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1 Strafrecht BT Straftaten gegen die Rechtspflege FS 2009 Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Institut für Strafrecht und Kriminologie Universität Bern

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Strafrecht BT

Straftaten gegen die Rechtspflege

FS 2009

Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber

Institut für Strafrecht und Kriminologie

Universität Bern

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Prof. Dr. H. Vest / Ass.-Prof. Dr. J. Weber Straftaten gegen die Rechtspflege 2

Straftaten gegen die Rechtspflege (Siebzehnter Titel) – Allgemeines

> besondere Art von Straftaten gegen die öffentliche Gewalt

> "Angriff" auf die öffentliche Gewalt liegt in einer Irreführung der Organe der Rechtspflege

> Gliederung

Art. 303: Falsche Anschuldigung

Art. 304: Irreführung der Rechtspflege

- Schutz der Strafrechtspflege bzw. des Strafverfahrens gegen diverse Formen der Täuschung

Art. 305: Begünstigung

- Schutz vor Behinderungen der Strafverfolgung und der Strafvollstreckung durch Dritte (d.h. nicht durch den Täter bzw. Angeschuldigten selbst)

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Straftaten gegen die Rechtspflege (Siebzehnter Titel) – Allgemeines

> Gliederung (Fortsetzung)

Art. 306: Falsche Beweisaussage der Partei

Art. 307: Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung

Art. 308: Strafmilderungen

Art. 309: Verwaltungssachen und Verfahren vor internationalen Gerichten

- Schutz aller Verfahrensarten vor Falschangaben bei förmlichen Aussagen zur Sache

Art. 305bis: Geldwäscherei

Art. 305ter: Mangelnde Sorgfalt bei Finanzgeschäften und Melderecht- Vorlesung vom 18. Mai 2009

(Art. 310: Befreiung von Gefangenen)

(Art. 311: Meuterei von Gefangenen)

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – Allgemeines

> Thema: Herbeiführung einer Strafverfolgung gegen einen Unschuldigen

> Rechtsgut

- Zuverlässigkeit der Rechtspflege- Ehre und Freiheit individueller Personen

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – obj. TB: direkte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 1)

1.Wer einen Nichtschuldigen wider besseres Wissen bei der Behörde eines Verbrechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen ihn herbeizuführen,

> Tathandlung: Beschuldigen

- mündliche oder schriftliche Behauptung, eine konkret bestimmbare Person habe eine Straftat begangen (direktes Kommunizieren)

- ausreichend: Äusserung konkreter Verdachtsmomente für ein strafba-res Verhalten (Legalitätsprinzip: Pflicht zur Einleitung des Verfahrens)

- anonyme (z.B. telefonische oder briefliche) Anzeige reicht aus - nicht relevant, ob Beschuldigung aus eigener Initiative erfolgt oder auf

Anfrage (z.B. in einer Einvernahme des Täters)- behauptete Straftat kann Verbrechen, Vergehen oder Übertretung sein; bei

Übertretung jedoch Privilegierung von Ziff. 2- Straftat kann auch in Nebenstrafgesetz (z.B. SVG, BetmG) oder kantona-

lem Übertretungsstrafgesetz geregelt sein

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – obj. TB: direkte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 1)

> Adressat der Beschuldigung: Behörde

- braucht nicht für die Strafverfolgung zuständig zu sein- Verpflichtung der unzuständigen Behörde, die Anzeige an die zuständige

Behörde (Polizei, Untersuchungsrichter oder Staatsanwaltschaft) weiter-zuleiten

> angeschuldigte Person- bestimmte Person oder bestimmbare Person

- falls Person weder bestimmt noch bestimmbar ist, kommt gegebenen-falls eine Irreführung der Rechtspflege gemäss Art. 304 in Betracht

- nichtschuldig: wer die vom Täter angelastete Straftat nicht begangen hat- blosse Übertreibungen machen eine Beschuldigung noch nicht falsch

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – obj. TB: indirekte falsche Anschuldigung (Ziff. 1 Abs. 2)

wer in anderer Weise arglistige Veranstaltungen trifft, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen einen Nichtschuldigen herbeizuführen,

> indirektes bzw. implizites Kommunizieren (im Unterschied zum direkten Kommunizieren gemäss Ziff. 1)

> arglistige Veranstaltungen- entsprechend den Machenschaften beim Betrug, welche dort die Arglist

begründen- Konstruktion falscher Indizien oder Spuren- blosses Unterlassen genügt nur bei Bestehen einer Garantenpflicht

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – subj. TB

> direkter Vorsatz- sicheres Wissen, dass die angeschuldigte Person unschuldig ist

- hält der Täter es bloss für möglich, dass die angeschuldigte Person unschuldig ist, kommt üble Nachrede gemäss Art. 173 in Betracht

> Absicht, gegen den Betroffenen einen Strafverfolgung herbeizuführen> Beweggrund gleichgültig

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Falsche Anschuldigung (Art. 303) – Konkurrenzen

> Verhältnis zur üblen Nachrede gemäss Art. 173- wenn der direkte Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit fehlt, ist der TB von

Art. 303 nicht erfüllt; in Betracht kommt dann Art. 173 (keine Frage der Konkurrenz i.e.S., da nicht beide TB erfüllt; Art. 173 als Auffangtatbestand)

> Verhältnis zur Verleumdung gemäss Art. 174- wenn der Täter die falsche Anschuldigung einzig gegenüber der Behörde

äussert: unechte Konkurrenz; Art. 303 geht als Spezialtatbestand vor- wenn der Täter die Beschuldigung auch gegenüber privaten Drittpersonen

äussert: echte Konkurrenz

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – Allgemeines

> wie bei Art. 303 geht es auch in Art. 304 um die Irreführung der Strafbehörden

> im Unterschied zu Art. 303 sind bei Art. 304 keine fremden Individual-interessen tangiert

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – Obj. TB: Falschanzeige (Ziff. 1 Abs. 1)

1. Wer bei einer Behörde wider besseres Wissen anzeigt, es sei eine strafbare Handlung begangen worden, (1. TB-Variante)

> Tathandlung: anzeigen (= bekannt geben bzw. berichten) eines Sachverhaltes, der (als Verbrechen, Vergehen oder Übertretung) strafbar ist

- jede Form der Mitteilung (schriftlich oder mündlich; anonym oder unter Angabe der eigenen Personalien) ausreichend

- implizites Vortäuschen einer Straftat (d.h. analog Art. 303 Ziff. 1 Abs. 2) ist nicht erfasst

> angezeigte Straftat darf nicht begangen worden sein- falsche Angaben über eine tatsächlich begangene Straftat erfüllen TB nicht

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – Obj. TB: falsche Selbstbezichtigung (Ziff. 1 Abs. 2)

wer sich selbst fälschlicherweise bei der Behörde einer strafbaren Handlung beschuldigt, (2. TB-Variante)

> 2 Varianten

- die Straftat ist überhaupt nicht begangen worden- die Straftat ist von einem anderen begangen worden

- ausreichend: Täter übernimmt die Rolle des Angeschuldigten, bestreitet aber die Tat; in der Praxis häufig bei SVG-Straftaten

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – subj. TB

> Vorsatz- sicheres Wissen des Täters, dass die Tat gar nicht verübt worden ist (Ziff.

1 Abs. 1) bzw. nicht von ihm (Ziff. 1 Abs. 2) verübt worden ist

> keine besondere Absicht erforderlich

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – Privilegierung (Ziff. 2)

> besonders leichte Fälle

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Irreführung der Rechtspflege (Art. 304) – Konkurrenzen

> Verhältnis zur falschen Anschuldigung gemäss Art. 303 - unechte Konkurrenz (Subsidiarität); Art. 303 geht vor

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Begünstigung (Art. 305) – Allgemeines

> Rechtsgut: ungehinderte Durchführung der Strafrechtspflege> nur hinsichtlich einer abgeschlossenen Vortat möglich; keine

Förderung der Vortat, sondern Erschwerung der Strafverfolgung oder des Vollzugs einer Strafsanktion

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Begünstigung (Art. 305) – Obj. TB: Tatobjekt

1 Wer jemanden der Strafverfolgung, dem Strafvollzug oder dem Vollzug einer der in den Artikeln 59–61, 63 und 64 vorgesehenen Massnahmen entzieht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.

> Tatobjekt (Schutzobjekt)

- Strafverfolgung: alle prozessualen Massnahmen, die auf die Aufklärung einer Tat und der Täterschaft zielen= Verfolgungsbegünstigung

- Straf- und Massnahmenvollzug - alle im StGB vorgesehen Strafen (Geldstrafe, GA, Freiheitsstrafe,

Busse)- freiheitsentziehende Massnahmen des Erwachsenenstrafrechts

= Vollstreckungsbegünstigung

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Begünstigung (Art. 305) – Obj. TB: Tathandlung

> Tathandlung: Entziehen

- Rechtsprechung: Handlung, die geeignet ist, den Flüchtigen für eine gewisse Zeit der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug zu entziehenBegünstigung als Gefährdungsdelikt

- Lehre: Handlung, die den Täter wenigstens vorübergehend tatsächlich der Verfolgung oder dem Vollzug entziehtBegünstigung als Erfolgsdelikt

- vorübergehend: für eine geraume Zeit

- Ausnahme: Wegfall/Relativierung der zeitlichen Komponente bei Erschwerung des unmittelbaren staatlichen Zugriffs

- Unterlassen bloss bei spezieller Garantenpflicht- Selbstbegünstigung ist straflos

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Begünstigung (Art. 305) – Subj. TB

> Vorsatz, wobei Eventualvorsatz ausreicht

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Begünstigung (Art. 305) – Privilegierung (Abs. 2)

> wenn Begünstigung in der Verübung einer weiteren Straftat besteht: echte Konkurrenz

- z.B.: Eliminationsmord, Fälschung einer Urkunde

> Verhältnis zur Hehlerei gemäss Art. 160

- echte Konkurrenz

> Verhältnis zur Hinderung einer Amtshandlung gemäss Art. 286

- unechte Konkurrenz

> Verhältnis zur Gewalt und Drohung gegen Beamte gemäss Art. 285, zur falschen Anschuldigung gemäss Art. 303 und zur Irreführung der Rechtspflege gemäss Art. 304

- echte Konkurrenz, da Art. 285, Art. 303 und Art. 304 neben der ungehin-derten Durchführung der Strafrechtspflege noch weitere Rechtsgüter schützen

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Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) – Allgemeines

> Art. 306 bezieht sich auf Konstellationen in Zivilprozessen, in denen eine Partei (ausnahmsweise) als "Zeuge" in eigener Sache gehört wird

- die Einvernahme der Partei als Zeuge in eigener Sache muss von der jeweiligen Zivilprozessordnung als Beweismittel vorgesehen sein

- auch das Adhäsionsverfahren im Strafprozess gilt als Zivilprozess

> gemäss Art. 309 findet die Regelung auch Anwendung auf Schiedsge-richtsverfahren und Verwaltungsverfahren, sofern das entsprechende Prozessgesetz die Aussagen einer Partei als Beweismittel kennt

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Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) – obj. TB

1 Wer in einem Zivilrechtsverfahren als Partei nach erfolgter richterlicher Ermahnung zur Wahrheit und nach Hinweis auf die Straffolgen eine falsche Beweisaussage zur Sache macht,

> nach einigen Zivilprozessordnungen können Befragungen von Parteien in der Form eines förmlichen "Zeugnisses in eigener Sache" durchge-führt werden

- damit wird die Einvernahme der Partei zu einem Beweismittel im Sinne von Art. 306

> richterliche Ermahnung zur Wahrheit und Hinweis auf die Straffolgen (objektive Strafbarkeitsbedingung)

> das jeweilige Prozessgesetz bestimmt die konkreten Parteivoraus-setzungen und die Formvorschriften der Zeugenbefragung

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Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) – obj. TB: Tathandlung

> Tathandlung: falsche Aussage zur Sache

- Aussage muss sich auf den Prozessgegenstand beziehen- Täuschung des Gerichts oder falsches Urteil als Folge der Falschaussage

ist nicht erforderlich

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Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) – obj. TB: subj. TB

> Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt

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Falsche Beweisaussage der Partei (Art. 306) – obj. TB: Qualifizierung

> Bekräftigung der falschen Aussage mit Eid oder Handgelübde

- diese qualifizierte Art der Aussage muss im anzuwendenden Prozess-gesetz vorgesehen sein

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Allgemeines

> Rechtsgut/Schutzobjekt: Ermittlung der materiellen Wahrheit im gerichtlichen Verfahren

> abstraktes Gefährdungsdelikt: tatsächliche Irreführung oder falsches Urteil nicht vorausgesetzt

> Unterschied zu Art. 306: Art. 307 bezieht sich nicht auf Äusserungen der Prozessparteien, sondern auf Äusserungen von Personen, die an der prozessualen Auseinandersetzung selbst nicht als Parteien sondern in anderer Funktion beteiligt sind

> Gefahr der Irreführung der Rechtspflege ist beim Täterkreis von Art. 307 grösser als bei Art. 306, da den Aussagen von unabhängigen Personen (und teilweise Fach-Spezialisten) grösseres Gewicht zukommt als den Aussagen von Prozessparteien, die per se eigene Interessen verfolgen

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Obj. TB

1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt

> Täterkreis: Zeugen, Sachverständige (z.B. Gutachter), Übersetzer = Dolmetscher

- echtes Sonderdelikt; Beteiligung richtet sich nach Art. 26- wer die Tätereigenschaften erfüllt (= Voraussetzungen der betreffenden

Funktion), bestimmt sich nach dem massgebenden Verfahrensgesetz

> im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens- alle Arten von gerichtlichen Verfahren; d.h. auch Strafverfahren- nicht nur Hauptverhandlungen, sondern auch Vorverfahren (im Strafpro-

zess insb. auch das Untersuchungs- bzw. Ermittlungsverfahren)

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Obj. TB: Tathandlung

> Tathandlung: falsch aussagen, einen falschen Befund bzw. ein falsches Gutachten abgeben, falsch übersetzen

- zur Sache: Angaben müssen mit der Abklärung oder Feststellung des Sachverhalts zusammenhängen, der das Prozessthema bildet

- inkl. Angaben betreffend Glaubwürdigkeit von Zeugen- "falsch": Widerspruch mit dem objektiven Geschehen, mit den objektiven

Tatsachen- auch: Weglassen von Teilen der obj. Geschehnisse (= Auslassungen);

Darstellung von Angaben vom Hörensagen als selbst erlebt; falsche Behauptung, keine eigenen Wahrnehmungen gemacht zu haben

- Gesamtbetrachtung entscheidend: Berichtigung von falschen Angaben innerhalb einer Einvernahme möglich

- auch keine Strafbarkeit wegen Versuchs bei falschen Angaben, die im Verlauf derselben Einvernahme richtiggestellt werden

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Subj. TB

> Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Qualifizierung (Abs. 2)

> Bekräftigung der Aussage etc. mit einem Eid oder einem Handgelübde

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Privilegierung (Abs. 3)

> Aussage etc. bezieht sich auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidfindung unerheblich sind

- Bundesgericht: Tatsachen, die nicht geeignet sind, den Prozessausgang irgendwie zu beeinflussen (blosse Eignung)

- Teil der Lehre: Tatsachen, die im konkreten Fall keinen Einfluss auf die Entscheidfindung hatten (tatsächliche Berücksichtigung im konkreten Fall)

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Falsches Zeugnis. Falsches Gutachten. Falsche Übersetzung (Art. 307) – Konkurrenzen

> Verhältnis zu Art. 303, 304, 305: echte Konkurrenz; unterschiedliche Rechtsgüter

> Verhältnis zu den Ehrverletzungsstraftaten (Art. 173 ff.): echte Konkurrenz; unterschiedliche Rechtsgüter

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Strafmilderungen (Art. 308) – Berichtigung durch den Täter (Abs. 1)

> gilt für Art. 303 bis 307

> Berichtigung aus eigenem Antrieb bevor einem anderen ein Rechtsnachteil erwachsen ist

- Charakterisierung: tätige Reue nach formell vollendeter Straftat

- Freiwilligkeit der Berichtigung

- "Rechtsnachteil": weite Begriffsverwendung; nicht nur Endentscheidung, sondern schon jede prozessuale Massnahme (z.B. Blutprobe, Hausdurch-suchung)

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Strafmilderungen (Art. 308) – Gefahr eigener strafrechtlicher Verfolgung (Abs. 2)

> gilt für Art. 306 und 307

> Falschaussage, weil der Täter sich oder seine Angehörigen durch die wahre Aussage der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde

- = Aussage- oder Ehrennotstand; Art. 308 Abs.1 geht als Spezialbestim-mung der allgemeinen Regelung des Notstands in Art. 17/18 vor

- Angehörige: Art. 110 Abs. 1

- strafrechtliche Verfolgung: auch Fortsetzung eines bereits eingeleiteten Strafverfahrens

- gilt sowohl bei Aussagepflicht als auch bei freiwilliger Aussage

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Verwaltungssachen und Verfahren vor internationalen Gerichten (Art. 309)

> bezieht sich auf Art. 306 bis 308

> lit. a: Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Verwaltungsgerichts-verfahren, Schiedsgerichtsverfahren und verwaltungsinterne Verfahren

> lit. b: Ausdehnung des Anwendungsbereichs auf Verfahren vor internationalen Gerichten

- falls die Schweiz die Zuständigkeit anerkannt hat