrecken sich nicht nur auf Nutzungsbeschrän-kungen, sondern auch auf Lasten, wie z. B. die Steuern, die unter Umständen eine Sub-stanzminderung des Eigentums herbeiführen können.

Eine Enteignung darf nur zum Wohl der Allgemeinheit stattfinden. Art und Ausmaß einerEntschädigung müssen gesetzlich geregelt sein (Art. 14 Abs. 3 GG). Häufig ist die Enteig-nung von Grund und Boden zur Durchführung öffentlicher Bauvorhaben, wie z. B. Hafen-erweiterungen oder Autobahnen anzutreffen.

1.1.1.3 Grundbegriffe und Aufgaben des Rechts

1.1.1.3.1 Begriff und Funktionen des Rechts

Zur Grundordnung gehören tragende Elemente und Institute unseres Rechtssystemsauch außerhalb der Verfassung. Der Industriemeister sollte z. B. den Unterschied zwi-schen öffentlichem und privatem Recht kennen, die Grundzüge des Vertragsrechts undHaftungsgrundsätze.

In der Einführung hatten wir festgestellt, dass das Recht den Regeln gleichzusetzen ist,die das Zusammenleben in Frieden ordnen und innerhalb einer Gesellschaft ermöglichen:die Ordnungsfunktion des Rechts.

Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass es immer einzelne Perso-nen geben wird, die gegen Rechtsvorschriften verstoßen, die also die Ordnung stören. Insolchen Fällen (Verkehrsrowdies, Diebstahl, Mord) muss gewährleistet sein, dass die ent-sprechenden Rechtsgüter (Gesundheit, Eigentum, Leben) geschützt sind: die Sicher-heits- oder Schutzfunktion des Rechts.

Verstöße gegen die Ordnungs- oder gegen die Schutzfunktion des Rechts führen in derRegel zu Benachteiligungen des einen und zu ungerechtfertigten Vorteilen des anderen.Dieses rechtliche Missverhältnis gilt es auszugleichen. Der regelwidrig Handelnde ist prin-zipiell zur Wiedergutmachung heranzuziehen, der Geschädigte nach Möglichkeit zu ent-schädigen: die Ausgleichsfunktion des Rechts (siehe auch die folgende Abbildung).

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

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Aufgaben des Rechts

Als Recht im objektiven Sinne bezeichnet man die Gesamtheit aller Vorschriften bzw.die Gesamtheit aller Vorschriften eines bestimmten Rechtsgebietes. Unter einem Rechtim subjektiven Sinne versteht man die Befugnisse, die man hat (Ansprüche und Gestal-tungsrechte), also die sich aus dem objektiven Recht konkret für eine Person ergebendenRechte.

Ein Industriemeister zählt sowohl das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) als auch das(kaum für ihn zur Anwendung kommende) Beihilferecht der Beamten zum Recht im objek-tiven Sinne. Ergeben sich jedoch aus dem Recht im objektiven Sinne, und hier z. B. ausdem ASiG in einem ganz konkreten Fall, Rechte für ihn, sind dies subjektiven Rechte.

Wenn von Rechtsprechung der Gerichte die Rede ist, versteht man darunter die Anwen-dung des objektiven Rechts auf den konkreten Fall, was die Prüfung des subjektiven As-pekts einschließt.

Recht und Moral oder Recht und Sittlichkeit decken sich nicht immer. Die Moral wendetsich an die Gesinnung des Menschen, während das Recht sein äußeres, »messbares«Verhalten regeln soll. Moralisches Verhalten ist – ebenso wie die Beachtung der in der Ge-sellschaft geltenden Anstandsregeln und Gebräuche (»Sitte«) – nur dann erzwingbar,wenn es gleichzeitig vom Recht im objektiven Sinne gefordert wird.

1.1.1.3.2 Öffentliches und privates Recht

Das Recht im objektiven Sinne kann man wie folgt aufteilen:

Öffentliche und private Rechtsnormen

Das Privatrecht beruht auf der Gleichberechtigung aller Rechtsträger und regelt dieRechtsbeziehungen zwischen diesen. Auch der Staat kann privatrechtlich tätig werden,

Öffentliches Recht und Privatrecht

Öffentliches Recht Privatrecht

– Staatsrecht – Bürgerliches Recht– Strafrecht – Handelsrecht– Steuerrecht – Wechsel- und Scheckrecht– Gewässerschutzrecht – Gesellschaftsrecht– Abfallentsorgungsrecht – Privatversicherungsrecht– Immissionsschutzrecht – Urheberrecht– Strahlenschutzrecht – Markenrecht– Gerichtsverfassungsrecht... – Patentrecht...

Aufgaben des Rechts

Ordnungsfunktion Sicherheitsfunktion Ausgleichsfunktion� �

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

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z. B. bei der Einstellung von Arbeitern und Angestellten im Bereich der Müllentsorgung, beider Beauftragung eines Glasers mit dem Ersatz von gesprungenen Isolierglasfenstern, indiesen Fällen als gleichberechtigter Partner zum Mitarbeiter oder Werkunternehmer.

Das öffentliche Recht kommt zur Anwendung, wenn der Staat »hoheitlich« tätig wird. Inder Regel geht es dann auch um staatliche Interessen und das Verhältnis zwischen Bür-ger(n) und dem übergeordneten Gemeinwesen. Der Staat hat dabei die Interessen derAllgemeinheit zu vertreten. Außerdem regelt das öffentliche Recht das Verhältnis staat -licher Organisationen untereinander.

Das Unterordnungsprinzip des öffentlichen Rechts ist notwendig, um das Zusammenle-ben erträglich zu gestalten. Der allen zur Verfügung stehende Lebensraum gestattet keineunbeschränkte Selbstentfaltung und Selbstherrlichkeit. Geordnetes Leben innerhalb dermenschlichen Gesellschaft ist nur unter Beachtung von Mindestregeln denkbar. DieseMindestregeln müssen im Gesamtinteresse gegen das Einzelinteresse durchsetzbar sein.Es darf folglich nicht in der freien Entscheidung des Einzelnen liegen, ob er sich ihnen un-terwerfen will oder nicht. Deshalb sind staatliche Befehlsgewalt und staatlicher Zwang zurDurchsetzung erforderlich.

Die Menschen würden es aber nicht ertragen, bis in die letzten Bereiche des Lebens Be-fehlsempfänger zu sein. Deshalb greift das öffentliche Recht regelmäßig nur dort mitZwang ein, wo die Rechtsbeziehungen im Interesse der Allgemeinheit anders nicht zu re-geln sind (dies ist z. B. auf dem Gebiet des Umweltschutzrechtes der Fall).

In der Gesamtheit der Rechtsnormen haben privates und öffentliches Recht im Zusam-menspiel die Aufgabe, dem Menschen Raum zur Gestaltung seines Lebens zu belassen(Privatrecht), ihn aber dort hoheitlichem Befehl zu unterwerfen, wo ein geordnetes Zu-sammenleben dies zwingend erfordert (öffentliches Recht).

Viele Rechtsgebiete sind von privatem und öffentlichem Recht durchwoben. So werdenzum Arbeitsrecht sowohl zivilrechtliche Vorschriften, welche Arbeitsverträge regeln, alsauch dem öffentlichen Recht zuzuordnende Vorschriften zum Arbeitsschutz und zur Ar-beitssicherheit gerechnet.

1.1.1.3.3 Rechtsquellen

Als Quellen des Rechts kommen gesetztes Recht und Gewohnheitsrecht in Betracht:

Rechtsquellen

Das Gewohnheitsrecht ist nicht geschriebenes, nicht gesetztes Recht. Es entsteht durchlangjährige Übung bei gleichzeitiger Anerkennung aller beim Rechtsverkehr beteiligtenPersonen, ohne dass ein Widerspruch zu Rechtsnormen besteht. Der Anwendungsbe-reich ist wesentlich kleiner, als es ein Vorurteil allgemein empfindet.

Der weitaus größte Teil des Rechts ist gesetztes Recht. Man unterscheidet hierbei Gesetze, Rechtsverordnungen und autonome Satzungen, z. B. auch Vereinbarungen.

Rechtsquellen

Gesetztes Recht Gewohnheitsrecht

Gesetz Rechtsverordnung autonome Satzung Vereinbarung

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

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Während Gesetze grundsätzlich durch die Legislative erlassen werden, können Rechts-verordnungen durch die Exekutive erlassen werden, sofern und soweit ein Gesetz (vgl.Art. 80 GG) dazu eine ausdrückliche Ermächtigung gibt. Rechtsverordnungen stehen imRang unter den Gesetzen.

Eine Besonderheit finden wir auf EU-Ebene. Hier erlässt die Exekutive, die EuropäischeKommission, ermächtigt durch die Römischen Verträge, aber ohne Ermächtigung und oh-ne Kontrolle durch das Europäische Parlament, Verordnungen, die damit für die EU-Bür-ger den Rang von Gesetzen erhalten.

Generell lässt sich feststellen, dass Gesetze allgemeine Festlegungen und Rechtsverord-nungen die Festlegungen von Einzelheiten enthalten. So ist beispielsweise im Bundesim-missionsschutzgesetz generell in § 4 geregelt, dass Anlagen zur Errichtung und zum Be-trieb einer Genehmigung bedürfen. In einer Verordnung zur Durchführung desBundesimmissionsschutzgesetzes findet man Regelungen zum Genehmigungsverfahren,von der Antragstellung über die Vordrucke, zu möglichen Sachverständigengutachten undErörterungsterminen bis hin zur Genehmigungsentscheidung.

Unter autonomen Satzungen versteht man die Regeln, die im Rahmen der Selbstgesetz-gebung von Körperschaften des öffentlichen Rechts zustande kommen. So erlässt dieSeeberufsgenossenschaft eine Unfallverhütungsvorschrift, die für die Mitglieder, wie Ge-setze und Rechtsverordnungen, geltendes Recht ist.

Als Rechtsquelle im weiteren Sinne kann man noch die Rechtsprechung bezeichnen,wobei hierunter die höchstrichterliche Spruchpraxis mit Leitcharakter verstanden wird.

1.1.1.3.4 Natürliche und juristische Personen

Wir kennen Rechtssubjekte und Rechtsobjekte. Nur Rechtssubjekte können Träger vonRechten und Pflichten sein. Sie sind entweder natürliche oder juristische Personen. Natür-liche Personen sind alle lebenden Menschen mit Vollendung der Geburt (§ 1 BGB). Juris-tische Personen sind abstrakt-gedankliche Gebilde aus Personen oder Sachen, denenRechtsfähigkeit eingeräumt wird. Deshalb können auch sie als selbstständige Träger vonRechten und Pflichten am Rechtsverkehr teilnehmen, indem sie ihre Organe für sich han-deln lassen (im Einzelnen siehe auch die folgende Abbildung):

– Körperschaften sind mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Vereinigungen des öffentlichenund des privaten Rechts. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind vor allem derStaat (Bund und Länder) sowie die eingegliederten Gebietskörperschaften (Gemeindenund Kreise). Im privaten Recht gehören zu den Körperschaften die eingetragenen Ver-eine (§ 21 BGB) sowie der wirtschaftliche Verein (§ 22 BGB) und als dessen bedeutsa-me Sonderform die Kapitalgesellschaften;

– Anstalten des öffentlichen Rechts, sind mit eigenem Vermögen ausgestattete juristi-sche Personen, die im Gegensatz zu den Körperschaften keine Mitgliederstruktur, son-dern nur Benutzer haben;

– Stiftungen des öffentlichen und privaten Rechts bestehen aus einer zweckgebundenenVermögensmasse und haben keine Mitglieder, sondern nur Nutznießer.

1.1.1.3.5 Rechts-, Geschäfts- und Deliktsfähigkeit

Während jeder natürlichen Person Rechtsfähigkeit eingeräumt wird und sie damit Trägervon Rechten und Pflichten sein kann, kann man nicht ohne Weiteres davon ausgehen,dass sie auch in der Lage ist, selbstständig, verantwortlich und mit rechtlicher Wirkung ih-re Angelegenheiten zu regeln, d. h. Rechtsgeschäfte vorzunehmen.

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Juristische Personen

Körperschaften

nicht wirtschaftliche Vereine (§ 21 BGB)

Anstalten des öffentlichen Rechts (§ 89 BGB)

Stiftungen

Juristische Personen

Körperschaften des privaten Rechts

wirtschaftliche Vereine (§ 22 BGB)

Körperschaften des öffentlichen Rechts (§ 89 BGB)

Gebietskörperschaften

z. B. Tennisverein Verein der Mozartfreunde Verein der Ehemaligen der Holstenschule

z. B. Aktiengesellschaft Gesellschaft mit beschränkter Haftung Kommanditgesellschaft auf Aktien Eingetragene Genossenschaft

Personalkörperschaften

z. B. Bundesrepublik Deutschland Freie und Hansestadt Hamburg Landkreis Harburg

z. B. Hochschule für angewandte Wissenschaften Handelskammer Hamburg Christian-Albrecht-Universität Kiel

z. B. NDR Norddeutscher Rundfunk ZDF Zweites Deutsches Fernsehen Sparkasse Harburg-Buxtehude Filmförderungsanstalt

z. B. Stiftung Volkswagen Stiftung Warentest

z. B. Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

Stiftungen des privaten Rechts (§§ 80, 81 BGB)

Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 89 BGB)

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Von der Rechtsfähigkeit ist nämlich die Geschäftsfähigkeit zu unterscheiden. Sie istüberall dort von Bedeutung, wo Personen mit Willenserklärungen am Rechtsleben teilneh-men. Man unterscheidet geschäftsunfähige (vgl. § 104 BGB), beschränkt geschäftsfähige(vgl. § 106 BGB) und voll geschäftsfähige Personen. Normalerweise erlangen Volljährigedie unbeschränkte Geschäftsfähigkeit. Ausnahmsweise erlangen sie diese jedoch nicht,wenn krankhafte Störungen dem entgegen stehen (vgl. § 104 BGB).

Prinzipiell ist jeder, der eine »unerlaubte Handlung« begeht, zum Schadensersatz ver-pflichtet (vgl. § 823 BGB). Der Gesetzgeber knüpft den Schadensersatzanspruch jedoch andie weitere Voraussetzung der Deliktsfähigkeit. Die Verantwortlichkeit des Handelndenwird dabei von der Einsichtsfähigkeit abhängig gemacht. Hier ist jedoch nicht die Einsicht indie rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Erklärung, sondern die Erkenntnis desVerbotenen (vgl. § 828 BGB) entscheidend. Deliktsfähig ist daher, wer »...bei Begehung derschädigenden Handlung ... die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsichthat...« – es sei denn, er wäre jünger als sieben Jahre und daher deliktsunfähig.

Die zivilrechtliche Deliktsfähigkeit ist nicht mit der Strafmündigkeit (Vollendung des vier-zehnten Lebensjahres) zu verwechseln!

1.1.1.3.6 Willenserklärungen

Grundlage eines jeden Rechtsgeschäftes ist die Willenserklärung. Man versteht darunterdie Äußerung eines Rechtssubjektes, in der die auf Freiwilligkeit beruhende Absicht offen-bar wird, eine ganz bestimmte Rechtsfolge herbeizuführen.

Die Elemente der Willenserklärung sind: Handlungswille, Erklärungsbewusstsein undGeschäftswille.

Die Erklärungen können mündlich oder schriftlich, ausdrücklich oder durch schlüssigesVerhalten (z. B. Einwurf von Geldstücken in den Warenautomaten) oder auch durchSchweigen abgegeben werden.

Schweigen ist jedoch nur in Ausnahmefällen eine Willenserklärung, wenn dies gesetzlichvorgesehen ist (z. B. billigt der Käufer die auf Probe gekaufte Ware, wenn er gegenüberdem Verkäufer schweigt, § 455 BGB) oder wenn das Schweigen den Umständen nach ei-nen hinreichenden Schluss auf einen bestimmten Geschäftswillen zulässt (beredtes oderschlüssiges Schweigen).

In diesem Zusammenhang ist das kaufmännische Bestätigungsschreiben von Bedeu-tung: Widerspricht der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens diesemnicht unverzüglich, so gilt sein Schweigen als Zustimmung zum Inhalt. Die Voraussetzun-gen eines solchen kaufmännischen Bestätigungsschreibens sind allerdings, dass

– der Empfänger wie ein Kaufmann in größerem Umfang selbstständig am Rechtsverkehrteilnimmt,

– der Absender ähnlich wie ein Kaufmann am Rechtsverkehr teilnimmt und erwartenkann, dass ihm gegenüber nach kaufmännischer Sitte verfahren wird,

– Vertragsverhandlungen stattgefunden haben, die der Klarstellung bedürfen,

– der Empfänger erkennbar davon ausgeht, dass ein Vertrag bereits geschlossen ist, sowie

– der Absender in seinem Vertrauen auf das Schweigen als Zustimmung schutzwürdig ist.

Das Beispiel des kaufmännischen Bestätigungsschreibens zeigt, wie vorsichtig imRechtsverkehr mit der Bedeutung des Schweigens umzugehen ist. Man sollte daher aufpassen, dass das eigene Schweigen nicht als Erklärung gedeutet wird und dasSchweigen anderer nicht zu freimütig für eine Willenserklärung halten.

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Eine Willenserklärung wird grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Zugangs wirksam. Zu-gang in diesem Sinn kann auch in der Möglichkeit der Kenntnisnahme zu sehen sein.

Mehrseitige Rechtsgeschäfte, Verträge, kommen dann wirksam zustande, wenn die Wil-lenserklärungen der Partner, Antrag und Annahme, sich inhaltlich decken (vgl. §§ 145 ffBGB). Ein Antrag (oder Angebot) ist eine inhaltlich vollständige, an eine bestimmte Persongerichtete, empfangsbedürftige Willenserklärung mit der verbindlichen Absicht, mit dieserPerson einen Vertrag abzuschließen. Erfolgt die Annahme rechtzeitig und uneinge-schränkt, kommt der Vertrag zustande.

Verträge sind verbindlich, die Vertragsparteien sind also verpflichtet, die darin enthaltenenVersprechungen einzuhalten. Um die Bedeutung dieses Grundsatzes zu unterstreichenverwenden Juristen gerne den schon aus dem römischen Recht stammenden Spruch:»Pacta sunt servanda!« (Verträge sind einzuhalten).

Wer sich die Entscheidung vorbehalten möchte, an einen Vertrag gebunden zu sein, soll-te dies in Angeboten durch einen entsprechenden Zusatz, wie z. B. »freibleibend«, deut-lich machen.

Geht es um Auslegungsfragen, lautet die Regel: Wichtig ist, sich nicht an das geschriebe-ne Wort zu klammern, sondern den wirklichen, dahinter stehenden Willen zu erforschen;das gilt sowohl für die einzelne Willenserklärung als auch bei der Auslegung in einem Ver-trag (vgl. dazu §§ 133 BGB und 157 BGB).

1.1.1.3.7 Wichtige Verträge des Wirtschaftslebens

Bevor man sich mit Verträgen befasst, muss man sich mit dem Begriff »Schuldverhältnis«vertraut machen: Es kann sowohl durch ein Gesetz (z. B. eine unerlaubte Handlung, §§ 823 ff. BGB) als auch durch einen Vertrag entstehen.

»Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eineLeistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen«, heißt es in§ 241 Abs. 1 BGB.

Das Recht des Gläubigers, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu fordern,nennt man Anspruch (Definition in § 194 Abs. 1 BGB). Im Allgemeinen trifft den Gläubigerdie Beweislast für das Bestehen seines Anspruchs.

Da aus Verträgen eine Vielzahl von Ansprüchen für beide Vertragspartner resultieren, sol-len die wichtigsten in der folgenden Übersicht aufgeführt werden; dabei ist festzustellen,dass die Regelungen der dort aufgeführten Vertragstypen für viele Mischformen von Ver-trägen ebenfalls herangezogen werden. Weitere wichtige Verträge im BGB sind:

– Kaufvertrag (§ 433),– Mietvertrag (§§ 535 ff),– Pachtvertrag (§§ 581 ff),– Leihvertrag (§§ 598 ff),– Auftrag (§ 662 ff),– Verwahrungsvertrag (§§ 688 ff),– Bürgschaftsvertrag (§§ 765 ff),– Vergleich (§ 779).

1.1.1.3.8 Nichtige und anfechtbare Rechtsgeschäfte

Rechtsgeschäften liegen Willenserklärungen zugrunde. Mangelhafte Erklärungen, die miss-verständlich oder falsch geäußert werden, können zu ungewollten Rechtsfolgen führen.

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

40 Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Nach dem Gesetz können solche Willenserklärungen deshalb nichtig sein oder durch An-fechtung unwirksam werden. Nichtigkeit bedeutet, dass eine Willenserklärung von Anfangan unwirksam ist. Sie war also rechtlich nie vorhanden. Aus einem nichtigen Rechtsge-schäft können daher keine Ansprüche oder Verpflichtungen entstehen. Die Nichtigkeitkann direkt aus dem Gesetz folgen. Anders verhält es sich bei anfechtbaren Willenserklä-rungen. Hier ist die Willenserklärung zunächst wirksam. Erst durch die Anfechtungserklä-rung wird sie rückwirkend unwirksam.

1.1.1.3.8.1 Nichtige Rechtsgeschäfte

Aus vom Gesetz bestimmten Gründen können Rechtsgeschäfte, also auch Verträge, vonAnfang an nichtig sein. Zu diesen in der Abbildung aufgeführten Nichtigkeitsgründen gehö-ren der Formmangel, der Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot und die Sittenwidrigkeit.

Gemäß § 125 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das nicht in der zwingend notwendigen Formabgefasst wurde, nichtig. Zwar sind Rechtsgeschäfte regelmäßig wirksam, ohne dass ei-ne bestimmte Form berücksichtigt werden muss; das heißt, der Erklärende ist frei in derWahl seiner Erklärungsmittel. Die Formbedürftigkeit kann aber durch Gesetz vorgeschrie-ben oder durch Rechtsgeschäft vereinbart worden sein. Sie dient in der Regel

– der Sicherung des Beweises,– der Beratung über die Auswirkungen des Geschäfts (z. B. durch den Notar),– der Warnung vor einem übereilten Abschluss.

Das Gesetz kennt

– die Schriftform (z. B. § 126 Abs. 1 BGB),– die notarielle Beurkundung (z. B. §§ 128, 873 BGB),– die öffentliche Beglaubigung (z. B. §§ 129, 77 BGB).– die elektronische Form (§ 126a BGB),– die Textform (§ 126b BGB).

So sind beispielsweise Bürgschaftsverträge und Verfügungen von Todes wegen nichtig,wenn die vorgeschriebenen Formen nicht beachtet worden sind.

Vertragsarten BGB Kennzeichnung Bezeichnung Beispiele§§ des Vertragsinhaltes Vertragspartner

Kaufvertrag 433 Veräußerung von Verkäufer und Kauf eines Personal-Computers, einer bis Sachen und Rechten Käufer Werkzeugmaschine, eines Patentes, 479 eines Grundstücks

Werkvertrag 631 Herstellung eines Werkes Unternehmer Reparatur eines Personal-Computers; bis gegen Vergütung; und Besteller Beförderung einer Ladung von Ort A nach650 Herstellung oder Verän- B; Ausbuchsen eines Hilfsdiesels durch

derung einer Sache oder eine Reparaturfirmaein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg;die Sache selbst liefertder Besteller

Werklieferungs- 651 dito Werkvertrag; nur Unternehmer Herstellung und Anlieferung eines vertrag stellt der Unternehmer und Besteller Schleusentores, Einbau durch Besteller

den Stoff selbst

Darlehen 488 Überlassung von Geld Darlehnsgeber Bankkredit; Schweißelektroden werden bis oder anderen vertretba- und Darlehns- vorübergehend vom Meisterbetrieb XY

498; ren Sachen zum Ver- nehmer »ausgeborgt«, verbraucht, dann neue607 brauch bei späterer und gleichartige gekauft, an XY zur bis Rückgabe von Sachen »Entlastung« zurückgegeben609 gleicher Art, Güte,

Menge

Dienstvertrag 611 entgeltliche Leistung Dienstberechtig- Einstellung eines Arbeitnehmers; bis von Diensten ter und Dienst- Inanspruchnahme eines Rentenberaters630 verpflichteter

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 41

Fehlerhafte Rechtsgeschäfte

Gemäß § 134 BGB ist ein gegen ein gesetzliches Verbot verstoßendes Rechtsgeschäftnichtig. Als Verbotsgesetze kommen eine Vielzahl von Rechtsnormen in Betracht. So istzum Beispiel der Kauf verschreibungspflichtiger Medikamente ohne Rezept nach demArzneimittelgesetz verboten und deshalb nichtig. Verträge, die dem Zweck der Steuerhin-terziehung dienen oder Reparaturverträge, durch die Versicherer betrogen werden sollen,sind ebenfalls nichtig.

Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist ein Vertrag nichtig, der gegen die guten Sitten verstößt.Nach der Rechtsprechung ist dies der Fall, wenn das Rechtsgeschäft »gegen das An-standsgefühl aller billig und gerecht Denkenden« verstößt. Der Begriff der guten Sittenwird also auch durch die herrschende Sozialmoral bestimmt und unterliegt folglich demzeitlichen Wandel.

Nichtig sind nach § 138 Abs. 2 BGB (»Wucher«)Verträge, bei denen die eine Partei be-wusst die Zwangslage oder Unerfahrenheit der anderen ausnutzt und Vermögensvorteilezieht, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der von ihr erbrachten Leistung stehen.

1.1.1.3.8.2 Anfechtbare Rechtsgeschäfte

Durch eine zu einem Vertrag führende, aber anfechtbare Willenserklärung kann ein Vertragseitens des Anfechtungsberechtigten unwirksam gemacht werden. Ein wichtiger Bereich istdie Anfechtung wegen Irrtums. In §§ 119 und 120 BGB werden folgende Irrtumsfälle be-handelt: Inhaltsirrtum, Erklärungsirrtum, Eigenschaftsirrtum und Übermittlungsirrtum.

Fehlerhafte Rechtsgeschäfte

Nichtigkeit: Anfechtbarkeit:

Scheingeschäft (§ 117 BGB)

Scherzgeschäft (§ 118 BGB)

widerrechtliche Drohung (§ 123 BGB)

. . .

. . .

von Anfang an ungültig Möglichkeit der nachträglichenUngültigmachung

Geschäftsunfähigkeitund Bewusstlosigkeit (§ 105 BGB)

Formverstoß (§ 125 BGB)

Gesetzeswidrigkeit (§ 134 BGB)

Sittenwidrigkeit/Wucher (§ 138 BGB)

Irrtum (§ 119 BGB)

falsche Übermittlung (§ 120 BGB)

arglistige Täuschung (§ 123 BGB)

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

42 Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Ein Inhaltsirrtum liegt vor, wenn sich der Erklärende über den Inhalt einer Willenserklä-rung im Unklaren ist. Der Erklärende will zwar sagen, was er sagt. Er weiß aber nicht, waser damit sagt (Rechtsfolgeirrtum). Beispielsweise gibt jemand über Aushang bekannt,dass er ein Auto zu »verleihen« (kostenlos) habe, will es in Wirklichkeit jedoch vermieten.

Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn der Erklärende sich versehentlich anders äußert,als er es will. Anders als beim Inhaltsirrtum beruht diese unbewusste Abweichung aufFehlern des Versprechens, Vergreifens oder Verschreibens.

Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn sich der Erklärende über eine verkehrswesentli-che Eigenschaft bei Abgabe der Willenserklärung irrt. Eigenschaften sind alle wertbilden-den Faktoren, die einer Person oder Sache dauerhaft und unmittelbar anhaften.

Ein Kaufhaus sucht eine Kassiererin und findet Frau X aufgrund eines Stellenangebotes.Später stellt sich heraus, dass Frau X als Spielerin wegen Unterschlagungen einschlägigvorbestraft ist und ihr damit eine objektiv als wesentlich anzusehende Eigenschaft für dieAufgabe fehlt. Hier liegt für das Kaufhaus der Anfechtungsgrund »Eigenschaftsirrtum« vor.

Sollte das Kaufhaus eine bestimmte Art Textilien zu einem Preis von je 100 € eingekaufthaben in der Erwartung, sie zu je 200 E zu verkaufen, und muss erfahren, dass die Warenur mit Verlust abzusetzen ist, dann ist dies kein Eigenschafts-, sondern bloß ein Motivirr-tum. Das Kaufhaus irrt sich nämlich nicht über eine Eigenschaft der Textilien, sondern nurüber den Verkaufswert. Die bloße Fehlkalkulation ist niemals Anfechtungsgrund.

Ein »Übermittlungsirrtum« (Anfechtbarkeit wegen falscher Übermittlung) liegt dann vor,wenn eine Abweichung zwischen der Erklärung, die dem Empfänger zugeht und derjeni-gen, die der Erklärende abgegeben hat, vorliegt. Solche Abweichungsursachen könnendurch Leitungsstörungen bei einem Telefongespräch verursacht werden oder durch dievon einem Boten nicht richtig übermittelte Willenserklärung.

Eine widerrechtliche Drohung ist gem. § 123 BGB an drei Tatbestandsmerkmale gebun-den. Der Erklärende muss durch eine Drohung zur Abgabe der Willenserklärung gebrachtworden sein, der Drohende muss seine Drohung zielbewusst zur Willensbeeinflussungdes Bedrohten eingesetzt haben und die Drohung muss widerrechtlich sein.

Eine arglistige Täuschung nach § 123 BGB ist ebenfalls an drei Tatbestandsmerkmalegebunden. Es muss

– eine Täuschungshandlung gegeben sein, wobei es sich

– um das Verschweigen einer wahren Tatsache oder– um das Vorspiegeln einer nicht vorhandenen (falschen) Tatsache handeln kann;

– die Täuschung in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Willenserklärung stehen;

– der Täuschende die Täuschung in der Absicht vorgenommen haben, den Partner zueben dieser Willenserklärung zu veranlassen, weil er »arglistig« war.

Die Anfechtung wegen Irrtums oder falscher Übermittlung muss unverzüglich nach Kennt-nisnahme von dem Irrtum erfolgen (§ 121 Abs. 1 BGB). Die Anfechtung wegen Drohungoder arglistiger Täuschung muss hingegen binnen eines Jahres nach Beendigung derdurch die Drohung erzeugten Zwangslage bzw. nach Entdeckung der Täuschung erfolgen(§ 124 BGB). Nach 30 Jahren kann in allen Fällen nicht mehr angefochten werden.

1.1.1.3.9 Verjährung und Verwirkung

Der Industriemeister muss wissen, dass die Zeit für oder gegen einen Gläubiger »arbei-ten« kann. Der Jurist führt dafür das Rechtsinstitut der Verjährung ins Feld. Der Verpflich-tete (sprich: »Schuldner«) hat nämlich nach Ablauf einer bestimmten Frist (§§ 194 ff. BGB)

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 43

das Recht, mit der so genannten »Einrede der Verjährung« die Erfüllung eines An-spruchs zu verweigern.

Der Anspruch selbst geht dabei nicht unter: Leistet der Schuldner trotz Eintretens der Ver-jährung (vgl. § 214 Abs. 2 BGB) in Unkenntnis der Einredemöglichkeit, so hat er rechts-wirksam geleistet und kann das Geleistete nicht zurückfordern.

Die für das Eintreten der Verjährung maßgeblichen Fristen können sich aus dem Gesetzergeben oder durch Rechtsgeschäft bestimmt sein.

Vereinbarungen über die Verjährung sind grundsätzlich zulässig. Gesetzlich vorgeseheneVerjährungsfristen können mittels derartiger Vereinbarungen verkürzt oder verlängertwerden. Unzulässig sind allerdings Vereinbarungen über die Verjährung, durch welche dieVerjährung bei der Haftung wegen Vorsatzes im Voraus erleichtert oder die Verjährungüber eine Frist von 30 Jahren ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn hinaus erschwertwird (§ 202 BGB).

Vor Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 betrug die regelmäßige Ver-jährungsfrist 30 Jahre (§ 195 a. F. BGB). Die meisten Ansprüche des täglichen Lebensverjährten jedoch in zwei Jahren (§ 196 Abs. 1 a. F. BGB). Der Beginn dieser kurzen Ver-jährung fiel nicht mit der Entstehung des Anspruchs zusammen, sondern mit dem Schlussdes Kalenderjahres, in welchem der Anspruch entstanden war (vgl. § 201 a. F. BGB).

Nach der Schuldrechtsreform beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist nunmehr drei Jah-re (§ 195 BGB). Die Verjährung beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Ende des Jahres,

– in welchem der Anspruch entstanden ist und

– der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person desSchuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

Ohne Rücksicht auf die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis verjährt der Anspruchnach den allgemeinen Verjährungsregeln aber spätestens in zehn und bei einer Verlet-zung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit sogar erst in dreißig Jah-ren (§ 199 Abs. 2 BGB).

Außerhalb des Allgemeinen Teil des BGB gibt es Sondervorschriften zur Verjährung, sozum Beispiel im Kauf- und Werkvertragsrecht (§ 438 Abs. 1 und § 634 a Abs. 1 BGB).Mängelgewährleistungsansprüche verjähren hiernach in zwei Jahren nach Ablieferungder Kaufsache beziehungsweise Abnahme des Werkes. Einen Spezialfall bilden Mängelan Bauwerken, die fünf Jahre lang geltend gemacht werden können.

Der Industriemeister muss berücksichtigen, dass das alte Verjährungsrecht auch nach derSchuldrechtsreform noch zur Anwendung gelangen kann. Bei Ansprüchen, welche vordem Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 entstanden sind, ist eineÜberleitungsvorschrift zu beachten (Art. 229 § 6 EGBGB).

Hiernach finden die Vorschriften zur Verjährung in der nunmehr geltenden Fassung An-wendung auf Ansprüche, die zum 1. Januar 2002 noch nicht verjährt waren. Ist die Verjäh-rungsfrist nach neuem Recht kürzer, so wird diese kürzere Verjährungsfrist vom 1. Januar2002 an berechnet. Sofern die Anwendung neuen Rechts zu einem Hinausschieben derVerjährung führen würde, bleibt daher die Verjährung nach altem Recht maßgeblich.

Von der Verjährung zu unterscheiden ist das Rechtsinstitut der Verwirkung. Ein Recht istdann verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit nicht geltend gemacht hat und die jetzige, unerwartete Geltendmachung für den Gegner aufgrund besonderer Umständeunzumutbar ist. Das widersprüchliche Verhalten des Anspruchsberechtigten ist ein Anknüpfungspunkt; besondere Umstände, welche die Rechtsausübung für den Gegnerunzumutbar machen, weil er auf die Nichtausübung des Rechtes vertrauen durfte, einweiterer.

1.1 Rechtsgrundlagen 1 Rechtsbewusstes Handeln

44 Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Mieter M kommt Nacht für Nacht volltrunken und lärmend nach Hause. Nach einem klä-renden Gespräch mit Vermieter V bessert sich M. Ein Jahr später kündigt V dem M fristlosund beruft sich auf das frühere Verhalten des M. Zwar hätte V aufgrund § 554 a BGB frist-los kündigen können. Doch ist ein Jahr später das Kündigungsrecht verwirkt, da V seinRecht bisher nicht ausgeübt hat und M infolge der Aussprache auch auf das Unterbleibender Kündigung vertrauen durfte.

Was kann nun der Gläubiger tun, wenn sein Anspruch zu verjähren droht? Er muss wis-sen, dass die Verjährung neu beginnen oder gehemmt sein kann.

Die Verjährung beginnt nach § 212 BGB erneut, wenn

– der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zins-zahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt oder

– eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder bean-tragt wird.

Die Verjährung ist gehemmt,

– solange zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den An-spruch oder die Anspruch begründenden Umstände schweben, bis der eine oder derandere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert (§ 203 BGB);

– solange der Schuldner aufgrund einer Vereinbarung mit dem Gläubiger vorübergehendzur Verweigerung der Leistung berechtigt ist (§ 205 BGB);

– wenn ein Gläubiger ggf. durch höhere Gewalt an seiner Rechtsverfolgung gehindert ist(§ 206 BGB).

Die Hemmung bewirkt nach § 209 BGB, dass der Zeitraum, während dessen die Verjährunggehemmt war, nicht in die die Verjährungsfrist eingerechnet, sondern »angehängt« wird.

1.1.1.3.10 Haftung

Unter dem Begriff der Haftung ist das »Einstehen-Müssen« für eine Schuld zu verstehen.Im engeren Sinne wird damit jedoch meistens die Verantwortlichkeit für Schadensersatz-forderungen umschrieben. Prinzipiell haftet jeder für Schäden, die er anderen schuldhaftzufügt.

»Verträge sind einzuhalten« ist der Grundsatz, der im Vertragsrecht gilt. Folglich mussauch jeder, der vorsätzlich oder fahrlässig die Erfüllung eines Vertrages ganz oder teilwei-se verhindert (z. B. durch Nicht- oder Schlechtleistung, Verzug), den dem Vertragspartnerdaraus entstehenden Schaden verantworten, d. h. dafür haften (vgl. § 276 BGB). Die ein-zelnen Regelungen sind je nach Vertragsform unterschiedlich.

Eine Haftung ergibt sich auch bei unerlaubten Handlungen. Gemäß § 823 BGB istSchaden im Rechtssinne jeder unfreiwillige Verlust von Rechtsgütern wie Leben, Gesund-heit, Freiheit, Eigentum. Die Höhe des Schadens ist nach dem Unterschied zwischen derLage des Betroffenen ohne das schadensträchtige Ereignis und der Lage nach demSchadensereignis zu berechnen. Auch ein entgangener Gewinn kann ein Schaden sein.Für all dies haftet der Schädiger.

Im Rahmen der Haftungsfrage ist häufig zu prüfen, ob ein Mitverschulden des Geschä-digten seinen Ersatzanspruch mindert (vgl. § 254 BGB).

1.1.1.3.10.1 Haftung für eigenes Verschulden und GefährdungSchadensersatzansprüche setzen grundsätzlich voraus, dass der Schuldner den Scha-den verschuldet oder aus anderen Gründen zu vertreten hat.

Verschulden kann sich aus vorsätzlichem oder fahrlässigem Verhalten ergeben. Vorsätz-lich handelt, wer einen Schaden bewusst und gewollt verursacht oder aber den Scha-

1 Rechtsbewusstes Handeln 1.1 Rechtsgrundlagen

Der Industriemeister Lehrbuch 1 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 45

denseintritt für möglich hält und dennoch in Kauf nimmt. Fahrlässig handelt gem. § 276BGB, »wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht lässt«.

Zu vertreten hat ein Schuldner häufig aber auch solche Ereignisse, die unverschuldet auf-treten, aber in seinem Verantwortungsbereich liegen. Es kommt in diesem Bereich die so-genannte »Gefährdungshaftung« zum Zuge, z. B. die des Tierhalters (§ 833 BGB) oderdes Kraftfahrzeughalters (§ 7 StVG). Wer nämlich eine besondere Gefahrenquelle in denVerkehr bringt, soll grundsätzlich dafür geradestehen.

1.1.1.3.10.2 Haftung für fremdes Verschulden

Die Haftung für fremdes Handeln (Mitarbeiter!) ist für einen Industriebetrieb besonderswichtig. Man unterscheidet die Haftung für Erfüllungsgehilfen und die Haftung für Verrich-tungsgehilfen.

Grundsätzlich braucht derjenige, der sich vertraglich als Schuldner verpflichtet hatte, eineLeistung zu erbringen, dies nicht höchstpersönlich zu tun. Er kann sich zur Erfüllung seinerVerpflichtungen anderer Personen bedienen. Diese Personen nennt das Gesetz (§ 278 BGB)Erfüllungsgehilfen. Fügt der Erfüllungsgehilfe in Ausführung des Auftrages dem Ver-tragspartner vorsätzlich oder fahrlässig einen Schaden zu, so haftet der Schuldner für seinen Erfüllungsgehilfen im gleichen Umfang wie für eigenes Verschulden.

Wie man selbst darauf achten muss, durch eigenes Handeln im außervertraglichen Bereichkeiner Person widerrechtlich einen Schaden zuzufügen, so gilt dies auch für den Verrich-tungsgehilfen (§ 831 BGB). Für Schäden, die der Verrichtungsgehilfe »in Ausführung derVerrichtung« einem Dritten widerrechtlich zufügt, haftet grundsätzlich der »Geschäftsherr«.Wenn dieser allerdings nachweisen kann, dass er bei Auswahl und Beaufsichtigung des Ge-hilfen »die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet« hat, ist er von der Haftung frei.

Ein für den Industriemeister und seinen Betrieb wichtiges Thema ist die Produkthaftung,der ein besonderer Abschnitt gewidmet ist.

1.1.1.4 Das Produkthaftungsgesetz

Mit dem zum 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Produkthaftungsgesetz setzte das Parla-ment eine EU-Richtlinie zur Vereinheitlichung der in der Europäischen Union bis dahin un-terschiedlich geregelten Haftung für fehlerhafte Produkte in innerstaatliches Recht um.Das Gesetz dient den Verbrauchern, indem es die Haftung von Produzenten und Händ-lern verschärft.

Während Schäden an Produkten in die Bereiche der vertraglichen und gesetzlichen Ge-währleistung fallen, erfasst die Produkthaftung Personen- oder Sachschäden, die durchProdukte verursacht werden. Der Hersteller haftet verschuldensunabhängig.

Die wesentlichen Voraussetzungen der Haftung enthält der allererste Satz des Produkt-haftungsgesetzes – ProdHaftG – (§ 1 Abs. 1 erster Satz):

»Wird durch den Fehler eines Produkts jemand getötet, sein Körper oder seine Gesund-heit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produkts verpflichtet,dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.«

1.1.1.4.1 Das Produkt

Was ein Produkt ist, bestimmt § 2 ProdHaftG. Demnach ist ein Produkt eine beweglicheSache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbewegli-chen Sache bildet. Hierzu zählt z. B. auch die Elektrizität.

2 Betriebswirtschaftliches Handeln 2.2 Aufbau- und Ablauforganisation

Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 149

– Wanderprinzip: Menschen und Betriebsmittel bewegen sich entsprechend dem Ar-beitsfortschritt an dem Arbeitsgegenstand entlang und entwickeln ihn weiter. Diese Artder Fertigung ist z. B. beim Straßen- und Gleisbau anzutreffen.

2.2.8 Aufgaben der BedarfsplanungZur Aufgabenerfüllung im industriellen Fertigungsprozess sind Arbeitskräfte, Betriebsmit-tel und Materialien bereitzustellen. Diese drei Faktoren werden auch als die betriebswirt-schaftlichen Produktionsfaktoren bezeichnet, von denen in den Abschnitten 2.1.3 und2.1.4 bereits ausführlich die Rede war.

In Lehrbuch 3 wird die im Folgenden angerissene Problematik unter dem Stichwort »Res-sourcenplanung« in Bezug auf einzelne Projekte weiter vertieft werden.

Die Bedarfsplanung, die oft auch als Bereitstellungsplanung bezeichnet wird, beinhalteteine technische und eine ökonomische Aufgabe:

Technische Aufgabe der Bereitstellungsplanung ist es, dafür zu sorgen, dass die Pro-duktionsfaktoren in der erforderlichen Art, Menge und Qualität zur richtigen Zeit am richti-gen Ort bereitstehen.

Die ökonomische Aufgabe der Bereitstellungsplanung leitet sich aus den Erfolgszielender Unternehmung ab. Wird Gewinnmaximierung angestrebt, so bedeutet dies für die Be-reitstellungsplanung, dass die Minimierung der Bereitstellungskosten anzustreben ist.Diese sind vor allem

– Beschaffungskosten (direkte und indirekte Kosten des Beschaffungsvorganges),– Reservierungskosten (Kosten der Lagerhaltung, Leerlaufkosten bei Betriebsmitteln),– Fehlmengenkosten (entgangene Gewinne, Konventionalstrafen).

Die folgenden Betrachtungen bleiben auf die technische Aufgabe beschränkt.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass der Bedarf an Produktionsfaktoren zunächst,unabhängig von konkreten Aufträgen, pro Output-Mengeneinheit angegeben werden kann,d. h. er wird in Bezug auf ein Stück des fertigen Erzeugnisses wiederum als Mengenanga-be (Menge der einzusetzenden Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie Baugruppen) oder alsZeiteinheit (Belegung eines bestimmten Betriebsmittels in Minuten, erforderlicher Einsatzmenschlicher Arbeit in Minuten) ermittelt. Bezogen auf den Materialeinsatz ergibt sich die-ser Bedarf aus den in Abschnitt 2.2.4.2 ausführlich dargestellten Stücklisten.

Im nächsten Schritt wird der Periodenbedarf, also der Bedarf für einen bestimmten zu-künftigen (nahen) Zeitraum, unter Berücksichtigung der benötigten Stückzahl an Fertiger-zeugnissen und der vorhandenen Lagerbestände ausgedrückt.

2.2.8.1 Grundfragen der Personalplanung

2.2.8.1.1 Personalbedarfsplanung

Die Personalkosten stellen in den meisten Industriebetrieben den größten Anteil an dengesamten laufenden Kosten dar. Ziel der Personalbedarfsplanung ist es folglich, eine ge-nügende, aber nicht unnötig hohe Anzahl von Arbeitskräften mit geeigneter Qualifikationzur richtigen Zeit bereitzustellen. Sie hat in zeitlicher Hinsicht eine langfristige, eine mittel-

2.2 Aufbau- und Ablauforganisation 2 Betriebswirtschaftliches Handeln

150 Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

fristige und eine kurzfristige Komponente, und neben dem quantitativen Aspekt (»wie vielArbeitskräfte wann?«) ist immer auch der qualitative Aspekt (»welche Qualifikation?«) zubeachten.

Die langfristige Personalbedarfsplanung muss im Rahmen der von ihr zu erstellendenPersonalbedarfsanalyse und -prognose die für die Zukunft angestrebte oder erwarteteEntwicklung des Unternehmens berücksichtigen und dabei vor allem folgende Einflussfak-toren im Auge behalten:

– die geplante Ausweitung (Expansion) oder Schrumpfung des Produktionsausstoßes,

– Veränderungen in der Produktpalette,

– organisatorische Veränderungen im Unternehmen, etwa die Verlegung von Betriebs-stätten,

– die technologische Entwicklung und damit evtl. einhergehende Änderungen der Ferti-gungsverfahren mit der Folge geänderter Qualifikationsanforderungen,

– politische, rechtliche, soziale und ökonomische Rahmenbedingungen, z. B.

– zu erwartende gesetzliche Auflagen, die die Beschäftigung betreffen,

– Entwicklungen am Beschaffungs-, Absatz-, Kapital- und Arbeitsmarkt,

– Altersstruktur, Fluktuationsneigung, Qualifikationsniveau der Belegschaft.

Diese langfristige Planung zielt damit unmittelbar auf den Stellenplan des Unternehmens.

Die mittelfristige Personalbedarfsplanung bezieht sich auf die nähere Zukunft und plantden Mitarbeitereinsatz auf Basis der vorhandenen Stellen unter Berücksichtigung von

– Urlauben,

– mittelfristig bekannten Ausfällen, etwa durch längere Erkrankungen, Mutterschaft, Ku-ren, Besuch von Fortbildungsmaßnahmen,

– Sonderaufgaben einzelner Mitarbeiter oder Mitarbeitergruppen,

– zur Erledigung anstehenden Großaufträgen oder Sondermaßnahmen wie Revision, Be-triebsstillstand usw.

Die kurzfristige Personalbedarfsplanung reagiert kurzfristig, teils improvisierend, auf

– unerwartete Ausfälle einzelner Mitarbeiter,– unerwartet anstehende Sonderaufträge, etwa Eilanforderungen von Kunden,– Reparatur- und sonstige Eingriffsnotwendigkeiten usw.

Wichtige und in Zusammenhang mit der Personalbedarfsplanung oft gehörte Begriffe sind:

Ersatzbedarf: Dieser bezieht sich auf die Ersetzung ausscheidender Mitarbeiter und isthinsichtlich der in Ruhestand gehenden Mitarbeiter im Allgemeinen problemlos, bezüglichkündigungsbedingter Abgänge aber nur aufgrund von Erfahrungswerten schätzungsweiseermittelbar.

Nachholbedarf: Dieser bezieht sich auf die Besetzung bislang unbesetzter, im Stellen-plan aber vorgesehener Stellen.

Neubedarf: Über den Ersatz- und den Nachholbedarf hinausgehender Bedarf, der sichaus der oben angesprochenen Bedarfsanalyse ergibt.

Freistellungsbedarf: Abzubauender Personalüberschuss.

Bruttopersonalbedarf: Gegenwärtig bestehende Stellen+ im Planungszeitraum neu zu besetzende Stellen– im Planungszeitraum entfallende Stellen

= Bruttopersonalbedarf

2 Betriebswirtschaftliches Handeln 2.2 Aufbau- und Ablauforganisation

Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 151

Bruttopersonalbedarf: (anders ausgedrückt)

der für die Aufgabenerfüllung notwendige Personalbedarf+ Reservebedarf zur Abpufferung von Ausfällen

= Bruttopersonalbedarf

oder

= Zahl der im Stellenplan genehmigten Stellen

Nettopersonalbedarf: Bruttopersonalbedarf– Gegenwärtiger Personalbestand– feststehende Zugänge des Planungszeitraums+ feststehende Abgänge des Planungszeitraums

= Bruttopersonalbedarf

(anders ausgedrückt)

Neubedarf+ Ersatzbedarf+ Nachholbedarf– Freistellungsbedarf

= Bruttopersonalbedarf

(anders ausgedrückt)

= notwendige zahlenmäßige Veränderungdes Mitarbeiterbestandes

2.2.8.1.2 Personaleinsatzplanung

Aufgabe der Personaleinsatzplanung ist es, die Zuordnung des verfügbaren Personals zuden zu erfüllenden Aufgaben so vorzubereiten, dass

– diese termingerecht durchgeführt werden können,– die Mitarbeiter ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt werden und– die Betriebsmittel bestmöglich ausgelastet werden.

Die Personaleinsatzplanung wird im Allgemeinen vom Meister als demjenigen vorgenom-men, der sowohl Informationen über Art und Anforderungen der Arbeitsaufgabe als auchüber die speziellen Qualifikationen der Mitarbeiter besitzt. Seine Aufgabe ist es, einegrößtmögliche Deckung zwischen Aufgabenprofil und Mitarbeiterprofil zu erwirken.

Auf mittlere und lange Sicht wird ihm dies nur gelingen, wenn

– alle (angestammten wie neuen) Aufgaben in ihrer Ausgestaltung die Erkenntnisse der Ar-beitswissenschaft umsetzen und somit den physiologischen und psychologischen Anfor-derungen der Mitarbeiter an ihren Arbeitsplatz bzw. ihre Arbeitsaufgaben gerecht werden;

– die Mitarbeiter durch Maßnahmen der Personalentwicklung in die Lage versetzt werdenbzw. durch ständige Anpassungsfortbildung befähigt bleiben, die anstehenden Arbeits-aufgaben zu erfüllen.

Insofern besteht hinsichtlich der Anforderungen der Aufgaben an die Mitarbeiter einerseitsund der Ansprüche der Mitarbeiter an die Aufgaben andererseits eine beiderseitige An-passungserfordernis.

Die kurzfristige Aufgabe der Personaleinsatzplanung besteht in der Reaktion auf kurzzei-tig auftretende Bedarfsspitzen und unvorhergesehene Ausfälle. Hier kommen Umbeset-zungen, die Hinzuziehung von Zeitarbeitskräften oder auch die zeitlich begrenzte Einfüh-rung von Schichtarbeit in Betracht.

2.2 Aufbau- und Ablauforganisation 2 Betriebswirtschaftliches Handeln

152 Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Langfristige Bedarfslücken sind, soweit sie durch Umbesetzungen nicht ausgeglichenwerden können, durch Neueinstellungen abzudecken.

2.2.8.1.3 Planung von Schichteinsätzen

Eine besondere Anforderung an den Industriemeister stellt die Personaleinsatzplanungfür Mehrschichtarbeit dar. Grundlagen für einen Schichtwechselplan sind die tariflich bzw.betrieblich festgelegte Arbeitszeit je Woche sowie die Bestimmungen des Arbeitszeitge-setzes, in dem unter anderem die Ruhezeiten zwischen zwei Schichten geregelt sind. Aufdie rechtlichen Anforderungen soll an dieser Stelle nicht ausführlicher eingegangen wer-den, da sie in Abschnitt 1.5 bereits behandelt wurden.

Wesentlich ist aber die Kenntnis, dass die Tarifverträge und das Arbeitszeitgesetz eine Be-rücksichtigung saisonaler Auslastungsschwankungen heute durchweg zulassen und somitein System der kapazitätsorientierten variablen Arbeitszeit (KAPOVAZ) praktiziert wer-den kann. Auch hier sind Mindest- und Höchsteinsatzzeiten und – bei »Arbeit auf Abruf«– auch Mindestfristen für die Ankündigung erforderlicher Arbeitseinsätze, zu beachten.

Schichtarbeit belastet die betroffenen Mitarbeiter nicht nur physisch und mental, indem sie innatürliche Tages- und Lebensrhythmen eingreifen und gesundheitliche oder seelische Stö-rungen hervorrufen kann, sondern auch in ihrem sozialen Leben. Familienangehörige undFreunde sind ebenfalls betroffen. Deshalb sollten Schichtpläne möglichst für einen längeren(mehrmonatigen) Zeitraum erstellt und weitestmöglich auch verbindlich eingehalten werden,damit den betroffenen Mitarbeitern und ihren Angehörigen eine Freizeitplanung möglichbleibt und keine soziale Isolation eintritt. Eine überschaubare Gestaltung ist anzustreben.

2.2.8.2 Produktions- und Betriebsmittelplanung

Aufgabe der Betriebsmittelbedarfsplanung ist die Ermittlung der für die Aufgabenerfüllungerforderlichen Betriebsmittel – Maschinen, sonstige in der Fertigung benötigte Anlagen,Werkzeuge, Prüfmittel – nach Art, Leistungsvermögen, Anzahl, Zeitpunkt und Dauer so-wie Einsatzort. Auch diese Aufgabe hat eine langfristige und eine kurzfristige Ausprägung.

Langfristig wird der Betriebsmittelbedarf aus dem Produktionsprogramm in Verbindung mitden gewählten Fertigungsverfahren und unter Beachtung der prognostizierten bzw. ange-strebten Absätze abgeleitet. Ergibt sich daraus im Vergleich mit dem vorhandenen Betriebs-mittelbestand eine dauerhafte Unterdeckung, muss eine Beschaffung erfolgen. Handelt essich um technische Anlagen und Maschinen, in denen beträchtliches Kapital für längereZeiträume gebunden ist, wird die sinnvollste Beschaffungsalternative unter Einsatz der Ver-fahren der Investitionsrechnung, auf die hier aber nicht eingegangen werden soll, ermittelt.

Denkbar ist aber auch der Fall einer dauerhaften Minderauslastung der vorhandenen Kapazitäten: In diesem Falle ist über alternative Auslastungsmöglichkeiten oder über dieStilllegung von Kapazitäten zur Vermeidung sinnloser Leerkosten zu entscheiden.

Bei der Ermittlung des Bedarfs an Prüfmitteln sind die Vorgaben der Qualitätssicherungzu beachten.

Die kurzfristige Aufgabe der Betriebsmittelplanung besteht darin, festzulegen, welche dervorhandenen technischen Anlagen zu welchem Zeitpunkt und für welche Zeitdauer wofürbereitzustellen sind. Diese Betriebsmittelbelegungsplanung leistet also die Zuordnungvon Aufträgen und Betriebsmitteln. In der industriellen Fertigung stellt sich häufig das Pro-blem, dass ein Produkt auf mehreren Maschinen bearbeitet werden muss. Während beiFließfertigung die Anordnung der einzusetzenden Betriebsmittel und Arbeitsplätze an die-ser Reihenfolge ausgerichtet ist, stellt sich bei Werkstattfertigung häufig das Reihenfolge-problem als zentrale Frage der Maschinenbelegungsplanung (Scheduling).

2 Betriebswirtschaftliches Handeln 2.2 Aufbau- und Ablauforganisation

Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 153

Beispiel:

Die ABC-AG führt ihre Aufträge in Werkstattfertigung durch. Sie besitzt fünf verschiedeneMaschinen A,B,C,D und E, die in Erledigung zweier verschiedener Aufträge 1,2 zum Ein-satz kommen. Jeder dieser Aufträge unterliegt einer unveränderlichen technologischenReihenfolge (R) der Bearbeitung:

– R1: A, D, C, B, E– R2: B, E, C, A, D

Weiterhin bekannt sind die Operationszeiten tij, die angeben, wie lange Auftrag i auf Ma-schine j bearbeitet wird (Angabe in Stunden):

Maschine j A B C D EAuftrag i

1 2 3 3 2 12 1 2 4 2 2

Bei unabhängiger Betrachtung beider Aufträge, also unterstellt, dass jeder Auftrag unmit-telbar auf der jeweils erforderlichen Maschine bearbeitet werden kann, ergibt sich die ineinem Gantt-Diagramm, dem so genannten Maschinenfolgegantt, darstellbare Maschi-nenfolge.

Maschinenfolgegantt

Da jedoch zwischen der 5. und der 8. Stunde beide Aufträge gleichzeitig Maschine C fürsich beanspruchen, ist die unabhängige Durchführung nicht möglich.

Die Lösung des Maschinenbelegungsproblems erfolgt in der Praxis mittels nicht-exakterVerfahren, da die exakte Lösung nur auf dem Wege der vollständigen Enumeration (Er-mittlung und Vergleich sämtlicher möglicher Varianten) gefunden werden kann.

Die Anzahl der Kombinationen K bei n Aufträgen und m Maschinen errechnet sich aus

K = (n!)m

Bei 5 Aufträgen und 5 Maschinen gibt es also (120)5 Kombinationen – eine Anzahl, die dievollständige Enumeration nicht zulässt (zur Erläuterung: Die Fakultät einer natürlichenZahl n, ausgedrückt durch das Ausrufzeichen in der Form n!, ist das Produkt aller natürli-chen Zahlen von 1 bis n, hier also 1 x 2 x 3 x 4 x 5 = 120).

2

1

3 4 5 6 7 8 9 10 11

Auftrag

Bearbeitungszeit (Std.)

AB C DE

21

A BCD E

2.2 Aufbau- und Ablauforganisation 2 Betriebswirtschaftliches Handeln

154 Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Häufig praktizierte Näherungsverfahren sind

– Auswahlverfahren: Ausgehend von einer zufällig gewählten Bearbeitungsreihenfolge,wird durch Umgruppierung oder paarweises Tauschen versucht, schrittweise Verbesse-rungen der ersten (Zufalls-)-Lösung zu erzielen. Folgen die Umgruppierungen der Auf-träge einer Systematik, so spricht man von gezielter Auswahl.

– Verfahren mit Prioritätsregeln: Hierbei werden Regeln aufgestellt, wie für jede einzel-ne Maschine bei Auftreten von Warteschlangen das Reihenfolgeproblem zu behandelnist. Bekannte Regeln sind z. B.

– die KOZ-Regel: Der Auftrag mit der kürzesten Operationszeit wird zuerst bearbeitet;– die WAA-Regel: Der Auftrag mit den wenigsten noch auszuführenden Arbeitsgängen

wird vorgezogen;– first come first serve: Der als erster eintreffende Auftrag wird zuerst bearbeitet;– die dynamische Wertregel: Dasjenige zu bearbeitende Teil, das den bis dahin größ-

ten Wert repräsentiert, wird zuerst weiterbearbeitet.

– Simulationsverfahren: Mit Hilfe von EDV-Anlagen wird eine willkürlich oder nach be-stimmten Kriterien ausgewählte Menge von Kombinationen berechnet und hieraus diegünstigste Kombination ausgewählt.

– Analytische Verfahren: Sie stellen entweder algebraische oder grafische Methodendar und gehen meist von der Zielsetzung der Minimierung der Durchlaufzeit aus, wie z. B. das (hier nicht dargestellt) grafische Verfahren nach AKERS.

Wie in Abschnitt 2.2.9.1.3 noch anhand eines Beispiels gezeigt wird, kann auch eine An-passung des Output-Mengenverhältnisses an die vorhandenen Betriebsmittel in Betrachtkommen, nämlich dann, wenn in einem Mehrproduktunternehmen eine Engpasssituationbesteht. Allerdings wird man in diesem Fall zu prüfen haben, ob, wenn langfristig mit einerentsprechenden Nachfrage gerechnet werden kann, eine Erweiterungsinvestition nichtdie sinnvollere Alternative wäre.

Bei der Bereitstellung von Werkzeugen wird praktisch häufig ein Holsystem installiert: InAbhängigkeit von dem zu erledigenden Auftrag entscheiden die damit befassten Mitarbei-ter, welche Werkzeuge hierfür benötigt werden, und holen sich diese, sofern es sich nichtum am Arbeitsplatz ohnehin ständig vorhandene Werkzeuge handelt, an einer zentralenAusgabestelle ab.

2.2.8.3 Materialplanung

In der Einleitung zu diesem Abschnitt wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Bedarfan einzusetzendem Material je Stück des fertigen Erzeugnisses aus den in Abschnitt2.2.4.2 ausführlich dargestellten Stücklisten abgeleitet werden kann. Ist bekannt (oderhinreichend sicher bestimmt), wie hoch der Bedarf an Fertigerzeugnissen für einen be-stimmten zukünftigen Zeitraum sein wird, kann der Materialbedarf hieraus abgeleitet wer-den. Dabei sind die Produktionsdurchlaufzeiten ebenso zu beachten wie die anfallendenBeschaffungszeiten.

Auch die Materialplanung umfasst langfristige und kurzfristige Aufgaben. Zu den langfris-tigen Aufgaben, die als Materialbereitstellungsplanung bezeichnet werden, gehört dieLieferantenauswahl und Festlegungen bezüglich der Bereitstellungs- und der Bestellpoli-tik. Je nach Bedeutung einzelner Materialien kann auch die Festlegung von Bestellrhyth-men, -zeitpunkten und -mengen auf lange oder mittlere Frist erfolgen. Im Folgenden sollenhierzu nur einige Grundbegriffe sowie Überlegungen zur Ermittlung der optimalen Bestell-mengen behandelt werden.

2 Betriebswirtschaftliches Handeln 2.2 Aufbau- und Ablauforganisation

Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 155

Kurzfristige Aufgaben der Materialplanung werden unter dem Begriff der Materialbe-darfsplanung erfasst. Zu ihnen gehören vor allem die Überwachung von Lagerbeständenund die Abstimmung zwischen Auftragserfordernissen und Materialverfügbarkeiten. Au-ßerdem ist die Materialbereitstellung am Einsatzort zu planen.

2.2.8.3.1 Materialbereitstellungsplanung

In der Materialbeschaffung können folgende Bereitstellungsprinzipien verwirklicht werden:

– Einzelbeschaffung im Bedarfsfall: Dieses Verfahren ist nur praktizierbar, wenn dasbenötigte Material am Markt ohne Zeitverlust beschaffbar ist. In der Praxis beschränktsich die Einzelbeschaffung in der Regel auf den nicht vorhersehbaren Materialbedarf,der sich häufig in Zusammenhang mit eingehenden Kundenaufträgen ergibt (auftrags-gesteuerte Disposition).

– Vorratshaltung: Dieses Verfahren ist unumgänglich für Material, das nicht ohne Zeit-verlust beschaffbar ist, kann aber nur für solche Güter praktiziert werden, die durch dieLagerung keine (nennenswerte) Qualitätseinbuße erleiden. Es erfordert die Betreibungvon Lägern und die Festlegung und Überwachung von Mindest- und Höchstbeständen.

– Einsatzsynchrone Beschaffung (»Just-in-Time«): Dieses Verfahren ist nur praktizier-bar, wenn der Güterbedarf vorab genau quantifiziert werden kann. Es bedingt die (meistlangfristige) vertragliche Bindung von Lieferanten an feste Liefertermine und -mengen.

Just-in-Time-Steuerung

»Just-in-Time«, abgekürzt JIT, erfordert eine Teile- und Materialzulieferung in exakter zeitli-cher Abstimmung auf den jeweiligen Bedarf: Vielfach wird eine stundengenaue Bereitstel-lung gefordert. In diesem Zusammenhang wird häufig fälschlich von »rollender Lagerhal-tung« gesprochen, bei der LKW und Züge das stationäre Vorratslager ersetzen. DieVorstellung einer »in Warteschleifen rollenden« mobilen Flotte, die häufig als ökologisch be-gründeter Einwand gegen die JIT-Konzeption angeführt wird, ist jedoch nicht haltbar. Viel-mehr ergibt sich für den Zulieferer in der Regel die Notwendigkeit der Unterhaltung größererWarenausgangslager mit der Folge der Kostenverlagerung vom Abnehmer zum Lieferanten.

Transportiert wird aus Kostengründen nur, was tatsächlich und aktuell benötigt wird.Dennoch erwächst aus der JIT-Konzeption eine Vielzahl von Problemen und Konsequen-zen für alle Beteiligten:

– Der Idealfall eines linearen, über einen längeren Zeitraum kontinuierlichen Bedarfs (derden Zulieferer im günstigsten Falle in die Lage versetzt, seinerseits »Just-in-time«-Steuerung mit seinen Vorlieferanten zu praktizieren) ist vielfach nicht gegeben. Zuliefe-rer und Weiterverarbeiter müssen daher in engem, unmittelbarem Austausch stehen:Bedarfe müssen verzögerungsfrei unter Ausnutzung der informationstechnischen Mög-lichkeiten weitergegeben werden, Reaktionen müssen unmittelbar und ohne organisati-onsbedingte Verzögerungen erfolgen. Die Umstellung auf JIT erfordert daher weitrei-chende organisatorische Anpassungen innerhalb des Zulieferbetriebes, die mitKosten-Vorleistungen, langfristig gesehen jedoch häufig mit rationalisierungsbedingtenErsparnissen einhergehen.

– Die Zulieferer stehen unter dem Druck, termintreu anliefern zu müssen, wollen sie nichthohe Vertragsstrafen und den Verlust langfristig angelegter Kontrakte riskieren. Insbe-sondere Straßentransporte sind stets mit Verzögerungsrisiken behaftet. Nach Möglich-keit treffen Zulieferer eine dementsprechende Standortwahl, indem sie die räumlicheNähe zum Abnehmer unter Berücksichtigung der günstigsten Verkehrsanbindung su-chen. Starke Konzentration auf bestimmte Regionen und ein »Ausbluten« struktur-schwacher, industrieferner Gebiete sind die Folgen.

2.2 Aufbau- und Ablauforganisation 2 Betriebswirtschaftliches Handeln

156 Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

– Produktionssynchrone Beschaffung macht nur Sinn, wenn eine gleichbleibende, denAnforderungen entsprechende Qualität der angelieferten Teile oder Rohstoffe gewähr-leistet ist: Aufwändige Wareneingangskontrollen verzögern den Materialeinsatz, undwenn kein »Notfall-Lager« vorhanden ist, kann bei festgestellten Mängeln nur mit Pro-duktions-Stillegung reagiert werden – selbstverständlich ein unannehmbarer Zustand.Zulieferer werden daher zunehmend mit hohen Anforderungen an ihr Qualitätssiche-rungssystem konfrontiert. Hierzu gehören auch in unregelmäßigen Zeitabständen statt-findende »Qualitätsaudits«, d. h. Qualitätskontrollen seitens des Abnehmers im Zuliefer-betrieb, die sich nicht nur auf die Güte des zu liefernden Materials, sondern auf alle dieProduktqualität beeinflussenden betrieblichen Prozesse erstrecken.

– Angesichts der Qualitätsanforderungen und der logistischen Probleme wird es für Zulie-ferbetriebe zunehmend schwieriger, mehrere Weiterverarbeiter gleichzeitig zu bedie-nen. Hieraus resultiert die Konzentration auf wenige oder sogar nur einen Abnehmer.Konsequenz ist ein eingeschränkter Handlungs-, Entscheidungs- und Preisgestaltungs-spielraum. Umgekehrt stützen sich Weiterverarbeiter auf wenige oder einzelne Zuliefe-rer (»Single-Sourcing«) mit der Folge einer bilateralen Abhängigkeit.

– Ein Ausbleiben von Anlieferungen führt fast augenblicklich zum Stillstand der Produkti-on. In Arbeitskämpfen wirkt der Hebel von »Schwerpunktstreiks«, bei denen (zwecksSchonung der Streikkassen) wenige ausgewählte Zulieferbetriebe bestreikt werden, da-her unmittelbar: Den Produktionsbetrieben bleibt nur das Mittel der »kalten Aussper-rung« mit allen negativen Folgen vor allem für die nicht gewerkschaftlich organisiertenMitarbeiter.

Es ist zu beobachten, dass große Hersteller insbesondere im Bereich der Automobil- undElektrogerätefertigung immer komplexere Aufgaben auf externe Lieferanten übertragen:Dieses »Outsourcing« beinhaltet die Herstellung ganzer Baugruppen von der Entwick-lung bis zur Montage, die vordem beim Abnehmer vorgenommen wurde. Für die abneh-menden Betriebe geht hiermit eine Verminderung der Fertigungstiefe und eine – unterKostengesichtspunkten durchaus erwünschte – »Verschlankung« der Produktion (»LeanProduction«) einher, die angesichts der notwendigen Umverteilung der Arbeit auf vorge-lagerte Produktionsstätten jedoch erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zeigt.

Im Rahmen der getroffenen Grundsatzentscheidungen bezüglich des Bereitstellungsprin-zips und der ggf. durch langfristige Verträge gebundenen Lieferanten sind die mittel- undkurzfristigen Entscheidungen der Materialbedarfsplanung zu fällen. Sie betreffen vor al-lem Liefermengen und -zeitpunkte innerhalb einer vorab definierten Planungsperiode.

2.2.8.3.2 Bedarfs- und Bestellmengenplanung

Der Materialbedarf einer Periode wird ausgehend vom Primärbedarf ermittelt. Dieser istdie Menge an Erzeugnissen, die in der betrachteten Periode auf Basis vorliegender Auf-träge produziert bzw. für den Absatzmarkt bereitgestellt werden sollen. Unter Heranzie-hung der Stücklisten kann aus dem Primärbedarf der Sekundärbedarf ermittelt werden,also der Bedarf an Rohmaterialien, Einzelteilen, Teilegruppen usw. Der Tertiärbedarfschließlich ist der Bedarf an Hilfs- und Betriebsstoffen, der häufig eher aus der Planungder Betriebsmittelbelegung als aus der Materialbedarfsplanung ermittelt wird.

In der Praxis wird der Sekundärbedarf um einen Zusatzbedarf erweitert, um Schwund,Ausschuss oder ungeplante Materialentnahmen infolge von kurzfristig angenommenenAufträgen abzufangen. Hieraus ergibt sich die folgende Rechnung:

Sekundärbedarf + Zusatzbedarf

= Bruttobedarf

2 Betriebswirtschaftliches Handeln 2.2 Aufbau- und Ablauforganisation

Der Industriemeister Lehrbuch 2 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 157

Der Bruttobedarf ist also der Bedarf der betrachteten Periode. Der durch die vorhandenenMengen noch nicht gedeckte Bedarf, der so genannten Nettobedarf, wird aus dem Brutto-bedarf durch folgende Berechnung ermittelt:

Bruttobedarf– Lagerbestand– Werkstattbestand– bestellte Mengen+ Vormerkbestand

= Nettobedarf

Vormerkbestand ist dabei ein bereits für andere Aufträge reservierter Bestand.

2.2.8.3.3 Das Bereitstellungssystem

Wie die Bereitstellung des Materials an den betrieblichen Einsatzstellen erfolgt, richtetsich nach dem praktizierten Bereitstellungssystem:

– Beim Bringsystem werden die für die Durchführung eines Werkauftrages benötigtenMaterialien und Unterlagen zum Beginntermin am Arbeitsplatz angeliefert. Bei gesamt-betrieblicher oder zwischenbetrieblicher Betrachtung bedeutet dies, dass ein Auftragam Anfang des Fertigungsprozesses »in Gang gesetzt« wird: Bei Auftragseingang erfol-gen die entsprechenden Bestellungen bei den Zulieferbetrieben; die maschinellen Anla-gen werden umgerüstet; nach Vollendung einer Fertigungsstufe wird das unfertige Er-zeugnis an die unmittelbar nachgelagerte Stelle weitergereicht.

– Beim Holsystem sind die benötigten Materialien und Arbeitsunterlagen von den nach-gelagerten Stellen bei den vorgelagerten Stellen abzufordern. Anders als beim »Bring-system« werden eingehende Aufträge am Ende des Fertigungsprozesses eingesetzt;der hier entstehende Bedarf wird der vorgelagerten Stelle gemeldet, die ihren Bedarfwiederum bei der ihr vorgelagerten Stelle deckt, usw.. Das Holprinzip wird – nach der ja-panischen Bezeichnung für die zur Bedarfsmeldung eingesetzten Pendelkarten – mitdem Begriff »Kanban« belegt.

– Kombinierte Systeme sehen häufig vor, dass Materialien und Arbeitsunterlagen ge-bracht, Werkzeuge dagegen geholt werden.

2.2.9 Instrumente der Produktionsprogrammplanungund Auftragsdisposition

2.2.9.1 Produktionsprogrammplanung

In Abschnitt 2.2.4 wurden die verschiedenen Planungsbegriffe in der Fertigung bereits er-klärt. Dort wurde auch die Produktionsprogrammplanung in ihren Grundzügen erläutert.Hier nun soll sie näher beleuchtet werden.

2.2.9.1.1 Langfristige Programmplanung

In der langfristigen (strategischen) Programmplanung wird das Produktfeld festgelegt, aufdem die Unternehmung tätig sein möchte. Ein Produktfeld ist die Gesamtheit aller Produk-te, die sich auf ein Grunderzeugnis zurückführen lassen, und stellt damit eine sehr grobeRichtungsvorgabe dar, die der Präzisierung bedarf.

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 63

3.3 Präsentationstechniken

3.3.1 Aufgaben und Gegenstand einer PräsentationDie Anlässe für eine Präsentation sind vielfältig:

– Im Rahmen einer Systemanalyse oder im Verlauf eines Projektes besteht zum Ab-schluss einzelner Phasen immer wieder die Notwendigkeit, das bisher Erreichte denEntscheidungsträgern vorzustellen, um deren Zustimmung für das weitere Vorgeheneinzuholen.

– Regelmäßig enden Projekte (etwa die Umstellung einer Anlage auf ein neues Produktoder die Einführung neuer Technologien) mit einer Präsentation der Arbeitsergebnisse.Bei dieser Art von Präsentation handelt es sich meist um eine betriebsinterne Veranstal-tung, die vom Gruppen-, Abteilungs- oder Projektleiter geleitet und gestaltet wird.

– Interne Gruppen können in Präsentationen über Sachverhalte, die sich unter Einsatz visueller Medien besonders gut vermitteln lassen, informiert werden (z. B. über ein neuesSchichtsystem).

– Präsentationen können sich aber auch an externe oder intern/extern-gemischte Gruppen wenden, etwa wenn es gilt, ein neues Produkt, ein neues Verfahren oder einewichtige Veränderung in der Unternehmenspolitik mit Öffentlichkeitswirkung, z. B. denBörsengang des Unternehmens oder eine Fusion, vorzustellen.

Jeder dieser Anlässe stellt denjenigen, der die Präsentation durchführen wird, vor höchs-te Anforderungen:

Die Präsentation soll die zu vermittelnden Informationen in logischer und konzentrierterForm transportieren, zugleich aber die Zuhörer von Anfang bis Ende fesseln, überzeugenund begeistern!

Ganz wesentlich ist, dass mit einer Präsentation meist (neben der Informationsvermitt-lung) ein Ziel erreicht werden soll, das nicht unbedingt benannt wird, dem Präsentieren-den aber während seiner Aktivität stets im Bewusstsein sein muss, z. B. die Erreichungder Zustimmung von Investoren zu einer kostenintensiven Maßnahme, die Überzeugungder Mitarbeiter von der Vorteilhaftigkeit des neuen Schichtsystems, usw.

Die Kenntnis über Methoden der Rhetorik und Moderation und die Fähigkeit, diese auchanzuwenden, sind dabei unerlässlich und deshalb Gegenstand der folgenden ausführ -lichen Darstellungen.

3.3.1.1 Voraussetzungen für eine erfolgreiche Präsentation

3.3.1.1.1 Rhetorisch-methodische Bedingungen

In Kapitel 6 »Arbeitsmethodik« wird ausführlich auf die Grundlagen der Sprech- und Redetechnik eingegangen. Daher sollen an dieser Stelle nur einige Aspekte zusätzlichbeleuchtet werden.

Sprachstil

Der Sprachstil einer Person ist gekennzeichnet durch Wortschatz, Grammatik, Ausdrucks-weise, Sprechgeschwindigkeit und -verständlichkeit sowie Satzbau. Er wird geprägt vomBildungsniveau, von den Menschen des täglichen Umgangs und von der sozialen Stel-lung, die die betreffende Person innehat.

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

64 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Für eine Führungskraft, die mit Menschen unterschiedlicher Herkunft und Vorgeschichtezu tun hat, ist die Fähigkeit und Bereitschaft zur Anpassung der eigenen Sprache an diejeweilige Situation unerlässlich.

Im Gespräch gilt: Ein Gespräch macht nur Sinn, wenn jeder Gesprächspartner eine Spra-che spricht, die vom anderen verstanden wird. Ein aktiver Zuhörer wird in der Regelschnell herausfinden, welches Sprachniveau seinem Gegenüber angemessen ist, undseine Sprache nach Möglichkeit anpassen (was »nach unten« naturgemäß leichter fälltals andersherum). Im Gespräch mit einem Partner, der ein niedrigeres Sprachniveaupflegt, kann dies z. B. Verzicht auf Fremdwörtergebrauch und verschachtelte Sätze, Ver-langsamung des Sprechtempos oder – insbesondere bei ausländischen Mitarbeitern –besonders deutliche Aussprache bedeuten.

Eine Präsentation ist aber im Wesentlichen – von Diskussionsphasen abgesehen – keinGespräch, sondern ein »Monolog«. Daher ist es unerlässlich, dass sich der Vortragendevorab über die Zusammensetzung seiner Zielgruppe ins Bild setzt und seinen Vortrag aufderen Verständnisniveau abstimmt.

Diskussionsverhalten

Präsentationen können (müssen aber nicht!) Diskussionsphasen beinhalten, wobei Dis-kussionen entweder geplant und nach Aufforderung durch den Präsentierenden beginnenoder aber ungeplant durch »Einmischung« von Zuhörern in Gang gesetzt werden.

Geplante Diskussionen schließen sich häufig an einen Vortragsteil an, wenn das Ziel derPräsentation darin besteht, bestimmte Adressaten, etwa Entscheidungsträger, zu einembestimmten Verhalten, etwa der Zustimmung zu einer Maßnahme, zu bewegen, oderwenn mit der Präsentation eine aktuelle Schwierigkeit in der Fortführung eines Projektesdargelegt wurde, über deren Bewältigung befunden werden muss.

Eine Diskussion ist eine geleitete Aussprache über ein Thema, zu dem kontroverse An-sichten bestehen (können). Der Diskussionsleiter kann durchaus selbst eine Ansicht ver-treten, muss aber in erster Linie für einen geordneten, konstruktiven Ablauf der Diskussi-on sorgen und im Allgemeinen auch eine – sachliche, nicht bereits von der persönlichenMeinung geprägte – Themeneinführung halten. Vorab sind Vereinbarungen über den Ge-genstand, die Dauer, die Vorgehensweise (Sind Wortmeldungen in einem Beitrag zuge-lassen? Ist die Redezeit beschränkt?) und die Protokollführung zu treffen. Diskussionenbergen die Gefahr, dass einzelne Beteiligte durch Lautstärke oder durch beharrliche Wie-derholung immer gleicher Argumente dominieren, andere in ihren Empfindungen verletztwerden oder die Veranstaltung mit dem Gefühl verlassen, nicht hinreichend zu Wort ge-kommen zu sein. Der Diskussionsleiter hat daher die Aufgabe, darauf zu achten, dass dieVertreter der unterschiedlichen Standpunkte gleichgewichtig gehört werden, persönlicheAngriffe unterbleiben und der erzielte Diskussionsstand den Teilnehmenden immer wiederdurch Zusammenfassungen verdeutlicht wird.

Handelt es sich um eine Diskussion über eine geplante betriebliche Maßnahme und istder Diskussionsleiter zugleich der Vorgesetzte der Diskutierenden, steht er häufig vor demDilemma, dass die Diskussion nicht zu dem von ihm »gewünschten« Ergebnis führt – vie-le Vorgesetzte neigen dazu, Diskussionen anzuberaumen, um den Mitarbeitern das Ge-fühl der Beteiligung an einem Entscheidungsprozess zu vermitteln, obwohl bereits fest-steht, wie die Entscheidung ausfallen wird. Wird diese Taktik durchschaut, kann diesnachhaltige negative Auswirkungen auf die Motivation der Mitarbeiter bedingen; eine Füh-rungskraft sollte eine Diskussion daher nur dann anregen, wenn ihr eigener Meinungsfin-dungsprozess noch nicht abgeschlossen und eine Offenheit zur Auseinandersetzung mitanderen Argumenten vorhanden ist. Auf jeden Fall sollte vor Eintritt in die Diskussion klar-gestellt werden, ob das mögliche Ergebnis »verbindlich« ist (»so, wie es die Mehrheit der

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 65

Diskussionsteilnehmer am Ende der Diskussion beschließt, wird es gemacht«) bzw. wel-chen Stellenwert der Vorgesetzte dem Ergebnis in seiner Entscheidungsfindung einräumt.

Angewohnheiten

Viele Vortragende sind sich des Umstandes nicht bewusst, dass sie durch bestimmte Angewohnheiten die Aufmerksamkeit vom Vortragsgegenstand ab- und auf die eigenePerson hinlenken und damit den Zweck der Veranstaltung unterlaufen.

Weitverbreitete »Unarten« sind

– die beständige Wiederholung von Füllwörtern (also..., ich würde sagen..., ...eigentlich...)oder Lauten (das beliebte ähhh), die dazu führen kann, dass die Zuhörer bereits auf das»nächste Mal« warten und dem Inhalt des Vortrags nicht mehr folgen,

– nervöses Wippen oder Hantieren mit Gegenständen (Kugelschreiber, Ehering, Zeige-stock),

– starrer Blick auf das Manuskript oder einen Punkt »in der Unendlichkeit« über den Köp-fen der Zuhörer, die sich nicht angesprochen fühlen und nicht nur wegsehen, sondernauch weghören,

– hektisches »Durchziehen« des Vortrages, was sich in haspelnder Sprache und einemzu raschen, die Aufnahme des Inhalts durch die Zuhörer/Zuschauer nicht erlaubendenWechsel von Folien oder sonstigen Projektionen ausdrückt,

– zu leise Sprache oder, bei Nutzung einer Verstärkeranlage, ständige Variation der Ent-fernung vom Mikrofon mit der Folge, dass das Gesagte mal überhaupt nicht und dannwieder schmerzhaft laut bei den Adressaten ankommt, und vieles mehr.

Es ist hilfreich, Videoaufzeichnungen eigener Vortragsauftritte anfertigen zu lassen und zuanalysieren, um solchen Angewohnheiten auf die Spur zu kommen. Sich Angewohnheitenbewusst zu machen ist oft der erste Schritt zu ihrer künftigen Vermeidung.

Improvisierte Präsentationen

Bisweilen findet sich die Führungskraft unversehens in der Situation, eine »spontane«Präsentation durchführen zu müssen. Vielfältige Gründe kommen hierfür in Betracht, z. B.die nicht vorhersehbare Einberufung einer Besprechung oder Versammlung, die Teilnah-me eines Mitgliedes der Geschäftsleitung an einer vorab als eher »informell« erwartetenSitzung, die Notwendigkeit, einen plötzlich erkrankten Vorgesetzten bei einer Sitzung zuvertreten und dort ein Arbeitsergebnis zu präsentieren, ohne die Möglichkeit, einen Rück-griff auf dessen vorbereitete Unterlagen nehmen zu können, usw.

Improvisierte Präsentationen kranken naturgemäß besonders am Mangel an vorbereite-ten Medien (Folien, Handouts) und am Nichtvorhandensein technischer Hilfsmittel wieFlipcharts, Projektoren usw.

In jedem Falle sollte sich der Vortragende einen »roten Faden« (und wenn auch nur inForm eines kurzen Merkzettels) erstellen und diesen zur Grundlage seiner Präsentationmachen. Das Grundgerüst dieses roten Fadens sollte wie folgt beschaffen sein:

– Einführung in das Thema: Worum geht es? Warum hat man sich damit beschäftigt?Welche Rolle spielt der Vortragende selbst in besagtem Projekt?

– Skizze des bisherigen Vorgehens: Was wurde bisher unternommen? Von wem? Wel-che Zwischenergebnisse wurden erzielt? Welche Schwierigkeiten sind aufgetreten?Wenn Planabweichungen aufgetreten sind: Was waren die Ursachen, was wurde unter-nommen, was sind die Folgen?

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

66 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

– Darstellung des Status Quo: Wo steht das Projekt heute? Gibt es aktuelle Schwierig-keiten?

– Ausblick: Wie geht es weiter? Wird der Planungshorizont eingehalten?

Wichtig ist, dass der Präsentierende sich dabei stets das Ziel seiner Präsentation (z. B.den Vorgesetzten zur Bereitstellung weiterer Mittel zu bewegen, die Kollegen für eine wei-teren Mitarbeit zu gewinnen, usw.) vor Augen hält.

Gerade in solchen Situationen sind Kenntnisse in Rede- und Präsentationstechnik und eingewisses Maß an Geübtheit eine wertvolle Hilfe, um einen peinlichen Auftritt zu vermei-den und das Ziel der Veranstaltung trotz aller äußerlichen Widrigkeiten zu erreichen.

3.3.1.1.2 Moderationsmethodische Bedingungen

3.3.1.1.2.1 Grundlagen der Moderation

Die Leitung von Besprechungen gehört zu den häufigen, wenn nicht alltäglichen Aufga-ben einer Führungskraft. Sofern es bei diesen Besprechungen nicht nur um reinen Infor-mationsaustausch geht, sondern es sich um Gruppenzusammenkünfte handelt, deren Ergebnis die Lösung eines Problems sein soll, kommt dem methodischen Vorgehen derleitenden Person besondere Bedeutung zu. Hier hat sich in den letzten beiden Jahrzehn-ten die Moderationsmethode bewährt und durchgesetzt, da sie besonders geeignet ist,die Bedeutung der Mitarbeiterbeteiligung zu unterstreichen, Kreativitätspotenziale freizu-setzen und die Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder zu stärken.

Die Rolle der Führungskraft als Moderator ist ähnlich definiert wie diejenige des Diskussi-onsleiters, jedoch mit dem Unterschied, dass der Moderator keine Stellung zu inhaltlichenFragen bezieht, sondern »nur« seine Methodenkompetenz beisteuert. Seine Aufgabe be-steht darin, in das Thema einzuführen und den Diskussionsprozess zu leiten, vor allemaber die inhaltlichen Beiträge der Gruppenmitglieder festzuhalten, zu visualisieren und inHinblick auf das angestrebte Ziel zu strukturieren, sie also gewissermaßen auf eine Pro-blemlösung oder Entscheidungsfindung zu fokussieren.

Den Abschluss einer moderierten Besprechung bildet die Zusammenfassung der von derGruppe herausgearbeiteten Arbeitsergebnisse, die Verabredung von Maßnahmen zurRealisierung der gefundenen Lösung unter Festlegung von Terminen, die Verteilung vonAufgaben und – im Verlauf der Realisationsphase – die Überwachung der Einhaltung dergetroffenen Vereinbarungen.

3.3.1.1.2.2 Vorbereitung, Aufbau und Ablauf einer Moderation

Aus den obigen Ausführungen wurde bereits deutlich, dass der Moderator hinsichtlich desThemas der von ihm zu moderierenden Besprechung kein Fachexperte sein muss – unterUmständen ist es sogar für den Erfolg der Veranstaltung von Nutzen, wenn er der Thema-tik fachlich fernsteht. Betriebliche Führungskräfte, die Entscheidungsfindungsprozesse invon ihnen selbst einberufenen Gruppen moderieren und damit zwangsläufig über Fach-wissen verfügen, müssen sich daher unbedingt disziplinieren und mit subjektiv eingefärb-ten Einmischungen und Beiträgen zurückhalten.

Aus alldem folgt, dass eine fachliche Vorbereitung nicht oder nur insoweit erforderlich ist, als eine kurze Einführung in das Thema vor Beginn der eigentlichen Gruppenarbeit gehalten werden sollte. Die Vorbereitung erstreckt sich also vorrangig auf die Rahmen -bedingungen der moderierten Besprechung, also die Festlegung von Ort, Raum und Uhrzeit, Beschaffung und Bereitstellung von Hilfsmitteln und Medien sowie Einladung derTeilnehmer.

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 67

Die am häufigsten praktizierte Moderationsmethode ist die Metaplan®- oder Pinnwand-technik, die eine Reihe von Hilfsmitteln erfordert:

– bewegliche Pinnwände mit nachgiebigen Innenflächen, in die

– Stecknadeln oder Pins eingesteckt werden können und die mit

– Packpapier – am günstigsten von der Rolle – bespannt werden,

– verschiedenfarbige Karten oder »Wolken« aus Papier oder dünner Pappe,

– Klebestifte,

– breite Faserschreiber in verschiedenen Farben und

– farbige Klebepunkte.

Wenn die Pinnwände bespannt sind und die zunächst benötigte Anzahl im Sichtfeld derTeilnehmer aufgestellt ist, kann die Moderation beginnen.

Begrüßung, Eröffnung und Einführung

Sofern der Moderator den Teilnehmenden nicht bekannt ist – etwa weil er als betriebs -externer Moderationsspezialist eigens für diese Veranstaltung verpflichtet wurde –, stellter sich selbst zunächst vor und bittet die Gruppenmitglieder, sich ebenfalls vorzustellen.Kennen sich die Teilnehmenden untereinander nicht oder nicht durchgängig, kann dieseVorstellungsrunde durchaus ausführlicher ausfallen: Gern werden Partnerinterviewsdurchgeführt, bei denen jeder Teilnehmer einen ihm zugelosten anderen Teilnehmer inter-viewt und anschließend im Plenum nicht sich selbst, sondern den Interviewpartner vor-stellt. Häufig werden die Teilnehmer durch den Moderator aufgefordert, ihre Erwartungen,Hoffnungen, gegebenenfalls auch Befürchtungen in Bezug auf die vor ihnen liegende Ver-anstaltung zu formulieren.

Die Einführung in das Thema wird sich häufig auf dessen Nennung beschränken; außer-dem ist es – vor allem, wenn einige Teilnehmer bisher noch nie an moderierten Bespre-chungen teilgenommen haben – sinnvoll, das weitere Vorgehen zu skizzieren.

Häufig beginnt die eigentliche Moderation mit einer Abfrage zur Einstellung der Teilneh-mer zum Thema.

Beispiel:

Das wichtigste und bisher erfolgreichste Produkt des Unternehmens weist seit einiger Zeitsinkende Absatzzahlen auf. Eine Gruppe aus insgesamt 15 Fachkräften der AbteilungenProduktion, Marketing, Vertrieb/Außendienst, Forschung/Entwicklung und Werbung sollgemeinsam mögliche Ursachen und Vorschläge zur ihrer Behebung erarbeiten. Der Mo-derator wählt den Diskussionseinstieg über die Frage: »Würden Sie unser Produkt für Ih-ren privaten Haushalt kaufen?«, die er aber nicht verbal in den Raum stellt, sondern aufeiner Pinnwand zusammen mit einem vorbereiteten Antwortraster präsentiert. Die Teilneh-mer werden gebeten, ihre Antwort durch einen Klebepunkt zu kennzeichnen.

Moderationseröffnung mittels Eröffnungsfrage

Würden Sie unserProdukt kaufen?

auf jedenFall

viel-leicht

ehernicht

aufkeinen

Fall

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

68 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Die Antworten, die klar zum Negativen tendieren, machen nicht nur deutlich, dass mit demProdukt tatsächlich »etwas nicht stimmt«, sondern auch, dass bei den Gruppenteilneh-mern ein Problembewusstsein vorhanden ist, aus dem Verbesserungsvorschläge gewon-nen werden können.

Identifizierung relevanter Themenbereiche

Der nächste Schritt besteht in der Einholung freier Äußerungen zu einer vom Moderatorvorgegebenen Frage, die von den Teilnehmenden schriftlich in Stichworten auf Abfrage-karten notiert werden. Diese Phase besitzt den Charakter eines Brainstorming.

Ein Brainstorming verläuft regelmäßig in zwei Phasen. In der ersten Phase werden dieAnwesenden aufgefordert, in freier Assoziation stichwortartig ihre Gedanken zur Sachezu äußern. Erklärungen hierzu erfolgen in der Regel ebenso wenig wie Kommentare oderKritiken seitens anderer Teilnehmer. Alle Äußerungen werden schriftlich oder auf Bandfestgehalten. Diese Phase sollte nicht kürzer als zehn Minuten sein (weil erfahrungs -gemäß nach dieser Zeit eine »schöpferische Pause« eintritt, auf die die Äußerung derkonstruktivsten Ideen folgt), aber nicht wesentlich länger als zwanzig Minuten.

In der zweiten Phase werden die notierten Stichwörter – wenn möglich – seitens des Moderators in Gruppen zusammengefasst. Diese werden nacheinander aufgerufen unddiskutiert. Erfahrungsgemäß können viele Äußerungen von vornherein verworfen werden;der verbleibende »Bodensatz« enthält jedoch nicht selten gute und originelle Ansätze.

Beispiel:

Ziel der Veranstaltung ist es, herauszufinden, welche Maßnahmen getroffen werden müs-sen, um den Absatz des Produktes wieder zu verbessern. Dazu ist es erforderlich, heraus-zuarbeiten, was den Kunden eigentlich zum Griff nach diesem Produkt veranlasst bzw. wasihn davon abhält. Die Frage, die der Moderator formuliert, muss einerseits eindeutig sein,darf aber andererseits die Überlegungen der Teilnehmenden nicht von vornherein auf be-stimmte Bereiche beschränken. Der Moderator entschließt sich, folgende Frage zu stellenund an eine weitere Pinnwand zu hängen: »Welche Faktoren beeinflussen die Kaufent-scheidung unserer Kunden?« Die Gruppenmitglieder haben zwanzig Minuten Zeit, um – jeder für sich – mögliche Antworten stichwortartig und gut leserlich auf jeweils einzelnenKarten zu notieren. Anschließend sammelt der Moderator alle Karten ein und befestigt sie– zunächst ungeordnet – mittels Pinnnadeln neben der Ausgangsfrage. Letzteres könnendie Teilnehmer auch selbst tun, wenn nicht zuvor Wahrung der Anonymität vereinbart wurde.Die folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus der Pinnwand.

Das Ergebnis der Kartenabfrage

NutzenHaltbarkeit Preis

Farbe

einfacheHandhabung

Konkurrenz-produkte

Form

Funktion

gutes Aussehen

QualitätSicherheit Reklame

Welche Faktorenbeeinflussen die

Kaufentscheidung?

Preis Werbung

BeratungBedienfreundlichkeit

DesignQualität Service Preis

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 69

Dass einige Antworten doppelt erscheinen, verwundert nicht angesichts des Umstandes,dass jedes Gruppenmitglied allein gearbeitet hat. Im nächsten Schritt werden die Kartenauf einer leeren, mit Packpapier bespannten Pinnwand nach Zusammengehörigkeit grup-piert: Es werden Cluster gebildet. Hierdurch sollen verschiedene Themenbereiche identifi-ziert werden. Alle Karten werden dabei verwendet, denn Mehrfachnennungen spiegelndie Bedeutung des Aspektes wider. Einige Antworten bedürfen möglicherweise der Erör-terung, um ihre Zuordnung zu ermöglichen: Hier entscheidet der Verfasser – sofern er sichzu erkennen geben will –, welchem Bereich seine Karte zugeordnet werden soll. Die Ant-wort »Nutzen« etwa veranlasst den Moderator zu der Nachfrage, was damit gemeint sei;der Verfasser beschreibt daraufhin, dass er dabei an das problemlose Funktionieren desProduktes gedacht habe. Zweimal wurde die Antwort »Qualität« gegeben; während einTeilnehmer dabei ebenfalls an die Funktion gedacht hat, erläutert der andere, dass er dar-unter vor allem »Haltbarkeit« verstehe. Die Antwort »Sicherheit« bezieht sich auf Gefähr-dungen, die mit der Bedienung einhergehen und durch gute Handhabbarkeit vermiedenwerden können. Der Moderator identifiziert mit Hilfe der Gruppe acht Cluster.

Die Clusterbildung erbringt verschiedene Themenbereiche, die für die Annäherung an dasKernproblem, um dessentwillen die Gruppe zusammengetreten ist, aber nicht gleicherma-ßen wichtig sind. In einem nächsten Schritt werden die Gruppenmitglieder daher gebeten,diejenigen Bereiche, die sie für besonders problemrelevant halten und die sie deshalbweiterbearbeiten möchten, durch das Einkleben von Wertungspunkten kenntlich zu ma-chen. Meist erhält jedes Gruppenmitglied mehrere Punkte; ob eine Mehrfach-Bepunktungdesselben Clusters zulässig sein soll, muss vorab vereinbart werden.

Der Moderator verteilt drei Klebepunkte je Gruppenmitglied und fordert die Teilnehmen-den auf, diejenigen Bereiche kenntlich zu machen, die nach ihrer Ansicht die vorrangigenUrsachen für den Nachfragerückgang in sich tragen.

Clusterbildung und -bewertung

Die Nennungen konzentrieren sich offensichtlich auf die Bereiche »Design«, »Konkurrenz-produkte«, »Werbung« und – in geringerem Maße – »Preis«. Offensichtlich werden die Bereiche »Funktion«, »Haltbarkeit/Qualität«, »Beratung/Service« und »Bedienfreundlich-keit« also als wenig problemrelevant empfunden. Allein aus dieser Verteilung könnten jetztbereits Schlussfolgerungen gezogen werden. Der Moderator muss nun entscheiden, ob diehochbepunkteten Bereiche so weit in einem Zusammenhang stehen, dass sie simultan diskutiert werden können, oder ob die Erörterung sequenziell, etwa in der sich aus der

PreisPreis

Preis einfacheHandhabung

Bedien-freundlichkeit

Sicherheit

Nutzen

Funktion

QualitätDesign

Form

Farbegutes

Aussehen

Haltbarkeit

Qualität

Beratung

Service

Konkurrenz-produkte

Werbung

Reklame

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

70 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Bepunktung ergebenden Reihenfolge, erfolgen soll. Er entscheidet sich, die Gruppe in vierTeilgruppen aufzuteilen, von denen sich jede mit einem der wesentlichen Themenbereichebeschäftigen soll. Jede Gruppe erhält den Auftrag, folgende Fragestellungen zu erörtern:

– Welche Kritikpunkte resultieren aus dem betreffenden Bereich?– Welche Maßnahmen können zur Verbesserung getroffen werden?– Wer kann diese Maßnahmen durchführen?

Anschließend stellen die Gruppen ihre Ergebnisse im Plenum vor und stellen sie dort zurDiskussion.

Verabredung von Maßnahmen

Aus den vorangegangenen Schritten werden sich Maßnahmenvorschläge ergeben ha-ben, von denen einige, die allgemeinen Konsens erzielt haben, in der Folgezeit realisiertwerden sollen. Abschließende Aufgabe des Moderators ist es, diese Maßnahmen und dieverabredeten Zuständigkeiten, Termine und Ziele in einem Maßnahmenkatalog festzu-halten, die Teilnehmenden zur fristgerechten Erledigung ihrer Aufgaben zu verpflichtenund die Veranstaltung zu schließen.

Maßnahmenkatalog

Häufig wird der Moderator im Anschluss an die Veranstaltung ein Protokoll erstellen, dasdie Zwischenschritte – z. B. in Form von Fotografien der bestückten Pinnwände –, die Ar-beitsergebnisse und den Maßnahmenkatalog festhält. Dieses Protokoll erhalten alle Teil-nehmenden, möglicherweise aber auch andere Interessenten, etwa die Geschäftsleitung.

3.3.1.2 Problemlösungstechniken

Manche Probleme zeichnen sich dadurch aus, dass sie mittels eines Algorithmus, also ei-ner bestimmten Anweisungskette folgend, gelöst werden können, wobei der Lösungswegprinzipiell bekannt ist. In Abschnitt 3.6.6 wird die Identifikation, Analyse und Lösung sol-cher Probleme unter dem Stichwort »Anwendungsentwicklung« als Weg »vom Problemzum Programm« dargestellt.

Viele Probleme des betrieblichen Alltags stellen sich jedoch diffuser dar: Oft liegt ein Miss-stand vor, dessen Ursachen vielfältig sind und sich nicht auf den ersten Blick erschließen,wie etwa in dem oben geschilderten Beispiel eines Nachfragerückgangs.

Nr. Maßnahme wer mit wem bis wann was

1

2

3

WertanalyseKonk.-Produkt

Neue Verpackung

Neue Werbemittel

Hofer/MA

Meier/VT

Broder/WE

Marx/F&E

Borg/WE

Haß/MA

31.5

15.6

30.6

Präsentation

Entwürfe

Vorschlagsliste

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 71

Während bei der Problemidentifikation meist systematisch/schematisch vorgegangenwird, kommen bei der Lösungsfindung häufig Methoden zum Einsatz, die auf die Frei-setzung von Kreativitätspotenzialen der an der Lösungsfindung beteiligten Menschen ab-zielen.

Methoden der Problemidentifikation sind z. B.

– der morphologische Kasten, der in einer Matrix alle Bestimmungsfaktoren einesSachverhaltes aufnimmt,

– Ursache-Wirkungs-Diagramme (� Abschn. 3.2.2) und andere Methoden des Quali-tätsmanagements (Lehrbuch 2),

– statistische Erhebungen und Auswertungen (� Abschn. 3.4.4),

– die Systemanalyse (� Abschn. 3.5.2),

– die Fragenkaskade: Ausgehend von einer Frage werden – ähnlich, wie Kinder es zutun pflegen – weitere Fragen, die mit demselben Fragewort beginnen, formuliert.

Beispiel:»Warum schreibt der Füller nicht mehr?« – »Weil keine Tinte mehr vorn herauskommt.«– »Warum kommt keine Tinte heraus?« – »Weil die Spitze verstopft ist.« – »Warum istdie Spitze verstopft?« – »Weil die Tinte eingetrocknet ist.« – usw.

Eine häufig angewandte Methode zur Auffindung von Problemlösungswegen ist das be-reits in Abschnitt 3.3.1.1.2 dargestellte Brainstorming.

Andere bekannte Kreativitätstechniken sind

– die Methode 6-3-5 (»Brainwriting«): Ausgehend von der Beschreibung des Problems,entwickeln sechs Mitglieder eines Teams je drei Lösungsvorschläge binnen fünf Minu-ten: Jeder schreibt drei Ideen auf und gibt seine Blätter nach fünf Minuten an das nächs-te Teammitglied weiter, das, anknüpfend an diese Ideen des Vorgängers, daraus dreineue Ideen entwickelt. Nach fünf Minuten werden die neuen Blätter weitergereicht usw.Auch andere Varianten, etwa 423, sind realisierbar.

– Synektik (nach W. J. GORDON): Diese Methode spricht vor allem die emotionale Krea-tivität an, ist schwierig zu vermitteln und sollte daher nur von erfahrenen Moderatorenversucht werden. Ein Team aus ca. 10 Mitgliedern verschiedener Fachrichtungen be-trachtet ein gegebenes Problem gemeinsam von allen Seiten und sucht nach Analogienaus anderen Bereichen, z. B. Ähnlichkeiten, die ein technisches Problem mit einemSachverhalt in der Natur aufweist. Die Teammitglieder werden aufgefordert, sich in den– mit dem eigentlichen Problem in keinem direkten Zusammenhang stehenden – analo-gen Sachverhalt hineinzudenken, persönliche Empfindungen auszudrücken und damiteinen höheren Abstraktionsgrad zu erreichen. Damit soll eine Horizonterweiterung undzugleich ein »Einfühlen« in die Situation gefördert werden. Im Zuge der behutsamenRückführung zum Ausgangsproblem ist so der Boden für »Geistesblitze« bereitet.

3.3.2 Planung und Vorbereitung einer Präsentation»In der Kürze liegt die Würze«, weiß schon der Volksmund. Häufig hat sich die Arbeit andem zu präsentierenden Gegenstand über Jahre erstreckt; die Dokumentationen füllenAktenschränke, und die Faktoren, die das zu präsentierende Arbeitsergebnis beeinflussthaben, sind in ihrer Komplexität und ihren Wechselwirkungen auch für mit der ThematikVertraute kaum überschaubar.

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

72 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Die Hauptschwierigkeit bei der Planung und Vorbereitung einer Präsentation besteht da-her im Allgemeinen in der Auswahl derjenigen Informationen, die unbedingt vermittelt wer-den sollen – bzw. in der Identifikation derjenigen Informationen, die unerwähnt bleibenkönnen, ohne dass die Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Präsentation leidet.

Welche Informationen transportiert werden müssen, hängt natürlich von der Zielgruppe,also von denjenigen Personen, für die und vor denen die Präsentation durchgeführt wer-den soll, und von den vom Präsentierenden bzw. der von ihm vertretenen Gruppe verfolg-ten Absichten ab:

Zur Zielgruppe: Welches Interesse, welche Erwartungen und welche Vorkenntnisse sindvorhanden? Wie anspruchsvoll ist dieses Publikum hinsichtlich Hintergrundinformation,wissenschaftlicher Basis des Vortrags, Medieneinsatz im Vortrag?

Zur Absicht: Soll das Publikum zu bestimmten Handlungen und Einstellungen (Zustim-mung, Mittelgewährung, Mitarbeit an einer Projektrealisation, Anerkennung einer Leistungusw.) animiert werden?

Nach den Antworten auf diese Fragen richten sich die zu vermittelnden Schwerpunkteund die Intensität, mit der einzelne Aspekte behandelt werden.

Ansonsten entsprechen die vorbereitenden Arbeiten denjenigen, die bereits unter demStichwort »Moderation« behandelt wurden.

3.3.3 Die Durchführung einer Präsentation3.3.3.1 Ablauf einer Präsentation

Für den Ablauf einer Präsentation von Arbeitsergebnissen lassen sich keine allgemeingültigen Empfehlungen aussprechen: Häufig wird am Anfang und Ende der Veranstaltungdas bloße gesprochene Wort des Präsentierenden stehen und ein Medieneinsatz demKernteil der Präsentation vorbehalten sein; gerade deswegen kann unter Umständen be-sondere Aufmerksamkeit erzeugt werden, wenn der Einstieg über ein Bild oder einen Filmerfolgt. Meist werden Präsentationen zunächst »von Anfang bis Ende durchgezogen«, be-vor sich das Publikum zu Wort melden darf; es kann aber besonders auflockernd sein,Fragen und Anmerkungen jederzeit zuzulassen. In jedem Fall muss der Ablauf vorab imSinne einer »Dramaturgie«, eines gewünschten Spannungsbogens, sorgfältig geplantwerden, damit die Veranstaltung zum gewünschten Erfolg führt.

Ansonsten sind auch hier die Parallelen zur Moderationstechnik derart ausgeprägt, dassauf eine Wiederholung des unter dieser Überschrift bereits Gesagten verzichtet wird.

3.3.3.2 Störungsvermeidung

Mit Rücksicht auf die erwähnte Dramaturgie der Veranstaltung sollten Störungen, die zuUnterbrechungen führen können, möglichst schon im Vorwege ausgeschaltet werden:

– Der Vortragende selbst, aber auch die Zuhörer sind insbesondere dann der Gefahr vonStörungen ausgesetzt, wenn die Präsentation in räumlicher Nähe zum eigenen Arbeits-platz stattfindet. Wenn die Umstände es zulassen, sollte daher ein anderer Ort gewähltwerden.

– Mitarbeiter sollten unbedingt in Kenntnis gesetzt werden, dass Störungen unerwünschtsind und nur in außergewöhnlichen und ernsten Notlagen erfolgen dürfen.

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 73

– Den Zuhörern sollte das Anliegen des Präsentierenden, seine Vorstellung ungestörtdurchführen zu können, nahegebracht werden. Durch ein entsprechendes Auftretenund Äußeres kann der Vortragende bereits signalisieren, dass er dem Ereignis großeErnsthaftigkeit entgegenbringt. Zusätzlich kann ein Hinweis auf die Dauer und den ge-planten Ablauf zu Beginn der Präsentation hilfreich sein. Der Hinweis, dass von klin-gelnden Handys erhebliche Störungen ausgehen und ein eingeschaltetes Handy im All-gemeinen (abgesehen von Notfalleinsatzpersonal wie Feuerwehr usw.) eine grobeUnhöflichkeit darstellt, sollte heute überflüssig sein, ist es aber leider oft nicht.

3.3.3.3 Medien und Hilfsmittel

Aus der Lerntheorie ist bekannt, dass die Aufnahme von Informationen umso besser ge-lingt, je mehr »Eingangskanäle« des Informationsempfängers angesprochen werden. Einbloßer Vortrag wird daher regelmäßig einen weniger nachhaltigen Eindruck hinterlassenals eine Vorstellung, die neben dem auditiven Kanal auch andere Sinne anspricht. Präsen-tationen setzen vor allem auf Visualisierung, seltener auf kinästhetische (»begreifende«,das direkte Handeln fordernde), olfaktorische (den Geruchssinn ansprechende) oder gus -tatorische (geschmackliche) Reize.

Informationen können mittels Schriftzeichen, Symbolen und Bildern visuell erfassbar ge-macht werden. Dazu bedarf es jeweils eines Mediums, das die Darstellungen aufnimmt,und häufig auch eines Hilfsmittels (z. B. eines Gerätes oder eines »Möbels«), das die Wie-dergabe ermöglicht.

Bei der Auswahl der Darstellungsform und des Mediums sollten folgende Faktoren be-rücksichtigt werden:

– Texte sollten sich auf Schlagworte beschränken und »plakativ« sein, also prägnant, gutlesbar und in aufgelockerter Verteilung (große Abstände, klare Gliederung; keine »Blei-wüste«) unter sparsamem Verbrauch von Hervorhebungen (Fettdruck, Farbe, Unter-streichung usw.) der besonders wichtigen Informationen (was nicht wichtig ist, mussüberhaupt nicht erscheinen).

– Verwendete Symbole sollten ohne Erklärung ihrem Sinn nach erfassbar sein und »fürsich sprechen«, wie dies etwa bei Piktogrammen der Fall ist.

– Bilder können statisch oder bewegt sein. Auf jeden Fall sollten sie mit den notwendigenElementen und Farben auskommen, um keine Reizüberflutung auszulösen, und klar er-kennbar sein.

– Das gewählte Medium sollte eine hinreichend große und deutliche Wiedergabe bei un-gehinderter Sicht von allen Teilnehmerplätzen gewähren.

– Die visualisierten Informationen und der Vortrag des Präsentierenden müssen in jederPhase der Präsentation zusammenpassen und aufeinander Bezug nehmen.

– Zwischen Präsentierendem und Publikum sollte ein ständiger Blickkontakt möglichsein; hiervon kann ausnahmsweise, etwa wenn der Raum für die Vorführung einesFilms abgedunkelt wurde, abgewichen werden.

– Abwechslung erzeugt Aufmerksamkeit: Je nach Dauer der Präsentation sollten ver-schiedene Medien und Hilfsmittel zum Einsatz kommen. Aber: Zuviel Wechsel er-zeugt Unruhe und kann zu Ermüdung der Augen führen.

– Vor der Präsentation vor dem Zielpublikum sollte ein Probelauf stattfinden, der sichmindestens auf die Prüfung der Funktionstüchtigkeit der eingesetzten Geräte und derErkennbarkeit der vorbereiteten Medien erstreckt; vor bedeutenderen Veranstaltungenkann auch eine »Generalprobe« vor einem kritischen Testpublikum, z. B. den Mitglie-dern des Projektteams, durchgeführt werden.

3.3 Präsentationstechniken 3 Information, Kommunikation und Planung

74 Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

Die bekanntesten Visualisierungsmedien und -hilfsmittel sind die folgenden.

Tafel: Die traditionelle schwarze oder grüne Tafel ist ein Instrument zur nicht-dauerhaftenAufnahme von Schriften und Bildern, die handschriftlich mit weißer oder farbiger Kreideaufgebracht und mit einem angefeuchteten Schwamm wieder entfernt werden.

Whiteboard: Viele dieser weißen Tafeln, die mit nicht-permanenten Filzstiften (»Board-markern«) beschriftet werden, können auch für die Anbringung magnetischer Kleingegen-stände oder als Projektionsfläche genutzt werden.

Flipchart: Ein auf einem an einen Notenständer erinnernden Gestell am oberen Rand be-festigter Papierblock wird mit Filzstiften Blatt für Blatt dauerhaft beschrieben. Flipchartseignen sich besonders zur Vorbereitung von Präsentationen, in deren Verlauf ein Blattnach dem anderen aufgeblättert wird. Vorteilhaft ist die Möglichkeit zum Rückgriff auf frü-her gezeigte Blätter, da deren Inhalt – im Gegensatz zu demjenigen von Tafel und White-board – nicht verloren ist.

Pinnwand: Pinnwände können wahlweise an Wandvorrichtungen eingehängt oder mittelsStändern frei im Raum aufgestellt werden. Ihre Oberfläche ist mit einem textilen Materialvor einem weichen Untergrund ausgestattet, der das Einstecken von Stecknadeln, Reiß-zwecken oder Pinns zur Befestigung von Papierkarten gestattet. Für Moderationen wer-den Pinnwände häufig beidseitig vorbereitet; oft werden sie mit Packpapier bespannt, da-mit ihre Oberfläche zusätzlich für Beschriftungen genutzt werden kann.

Overheadprojektion: Mittels eines elektrisch betriebenen Projektionsgerätes wird derauf durchsichtige Einzel- oder »Endlos«-Folien aufgebrachte Inhalt auf eine Leinwandoder geeignete Wandfläche projiziert. Je nachdem, ob die Lichtquelle im Kopf oder im Ge-häuse des Gerätes untergebracht ist, spricht man von »aufscheinendem« oder »durch-scheinendem« Projektor. Die Folienbeschriftung erfolgt mittels spezieller Faserschreiber,die eine permanent haftende oder eine nicht-permanente, abwaschbare Farbe abgeben,oder durch Bedrucken bzw. Aufkopieren. Bedruckt oder kopiert werden können allerdingsnur Einzelfolien. Folien können während des Vortrags entwickelt oder vorbereitet und beiBedarf aufgelegt werden; im letzteren Falle wird gern eine Abdecktechnik angewandt, diesicherstellt, dass das Publikum jeweils nur die Stichworte oder Abbildungen sieht, die zumaktuellen Vortragsinhalt passen.

Episkop: Mit Hilfe dieses Projektionsgerätes können nicht-durchscheinende Vorlagen, et-wa Abbildungen aus Büchern, projiziert werden.

Dia- bzw. Filmprojektion: Lichtbild- und Filmvorführungen erfordern im Allgemeinen ei-nen abgedunkelten Raum und können innerhalb einer Präsentation daher nur begleitend,aber nicht als Hauptgestaltungselement eingesetzt werden. Vertonung lässt den Präsen-tierenden zeitweilig in den Hintergrund treten. Günstiger und technisch leichter umzuset-zen ist häufig die Vorführung von Videofilmen, da bei Einsatz eines Großbildmonitors eineVerdunkelung im Allgemeinen nicht erforderlich ist.

Computeranimierte Präsentation: Mit Hilfe spezieller Software (z. B. Microsoft Power-point) können Präsentationen vorbereitet werden, die – entweder automatisch oder durchEingriff des Präsentierenden – auf einem Computermonitor ablaufen, dessen Inhalt wie-derum mittels eines Beamers oder einer LCD-Auflage für lichtstarke Overheadprojektorenauf eine Leinwand projiziert werden kann. Gegenüber der konventionellen Overhead-Pro-jektion weist dieses Verfahren den Vorteil auf, dass auch bewegte Bilder erzeugt und vorgeführt werden können und ein »Hantieren« mit Folien und Stiften überflüssig wird.

3 Information, Kommunikation und Planung 3.3 Präsentationstechniken

Der Industriemeister Lehrbuch 3 © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 75

3.3.4 Nachbereitung einer PräsentationJe nach Art und Absicht der Präsentation wird es notwendig sein, Ergebnisse festzuhal-ten, verabredete Maßnahmen und Termine zu notieren und Vorkehrungen zur Überwa-chung ihrer Einhaltung einzuleiten, wie dies bereits zum Abschluss der Darstellungen zurModerationstechnik gezeigt wurde.

In jedem Falle sollte ein Protokoll erstellt werden, dem die in der Präsentation verwende-ten Unterlagen als Dokumentation beigefügt werden, ebenso wie Einladungen, Teilneh-merlisten usw. (� Abschn. 6.3.1).

Bisweilen ganz unmittelbar, manchmal aber auch erst nach einiger Zeit, werden Teilneh-mer-Rückmeldungen eingehen, die sich auf die Art und Weise der Präsentation an sichoder auf die Inhalte derselben beziehen können. Dies wird vor allem dann der Fall sein,wenn die Teilnehmenden im Rahmen der Präsentation gezielt zum »Feedback« aufgefor-dert worden sind. Jede Rückmeldung sollte ernst genommen werden; während aber dieMeldungen mit inhaltlichem Bezug ggf. in das Protokoll aufzunehmen sind, sind Hinweiseauf gelungene oder weniger gelungene Durchführungselemente der Präsentation nur fürden Präsentierenden selbst gedacht. Er sollte sie aufnehmen, durchdenken und ggf. aufeine Verhaltensänderung in Bezug auf künftige Präsentationen hinarbeiten.

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 77

2.2.10 »Fehler im Prozess«

Rahmenaufgabe

Drei Jahre sind ins Land gezogen. Pieseke ist inzwischen zum Leiter der Fertigung aufge-stiegen. Viel hat sich getan: Nicht nur, dass die Idee von Herrn Krummdiek umgesetzt wor-den ist und autonome Instandhaltung praktiziert wird, auch die Produktionsorganisationwurde umgestellt. Die beiden Gehäusetypen G1 und G2 werden jetzt in Reihenfertigunghergestellt, was nur durch eine drastische Umgruppierung der Arbeitsplätze möglich war.Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Durchlaufzeiten, ebenso wie die Ausfallzeiten, sinddeutlich geringer geworden, und die Produktivität der Fertigung ist insgesamt erfreulichgestiegen. Dabei sorgt das – inzwischen nach EN ISO 9001 zertifizierte – Qualitätssiche-rungssystem für eine gleichbleibende Qualität innerhalb der von den Kunden gefordertenSpezifikationsgrenzen. Ein Schmitz & Schnulz-Gehäuse passt wie ein Maßanzug – im-mer! Bis eines Tages...

Bearbeitungsempfehlung

Lesen Sie die folgende Schilderung »Irgendwas läuft schief« zunächst aufmerksam durchund schlüpfen Sie dabei gedanklich in die Rolle von Erwin Pieseke! Kennzeichnen Sie ggf.Begriffe, die Ihnen nicht auf Anhieb klar sind, und schlagen Sie diese in Ihrem Lehrbuchnach. Bearbeiten Sie erst dann die sich anschließenden Einzelfragen.

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

78 Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

BITTE ANGABEN ERGÄNZEN UND DIESES BLATT MIT DEN AUFGABEN- UND LÖSUNGSBLÄTTERN ZURÜCKGEBEN

Handlungsspezifische, integrierte Situationsaufgabe

Übungsaufgabe zur Verwendung im Industriemeister-Lehrgang

Nummer und Titel der Rahmenaufgabe:

Schwerpunkt im Handlungsbereich: *Technik , Organisation , Führung u. Personal

Qualifikationsschwerpunkt(e):

Zeit für das Bearbeiten der Aufgabe(n): Minuten

Hilfsmittel:

Die Aufgabe wird gelöst* in Einzelarbeit , von Gruppe Nr.

Form der Lösung:* schriftlich teils schriftlich, teils mündlich , mündlich

Besondere Hinweise:

Rahmenbedingungen, die für das Lösen dieser Situationsaufgabe gelten

Allgemeine Daten des Betriebes:

Anzahl der Mitarbeiter: ca. Organisationsplan ist beigefügt:* ja nein

Fertigung von:

Produktions-– Typ* Einzel- , Kleinserien- , Großserien- , Sorten- , Massen- fertigung.

– Organisation:* Werkstatt- , Gruppen- , Straßen- u. Linien- , Fließ- fertigung.

– Technik:* Mechanisiert , Automatisiert , Vollautomation .

Bemerkungen:

Daten, Fakten oder Grundsätze, die Sie vorausgesetzt oder berücksichtigt haben und die aufden von Ihnen gewählten Lösungsweg Einfluss hatten (diese Angaben werden für die objektiveBeurteilung Ihrer Lösung benötigt):

Personennamen oder andere, dem Datenschutz unterliegende Fakten oder Tatsachen dür-fen dadurch nicht veröffentlicht werden!

Weitere Angaben oder Skizzen auf der Rückseite dieses Blattes!*

Datum Vor- und Zuname Semester/Klasse

* Zutreffendes bitte ankreuzen!

2.2.10 »Fehler im Prozess«

X

X

X30

X

X

Gehäusen für Computer

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 79

Irgendwas läuft schief

Ausgerechnet jetzt! Es ist Hochsommer, die Außentemperatur liegt bei 34° im Schatten,und die Klimaanlage in der Produktion ist ausgefallen. Das Thermometer in Piesekes ver-glastem Büro zeigt wahrhaftig 29° Celsius!

Während er sich den Schweiß von der in den letzten Jahren ziemlich erkahlten Plattewischt, lässt Pieseke den Blick hinunter in die Halle schweifen, wo sich soeben Max Frie-se, seit einem Jahr Auszubildender zum Industriemechaniker, mit dem Arbeitshelm in derHand Luft zufächelt – und das genau neben dem Schild, das auf die Helmtragepflicht hin-weist. Das darf doch nicht wahr sein!

Energisch klopft Pieseke an die Scheibe, und tatsächlich schaut Friese auf. Piesekes Ge-ste ist unmissverständlich: Sofort ‘raufkommen!

Im Büro angekommen, zieht der 1,90 m große Friese den Kopf schuldbewusst zwischendie Schultern.

»Ich weiß schon, Chef, aber es ist so schweineheiß hier...«

Pieseke will gerade zu einem Donnerwetter ansetzen, als ihn ein erschreckter Ruf von derHallendecke unterbricht. Im nächsten Augenblick fällt ein Schraubenschlüssel, den zuvorder Mitarbeiter der Klimatechnikfirma, der dort in 8 m Höhe herumturnt, in der Hand gehal-ten hatte, zu Boden – just auf die Stelle, auf der Friese eine Minute zuvor gestanden hatte.

»Ach du Sch...«, entfährt es dem schlagartig erbleichten Auszubildenden.

»Da erübrigt sich wohl jede weitere Belehrung, was?« poltert Pieseke, dem der Schre-cken ebenfalls gehörig in die Knochen gefahren ist. Weiter kommt er nicht, denn im selbenAugenblick betritt Meister Strache das Büro.

»Was ist los, Herr Strache?« Das ernste Gesicht von Piesekes Gegenüber lässt nichtsGutes erwarten. Und sofort kommt der Qualitätsbeauftragte zur Sache.

»Bei G2 läuft etwas verkehrt. Prüfpunkt 2 zeigt signifikante Abweichungen bei mehreren Parametern. Gleich mehrere Ergebnisse sind außerhalb der Toleranzgrenzen.« Prüfpunkt 2ist die Messprüfung für die Gehäuseteile, die mit einem optoelektronischen Koordinaten-messgerät als Stichprobenprüfung durchgeführt wird. Dabei werden die Außenmaße sowiedie Lage und Größe der verschiedenen Ausstanzungen überprüft.

»O je!« Das hört sich wirklich nach einem ernsten Problem an. Pieseke ist beunruhigt: FürG2 gibt es einen Liefervertrag mit einem Weiterverarbeiter, der schon bei kurzfristigen Lie-ferverzögerungen empfindliche Konventionalstrafen vorsieht – und der Bestand im Auslie-ferungslager ist nach einem kürzlichen Ausfall der Stanzmaschine, die ersetzt werdenmusste, auf einem bedenklich niedrigen Niveau. Ein weiterer Ausfall hätte jetzt geradenoch gefehlt! Vielleicht hätte man die Maschinenfähigkeit der Ersatz-Stanzmaschine dochgründlicher überprüfen sollen?

Max Friese wittert seine Chance auf Wiedergutmachung des Imageschadens: »Das liegtbestimmt auch an der Hitze«, sagt er. »Da stimmt doch sowieso kein einziges Maß mehr.«

Strache macht eine ungeduldige Handbewegung. »Ach Quatsch! Mischen Sie sich malnicht in Sachen ein, von denen Sie nichts verstehen!«

Friese zuckt mit den Achseln. »Na, dann kann ich ja gehen, oder, Chef?«

Pieseke nickt zerstreut. Der Ärger über den Auszubildenden, ja sogar die Hitze ist verges-sen angesichts des ernsten Problems, das sich da aufgetan hat.

»Dann lassen Sie uns mal keine Zeit verlieren...«

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

80 Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

2.2.10.1 Teilaufgabe 1

Leitfrage

Die geschilderte Situation enthält Hinweise auf die Verletzung von Arbeitssicherheitsvor-schriften. Welche im Einzelnen?

Aufträge

a) Max Friese hat Glück gehabt. Welche Geschwindigkeit hätte der Schraubenschlüsselbeim Auftreten auf seinen Kopf (unter Vernachlässigung des Luftwiderstandes) ge-habt?

b) Formulieren Sie Piesekes (nun unterbliebene) Sicherheitsbelehrung in einer Weise, diegeeignet ist, den Auszubildenden nachhaltig zu einem veränderten Sicherheitsverhal-ten zu bewegen!

2.2.10.2 Teilaufgabe 2

Leitfrage

Der Auszubildende Max Friese vermutet einen Zusammenhang zwischen der Erwärmungin der Halle und den abweichenden Messergebnissen. Auf welche Materialreaktion be-zieht er sich dabei?

Aufträge

a) Überprüfen Sie die Auswirkung des von Friese angesprochenen Umstands anhand fol-gender Daten:

– Temperaturerhöhung von 21° auf 29°– Seitenblechlänge bei 21°: 410 mm– � = 12,0 · 10–6/K

b) Erörtern Sie die Reaktion von Meister Strache auf den Vorschlag des Auszubildenden:Welche nachhaltigen Wirkungen könnte sie haben, und wie könnte dies verhindert wer-den?

c) Unterbreiten Sie Vorschläge, wann und in welcher Weise Pieseke als Vorgesetzter vonStrache und Friese angemessen auf die Reaktion Straches eingehen und die Situationbereinigen könnte?

2.2.10.3 Teilaufgabe 3

Leitfragen

a) Was ist unter einer »End-of-the-Pipe«-Kontrolle zu verstehen?

b) Welche andere Art der Kontrolle wird im Beispiel praktiziert?

Aufträge

c) Am Prüfpunkt werden Abweichungen bei mehreren Parametern festgestellt. Es liegtnahe, an einen Fehler der Stanzmaschine zu denken, aber möglicherweise gibt esauch eine andere Ursache. Erörtern Sie die verschiedenen möglichen Fehlerursachenund erstellen Sie ein Ursache-Wirkungs-Diagramm!

d) Erörtern Sie mögliche praktische Aktivitäten zur Identifizierung der Fehlerursache imgegebenen Fall!

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg 81

2.2.10.4 Teilaufgabe 4

Leitfrage

Was ist unter Maschinenfähigkeit zu verstehen und wann ist eine solche gegeben?

Auftrag

Für den Oberkantenabstand einer bestimmten Ausstanzung von der Schmalseite einesSeitenteils liegt der Erwartungswert bei 50,0 mm. Die obere/untere Toleranzgrenze liegtbei 50,2 bzw. 49,8 mm.

Einem Prüflos von 500 Seitenteilen wurden 30 Teile entnommen und einer konventionel-len Messung unterzogen. Dabei wurden folgende Ergebnisse gefunden:

Proben-Nummer Messwerte

1 50,002 50,103 49,054 50,055 50,046 50,507 50,008 49,859 49,95

10 49,6511 49,6112 49,0013 50,0014 50,0515 50,1516 50,2517 50,3518 50,3019 50,0520 49,8521 49,8022 49,7523 49,9524 50,0025 50,0526 50,0527 49,5028 49,3029 49,6030 50,00

Errechnen Sie die (n–1)Standardabweichung, und beurteilen Sie anhand des gefundenenErgebnisses, ob nach den DGQ-Empfehlungen Maschinenfähigkeit für die Stanzmaschi-ne gegeben ist!

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

82 Der Industriemeister Übungs- und Prüfungsbuch © FELDHAUS VERLAG, Hamburg

2.2.10.5 Teilaufgabe 5

Leitfrage

Die Ursache für die im gegebenen Fall festgestellten Unregelmäßigkeiten kann auch beimPrüfmittel liegen. Inwieweit nimmt die Normenreihe DIN EN ISO 9000-9004 hierauf Be-zug?

Aufträge

a) Beschreiben Sie, wie die geforderte Prüfmittelüberprüfung praktisch sichergestellt wer-den kann!

b) Damit das Koordinatenmessgerät kalibriert werden kann, muss eine davor stehendeKiste mit Blechteilen mittels eines hydraulischen Hubwagens ein Stück vorgezogenwerden. Dabei muss die 0,8 t schwere Kiste um 10 cm angehoben werden. Die Hubvor-richtung wird von Hand betätigt. Der Kraftkolben hat eine Fläche von 4 cm2 die Flächedes Presskolbens beträgt 20 cm2.

– Welche Kraft muss am Kraftkolben aufgebracht werden?

– Wie groß ist die zu verrichtende Arbeit?

– Welchen Weg legt der Kraftkolben zurück?

– Wie groß ist der Druck der Flüssigkeit?

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

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2.2.11 »Kostenrechnung zur Selbstprüfung«

Als angehender Meister versetzen Sie sich bitte gedanklich in die Situation, dass Sie denMeister vertreten müssen. Ihr Wissen ist dabei aus allen Gebieten erforderlich, über dieSie bisher unterrichtet wurden. Selbst aus der Volkswirtschaftslehre sind einige Grund-kenntnisse nötig, um wirtschaftliches Handeln im Gesamtzusammenhang richtig einzu-schätzen (denken Sie z. B. an die Minimalkostenkombination der Produktionsfaktoren).

Ebenfalls aus diesem Gebiet stammt die Erkenntnis, dass es letztlich in der Wirtschaft im-mer um Güter geht. Das industrielle Rechnungswesen stellt das Ergebnis einer Abrech-nungsperiode deshalb nicht nach Einnahmen und Ausgaben, sondern nach bewerteterGutsmehrung (Erträgen) und bewertetem Gutsverbrauch (Aufwendungen) fest.

Um nicht nur einen Beispielfall herauszugreifen, sondern um zu Ihrer Sicherheit Ihr Wis-sen und Ihre Fähigkeit darauf gerichtet zu überprüfen, ob sie verschiedenartige praktischeFälle mit denen ein Meister konfrontiert werden kann, beherrschen würden, ist das Zielder folgenden Selbstprüfungsaufgaben.

2.2.11.1 Aufgabe 1

Kreuzen Sie von folgenden Aufwendungen eines Apparatebau-Unternehmens diejenigenan, die als Zweckaufwendungen der Abrechnungsperiode bezeichnet werden und daherals Grundkosten in die Kosten- und Leistungsrechnung eingehen.

1 □ Fertigungsmaterial2 □ Personalaufwendungen im Fertigungsbereich3 □ Steuernachzahlung für Vorjahr4 □ Spende für eine Hilfsorganisation5 □ Verlust aus Wertpapierverkäufen6 □ Kontoführungsgebühren7 □ Verwarnungsgeld für falschparken von Dienstwagen der Außenmontage8 □ Aufwendungen für Werbedrucke9 □ Instandsetzung eines unversicherten Feuerschadens

10 □ Maschinenwartung

Schreiben Sie nun die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie nicht angekreuzt ha-ben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position nicht zu den Kostengehört! (Sie lehnen die Belastung Ihrer Kostenstelle ab.)

2.2.11.2 Aufgabe 2

Kreuzen Sie von folgenden Erträgen die Betriebserträge (Zuwächse durch betrieblicheLeistungen) an.

1 □ Erträge einer Unternehmung (Autoherstellung) aus Beteiligung anWohnbauten

2 □ Zinserträge aus der Anlage überschüssiger Kassenbestände3 □ Zinserträge aus Bundesschatzbriefen4 □ Umsatzerlöse5 □ Rückerstattung verauslagter Instandsetzungsaufwendungen durch die

Versicherung6 □ Bestandserhöhung an halbfertigen Erzeugnissen7 □ Inbetriebnahme einer Krananlage aus Eigenbau

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

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a) Schreiben Sie nun die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie nicht angekreuzthaben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position nicht zu denBetriebserträgen, sondern zu den neutralen Erträgen gehört!

b) Schreiben Sie danach die Ziffern der Positionen untereinander, die Sie angekreuzt ha-ben, und begründen Sie knapp hinter jeder Ziffer, warum die Position zu den Betriebs-erträgen gehört!

2.2.11.3 Aufgabe 3

Alle Dienststellen einer Unternehmung für Apparatebau sind in einem Organigramm (sie-he die folgende, ganzseitige Abbildung) aufgeführt.

Geben Sie im Organigramm jeder Dienststelle im freien Kästchen über deren Namen eineaus vier Ziffern bestehende Kostenstellennummer, die es ermöglicht, in der Kosten- undLeistungsrechnung daraus

einerseits den Ort der Kostenentstehung zu erkennen und

andererseits mit Hilfe des Nummernsystems Zusammenfassungen von Stellenkostenzu Bereichs-, Abteilungs- und schließlich Gesamtkosten eines Zeitraumes vorzunehmen.

Ordnen Sie die Ziffern in den Nummern so an, dass sowohl daran erkennbar ist, auf wel-cher Stufe der Hierarchie die Dienststelle angeordnet ist, als auch bei den jeweils nachge-ordneten Kostenstellen die Abteilungszugehörigkeit eindeutig erkennbar ist.

Erstellen Sie nun ein Kostenstellenverzeichnis, indem Sie die Kostenstellennummerndem Organigramm entnehmen, sie zahlenmäßig geordnet untereinander schreiben undjeder Nummer die Bezeichnung der Kostenstelle hinzufügen.

Es ist wichtig für Sie, dass Sie erst nach Fertigstellung Ihrer Lösung diese mit dem Lö-sungsvorschlag vergleichen. Bei prinzipiellen Differenzen überprüfen Sie die Ursache.

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2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

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2.2.11.4 Aufgabe 4

Welche beiden wichtigen Dienststellen der Abteilung Materialwirtschaft fehlen im von Ih-nen erstellten Kostenstellenverzeichnis wie auch im Organigramm der Aufgabe 3?

2.2.11.5 Aufgabe 5

Ordnen Sie die Ziffern der drei folgenden Arbeitsschritte in der kleinen Tabelle je einemBereich der Betriebsabrechnung zu.

1. Verteilung der Gemeinkosten einer Periode auf die Orte der Kostenentstehung

2. Geordnete Erfassung aller im Laufe einer Periode angefallenen Kosten

3. Ermittlung der Herstell- und der Selbstkosten für die in der Periode erstellten Güter

2.2.11.6 Aufgabe 6

Entwerfen Sie einen Materialentnahmeschein, der für alle Bezüge aus einem Lager(Materiallager, Lager halbfertiger Erzeugnisse, Fertigfabrikatelager) geeignet sein soll.Überlegen Sie zuvor, welche Angaben ein solcher Bezugszettel enthalten muss und wodie Angaben nach Ihrer Einschätzung zweckmäßig auf dem Formular angeordnet seinsollten.

2.2.11.7 Aufgabe 7

Entwerfen Sie einen Betriebsabrechnungsbogen zur monatlichen Ermittlung der Ist-Ge-meinkosten und zur Errechnung der erforderlichen Ist-Zuschlagsätze, damit diese mit denvorgegebenen Normal- oder Planzuschlagsätzen verglichen werden können.

Die kleine Unternehmung hat folgende Kostenstellen:

Allgemeine KostenstelleFertigungshilfsstelleWerkstätten A, B und CMateriallagerVerwaltungskostenstelleVertriebskostenstelle

An Gemeinkostenarten sind die folgenden zu berücksichtigen:

HilfslöhneSozialkostenWerkzeugeEnergiekostenKapitalkostenSonstige Gemeinkosten

Betriebsabrechnung

Kostenartenrechnung Kostenstellenrechnung Kostenträgerrechnung

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2.2.11.8 Aufgabe 8

Für ein Unternehmen als Ganzes seien gegeben:

Anlagevermögen 5.000.000 €Umlaufvermögen 3.000.000 €

Betriebsnotwendig sind lt. Einzelaufnahme:

Anlagevermögen 4.000.000 €Umlaufvermögen 2.000.000 €Eigenkapital 5.000.000 €Fremdkapital zu 10 % Zinsen 3.000.000 €Landesüblicher Zins 8 %

Wählen Sie die Zahlen aus, die man zur Berechnung der kalkulatorischen Zinsen benö-tigt. Errechnen Sie daraus die monatlichen kalkulatorischen Zinsen für das Unterneh-men!

2.2.11.9 Aufgabe 9

Wer eine Kostenstelle leitet, muss sich auch um die anfallenden Stellengemeinkostenkümmern. Zur Übung und Überprüfung dieser Fähigkeit nehmen Sie sich aus dem Stel-lenkostenblatt Ihrer Dienststelle zwei Kostenarten vor:

Die erste soll Gemeinkosten enthalten, die auf Grund von Belegen, die vom Stellenleiterausgestellt wurden, angefallen sind; also z. B. die Kostenart Putzlappen oder Büromateri-al oder eine GK-Lohn-Art.

Als zweite Kostenart überprüfen Sie die kalkulatorischen Zinsen. Sehen Sie anhand desKostenstellenblattes Ihrer Dienststelle nach, wie viel kalkulatorische Zinsen der Kosten-stelle monatlich belastet werden.

Prüfen Sie für beide Kostenarten, ob die Kostenstelle korrekt belastet wurde!

2.2.11.10 Aufgabe 10

Errechnen Sie mit folgenden aus einem BAB entnommenen Zahlen die Zuschlagsätze(gerundet auf eine Stelle hinter dem Komma) für Mat.-GK, F.-GK der Werkstätten und Verwaltungs-GK.

Gemeinkosten des Materialbereichs 54.998 €Gemeinkosten der Werkstatt A 90.025 €Gemeinkosten der Werkstatt B 130.875 €Gemeinkosten des Verwaltungsbereichs 93.494 €

Zuschlagsbasen:Fertigungsmaterial 1.099.957 €Fertigungslöhne in Werkstatt A 47.360 €Fertigungslöhne in Werkstatt B 95.850 €Herstellkosten bitte selbst errechnen!

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

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2.2.11.11 Aufgabe 11

Errechnen Sie in Ihrem Betrieb den Ist-Zuschlagsatz des letzten Abrechnungsmonats Ih-rer Dienststelle, um ihn mit dem vorgegebenen Normalsatz zu vergleichen.

Wodurch entstehen Abweichungen? In welchen Fällen kann der Meister Abhilfe versu-chen? Welche Maßnahmen kommen in Betracht?

2.2.11.12 Aufgabe 12

Für ein Unternehmen, das nur eine Sorte Zement herstellt, führen Sie bitte eine Kalkula-tion zur Selbstkostenermittlung durch. Folgende Zahlen liegen vor:

Im abgelaufenen Monat sind 863.250 € an Gesamtkosten entstanden. Davon waren690.600 € Einzelkosten.

Erzeugt wurden im gleichen Zeitraum 345.300 t Zement.

Errechnen Sie mit Hilfe der Divisionskalkulation die Höhe der Einzelkosten je t, die Höheder Gemeinkosten und die Selbstkosten je t Zement!

2.2.11.13 Aufgabe 13

Im Zementwerk werden drei Zementsorten hergestellt: A) NaturzementB) PortlandzementC) Trasszement

Bekannt sind:

die Gesamtkosten des abgelaufenen Monats in Höhe von 1.401.300 €

die erzeugten Mengen: A = 200.000 t, B = 500.000 t, C = 100.000 t

die Äquivalenzziffern für A = 0,9, B = 1,0 und C = 1,3

Errechnen Sie mit Hilfe einer Äquivalenzziffernkalkulation die Selbstkosten je t für dieZementsorten A, B und C.

Führen Sie zu diesem Zweck die drei Schritte durch:

1. Ermittlung der rechnerischen Erzeugnismenge2. Ermittlung der Kosten je Recheneinheit3. Ermittlung der Selbstkosten je t für jede Sorte

2.2.11.14 Aufgabe 14

Ein Erzeugnis erfordert:Fertigungsmaterial lt. Stückliste: 1.200,00 €Fertigungslöhne: 20 Stunden zu je 20,00 €

Die Zuschlagsätze sind:Mat.-GK 5 %F.-GK 200 %Verwalt.-GK 6 %Vertriebs-GK 4 %

Stellen Sie hierfür zunächst das Schema für eine Zuschlagskalkulation auf, setzen Siedanach die Zahlen ein und errechnen Sie die Selbstkosten des Erzeugnisses!

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

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2.2.11.15 Aufgabe 15

Ein Erzeugnis durchläuft zu seiner Herstellung die Werkstätten A, B und C. Für die Kalku-lation liegen folgende Zahlen vor:

Fertigungsmaterial lt. Stückliste 1.500,00 €Fertigungslöhne in Werkstatt A 500,00 €

in Werkstatt B 400,00 €in Werkstatt C 200,00 €

Die Zuschlagsätze sind:Mat.-GK 4 %FGK in Werkstatt A 100 %

in Werkstatt B 150 %in Werkstatt C 200 %

Verwaltungs-GK 10 %Vertriebs-GK 5 %

Entwickeln Sie das Kalkulationsschema hierfür und errechnen Sie danach die Selbst -kosten des Erzeugnisses!

2.2.11.16 Aufgabe 16

In einem Apparatebau-Unternehmen sollen die Selbstkosten für einen Auftrag ermitteltwerden. Es sind folgende Gemeinkosten-Zuschlagsätze anzuwenden:

Materialbereich 15 %Fertigungsbereich 110 %Verwaltungsbereich 10 %Vertriebsbereich 5 %Fertigungsmaterial ist in Höhe von 60,00 € anzusetzen,Fertigungslöhne in Höhe von 250,00 €.

Errechnen Sie die Selbstkosten!

2.2.11.17 Aufgabe 17

In einer Kostenstelle, in der das Fertigungsverfahren überwiegend Spezialmaschinen inAnspruch nimmt, wurden für die maschinelle Anlage die nachfolgend aufgeführten ma-schinenabhängigen Kosten ermittelt. Errechnen Sie daraus den Maschinenstundensatz!

Anschaffungswert der maschinellen Anlage 200.000,00 €Lineare Abschreibung über 4 JahreKalkulatorischer Zins 10 %Werkzeugkosten/Jahr 24.000,00 €Wartung und Instandhaltung/Jahr 30.000,00 €Benötigte Arbeitsfläche 50 m2

Quadratmeter-Verrechnungssatz p. a. 500,00 €Energiekosten je kWh 0,20 €Durchschnittlich benötigte Leistung 4 kWVeranschlagte Jahreslaufzeit 1.800 Stunden

2.2.11.18 Aufgabe 18

Sie haben die Aufgabe, für ein Erzeugnis die Menge MG zu errechnen, deren Absatz not-wendig ist, um aus dem Verlustbereich heraus die Gewinnschwelle (den break even point)zu erreichen.

Lösen Sie die Aufgabe nur formelmäßig, ohne Zahlen einzusetzen!

2.2 Aufgabenbeispiele 2 Situationsaufgaben

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2.2.11.19 Aufgabe 19

Für ein Erzeugnis können am Markt 14,00 €/Stück erzielt werden. Die Herstellung verur-sacht pro Stück folgende Kosten:

Fertigungsmaterial 4,00 €Fertigungslohn 2,00 €Variable Gemeinkosten 3,00 €

Errechnen Sie den Fixkostendeckungsbeitrag (db), den das Erzeugnis je Produktein-heit erbringt!

2.2.11.20 Aufgabe 20

Ermitteln Sie die Gewinnschwellenmenge für ein Erzeugnis, dessen Deckungsbeitragpro Stück 5,00 € beträgt. Die Gesamtfixkosten Kf betragen 100.000 €.

2.2.11.21 Aufgabe 21

Die folgende Tabelle enthält die Gesamtkosten verschiedener Erzeugungsmengen einesProduktes. Der Verkaufspreis pro Stück beträgt bei jeder Absatzmenge 1,65 €.

Wie können Sie aus diesen Angaben ermitteln, bei welcher Menge das Gewinnmaxi-mum liegt?

2.2.11.22 Aufgabe 22

Aus der Kostenrechnung einer Maschinenbau-GmbH liegen folgende Zahlen vor:

Absatz der Periode 8.000 StückErlös pro Stück(e) 57,50 €Variable Kosten pro Stück (kv) 45,00 €Fixkosten der Periode (Kf) 110.000,00 €

1. Berechnen Sie den Fixkostendeckungsbeitrag pro Stück (db) und insgesamt (DB)!

2. Berechnen Sie die Gewinnschwellenmenge (MG)!

3. Berechnen Sie das Periodenergebnis!

Sollte die Fertigung angesichts dieser Zahlen bei unveränderlichen Stückerlösen herab-gesetzt, heraufgesetzt oder eingestellt werden? Begründen Sie Ihr Urteil!

Produktmenge�

0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 70.000 80.000 90.000 100.000

Gesamtkosten€

70.000 75.000 80.000 85.000 89.000 93.000 96.000 103.000 115.000 140.000 170.000

2 Situationsaufgaben 2.2 Aufgabenbeispiele

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2.2.11.23 Aufgabe 23

Die Selbstkosten für ein Erzeugnis wurden mit 15,00 € ermittelt.Die variablen Stückkosten betragen: 9,00 €

Da die Unternehmung unterbeschäftigt ist, wird versucht, durch Preisherabsetzung ei-nen Zusatzauftrag zu bekommen.

a) Welcher Stückpreis sollte mindestens angestrebt werden?

b) Bis zu welchem Stückpreis darf man äußerstenfalls heruntergehen?

2.2.11.24 Aufgabe 24

Zwei maschinelle Anlagen stehen zur Auswahl:

Die Anlage A hat höhere Fixkosten, ermöglicht aber durch einen höheren Automations-grad eine Einsparung an variablen Kosten, wie z. B. Fertigungslohn.

Die Anlage B hat dagegen geringere Fixkosten, aber höhere variable Kosten pro Stück.

Welche Anlage würden Sie anschaffen? (Unterschiedliche Anschaffungspreise kommenin den Abschreibungskosten zum Ausdruck, die in den Jahresfixkosten enthalten sind.)

Jahresfixkosten Variable Kosten je Erzeugniseinheit

Anlage A: 100.000 € 10,00 €Anlage B: 80.000 € 12,00 €

2.2.11.25 Aufgabe 25

Errechnen Sie die Jahresgesamtkosten für die Erzeugung von 70.000 Stück, und zwar

a) die auf der Anlage A entstehen

b) die auf der Anlage B entstehen

Jahresfixkosten Variable Kosten je Erzeugniseinheit

Anlage A: 100.000 € 10,00 €Anlage B: 80.000 € 12,00 €